Naturwissenschaft

  • 9.4.1997

    Heute wird auch die Philosophie zum Markenartikel: Es gibt weder die Kritische Theorie noch die Theologie.

    Adornos Programm der „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“ ist zweideutig: Die christliche Theologie, die orthodoxe dogmatische Theologie, ist bereits – als Theologie hinter dem Rücken Gottes (als „Rede von Gott“) – das Produkt ihrer vollständigen Säkularisierung, während Adornos Konzept auf das genaue Gegenteil: auf das Ende der verdinglichten Theologie und die Realisierung der Theologie als eine Gestalt eingreifender Erkenntnis abzielte, auf eine Theologie im Angesicht Gottes.

    Die Orthodoxie ist der Inbegriff der 99 Gerechten, die Geschichte der Häresien der des einen Sünders und seiner Wege des Irrtums. Über die Bekehrung dieses einen Sünders herrscht mehr Freude im Himmel als über die 99 Gerechten.

    Die Kritik der Metaphysik, wenn sie nicht im Mythos enden soll, ist nur möglich durch Kritik der Ontologie, an deren Stelle die Ethik zu treten hätte, im Kontext einer Theologie, die den Satz zur Richtschnur der Erkenntnis macht, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Dem entspricht der Benjamin’sche Begriff der Lehre.

    In dem die Geschichte der Dogmenbildung begleitenden Prozeß der Auseinandersetzung des Christentums mit den Häresien ist dieser Imperativ externalisiert, zum Instrument der Verurteilung und zum logischen Kern eines Schuldverschubsystems gemacht worden, mit den bekannten fürchterlichen Folgen fürs Christentum.

    Modell war die Internalisierung des Mythos, des Schicksalsbegriffs, in der Ursprungsgeschichte der Philosophie (des Begriffs). Anhand der Ursprungsgeschichte der Philosophie wäre der Zusammenhang des Ursprungs des Schuldverschubsystems mit der Konstituierung der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt zu demonstrieren.

    Der Begriff der Größe hängt mit dem des Erhabenen zusammen. Deshalb ist bei Kant der Sternenhimmel über mir ebenso „erhaben“ wie das moralische Gesetz in mir. Das Erhabene ist das über alles, was der Fall ist, Erhabene, das über die Welt Erhabene. Aus der gleichen Logik stammt das historische Attribut der Größe, das den historischen Prozeß der Konstituierung der Welt (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) begleitet.

    Der Begriff des Erhabenen erinnert ans Erhobene und ans Haben.

    Ist das Erhabene der selber nicht säkularisationsfähige Grund des Säkularisationsprozesses, ein Moment der inneren Logik des Eigentums?

    Wird die „irre Fahrt zu den Sternen“ heute nicht im Ernst zum Menetekel?

    Der biblische Fluch ist ein Instrument der Verurteilung, der Inbegriff seiner Logik (der biblische Reflex des Schicksals). Hat er nicht in der Tat etwas mit der Idee des Himmels zu tun?

    Wie hängt der zweite Schöpfungstag mit Lev 26 und Dt 28 zusammen?

    Das Problem der Theologie heute ist von dem der Apologie irgend einer der kirchlichen Denominationen streng zu trennen. Eine andere Frage ist, ob, was heute noch Theologie heißen darf, überhaupt an einer der akademischen Einrichtungen, seien sie kirchlich oder seien sie staatlich, noch seinen Ort finden kann. Theologie heute wäre

    – prophetische, und d.h. sowohl staats- als auch kirchenkritische Theologie,

    – messianische, auf Realisierung, Erfüllung zielende Theologie und

    – parakletische Theologie, das Organ des verteidigenden, das Gericht überwindenden, ihm enthobenen Denkens, das Organ des aufrechten Gangs.

    Das Buch der Richter ist ein prophetisches Buch, und als solches hat Lillian Klein es erstmals wieder begriffen (über der Prophetie steht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen).

    Zur Begründung des Kausalitätsprinzips: Die gemeinsame Logik der modernen Naturwissenschaft und des Kapitalismus ist die Logik der „List der Vernunft“, sie ist im genauesten Sinne hinterhältig (sie konstituiert sich hinter dem Rücken der Dinge). Der Listige spannt den Andern, ohne daß er es merkt, für seine Zwecke ein. Das biblische Symbol des Subjekts dieser Vernunft ist die Schlange, ihr grammatisches, sprachlogisches Korrelat das Neutrum.

    Wie hängt die List mit dem Unschuldssyndrom und dem Schuldverschubsystem zusammen?

    Die Fähigkeit zur Schuldreflexion entgründet den Universalismus, destruiert das Überzeitliche und bindet die Erkenntnis an die Aktualität, an ihren Zeitkern. Das Unum ist nicht die Grundlage, sondern – in dem Gebot der Einigung des Gottesnamens – das Ziel.

    Was geschieht, wenn der westliche Antizionismus und die antiislamischen Tendenzen sich vereinigen?

    Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Der „Hinterkopf“, die Fähigkeit, mit offenen Fragen zu leben und das Urteil zurückzustellen, ist das Organ der Gottesfurcht.

    Zu einer Theorie des Feuers: Sind die Objekte der Mikrophysik gemeinsame Abkömmlinge des „Wärmestoffs“ und des „Äthers“?

    Die Bundesanwaltschaft: das suizidale Experiment der gnadenlosen Anklage.

    Die kleine Veränderung, die der Messias an der Welt vornehmen wird, ist die Selbstreflexion des Hinter dem Rücken und die Selbstbegründung des Angesichts. Das wäre die endgültige Umkehr und die Befreiung von den sieben unreinen Geistern. Diesen Vorgang beschreibt die Apokalypse.

    Die Siebenzahl bezeichnet keine Fülle, sondern die Gesamtheit der Wege des Irrtums.

    Teufel und arme Seele: Wer den Begriff der Schöpfung auf die Welt bezieht, hält die Frage offen, ob die Menschen zur Welt oder auf die Seite des Schöpfers gehört. Das ist der Preis für die Vorstellung der Einheit der Welt.

    Der Historismus ergreift die Partei des Todes.

    Reflektierende Urteile – und die sind das Element, in dem die Theologie sich bewegt – sind nicht konstitutive, sondern regulative Urteile.

    Wäre es nicht notwendig, nachträglich noch einmal die Diskussion zwischen Benjamin und Horkheimer über die Vergangenheit des Vergangenen aufzunehmen? – Vgl. hierzu Horkheimers Frage, ob auf dem riesigen Leichenberg, auf dem wir stehen, die Idee einer richtigen Gesellschaft überhaupt noch sich denken läßt.

    Hat der Satz, daß Auschwitz uns umso näher zu rücken scheint, je weiter wir uns historisch von ihm entfernen, nicht etwas mit dem Satz Karl Thiemes, daß Hitler nicht der Antichrist, sondern nur die Generalprobe war, zu tun?

    Der letzte Satz des Jakobusbriefs ist das christliche Äquivalent zu Jer 3134. Zwischen beiden Worten liegt der Ursprung des Weltbergriffs.

    Die kopernikanische Wende hat die Differenz zwischen Himmel und Erde zwar nicht aufgehoben, aber so verwirrt, daß davon auch die Theologie nicht unberührt geblieben ist. Als die Erde unter die Planeten, und damit an den Himmel, versetzt wurde, ist auch der Himmel und mit ihm die Theologie endgültig entgegenständlicht worden. Seitdem sind wir selbst zum Gegenstand der Theologie, ist das zentrale Thema der Theologie, die Beziehung von Gericht und Barmherzigkeit, zu einem inneren Problem der Erkenntnis geworden.

  • 8.4.1997

    Ist es nicht das ganze jämmerliche Rechtfertigungsgerede, das Anton-Andreas Guha heute (in seinem Beitrag zur Goldhagen-Debatte) zusammengestellt hat, vom „die andern auch“ über „Versailles“ bis zu den gesellschaftlichen Umständen der 20er und 30er Jahre? So hofft er, den Schrecken, an den Goldhagen erinnerte, neutralisieren zu können (mit der besonderen Infamie, mit der der Kollektivschuld-Vorwurf, den wir aus dem Ausdruck „die Deutschen“ reflexartig heraushören und offensichtlich nur noch rassistisch verstehen können, dann auf den Autor zurückprojizieren: weil der Kollektivschuld-Vorwurf zu den Wurzeln des Rassismus gehört, sind Rassisten gegen ihn immun?).
    Die Verführung der Urteilsmagie liegt in ihrem Rechtfertigungseffekt: Deshalb schlagen die Rechtfertigungszwänge, die Wiederholungszwänge sind, den Takt zu den kunstvollen Eiertänzen, zu denen Goldhagen seine Kritiker gezwungen hat. Die Rechtfertigungsorgie funktioniert nach der Logik „100 Millionen km Schweif! – Was sind wir doch für kleine Würstchen“.
    Steckt nicht in den Rechtfertigungszwängen, die in dem „jämmerlichen Schauspiel“ sich manifestieren, das Bedürfnis und der Trieb nach neuen Objekten der Eliminierung?
    Das Kind der Ehe, die die Gnade der späten Geburt nach dem Krieg mit der Urteilsmagie eingegangen ist, wird der neue Faschismus sein.
    Käme es nicht endlich darauf an, das apokalyptische Bild des „großen Zeichens am Himmel“ (Off 12) ins Sprachlogische zu übersetzen?
    Auch der Naturschutz ist ein Instrument der Ausgrenzung, der Perhorreszierung des Eingedenkens.
    Jede Rechtfertigung beruft sich auf die Natur, wenn sie die Freiheit verleugnet.
    Die Rechtfertigungslehre ist längst an der Hoffnung verzweifelt, daß der Himmel sich zu öffnen vermag.
    Monaden sind fensterlos: War die Leibniz’sche Monadenlehre der Anfang der Selbstreflexion einer anderen Planetentheorie, gehört nicht zu den „Wegen des Irrtums“ der nach außen versperrte Blick? Der aber war das Werk der kopernikanischen Wende.
    Die Hypothese, daß die RAF derzeit in ihre autistische Phase kommt, greift weit über den Bereich der RAF hinaus. Die Angriffe von Vertretern der naturwissenschaftlichen Medizin in den letzten Tagen gegen die psychosomatische Medizin (auch gegen die Homöopathie und andere alternative Methoden) hängt mit der Unfähigkeit zur Reflexion zusammen, die jetzt auf die Objekte und Inhalte der Medizin zurückzuschlagen scheint. Das in die Naturwissenschaften eingebaute Unschuldssyndrom (die mit der kopernikanischen Wende begründeten und dann automatisierte Rechtfertigungszwänge) entfaltet sich als Leugnung des Objekts, wird zu eliminatorischen Gewalt. „Objektiv“ ist nur noch das Innere der Monade.
    Es käme darauf an, an den Punkt heranzukommen, an dem die Reflexion die Kraft gewinnt, die Gewalt der Rechtfertigungszwänge zu sprengen.
    Der Autismus und die Geiselhaft-Logik der RAF sind der ohnmächtige Reflex der zugrundeliegenden Logik des Staatsschutzes.
    Ähnlich wie die RAF-Unterstützer die Gefangenen nehmen heute die Ärzte die Kranken als Geisel. Gibt es zum Korpuskel-Welle-Dualismus, dem Reflex der Verdinglichung in der modernen Physik, eine Entsprechung in der Medizin (sind nicht schon Proton und Elektron Produkte des Korpuskel-Welle-Dualismus, Emanationen der grammatischen Logik des Substantivs)?
    Der Terrorismus der RAF und die Unfähigkeit, den Schrecken des Faschismus zu reflektieren, sind Teile der gleichen Logik. Die RAF hat die Logik der Verurteilung, die die Erinnerung an den Schrecken bannen sollte, nur exekutiert.
    Identitätsprinzip: Im Autismus schlägt der horror vacui, den die philosophischen Idee des Subjekts auf die Welt abzuleiten versucht, aufs Subjekt zurück. Im Autismus erfährt sich das Subjekt selbst als Objekt der Logik, mit deren Hilfe es gegen die Welt sich zu behaupten versucht.
    Die Fensterlosigkeit der Leibniz’schen Monade ist ein sprachlicher Sachverhalt: das Resultat der Tilgung der erkennenden Kraft des Namens.
    War der Hitlerismus nicht ein Reflex des heliozentrischen Systems?
    Das Entscheidende am Werk Einsteins waren nicht seine mathematischen Konstruktionen, die auch von anderen hätten erarbeitet werden können, sondern das, was er damit „beweisen“ wollte: seine „intuitiven“ oder auch „spekulativen“ Einsichten, die im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und im Postulat der Identität von träger und schwerer Masse sich ausdrücken.
    Marx, Freud und Einstein sind Opfer der gleichen Verblendung, zu deren Kritik sie den Grund gelegt haben.
    Hat der Anfang des Matthäus-Evangeliums, das „Wir haben seinen Stern gesehen“ und die Träume der Magier und Josephs, etwas der Apokalyptik, mit Daniel, zu tun?
    War es Jakob Taubes, Emmanuel Levinas oder Jeshajahu Leibowitz, der die Halsstarrigkeit als metaphysischen Teil der jüdischen Anatomie erkannt hat? Haben nicht das Dogma und die Bekenntnislogik diese Halsstarrigkeit zum kosmologischen Prinzip gemacht?
    Die schärfsten Kritiker Netanjahus (und zuvor des Zionismus) sind die, die ihn immer schon als Alibi ihrer Unfähigkeit zur Reflexion brauchten.
    Thematische Wünsche an eine Theologie, die die Impulse der jüdischen Aufklärung in Deutschland aufnimmt, den durch sie gesetzten Standards genügt:
    – die Verstockung des Herzens Pharaos,
    – Daniel und der Traum Nebukadnezars,
    – das Menetekel und der wie eine Buchrolle sich aufrollende Himmel (Lev 26 und Dt 28),
    – Rezeption des Jakobusbriefs („Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“, „Wer einen Sünder von den Wegen seines Irrtums bekehrt …“),
    – Barbaren und Hebräer (Philosophie und Prophetie),
    – Kritik der kantischen Totalitätsbegriffe und Hegels Hinweis zum Begriff der Geschichte (Rosenzweigs Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
    – die Logik der Schrift.



  • 7.4.1997

    Die Dreidimensionalität des Raumes begründet seine redundante Struktur und damit die Identität des Objekts, des Urteils und des Begriffs.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Beelzebubisierung, sie begründen das Reich, das mit sich nicht uneins ist: die Einheit des Herrendenkens.
    Die Farben sind aus den Konstruktionen der elektrodynamischen Objektivation und Instrumentalisierung des Lichts nicht rekonstruierbar. Im Seitenblick auf die Farben, im Blick von außen, verschwindet ihre Qualität (die Schmerzen des Andern sind beschreibbar, sie können „nachgefühlt“ werden, sind aber kein Inhalt meiner Empfindung).
    Die Erlösung ist nicht identisch mit der Freiheit von Schuldgefühlen. Beide, die Freiheit von Schuldgefühlen wie auch die „Schuldgefühle“ selber, sind generell pathologisch. Nur dem, der die Sünden (die er vergeben kann) vergibt, werden die Sünden vergeben.
    Ist nicht die Lehre von der ewigen Wiederkunft ein Versuch, die Idee der Auferstehung zu retten, auch wenn die Vergangenheit irreversibel ist?
    Wie hängt der Begriff der Schwere der Schuld mit der Einstein’schen Identität von träger und schwerer Masse (und der Bogen in den Wolken mit dem Gravitationsgesetz) zusammen? Gründet nicht die Beziehung der Farbe zu den Manifestationen seiner elektrodynamischen Objektivation (seiner Instrumentalisierung) in der Beziehung zur Schwere? Und ist diese Instrumentalisierung nicht der genaueste Ausdruck der Hegel’schen List der Vernunft? Sind die subjektiven Formen der Anschauung das Instrument der List der Vernunft?
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das Problem der Konstituierung der elektrodynamischen „Erscheinungen“ (ist nicht der Korpuskel-Welle-Dualismus die Widerlegung des naiven Realismus der Mikrophysik?).
    Die spezielle Relativitätstheorie ist selber noch abstrakt: Konstant ist nicht die Lichtgeschwindigkeit, sondern die Relation, die sich darin ausdrückt. Und kann es nicht sein, daß diese Relation (der „Wert“ der Lichtgeschwindigkeit) selber noch eine abhängige Variable ist?
    Ist nicht die von Heisenberg und Weizsäcker nach dem Krieg etablierte Legende ein Paradigma des kollektiven Verdrängungsprozesses in Deutschland?
    Der erste Ausdruck der List der Vernunft war der unbewegte Beweger des Aristoteles, der dann bei Hegel als die Idee des Absoluten sich enthüllte. Zwischen Aristoteles und Hegel liegt der gesamte Prozeß der europäischen Aufklärung, der die Geschichte der christlichen Theologie und die der Naturwissenschaften mit einschließt.
    Drücken nicht Lev 2619 und Dt 2823 die beiden Aspekte des Inertialsystems aus:
    – den Himmel über euch will ich wie Eisen machen und die Erde wie Erz, und
    – der Himmel über deinem Haupt wird ehern sein und die Erde unter dir von Eisen?
    Vgl. hierzu Lev 26 und Dt 28 im ganzen.
    Wenn die Erde zum festen Boden wird, wird der Himmel zum Schicksal, zur Feste des Himmels.
    Die Philosophie ist das work in progress der Instrumentalisierung des Schicksals, der Instrumentalisierung des Himmels.
    Vor eine Theorie des Namens wäre das Motto: in philosophos, vor eine Theorie des Angesichts: in theologos, und vor eine Theorie des Feuers: in tyrannos zu setzen.
    Der azurne Himmel des Tages und der Sternenhimmel der Nacht: die von beiden Seiten beschriebene Buchrolle.
    Das Anschauen ist der Grund (und das Instrument) der Gewalt der Objektivierung.
    Am Anfang des Christentums steht ein Urschisma (die Abgrenzung gegen die Juden) und eine Urhäresie (die Gnosis).
    So wie der Staatsschutz die RAF, so braucht der nur verdrängte Antisemitismus den Netanjahu.
    Stehen nicht
    – das Sacharja-Wort „Wer euch antastet, tastet seinen Augapfel an“ (28) und
    – der letzte Satz des Jakobusbriefs „Wer einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, der wird seine Seele vom Tode retten“ (520)
    in einer merkwürdigen Beziehung? Auf wen beziehen sich die Possessivpronomen vor Augapfel und Seele?
    Es gibt ein starkes Selbstmordmotiv, wonach einer mit einem Selbstmord Menschen, die ihm nahe sind, bestrafen möchte. Hierbei geht der Selbstmörder davon aus, daß der Tod nicht der Tod des Andern ist, sondern ein Tod für andere. Diese Instrumentalisierung, die eines der stärksten Selbstmordmotive ist, ist das Grundmodell und das Paradigma des Schuldverschubsystems.
    Ist nicht das exemplarische Beispiel des logischen Schlusses ein Paradigma der Beziehung der Philosophie zum Schuldverschubsystem:
    Alle Menschen sind sterblich;
    Sokrates ist ein Mensch;
    Also ist Sokrates sterblich?
    Die Philosophie hat das indogermanische grammatische Perfekt ratifiziert: Sie hat die Vollendung durch den Tod ersetzt. Gegen diesen Schluß richtet sich der letzte Satz des Jakobusbriefs.
    Die Bekenntnislogik steht unterm Bann der List der Vernunft. Die List der Vernunft hat das Bekenntnis aus dem Bereich der Logik des Namens in den des Begriffs übertragen. Der Preis war die Vergöttlichung des Jesus im Sinne der Idolatrie.
    Das Gebot gründet im Angesicht; zum Gesetz wird es hinter dem Rücken.
    Im Namen erinnere ich das Angesicht.
    Goethe-Denkmal: Das Bild begründet das Gesetz.
    Die Mathematik hat die Transformation des Angesichts ins Bild (des Gebots in das Gesetz) automatisiert. Das Inertialsystem totalisiert diese Transformation. Dazu braucht der Raum seine drei Dimensionen.
    Wird dieser Transformationsprozeß nicht täglich in der Dämmerung, im Sonnenuntergang sinnlich erfahrbar?
    „Es ward Abend und es ward Morgen, ein erster (zweiter etc.) Tag.“ Davor steht der Satz „Und Gott sah, was er gemacht hatte, und siehe, es war gut“. Wenn beide Sätze getrennt werden, was steht dazwischen? Am zweiten Tag, an dem das „… es war gut“ fehlt, steht vor dem „Es ward Abend …“: „Und Gott nannte die Feste Himmel“.
    Wie hängen Nacht und Tag (das Sechstagewerk) – auch Mond und Sonne, die über die Nacht und den Tag herrschen – mit dem „der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ zusammen?
    Vermag die Kraft der Reflexion auch die Planetenbahnen, die „Wege des Irrtums“, zu durchdringen? Liegt es an ihr, dem Himmel die Freude der Bekehrung des einen Sünders zu bereiten? Planeten sind Urteilszentren; auf sie bezieht sich die Kraft der Reflexion.
    Ist die Merkaba der Verführung der Größe erlegen, der gleichen Verführung, die fürs Christentum vom Staat ausgegangen ist? Im Islam hat die Staatsverführung als „Religion“ sich verselbständigt.
    Sind die Merkaba, die Kabbala und Sabbatai Zwi der Schlüssel zum Verständnis der korrespondierenden Entwicklungen im Christentum?
    Rede ist organisiertes Geschwätz. Die Rede zielt auf Wirkung, nicht auf Erkenntnis.
    Wäre nicht die Geschichte der Auseinandersetzung mit den Häresien neu zu schreiben: ausgehend von der Erkenntnis, daß die Orthodoxie in dieser Geschichte immer genau das rezipiert hat, was sie formell verurteilt? Das aber heißt, daß es heute keine größere Gefahr, häretisch zu werden, mehr gibt als die in der Bemühung, die Gefahr der Häresie zu vermeiden.
    Zu Jak 219: Heute haben die Dämonen gelernt, auch das Zittern noch zu vermeiden (es auf die Dinge zu übertragen).

  • 6.4.1997

    Haben die drei Dimensionen des Raumes (oder hat die dreifache Beziehung des Raumes zur Zeit, die darin sich reflektiert) etwas mit
    – den Momenten der Bekenntnislogik: Feindbild, Verrätersyndrom und Frauenverachtung, und mit
    – der Konstellation Zahl, Maß und Gewicht
    zu tun?
    Hat das Gewicht (die Schwere) etwas mit der Schwangerschaft (der instrumentalisierten Barmherzigkeit) zu tun?
    No pity for the poor: Sich den Kopf der andern zerbrechen, das ist das exakte Gegenteil, die genaue Umkehrung des Sich-in-den-Andern-Hineinversetzens, es ist dessen wirksamste Verhinderung. Die Phantasie, die heute im Projekt des Sozialabbaus am Werk ist, agiert nach diesem Rezept, sie zerbricht sich den Kopf der Armen, derer, die sich nicht wehren können. Ziel dieser Phantasie ist es, sich selbst die Erfahrungen der Andern, damit aber dem Andern die eigene Erfahrung auszureden.
    Das Geschwätz ist ein wirksames Instrument der Einübung dieser Phantasie.
    Gründet hierin nicht eine der schlimmsten Kindheitserfahrungen, und ist der gegenwärtige Generationenkonflikt nicht der genaue Reflex dieser Erfahrungen? Im Generationenkonflikt wendet sich das double-bind-Syndrom gegen seine Urheber.
    Ist Weizsäckers Theorie der Sonnenenergie das physikalische Pendant zu Fichtes Staatsphilosophie?
    In dem Wort über Adam: Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden, steckt das Prinzip der Verwüstung.
    Erwählung: Im Namen der Auserwählung ist die Nicht-Erwählung der andern Völker, die wechselseitige Abgrenzung, damit aber die Feindschaft gegen die andern Völker, ist m.e.W. das nationalistische Prinzip enthalten. Im Namen der Erwählung fehlt dieser konkurrierende Blick auf die andern Völker. Die Auserwählung ist das Produkt der Hellenisierung der Erwählung: die Heiden sind das jüdisch-christliche Äquivalent der griechischen Barbaren. Vergessen wird, daß Israel (schon in der Gestalt Abrahams) durch die Erwählung zu Hebräern für die Andern geworden ist. Das Christentum hat versucht, den nationalistischen Bann durch das Gebot der Feindesliebe zu lösen, auch die Heiden, die Völker noch zu Objekten der Barmherzigkeit zu machen.
    Ist der Nationalismus nicht eine innere Konsequenz aus der Universalität des Kausalitätsprinzips, der Verwerfung des Endziels? Das logische Instrument, über das diese Konsequenz sich durchsetzt, ist Hegels „List der Vernunft“, das Prinzip der Naturbeherrschung in Natur und Gesellschaft.
    Es gibt keine „letzte Klarheit“: Die „Klarheit“ der Aufklärung ist die der „klaren Fronten“, eine Konsequenz aus dem feindbildlogischen Prinzip, das der Aufklärung zugrundeliegt, den historischen Objektivationsprozeß begründet.
    Die klarheitschaffende Front ist die Grenze zwischen Außen und Innen; mit der Hypostasierung des Raumes, der Etablierung der transzendentalen Ästhetik, der Form der äußeren Anschauung, wurde sie universal. Der Preis dieser Universalisierung, des Idealismus der Transzendentalphilosophie, der Preis der kopernikanischen Wende war das Konstrukt des Zeitkontinuums, die Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit.
    Der unendliche Raum, seine ins Unendliche sich fortpflanzende Selbsterzeugung, der wir keinen Halt mehr gebieten können, ist der Unzuchtsbecher.
    Ist nicht der Zusammenhang überdeutlich, wenn Brot die Barmherzigkeit und Wein das Gericht symbolisiert: Der Kelch ist das Gefäß des Gerichts.
    Das Ding ist das neutralisierte Subjekt.
    Allein mit Hilfe der Feindbildlogik (mit Hilfe des Objektbegriffs, der darin gründet) war es möglich, dem mythischen Bann des Schicksals zu entrinnen; aber hat der Bann sich mit dieser Logik nicht reproduziert?
    Barmherzigkeit, nicht Opfer: Die Verinnerlichung des Opfers, die die Zivilisation begründete, hat die Barmherzigkeit in der Wurzel vernichtet.

  • 5.4.1997

    Wer sich den Kopf der anderen zerbricht, wird ohnmächtig, lähmt sich selbst.
    Die Sterne sind „als Zeichen und zur Bestimmung der Zeiten“ erschaffen. Hängt das logische Problem der Astrologie mit dem des Maßes in der Hegel’schen Logik zusammen? – Vor diesem Hintergrund ist das kopernikanische System gezählt, gewogen und zu leicht befunden.
    Die Vergegenständlichung der Zeit ist das Produkt ihrer Subsumtion unter die Form der äußeren Anschauung, ihrer Verräumlichung.
    Das Problem der Aufklärung ist das des Hasen, der den Swinegel un sin Fru nicht unterscheiden kann.
    Wenn die Kronen die Luftwurzeln der Bäume sind, sind die Bäume dann die Säulen, die die Erde tragen? Sind die Bäume nicht zusammen mit den Primaten aufgetreten?
    Sind Bäume die letzten Denkmäler des Paradieses?
    Die Orthodoxie ist das versteinerte Herz der Welt, die Dogmenbildung war das Ergebnis der Anwendung der Erkenntnis des Guten und Bösen auf die Theologie.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das Problem der Pflanzen und Bäume und das der Sterne verweisen gemeinsam auf das Problem des Kausalitätsprinzips, auf seine Wurzel in dem der Umkehr der Teleologie. Bei Hegel erinnert der Begriff der „List der Vernunft“ an dieses Problem.
    Das Konstrukt der List der Vernunft war der Keim der Paranoia in Hegels System, das Prinzip der universalen Vergegenständlichung und der logische Ursprungspunkt der Idee des Absoluten: Hier ist an die Beziehung der Klugheit der Schlange zur Arglosigkeit der Tauben zu erinnern.
    Ökonomie und Naturwissenschaft: der Abstieg zur Unterwelt.
    Die Welt ist die Hinterwelt, die Legitimation der Gemeinheit, und die Natur ihr Opfer.
    Es gibt einen Begriff der Verantwortung, der einen Zustand legitimiert, in dem jeder seine Pflicht tut, aber keiner mehr weiß, was er tut. Das Abbild dieses Zustands ist das heliozentrische System.
    Die kirchliche Lehre vom stellvertretenden Sühneleiden hat seine praktische Anwendung im kirchlichen Antijudaismus gefunden.
    Seit der Entdeckung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gibt es Punkte, die zwei Enden haben.
    Begriffe sind richtig, aber die Wahrheit gründet im Namen: Deshalb ist bei Hegel das Wahre der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist.
    Sind der paulinische Satz, daß „Frauen in der Kirche schweigen“ sollen (1 Kor 1434) und das talmudische Wort „Rede nicht viel mit dem Weib“ (Pirke Abot) nicht zwei Seiten einer Medaille?
    Die Frauenerfahrung „ich komme in der Kirche nicht vor“ bezeichnet keinen räumlichen, sondern einen sprachlichen Sachverhalt.

  • 1.4.1997

    Die christliche Transformation des Bibelverständnisses ins Erbauliche beginnt mit der Transformation des Prophetischen ins Exemplarische, vorbildhaft Historische.
    Der Antisemitismus reflektiert reflexionslos den Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Er ist ein Indiz dafür, was von der Aufklärung zu erwarten ist, wenn die Reflexion aus ihr vertrieben wird.
    Zu den Gründen des Antisemitismus gehört die Feigheit vor dem frontalen Diskurs, der Antisemitismus verwechselt Kritik mit Eliminierung. Antisemiten kritisieren keine Bücher, sie verbrennen sie. Das ist ihre Form des Urteils, die Reflexion nicht mehr kennt, aber auf sofortigen Vollzug dringt: auf Bestrafung. Die antisemitische Gewalttat zielt auf die Zerstörung des Angesichts, sie kennt ihr namenloses Opfer nur von hinten (aus der Sicht des Gerüchts) und von oben (als Objekt des Begriffs), als das Ding, zu dem sie es macht.
    Das reflexionslose Urteil (Kants „bestimmendes Urteil“) ist ein Instrument der Ausgrenzung und Eliminierung (die „Dinge, wie sie an sich sind“ verkörpern sich im Namen und im Angesicht, im Reich der Erscheinungen sind sie unerkennbar).
    Das Präfix be- ist ein Instrument Schuldverschiebung und der projektiven Instrumentalisierung (Kristallisationskern der Feindbildlogik, die mit dem Namen der Barbaren einmal als Erkenntnisinstrument, als Instrument der Naturerkenntnis und als Grund des Wissens, sich konstituierte). Ist das be- der Indikator des Knotens?
    Die Trinitätslehre hat die exemplarische Gestalt der Reflexion hypostasiert, damit aber als Mittel der Reflexion unbrauchbar gemacht.
    Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, ist die Sünde wider den Heiligen Geist. Bei Jonas bezeichnet sie den Grund für den Aufschub der Zerstörung Ninives (die dann im Buch Tobias doch noch erfolgt).
    Der Unzuchtsbecher ist das Symbol der Unterwerfung und Vergewaltigung der Welt (vgl. den Raub der silbernen und goldenen Geräte des Tempels durch Nebukadnezar und deren Gebrauch durch Belsazzar).
    (Mene, tekel upharsin: Sind die subjektiven Formen der Anschauung diese geraubten und dann genutzten silbernen und goldenen Geräte?)
    Die Prophetie beginnt erst zu sprechen, wenn die Gegenwart in ihr sich erkennt.
    Hörner: Wenn die Aggression der gehörnten Tiere eine gehemmte Flucht ist, ist dann nicht das Fluchtverhalten der Nager eine gehemmte Aggression?
    Zweifellos ist die Astrologie Produkt einer Projektion; aber mit dieser Projektion ist etwas entstellt und verwirrt worden, was zu begreifen wichtig wäre. Dagegen hat Astronomie nur das Problem unsichtbar gemacht.
    Die Quintessenz war der Hysteriekern der neuzeitlichen Alchimie und Astrologie.
    Das Wie bezieht sich auf die Frage nach den Mitteln (auf die Konstellation Wissen, Natur und Welt), mit dem Wie ist das Neutralisierungskonzept und das Inertialsystem mit gesetzt (Naturwissenschaften und Geschichte beantworten nur das Wie).
    Die Sprache ist der Raum, in dem wir uns bewegen. Das Inertialsystem konstituiert sich in dem Versuch, diesen Raum schuldfrei zu machen (die Schulderinnerung grundsätzlich zu unterdrücken). Erst in diesem Versuch wird die Sprache zu etwas gegen das All der Dinge Äußerlichem, von der Wirklichkeit Unterschiedenem.
    Wohnen wir nicht in Sprachruinen, nachdem wir verlernt haben, den logischen Sprachzusammenhang zu reflektieren? Die Verluderung der Sprache ist ein Reflex der Verrottung des Staates. Heute übertrifft die Realität das Böllsche Wort: Nicht mehr Verrottung, die immer noch einen organischen Zustand bezeichnet, sondern Verwüstung (die einen anorganischen Prozeß bezeichnet) wäre die angemessene Bezeichnung. (Die Zerfallsprodukte der Frankfurter Schule sind Ruinen im zerstörten Garten der Philosophie: Wie in der heutigen Architektur gibt es auch hier Ruinen, die es seit ihrer Konzeption bereits waren).
    In dem Satz, daß nichts Vergangenes nur vergangen ist, drückt der letzte Grund der Hoffnung sich aus. Instrument dieser Hoffnung ist das Eingedenken.
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Das ist nur ein anderer Ausdruck für das Gebot der Feindesliebe. Der Satz enthält keine „Aussage“ über Gott, sondern nur einen Imperativ an uns.
    Was bedeuten die Namen Alexander und Karl?
    Die Kultur der Empfindlichkeit wäre die Selbstverurteilung zur Isolationshaft, der selbstverordnete Autismus. Bekenntnislogik und Empfindlichkeit sind zwei Seiten einer Medaille, beide haben einen gemeinsamen pathologischen Grund.
    Es gibt zwei Arten der Phantasie, und damit auch zwei Arten des Mangels an Phantasie, die zu einander wie kommunizierende Röhren sich verhalten: die Phantasie der Empfindlichkeit und die der Sensibilität.
    Zum Verständnis der Apokalypse gehört der Hinweis, daß die Wahrheit (auch die der Apokalypse) nicht berechenbar ist. Wäre sie berechenbar, würde sie nicht einleuchten. Apokalypse ist das einzige Mittel gegen jeglicher Art von Geheimnissen. Dazu ist die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar (und seiner Rekonstruktion und Deutung durch Daniel) ein Schlüssel.
    Heute gibt es Gerichtsurteile, in denen das Gericht sich selbst verurteilt.
    Lachen ist die subjektive, Weinen die objektive Seite der Verurteilung. – Jedoch am Ende wird jede Träne abgewischt.
    „In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; in neuen Zungen werden sie reden; Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden genesen.“ (Mk 1617f)
    Was bedeutet das Wort vom „Ende der Geschichte“ (Ilka Quindeau: Geschichtswunder, in der FR von heute), wenn man zugleich an Hegels Hinweis auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte sich erinnert? Bezieht sich das „Ende“ auf Geschichte als reales Geschehen oder auf als deren objektivierte Erinnerung? Unterliegt Quindeau nicht einer unbewußten, logisch unaufgelösten Subreption? Erinnert der Text der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Sigmund Freud-Instituts in Frankfurt nicht an den ungelösten Konflikt zwischen H.-E. Richter und seinen „Kritikern“ aus dem Umkreis der RAF?
    Gilt Hegels Bemerkung über den Begriff der Geschichte nicht auch für den Weltbegriff?
    Das Ende der Kollektivscham: Der Slogan „Es geht nicht um die Konservierung des Entsetzens“ läuft auf die Psychotisierung des wirklichen Entsetzens, dem die Kollektivscham bereits die Sprache geraubt hatte, hinaus.
    Texte haben ein Gesicht: Gründet die Unterscheidung von Rechts und Links in der von Anschauung und Sprache?
    Detlef Claussens aktuelle Analyse der RAF (aus 1977 ?) verweist auf einen lang nachwirkenden Sachverhalt. Der ersten Verdrängungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg (die das Begreifen des Schreckens durch die Verurteilung des Faschismus ersetzt hat) entspricht eine zweite, deren Grundlage sie war: die Verdrängungsgeschichte, die die RAF eingeleitet und bis zum Exzeß weitergetrieben hat: das Ende der Reflexion.

  • 28.3.1997

    Bedingung der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (des „Kelches“) ist die Objektivierung des Gravitationsgesetzes (die Instrumentalisierung des „Falls“). Gehört dazu nicht auch die Sakramentenlehre (das theologische Äquivalent der „Wege des Irrtums“)? Was hat das Gravitationsgesetz mit der Deklination zu tun?
    Die Vermittlungsgeschichte der kopernikanischen Theorie ist ein Paradigma des Begriffs der Vermittlung überhaupt. Die Erde als Planet der Sonne ist ein Reflex des Ablaufs der Jahreszeiten und die Rotation der Erde um die eigene Achse ein Reflex der Folge von Tag und Nacht.
    Die Schuldknechtschaft gehört zur Ursprungsgeschichte des Geldes, die Erkenntnis der Planetenbewegungen zur Ursprungsgeschichte der Raumvorstellung.
    Die subjektiven Formen der Anschauung verwandeln den Raum in ein Haus, das wir von außen betrachten können, sie verdrängen das Bewußtsein, daß wir nicht nur Bewohner, sondern Teil dieses Hauses sind. Auch den Pharao treffen die Schläge, die der Gründung des Sklavenhauses folgen, die Abfolge dieser Schläge ist die Geschichte der Verstockung seines Herzens.
    Der Universalismus gründet in der Verdrängung der Asymmetrie, er begründet eine Logik, die gegen die Schmerzen des Andern (und gegen den Tod des Andern: gegen die Erfahrung des Todes) unempfindlich macht. Um diese Logik aufrecht zu erhalten, bedarf es heute des Atheismus.
    Die Lehre vom Sündenfall (von der Sünde Adams) schließt die These mit ein, daß wir die Mörder aller sind. Und verweist das Wort vom Lösen, von der Bekehrung des einen Sünders, und darin eingeschlossen die Idee der Gnade nicht darauf, daß wir Anteil haben an der rettenden Kraft?
    Hat nicht dem Kopernikus bereits der Himmel wie ein Buchrolle sich aufgerollt, nur daß wir die Schrift noch nicht lesen können?
    Die Überzeugungskraft der kopernikanischen Theorie gründet nicht in ihrer theoretischen Konsistenz, sondern in dem „praktischen“ Vorteil, daß sie es uns zu ermöglichen scheint, uns die Welt als ganze vorzustellen (sie uns „vor Augen“ zu stellen, sie zum fix und fertigen Objekt von Urteilen zu machen und so das Urteil von der Last der Reflexion zu befreien). Ist die kopernikanische Theorie die Verkörperung des einen Sünders? (Merkwürdige Verschiebung: die christliche Tradition hat Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, zur „großen Sünderin“ und sie, die damit zum Typos der vollständigen Umkehr geworden ist, zur „Büßerin“ gemacht.)
    Ist nicht die kopernikanische Theorie, die die Totalität der Vermittlung verkörpert, auch die Verkörperung der Trennung von Stadt und Land? Kopernikus hat Ninive, Babel und Rom neu gegründet. Damit steht Kopernikus in der Tradition des Nimrod und des Turmbaus von Babel, des Nebukadnezar und der Hure Babylon (der Zerstörung Jerusalems).
    Nimrod war ein „großer Jäger vor dem Herrn“. War nicht der Pharao ein Krokodiljäger, und waren die Herrscher Babylons Löwenjäger (ist nicht das Krokodil das Chaos in den Fundamenten des Hauses – das bei der Gründung des Hauses Verdrängte, die Leichen im Keller, die nicht tot sind -, und sind die Löwen die Repräsentanten der feindlichen Königreiche)?
    Das Inertialsystem ist die fressende Todesmaschine.
    Das Jogging bekämpft wirksam das aufkommende Bewußtsein der Asymmetrie (die Reflexion). Es stellt die inertiale Ordnung wieder her.
    Tiere sind Verkörperungen der inertialen Ordnung, Pflanzen die natürliche Prophetie des Falls (sind Blüten die Seufzer der gefallenen Natur?).
    Im Namen Noahs sind die Menschen eingetreten in den Schrecken, der auf den Tieren liegt. Auch die Arche ist ein Haus (und nach dem Ende der Sintflut opferte Noah von allen reinen Tiere und von allen reinen Vögel).
    Das Haus trennt innen und außen.
    Das Kleid im Blute des Lammes waschen, heißt das nicht, die religiösen Vorstellungen durch Reflexion ihres sprachlichen Grundes aus dem Bann ihres Bildseins (aus dem Bann der Erbaulichkeit) lösen?
    Der logische Schluß, den die Philosophie erfunden (und mit dessen Erfindung sie sich selbst begründet) hat, gehört zur Geschichte des Perfekts, des Universalismus. Seine zentrale Prämisse ist: Alle Menschen sind sterblich. Der logische Schluß hat den Tod instrumentalisiert und damit die Todesangst neutralisiert.
    Die Universalisierung des Todes ist die subtilste Art seine Leugnung.
    Die Unfähigkeit zur Selbstreflexion zerbricht sich den Kopf der Andern. Sie will nichts Besonderes sein.
    Gegen den Zynismus der Linken, die heute die Rechten darin zu übertrumpfen suchen, daß sie alles schon im Voraus wissen, der den Marxismus zur Naturwissenschaft gemacht hat, in der „the future will be like the past“, hilft nur die Neubegründung der Reflexion. Auch der Zynismus ist eine Form des Triumphalismus: die Siegerpose der Verzweifelten.
    Heute sieht die Linke vor lauter Wald die Bäume nicht mehr.
    Das Endziel ist im Antlitz und im Namen gegenwärtig. Das Antlitz und der Name sind die Widerlegung der kopernikanischen Theorie.
    Wenn die sieben Siegel der Apokalypse etwas mit den Richtungen des Raumes und der Irreversibilität der Zeit zu tun haben, hat dann die Lösung der sieben Siegel etwas mit dem Bild des wie eine Buchrolle sich aufrollenden Himmels zu tun?
    Als die Berliner Horst-Eberhard Richter als Agenten des Verfassungsschutzes denunzierten, haben sie da nicht heftig projiziert?
    Der Erkenntnisbegriff der Prophetie ist moralisch begründet. Levinas‘ Hinweis darauf, daß die Attribute Gottes im Imperativ und nicht im Indikativ stehen, verweist auf diesen Sachverhalt. Deshalb ist die Schuldreflexion ein Konstituens dieses Erkenntnisbegriffs. Und deshalb gehört Joh 129 ins Nachfolgegebot.

  • 26.3.1997

    Ist das Ende des Sündenfalls ein Echo des Anfangs der Schöpfung? Beziehen sich der Acker, der Dornen und Disteln trägt, der Staub, aus dem Adam geworden ist und zu dem er wieder werden wird, und die Wehen der Geburt auf das Tohuwabohu, die Finsternis über dem Abgrund und den über den Wassern brütenden Geistes?
    Hängt die Scham mit der Grenze der Individualität, mit der inneren Beziehung von Individuum und Gattung zusammen, mit der Beziehung von Objekt und Begriff? Ist der Boden, in dem der Sich Schämende versinken möchte, die Allgemeinheit des Begriffs, ist die Kollektivscham die Wurzel des Nationalismus?
    Hiermit hängt es zusammen, daß die schlimmsten Gemeinheiten die sind, die man selbst nicht mehr wahrnimmt.
    Sich den Kopf anderer Leute zerbrechen: Heißt das nicht, den andern die Erfahrung verbieten?
    Ist nicht der Antikommunismus immer noch ein Alibi für den Antisemitismus, verschärft seit dem Zusammenbruch des Ostblocks? Nur ist das keine Rechtfertigung des real existierenden Sozialismus.
    Strukturwandel der Öffentlichkeit: Die Doppelbödigkeit der faschistischen Öffentlichkeit, das Zusammenwirken des öffentlichen Gerüchts (in dem Wahrheit und Paranoia untrennbar sich mischten) mit seinem macht- und terrorgestützten Dementi (die offizielle Leugnung der Wahrheit, das Verbot, über das offenkundige Grauen zu reden), war ein Produkt des politisch instrumentalisierten double bind. Liegt nicht der eigentliche Strukturwandel der Öffentlichkeit in dem perfektionierten Gebrauch dieses Instruments, insbesondere in den Fortschritten seiner rechtlichen Absicherungen (der gesamte Apparat der Geheimhaltung, des Staats- und Verfassungsschutzes)? Auf das, was die beiden Öffentlichkeitsebenen trennt, verweist der Begriff der Kollektivscham, die Grundlage des neuen Nationalismus, der tiefer gründet, als in einer bloßen Gesinnung: nämlich im logischen Kern der politischen Ökonomie.
    Was die Nazis Volksgemeinschaft nannten, heißt heute Standort Deutschland. Damit hängt es zusammen, wenn heute alle sich die Köpfe aller anderen zerbrechen (wenn die Religion unwiderruflich zur Religion für andere geworden ist, deren blasphemische Struktur den Nachkriegs-Atheismus fundiert). Entsetzliche Mischung von Empfindlichkeit und Unsensibilität im Bann der Abwehrmechanismen und Rechtfertigungszwänge. Vgl. hierzu (vor dem Hintergrund der Geschichte ihrer Vergesellschaftung) die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos.
    Haben Kreuz und Kelch etwas mit der Beziehung der Orthogonalität zur Form der äußeren Anschauung zu tun (gehört das Kreuz zur babylonisch-römischen Tradition)?
    Zum Ursprung des Begriffs des Wissens (zu seinen logischen Konstituentien) gehört der Name der Barbaren. Gibt es dazu ein Äquivalent im Sanskrit, in der indischen Urgeschichte (vgl. hierzu die logische Stellung Indiens im Stern der Erlösung)? Oder dringt der Feindbegriff erst in der griechischen Vollendung der mythischen Logik (mit der Schicksalsidee, die dem Ursprung der Philosophie vorausgeht) in den Begriff des Wissens ein? Sind die chinesische und die indische Welt getrennte Formen der Wendung des Feindlichen nach innen und außen?
    Der Kapitalismus hat die teleologische Logik der Selbsterhaltung durch Instrumentalisierung in eine Kausallogik transformiert.

  • 24.3.1997

    Wie hängt das Christentum mit der Ursprungsgeschichte der doppelten Buchführung zusammen? – Die ersten Codices waren die Haushaltsbücher des römischen Familienhaushalts und die Bücher des NT. Codices unterscheiden sich von Buchrollen dadurch, daß sie auf beiden Seiten beschrieben wurden (vgl. Apk 51, 614, 102, 2012).
    Im Kosmos der Sprache ist das Neutrum eine Schlange, haben Unzucht und Keuschheit etwas mit der Politik und dem Staat zu tun, und ist die Gebärmutter Symbol der Barmherzigkeit: der Ort der Geburt des Messias.
    Die subjektive Form der äußeren Anschauung ist die Grenze der Sprache zum Objekt; das Objekt ist der Fremde, der Ausländer, der Sklave, die Ware der Sprache. Aber die Grenze, die die Sprache von ihrem Objekt trennt, ist eine Grenze in der Sprache, sie ist reflexionsfähig.
    Kyrios ist der Deckname fürs Tetragrammaton, seine Widerspiegelung im Griechischen. Was bedeutet es, wenn dieser Name im NT als Gottesname auf Jesus angewandt wird?
    Die Naturwissenschaften haben die Religion überflüssig gemacht, aber das um den Preis der Finsternis.
    Kein Friede: Die Feindschaft der katholischen Tradition gegen die Aufklärung, die durch die heutige Identifikation mit dem Aggressor nicht aufgehoben ist, gründet in der Unfähigkeit, die gemeinsame Wurzel beider zu reflektieren. Die Vätertheologie ist wahr bis auf den einen Punkt, daß sie „Väter“-Theologie ist. Auch für sie gilt das „Laß die Toten ihre Toten begraben“ und das Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern.
    Das Perfekt oder das steinerne Herz: Ist das der Panzer, der sich in der Geschichte der Überwindungen der jeweiligen Vergangenheiten gebildet hat, in seiner Objektivierung (die das Eingedenken neutralisiert), im Historismus und in der subjektiven Form der inneren Anschauung sich vollendet?

  • 21.3.1997

    Die Sprache steht der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern sie ist in sie verflochten und verstrickt. Wenn die Wirklichkeit außerhalb der Sprache und gegen sie sich zu behaupten scheint, so fällt dieses „außerhalb“ noch in die Sprache: als Objekt und Korrelat des richtenden Urteils. Die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt sind die Statthalter des richtenden Urteils.
    Wenn die Sprachgeschichte ein Teil der Herrschaftsgeschichte ist, dann ein subversiver.
    Das Huygens’sche Relativitätsprinzip ist ein Grenzfall des Einstein’schen, gültig im Bereich von (im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit) niedrigen Geschwindigkeiten. Entspricht hier nicht die Grenze, die die beiden Relativitätsprinzipien trennt und unterscheidet, der Grenze, die zwei Dimensionen des Raumes von einander trennt und unterscheidet? Sie bezeichnet einen zweiten Akt des Objektivationsprozesses. Nicht das selbe, sondern nur das gleiche Inertialsystem verbindet die Mechanik mit der Elektrodynamik und der Mikrophysik. – Oder ist es nicht schon das dritte: ist das zweite das des Gravitationsgesetzes?
    Ist der Begriff des Falls im ersten Satz des Wittgenstein’schen Tractatus logico-philosophicus ein Produkt dieser dreifachen Objektivation? Das physikalische Äquivalent des Wittgenstein’schen Satzes ist die Einstein’sche Identität von träger und schwerer Masse.
    Urteile werden gefällt: Was gefällt wird, wird zu Fall gebracht.
    Sind nicht alle Begriffe, mit deren Hilfe mikrophysikalischen Erscheinungen und Prozesse beschrieben werden, metaphorische Begriffe?
    In dem Vergleich der Nachkommenschaft Abrahams mit den Sternen des Himmels und dem Sand am Meer steckt ein logisches Problem: das der Pluralität.
    Wie hängt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ mit der Weizsäckerschen „Explosion von Genie“ zusammen (nach Kant ist die Natur im Subjekt die Produktivkraft des Genies)?
    Wer das Problem der deutschen Fraktion der Kopenhagener Schule nur unter dem Gesichtswinkel schuldig/nicht schuldig sieht, verfehlt die Sache. Beginnt die wirkliche Schuld nicht erst in der Unfähigkeit, post festum die eigene Verstrickung (die in actu unsichtbar war) zu reflektieren: in der Geschichte der Verdrängung?
    Blochs Satz „Der Anfang wird am Ende sein“ rührt an einen zentralen Sachverhalt: Die Geschichte der Aufklärung hat den Anfang ins Ende transformiert, und das über einen Akt, der die Wahrnehmung dieses Vorgangs zugleich verhindert hat, weil er im Kern des Objektivierungsprozesses selber sich vollzogen hat, in der Bildung der subjektiven Form der inneren Anschauung, der Vorstellung des Zeitkontinuums (der Idee des „Überzeitlichen“). Hierin gründet der Tatbestand, auf den der Satz sich bezieht: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Deshalb ist die bloße Verurteilung des Faschismus ein Instrument der Umkehrverhinderung.
    Der Ursprung der Umkehrverhinderung liegt in der kopernikanischen Wende: Seit der Konstituierung der Raumvorstellung (die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet und stabilisiert) führt jede Umkehr in die gleiche Scheiße zurück; seitdem ist die Zukunft wie die Vergangenheit. Die kopernikanische Wende hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: den Begriff vom Namen getrennt und den Namen vernichtet (die Zerstörung des Tempels, bei der kein Stein auf dem andern geblieben ist).
    Wo war in der Zeit der Richter die Bundeslade?
    Der Nachkriegs-Atheismus gründet in der Zwangslogik des Sich-tot-Stellens. Er kündigte sich an in Heideggers „Vorlaufen in den Tod“. Die Religion, von der der Fundamentalismus nicht lassen will, ist eine Religion für andere.
    Gehört nicht Weizsäcker zu den Protagonisten eines Diskurses über „Religion und Naturwissenschaft“, der es in erster Linie darum geht, ähnlich wie einmal die „spekulative Physik“ Einsteins, so jetzt auch die Religion so kurz und klein zu diskutieren, daß sie praktisch nicht mehr vorkommt, daß mit der Religion die Kraft des Eingedenkens, der Erinnerung, verschwindet. Dieser Diskurs steckt so im Bann der Rechtfertigungszwänge, die sehr konkrete Ursachen haben, daß er als Beleg für die Traditionszerstörung durch den Antisemitismus genutzt werden kann. Die deutsche Fraktion der Kopenhagener Schule war eine „deutsche Physik“, die Kreide gefressen hat.
    Heute breitet das Täter-Opfer-Paradigma sich aus: Die Deutschen, die Christen, die Männer, die Väter, die „Besserverdiener“, sie alle haben allen Grund, dieses Paradigma zu reflektieren. Haben nicht die Exkulpationslogiken, die diese Täter-Opfer-Paradigmen erzeugen, etwas mit dem Stand der „Aufklärung“, die seit je auf „klare Fronten“ abzielte: mit dem Stand der Geschichte der Herrschaftslogik, etwas zu tun?
    Wenn Hitler im Atheismus überlebt, dann gibt es zur Reflexion der Naturwissenschaften keine Alternative mehr. Hier werden die „Wege des Irrtums“ erstmals lesbar.
    Die Logik des Traums des Nebukadnezar läßt sich an der Beziehung der Astrologie zur Astronomie demonstrieren: Die Astronomie ist das Instrument des Vergessens; vergessen wurde die Astrologie, die den Traum bezeichnet, der zu deuten wäre.
    Astrologie und Astronomie lassen sich durch ihre Beziehung zur traditionellen Wahrheitsdefinition bestimmen: Die Astrologie hat die „adäquatio intellectus ad rem“ eröffnet, die Astronomie die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“.
    Das Urteil im Hogefeld-Prozeß hat im Umkreis der RAF eine ähnliche Wirkung ausgelöst wie die „Schüsse an der Startbahn“ auf die Anti-Startbahn-Bewegung. In beiden Fällen gab es den aufgescheuchten Hühnerhaufen. Verweist das nicht sehr deutlich auf die Beziehung von Urteil und Mord? In jedem Urteil, auch nach der Abschaffung der Todesstrafe, steckt ein Todesurteil. Deshalb gehört der Mord als Täterdelikt zu den Grundlagen des Strafrechts, zu den Säulen des Strafrechts.
    Der Rechtsstaat ist der säkularisierte Faschismus.
    Was hat Paulus gemeint, als er die drei Apostel in Jerusalem, Petrus, Jakobus und Johannes, die „drei Säulen“ nannte? Und was bedeuten eigentlich die Verdoppelungen und Verschiebungen in der Urgeschichte des Christentums:
    – beim Jakobus (Zebedäussohn, Sohn des Alphäus, Herrenbruder – wer ist der Autor des Jakobusbriefs?)
    – Simon (S. Petrus, Kananäus -> Nathanael?)
    – Johannes (der Täufer, Zebedäussohn)
    – Judas (Thaddäus, Sohn/Bruder des Jakobus, Herrenbruder, J. Iskarioth – sind Thaddäus, der des Jakobus und der Herrenbruder eins, wer ist der Autor des Judasbriefs)
    – Philippus (Apostel, einer der Diakone)
    – was ist mit Levi/Matthäus?
    Ist es möglich, aus den vier Evangelien und der Apostelgeschichte eine einheitliche Apostelliste aufzustellen?
    In der Nacht sind alle Katzen grau: Hat dieses Grau etwas mit dem „Grauen um und um“ bei Jeremias zu tun?

  • 20.3.1997

    Doppelsinn des Worts „erhalten“: Erst durchs Erhalten wird etwas zum Eigentum. Verweist dieser Doppelsinn nicht auch auf die Bedeutung der „Erhaltungssätze“, die die Verfügbarkeit der Erkenntnisse, die sie begründen, sicherstellen. Sind die mikrophysikalischen „Naturkonstanten“ (wie der Wert der Lichtgeschwindigkeit, das Plancksche Wirkungsquantum und die elektrische Elementarladung) nicht eigentlich „Erhaltungssätze“, haben sie nicht für die Sphäre der Elektrodynamik und der Mikrophysik, die sie erschließen, eine den den Erhaltungssätzen der Mechanik vergleichbare Funktion?
    Die theologische Trennung von Schöpfung und Erhaltung (der Welt durch Gott) gilt nur für uns, nicht für Gott. Nur ist die islamische Lösung, wonach Gott die Welt in jedem Augenblick neu erschafft, sicherlich falsch: Das „in jedem Augenblick“ ist das islamische Pendant dessen, was seit den Anfängen der naturwissenschaftlichen Aufklärung in Europa Empfindung heißt. Beides gehorcht der gleichen Logik, der der Punktualität, der positivistischen Sprengung und Chaotisierung des Objekts (des „Staubes“). Die Auflösung der Zeit in ein Ensemble von Augenblicken ist der Grund des Allbegriffs, der dann in Namen wie Allwissenheit, Allmacht oder Allbarmherzigkeit auf Gott übertragen wird.
    Die Empfindungen sind der Bodensatz der logischen Verrottung des Namens.
    Nicht wie im Gehirn die elektromagnetischen Prozesse in Empfindungen umgewandelt werden, die Transformation der sinnlichen Erfahrung in physikalische Prozesse ist das Reflexions- und Erklärungsbedürftige. Es ist die gleiche Logik, die die Erkenntniskraft des Namens zerstört.
    Der Blick, der sich auf etwas richtet, ist ein richtender Blick.
    Der Bekenntnisbegriff stößt auf seinen Grund in Joh 129. Das Bekenntnis des Namens ist die „Auf-sich-Nahme“ der Sünde der Welt, während die „Hinwegnahme“ die Bekenntnislogik begründet, die Einbeziehung des Bekenntnisbegriffs ins Schuldverschubsystem. In Joh 129 wird das Glaubens- zum Schuldbekenntnis: ich muß die Schuld nicht auf mich nehmen, sie lastet auf meinen Schultern.
    Ist nicht in die Bekenntnislogik, die das Bekenntnis universalisiert, die Heuchelei mit eingebaut, spricht nicht die Bekenntnislogik die Sprache, hinter der die Schuld sich verbergen kann?
    Ding und Sache: Die Naturwissenschaften haben die Sache durch das Ding ersetzt, das Was durch das namenlose Subjekt des Wie. Zwischen Ding und Sache steht die kopernikanische Wende, die einen neuen Naturbegriff begründet. Das Ding ist das Produkt der Objektivierung der richtenden Gewalt. Hängt nicht die Bedeutung der Eucharistieverehrung für die Konstituierung des Dingbegriffs mit der Entfaltung der richtenden Logik zusammen?
    Die Neofaschisten, die sich durch bewußtes und gewolltes Nichtwissen heiß machen, widerlegen insoweit den Satz: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
    Nebukadnezars Traum: der Mythos, die Kunst, die Naturwissenschaft.
    Zu dem Grimm’schen Märchen vom Herrn Korbes: Ist es nicht heute durch die Realität überholt, ist es nicht dem Herrn Korbes gelungen, den Virus auf Hähnchen und Hühnchen etc. zu übertragen, die, seitdem sie es dem Herrn Korbes alle gleichtun möchten, sich gegenseitig ausgrenzen, stechen, erschlagen, den Herrn Korbes in Ruhe lassen?

  • 18.3.1997

    Das Modell der Beziehung von Gattung und Exemplar ist das der Beziehung von Geld und Ware.
    Ist es nicht eigentlich konsequent, wenn erst nach der Sintflut der „Bogen in den Wolken“ erscheint, wenn erst, nachdem der Begriff die Welt überflutet hat, der Begriff der Farbe in den Wolken sichtbar wird?
    Das Horn ist das Symbol einer Gewalt, die aus der Bedrängnis erwächst.
    Der Atheismus heute leugnet den Imperativ, das Gebot.
    Das, was Ferdinand Ebner den Traum nannte, die Logik der Ich-Einsamkeit, ist der Traum des Nebukadnezar. Diesen Traum, den der, der ihn träumt, zwangsläufig vergißt, rekonstruiert und deutet Daniel.
    Die Schlange oder das Neutrum ist ein Instrument zur Vermeidung der Gottesfurcht.
    Ismaeliten waren es (Midianiter), die Joseph nach Ägypten verbrachten, wo er als Sklave verkauft wurde. Midianiter waren es, die Moses, als er aus Ägypten floh, aufnahmen (die Frau des Moses war eine Tochter des Midianiter-Fürsten, der Moses aufgenommen hatte).
    Den Namen geändert haben Abram/Abraham und Sarai/Sara, Jakob/Israel. Danach erst wieder Simon/Petrus und Saulus/Paulus?
    Trägt von den Aposteln nur Johannes, der „Lieblingsjünger“ (und Nathanael, „ein wahrer Israelit“) einen theophoren Namen?
    Wer klare Fronten haben will, will wissen, wofür und wogegen einer ist. Will nicht die „Aufklärung“ klare Fronten, wie die subjektiven Formen der Anschauung sie dann schaffen (Aufklärung ist auch Verbrechens- oder Feindaufklärung)? Aber: Die Sonne bescheint Gerechte und Ungerechte; die Sonne Homers bescheint auch uns; und: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
    Die Bekenntnislogik usurpiert die Definitionsmacht über die Unterscheidung von Licht und Finsternis. Wer diese Deifinitionsmacht verliert, fürchtet, in die Finsternis zurückzusinken.
    Heute will niemand mehr ein Gerechter sein, aber alle wollen unschuldig sein, an der Unschuld der Kollektive, die sie durch die Bekenntnislogik zu gewinnen glauben, teilhaben. Darin gründet die logische Attraktionskraft der Nationen, der Kirchen, der Parteien.
    Welche Rolle spielen in der Logik der RAF-Unterstützer die Geschichte der RAF und die Gefangenen? Ist es nicht die Sprengkraft dieser Logik, die heute so drastisch sich manifestiert?
    Die RAF fällt, gemessen an den Feuerbach-Thesen Marx‘, unter die Philosophien, die die Welt nur verschieden interpretieren. Zur Änderung der Welt reichen die bloße Absicht und der bloße Wille nicht aus. Es hilft nicht, der anderen Interpretation nur eine dezisionistische Praxis anzuhängen.
    Schrumpft das Handeln der RAF nicht auf Reflexe des Verfolgungsdrucks zusammen? Und wie schützt sie sich vor der Gefahr, diesen Verfolgungsdruck zu verinnerlichen und zu reproduzieren?
    Nur Gott sieht ins Herz der Menschen: Das Herz der Menschen, ist das nicht die Barmherzigkeit? Und wartet Gott nicht darauf, daß er endlich in den Herzen der Menschen sich selbst erkennt? Bezieht sich nicht das Wort vom Binden und Lösen und das von dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel herrschen wird als über 99 Gerechte, auf diesen Sachverhalt?
    Zentral ist nicht die Frage Luthers: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, sondern die Frage Gottes: Wann werden die Menschen barmherzig, wann wird das steinerne Herz der Welt in ein fleischernes Herz verwandelt.
    Der Kapitalismus, die Naturwissenschaften und die Bekenntnislogik sind Instrumente der Versteinerung des Herzens.
    „Und er ging hinaus und weinte bitterlich“: Dieses Weinen löst die Wut. Ist das das Lösen?
    Das vor der Schlange erstarrende Kaninchen erstarrt aufgrund seiner fehlenden Reflexionsfähigkeit. – Jonas war nicht „im Angesicht“, sondern im Bauch des großen Fisches.
    Die Bekenntnislogik gründet in der Unfähigkeit zur Selbstreflexion der Beweislogik.
    Der Dezisionismus ist falsch; aber gibt es zu ihm eine Alternative? Das gleiche gilt für die nachkopernikanische Naturerkenntnis.

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