Newton

  • 28.12.95

    Die gelegentliche Bemerkung Emmanuel Levinas‘, daß alle Gewissensprobleme apriorische Probleme sind (Vier Talmud-Lesungen, S. 118), ist eine schlagende Widerlegung jedes affirmativen Verständnisses der transzendentalen Logik. Sie wirft ein Licht auf die Gründe des „Grübelns“: auf das sinnlose Kreisen in dem Raum einer apriorischen Logik (das nicht zufällig dem sinnlosen Kreisen gleicht, in dem das kopernikanischen System die Planeten gefangen hält – hat die „Venus-Katastrophe“ vielleicht etwas mit der Katastrophe des Ursprungs der Sexualmoral zu tun?), aber auch auf das großartige Wort Kants, das das moralische Gesetz in mir zum Sternenhimmel über mir in Beziehung setzt. Wäre es möglich, daß diese Bemerkung das Rätsel der Gravitation löst: ist das Licht das durchs Gravitationsgesetz verschlossene Innere der Schwerkraft (vgl. die Jesaia-Stelle über das Licht und die Finsternis)?
    Auf den gleichen Zusammenhang bezieht sich das Wort Adornos, daß heute alle sich ungeliebt fühlen, weil keiner zu lieben mehr fähig ist.
    „Ihr seid das Licht der Welt“: das Licht, das in jeder Epoche durch Reflexion der Finsternis (der „Sünde der Welt“) der Finsternis neu abzuringen ist.
    Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat das Objekt der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sich verschoben: Im kopernikanisch-newtonschen System kreisen die Planeten um die Sonne (um das Gravitationszentrum), in der speziellen Realtivitätstheorie Einsteins kreist das Inertialsystem um die Lichtgeschwindigkeit (ist nicht das Licht die aufgehobene Schwerkraft?). Die Gleichungen der Lorentz-Transformation sind die Gravitationsgleichungen, die dieses Kreisen beherrschen.
    In diesen Kontext gehört der Hinweis von Levinas, daß das Gesicht des Andern das Gebot „Du sollst nicht töten“ verkörpert (das gleiche Gesicht, das den absoluten Charakter der subjektiven Formen der Anschauung, der in der Abstraktion vom Blick des Andern gründet, und damit die Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes und das kopernikanisch-newtonsche System widerlegt).
    Auch die Kirche steht in der Tradition Babels: Ist nicht die Ursprungsgeschichte des Dogmas und die Geschichte der Orthodoxie ein spätes Echo der babylonischen Sprachverwirrung?
    Das Feigenblatt, Ochs und Esel: Gehören sie nicht zu dem Vorgang, in dem das Besserwissen sich vor die Erkenntnis schiebt?
    Inquisition: Ebenso schlimm wie die direkte Zerstörung des Vertrauens (die „wissende“ Kinder hervorbringt) ist der Mißbrauch des Vertrauens: der Kindern, die man selber schamlos belügt, zugleich das Lügen verbietet. Ist die Naturerkenntnis, die unterm Apriori der subjektiven Formen der Anschauung steht, das Paradigma eines solchen „Mißbrauchs des Vertrauens“, sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung eine Verkörperung dieses Mißbrauchs?
    Die Kritik der reinen Vernunft verbindet die Begründung der naturwissenschaftlichen Erkenntnis mit der Kritik dieser Erkenntnis. Die Beziehung von Begründung und Kritik erscheint im System in der Unterscheidung und Trennung der Kritik der Urteilskraft von der Kritik der reinen Vernunft. In der Wirkungsgeschichte Kants scheint allein das Moment der Begründung der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sich durchgesetzt zu haben, während das Motiv der Kritik angesichts der überwältigenden Erfolge der Naturwissenschaften verdrängt und vergessen wurde (vorbereitet wurde das in der Hegelschen Instrumentalisierung der Kritik, die es ihm ermöglichte, sie mit dem erkenntnisbegründenden Teil der kantischen Vernunftkritik zu verschmelzen und die neue Form der Einheit beider als Dialektik zu domestizieren).
    Kritik wird durch Instrumentalisierung zur Komplizenschaft.

  • 26.12.95

    Für den „Leidenskelch“, von dem Bedenbender gelegentlich spricht, gibt es zwei neutestamentliche Belegstellen: die Getsemane-Geschichte und die Stelle, an der Jesus den Jakobus fragt, ob Jakobus den Kelch trinken könne, den er, Jesus, wird trinken müssen. Aber meinen diese Stellen nicht eigentlich etwas anderes: Ist der „Leidenskelch“ nicht in Wahrheit der Taumelkelch, der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende der Unzuchtsbecher: Symbol der Geschichte des Herrendenkens (der Taumelkelch ist der Kelch, den die Herrschenden trinken, der sie besoffen macht; vgl. Hegels Definition des Wahren in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, Theorie-Werkausgabe, S. 46)?
    Zur Jotham-Fabel: Der Feigenbaum ist ein Symbol des Friedens (das Sitzen unterm Feigenbaum). Die Dornen und Disteln wachsen in der Wüste (mit der Wüste als Symbol der wachsenden Herrschaft des Äußeren über das Innere: der Geschichte des Weltbegriffs).
    Verweist nicht der strafrechtliche Begriff des Mordes auf eine merkwürdige Über-Kreuz-Verschiebung (ursprünglich verweist das lateinische mors, aus dem der Begriff des Mordes sich herleitet, auf das subjektlose Sterben, während der Begriff des Todes auf ein Töten durch einen andern zurückweist)? Im Begriff des Mords ist nicht mehr die Tat, sondern der Täter das eigentlich definierende Moment: in ihn ist das Moment der Konkurrenz zum Staat mit eingegangen, das den Mord zum Mord und den anderen Tod zu einem neutralen Ereignis, einem Naturereignis, gemacht hat (darin spiegelt sich die Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Staats zum Ursprung und zur Geschichte des Naturbegriffs).
    Gehört nicht das strafrechtliche Konstrukt des Mörders zu den logischen Bedingungen des Objektbegriffs, fällt es nicht unter die Kritik der Verdinglichung? Die Begründung einer Eigenschaft durch eine vergangene Tat, die zugleich verurteilt wird (die Begründung der Eigenschaft und des Dings in der Logik der Verurteilung): Steht dagegen nicht Joh 129, die Forderung der Übernahme der Sünde Adams, die den christlichen Namen begründet? Es gibt keine Theologie ohne die so begriffene Idee der Erbsünde: Die Sünde der Welt ist die Erbsünde (und die Taufe, die „von der Erbsünde befreit“, das Symbol der Erfüllung des Nachfolgegebots).
    Die Theologie im Angesicht Gottes gründet in der Erinnerung des Paradieses.
    Im Gegensatz zum Gott der Philosophen ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs einer, den etwas gereut: der lernfähig ist. Diese Lernfähigkeit gehört zu den Attributen Gottes, die im Imperativ, nicht im Indikativ stehen.
    Die kantische Vernunftkritik hat (als Kritik des Wissens) die Idee eines „allwissenden“ Gottes widerlegt; sie hat damit eine Gottesvorstellung widerlegt, zu deren Konsequenzen die Leugnung der Lernfähigkeit: die Leugnung des Attributs der Barmherzigkeit, gehört.
    Der aristotelische Gott war der „erste Beweger“; den „allwissenden“ Gott hingegen haben die Muslime erfunden, die dann konsequenterweise aus der Barmherzigkeit Gottes seine unterschiedslose „Allbarmherzigkeit“ gemacht haben.
    Gott ist nicht allwissend, er sieht ins Herz der Menschen (das ist das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte, und er wollte, es brennte schon).
    Die InfoAG gleicht darin dem Gericht sich an, daß sie die Beziehung der „Kirchenleute“ zur Angeklagten zu diskriminieren versucht, ihnen in ähnlicher Weise wie das Gericht Hubertus Janssen unterstellt, er unterstütze die raf, den Verdacht, „objektiv“ für den VS zu arbeiten, anzuhängen versucht. Beide Konstrukte sind paranoid, beide arbeiten nach der Methode der Umkehr der Beweislast: der Ankläger braucht seine Unterstellung nicht zu begründen, der Beschuldigte soll seine Unschuld beweisen. Beide machen Gebrauch von dem Satz, wonach Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Das Feinddenken und die Ausgrenzung und Diskriminierung des Verräters sind, weiß Gott, nicht unbegründet, sie sollten aber reflexionsfähig gehalten werden, weil sie anders in eine Logik hineinführen, die am Ende als Logik der Identifikation mit dem Aggressor sich erweist. Diese Logik ist die Logik des Staates, die es zu durchbrechen gilt.
    Die Bekenntnislogik hat einen paranoiden Kern.
    Der Begriff der Erscheinung erinnert nicht zufällig an den Bereich des Gespenstischen: Sind nicht die neutestamentlichen Dämonen Vorläufer der Naturwissenschaften (in deren Bann die Welt insgesamt heute steht)?
    Hegel hat den kantischen Kritikbegriff vergegenständlicht (ins Vergangene transformiert), ihn in den Begriff der Objektivität selbst hineingetrieben, wo er dann in der Idee des Weltgerichts sich verkörpert. So ist Kritik zu einer im Interesse der Herrschaft instrumentalisierten und domestizierten Kritik geworden. Dieser Kritikbegriff hat die Dialektik begründet, er ersetzt Solidarität durch Komplizenschaft. Er hat den Erkenntnisbegriff durch ein eingebautes Freund-Feind-Denken vergiftet.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt auch eine Interpretation zu, in der die Lichtgeschwindigkeit selber als unendliche Geschwindigkeit sich erweist, während die schlechte Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung (und mit ihr das die Raumvorstellung konstituierende Prinzip der Gleichzeitkeit) auf die Logik der Zeitumkehr, der im Objekt nichts entspricht, zurückweist. Nur im Kontext dieser Logik, die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet (die Zukunft zu einer zukünftig vergangenen Zukunft macht), sind die Richtungen des Raumes reversibel. Die Logik der Zeitumkehr verwirft die Idee der Rettung, sie macht den katastrophischen Lauf der Geschichte unumkehrbar. In den indoeuropäischen Sprachen beherrscht diese Logik über die Formen der Konjugation (insbesondere über das Präsens und über den darin fundierten Ursprung des dritten Geschlechts, des Neutrums) die Grammatik (in der Geschichte vom Sündenfall symbolisiert die Schlange das Neutrum). Die Logik der Zeitumkehr ist der Kern der Logik der Schrift.
    Zum Verständnis der „subjektiven Formen der Anschauung“: Ein Kind, das etwa 20 m hinter seiner Mutter hergeht, blickt mich, als ich ihm begegne, ganz kurz aus seinen Augenwinkeln an, senkt dann seinen Blick, verschließt sein Gesicht und drückt so seine Weigerung aus, aus dem Status des Objekts meiner Anschauung (dem Status des räumlichen Objekts) herauszutreten und mit mir, und sei es nur durch den Blick, zu kommunizieren.
    Es gibt nichts Neues unter Sonne (Kohelet): Es ist die gleiche Sonne, die Homer und die uns bescheint, aber es sind nicht die gleichen Sterne.
    Gehört nicht das Auftreten der Ehrenbataillone beim Empfang fremder Staatsmänner im Fernsehen ebenso zu den Formen der politischen Verdummung wie der Auftritt der MP- und Schußwesten-bewehrten Polizeibeamten beim Hogefeld-Prozeß? In beiden Fällen verselbständigt sich die öffentliche Demonstration gegen das, was wirklich dort passiert (und gegen die Öffentlichkeit abgeschirmt werden soll). Dieser Prozeß darf nicht einmal mehr ein Schauprozeß sein, weil er sich damit selbst entlarven würde. Daß Justitia eine Binde vor den Augen trägt, heißt, daß sie ohne Ansehen der Person urteilt (sie soll nicht den Rang der Person, sondern nur die Tat vor Augen haben). Dieser Grundsatz jeden rechtsstaatlichen Verfahrens wird suspendiert, wenn statt des Angeklagten ein Feind zum Gegenstand des Verfahrens wird.
    Zu den Konstruktionsprinzipien synthetischer Urteile apriori gehört das Prinzip der Austauschbarkeit, der Reversibilität von Subjekt und Prädikat. Im Rahmen dieser Logik begründet der Satz „Alle Mörder sind Staatsfeinde“ den Schluß „Alle Staatsfeinde sind Mörder“. Das aber ist die Logik des Vorurteils (der moralischen Version des synthetischen Urteils apriori) ebenso wie die der mathematischen Erkenntnis (diese Logik liegt u.a. der kopernikanisch-newtonschen Astronomie zugrunde): Sie macht das Ungleichnamige (e.g. Himmel und Erde) gleichnamig. Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft (die Hegel, um seine dialektische Logik zu begründen, neutralisieren muß) beziehen sich auf diesen Sachverhalt, sie haben ihn erstmals kenntlich gemacht, und zwar mit Hilfe der logischen Figur des „apagogischen Beweises“, mit dessen Hilfe Kant dem Prinzip der Reversibilität von Subjekt und Prädikat endgültig die Grundlage entzogen hat. Dieser Nachweis aber reicht weiter, als es zunächts erscheint: Er rührt an den Grund und die Grenze der Beweislogik, und damit an den Grund und die Grenze des Satzes, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (der u.a. dazu dient, das Verfahren der Umkehr der Beweislast unangreifbar zu machen). Der kantische Nachweis ist die erste Demonstration der logischen Relevanz des Levinas’schen Hinweises auf die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern, ein Hinweis, der den logischen Universalismus sprengt (und in diesem Zusammenhang den Erkenntnisbereich, auf den in der theologischen Tradition der Begriff Lehre sich bezog, neu begründet). In der kantischen Antinomie der reinen Vernunft hat die Philosophie das Prophetenwort vom Rind und Esel (und dessen biblischen Konnotationen, die tief in den theologischen Begriff des Opfers hineinreichen) eingeholt.
    Das Prinzip der Umkehr der Beweislast begründet das positivistische Rechtsverständnis, indem es das Recht zu einem Subsumtionsrecht macht (das dann den Weg frei macht für ein Verfahren, in dem der Angeklagte zum Feind wird).
    Gemein ist jede Präventiv-Anklage, die dem andern die Last des Unschuldsbeweises zuschiebt, die davon ausgeht, daß die Verteidigung allein Sache des Angeklagten sei. Diese Form der Präventiv-Anklage geht davon aus, daß Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit erlaubt sind (und das ist der logische Abgrund, aus dem der Staat hervorgeht). Dieser Logik hat Kant den Boden entzogen.
    Was ist von einem Verfahren zu halten, in dem durch Gerichtsbeschluß die Wege verstellt werden, auf denen vielleicht der Unschuldsbeweis zu führen möglich wäre?
    Ist nicht die Bekenntnislogik der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, der eigentlich zu lösen wäre: der Knoten, der den gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zusammenbindet? Wäre nicht die Kritik der Bekenntnislogik das Ende des Bücherschreibens (die Widerlegung des Kohelet), das Heraustreten aus dem Bann der Logik der Schrift, das Heraustreten aus dem Bann der Logik des Weltbegriffs?
    Hängt die Bedeutung der apokalyptischen Formel „der ist, der war und der sein wird“ nicht auch von der Reihenfolge der Zeitbestimmungen ab?
    Zu den Orionen (vgl. das Jesaia- Zitat bei Bedenbender) wäre die Hiob-Stelle hinzuzunehmen (über den Orion und die Plejaden). Beschreiben nicht die Planeten die Außengrenzen, zu denen neben dem König, dem Krieg und dem Handel (der Geldwirtschaft) auch die Frauen gehören (Zitat eines Ethnologen: das ist ein feindlicher Stamm, mit dem heiraten wir nur).
    Empfindlichkeiten sind Wege in die Opferfalle: Bezeichnen sie nicht genau den Punkt, in den das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden, Hoffnung zu pflanzen versucht?
    Pharisäer und Schriftgelehrte: Nur unterm Rechtfertigungszwang, der selber aus dem Vergangenheitscharakter des Gebots entspringt, wird das Gebot zum Gesetz.
    Zu Kafkas Parabel vom Schauspieldirektor, der eine Neuinszenierung vorbereitet: Müßte er nicht den zukünftigen Schauspieler, dessen Windeln er wechselt, erst zeugen?
    Diente nicht die Verschiebung des Naturbegriffs von der Zeugung zur Geburt (von physis zur natura) dazu, die messianischen „Wehen der Geburt“ zu verdrängen, sie unsichtbar zu machen, sie zu individualisieren, sie als individuelle Strafe für die „Sünde der Welt“ dem ganzen Kollektiv der Frauen anzuhängen? Verweist die Bedeutungsverschiebung in den Begriffen Natur und Welt nicht auf eine sprachlogische Differenz, die auf die Beziehung der griechischen zur lateinischen Grammatik zurückweist? Und liegt dieser sprachlogischen Differenz nicht die Differenz in den politischen Institutionen zugrunde, der Unterschied der institutionellen und imperialen Entfaltung des Römischen Reiches und des Caesarismus zur philosophiebegründenden polymorphen Gestalt der griechischen Polis?
    Gab es die hagiographische Unterscheidung von Confessor und Virgo schon in der griechischen Kirche, oder gehört sie zur Gründungsgeschichte der lateinischen Kirche? Hängt sie mit der Umformung des Symbolums in eine Confessio, mit der nicht nur der Name, sondern zugleich die Logik der Sache sich ändert, zusammen? Die Vermutung wäre zu begründen, daß das Symbolum (das für Augustinus noch ein sacramentum war) im Schuldzusammenhang der imperialen lateinischen Sprachlogik zur Confessio geworden ist.

  • 16.11.95

    Die These, man müsse den Staat dazu bringen, sein faschistisches Gesicht zu zeigen, weiß nicht nur nicht, was Faschismus heißt, sie ist ebensosehr Ausdruck der Hilflosigkeit des militanten Antifaschismus. Es kommt nicht darauf ein, ein Urteil zu vollstrecken (auch nicht das Urteil des Geschichte, das selber unterm Bann des Faschismus steht), sondern die Erkenntnis wie das Handeln vom Bann des Urteils zu befreien.
    Es gibt zwei Formen der Beziehung der Vergangenheit zur Erkenntnis: Während die Naturwissenschaft die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, ratifiziert der Historismus die Vergangenheit des Vergangenen. Beide gemeinsam rücken die Gegenwart in das Licht der Vergangenheit (Ursprung der subjektiven Formen der Anschauung, Grund der Ästhetisierung der Wirklichkeit).
    Nur bei Johannes steht die Geschichte mit der Aufschrift am Kreuz, auf die Pilatus schreiben ließ: Jesus der Nazoräer, der König der Juden (1919).
    Wer war der erste Confessor, und wer war die erste Virgo? Während das Martyrium noch auf die unmittelbar bevorstehende Parusie bezogen war, ist der neue Heiligentyp auch eine Konsequenz aus der Enttäuschung der Parusie-Erwartung (der Rezeption des Weltbegriffs). Confessor und Virgo waren gleichsam das erste aus dem Paradies der zukünftigen Welt vertriebene Menschenpaar, und der katholische Himmel eine Verkörperung der gefallenen zukünftigen Welt (zweiter Sündenfall, mit Alexander und seinen caesarischen Nachfolgern als Cherube mit dem Flammenschwert vor der verschlossenen Zukunft. Ist der Katholizismus die Erzeugungsmaschine der Wolken, auf denen der Menschensohn einst kommen wird?
    Verweist der Satz des Paulus, daß die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet, nicht darauf, daß die ganze Schöpfung teilhat an der Passion und am Kreuzestod Jesu? Hat Kopernikus den Kosmos ans Kreuz geschlagen, und war Newton der Paulus dieser neuen Theologie?
    Die Geschichte ist das Produkt der Historisierung, wie die Welt das Produkt der Verweltlichung und die Natur das Produkt des Objektivationsprozesses ist.
    Die Astronomie, die Elektrodynamik und die Mikrophysik sind auch ein Beweis für die Sprengkraft des Inertialsystems, des Herrendenkens, das in diesem System sich verkörpert.
    Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung gehören zur Vorgeschichte der Konstituierung des Inertialsystems. Der Jude, das war der Feind, der Ketzer der zum Verräter gewordene Genosse und Frau war das, was unten ist.
    Nach welchen Prinzipien sind in den Nationalsprachen die Zahlen gebildet worden, und welche Konnationen stecken in diesen Bildungen (im Deutschen mit der Folge Hunderter, Einer, Zehner: Sechshundert sechs und sechzig, im Englischen in der logischeren Folge Hunderter, Zehner, Einer: sixhundred sixty six; was bedeutet die abweichende, auch auf Subtraktionen zurückgreifende Zahlenbildung im Französischen)? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Trennung der (arabischen) Zahlen von der Schrift, der Einführung der Null (aus Indien über die Araber), der Bildung der Dezimalzahlen und der modernen Raumvorstellung, der „subjektiven Form der Anschauung“ (die Null ist das Korrelat der unendlichen Ausdehnung des Raumes), dem Ursprung der analytischen Geometrie und der doppelten Buchführung? Die Null hat (als mathematischer Reflex der Unendlichkeit) die Mathematik von der Sprache getrennt, sie gleichsam auf ihre eigenen Füße gestellt. In der Geometrie repräsentiert die Null den Ursprungspunkt des Raumes: den Repräsentanten des Subjekts und des Objekts zugleich. Die Null hat den Raum zur subjektiven Form der Anschauung gemacht, sie war der Ich-Generator; sie hat die Schöpfungslehre verwandelt. Erst das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat die Null widerlegt (oder auch dynamisiert).
    In welcher Beziehung steht die Logik der durch die Null neu begründeten Mathematik zur Logik der symbolischen Zahlen (die ihre eigene Rationalität haben, die nicht widerlegt, nur verdrängt worden ist)?
    Habermas‘ Konzept eines herrschaftsfreien Diskurses wird durch schon durch den Hinweis auf die Deklination (insbesondere auf den Genitiv, das innersprachliche Äquivalent der Herrschafts- und Eigentumsbeziehungen) widerlegt.
    Das Substantiv bindet den Nominativ ans Inertialsystem.

  • 26.10.95

    „Kickerinnen erfüllen ihre Pflicht souverän“: Überschrift zum Bericht über einen Sieg der deutschen Frauen-Nationalmannschaft über die Slowakei (FR von heute). – Bei Kant war die Pflicht ein Ausfluß des autonomen Gewissens, ihr Rechtsgrund das moralische Gesetz in mir. Hier ist die Pflicht die Pflicht zu gewinnen, die alle Verlierer (und mit ihnen alle, die nicht dazugehören, von den Armen über die Behinderten bis hin zu den Fremden) zu Pflichtvergessenen macht. Aber es gibt keine Gewinner ohne Verlierer, nur darf man zu diesen nicht gehören. Das ist die Botschaft dieser Überschrift.
    Die Medien verhalten sich zur Realität wie zur Natur oder zur Vergangenheit, die auch dem ändernden Eingriff entzogen sind. Die Realität ist als Gegenstand der Information bloßes Objekt des Wissens. Sie läßt sich nicht ändern, nur noch „bewerten“, das aber heißt: als Instrument der Verurteilung der Schuldigen nutzen. Deshalb sind die eigentlichen Gegenstände der Medien das Verbrechen und die Korruption. Was die Realität zu etwas Unveränderlichem (und d.h. zum Gegenstand der Information) macht, ist in der Natur der Raum, in der Ökonomie das Geld (als abstrakter Repräsentant des Eigentums anderer), in der Politik die Gewaltstruktur des Staates, in der Religion die Bekenntnislogik.
    Gibt es Geld, das niemandes Eigentum ist, das niemandem gehört? Wer ist der Eigentümer des Geldes, das die Bundesbank druckt, lagert und verwaltet, bevor sie es herausgibt? Gewinnt das Geld seine Funktion, Eigentum zu repräsentieren, erst im Umlauf, im Gebrauch?
    Ignaz Bubis hat in diesen Tagen den Versuch, die Verbrechen der Nazizeit zu erklären, mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß das Erklären der Verbrechen dahin tendiert, sie auch zu rechtfertigen. Aber wird mit dem Erklären, das auch den Versuch zu begreifen berührt, nicht auch das Lernen ausgeschlossen? Und hat nicht, wer Kritik der Vergangenheit mit ihrer Verurteilung verwechselt, Angst davor, daß sich wirklich etwas ändert? Der Versuch, die Greuel zu begreifen, kann vor der Normalität heute nicht halt machen (aber kein Zweifel: es gibt auch ein Erklären, das der Absicht folgt, diese Normalität nicht in Frage zu stellen, den kritischen Impuls stillzustellen).
    Die Mechanik, deren Aufgabe es war, das Referenzsystem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu begründen und zu entfalten, mußte insbesondere von zwei materiellen Eigenschaften abstrahieren: von der Schwere und vom Licht. Erst Newton ist es gelungen, mit dem Gravitationsgesetz und in seiner Optik das Verdrängte ins neue System zu integrieren.
    Die kopernikanische Wende ist das Gegenstück zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals.
    Sind die Schwerkraft und das Licht invers aufeinander bezogen, und kann man sagen, daß die Philosophie einmal unterm Zeichen des Lichts, die Prophetie unter dem der Schwerkraft (dem sie ihre Einsichten abgewonnen hat) angetreten ist?
    Welche Bedeutung hat es, wenn die Gravitationstheorie ihrem ursprünglichen Konzept zufolge eine Fernwirkungstheorie ist, die Elektrodynamik hingegen (wie die Mechanik) auf räumlich unmittelbar verknüpfte Ereignisse und Prozesse sich bezieht.
    Haben die Christen nicht schon viel zu lange das von ihnen so genannte Alte Testament als eine Selbstdenunziation der Juden verstanden? Da waren die Autoren der Kirchengeschichte von Eusebius his heute schlauer.
    Erinnerungsarbeit bereitet die Auferstehung der Toten vor (praeparatio resurrectionis mortuorum: Abbau der Sperren, die der Auferstehung im Wege stehen).
    Im Protokoll des Pfarrgemeinderats vom 12.9.95 wird gegen das Kirchen-Volksbegehre eingewandt, daß der wichtigste Punkt, die Ausbreitung des Glaubens, nicht angesprochen werde. Wäre nicht der wichtigste Punkt die Ausbreitung der Erlösung, die dann allerdings die Rückübersetzung der kirchlichen Drohbotschaft in die urspüngliche Frohbotschaft voraussetzen müßte: die Ausbreitung des Evangeliums, nicht des Glaubens?
    Aus dem gleichen Protokoll: „… damit sich dieser (sc. der neue Pfarrgemeinderat) diesem Thema annimmt.“ Nach Wahrig muß hier eindeutig der Genitiv stehen („damit sich dieser dieses Themas annimt“). Der Dativ ist ein Produkt der Medienlogik, in der auch eine Handlungsanweisung nicht mehr als Handlungsanweisung, sondern nur als Information darüber erscheinen darf. Die Bedeutung verschiebt sich vom „Sich-einer-Sache-Annehmen“ (mit dem Genitiv), das die Bearbeitung der Sache, ein Handeln, mit einschließt, auf das „Sich-einer-Sache-Widmen“ (mit dem Dativ), das die Sache als vorgegeben und unveränderlich hinnimmt, darüber kritiklos („wertfrei“) berichtet, informiert. Nur der Journalist ist so selbstlos: er widmet sich der Sache, der er sich annimmt (sofern er die ungeheuerliche grammatische Logik, die in dieser Wendung steckt, überhaupt noch begreift; sie paßt nicht mehr in einen Weltbegriff, der aufgrund der Logik der Medien Information und Wissen strikt von Meinung und Handeln zu trennen gezwungen ist). Ich glaube, von Hajo Friedrich stammt der Satz, daß ein Journalist sich nicht mit einer Sache gemein machen dürfe, auch nicht mit einer guten Sache. Wenn der Hogefeld-Prozeß keine Öffentlichkeit mehr hat, so hängt das hiermit zusammen: Dieser Sache müßte man sich annehmen, man dürfte sich ihr nicht mehr nur widmen. Mit dieser Sache müßte man sich gemein machen.
    Auch ein Beitrag zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (dessen Folgen in der gleichnamigen Arbeit von Habermas sich ablesen ließen, in der dann die Weichen für seine spätere Kommunikationstheorie, die die kritische Theorie kastriert hat, bereits gestellt worden sind): Schließt die eigene Logik der Medien politische Kritik nicht schon im Ansatz aus, enthält die Verpflichtung auf „wertfreie Information“ nicht eine Handlungsanweisung, die der Gemeinheit den Weg freimacht? Dem Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, hat, bevor er zu einem juristischen Satz geworden ist, schon ein logischer Sachverhalt zugrunde gelegen, der zu den Grundlagen des Weltbegriffs gehört. Es ist nicht nur eine Gesinnungsfrage, wenn die Medien wie die Justiz in der Regel auf dem linken Auge blind sind. Die Wahrheit hat einen Kern, der einsehbar, aber nicht beweisbar ist (darin liegt der logische Vorteil der Gemeinheit, die diesen einsehbaren Kern der Wahrheit leugnen kann, ohne fürchten zu müssen, widerlegt zu werden: Gemeinheit ersetzt Einsicht durchs Vorurteil).

  • 25.10.95

    Die Verluste, die den spekulativen Gewinnen gegenüberstehen, werden nicht von denen getragen, die sie eigentlich verantworten müßten. Die wirklichen Verlierer sind die, die in der Folge solcher Spekulationen den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchten müssen, ihn im Ernstfall verlieren (Metallgesellschaft, AEG, Volkswagen).
    Der Vorstellung des leeren Raumes korrespondieren in der Ökonomie die Schulden, im Ernstfall die Besitzlosigkeit, die Armut. Der Begriff des horror vacui gründet in dieser Beziehung. Wenn Kant den ontologischen Gottesbeweises durch den Hinweis widerlegt, daß 100 gedachte Gulden den Beutel nicht füllen, so trifft das genau diesen Sachverhalt. Der Begriff des Nichts in der Lehre von der creatio mundi ex nihilo gewinnt Bedeutung nur, wenn er auf diesen Zusammenhang der Vorstellung des leeren Raumes (die bei Kant als subjektive Form der Anschauung sich erweist) mit dem Begriff der Armut sich bezieht (vgl. die „Geldschöpfung“ der Banken). Der Satz aus Hegels Rechtsphilosophie, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug sei, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, drückt diesen Zusammenhang aufs genaueste aus. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beziehung der kopernikanisch-newtonschen Wende in der Astronomie, zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und zum politischen Absolutismus als Ausdruck einer gemeinsamen Logik.
    Das Vakuum, die Vorstellung des leeren Raumes (die subjektive Form der äußeren Anschauung), und deren gesellschaftliches Korrelat, die Schulden und die Armut, sind das genaue Korrelat des Kelch-Symbols.
    Zur gesellschaftlichen Funktion des Raumes, der subjektiven Form der äußeren Anschauung, gehört es, alle Dinge eigentums- und tauschfähig zu machen. Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Statthalter des Staates im Subjekt.
    Verhält sich nicht die schwere zur trägen Masse wie das Geld zur Ware? Und in welcher Beziehung stehen das Ätherproblem und seine Konkretisierung: der Korpuskel-Welle-Dualismus und dessen statistische Interpretation, zum Problem der Tätigkeit der Banken und des Buchgelds?
    Wenn Dirk Baecker die Risiken zum eigentlichen Objekt des „Handels“ der Banken, zur Ware, mit der die Banken handeln, macht, so verweist das genau auf das Schuldenverschubsystem, die Fähigkeit, diese Risiken so zu handeln, daß sie die Banken selbst nicht treffen, nicht an ihnen hängen bleiben. Die Tätigkeit der Banken gehört zum Apparat der Umverteilung des „Reichtums“ und der Erzeugung der Armut.
    Ist nicht die der katholische Heiligen-Mythos ein Produkt der Verdinglichung und Personalisierung des Gebots der Heiligung des Gottesnamens?
    Der Weltbegriff, der alles, was er begreift, eigentumsfähig macht („säkularisiert“), gehört zum Staat, weil der Staat als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern sich konstituiert. Dagegen ist das Heilige das Nicht-Eigentumsfähige: Ziehe deine Schuhe aus, denn hier ist heiliger Boden.
    Hat die Erbsünde nicht etwas mit der Sünde der Welt zu tun: Was mit der Erbsünde sich vererbt, ist die instrumentalisierende Gewalt und sind die darin gründenden logischen Verstrickungen des Weltbegriffs (unter dessen Bann das Tier steht).
    Die Gemeinschaft der Heiligen ist eine Gemeinschaft, deren Mitglieder aus den realen und logischen Verstrickungen des Eigentums sich gelöst haben. Deshalb gehört das Armutsgebot zu den evangelischen Räten.

  • 20.10.95

    Nach Ton Veerkamp haben die hellenistischen Städtegründer das in den Tempeln gehortete Geld geplündert und in die Zirkulation geworfen (Autonomie und Egalität, S. 245). So wurde das Gold zum „unbewegten Beweger“, zu einem Gott, der alles beherrscht und den nichts gereut (gegen diesen „Hellenismus“ richtete sich die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel). Ist dieser unbewegte Beweger durch Kopernikus/Newton nicht säkularisiert worden; hat nicht die Gravitationstheorie der aristotelischen Metaphysik, indem sie sie zur Physik machte, den Garaus gemacht? Vorbereitet war diese Geschichte in der der politischen Ideologie, in der der Herrscher, der Monarch, sich immer schon im Bild der Sonne gesehen hat, des Zentralgestirns, das nicht nur den Tag, sondern auch die Bewegungen der Planeten sowie die die Nacht und den Tag begleitenden Mondphasen beherrscht. Hat die Einführung der Goldwährung (wann erfolgte sie, war’s Babylon, waren’s die Perser oder die Griechen?), die die Silberwährung abgelöst hat, damit etwas zu tun?
    Die Materialisierung der Sonne durchs Gravitationsgesetz ist das naturphilosophische Pendant zur Geschichte der Privatisierung der Herrschaft (zum Barock).
    Die Verdrängung der Vergangenheit (die der Weltbegriff automatisch leistet) hat den einfachen ökonomischen Grund: An die Opfer, die in die Fundamente der Welt, in der wir leben, mit eingemauert sind, soll nicht mehr erinnert werden. Religion ist das Ensemble der Vorkehrungen, mit denen diese Erinnerung neutralisiert wird (sie zu löschen ist nicht möglich). Die kirchlichen Vorstellungen von Hölle und Fegfeuer haben diese neutralisierte Erinnerung ins Symbolische verschoben. Aber werden die Opfer nicht real erinnert im Namen des Feuers, der ein Teil des Namens des Himmels ist? Dieses Feuer wurde zu Hölle und Fegfeuer mythologisiert in dem Augenblick, in dem der Name des Himmels von der Idee (vom Namen) des Ewigen getrennt, ins Überzeitliche verschoben wurde. Seitdem ist in den Himmeln kein Gott mehr. Der katholische Mythos von Himmel, Hölle und Fegfeuer ist die unmittelbare Folge der Historisierung des Himmels, die ihn zeitlich mit der irdischen Geschichte parallelisiert, beide unter ein gemeinsames Zeitkontinuum subsumiert. Ist die katholische Lehre von den Heiligen im Himmel über uns nicht eine Ersatzbildung für die versäumte Heiligung des Gottesnamens, die stellvertretend den Heiligen im Himmel übertragen wird (ähnlich wie die Ohrenbeichte die Versöhnung mit den Opfern stellvertretend den zölibatären Priestern überträgt)?
    Führt die kantische Philosophie nicht den Beweis, daß wir in den Fundamenten der Welt mit enthalten sind, und lassen die Naturwissenschaften nicht als das verzweifelte Bemühen sich begreifen, das Bewußtsein davon nicht aufkommen zu lassen?
    Die Naturwissenschaften leugnen die Erbsünde und die Auferstehung. Sie haben nicht nur teil an der Erbsünde, sondern sind das Instrument ihrer Totalisierung. Sie gehören zur sadduzäischen Tradition.
    Ist Elohim der Gott, der sieht, der NAME hingegen der Name des Gottes, der hört (der Name des Gottes der Propheten)? Im Schöpfungsbericht ist das Gute etwas, das gesehen wird: Gott sah, daß es gut war; diesen Sehen wird am Ende verstärkt durch den Imperativ „siehe“: Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Was an den ersten Tagen für Gott gut war, wird am Ende für alle sehr gut. Aber nachdem sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen hatten, gingen den Menschen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Die Augen gingen ihnen auf, als sie lernten, sich in den Augen der anderen zu sehen. In der Scham sehe ich mich mit den Augen der andern, die nicht ins Herz sehen (nur Gott sieht ins Herz der Menschen).
    Positivismus: Die Strafe für die verweigerte Reflexion ist das Mit-dem-Kopf-gegen-die-Wand-Rennen, das die progressiven Teile der Physik heute kennzeichnet.
    Was hat die Asymmetrie in meiner Beziehung zu den Andern mit der Asymmetrie im Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft zu tun? Universalität, Allgemeinheit gründet im Vorrang des Andern ebenso wie in dem der Vergangenheit.
    Ökonomie und Physik haben den Himmel ehern und die Erde zu Erz gemacht.
    Naturschutz: Die Verwaltung hat die Natur in Schutzhaft genommen.
    Der Naturschutz vollstreckt die Rache des Staates an einem Begriff, der seinen logischen Grund verloren hat: an dem des Naturschönen. Diese Rache trifft mit dem Naturschönen auch die Kunst.
    Der faschistische Modernisierungsschub gründet in einer vertrackten Logik, die sich daran erkennen läßt, daß Kunst und Kitsch nicht mehr sich unterscheiden lassen. Wenn es schien, als sei von der Kunst gleichsam nur noch die Aggression gegen den Kitsch übriggeblieben, so war diese Aggression von Anbeginn umkehrbar, eigentlich der Anfang der Selbstzerstörung der Kunst. Heute will niemand mehr an die Folgen seines Tuns erinnert werden.
    Die Benennung der Tiere durch Adam hat nicht nur die Tiere, sondern auch die Dinge zum Verstummen gebracht. Das Zeichen für dieses Verstummen ist der Tierkreis. Deshalb enthält der Tierkreis auch so merkwürdige Dinge wie die Zwillinge, die Jungfrau und die Waage.
    Hat dieses Verstummen etwas mit dem des Helden, des Heros (Rosenzweig/Benjamin) zu tun, der auch verstummt, bevor oder wenn er an den Himmel versetzt wird (oder der an den Himmel versetzt wird, weil er ins Erhabene verstummt?). Verstummen macht ihn die Gewalt des Schicksals.
    Ist es nicht ein Unterschied, ob man einen Rat vor einer Handlung (in der Phase der Überlegung) oder danach (nach der Tat) erteilt? Der Rat post festum, der eigentlich ein Urteil ist, ist eine Falle, aus der der, der dann schon gehandelt hat, nicht mehr herauskommt. Sind nicht alle Urteile Ratschläge post festum, die Falle, aus der es für das Objekt keinen Ausweg mehr gibt, in dem es allerdings auch erst zum Objekt wird? Der Objektbegriff bezeichnet genau diese Ausweglosigkeit. Wie hängt diese Objekt-Falle mit der Beziehung des Objektbegriffs zur Herrschaftsgeschichte zusammen?

  • 16.7.1995

    Dieser mit Verbotsschildern durchsetzte Wald paßt zu den Joggern, die in ihm den verbissenen Kampf gegen die eigene Wahrnehmungsfähigkeit führen. Wenn der Wald von den „zuständigen“ Naturschutzbehörden in Schutzhaft genommen wird, werden nur noch Besucher zugelassen, die sich selbst freiwillig die Bedingungen der Isolationshaft (im Wald nichts hören, nichts sehen) auferlegen.
    Woher kommt der Name Gutachten, und welche Funktion haben Gutachten in der verwalteten Welt?
    Kritik der Bekenntnislogik: Die Theologie aus dem Bann der Urteilsform, des Indikativs, der Vergegenständlichung und des Begriffs: aus dem Kontext ihrer nationalistischen Verfügbarkeit befreien. Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie.
    Die Entdeckung der Winkelgeometrie und der Orthogonalität, des Gesetzes der Beziehungen der Dimensionen Raum, gehört zu den Voraussetzungen des Ursprungs der Philosophie, des philosophischen Beweisverfahrens und des philosophischen Begriffs der Objektivität und des Wissens. Über die Theologie, als Orthodoxie, ist sie dann in den kosmos noetikos eingedrungen, über die Theologie ist sie dann verinnerlicht worden. Die Orthogonalität, Prinzip der Erstarrung der Form des Raumes, ist das Modell des logischen Zangs, Grund eines Beweisverfahrens, das durch Verinnerlichung der Beziehung zu den anderen (der Herrschaftsbeziehung) des Zeugen zur Ermittlung der Wahrheit und der Erlangung des Wissens nicht mehr bedarf.
    Das Problem des Zeugen (und der Orthogonalität) kehrt in der Theologie im Begriff des Opfers und im Namen des Märtyrers wieder (im theologischen Beweisverfahren nimmt der Märtyrer die Stelle des Zeugen im juristischen Beweisverfahren ein). Hier liegt der Grund der kirchlichen Opfertheologie, über die (wie im juristischen Verfahren über das Urteil und seine Beziehung zur Strafe) die Gemeinheit in den theologischen Wahrheitsbegriff eindringt. Das Bekenntnis und die Bekenntnislogik gründet in der Verinnerlichung des Opfers (der Altar wurde über den Reliquien der Märtyrer errichtet, vgl. Off 69).
    Der Begriff der Materie bezeichnet die Narbe an der Stelle der Wunde, die mit der Vergegenständlichung des Opfers geschlagen worden ist.
    Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie, das Instrument ihrer Verdinglichung, das Instrument ihrer Übersetzung in den Indikativ (Grund des Dogmas).
    Graffiti: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden: Das Menetekel an der Wand ist das Symbol der Logik der Schrift, des Abstraktionsprozesses, der in den Naturwissenschaften sich vollendet: In der Abstraktion von der Schwere. Wie das Tauschprinzip von der Schuldknechtschaft abstrahiert, so das Trägheitsprinzip von der Schwere. Beide Abstraktionen gründen in der Verwechslung von Joch und Last (das theologische Äquivalent dieser Abstraktion ist die Opfertheologie, die opfetheologische Vergegenständlichung des Kreuzestodes). In den Naturwissenschaften wurde dieser Abstraktionsprozeß von Newton, mit der Formulierung des Gravitationsgesetzes und der dynamischen Begründung des kopernikanischen Systems, vollendet. Erst Einstein, und darin liegt die entscheidende Einsicht der Allgemeinen Relativitätstheorie, hat in der Trägheit das Moment der Schwere wiedererkannt. Die Anwendung des Doppler-Prinzips auf die Rotverschiebung in den Spektren der Sterne und deren Abhängigkeit von der Entfernung und die kosmologischen Folgetheorien (vom Urknall bis zu den Schwarzen Löchern) dienen allesamt der Legitimierung der Trennung von Trägheit und Schwere, der Stabilisierung des Inertialsystems.
    Die Gotteserkenntnis unterscheidet sich vom Bekenntnis wie der Imperativ vom Indikativ, oder wie das Im Angesicht vom Hinter dem Rücken, der Name vom Begriff (die Schwere von der Trägheit?).

  • 9.5.1995

    Steckt nicht in dem Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“ (Neupublikation 1969, S. 19), die ganze Kritik des Inertialsystems und der Raumvorstellung? Die Distanz zum Objekt und die Beziehung des Herrn zum Beherrschten gründen in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Ist nicht, was bei Kant Erinnerung heißt, eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Planung?
    Sind die Planeten Instrumente zur Austarierung des Zeitkontinuums (und damit auch des Inertialsystems: des dreidimensionalen Raumes)?
    Das Menetekel: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden, ist ein frühes Symbol des Inertialsystems (und jeder Ästhetik): der Abstraktion von der Schwerkraft.
    Was haben Rind und Esel mit der Gravitation zu tun? Gibt es nicht auch eine astronomische Anwendung des Satzes vom Rind und Esel (auch ihrer Beziehung zum Opfer, zur Auslösung der Erstgeburt)? Sind nicht Sünde und Schuld die moralischen Äquivalente der Gravitation (und Objekt und Begriff Reflexe der Abstraktion von der Gravitation)?
    Ist die Technik der Esel und die Ökonomie das Rind? Und ist nicht die Beziehung von Technik und Ökonomie (von äußerer und innergesellschaftlicher Naturbeherrschung) ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Beziehung von Astronomie und Banken? Verweist nicht die Unterscheidung der Zentralbanken von den Geschäftsbanken und innerhalb der Geschäftsbanken die Unterscheidung von Depositen- und Kreditbanken auf den Grund der Dreidimensionalität des Raumes?
    Was bedeutet eigentlich der Spruch „quod licet Jovi non licet bovi“?
    War nicht die Astrologie so etwas wie das frühe Modell einer Regierung: mit Jupiter (Baal?) als Regierungschef, Mars (Nebu?) als Verteidigungsminister, Venus (Ischtar?) als Familienminister und Merkur als Handels- und Wirtschaftsminister; Saturn wäre dann der Finanzminister? Von den klassischen Ressorts fehlen (aus rekonstruierbaren Gründen) insbesondere der Außen- und der Justizminister.
    Und ist nicht die Musik das Echo des Seufzens der Kreatur, das am Ende seinen Wiederhall in den Posaunen des Gerichts und den sieben Donnern finden wird? (Haben die sieben Donner etwas mit dem Brüllen JHWHs zu tun, oder auch damit, daß der Himmel am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollen wird, und hängt es damit zusammen, daß ihre Botschaft nicht niedergeschrieben werden durfte?)
    Der übermächtige Rachetrieb im Nachkriegsdeutschland, der die Politik, das Recht, aber auch die privaten Verhältnisse durchsetzt, gründet in den Racheängsten nach Auschwitz. Die Kollektivscham hat die Kollektivschuld nicht aufgelöst, sondern stabilisiert und zugleich verdrängt. Durch Transformation in die Kollektivscham ist die Kollektivschuld unauflösbar geworden.
    Läßt sich nicht an dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ die Beziehung von Selbstreflektion und Vergegenständlichung sich demonstrieren. Was bei Aristoteles aus diesem Satz geworden ist, ist bereits ein Produkt der Veranderung der Thalesschen Intention.
    Den Positivismus aus dem Gesetz der doppelten Negation ableiten.
    Im Begriff des Notwendigen bezeichnet die Not eher das Subjekt als das Objekt des Wendens.
    Drückt nicht das Moment der Abwehr in der Habermasschen Philosophie aufs deutlichste in der Irrationalisierung der Mimesis (im Nachwort zur Neupublikation der Dialektik der Aufklärung) sich aus (hier prallt der Habermassche Gedanke von der Härte des unreflektierbar gewordenen Raumes ab)?
    Newtons Theorie des absoluten Raumes war darin begründet, daß die Drehung des Raumes um eine seiner Achsen zwar die Form des Raumes, nicht aber die Bewegungen in ihm, unberührt läßt. Das Relativitätsprinzip gilt nur für Translationsbewegungen (für geradlinig gleichförmige Bewegungen), nicht für Rotationen. Ein ruhender Körper in einem um eine seiner Achse rotierenden Raum läßt sich von der Kreisbewegung eines Objekts in einem ruhenden Raum durch das Auftreten von Zentrifugalkräften (in denen die Inertialkräfte sich manifestieren) unterscheiden. Reale kreisförmige Bewegung (wie die Planetenbewegungen im kopernikanischen System) sind in einem Inertialsystem nur möglich, wenn die Zentrifugalkräfte durch Gegenkräfte aufgehoben werden, die nicht auf Inertialkräfte sich zurückführen lassen (wie z.B. die Gravitationskräfte). Noch verwickelter werden die Probleme im Falle der Anwendung des Inertialsystems auf das Licht: Die Erscheinung der Fortpflanzung des Lichts im Raume zieht zwangsläufig (und keineswegs nur empirisch) den ganzen Formalismus der Elektrodynamik und der Mikrophysik (einschließlich des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Paradoxien der Mikrophysik) nach sich: Das Inertialsystem verwandelt die Welt in die Totalität dessen, was der Fall ist.

  • 27.4.1995

    Der Raum definiert sich durch seine Beziehung zur Sprache: Als subjektive Form der äußeren Anschauung trennt er die Sprache von der „Wirklichkeit“ (trennt er das Ding von seinen Eigenschaften, den Begriff vom Objekt), begründet er die Urteilsform. Die Form des Raumes geht als ein konstitutives Moment in den Begriff (in die für den Begriff konstitutive Beziehung zum Objekt) mit ein, begründet er sowohl die Distanz zu den Dingen als auch (in dieser Distanz) die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern (deren Modell die Beziehung des Herrn zum Beherrschten ist). Der Raum macht die Welt zur Wolfswelt, zu der es heißt: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“.
    Durch die Vorstellung des unendlichen Raumes (das naturwissenschaftliche Äquivalent des „freien Marktes“) ist die Welt endgültig dem Kommerz und der Ausbeutung preisgegeben worden; die Vorstellung des unendlichen Raumes hat insbesondere die in seiner Logik installierten Herrschaftsstrukturen unkenntlich gemacht. So hat die kopernikanische Wende der Entdeckung der Welt in einer Weise den Weg freigemacht, in der die Barbarei der kolonialistischen Unterwerfung der Welt, des Raubs der eroberten Reichtümer und der Versklavung und Ausbeutung der unterworfenen Völker schon angelegt und vorgezeichnet war. Kopernikus und Newton waren beide auch Geldtheoretiker; es wäre eine zweifellos interessante (die wechselseitige Erhellung beider Bereiche fördernde) Aufgabe, die Logik ihrer naturwissenschaftlichen Konzepte mit der ihrer Geldtheorien zu vergleichen.

  • 24.4.1995

    Materie und Masse unterscheiden sich wie Sache und Ding (wie Handwerk und Industrie). Die Trennung des Dings von der Sache (die ihre Wurzeln in der Opfertheologie hat) gehört zu den Ursprungsbedingungen der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung und wird durch sie stabilisiert. Der sprachgeschichtliche Zusammenhang wird sinnfällig an der Beziehung des Massenbegriffs zum Inertialsystem, durch den er vermittelt ist.
    Ist nicht der deutsche Schöpfungsbegriff (vgl. schaffen, Schaff, Schiff), der an die Beziehung von Kelle und Topf erinnert (und damit an das Kelchsymbol, das hier auch den Begriff der „Schöpfung“ ergreift und verhext), eine Konsequenz aus dieser Konstellation, deren theologische Wurzeln ebenso im Konzept der creatio mundi ex nihilo wie im scholastischen Begriff der Eucharistie, der Transsubstantiation, liegen: Raum und Zeit werden aus dem Schöpfungsbegriff herausgenommen und ihm vorgeordnet (so im Konzept des „Urknalls“); geschaffen ist nur die von ihren sinnlichen Eigenschaften getrennte, und deshalb durch göttlichen Eingriff veränderbare Substanz, die Masse? Aber war nicht umgekehrt die Idee der Transsubstantion die letzte, verdinglichte und entfremdete, Erinnerung an das Gebot der Heiligung des Gottesnamens und seine Beziehung zum Logos und zur Nachfolge (homologein, „Bekenntnis des Namens“)?
    Beton: Die „nichteuklidischen Geometrien“ machen die euklidischen selber zur Materie: zu einem Steinbruch, aus dem sie das Material für die Neukonstruktion entnehmen. Damit wird aber der Begriff und der Charakter des Referenzsystems verändert: instrumentalisiert.
    Die dem Inertialsystem immanente Raumvorstellung ist säkularisierte, neutralisierte Theologie. In der jüdischen Tradition hat sich das in der Vorstellung ausgedrückt, daß die sechs Richtungen des Raums (oben und unten, vorn und hinten, rechts und links) auf sechs Gottesnamen versiegelt sind, während die christliche Tradition den Anspruch enthielt, daß diese Siegel (deren Zahl dann auf sieben erhöht wurde) sich lösen lassen. – Hat das siebte Siegel etwas mit dem Satz, daß der Menschensohn auch Herr des Sabbats ist, zu tun (und ist deshalb der achte Tag zum dies dominica geworden)?
    Der Inertialsraum ist mathematisch invariant gegen Translationen und gegen Drehungen; dynamisch ist er jedoch nur gegen Translationen invariant, während bei Drehungen die Inertialkräfte als Zentrifugalkräfte sich manifestieren. Erst durchs Prinzip der Lichtgeschwindigkeit sind beide Invarianzen in einem Punkt miteinander verknüpft worden: Mit der Lorentz-Transformation (mit der Längenkontraktion, der Zeitdilatation und dem Anwachsen der Trägheit) hat das Relativitätsprinzip ein Moment der Drehung des Inertialsystems in sich selbst in sich aufgenommen. Die Differenz zwischen den beiden Invarianzen (der Translation und der Drehung) war der Grund für Newtons Konzept des absoluten Raumes.
    Memoria passionis: Gehört dazu (zur Frage des eigenen Leidens und zum Problem des Selbstmitleids) nicht auch das Satz, daß Gott niemand über seine Kraft versucht? Dieser Satz läßt sich jedoch nicht auf das Leiden anderer anwenden.
    Der moderne Materiebegriff ist eingeschlossen in das Projekt „Verinnerlichung der Scham“. In diesem Kontext gründet der Begriff der inertia.
    Die augustinische Gnadenlehre und ihre paulinischen Wurzeln, der Ursprung des modernen Massenbegriffs oder die Demoralisierung durch Theologie.
    Theologie deutsch:
    Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
    der wollte keine Knechte.
    Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
    dem Mann in seine Rechte.
    Drum gab er ihm den kühnen Mut,
    den Zorn der freien Rede,
    daß er bestände bis aufs Blut,
    bis in den Tod die Fehde.
    Am Kruzifix im Schlafzimmer läßt sich die Verschiebung verdeutlichen, die dem Ursprung der kirchlichen Sexualmoral (ihrer Trennung von der Herrschaftskritik im Kontext der theologischen Rezeption des Weltbegriffs) zugrunde liegt. Das Kruzifix im Schlafzimmer ist ein Instrument der Verdrängung der memoria passionis durch Instrumentalisierung der ins Bild gebannten Erinnerung. Die Besiegelung dieser Verdrängung ist die sexualmoralische Verdammung der Lust (Reflex des Massenbegriffs in einem Akt, den die kirchliche Lehre seit den Kirchenvätern der Erbschuld zugeordnet hat): Seitdem ist jede Lust „materialistisch“.
    Die Sprache, die dem Objektivationsprozeß, dem Prozeß der Verdinglichung, sich angleicht, hat zugleich die Kompetenz gewonnen, ihn ausdrücken: seitdem ist er analysierbar.
    Läßt nicht das Verhältnis der deutschen zur griechischen Sprache, die beide darin übereinstimmen, daß sie den bestimmten Artikel in das System der Deklinationen mit hereinnehmen (Logik der Substantivierung), an dem projektiven Bild der Barbaren und der Wilden sich demonstrieren? Gegenüber der griechischen hat der Projektionsbedarf der deutschen Sprache sich verstärkt. Nur ist dieser Projektionsbedarf als Teil der inneren Logik der Sprache zugleich ein Teil der Logik der Welt, die darin sich ausdrückt. Ist nicht die Deklination des bestimmten Artikels ein Ausdruck und ein Instrument der Neutralisierung, der Verdinglichung, der Substativierung? Liegt nicht das Verhängnis der deutschen Sprache darin, daß sie als Sprache nicht mehr aus ihrer eigenen Logik durchsichtig zu machen ist, sondern nur durch Reflexion ihrer griechischen und lateinischen Vorgeschichte? Nur durch ihren Fremdwörterbestand ist die deutsche Sprache noch der Humanität verbunden.
    Die Hellenen sprachen griechisch; erst die Deutschen (die auch deutsch reden) haben sie zu Griechen gemacht, nachdem die Römer (die lateinisch sprachen) die griechischen Sklaven, die ihre Kinder unterrichteten, graeculi nannten.
    Begriff und Gegenstand: Im Bann des Objekts wird das Subjekt selber zum Objekt (zum Knecht eines Herrn). Nur in der Reflexion dieser Konstellation ist der Bann des Objekts zu brechen.
    Das Ensemble der Mechanik, die Billardkugeln, an denen die Gesetze und Begriffe der Stoßprozesse demonstriert werden, liegt vor aller Augen: wie die Handlung des modernen Dramas auf der Guckkastenbühne (dem Modell des Inertialsystems). Die Objektwelt, auf die das kopernikanische System und das Gravitationsgesetz sich beziehen, präsentiert sich in einer vergleichbaren Unmittelbarkeit, sofern die Position, aus der sie so erscheint, erst einmal erreicht ist: Sie ist insgesamt durch diesen Prozeß, in dem diese Unmittelbarkeit sich konstituiert, vermittelt. In dieser Unmittelbarkeit wird die der unvermittelten Erfahrung, in der es Tag und Nacht, den Wechsel der Jahreszeiten, die sinnliche Präsenz sinnlicher Objekte gibt, sowohl „erklärt“ als auch zugleich zu bloßem Schein herabgesetzt. Das sinnlose Kreisen der Planeten, zu denen jetzt auch die Erde zählt, um das Zentralgestirn, die Sonne, ist selber sinnlich nicht wahrnehmbar, sondern spielt sich für uns in unserer Vorstellung ab, es ist eine vorgestellte Welt der Erscheinungen, die zwar allen gemeinsam ist, in der aber jeder nur für sich ist: in der alle einsam sind. Das kopernikanische System ist das Produkt einer ästhetischen Rekonstruktion, in der die Welt zum gemeinsamen Objekt einer stummen Gemeinschaft wird, in der alle durch das gemeinsame Anschauen der für alle gleichen Welt (und d.h. durch den Grund ihrer Trennung) verbunden sind. Diese Gemeinschaft gründet darin, daß die Welt eigentlich nur eine Welt für andere ist, und eine Welt für mich nur insoweit, als ich selbst ein anderer für andere bin. Und diese Welt ist meine Welt nur insoweit, als ich Teil einer Gemeinschaft bin, die in dieser Welt als deren Subjekt (als Weltanschauungsgemeinschaft) sich erkennt. Das aber heißt: In dieser Welt erkennt sich die Menschheit als Gattung, nicht als Menschheit.

  • 17.4.1995

    Die mathematische Rationalität ist eine der Ebene (die ihr Gegenteil als Spiegelung in sich enthält). Das Problem kommt herein mit der Tiefe, die die Mathematik als Physik realisiert: mit dem Plastischen, mit dem Widerstand, mit der Schwere. Hierbei verweist die Schwere auf die Gravitation, der Widerstand auf die Mechanik und das Plastische auf das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die dritte Dimension ist als deren Norm das Innere der Fläche. Und verhalten sich nicht Norm und Fläche wie die Gravitation zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit?
    Ethik: Ist das nicht heute der Versuch, Perspektiven und Rechtfertigungen für institutionelles Handeln zu gewinnen (allgemeingültige Normen)? Ethik richtet sich an Institutionen; das gilt auch für die „personalistische Ethik“ (für die Wertethik, die sich an die Repräsentanz der Institutionen in Subjekt richtet, an die „Person“). – Merkwürdig, daß ich Adornos Satz zur Sexualethik als einen Satz zur Sexualmoral in Erinnerung habe: Verhält sich die Ethik zur Moral wie die Ästhetik zur Kunstphilosophie? Schließen nicht Moral und Kunstphilosophie die Vergegenständlichung dessen mit ein, was Adorno in der Reflexion halten möchte? Aber sind nicht Vergegenständlichung und Reflexion siamesische Zwillinge, die sich nicht von einander trennen lassen, ohne daß beide sterben?
    An welchen Stellen kommt der Kaiser im NT vor? (Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, Mt, Mk, Lk. – Wir haben keinen König als den Kaiser, Joh. – Vgl. die Kindheitsgeschichte bei Lk und Paulus in der Apg.)
    Ist die Sünde wider den Heiligen Geist nicht aus ihren Folgen zu erschließen: Sie wird weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben. Nicht vergeben aber wird dem, der selber nicht vergibt, der zur Verteidigung des Andern nicht bereit oder fähig ist, weil er mit dem Ankläger sich identifiziert. Das aber ist das Prinzip der Welt, der Grund ihrer Verführungsgewalt.
    Müßte nicht insbesondere die Kirche endlich begreifen, was der Satz bedeutet: Mein ist die Rache, spricht der Herr? Dieser Satz schließt jede kirchliche Komplizenschaft mit der Rechtsordnung, der gesellschaftlichen Organisation des Rachetriebs, aus. Hiernach dürfte sich die Kirche durchs Gewaltmonopol des Staates nicht mehr dumm machen lassen. Die Idee des Staates gründet im Prinzip der Vergesellschaftung der Rache, und das Gewaltmonopol des Staates („Alle Gewalt geht vom Volke aus“) hat seine Wurzeln im unaufgelösten Rachetrieb der Menschen. Ist nicht der Staat selber der Terrorist, den er projektiv mit dem 129a verfolgt? Müßte nicht endlich der Faschismus zum Gegenstand einer Selbstaufklärung der staatlich organisierten Gesellschaft werden (zum Gegenstand einer Selbstaufklärung, die die Sensibilisierung für Gewalt zum Ziele hat)?
    Rotes Tuch: Ein Staat, der geliebt werden will, ist wie ein Stofftier, das die Liebe instrumentalisiert und ausbeutungsfähig macht (war nicht die goldene Statue des Nebukadnezar das erste Stofftier?). Der Staat, der geliebt werden will, ist eine Projektion derer, die den Staat (den „Schöpfer der Welt“) als Ich-Stütze brauchen: Ihnen werden alle, die dieser Stütze nicht bedürfen, zu Objekten der Wut. Ist das nicht ein Hinweis auf Bölls Sakrament des Büffels (und auf das Verständnis der Tatsache, daß das Symbol des Rindes in der christlichen Symbolwelt nicht mehr vorkommt, weshalb das Symbol des Esels unverständlich geworden ist).
    Der „Götzendienst“ gehört (wie die antiken Kosmologien) zur Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs.
    Beruht nicht die gesamte Physik auf der Übertragung des Tauschprinzips auf die Erscheinungen der Natur (die in diesem Akt zur Natur erst wird)? Das Instrument dieser Übertragung war einmal der Begriff, der dann im Inertialsystem sich entfaltete und vollendete, sich aus seinem eigenen Grunde selbst erzeugte und begriff. Das Inertialsystem hat die Natur in ein System mathematischer Äquivalenzbeziehungen aufgelöst (sie damit in einen mathematischen und einen dynamischen Teil aufgespalten).
    Ulrich Sonnemanns „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“: War das nicht eine Paraphrase zum Thema „Im Angesicht und Hinter dem Rücken“?
    Theologie wird wieder möglich, wenn es gelingt, die Beziehung von oben und unten aus dem Räumlichen ins Sprachliche zurück zu transformieren.
    Im 18. Kapitel des Johannes-Evangeliums steht ein Satz über Petrus, mit dem „angedeutet“ werden soll, „durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde“ (V. 18f), während es über Johannes heißt: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an?“
    Haben sich die Gewichte nicht schon so verschoben, daß es nicht mehr um das Neue unmittelbar, um das zukünftige Neue, sondern nur noch um das Neue im Alten, um das vergangene Neue geht? Nicht, daß die Vergangenheit uns hilft, wir müssen dem Vergangenen helfen.
    Herrschaft, Gewalt und Macht: Auch Frieden und Gerechtigkeit sollen herrschen. Eine ähnliche Bedeutung von Gewalt und Macht scheint es nicht zu geben. Wie es Herrschaft über andere (und mit ihr Knechtschaft) gibt, gibt es auch Gewalt über andere (Sklaverei); Macht hingegen wird an anderen ausgeübt. Herrschaft ohne Beherrschte wäre denkbar, wenn sie die Herrschaft aller ist. Gewalt und Macht hingegen enthalten (wie die transzendentale Logik) eine apriorische Beziehung zum Objekt in sich, von dem sie (wie das Urteil) abhängig sind.
    Der Satz „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“ wäre zu korrigieren: Es kommt darauf an, das Erbe zu reflektieren, daß man nicht davon besessen wird.
    Tiere haben die Scham (den Blick der Andern) verinnerlicht und instrumentalisiert: In der Farbe ihres Fells oder ihres Federkleids, aber auch in ihren wesentlichen (Flucht- und Aggressions-) Merkmalen. Die Scham gehört zum logischen Existenzgrund und zu den Formbestimmungen der Gattung.
    Zu dem Titel „Die Autorität der Leidenden“ (J.B.Metz): Wäre hier nicht zu unterscheiden zwischen dem Leiden der Anderen und dem eigenen Leiden, zwischen Last und Joch (das Leiden der Anderen ist meine Last, die ich auf mich zu nehmen habe, mein Leiden ist ein Joch, das ich anderen auferlege)? In jedem Fall ist die Verführung durchs Selbstmitleid zu reflektieren. Dieser Unterschied rührt an die Differenz zwischen dem steinernen Herzen und dem Herzen aus Fleisch, zwischen Barmherzigkeit und strengem Gericht.
    „Die Autorität der Leidenden“: Gibt der Begriff der Autorität die Intention von J.B.Metz korrekt wider?
    Der Satz aus den Passionsgeschichten „Den Andern konnte er helfen, sich selbst nicht“ liefert den Schlüssel zum Verständnis des Ganzen. Durch diesen Satz werden die Richtenden überführt.
    Sind die Disteln und Dornen nicht das Symbol des Staates (der zum Fluch über Adam nach dem Sündenfall gehört)?
    Sind nicht die sieben unreinen Geister die durch Selbstbezogenheit verunreinigten Geister: das Inertialsystem?
    Das Bekenntnis ist die geheuchelte Nachfolge, seine pharisäische Form (das „getünchte Grab“).
    Dritte Leugnung: Die Selbstverfluchung beginnt dort, wo die Paranoia anfängt, von den Freunden sich verfolgt zu fühlen, um sie dann präventiv zu Feinden zu erklären („Viel Feind, viel Ehr“). Zugleich wird man sich jedoch selbst zum Feind: Prinzip des Faschismus, der darin sein eigenes Gemeinschaftsprinzip, das Band, das alle „zusammenschweißt“, erkennt.
    Das Sakrament des Büffels: Der Büffel ist eine Art des Rindes. Es verweist auf das im Christentum verschwundene Stieropfer. Hat nicht die Kirche den Opferbegriff seit je zweideutig gehalten, so daß beides, das Sakrament des Lammes und das des Büffels darunter verstanden werden konnte? Vgl. Horkheimer: Das Christentum ist die menschenfreundlichste Religion; aber es gibt keine Religion, in deren Namen solche Untaten begangen worden sind.
    Der Letzte, der den Himmel offen sah, aber nicht mehr genau zu beschreiben vermochte, was er dort sah, war Swedenborg.
    War nicht die Auferstehung, das Hervorgehen aus dem Felsengrab, in das ihn Joseph von Arimathäa gelegt hatte, auch ein Bild der Geburt?
    Die Väter der Apostel:
    – Simon (und Andreas?) war der Barjonas, der Sohn des Johannes;
    – Jakobus und Johannes waren die Zebedäussöhne;
    – war Nathanael der Bartholomäus (und wer ist Tholomäus)?
    – der kleine Jakobus war (der Sohn) des Alphäus (und der andere Judas, nicht Ischarioth, sein Bruder?).
    Zu Judas Ischarioth: Steckt in dem Beinamen „isch“, der Mann, und die Pluralendung -oth? Und hat das -ari- etwas mit dem Löwen (vgl. Ariel: leo dei, symbolischer Name für Jerusalem) zu tun? Verweist diese Zusammensetzung (Judas als einer der „Löwenmänner“) auf zelotische Herkunft? (War Paulus ein Judas redivivus, mit Stephanus anstelle von Jesus: Beide, Judas und Paulus, handelten im Sold bzw. im Auftrag der Hohenpriester?)
    Vulgata, hebraicorum, chaldaeorum et graecorum nominum interpretatio:
    – Joseph – Augmentum, Domini Augmentum,
    – Simon – Obediens,
    – Andreas – Fortissimus,
    – Jacob – Supplantator,
    – Johannes – Gratiosus, Pius, Misericors,
    – Nathanael – Donum Dei,
    – Bartholomaeus – Filius suspendentis aquas,
    – Matthaeus – Donatus,
    – Levi – Copulatus,
    – Thomas – Abyssus, Geminus,
    – Judas – Laudatus,
    – Thaddaeus – Laudans,
    – Zebedaeus – Dos, Dotatus,
    – Iscariot – Vir occisionis,
    – Jonas – Columba,
    – Lazarus (Eleazar) – Dei adjutorium,
    – Barthimaeus – filius caecus,
    – Israel – Praevalens deo,
    – Hebraeus – Transiens,
    – Amalek – Populus lambens
    – Aegyptus (hebr. Misraim) – Angustiae, sive tribulationes,
    – Pharao – Dissipans,
    – Nabuchodonosor – Planctus judicii,
    – Gog (Agag) – Tectus,
    – Magog – De tecto,
    – Saul – Postulatus, Commodatus,
    – David – Dilectus,
    – Daniel – judicium Dei,
    – Cana – Zelus, Aemulatio.
    Was haben Visionen und Träume mit dem Exil (und mit der politischen, herrschaftsgeschichtlichen Konstellation, zu der das Exil gehört)? War (neben den Träumen des Pharao) der Traum des Nebukadnezar das Urbild des Traumes? Ezechiel hatte seine Vision „am Flusse Chebar, unter den Verbannten“ (Kap. 1 u. 10), aber nach Jerusalem wurde er (durch den Geist Gottes) „entrückt“ (Kap. 11), um dort die Greuel zu sehen, während der Tempel am Ende Gegenstand von „Gottesgesichten“ im Land Israel, auf einem sehr hohen Berg, war (Kap. 40-48).
    Gründet das Problem, daß Apokalypsen unter fremden Namen geschrieben wurden (ähnlich der Pseudodionysius und der Sohar), in der logischen Konstruktion von Vision und Traum?
    Konstruktion eines parakletischen Begriffs der Kritik: In der Ursprungsgeschichte der Naturwissenschaften, von Kopernikus bis Newton, wurde der Himmel (zusammen mit Hölle und Fegefeuer) aus dem Raum hinauskomplimentiert. Newtons „absoluter Raum“ (der bei Kant zur subjektiven Form der Anschauung geworden ist) war das „leere Grab“ des christlichen Himmels.

  • 29.3.1995

    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit begründet den Weltbegriff und installiert im Subjekt den Mord-, Rache- und Rechtfertigungstrieb. Die Opfertheologie hat diesen Trieb bewußtseinsfähig gemacht, ihn aber mit dem Konzept der „Entsühnung der Welt“ zugleich gerechtfertigt und stabilisiert.
    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das Gegenteil der Erinnerung, der innere Kern des Verdrängungsapparats, der über den historischen Objektivationsprozeß auch die Vergangenheit noch in seinen Dienst nimmt. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit treibt die Zukunft aus der Vergangenheit aus, macht sie erst wirklich zur toten Vergangenheit: Das ist die conditio sine qua non ihrer Vergegenständlichung. Das aber bedeutet, daß Erinnerungsarbeit nicht auf die Geschichte sich beschränken läßt: Sie schließt auch die Natur mit ein. (Ulrich Sonnemann: Zukunft ist von außen wiederkehrende Erinnerung; daher hat die Gedächtnislosigkeit keine.)
    Enthält das Griechische in den im Lateinischen bereits verdrängten Konjugationsformen (insbesondere in Aorist und Medium) Erinnerungsspuren seines Ursprungs?
    Wenn die drei Dimensionen des Raumes drei verschiedene Formen seiner Beziehung zur Zeit repräsentieren, steckt dann nicht in der Linearisierung der Zeit ein Konstruktionsfehler?
    War nicht das Newtonsche Konzept des absoluten Raumes Reflex und Grundlage historischen (herrschaftsgeschichtlichen) Absolutismus, aus dessen Bann wir bis heute nicht herausgetreten sind?
    Der Fundamentalismus verwechselt die zweite Natur mit der ersten.
    Enthält nicht die Figur des Henoch in den pseudepigraphischen Schriften des Alten Testamentes Hinweise zur Lösung der Beziehung von Astronomie, Zeitmessung und Schrift?
    Die Orthogonalität macht das Ungleichnamige gleichnamig. Ist nicht die christliche Theologie (als Theologie hinter dem Rücken Gottes) das Opfer dieses bis heute unbegriffenen Mechanismus?
    Sind nicht Pflanzen und Tiere verschiedene Formen der Verkörperung der Beziehung des Lebendigen zur Zeit?
    Wenn Recht im Namen des Volkes gesprochen wird, ist dann nicht das Volk das Kollektivsubjekt, das zur Entlastung der Richter in Haftung genommen und eben dadurch zur Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt wird? Dieser Begriff des Volkes drückt genau das aus, was dann vergeblich versucht wurde, im Namen der Heiden vom Begriff des Volkes, aus dem er sich herleitet, zu trennen. So wurde der Name der Heiden neutralisiert und dem griechischen Namen der Barbaren angeglichen. Das Wort, das in unseren Bibeln mit Heiden übersetzt wird, heißt im Original Völker.
    Wenn die Sekten die Apokalypse als Angstgenerator benutzen, beuten sie dann nicht einen Mechanismus aus, den die Kirchen zuvor installiert haben? Und dagegen hilft nicht das Tabu auf der Apokalypse, sondern dagegen hilft einzig die Selbstaufklärung der Apokalypse. Und die ist möglich.
    Johann Baptist Metz auf die innere Differenzierung des Begriffs des Universalen hinweisen:
    – Gericht und Barmherzigkeit, Vergangenheit und Zukunft, Ich und Du (Asymmetrie),
    – Rind und Esel (Joch und Last),
    – Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral“,
    – Levinas: Die Attribute Gottes stehen nicht im Indikativ, sondern im Imperativ,
    – Ontologie als vergeblicher Versuch, die Ethik als prima philosophia zu leugnen.

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