Paranoia

  • 19.11.92

    In Hegels Philosophie vereinigt sich die Klugheit der Schlange mit der Geschichte der drei Leugnungen. Ihr fehlt einzig die Arglosigkeit, um wahr zu sein.
    Hans-Jochen Vogel übersieht, daß Engholm und Rau nur die Konsequenzen aus seinem eigenen politischen Konzept, das auch keins war und nur bis zur Häme reichte, ziehen: sie ziehen den Schmusekurs vor. Sie möchten eine Art der Versöhnung, ein Glück im Winkel, eine Politik des allseitigen Wohlgefallens. Aber so produzieren sie selber die Schallmauern, in die sie eingesperrt sind, und die eigentlich Gummiwände sind, deren Ausdehnung die CDU seit je so bestimmt hat, so daß die Drecksarbeit von der SPD (als „Ehrensache“) übernommen wurde. Die SPD hat als ehrlicher Heizer immer dann Feuer nachgelegt, wenn der konservative Zug in Gefahr geriet, ins Stocken zu geraten.
    Mit der Diffamierung der Kritik an den Godesberger Beschlüssen, sie sei „bösartig“, appelliert Engholm an das Bild des unschuldigen Opfers, in dem er sich gern präsentieren möchte. Dieses Bild mag die Grundlage von (allerdings nicht unbedenklichen) Erlösungskonzepten sein, es ist keine Grundlage für eine eigene inhaltliche Politik. Mit der Geste des Beleidigtseins kann man sich in der Familienbande gegenseitig erpressen, aber man sollte dieses Spielchen aus der Politik heraushalten: Es liegt zu nahe an der Paranoia (die nach der Barschel-Affäre vielleicht in der Tat eine Gefahr Engholms ist); und Verschwörungstheorien sind dann nicht fern.
    Das Bild vom Zug, der auf einen Abgrund zurast, wird immer deutlicher. Die, die heute skandieren: „Wir sind doitsch, wir sind doitsch“, antizipieren den Jubel über den Urknall, der in Wahrheit ein Endknall ist (wie die ganze Physik im Entscheidenden die Zeitrichtungen verwechselt, und die Korrektur dieser Verwechslung durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bis heute nicht begreift), und der der besorgten Heideggerschen Frage: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, einmal die empirische Grundlage zu verschaffen in der Lage wäre. Es fragt sich dann nur: für wen? Denn man mag es wenden wie man will: Die Selbstzerstörung der Welt wird keine Zuschauer haben (hier endet das Unbeteiligtsein des Zuschauers); aber vielleicht ist gerade das für die gewitzten Urheber (für die Politikerkaste und ihre Claqueure in den Medien und in Wissenschaft und Philosophie) der entscheidende Trost: Es wird keinen Kläger (kein Ausland, keine Geschichte, keine Welt, die dann noch ihr Urteil fällen könnte) mehr geben. So wird das letzte politische Verbrechen unwiderlegbar (und Auschwitz war nur die nicht ganz gelungene Generalprobe).
    Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele korrespondiert der Vorstellung von der Ewigkeit der Materie; sie ist insoweit eine Gespensterlehre, und der christliche Himmel, das Jenseits über den Wolken, ist nie einer gewesen.
    Das Eingedenken ist etwas anderes als der seis positive, seis negative Totenkult (die Mausoleen des real existierenden Sozialismus oder das Schänden der Gräber durch die Rechten).
    Die Wehen und die Schmerzen der Geburt, die im Fluch über Eva genannt werden, beziehen sich auf den an die Schlange gerichteten Fluch: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ Dieser Zusammenhang scheint dem zu korrespondieren, der zwischen der Schlange und Adam im Bilde des Staubs benannt wird.
    Robert von Ranke-Graves weist gelegentlich darauf hin (Die weisse Göttin, S. 417ff), daß der Fisch ein Realsymbol der Auferstehung sei. Das könnte ein Licht darauf werfen, daß neben Himmel und Erde und dem Menschen nur die großen Seeungeheuer, die Fische und die Vögel im strengen Sinne erschaffen sind. Mit der Schöpfung ist auch die Auferstehung erschaffen; das trennt die Schöpfung von der Natur (der Fisch als realsymbolische Präsenz des Rätsels der Auferstehung).
    Ist nicht die Vorstellung, daß die Welt im Bilde der Natur die Menschen überlebt, ein Stück patriarchalische Paranoia? Ein Stück jener Paranoia, die mit dem Objektbegriff und mit der monadologischen Isolationshaft, in die sich das patriarchalische Denken selber versetzt, essentiell verknüpft ist.
    Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung: das bereschit, den Anfang und den Himmel und die Erde; der Natubegriff leugnet die Auferstehung: den fünften Schöpfungstag.

  • 08.10.92

    Wenn Israel der Augapfel Gottes ist, dann zielte das Konzept „Endlösung“ auf die Beseitigung, Vernichtung des Antlitzes Gottes.
    Off. Kap 5: Wer kann das Buch und die sieben Siegel öffnen, der „Löwe aus dem Stamme David“ oder das „Lamm“? Oder ist der Löwe am Ende das Lamm (das Lamm am Ende der Löwe)?
    Off 411: … Denn du bist es, der die Welt erschaffen hat. Mit Welt wird hier das griechische ta panta übersetzt, das All im Plural: „die Alls“.
    Der Daimon ist der Zuteiler des Schicksals, der, der das Schicksal gleichsam addressiert. Dieser Daimon läßt sich heute dingfest machen, bestimmen: als das unbestimmbare Subjekt der kantischen subjektiven Formen der Anschauung, der subjektiven Voraussetzung des Objektbegriffs, das durch sie in die apriorische Urteilsform hereingenommen wird (das ist vorbezeichnet in dem Fluch über die Schlange: „Auf dem Bauche sollst du kriechen und Staub wirst du fressen“).
    Heute ist die Zeit des unreinen Geistes in der Wüste abgelaufen: Er kehrt mit den sieben anderen unreinen Geistern zurück (und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten.) War die Vertreibung des einen unreinen Geistes die Überwindung des Mythos, die mit Hilfe der Philosophie erfolgte, die dann jedoch der Theologie selber mythische Qualität verlieh, in deren Folge heute der Mythos siebenfach zurückkehrt?
    Ist die Bibel nicht doch benutzerfreundlich: Sie erklärt sich eigentlich immer selbst.
    Mit dem Bekenntnis, das ohne Feindbild nicht zu haben ist, hat sich die Paranoia in der Theologie eingenistet, zusammen mit dem dazugehörigen Projektionszwang.
    Das Hegelsche Weltgericht ist ein spätes Indiz für den mythischen Ursprung des Begriffs, für seinen Zusammenhang mit der Schicksalsidee, aus dessen Verinnerlichung er hervorgeht, sich konstituiert. Im Bereich des Schicksals und in dem des Begriffs (der identisch ist mit dem des Welt- und Naturbegriffs) gibt es keinen Ausblick auf die Ideen der Schöpfung, der Offenbarung oder der Erlösung.

  • 16.09.92

    Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird dem kantischen Objektbegriff, der an die subjektiven Formen der Anschauung gebunden ist, die Grundlage entzogen.
    Verhalten sich die Sterne zum Licht wie die Schrift zur Sprache? Zwischen den Sternen (des dritten Tags) und dem Licht (des ersten Tags) steht das Firmament des Himmels (das am zweiten Tag die Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb scheidet).
    Verweist nicht das Zitat von Oppenheim und die Bemerkung Goodys dazu (vgl. Jack Goody: Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Ffm. 1990, S. 82) auf den durchweg literarischen (d.h. künstlichen) Charakter der sumerischen Sprache: den künstlich geschaffenen (oder aus Ökonomie- und Verwaltungsgründen erzeugten) Sprachgrund der Idolatrie, des Sternen-und Opferdienstes? (vgl. auch S. 103)
    Zum Thales: Dem verdrängten Weinen (Männer weinen nicht) erscheint das Wasser als der gegenständliche Urgrund von allem. Trägt nicht die Philosophie seitdem Psychose-ähnliche Züge? Und wenn Adorno darauf hinweist, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, so ist das auch ein Urteil über die Philosophie. Grund ist die Unentrinnbarkeit der mathematischen Raumvorstellung (und der damit verbundenen Bindung des Denkens an die intentio recta). Das verdrängte Weinen ist nur ein anderer Ausdruck für die verdrängte Schuld (den verdrängten Mythos), aus der das philosophische Denken nur mühsam sich erhebt, indem es dessen vergegenständlichende Macht (die Gewalt der Schicksalsidee) sich zu eigen macht. Die Tränen erinnern mimetisch an das Wasser, das tiefste Symbol der Schuld (des Mythos), das in diesem Bedeutungszusammenhang auch im biblischen Schöpfungsbericht seine genaue Stelle gefunden hat.
    Welche Bedeutung haben dann die „großen Seeungeheuer“, die Fische und das „Tier aus dem Wasser“? Und zum Buche Tobit: Haben die sieben in der Brautnacht der Sara gestorbenen Männer etwas mit den sieben Nächten der Schöpfungsgeschichte (und mit den sieben unreinen Geistern der Maria Magdalena) zu tun. Aus dem gleichen Fisch, aus dem das Mittel zur Vertreibung des Dämons Asmodai stammt, wird auch das Mittel zur Heilung des Tobias (der gegen den Willen des Königs die Toten beerdigt) von seiner Blindheit gewonnen.
    Ähnlich wie bei der Erweckung des Lazarus das Gleichnis vom armen Lazarus als Erklärungshilfe hinzugezogen werden muß, muß bei Maria Magdalena und ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern das andere Gleichnis mit den sieben unreinen Geistern mit hinzugezogen werden. (Ist Maria Magdalena die Magd des Hohepriesters in der Geschichte von den drei Leugnungen – nach Hinzuziehung des Hebräerbriefes?)
    Nichts Vergangenes ist wirklich vergangen: So lebt die Blutrache auch nach Abschaffung der Todesstrafe im Recht noch fort.
    Die Sünde der Welt ist die Sünde des Mords: Das Opfer ist die Natur. So hängen Welt- und Naturbegriff zusammen.
    Paulus war entrückt in den dritten Himmel: Heißt das, daß er (und seine Theologie) seine Inspiration von den „Herrschaften“ und „Mächten“ hat? Paulus war beteiligt an der Tötung des Erzmärtyrers Stephanus („Krone“). Wie lautete das durchs Martyrium besiegelte Bekenntnis des Stephanus: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg. 756)?

  • 24.08.92

    Worauf beziehen sich die von Heinsohn (S. 49) aufgeführten Stellen über pharmakeia = Zauberei? Sie gehören zu einem Verworfenheitskatalog, zu dem auch Unzucht, Mord u.ä. gehören. Bezieht sich der Begriff der Zauberei nicht eher auf den dämonischen (instrumentalisierenden) Gebrauch des Opfers (der sich u.a. im Handel fortsetzt)? Und entstammt der Hexenwahn (wie auch die kirchliche Sexualmoral, in deren Geschichte sie hereingehört) nicht der patriarchalischen, verdinglichenden Umdeutung dieses Begriffs der Zauberei?
    Im Kontext der Auslegungsgeschichte des Begriffs der Zauberei (d.h. im Kontext der Geschichte der christlichen Sexualmoral, der Hexenverfolgung und der gegenwärtigen Abtreibungskampagne) läßt sich präzise bestimmen, was das Neue Testament die Sünde wider den heiligen Geist nennt.
    Dämonisch ist der Hexenwahn: diese Art der projektiven Zauberei-Unterstellung.
    Unsere Theologie heute ist die Gestalt gewordene Prophetie-Empfängnis-Verhütung. Und das kirchliche Lehramt ist (als Gottesfurcht-Vermeidungs-Institut) ein einziges Präservativ, ein Theologie-Verhüterli. Wirksamstes Instrument dieser „Empfängnisverhütung“ ist der verdinglichte (dogmatisch sich objektivierende) Wahrheitsbegriff.
    Mit dem Beginn der Hexenverfolgung verliert die Kirche, zusammen mit der prophetischen, ihre häresienbildende Kraft. Und die neue Orthodoxie: das sind (als Gestalten subjektloser, technisch verdinglichter Prophetie) die Naturwissenschaften, zu deren Vorgeschichte die Judenfeindschaft, der Kampf gegen die Häresien und die kirchliche Frauenfeindschaft als Ursprungsbedingungen dazugehören.
    Heinsohn und Götz Aly/Susanne Heim: Merkwürdig, daß sowohl die Hexenverfolgung als auch der Holocaust (die größten gesellschaftlichen Naturkatastrophen) fast zwanglos aus bevölkerungspolitischen Konzepten (aus dem Versuch, das Armutsproblem durch technologische bevölkerungspolitische Konzepte zu lösen) sich herleiten lassen.
    Christologie, die Vergöttlichung des Opfers, oder der schizogene Naturbegriff. Die double-bind-Strukturen reichen in die Trinitätslehre und den Naturbegriff zurück und enthüllen sich der Kritik als symbiotische Herrschafts- und Exkulpierungs-Instrumente.
    Natur, Pan und Panik, oder die Installierung des Schreckens.
    Der Raum und das Lachen: Hegels Philosophie wird vom Gelächter eingeholt (vgl. Derridas Hinweis auf Bataille). Das Gelächter als Reaktion auf Hegels Begriff der Aufhebung entspricht dem Lachen in Büchners „Lenz“ und dem Ursprung der Lehre „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ Nietzsches. Dieses Gelächter bringt das Hegelsche Absolute zu Fall. Aber das hat Hegel selbst gesehen; Heine hat es notiert. Und das Hegelsche Weltgericht ist nur ein anderer, emphatischer Ausdruck für die lakonische Feststellung Wittgensteins: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“
    In der Ausländerfeindschaft, im Fremdenhaß (im sogenannten Asylantenproblem), explodiert die kirchliche Tradition des Kampfes gegen die Heiden und gegen die Häresien. Die zentrale Funktion des Namens der Barbaren im Prozeß der philosophischen Begriffsbildung hat in der Kirche (für das Selbstverständnis des Glaubens) der Name der Heiden übernommen, der nach Bildung der National- und Volkskirchen dann leicht mit dem der Ausländer (den Nachfahren der Häretiker und der Andersgläubigen) verschmelzen konnte.
    Aus Angst vor der Wahrheit pflegen die Kirchen heute den autoritären Charakter, dieses Theologie-Verhütungs-Instrument. Zu seinen Konstituentien gehören die Xenophobie und das „No pity for the poor“.
    Das Gebot der Feindesliebe ist ein Riegel vor der Paranoia (und sprengt den Natur- und Weltbegriff). Zur Übernahme der Sünde der Welt: das verdinglichende, objektivierende Erkenntnisgesetz bedient sich des Weltbegriffs als Exkulpierungsmittel. Das Gebot der Feindesliebe, die Übernahme der Sünde der Welt und das Arglosigkeitsgebot sind drei Seiten ein und derselben Sache.
    Die Velikovsky-Heinsohnsche Venus-Theorie, das Naturkatastrophen-Konzept, das den altorientalischen (vorweltlichen) Sternen-und Opferdienst und seine Funktion im Prozeß der frühgeschichtlichen Staatenbildung begründen soll, ist ein entstellter Hinweis auf das in der Bibel mit den Begriffen Unzucht, Hurerei und Zauberei bezeichnete Problem. Und mir scheint, die Velikovsky-Heinsohnsche Theorie gewinnt einen Teil ihrer Plausibilität daraus, daß sie das Eingehen auf den patriarchalisch-frauenfeindlichen Anteil dieser Geschichte überflüssig macht (konsequenterweise muß Heinsohn genau diesen Aspekt dann auch aus der Geschichte der Hexenvervolgung wegerklären). Zumindest als Resonanzboden der Wirkung einer frühgeschichtlichen interstellaren Naturkatastrophe müßte dieser gesellschaftliche Aspekt der Naturkatastrophe im Kontext der Entstehung der Großreiche mit reflektiert werden. Die mit der Venustheorie verbundene Chronologie-Revision wird damit nicht nur nicht hinfällig, vielmehr wird so erst das Hintergrund-Problem sichtbar, das da mit drin steckt: Die projektive Ausgestaltung (Verzerrung) der altorientalischen Geschichte, die Verdreifachung von Staaten, Dynastien und Völkern spiegelt einen vergleichbaren Vorgang im gleichzeitigen Erkenntnisprozeß der Naturwissenschaften (im neunzehnten Jahrhundet). Auch hier wird gleichsam ein überflüssiger Reichtum an Fakten und Objekten geschaffen, vor dem wir heute ebenso staunend wie begriffs- und hilflos stehen. Mir scheint das historische Chronologie-Problem hängt mit dem erd- und naturgeschichtlichen durch die gleichen Erkenntnismechanismen, denen der Ursprung beider Probleme sich verdankt, zusammen. Könnte es nicht sein, daß der historischen Verdreifachung (die vor allem sprach-und schriftgeschichtlich aufzulösen wäre) eine Verdreifachung im naturgeschichtlichen Bereich nicht nur entspricht, sondern sogar zugrundeliegt: Auch hier wird in einen langen (quasiharmonischen) Evolutionszeitraum zurückprojiziert, was in anderen, (von außen gesehen:) katastrophenähnlichen Prozessen in einer ganz anderen chronologischen Folge durchsichtig zu machen wäre, wenn es gelingt, die Reflexion des Referenzsystems des naturwissenschaftlichen Objektbegriffs (des Inertialsystems) und seiner Beziehung zur Sprache in die Erkenntnis mit einzubringen.
    Ist das Chronologie-Problem ein Umkehr-Problem, ein Problem der Selbstbesinnung des Herrendenkens? (Zusammenhang mit den sieben unreinen Geistern?)
    An Heideggers Begriff des „Vorlaufens in den Tod“ ist zu ermessen, was am Ereignis des Kreuzestodes und seiner kirchlich-theologischen Rezeption aufzuarbeiten, welche Erinnerungsarbeit zu leisten wäre. Die Verwechslung des Kreuzestodes Jesu (der für seine Henker um Vergebung bittet) mit dem Tod des Sokrates (der sich mit seinen Richtern identifiziert, selber das Urteil vollstreckt) bezeichnet einen wichtigen Aspekt des Problems der Beziehung von Theologie und Philosophie (und der Opfertheologie als Brennpunkt dieses Problems).
    Die ironische gemeinte Bemerkung Heinsohns, „die Rauschmittel als Ziel der Hexenverfolgung zu behaupten, käme der These gleich, daß in Deutschland die Juden ausgerottet wurden, um die Spitzenleistungen in Physik und Mathematik zu eliminieren“ (S. 65), trifft gar nicht soweit daneben, wenn man nur das Wort „Spitzenleistungen“ durch den konkreteren Hinweis ergänzt, daß hier in der Tat mit Einstein, Weil und Minkowski die Naturwissenschaften der Grenze ihrer Selbstaufklärung in einer für den Einbruch der Barbarei gefährlichen Weise nahe gekommen waren. Dem hat dann die deutsche Sektion der Kopenhagener Schule mit Mühe und insoweit auch mit Erfolg entgegengearbeitet, als es seitdem ernsthafte theoretische Fortschritte in den Naturwissenschaften nicht mehr gegeben hat (der nächste Schritt nach der zu vermutenden Vollständigkeit des theoretischen Instrumentariums kann nur noch der der Selbstaufklärung sein).

  • 17.08.92

    Erkenntnis und Sexualität: Wie verhalten sie sich zu Begriff und Name?
    War mit der Lokalisierung der Erbsünde in der Sexuallust nicht eigentlich die unio mystica, der Selbstgenuß im Objekt, gemeint? Und hängt das nicht wiederum mit Struktur und Funktion des Begriffs zusammen, mit dem mythischen Element im Begriff?
    Mit der Exkulpation des durch Alkohol enthemmten Triebtäters wird eigentlich die positivistisch enthemmte Vernunft (im Recht wie in den Naturwissenschaften) exkulpiert (Alkohol als Zivilisationsdroge). Die Vorstellung, daß der Mann, wenn der Trieb ihn überwältigt, seiner selbst nicht mehr Herr ist, ist ein bedeutender Akt der Selbsterkenntnis.
    Zentrales Element jeglicher Enthemmung (und jede Enthemmung ist Enthemmung von Gewalt, Ursprung der Gewalt-, der Mordlust) ist die Paranoia, oder genauer: das Herrendenken und die davon unablösbare Paranoia. Darauf bezieht sich die Arglosigkeit, die einzige Kraft, die diesen Zusammenhang auflöst. Herrendenken und Paranoia ist die Subjektseite und Objektivation und Instrumentalisierung die Objektseite des gleichen Sachverhalts.
    Ist das Objekt des Satzes „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ nicht die Kirche, die sich mit der vom Nachfolgegebot getrennten Opfertheologie auf die Seite der Täter gestellt hat (Ursprung im Urschisma, Folge: Antijudaismus und die bis heute unaufgearbeitete Geschichte der Häresien).
    Symbol unserer Medizin: die Halbtoten am Tropf sind die ertragreichste Einnahmequelle.
    Die durchs System der Marktwirtschaft in die Dritte Welt induzierte Hunger- und Schuldenkrise (Arbeitstitel für eine Zivilisationsgeschichte: Geschichte der Schuldknechtschaft) beginnt auf die Erste Welt zurückzuschlagen:
    – in der nicht mehr beherrschbaren Arbeitslosigkeit,
    – in der Krise des Wohnungsmarktes, der im Interesse des Wohnungsbaus, seiner „Rentabilität“, hinzunehmenden Obdachlosigkeit,
    – im Agrarmarkt (generell im Rohstoffbereich: auch bei Kohle und Stahl, im Montanbereich, der zusammen mit dem Agrarbereich zu den ersten Objekten einer EG-Marktorganisation gehörte), und schließlich
    – im Problem der sogenannten Gesundheitsreform (Überwälzung der Kosten der explodierenden Gewinnerwartungen des medizinisch-industriellen Komplexes auf die „Objekte“ des Gesundheitswesens: die Patienten).
    Seit dem Turmbau zu Babel sollten eigentlich alle Türme suspekt sein (auch Glocken sind Symptome der Sprachverwirrung: waren vielleicht nicht doch schon vorsorglich die Glocken gemeint, als die Kirche die Erbsünde in der Sexuallust lokalisierte?). Aber woher kommt der Ausdruck „türmen“; hängt er möglicherweise mit der mittelalterlichen (oder schon antiken – vgl. die Türme im Buch der Richter) Funktion der Türme als Fluchtstätten zusammen? Und ist das Heideggersche „Haus des Seins“ der letzte Nachfahre des Turms von Babel (vgl. Rosenzweigs „verandernde Kraft des Seins“), und das „Vorlaufen in den Tod“ seine Form des „Türmens“?
    Bezeichnen die „sieben unreinen Geister“ den Zustand der Sprache heute?

  • 16.08.92

    Eugen Drewermann (Publik Forum vom 14.08.92, Dossier: Heute muß die Reformation eine Revolte sein): Nicht nur die Reformation, sondern die Geschichte der Häresien insgesamt (seit dem Urschisma) „als ein Gegenüber zur Selbstkorrektur begreifen“, beim Protestantismus nur das Besondere: das Verschwinden der häresienbildenden Kraft.
    Nicht die „Zerrissenheit“ und die „Zerspaltenheit“ der Christenheit ist der Skandal, sondern die Unfähigkeit zu begreifen, was es mit der Geschichte des Christentums auf sich hat.
    Was meint D., wenn er schreibt: „Er (Jesus) wollte nicht eine Gegenbewegung dem Volk der Erwählung gegenüberstellen“?
    Oder: Jesus „wollte vielmehr das intensivste, gläubigste und frömmste Anliegen der Propheten seines Volkes verdichtet wissen in seiner eigenen Person und endlich lebbar machen für die Menschen seiner Zeit und aller Zeiten“?
    Und was soll der Hinweis auf die kirchlichen „Beamtenstuben“?
    Oder: Die Botschaft Jesu war sehr einfach: Das Reich Gottes ist in euch …“
    Oder „… er veränderte die Botschaft vom Jordan in den Dörfern Galiläas, indem er eine Sammlung an die Stelle der Bildung neuer Eliten setzte“ (gegen Johannes den Täufer?)?
    Was meint D. mit dem „Kampf auf Leben und Tod“?
    Oder, wenn er schreibt, daß Jesus wollte, „daß wir Gott wiederfänden als einen Bezugspunkt von Vertrauen …“?
    Oder: „Ein Gott, der es regnen läßt über alle Menschen, ist kein Bezugspunkt für Ausgrenzungen, sondern für das verdichtete Gefühl von Zusammengehörigkeit“?
    Wird das Wort „Richtet nicht …“ nicht neutralisiert und verharmlost, wenn man es „provokatorisch und agitatorisch“ nennt?
    Das „Er ist und war ein Freund der Zöllner und der Huren“ ist gerade nicht „der eigentliche Schuldvorwurf“, sondern der erwächst aus der Tempelreinigung.
    War es nicht der Fehler Luthers, gegen den die katholische Kirche (auch wenn sie es selbst bis heute nicht begriffen hat) recht hatte, daß er bei der Frage „wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ und bei dem Versuch, sie für sich und die Christen seiner Zeit zu beantworten, mit den Werken auch den Zustand der Welt religiös neutralisierte, ausklammerte und verdrängte (Paradigma der paranoischen Grundstruktur: die Objektbindung des Wahrheitsbegriffs; Bedeutung der „Arglosigkeit“).
    Mit dem Wort von den „zehn Geboten für die Durchschnittsmenschen“ (Gegenstück einer „elitären“ Moral der Bergpredigt?) beweist D., daß er keines der zehn Gebote begriffen hat. Es ist wirklich schlimm.
    „Die vatikanische Zentrale ist die Ausbeutung schlechthin gegen jeden anderen Stand“: Hier liegt der Grund seines Antiklerikalismus. Luthers Kampf gegen den Ablaß fällt in die Zeit des Beginns der Ausplünderung Amerikas. Hier wird das Problem von der ökonomischen Realität auf die Kirche (die als Hehlerin mitschuldig ist) verschoben (Vorbild des antisemitischen Wucher-Vorwurfs).
    Verräterisch der Hinweis auf die „zu wenig wohlverschlossenen Türen unseres Seelenhaushalts“: auf den Verdrängungsblock, den auch D. unangetastet läßt.
    Drewermann begibt sich in einen fürchterlichen Selbstwiderspruch, wenn er in der Kirche die Folgen dessen angreift, was er selbst in ihr sucht.
    Das ist nun wirklich schlimm, daß „wir als Glaubende“ nach D. „mehr wissen, als alle Päpste und Bischöfe der Kirchengeschichte zusammen“. Oder: „Aus dem eigenen Ich sprachen die Propheten …“ – Eben nicht (vgl. dagegen Rosenzweigs Bemerkung zum „Spruch des Herrn“)?
    Hegels Philosophie ergreift am Ende doch die Partei des Andersseins, und erliegt damit der verandernden Kraft des Seins.
    Es wäre eine Untersuchung vonnöten, die den sprachgeschichtlichen Ursprung des Seins im Kontext einer Geschichte der Grammatik ermittelt und benennt.
    Adornos Bemerkung, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, hängt mit dem Gesetz von Objektivation und Instrumentalisierung zusammen, mit der verwirrenden und ambivalenzerzeugenden Kraft des Begriffs. Wer der Eindeutigkeit des Begriffs besteht (um die Instrumentalisierung der Wahrheit dem Blick zu entziehen), wird zum Parteigänger der Herrschaft (nicht der „Macht“) und fühlt sich zwangsläufig von den Fremden und den Armen bedroht und verfolgt (weil er sie selbst bedroht, ihnen ihre Erfahrung raubt, sie zur Stummheit verurteilt).
    Die kantische transzendentale Logik, die Kritik der reinen Vernunft, ist die erste Gestalt der realen Reflexion des Schuldzusammenhangs, in den das Denken selber verflochten ist.
    Die Idee der Übernahme der Sünde der Welt legt der Theologie die Pflicht auf, sich in der Wahrheitssuche am Zustand der Welt zu orientieren, d.h. die geschichtliche Reflexion in sich mit aufzunehmen (die Zeichen der Zeit erkennen und beurteilen).
    Aufgabe, ja Pflicht der Kirche wäre es, den Knoten endlich zu lösen, den Alexander (der erste Aristoteliker) nur duchschlagen hat.
    Die Kirche braucht in der Abtreibungsfrage die rechtliche Absicherung ihres moralischen Urteils aus Exkulpationsgründen: Nur noch der rechtliche (und nicht mehr der theologische) Schuldbegriff spricht die Kirche frei von ihrer Mitschuld an Auschwitz. Aber genau hier wird der Schuldzusammenhang unauflösbar, in den jeder Versuch einer rechtlichen Selbstexkulpation hineinführt, indem er sie mit dem Opfer der Anderen erkauft (Umkehrung des Kreuzesopfers, der Pflicht zur Übernahme der Sünde der Welt). Aber in diesen Zusammenhang führt der Mechanismus jedes moralischen Urteils, das aus dem Sündenfall, der Wirkung des Baumes der Erkenntnis, sich herleitet, zwangsläufig hinein; dagegen steht das Wort „Richtet nicht …“.
    Das Pflichtzölibat verletzt das Keuschheitsgebot (wie die Hierarchie das Gehorsamsgebot und das Dogma das Armutsgebot) an der Wurzel.

  • 15.08.92

    Die „aus Furcht vor der Wahrheit erstarrende Aufklärung“ (DdA): das läßt sich heute am genauesten an der Geschichte des Christentums, der Kirche, demonstrieren.
    Sind im Johannes-Evangelium „die Juden“ die Hohepriester, und ist dieser Name die Keimzelle dessen, was dann (im gleichen Evangelium) „Welt“ heißt? Und ist diese Geschichte nicht in der der drei Leugnungen (im Verhältnis der Magd des Hohepriesters zu den Umstehenden) dokumentiert?
    In der Dunkelheit der Materie spiegelt sich der blinde Fleck im philosophischen Subjekt, der in der Subjekt-Objekt-Beziehung gründet.
    Bezeichnen Feindes- und Nächstenliebe nicht doch nur zwei Seiten des gleichen Sachverhalts (Beziehung zum prophetischen Namen des Fremden)?
    „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“: Ist das nicht eine logische Folge daraus, daß die hegelsche Weltphilosophie ihre Spitze und ihren spekulativen Kern findet im preußischen Staat? Die Einheit der Welt (des „Universums“) wird definiert durch die Einheit der subjektiven Formen der Anschauung, durch diesen namenlosen Repräsentanten des Allgemeinen im Subjekt, der selber jeder kritischen Erörterung sich zu entziehen scheint.
    Die Physik ist der Garten Gethsemane (die Endgestalt des durch den Sündenfall hindurchgegangenen Garten Edens: Ist der Engel, der Jesus tröstet, der Cherub aus der Sündenfallgeschichte?).
    Märtyrer und Confessores: Vorgeschichte in der Apostelgeschichte, Stephanus (der Erzmärtyrer) und sein Verfolger Paulus (Begründer der Theologie und des Bekenntnisses). Vgl. auch das Schicksal des Jakobus und des Petrus (dreifache Leugnung und Martyrium).
    Die Übersetzung des Namens des Evangeliums mit dem der „guten Nachricht“ leugnet die Engel (und Radio und Fernsehen schaffen sie zusammen mit dem, was Botschaft einmal hieß, ab).
    Stichwort „Engel“ und „Weltuntergang“ (ist dieser Begriff biblisch?).
    Das Subjekt des Weltgerichts sind wir, auch wenn der Weltbegriff das Alibi gleich mitliefert. Und hierauf bezieht sich das Jesus-Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“.
    Ist nicht der Weltbegriff durch seine Beziehung zu dem der Natur endgültig böse und zugleich unangreifbar geworden?
    „Gelassenheit“ ist eine ontologisch fundierte, „Arglosigkeit“ eine in der Ethik fundierte theoretische Kategorie. Was die Arglosigkeit von der Gelassenheit unterscheidet, ist das Gleiche, was die Ethik als prima philosophia von der Ontologie (und den Fremden vom Anderen) unterscheidet: die reale Vermeidung der Paranoia. Gelassen bin ich nur für mich, arglos bin ich gegenüber anderen. Gelassenheit produziert eine Mystik, die die Augen vor der Welt verschließt (und deshalb verstummt), Arglosigkeit nimmt den Zustand der Welt in die Mystik mit herein (und gewinnt so die Sprache zurück). Gelassenheit ist Entspannung, Arglosigkeit fordert die höchste Anspannung. Der Satz „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ mag für die Gelassenheit gelten, für die Arglosigkeit gilt er nicht.
    Innerlichkeit als moderne Gestalt des Mythos gründet in der Logik der Beziehung von Innen und Außen (und macht die Beziehung von Im Angesicht zum Hinter dem Rücken unsichtbar).
    Die Trennung der Opfertheologie vom Nachfolgegebot begründet den kirchlich-sakramentalen Verwaltungs- und Konsumzusammenhang und zerstört die Gnadenlehre von innen. Sie ist der Grund der Ausblendung der Welt aus der Religion und des abgespaltenen und abgesonderten Bekenntnisses, das dann gleichgültig gegen seinen Inhalt wird und nur noch (fundamentalistisch) autoritär zu begründen ist.

  • 28.07.92

    Zum Schatten, den Auschwitz wirft, gehören auch die Naturwissenschaften. Und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist das erste Moment der Kritik, in dem eine Ahnung des Lichts (des ersten Schöpfungstages) wieder erscheint.
    Mit dem Licht ist auch das Im Angesicht und Hinter dem Rücken erschaffen.
    Hängen „fehlen“ uns „befehlen“, die sich allerdings in der Deklination unterscheiden (fehlte, befahl), etymologisch mit einander zusammen? Woher stammt der Begriff des Imperativ (imperare, Imperialismus)? Im Hebräischen gibt es den Jussiv; hängt das mit jus (Recht) und jurare (schwören) zusammen? Der Schwur und das Recht sind ohnehin vom Ursprung her verbundene Begriffe (Zeugenschaft, Vertrag – vgl. den Schwur in der Bibel – und Beweislogik). Wie verhält sich der Eid zur transzendentalen Logik und Ästhetik (als Zeugen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis im erkennenden Subjekt selber; als Schwur, den das Subjekt sich selber leistet)?
    Wenn es zum Verständnis der Präfixe Schlüsselworte gibt, dann gehört zum be- (bekennen, befehlen) das Beschuldigen.
    Das „Seid arglos wie die Tauben“ ist das eigentlich antiparanoische Element in der Theologie. Es gehört zusammen mit dem Gebot der Feindesliebe.
    Fällt das Abendmahl, das er nur mit seinen Jüngern (die bei seiner Kreuzigung flohen) und nicht mit den Frauen (die unterm Kreuze und am Grabe waren) hielt, in die Tradition des Fluchs über Adam? Wie verhält sich dazu Johannes (der als einziger mit unterm Kreuze steht): da fehlt das Abendmahl, statt dessen wäscht er den Jüngern die Füße (nachdem ihm zuvor die „stadtbekannte Sünderin“ die Füße gesalbt hatte).
    Mit dem Ursprung des begrifflichen Denkens hat sich die Paranoia im Denken eingenistet, mit den Nebeneffekten der Sexualmoral und des Materiebegriffs, der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Die Paranoia hat seit je dazu gedient, den Herren ein gutes Gewissen zu geben, das Herrendenken zu stabiliseren. Die Wirkungen der Exkulpationsmechanismen gingen zu Lasten des Objekts. Die Furcht des Herrendenkens vor dem Materialismus war begründet in der Furcht, daß in Begriff und Struktur der Materie einmal die Projektion erkennbar würde, die das Herrendenken begründet.
    Materialismus und Paranoia, oder Materie und Exkulpationstrieb.
    Das Wachstum und die Sterblichkeit des Lebendigen ist der Beweis für die objektive Realität des Inertialsystems.
    Der Begriff des „kommenden Gottes“ (T.R.Peters) sollte durch Heidegger eigentlich obsolet geworden sein.
    Hängt das „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Luk 2334) mit dem postapokalyptischen Ende des Jonasbuches zusammen („… die Rechts und Links nicht unterscheiden können“)? Wie verhält sich dieses Luk 2334 zu der christlichen Ermächtigung, die Sünden zu vergeben, und zur Lösung des Gebundenen?
    Tiemo Rainer Peters (S. 119f „Verzeiht Gott alles“): Worum geht es hier eigentlich, um mein Seelenheil oder um die Rettung und Erlösung der Welt? Das „Prinzip Gnade vor Recht“ wäre doch wohl etwas anderes als das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Die Frage „Verzeiht Gott alles“ ist falsch gestellt, sie ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob ich sie auf mich oder auf andere beziehe, so wie grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen den Grundsätzen des Handelns (vor dem Handeln) und den Kriterien des Urteils (nach dem Handeln). Das ist eine Konsequenz aus der Nachfolge, der Übernahme der Sünde der Welt. Das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ macht einen absoluten Unterschied zwischen der Selbstbeurteilung und dem Urteil über andere. Die Frage „Verzeiht Gott“ ist islamisch, nicht christlich; Indiz der frühen „Islamisierung“ des Christentums.
    Heideggers „Haus des Seins“: die letzte Erinnerung an Pharao und den Tempel?
    Die drei Leugnungen lassen sich aus der Geschichte der Beziehung des Christentums zur Philosophie herleiten: Die Gnosis wie die nachfolgende Geschichte der Häresien ist eine Folge des Urschismas (der ersten Leugnung: Leugnung des Vaters): der Rezeption der griechischen Philosophie (des Weltbegriffs), des Verzichts auf Kritik des Staates (der im gnostischen Demiurgen realistisch entstellt wiederkehrt); und sie ist ein Nebenprodukt des Ursprungs der christlichen Sexualmoral (die sich wie der Weltbegriff dem Verzicht auf Staatskritik verdankt). Hegels Philosophie, in der sich der durchs Urschisma ausgelöste Prozeß vollendet, ist der Beginn der dritten Leugnung (Leugnung des Heiligen Geistes; sie macht die Welt zum Subjekt der Wahrheit, die die Theologie gleichsam von innen aufzehrt, so zu ihrer Parodie wird).

  • 04.07.-13.07.92

    Krankenhausaufenthalt:
    Ist nicht der Weltbegriff Produkt der Verletzung des gesamten Dekalogs (insbesondere des 4. und 8. Gebots)?
    Die Opfertheologie, die Vorstellung von der Wiederholbarkeit des einen Opfers, hat die christliche Theologie an den Mythos gebunden. Der Preis war die Vergöttlichung des Geopferten (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs).
    Gesellschaftlicher Zusammenhang von Schuld: Täter – Opfer; Vater (Herr) – Sohn (Knecht); Schuld/Schulden; Schuld – Bekennntis -Rechtfertigung; Schuld gibt es nur vor jemandem (vor Gott); kann Robinson schuldig werden? Schuld ist ein gesellschaftliches Phänomen, auch als ontologisches.
    Vermittlung des christologischen Naturbegriffs durch den modernen Kunstbegriff (W.B. I 1, S, 64 – Novalis). Bedeutung des Naturschönen.
    Ist nicht die Religion gleichsam der verwesende Rest des mythischen Opfers, sein christlicher Umkehrpunkt das Martyrium (Zeugenschaft)? Verinnerlichung des Opfers im Bekenntnis (mythischer Ursprung des Bekenntnisses: Notwendigkeit einer letzten Summa contra gentiles).
    Außen und Innen: Auch die Funktionalität der modernen Architektur steht unterm Primat des Außen (Rasenmäher und Plätschern beim Krankenhaus nur für den zerstreuten Besucher (Betrachter), aber gegen die Bedürfnisse der Patienten, die ohnehin nur Objekte sind – Gewöhnung als Gewöhnung ans Objektsein, an die Entmündigung, die die Ärzte bereits voraussetzen – Ansätze beginnender Paranoia).
    Im Krankenhaus die Bedeutung des Satzes erfahren: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Hölle des Selbstmitleids).
    Die Stationsärztin, die bis heute kein Wort mit mir gesprochen hat, erklärt an meinem Bett mit allen Details meinen „Fall“ dem Chefarzt: So erfährt man, wie es um einen steht (vgl. die zweite Leugnung Petri).
    Außen und Innen: Naturwissenschaft als Produkt der Veräußerlichung und Verinnerlichung des Kosmos zugleich (= Weltanschauung). Das Innen ist das Außen des Außen.
    Ist nicht der Begriff der Weltanschauung im Sinne eines Genitivus subjectivus zu verstehen (Welt als Subjekt, nicht Objekt der Anschauung)? – Aus diesem Grund gibt es Weltanschauungen nur im Plural.
    Ist nicht die Anschauung die Leugnung des Angesichts?
    Erst die durchinstrumentalisierte Welt ist frei für nicht mehr kritisierbare subjektive Zwecke; sie ist „ideologiefrei“, weil es jedem offen steht, in ihr seine Interessen und Zwecke zu verfolgen. Hierbei wird nur die „Kleinigkeit“ übersehen, daß diese „Offenheit“ nur für den geringeren Teil der Menschheit real und gegeben ist; für alle anderen ist sie eine geschlossene Welt, ein Gefängnis, ein Irrenhaus, Grund des universalen Hospitalismus (Verhältnis von Raum und Geld!).
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes und das Tauschparadigma verdrängen den Widerspruch (kein Reichtum ohne Armut, keine Materie ohne Energie).
    Pharao, das „große Haus“: Hängt der Name des Pharao mit der geschichtsphilosophischen Bedeutung des Hauses (der Architektur mit dem Toten im Innern) zusammen? Ist das „Haus des Seins“ pharaonisch und ontologisch (der babylonische Turm hingegen instrumental)?
    Benjamin zufolge können „Gestalten keiner Dichtung je der sittlichen Beurteilung unterworfen“ sein (I 1, S. 133). Gilt das nicht mit fortschreitendem Objektivationsprozeß auch bereits für die Lebenden?
    S. 189: „von Haus aus“.
    Pharao: Haben die Juden sowohl die institutionellen Grundlagen (Josef) als auch die äußere, architektonische Realisierung des Pharaonentums (das Sklavenhaus) geschaffen? Ist der Josef-Roman das früheste Dokument der Dialektik von Herr und Knecht (aber anders als die Hegelsche)?
    Walter Benjamin I 1, S. 332f: Der neudeutsche Kult der Trägheit des Herzens (acedia).
    Rührt Benjamins Theorie der Allegorie nicht auch an den Ursprung der Schrift (S. 339f, 351)?
    Schrift und Vergesellschaftung: Mit der Schrift beginnt die Zivilisation (Modell und Ursprung der Beziehung von Begriff und Gegenstand, des Objektivations- und Vergesellschaftungsprozesses).
    Schlange als Bild der Zeit (S. 346): Seid klug wie die Schlangen.
    Benjamin II 1, S. 351: die „fallende Sucht“; wie verhält sich die Epilepsie zum Mond und zur Mutter?
    S. 352: Dummheit und Bosheit bereits Grundlage der herrschenden Politik, der Herrschaft überhaupt (keine Alternative dazu?). Der subjektlose Gemeinheitskern der Öffentlichkeit: Ontologie der Strudel, in dem die Moral versinkt.
    Ist die Eucharistie nicht mehr nur Zeichen, sondern bereits Ersatz der Nachfolge? Bezieht sich darauf der Satz vom Zusammenhang des unwürdigen Essens mit dem Gericht (1 Kor 1127)?
    Die islamische Polygamie verweigert die Erfahrung des ehelichen Konflikts ebenso wie die Verarbeitung dessen, worauf sich das vierte Gebot bezieht (den Ödipuskonflikt).
    Sabotiert der Islam (die Ergebung in den „Willen Allahs“) die Spontaneität und die Aufmerksamkeit?
    Ist der Islam die verdinglichte Version des jüdischen „Monotheismus“ (die jüdische Religion als Fall), und deshalb gleichsam „von Haus aus“ fundamentalistisch? Kein Ausweg aus dem Sexismus (Pascha: Herrschaft und Selbstmitleid)? Islam als Gottesfurcht-Vermeidungsstrategie, als scheinhafter Ersatz der Gottesfurcht?
    Ist der Islam nicht auch Ausdruck einer erschütternden Hilflosigkeit (wie jeder Fundamentalismus, und jede zum Terrorismus neigende politische Bewegung, einschließlich der durch den unaufgearbeiteten Faschismus bestimmten herrschenden Politik)? – Läuft nicht die Art, wie die Kinder des Pakistani ihrem Vater jeden Wunsch erfüllen, noch bevor er ihn überhaupt äußern kann, auf eine ganz sublime Entmündigung (Infantilisierung) des Vaters hinaus? Er ist nicht mehr fähig, die einfachsten Dinge selbst zu tun. So rächt sich die Familie an ihrem „Oberhaupt“. (Oder: Die arme, klagende Kreatur rächt sich für das, was ihr angetan wurde, an ihrer Umwelt.)
    Der Islam scheint eine Erlösung der Welt nicht zu kennen (deshalb der Freitag als Wochenfeiertag: der Tag vor dem Sabbat). Der Islam kennt Erlösung nur als individuelle Erlösung (Belohnung oder Bestrafung); deshalb ist er mehr noch als das Christentum auf die unerlöste Sexualität (und damit an die Frauenfeindschaft) fixiert. Paradigma der Erlösung ist die unio mystica oder die Rückkehr ins Paradies (den Garten mit den Flüssen) als reine Regression. Wenn die Welt nicht erlösbar ist, ist es auch die Frau nicht (Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem Patriarchat und der Frauenfeindschaft).
    Vgl. hierzu die Entrüstung, mit der der Autor von „Jesus starb in Indien“ auf die Salbung Jesu durch eine „Prostituierte“ reagiert (überhaupt die Empfindlichkeit gegen „Schande“, gegen eine Beeinträchtigung des Rufs, des öffentlichen Ansehens: deshalb darf Jesus nicht am Kreuz gestorben sein.)
    Zusammenhang von Nationalismus und Befreiungsbewegungen:
    – Konsequenz daraus, daß es ohne Geldwirtschaft (als subjektiver und objektiver Nationalitätsgrund) nicht geht, der Sozialismus hieran seine Grenze findet.
    – Grund des Wiederauflebens religiös-politischer Kräfte (Nordirland, Islam, Jugoslawien, GUS).
    – Grund für das theoretische Gewicht und die Bedeutung einer Analyse des Geld- und Bankenwesens.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes setzt die ganze Welt unter Laborbedingungen, sterilisiert sie gleichsam, unterwirft sie dem Herrenblick, bringt das Andere zum Verschwinden.
    Mit der Verdrängung des Sterbens aus der Erfahrung schwinden die Toten aus der Erinnerung. Die Welt wird vom Sterben und von den Toten nicht mehr berührt: sie wird steril (durchs Inertialsystem zum universalen Labor).
    Der Personalismus in der Philosophie trat auf, als die Seele (und mit ihr der Gedanke der Unsterblichkeit und des seligen Lebens) aus dem Bewußtsein verdrängt wurde. Aber niemand (auch die „Gläubigen“ nicht) hat’s gemerkt, weil alle andere Ziele haben.
    Ist die Erschaffung der „großen Seeungeheuer“ der Hinweis auf die Erschaffung des Bösen? Vgl. auch Hiob: den Ankläger und Behemoth und Leviatan.
    Hat die Sara (im Buch Tobit) etwas mit Maria Magdalena zu tun (die sieben in der Brautnacht verstorbenen Männer mit den sieben unreinen Geistern)?
    Die Trennung von Begriff und Objekt, Geist und Materie, dient auch der Erhaltung und Absicherung von Herrschaft, schließt den Gedanken einer Änderung der Gesellschaft (und der Natur) vom Grunde her aus. Kein Zufall, daß jede Namenslehre in Gefahr steht, magisch mißverstanden oder mißbraucht zu werden (Beziehung der Astronomie zur Schrift?).
    Was bedeutet es, wenn die Schrift der Magie das Ende bereitet hat (Ausnahme: das Verhältnis von Kabbalah und Magie)?
    Herrschaft ist Herrschaft über die Vergangenheit. Keine Änderung ohne Änderung der Vergangenheit (Beziehung der Herrschaft zur Sternenwelt).
    Man kann nicht die Menschheit, um sie zu befreien, abschaffen. Die Wahrheit ist nicht durch Unwiderleglichkeit (gegen die Häretiker), sondern durch ihre Ausbreitungsfähigkeit (daß alle in ihr sich als gemeint wiederfinden) zu bestimmen. Die alltägliche Erfahrung, daß die Menschen über ihr unmittelbares Eigeninteresse hinaus nicht mehr ansprechbar sind, ist kein Anlaß zur Empörung, sondern zur Trauer. Empörung verwandelt auch die Wahrheit in ein Moment des gleichen bornierten Eigeninteresses, über das sie sich empört, macht sie zur Ideologie, die dann keinen anderen Weg mehr kennt außer dem der Gewalt, die die Wahrheit durch Unwiderlegbarkeit zerstört.
    Es ist ein an der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens geschulter böser Scharfsinn, der uns die Ursprünge des kirchlichen Christentums heute anders wahrnehmen läßt. Dagegen hilft keine Apologie.
    Zu Kants Bemerkung über das Verhältnis von Natur- und Weltbegriff die transzendentale Logik (Deduktion der synthetischen Urteile apriori) vergleichen: Der Ursprung der Unterscheidung und ihre Folgen sind hier ablesbar.
    In Benjamins Wort von der „Erektion des Wissens“ (I 1, S. 131) klingt sowohl die Erinnerung an der Turmbau zu Babel als auch ein Hinweis auf den Ursprung und die Geschichte der modernen Naturwissenschaften mit an. Diese Erektion des Wissens begründet den Weltbegriff.
    Gründet das Gefühl in der Trauer? (S. 139)
    Der Weltbegriff gründet in der gleichen objektiv vermittelten Abstraktion, der auch der Ursprung der Schrift sich verdankt.

  • 06.06.92

    Armut ist die Energiequelle, aus der der Kapitalismus den Reichtum schöpft. (Zum Begriff des Proletariats: Wer kein Eigentum hat, ist durch seine „Existenz“ schon verschuldet und muß seine Schulden lebenslänglich abarbeiten.)
    Mit der Denunzierung des Marktes als Götzen ist noch nicht viel getan; sie erinnert zu sehr an die Auseinandersetzung mit den „Häresien“; sie unterstellt, daß eine Gesinnungs- (Bekenntnis-) änderung schon der Anfang einer Änderung der Dinge sei. Notwendig wäre die genaue Analyse der Gewalt, die im Markt sich zu einem die Gesellschaft insgesamt beherrschenden System zusammengeschlossen hat; das Pseudoreligiöse am Markt ist Teil der Vergötzung der Macht: Teil eines Religionsbegriffs, dessen christliche Ursprünge zu bestimmen wären.
    Mit der Armut exportiert diese Gesellschaft auch die Paranoia: die autoritären Systeme und den Terror in die Dritte Welt. Hier liegt die Schuld der Kirche, daß eine wirkliche Bekehrung trotz der Christianisierung nicht gelungen ist.
    Wie hängen die Banken mit dem Militär zusammen?
    Das Futur II und die Astronomie: Schon im Schöpfungsbericht wird den Leuchten am Himmel die Herrschaft über die Zeit übertragen.
    Welches waren die jüdischen Opfertiere: u.a. das Lamm (Vorbild des Gottesknechts), die Tauben (Typos des Heiligen Geistes) und der Stier (Verkörperung JHWHs?).
    Zu dem Schiller-/Hegel-Wort „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ (die Welt als Inbegriff des richtenden Prinzips in der Geschichte): Heißt das nicht im Hinblick auf Heidegger, daß er durch die Fundamentalontologie, durch den Begriff der Eigentlichkeit, der Entschlossenheit, des Vorlaufens in den Tod, sich selbst an die Stelle dieses richtenden Prinzips zu setzen versucht, damit jedoch das Gericht auf sich zieht (dieses Gericht über Heidegger wäre die Neubegründung der Theologie). Es war seit je die Anpassung an die Welt, die das Gericht auf sich gezogen hat (die Anpassung an die Welt oder die Verführung des Richtens). Der Weltbegriff ist das Subjekt und Medium der Erbschuld (das ist der präzise Sinn von Joh 129). Der Naturbegriff als Inbegriff des Objekts (Nicht-Subjekts) vermischt den Begriff des Opfers mit dem der Unschuld der richtenden Gewalt, verleiht ihm die exkulpatorische Kraft, die auch im naturwissenschaftlichen Erkenntnistrieb mit enthalten ist. Vorbild des modernen Naturbegriffs war u.a. der christliche Typos der Jungfrau.
    Der Begriff der Rechtfertigung bezeichnet ein Moment der Bekenntnislogik: die falsche Form der Schuldverarbeitung.
    Lassen sich die unterschiedlichen Beziehungen rechter und linker politischer Gruppen zu Tod aus den unterschiedlichen Beziehungen von Markt- und Planwirtschaft (Babel und Ägypten) zur Zeit herleiten?
    Als Grundlage der Handels- und Rechtsbeziehungen im Imperium Romanum war das Pantheon zugleich Grundlage der Pax Romana.
    Hat nicht die Übernahme der Sünde der Welt etwas mit dem Baum des Lebens zu tun? Und verhält sich der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zum Baum des Lebens nicht wie die Philosophie zur Prophetie, oder wie die Erkenntnisfunktion des Raumes zur benennenden Kraft der Sprache?
    Bedeutung des Tierkreises:
    – in der chaldäischen Astrologie,
    – im griechischen Mythos (Idee des Heros),
    – in den Megalith-Kulturen,
    – in der jüdischen Tradition (Tierkreis-Mosaiken in antiken Synagogen?).
    Hat der später als Sothis-Periode mißdeutete Sachverhalt in der ägyptischen Geschichte etwas mit dem Tierkreis zu tun? Ist die Patriarchen- und Exodus-Geschichte so etwas wie ein Astral-Mythos?
    Freude, Lachen und Johlen; oder: Befreiung, Herrschaftskritik und Freude, und Herrendenken, Objektivierung durch Lachen, Johlen und Rache.
    Die Instrumentalisierung der Welt und die Zerstörung der teleologischen Prinzipien gehören zusammen; sie machen den Raum frei für das liberum arbitrium und die Subjektivierung der Zwecke, die dann selber wiederum über das Tauschprinzip und die Geldwirtschaft in eine der instrumentalisierten Welt angemessene Beziehung gerückt werden. In der instrumentalisierten Welt gibt es zur Herrschaft keine Altenative.
    Hat nicht die Übersetzung des zweiten Gebots in „Du sollst nicht fluchen“ ein ähnliche Funktion wie die des achten „Du sollst nicht lügen“? Auch das „Du sollst nicht fluchen“ ist ein Teil des Herrschaftsmechanismus, der Herrschaftskritik schon im Keim unterdrückt. Beide Übersetzungen haben hinterhältig und gemein gewirkt.
    Hat Auschwitz nicht eine zweitausendjährige Vorgeschichte? Und ist die Angst im Garten Gethsemane nicht eher auf diese Geschichte als auf die private Todesfurcht zu beziehen?

  • 29.02.92

    Bemerkenswert, daß schon Philo die Hebräer mit den Fremden und den Nomaden in Zusammenhang bringt (vgl. Feld: Der Hebräerbrief). Bei Feld bekommt der Nomaden-Hinweis durch Beziehung zum Pilger-Begriff einen ganz anderen Klang und andere Konnotationen.
    Der Personbegriff ist das Instrument der Selbstinstrumentalisierung und -vergesellschaftung, Grund der Trennung von Seele und Leib und Neutralisierung der Differenz zwischen dem eigenen Urteil über mich selbst und dem Urteil von außen. Genau das drückt aber das Im Angesicht Gottes aus, das um keinen Preis verwechselt werden darf mit dem Urteil von außen (das die Gottesfurcht neutralisiert). Das Gewissen ist aber andererseits nicht bloß subjektiv, nicht frei verfügbar. Es hat seine eigene, von der vergegenständlichenden Kraft des Raumes unterschiedene Objektivität. Das Im Angesicht drückt eine Objektivität aus, die nicht die des Äußeren ist.
    Das Paradigma „Übernahme der Sünde der Welt“ ist nur im Zusammenhang mit der Lehre von der Auferstehung der Toten zu halten. D.h., es schließt die Vergangenheit mit ein (im Gegensatz zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, die sie verdrängt).
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Frauen in der Bibel und der Lehre von der Auferstehung der Toten? Vgl. hierzu die Hinweise bei Feld (im Zusammenhang der Frage, ob Priscilla den Hebräerbrief geschrieben hat).
    Der erweckte Lazarus war der Bruder der Maria und Martha. Und unterm Kreuze Jesu standen die Frauen (und Johannes, der Jünger, den der Herr lieb hatte), die gleichen Frauen, die am dritten Tage hingingen, um dem Toten die letzte Barmherzigkeit zu erweisen, während die übrigen Jünger nach Galiläa geflohen waren.
    Ist die Unsterblichkeit der Seele ein männliches und die Auferstehung der Toten ein weibliches Konzept? Und ist die unsterbliche Seele nicht der unsterbliche Weltgeist?
    Die Kopenhagener Schule verwechselt die Maden in der Leiche mit der Auferstehung der Toten.
    Steinigung und Scheiterhaufen sind geschlechtsneutrale Arten der Todesstrafe (die Isolationshaft ist eine technische Perfektionierung des Scheiterhaufens), die Kreuzigung ist männlich. – Hat der Staat das Recht, die Umkehr zu fordern (was er damit fordert, ist das genaue Gegenteil: ein Zu-Kreuze-kriechen – die Erfüllung der Wünsche derer, die kreuzigen)? Oder: Hat der Staat ein Gesicht?
    Scham und Beschämung beziehen sich auf das Antlitz, und die Geschichte des Sündenfalls ist eigentlich die Geschichte der Zerstörung des Antlitzes.
    Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt: Israel ist der Augapfel Gottes. Das Aaron-Gebet: Lasse dein Antlitz leuchten über uns.
    Instrumentalisierung des Angesichts in der Reklame: Funktion des Bildes der Frau und der männlichen Stimme.
    Das Angesicht verbindet den optischen mit dem sprachlichen Bereich; es ist die schmale Pforte aus dem Raum in die Sprache.
    Gibt es einen geschichtsphilosophischen Zusammenhang zwischen der Erfindung der Pille (der technischen Neutralisierung der Sexualität) und den paranoiden Rückzugsgefechten der Kirche zu den Fragen der Empfängnisverhütung und Abtreibung?
    Ist nicht beim Karol Woityla (und auf andere Weise im pokerface katholischer „Würdenträger“, in der „Prälatenmaske“) die sexuelle Regression und Obsession schon physiognomisch erkennbar?
    Wäre nicht die Stasi-Debatte der Anlaß, sich endlich über das Verfahren, das keineswegs von einer bestimmten Ideologie abhängig (nicht Sozialismus-spezifisch) ist, ins Reine zu bringen: den Zusammenhang von Paranoia und Bespitzelung; die Unfähigkeit, Probleme offen und frontal, aber ohne Gewalt, auszutragen. Aber dieses „Hinter dem Rücken“ ist so tief im gegenwärtigen Stand der Dinge verwurzelt, daß wir schon aus Gründen der Selbstentlastung die Stasi jetzt als Sündenbock brauchen.
    Umweltverschmutzung: Wurde nicht die „reine Natur“ (das Ziel der Rousseauschen Parole „Zurück zur Natur“) immer schon als eine von den Menschen (zumindest von den anderen, den Fremden: der Gesellschaft und ihren Zwängen, damit aber auch vom Verstand und von der Sprache) befreite Natur verstanden?
    Das sogenannte Asylantenproblem ist sicherlich auch Teil des Versuchs, ein Ersatzobjekt für die gesellschaftlich produzierten Umweltprobleme bereitzustellen. Schmutz: das war neben Abfall, Staub, Fäkalien immer auch alles, was an Sexualität erinnerte, an die eigenen Unzulänglichkeiten, an eigenes Versagen, an Schuld, an „Schweinereien“, an Dreck.
    Umweltverschmutzung von innen: Wer das Umweltproblem mit der sogenannten Bevölkerungsexplosion in Verbindung bringt, hat nichts begriffen.

  • 26.02.92

    „Schöpfung aus dem Nichts“: Läßt sich das „Nichts“ unabhängig von der mathematischen 0 (Null) und vom mathematischen – (Minus), d.h. unabhängig von Raum und Zeit (und nicht als leerer Raum oder als das Nichts vor dem Anfang), überhaupt denken? Im Begriff einer Schöpfung aus dem Nichts läßt sich das Nichts von der Zeit nicht trennen (hier bezeichnet es das Nichts „vor“ der Schöpfung): so wird die Schöpfungstat selber in die Zeit versetzt, anstatt die Zeit als geschaffen zu begreifen. Der Anfang der Hegelschen Logik reflektiert diesen Tatbestand. Gibt es ein Nichts, das nicht auf unser Wissen, sondern auf die Realität bezogen ist; gibt der Satz „Wieso ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ überhaupt Sinn?
    Sinn gibt der Begriff einer „Schöpfung aus dem Nichts“ nur, wenn er auf die Welt (auf den historischen Ursprung der Welt) bezogen wird, nicht jedoch im Kontext des Schöpfungsbegriffs der Genesis.
    Im Raum bezeichnet die 0 (Null) die „Grenze“ zwischen Rechts und Links (Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Oben und Unten), zwischen + (Plus) und – (Minus), zwischen positiver und negativer Richtung, in der Zeit den Anfang, während das Nichts vor dem Anfang gleichsam als negative Zeit (als Vergangenheit) zu fassen wäre (im Raum als Gegenrichtung: als das Hinter dem Rücken, die Linke, das Unten). In der Tat verschwimmt die Bedeutung des Nichts zwischen 0 (Null) und – (Minus), und wird den Widerspruch nicht los, daß beide (wie die Besitzlosigkeit oder die Schulden, die einer hat) real sind.
    Das Nichts steckt in der Orthogonalität (im Verhältnis der Dimensionen im Raum, aber auch im Verhältnis des Raumes zur Zeit und zur Materie, die ebenfalls orthogonale Strukturen aufweisen).
    Bekommt dieses „Nichts“ durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht einen ganz anderen Sinn? Ist hier die Physik in ihr eigenes Nichts eingedrungen?
    Die Unfähigkeit, das Nichts zu reflektieren hängt mit der Unfähigkeit zusammen, Schuld zu reflektieren (Zusammenhang des Begriffs der Schöpfung aus dem Nichts mit der christlichen Sexualmoral).
    Das Staunen, das in Heideggers Satz anklingt „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, drückt genau die Paranoia aus, die seit dem Ursprung der Philosophie das philosophische Staunen, wenn nicht den Ursprung der Philosophie selber, bestimmte. Die gleiche Paranoia ist über die Idee der Schöpfung aus Nichts in die Theologie eingewandert. Hier liegt der Grund der Dogmatik.
    „Im Anfang erschuf Gott …“, und „im Anfang war das Wort“; jeder Gedanke an ein Davor, an ein „vor dem Anfang“ ist paranoid, und zwar ebenso paranoid wie die nur scheinbar banale Frage „Was habe ich denn vom Leben gehabt“.
    Es gibt kein allgemeines Nichts; verantwortbar ist nur die bestimmte Negation.
    Hängt die Bedeutung der Astronomie für die Geschichte der Zivilisation mit der Erfindung der Null zusammen (Zusammenhang mit dem elliptischen Zahlensystem, mit den beiden Brennpunkten 0: Grenze der Addition und Subtraktion, der positiven und negativen Zahlen, und 1: Grenze der Mulitplikation und Division, der Zahlen >/< 1)?
    Babylonische Zahlen (hexagesimal): Sekunden, Minuten, Stunden; der Tag hat 24 Stunden: die nächste Einheit wäre 2,5 Tage? Ein Monat ist das 12-fache, ein Jahr das 144-fache dieser Einheit?
    120 ist die Summe aller Zahlen von 1-15, 153 von 1-17, 276 von 1-36.
    Die islamische Ibrahim-Geschichte, in der Abraham erkennt, daß Sonne, Mond und Sterne keine Götter, sondern nur endliche Dinge sind, wäre heute auf den Naturbegriff insgesamt zu übertragen.
    Repräsentiert die Null den Raum (ebenso wie die Leere oder den Punkt)?
    Die Kirche verhält sich zu ihren Gläubigen wie Ärzte zu Todkranken: sie verschweigt ihnen die Wahrheit.
    Patriarchat und Entfaltung des Raumbewußtseins: Kern der patriarchalischen Gesellschaft ist die (väterliche) Macht der Vergangenheit über die Zukunft: die durch Reflexion nicht aufzulösende subjektive Form der äußeren Anschauung: der Raum, in der Sprache der Zusammenhang von Futur und Hypostasierung, in der Theologie das Bekenntnis und die Bekenntnislogik.

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