Orwell

  • 11.10.93

    Feindschaft begründet Gemeinschaften, macht aber zugleich dumm: Weil es keine Feindschaft ohne Projektion gibt.
    Das Feindbild (das Feinddenken) macht nicht nur dumm, sondern durch das selbstreferentielle Moment im Feinddenken, wird man selbst zu dem, als das man den Feind (mit Hilfe des Instrumentariums der Projektion) erkennt.
    Die Vorstellung, daß, wenn man Herrschaft abschafft, alles weiterläuft, nur eben besser, ist lebensgefährlich naiv.
    Solange Revolution nur aus der Empörung sich nährt, verändert sie nur das Selbstgefühl, nicht die Welt.
    Zur Erschaffung des Menschen:
    – Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde,
    – nach dem Bilde Gottes schuf er ihn,
    – als Mann und Weib schuf er sie (Gen 127).
    Drückt sich darin nicht vor dem Geschlechterverhältnis das Herrschaftsverhältnis aus, das zur Erschaffung des Menschen gehört (Gott – den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes -er ihn, als Mann und Weib – er sie)?
    Gibt es im Hebräischen ein Äquivalent zu der Unterscheidung von bestimmtem und unbestimmtem Artikel; gibt es eine Beziehung des unbestimmten Artikels (und des Infinitivs Sein) zum Possessivpronomen und zur Negation (ein, mein, sein, nein)?
    Die Orwellschen Sprachregelungen sind nicht nur willkürlich, sondern haben einen logischen Kern. Das Problem der Sprachregelung hängt mit der Beziehung von Begriff, Name und Instrumentalisierung (der Subjektivierung der Zwecke) zusammen, wobei der entscheidende Einbruch in der kantischen Philosophie aufs präziseste bestimmt wird: Kristallisationskern einer Logik, die keine anderen als subjektive Zwecke mehr kennt, der Objektbegriff, der sich im Kontext der Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung konstituiert. Mit dem Objektbegriff, mit der der transzendentalen Logik zugrunde liegenden apriorischen Objektbeziehung des Urteils verliert der Begriff seine benennende (und die Sprache ihre argumentierende) Kraft. Der Name wird zu einem Teil des Reichs der Erscheinungen: er wird willkürlich, kontingent. Das Objekt und seine Derivate (die transzendentale Ästhetik und Logik insgesamt), in ihrem Kern die mathematische Raumvorstellung, machen den Namen gegenstandslos, zerstören die Sprache von innen.
    Das Verteidigungsministerium ist in der Tat kein Kriegs-, sondern ein Verteidigungsministerium: Nur was hier verteidigt werden soll, ist das Recht auf Unterwerfung, Beherrschung und Ausbeutung der Welt (der Stand der Rüstung ist ein Indiz dafür, wie tief das Gesetz des Krieges schon in die Logik der Ökonomie integriert ist: wer heute vor den Folgen des Krieges sich schützen möchte, sollte Soldat werden; anders als die Zivilbevölkerung ist er im „Ernstfall“ am wenigsten gefährdet).
    Ist es in der Eucharistie nicht das Gesetz der Verdinglichung, das das Wahrheitsmoment darin, nämlich die Beziehung des Namens zu Brot und des Blutes zum Wein, gleichsam mystisch verdampft. „Dies ist mein Leib“: Bezieht sich das nicht auf den Sprachleib des logos, auf den sich auch das homologein, das dann zum Bekenntnis neutralisiert wurde, bezieht? Der theologische Begriff der Transsubstantiation ist dagegen ein paradoxales philosophisches Konstrukt (keine verheilte Narbe, sondern die Theologie als offene Wunde der Philosophie). Die Eucharistie: ist das nicht das öffentliche Ding als theologisches Erbe der res publica?
    Alles Wissen bezieht sich auf Vergangenes. Liegt darin nicht der Schlüssel zur Mathematik und zu den subjektiven Formen der Anschauung: zum Verständnis der Form des Raumes?
    Hegels Philosophie: ist das nicht die gestorbene und begrabene Wahrheit, und bezieht sich hierauf das Wort: Herr, sie riecht schon?
    In der Logik des Andersseins gründet die paranoische Verführung jeder Philosophie, und gegen sie ist der Rat gerichtet: Seid arglos wie die Tauben.
    Ist nicht der griechische Mythos die bereits im Ursprung verdrängte Innenseite der Philosophie?
    Kern einer Neubegründung der Theologie wäre die Kritik des Begriffs der Anschauung Gottes. Hier wurde das Angesicht Gottes verdrängt, der christliche Paganismus begründet, der der kantischen Lehre von der Subjektivität der Anschauung zugrundeliegt und in ihr sich vollendet.
    Sind nicht die drei abrahamitischen Religionen insgesamt verdinglichte Gestalten der Wahrheit, und führte das Gesetz der Verdinglichung nicht zwangsläufig auf diese drei Gestalten der Verdinglichung? Sind nicht alle drei auf den Weltbegriff verhext?
    Zur Isolationshaft: Sind nicht die Zellen (Erbe und Fortentwicklung der platonischen Höhle) Erfindungen der Mönche, und welche Bewandnis hat es in diesem Zusammenhang mit den drei evangelischen Räten?
    Ist der Neue Katechismus nicht der Mühlstein, der der Apokalypse zufolge am Ende ins Meer geschleudert wird (und zugleich – wie der „splendor veritatis“ – das Schwarze Loch, das alles Licht in sich aufsaugt, nicht mehr fähig ist, die Welt zu erleuchten)?

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