Norris

  • 1.5.96

    Kriege haben nach dem Ende des Nationalsozialismus ihre ökonomische raison d’etre verloren. Kriege können heute nur noch als irrationale „heidnische“ Religionskriege geführt werden.
    Die Logik der Vorstellung vom „goldenen Zeitalter“ ist die Logik des Geldes (des „Goldes“), die den Schöpfungsrhythmus umkehrt, das „Gute“ (die Rettung) ideologisch an den Anfang setzt und die Katastrophe ans Ende.
    Der Begriff des Testaments bezeichnet im Ursprung die Besiegelung des Kaufvertrags, der von beiden Seiten zu testieren ist. Zum Testament, und d.h. autoritär, wird er, wenn an die Stelle gleichberechtigter Parteien die einseitige Erbschaftsbeziehung tritt. Dieses Testament bedarf nur noch der Unterschrift des Erblassers, die dann mit seinem Tode wirksam wird. Das Testament gehört zur Vater-Sohn-Beziehung, die autoritär, nicht partnerschaftlich ist.
    Ist nicht die trinitarische Vater-Sohn-Beziehung, in der die Mutter nicht vorkommt, eine Adoptivbeziehung, und ist nicht die „Zeugung“ eine Adoption? Wie hängt das mit der welthistorischen Wendung im Naturbegriff, der im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist, zusammen (und mit dem Ursprung des Begriffs der „Materie“, der an die mater, die Mutter erinnert, während die griechische hyle eher an die pharaonische „Verstockung“ gemahnt)?
    Fällt der Schwur rechtsgeschichtlich in die Ursprungsgeschichte der Blutrache? Und hat der Schwur etwas mit dem Siegel (oder der Siegel mit dem Schwur) zu tun (vgl. die Geschichte des Brunnens Beescheba und die Bedeutung seines Namens)?
    Gehören die beiden Elemente des Strafrechts, wonach nicht der Mord, sondern der Mörder bestraft wird, während Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (die Personalisierung und die moralische Grenze der Beweislogik), zusammen, sind sie nicht für die Konstruktion und die Funktion des Strafrechts konstitutiv?
    Ist die Kritik des „altorientalischen Rachegotts“ nicht ein Indiz dafür, daß die Kritiker auf die Befriedigung des eigenen Rachetriebs nicht verzichten wollen? Der Rachetrieb ist ontologisch fundiert: Er hängt mit der die Ontologie fundierenden Weigerung, den Begriff des Eigentums (oder im „Sein“ den Zusammenhang des Infinitivs mit dem gleichnamigen Possessivpronomen) zu reflektieren, zusammen.
    Hat der Ort Kana in Galiläa (der Ort der „Hochzeit zu Kana“, der Ort, von dem Heilung des Sohns des königlichen Beamten ausgeht, und der Ort, aus dem Nathanael, ein „wahrer Israelit“, kommt) etwas mit dem Begriff Kana (Eifer, auch mit Simon Kananaeus, und dieser mit Nathanael) zu tun? Verweist dieser Ort auf die Beziehung Jesu zu den Zeloten? – Was hat die Bezeichnung Nazoräer mit Nazareth zu tun; und was hat es mit Iskariot auf sich?
    „Standort Deutschland“: Die Getreidespekulation, Grundlage des Romans von Frank Norris und der Begründung landwirtschaftlicher Marktordnungen, war eine Zeitspekulation, ihr Kern war das Warentermingeschäft, die Terminspekulation. Sind nicht die Geldspekulationen heute vor allem Währungsspekulationen, die in den unterschiedlichen Inflationsraten der nationalen Währungen und in den daraus resultierenden Währungsgefällen gründen: letztlich in den divergierenden Handelsbilanzen, in den Mechanismen der nationalen Konkurrenz, die den Kolonialismus abgelöst und weit effektiver ersetzt haben? Rühren nicht die Probleme der Agrarmarktordnungen, ihr ökonomisches Umkippen, aus diesem Sachverhalt: aus dem Eindringen der Geldspekulation in die Getreidespekulation, die dann im Rahmen einer Marktorganisation nicht mehr aufzufangen war; und läßt sich der Zeitpunkt dieses Umkippens nicht genau bestimmen, ebenso wie seine politischen Folgen
    – das Scheitern der „Entwicklungspolitik“,
    – die Explosion des Bankengeschäfts und die Schuldenkrise der Dritten Welt,
    – das roll back des Neoliberalismus (der „Marktwirtschaft“),
    – die fortschreitende Ersetzung der Politik durch Verwaltung, in der die Gewalt der entfesselten Ökonomie (national und international) sich ausdrückt,
    – der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten,
    – der Abbau des „Sozialstaats“,
    – das Flüchtlingsproblem und seine gnadenlose Regulierung.
    Zur Geldspekulation scheint es keine den (anfänglich durchaus wirksamen) Regelungen der Agrarmarktordnung entsprechenden Lösungen zu geben? Wodurch unterscheidet sich die Geldspekulation von der Getreidespekulation, aus der sie hervorgegangen ist?
    Verweist nicht das Problem der Geldspekulation, das an seinen ökonomischen Folgen zu messen ist, zurück auf die „außenpolitische“ Ursprungsgeschichte der politischen Ökonomie: auf den Zusammenhang von Raub, Handel und Krieg; Ursprung des Staates: Ursprung der Warenform im Fernhandel (Außenhandel, Krieg und Eroberung, Beute, Tribut, Kriegsgefangene, Deportation und Sklavenwirtschaft, Schatzgeld und Zirkulationsgeld; Privateigentum, Tausch und Schuldknechtschaft; pax romana: Recht als Sicherung des Privateigentums.

  • 15.4.96

    Als Urteilsmoral hat die christliche Sexualmoral die Gottesfurcht durch das schlechte Gewissen ersetzt, das die Menschen beherrschbar macht.
    Die Bekenntnislogik ist die Logik der Objektivierung und Instrumentalisierung der Wahrheit. Deshalb gibt es kein Bekenntnis ohne Opfertheologie. Und der Götzendienst war bereits eine experimentelle Vorform der Bekenntnislogik.
    Die Lohnarbeit war der Beginn eines Prozesses, der darauf abzielt, am Ende auch die Zirkulation in die Produktion mit einzubeziehen, (durch Marktanalyse und Reklame beherrschbar zu machen). Die Globalisierung des „freien Marktes“ hat die Logik des Kapitals (ähnlich wie die Staatsschutzjustiz die Logik des Rechts) zur transzendentalen Logik (zu einem Instrument der Konstruktion von synthetischen Urteilen apriori) gemacht.
    Ist nicht das Wort über den Handel und an die Reichen (Latifundienbesitzer) bei Jakobus an Griechenland und an Rom adressiert?
    Die Blinden und die Lahmen: Läßt sich diese Konstellation nicht an der Beziehung zum Faschismus demonstrieren? Werden nicht die, die den Faschismus durch Verurteilung (aus der Sicht der Nachgeborenen) bannen wollen, blind, und die, die ihn von innen (aus der Sicht seiner Opfer) begreifen wollen, lahm?
    Die Menschen leben nicht (wie die Tiere) in der Natur, sondern in der Welt. Die Welten der Tiere, sind allesamt Teil der Natur (die Natur ist der Inbegriff aller Objekte von Urteilen: das Tier ist ein lebendiges Objekt eines Urteils).
    Zum Symbol des Kreuzes: In der Mathematik sind wir die Opfer einer Logik, die uns beherrscht; die Beweislogik ist die Logik dieser Herrschaft, einer Logik, deren Ursprung wir nicht kennen, und an deren Ursprung wir nicht heranreichen.
    Wenn der Staat die Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern ist, dann, so scheint mit, verweist das auch auf den Ursprung der Mathematik (des „Bogens in den Wolken“?).
    Ist der Bogen in den Wolken das hebräische Gegenstück zum griechischen Gnomon?
    War nicht die Darstellung der Praxis der Getreide-Spekulation und ihrer Folgen bei Frank Norris (in dem Roman, der Bert Brecht zum Marxisten gemacht hat), noch harmlos gegenüber der Funktion und Bedeutung, die die Spekulation (als reine Geldspekulation) heute gewinnt? Die Hypothese wäre zu prüfen, ob nicht das Geld-Spekulationsgeschäft, das nicht nur (wenn auch vor allem) Banken betreiben, mit der Explosion der Armut, die ganzen Bevölkerungen die Existenzgrundlage entzieht, zusammenhängt, und das nicht nur symbolisch, sondern real.

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