Wie verhält sich die Geschichte von Simon von Cyrene, der das Kreuz Jesu auf sich nimmt, zum Nachfolgegebot, in dem es heißt, daß, wer sein Jünger sein will, „sein Kreuz“ auf sich nehmen und ihm nachfolgen soll. Ist das Kreuz (das eigene wie das Kreuz Jesu) das Kreuz aller (vgl. die „Sünde der Welt“)?
Simon von Zyrene war der Vater des Alexander (in Ephesus?, vgl. Apg 1933, 1 Tim 120, 2 Tim 414) und Rufus (in Rom, mit seiner Mutter, Röm 1613).
Zyrene war die Hauptstadt der Cyrenaika, des heutigen Libyen (seit 67 v.Chr. Teil der röm. Provinz Kreta, Sitz einer starken jüdischen Bevölkerungsgruppe, mit einer eigenen Synagoge in Jerusalem).
Ist die Philosophie der Schlaf der Welt und das Dogma der Traum des Nebukadnezar? (Gibt es nicht auch eine inhaltliche Beziehung des Traums zum Dogma und seiner Geschichte? Vgl. die Materialien des Standbilds, das N. in seinem Traumgesicht schaute: Gold, Silber, Erz, Eisen, Eisen/Ton, die die Phasen der Aufklärungsgeschichte symbolisieren. Am Ende hat N. Gras gefressen wie das Rind.)
„Laß leuchten, Herr, Dein Angesicht“: Gilt der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, nicht auch für diesen Vers?
Paranoia: Kann es sein, daß (spätestens seit Stammheim) auch in der SPD nur noch Leute etwas werden können, die den Geruch der Komplizenschaft an sich tragen (nach Hans Jochen Vogel jetzt Scharping, dessen Behörden den V-Mann Steinmetz betreuten)?
Staatsräson: Denn also schloß er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.
Weder rechtfertigen die Taten der raf die Mittel, mit denen sie verfolgt wurde, noch rechtfertigen diese Mittel nachträglich die Taten. Hätte die raf die Nazizeit begriffen, hätte sie auch die Phantasie gehabt, die Folgen ihrer Taten sich vorzustellen. Selbst wenn die raf geglaubt hat, durch den Hinweis auf die Reaktionen des Staates den sinnlichen Beweis seines faschistischen Wesens führen zu können: Wer die Nazizeit erfahren hat, weiß, daß dieser Beweis nicht genügt. Es muß auch eine Öffentlichkeit geben, die bereit und fähig ist, diesen Beweis wahrzunehmen. Wer die Wahrheit nur alleine kennt, kennt sie nicht. An den Gemeinheitskern politischer Gewalt reichen terroristische Aktionen nicht heran (vgl. Lyotards Rekonstruktion des perfekten Verbrechens: das ungeheure politische Gewicht des „falschen Zeugen“, Erbe der „List der Vernunft“).
Binden und Lösen: Die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache setzt die Kritik der Raumvorstellung voraus. Hierauf bezieht sich das Symbol der Befreiung von den sieben unreinen Geistern und der Lösung der sieben Siegel. Zwischen Name und Begriff steht der Raum, der Namen in Begriffe verwandelt, während seine Reflexion den Bann des Begriffs löst und den Namen freisetzt. Der Raum domestiziert den Fremden, indem er ihn zum Anderen macht (das individuelle Korrelat des Namens zum allgemeinen Nicht-Ich).
Nackte Tatsachen: Wer (wie der Staat) hinter dem Rücken der andern handelt, stellt sie vor vollendete Tatsachen. Alle Tatsachen haben ihre Urheber, und dazu gibt es zwei Verhaltensweisen:
– Sich mit den Tatsachen abfinden, sie (wie Kant die Empfindungen) unterm Gesetz des Eigeninteresses als schicksalhaft „gegeben“ ansehen, oder
– sie (im Licht des emanzipatorischen Interesses) als Gegenstand der Reflexion und als Grundlage der Selbstaufklärung und des verändernden, eingreifenden Handelns begreifen .
Was haben die „vollendeten Tatsachen“ mit der Sünde der Welt zu tun? (Hegels Logik ist die Selbstreflexion der Sünde der Welt.)
Paranoia
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5.4.1995
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1.4.1995
Kern der Sensibilität heute wäre, was Horst Meier (in einem Beitrag über Jean Amery in der FR von heute) den „antinazistischen Ekel“ genannt hat. Die Verdrängung dieses Ekels hat die Sensibilität in Empfindlichkeit verwandelt.
Zwischen Empfindlichkeit und Sensibilität gibt es eine logische Grenze. Die neue Enzyklika des Papstes liegt auf der Seite der Empfindlichkeit. Diese Empfindlichkeit gehört zu den objektiven Ursachen der Selbstmorde von Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan.
Die Unterscheidung von Sensibilität und Empfindlichkeit konvergiert mit der Unterscheidung von Zorn und Wut. (Die Abtreibungsdebatte ist von der Wut, nicht vom Zorn diktiert. Aber Wut führt in die Paranoia hinein, die der Zorn sprengt. Ist das Krähen des Hahns die letzte Ausdrucksmöglichkeit dieses Zorns?)
Zu J.B.Metz‘ Frage, ob man nach Auschwitz noch beten kann, wäre auf die Stelle bei Reinhold Schneider zu verweisen, die für das Gebet eine Norm aufgerichtet hat, die bis heute nicht erfüllt wurde. Die einzig noch zulässige Form des Gebets wäre eine Theologie im Angesicht Gottes.
Zu dem Papst-Wort gegen den Selbstmord, das an sich wahr ist, wäre an die Selbstmorde von Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan zu erinnern, an das entsetzliche Faktum, daß nach Auschwitz nur die überlebenden Opfer, nicht aber die Täter sich schuldig gefühlt haben. Die Verdüsterung der Welt, die diese Überlebenden nicht mehr ertragen konnten, ist auch von den Kirchen nicht aufgehellt worden. Die blasphemische „Versöhnung über den Gräbern“ (Ausdruck des verstocktesten Herrendenkens), deren blasphemischen Charakter kein Theologe bemerkt hat, hält heute den Opfern bereits ihre mangelnde Versöhnungsbereitschaft vor, bezieht auf sie (statt auf die Täter und ihre Erben) das Wort vom steinernen Herzen.
Als Kinder haben wir die „armen Seelen im Fegefeuer“ in unser Nachtgebet mit eingeschlossen. Wurden die Vorstellungen, die wir damit verbanden, nicht aufs genaueste von der gleichzeitigen Realität in den KZs erfüllt?
Die Apokalypse endlich unter Verzicht darauf, das Ende zu berechnen, begreifen: Das wäre die Aufgabe der Theologie (und die einzige Möglichkeit, die Apokalypse wirklich zu begreifen).
Wer das Wort vom Kelch begreifen will, muß den Nominalismus begreifen, die Ursachen, die den Name zu Schall und Rauch gemacht haben.
Verweist nicht die Unterscheidung von prophetischer, messianischer und parakletischer Erkenntnis auf ihren trinitarischen Grund? -
26.3.1995
Der Name der Erbsünde ist sehr wörtlich zu nehmen: Die Menschen verhalten sich in der Tat so, als hätten sie eine Sünde geerbt, zu der niemand sich zu bekennen wagt. Anders sind die Paranoia und der Rachetrieb, die in Institutionen wie Zucht- und Irrenhäusern (die heute zwar nicht mehr so heißen, es der Funktion nach aber immer noch sind) und Kasernen sich manifestieren, nicht zu erklären. Aber auch der Ursprung der „romantischen“ Liebe, des im Begriff des Subjekt selber verankerten Triebs geliebt zu werden (die Erwartung, durch den Andern erlöst, von der Erbsünde freigesprochen zu werden: eines der Signa der Moderne, struktureller Kern des modernen Dramas), verweist auf diesen Sachverhalt. Die unmittelbaren Repräsentanten dieser Erbsünde sind die subjektiven Formen der Anschauung, die der Barmherzigkeit den Weg zum Objekt versperren: Grund der „kommunikativen“ Selbstbeschränkung (und Selbstzerstörung) der Sprache in der folgenlosen Rede (der folgenlosen „Rede von Gott“). Die Welt ist das Medium, in dem diese Erbsünde sich fortpflanzt (der „Unzuchtsbecher“). Die „Sünde der Welt“ ist nicht „hinweggenommen“, und nur wer sie auf sich nimmt, befreit sich von dieser Last.
Ist das Wissen der Taumelbecher, die Natur der Kelch des göttlichen Zorns und die Welt der Unzuchtsbecher (und alle drei zusammengehalten durch die „subjektiven Formen der Anschauung“, den Kelch)?
Hat sich die Frage Rosenzweigs, ob Künstler selig werden können, angesichts einer völlig durchästhetisierten Welt nicht schlicht auf alle ausgedehnt? Aber hat Rosenzweig mit seiner Kritik des All nicht bereits den Grund der Lösung dieser Problems bezeichnet?
Waldspaziergang (Kritik der deutschen Ideologie): Wenn einer „vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht“, wäre zu fragen, ob es nicht in der Tat wichtiger ist, die Bäume anstatt den Wald zu sehen.
Gott ist auf keine Weise gegenständlich zu machen. Das drückt sich aus in der Idee des Ewigen, die den Grund der Gegenständlichkeit, die Vergangenheit, von sich ausschließt. Die Objektivation Gottes gehört zu den Ursachen des Kreuzestodes, sie macht die Objektivierenden nachträglich noch zu Tätern. (Der Preis für die Göttlichkeit Jesu war die Vorstellung vom Gottesmord, der dann projektiv auf die Juden verschoben wurde.)
Wenn die Idee des Absoluten der Schatten ist, den das Subjekt auf Gott wirft, dann hat die Theologie seit den Kirchenvätern in diesem Schatten gestanden. Dieser Schatten wird in den Fundamentalismen heute handgreiflich.
Verhält sich nicht der Name der Hebräer zu der Logik, zu der der Name der Barbaren gehört, wie das verteidigende zum apologetischen Denken?
Auch für die Opfertheologie gilt: Barmherzigkeit, nicht Opfer, oder auch: verteidigendes, nicht apologetisches Denken. Die Resultate des apologetisches Denkens gelten ein für allemal (sie gehören zur Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit), die des verteidigenden Denkens sind immer neu (sie eröffnen die Zukunft, die jeden Tag neu beginnt).
Das katastrophische Moment in der Apokalypse ist als Realsymbol der Kritik des Scheins selber Schein, es ist ein Produkt der Logik der Schrift, die in ihm zugleich sich auflöst (nachzuweisen an der Funktion des Traums und des Engels in der Apokalypse).
Warum kommt am Ende des Ezechiel nur der Osten und der Norden vor (und zwar beide als Orte des Erscheinens der göttlichen Herrlichkeit)? Und worauf beziehen sich hier der Thron und der Schemel (verbinden sie den Osten mit dem Himmel und den Norden mit der Erde)?
Die „Buße“ Ninives beginnt beim Volk, geht von da zum König, der dann das Vieh mit einbezieht. Aber im Buch Tobias (das die katholische Kirche in den Kanon mit aufgenommen hat) wird Ninive am Ende doch zerstört. – Ist es nicht der gleiche Fisch, der den Jonas verschlingt und wieder ausspeit, der dann im Buch Tobias gefangen und geschlachtet wird, und aus dem die Mittel gewonnen werden, mit denen Sara vom Dämon Asmodei befreit und Tobias von seiner Blindheit geheilt wird? Zugleich wird das Symbolum eingelöst, und zwar durch den Engel Raphael (nicht Gabriel, der nach islamischer Tradition – und nach der Verkündigungsgeschichte – den Heiligen Geist repräsentiert). War das Vermögen des Tobias nicht in Susa deponiert, dem Ort der Esther-Geschichte? – Kann es sein, daß der apokryphe Teil des Buches Daniel (mit der Susanna-Geschichte) dem gleichen symbollogischen Zusammenhang angehört?
Haben Sara und Asmodei etwas mit der Maria Magdalena und ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern zu tun?
Welche Anspielungen und Bezüge stecken in den Namen der Apostel? Gibt es ebenso wie den hellenistischen (Andreas und Philippus) auch einen makkabäischen Bezug (Simon, Judas)? Worauf verweisen Jakobus und Johannes? Welche Väter werden genannt (Simon Barjona, Bartholomäus, Jakobus und Levi, Söhne des Alphäus), welche Mütter (die Mutter der Zebedäussöhne) und welche Schwiegermütter (die des Simon Petrus)?
War Johannes Scottus Eriugena ein Laie (trägt seine Theologie nicht die Züge einer Laientheologie)?
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist durch die Apokalypse auf die Theologie im Angesicht Gottes bezogen.
„Als Mann und Weib schuf er sie“: Ist das nicht die Besiegelung des vorhergehenden „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn“? Hat die Geschlechtertrennung etwas mit der Beziehung des Nomen zum Personalpronomen zu tun?
„Im Schweiße deines Angesichts“: Bezieht sich das auf Gethsemane? Und haben die Dornen und Disteln etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun?
Unterm Bann der indoeuropäischen Sprachlogik, die das Inertialsystem antizipiert, ist das Symbolum zum Bekenntnis geworden, hat die Bekenntnislogik sich gebildet.
In welcher Beziehung stehen die Sünde Adams, die Sünde der Welt und die Sünde wider den Heiligen Geist?
Die Figur des Kleinbürgers, in der nach Walter Benjamin Teufel und arme Seele konvergieren, ist nicht vergangen, sondern mit dem Faschismus universal geworden. Das war der Modernisierungsschub, der ökonomisch abzuleiten wäre. Wäre nicht aus der Logik des Kapitals, aus der gegenwärtigen Entwicklung ihrer Strukturen, sowohl die gegenwärtige Renaissance der Bekenntniskriege (der Weltanschauungs- und Vernichtungskriege) wie auch die eklatante Unfähigkeit der politischen Institutionen, das was hier vor sich geht, zu begreifen und konstruktiv zu bearbeiten, abzuleiten? Hinweis: Ist nicht alle Ökonomie (aufgrund der Währungshoheit der Staaten) Nationalökonomie, die im Außernationalen ihre „Natur“ vor sich hat, die Hegel zufolge den Begriff nicht halten kann, d.h. der staatlichen Herrschaftslogik sich entzieht? Dringen über die Internationalisierung des Marktes Naturverhältnisse in die Ökonomie ein, die zur Machtanarchie keine Alternative mehr zuläßt? (Paradigma: Hat sich nicht das Militär im Golfkrieg und jetzt in der Jugoslawienkrise als ohnmächtig und hilflos erwiesen, und zwar aus strukturellen, mit institutionellen Mitteln nicht zu behebenden Ursachen?)
In einer Welt, die ohne Rest von den Marktmechanismen, vom Wertgesetz, so durchdrungen wird, daß sie auch die Politik (und ihre Grundlage: eine funktionierende Öffentlichkeit), wie das schwarze Loch jegliche Strahlung, in sich aufsaugen, wird auch die Sprache in den Strudel mit hereingerissen, die allein fähig wäre, das, was hier sich zuträgt, zu begreifen.
Privatfernsehen: Wenn Information zur Unterhaltung wird, übernimmt Unterhaltung die Rolle der Information (Politiker wissen das; die Konsequenz, die sie daraus ziehen, heißt Imagepflege).
Kritik der Wissenschaft ist Kritik der Verwaltungswissenschaft, der Versuch, Erkenntnis hinter dem Rücken in eine im Angesicht zu transformieren.
Unsterblichkeitslehre: Das Präsens ist die Gegenwart unterm Primat der Selbsterhaltung.
Gerechter Preis/gerechter Lohn: Woher kommt es, daß Europäer die festgelegten Preise in Schaufenstern, Warenlisten, auf Werbeprospekten nicht nur als vorgegeben und feststehend, sondern auch als „gerecht“ anzusehen geneigt sind, während sie in „orientalischen“ Bazaren, in den gehandelt und gefeilscht wird, das Gefühl nicht loswerden, belogen und betrogen zu werden? Liegt nicht in der kapitalistischen Preisgestaltung (entgegen der Theorie, die außer denen, die sie anwenden, niemand ernst zu nehmen scheint, und deren katastrophische Folgen, nämlich im Falle des Konkurses, genau die trifft, denen man sie permanent ausredet: daß der Preis auf dem Markt, durch Angebot und Nachfrage, sich bestimmt) die Suggestion, die Preise seien kalkulatorisch begründbar: Ausdruck der Erstellungskosten? Darin steckt das Bewußtsein, daß erst mit der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip (der differentia specifica des Kapitalismus) für den Preis ein Maß gefunden worden ist, das einer objektiven Überprüfung offensteht. Der Preis entspricht dem „Wert“, und der ist gleiche Weise „objektiv“ wie das Gewicht eines materiellen Dings (dessen Logik in ihm sich reproduziert: Liegt hier, in der Beziehung des Wertgesetzes zur Gravitation, der Grund der logischen Affinität des Staates zur Astronomie?). -
23.3.1995
Prima philosophia: Auch die Ontologie gründet in der Ethik, nur ist diese eine Ethik der in der Ohnmacht gründenden Passivität, eine Ethik der Nicht-Handelnden, der Herren und der Zuschauer.
Auf das homologein, das die Theologie mit Bekennen übersetzt, bezieht sich das Gleichnis von den Talenten: Das kirchliche Glaubensbekenntnis ist das vergrabene Talent. Dieses Vergraben ist ein anderer Ausdruck für eine Theologie hinter dem Rücken Gottes.
Mizrajim ist ein Bruder Kanaans, beide sind Söhne des Ham.
Die Distanz zum Objekt ist vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt: Ein Beispiel hierfür ist der Film, die logische Konstellation Regisseur, Schauspieler, Zuschauer, die auf seinen genetischen Zusammenhang mit der Logik der Schrift zurückweist. Gehört nicht zum „Star“ die diesen Zusammenhang konstituierende kopernikanische Konstellation? Der Film gehört in jene „Sphäre“, die Hegel von der des Lichts noch unterscheidet: die seiner „Fortpflanzung im Raum“, die durch die kopernikanische Wende begründet wird.
„Es gibt einen Stamm, dessen Angehörige sich für unsichtbar halten: Die Ethnographischen Filmer: Wenn sie, mit Maschinen beladen, Kabel hinter sich herschleifend, einen Raum betreten, in dem ein Fest gefeiert wird, in dem Kranke geheilt oder Tote betrauert werden, dann bilden sie sich ein, sie würden nicht bemerkt …“ (Eliot Weinberger: Die Kamera-Menschen, Lettre Heft 28, I. Vj, 95, S. 62): Gehört nicht die ganze zivilisierte Welt zu diesem Stamm; sind nicht Film und Fernsehen ihre Initiationsrituale? Was hier offenkundig wird, die endgültige Trennung der optischen von der sprachlichen Kommunikation, hat mit der kopernikanischen Wende, dem astronomischen Ursprung des Inertialsystems, begonnen. Die Monologisierung der Kommunikation, die mit der Schrift begonnen hat, wird im Fernsehen vollendet. Die Entwicklung vom Leser, der den Dialog mit dem Autor verinnerlichte, zum Zuschauer, der dieses Dialogs nicht mehr mächtig, dem Bild ohnmächtig und hilflos preisgegeben ist, ist ein Beleg für das Hegelsche Theorem vom Umschlag von Quantität in Qualität. Fernsehen ist atheistisch; das „Wort zum Sonntag“ liefert den allwöchentlichen Beweis.
Das Fernsehen ist ein Instrument der Vergesellschaftung jener Situation, die Edgar Morin einmal so beschrieben (und dann u.a. im Bilde des entwaffneten SS-Manns erläutert) hat: „Die Passivität des Zuschauers, seine Ohnmacht, versetzen ihn in eine verhältnismäßig regressive Situation: …, wir alle werden sentimental, empfindsam, wehleidig, wenn wir unserer Aktionsmöglichkeiten beraubt werden.“ (Der Mensch und das Kino, Stuttgart 1958, S. 109). Zum Film als gesellschaftliches Reflexionsmedium vgl. auch Eliot Weinberger: „Die Kamera-Menschen“ (Lettre Nr. 28) und Christina von Braun „Nicht-Ich“.
Der Raum exiliert die Dinge aus der Gegenwart, er ist der Feuerofen, in dem das sinnlich Gegenwärtige zur Asche verbrennt.
Das Freund-Feind-Denken schafft klare Fronten, aber es verwirrt die Urteilskraft. Wer kann noch sicher sein, daß die Freunde wirklich Freunde sind? Das Freund-Feind-Denken ist der Infektionsherd der Paranoia.
War nicht der Streit um die homousia ein Streit um die Möglichkeit des Selbstbewußtseins in einer imperialen Gesellschaft? Die symbiotische Teilhabe am Caesarismus war der Ursprungspunkt der Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft. In diesem Kontext ist die Theologie zu einer Phase in der Geschichte der Aufklärung geworden.
Nicht Gott ist empfindlich, sondern die Gläubigen sind es. Der zweckrationale Kern des Glaubens ist die Idee des Absoluten, das Medium der Hybris in der Theologie.
Die Kritik der Religion und ihrer Grundlagen ist so weit in die Religion hineinzutreiben, bis sie sich in einer vom Angesicht Gottes erleuchteten Welt wiederfindet. Das wäre zugleich die Lösung des Rätsels der Apokalypse.
Findet der Blochsche Satz über die Guten und die Bösen am Ende des Geistes der Utopie nicht seine Auflösung in dem Satz vom Binden und Lösen?
Wenn das Subjekt der Welt das Tier ist, was hat es dann zu bedeuten, wenn die Schlange das klügste aller Tiere ist?
Die Welt brennt: Sie hat sich an den steinernen Herzen entzündet.
Memoria passionis: Das heißt unfähig werden, das wahrgenommene Leiden anderer zu verdrängen. Das aber ist der Ursprungspunkt der Sensibilität, nicht der Empfindlichkeit.
Das Prinzip des Wissens gründet in der Konvertibilität des vergangenen Sehens mit dem Sehen der Anderen. Bezieht sich hierauf nicht der Satz: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“?
Durch welche logische Konstruktion wurde das hebräische Perfekt in das griechische Perfekt umgeformt?
„Denn während Juden Zeichen fordern und Griechen nach Weisheit fragen, predigen wir Christus den Gekreuzigten, für Juden ein Ärgernis, für Heiden aber eine Torheit, für die Berufenen selbst aber, sowohl Juden als Griechen, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1 Kor 122ff) Hat dieses „Ärgernis“ etwas mit den Ärgernissen in Mt 187 u. Lk 171f zu tun? Stehen die Sätze nicht in einer inversen Beziehung zueinander: gilt das Wehe in den Evangelien-Texten dem Wir im Paulusbrief?
Wodurch unterscheiden sich die Präfixe von den Suffixen? Kann es sein, daß, während die Präfixe auf räumliche Beziehungen sich erstrecken (und mit der Entfaltung der Raumvorstellung sich differenzieren), im Ursprung und in der Funktion der Suffixe die fortschreitende Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit sich ausdrückt? So werden die indogermanischen Formen der Flexion durch Suffixe ausgedrückt (die in den modernen Sprachen dann weithin durch Hilfsverben ersetzt werden), während die semitischen Flexionsformen in der Vokalisierung sich manifestieren.
Sein und Haben beziehen sich auf Perfektbildungen (auf die Vollendung der Vergangenheitsform), und zwar das Sein auf die reflexive, das Haben auf die objektbezogene Pefektbildung: Ich bin geworden, und Ich bin gewesen, aber Ich habe getan (und Ich habe gehört und Ich habe gesehen). Vgl. die Sequenz: Ich habe getan, ich bin schuldig geworden und ich schäme mich.
Die Scham führt in die Isolationshaft des Gesehenwerdens: man erfährt sich als Objekt des Wissens anderer; der Schutz der Privatsphäre ist der Schutz vor diesem Zum-Objekt-des-Wissens-anderer-Werden. Die Materie ist die aufgedeckte Scham der Dinge (sie gehört zu den nackten Tatsachen).
Ohne Ansehen der Person: Schließt das nicht die Kritik der Person als des Repräsentanten der Welt im Subjekt (dem Äquivalent des Dingbegriffs) mit ein, eine Kritik, die den Vorrang des Angesichts wiederherzustellen sucht.
Die Entsühnung der Welt, das Hinwegnehmen der Sünden der Welt, steht in der Tradition des Alexander, der den Knoten nur durchschlagen, nicht gelöst hat.
Die Beziehung der Sprache zum Objekt ist nicht nur eine äußerliche; diese Äußerlichkeit ist vielmehr in sich selber sprachlich vermittelt. Während es in der Philosophie die subjektiven Formen der Anschauung sind, ist es in der Theologie die Bekenntnislogik (und in ihr insbesondere deren opfertheologischer Grund), denen die Trennung beider sich verdankt. (Legitimation des Bestehenden, Theologie hinter dem Rücken Gottes, Konstitution des Weltbegriffs durchs Konzept der „Entsühnung der Welt“, Vorrang der Anschauung, Name und Begriff) -
19.3.1995
Der Turm von Babel wurde gebaut, um „sich einen Namen zu machen“, der Tempel in Jerusalem hingegen, um dem Namen Gottes ein Haus zu bauen. Ist es nicht der Begriff, mit dem die Menschen „sich einen Namen machen“?
Welche Abstraktionsschritte sind nötig zur Bildung des Zahlbegriffs?
Erbaulichkeit und Trost: Der Trost, den das Erbauliche spendet, ist ein exkulpierender Trost. Er bedient sich des Schuldverschubsystems, um von „Schuldgefühlen“ zu befreien. Damit hängt es zusammen, wenn die erbauliche Schriftinterpretation ohne Antisemitismus nicht zu haben ist.
War nicht die Fixierung des „Kenntnisstandes“ des Gerichts am Anfang des Hogefeld-Prozesses die Selbstlegitimation einer massiven Vorverurteilung, eine Verurteilung ohne die Notwendigkeit, das Urteil durch sorgfältige Beweisführung begründen und absichern zu müssen. Hier wurden die synthetischen Urteile apriori festgezurrt, unter die die Angeklagte vor jeder Beweisführung, nur aufgrund der transzendentalen Logik des gerichtlichen Vorurteils, zu subsumieren war. Das Ansinnen, sich mit der Sache selbst noch einmal auseinanderzusetzen, war damit vom Tisch gewischt; jedes Argument der Verteidigung, das in diese Richtung ging, galt danach als Versuch einer Prozeßverzögerung. Dazu paßt der Eindruck, den das Verfahren selber im Beobachter hervorruft: Durch Mimik, Gestus und Ton geben Gericht und Staatsanwalt zu erkennen, wie lästig ihnen die Verteidigung ist, so als beruhe deren Anwesenheit (wie auch die der Prozeßbesucher, die man dann auch durch entwürdigende Eingangskontrollen abzuschrecken versucht) auf eigentlich nicht mehr recht einsichtigen formalen Verfahrensvorschriften, an die man sich leider halten muß.
Haben früher einmal die Taten der raf dazu beigetragen, ihre eigenen Ziele und Motive, und damit auch deren öffentliche Diskussion, zu diskriminieren, so scheint sich heute das Blatt zu wenden: Das rigide Vorgehen gegen Mitglieder der raf in Verfahren, mit denen man nur noch zu testen scheint, was der Öffentlichkeit heute alles zugemutet werden kann, erzwingt geradezu die Reflexion auf die so massiv verdrängten Intentionen der raf, indem sie beginnt, die Weigerung, diesen Diskurs aufzunehmen, unter einen moralischen Rechtfertigungsdruck zu setzen.
Was Auschwitz und den Nationalsozialismus von allem Vergleichbaren bis in die Gegenwart hinein unterscheidet, scheint darin zu liegen, daß hier erstmals die nationale Paranoia die Mordlust zur vorgeschriebenen Staatsgesinnung gemacht hat. Was bei anderen totalitären Systemen (im Stalinismus wie in den Militärdiktaturen) als ein nicht intendierter Nebeneffekt erscheint, ist im Nationalsozialismus (und in den nachfolgenden rechtsradikalen Gruppierungen) zum Kern der Sache geworden: Ausdruck dessen sind der Antisemitismus und allgemein die Xenophobie (die eigentlich Manifestationen einer Gewissensphobie sind: Vorstufe dieser Gewissensphobie ist die merkwürdige Beziehung der Deutschen zum „Ausland“, das heute im seelischen Haushalt der Deutschen die Stelle einzunehmen scheint, an der in Zeiten, in denen das Moralische das Sich-von-selbst-Verstehende war, das Gewissen seinen Platz hatte).
Beitrag zur Logik der Schrift: Ist nicht das Verfahren der Pseudepigraphie eines der Delegation: Man möchte für das, was man schreibt, nicht selbst die Verantwortung übernehmen? Und waren nicht die Fälschungen im Mittelalter schon ein Werk der List der Vernunft, Reflex des gleichen Problems, das am Ende im Problem des kontrafaktischen Urteils sich manifestiert?
Kosmologie, Erkenntnis- und Gesellschaftskritik: Die Verinnerlichung des Schicksals (Ursprung des Begriffs) und die Verinnerlichung der Scham (Ursprung des Inertialsystems) waren ebensosehr objektive wie subjektive Prozesse. Bezeichnen nicht Sem, Japhet und Ham auch welthistorische Knotenpunkte? Und sind nicht die apokalyptischen Tiere Gestalten des Weltgeistes (und der Weltgeist selber die Schlange, die „das klügste aller Tiere“ war)?
Apokalypse: die Ermittlung und Deutung der Träume der Herrschenden (Nebukadnezars). Nebukadnezar hatte einen Traum, den er aber vergessen hatte, und den Daniel, um ihn deuten zu können, erst finden muß: Die Hegelsche Logik ist dieser Traum; sie ist die Wahrheit, die Hegel verborgen geblieben ist, als Traum. Wäre nicht das Freudsche Verfahren der Traumdeutung dahin zu korrigieren, daß nicht Träume ihre eigene Logik haben, sondern daß die Logik das Material bildet, aus dem die Träume sind? Ohne Logik gäbe es keine Träume: Die Logik ist der Schlaf der Sprache und insofern der Ursprungsort der Träume. Und war nicht die mathematische Logik das Vergessen dieses Traums (Modell des traumlos gewordenen Schlafs)? Verweisen nicht gerade die Elemente der Logik, von denen die mathematische Logik abstrahiert, auf ihre Beziehung zum Traum: das Subjekt und der Grund?
Die Orthodoxie ist das Mahnmal der heute in sich selber zur Unkenntlichkeit entstellten Erinnerung an das, was die Mathematik, als sie die Orthogonalität entdeckte, verdrängen mußte.
Wie hängen die sieben Sakramente, die sieben Planeten, die sieben Schöpfungstage und die sieben Siegel miteinander zusammen? Verweist nicht das Siegel auf den Namen: Es war einmal Unterschrift und Signum der Person zugleich. So war mit dem Siebentage-Werk die Welt auf den Namen Gottes versiegelt. Im Namen Beerscheba ist beides enthalten: die Sieben und der Schwur (vgl. hierzu die Siebener-Gruppen in der Johannes-Offenbarung). -
4.3.1995
Wenn Marx den Ursprung des Geldes aus dem Tauschverhältnis herleitet, stellt er seine Analyse dann nicht doch auf die im kantischen Sinne „weltliche“ Seite des Verhältnisses ab, und verdrängt er nicht die naturale Seite, die in der Schuldknechtschaft gründet?
„Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Enthält der Ausdruck, ein Kind sehe „wissend“ aus, nicht auch die Wahrnehmung, daß es sein Vertrauen in die Eltern verloren hat? Und hat diese Wahrnehmung nicht weitreichende Implikationen und Konsequenzen; gründet nicht die gesamte Wissenschaft (und der Totalitätsbegriff des Wissens selbst) in der Abstraktion von diesem „Vertrauen“? Aber ist nicht umgekehrt diese Abstraktion vom Vertrauen, die eine Kindheit (durchs Wissen) zu zerstören vermag, auch wiederum notwendig und unvermeidbar: Alle Initiationsriten beziehen sich hierauf, wie auch das Erwachsenwerden ohne diese Abstraktion nicht gelingt; und ist nicht die Schule die formalisierte Einübung in diese Abstraktionsfähigkeit? Hinzuzufügen wäre nur, daß es eigentlich nur der Reflexionsfähigkeit bedarf, um den Eingriff dieser Abstraktion zu humanisieren. Das „Ja und Amen“, das J.B.Metz auf die „Welt“ bezieht (deren Begriff in der Abstraktion vom kindlichen Vertrauen gründet), bezieht sich an Ort und Stelle (im Korintherbrief) auf die göttlichen Verheißungen, heißt das aber nicht: auf ein durch die Abstraktion vermitteltes, wiederhergestelltes Vertrauen? Aber dieses „Ja und Amen“ ist ein aktives, gleichsam autonom gewordenes Ja und Amen; es erfüllt sich im Tun des Gebotes „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“. Die Welt nämlich ist unbarmherzig.
Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Meisters. (Jes 13, Buber-Übersetzung)
Zum Begriff der Versöhnung: Das Opfer kann sie gewähren, der Täter aber nicht einfordern. War es nicht der Konstruktionsfehler im Sakrament der Beichte, daß es das Opfer seiner Kompetenz zu vergeben beraubt und diese Kompetenz der kirchlichen Sakraments- und Gnaden-Verwaltung zugeeignet hat? Die Kirche hat mit Rind und Esel gemeinsam gepflügt. So wurde die Sünde zu einem Problem zwischen der isolierten Seele und Gott (mit der Kirche als vermittelnder Instanz); das Opfer und die Welt werden ausgeblendet, sie bleiben unversöhnt draußen. Das hat den Weg zur Bekenntnistheologie und zur Rechtfertigungslehre freigemacht.
In theologos: Auschwitz muß in jeder Hinsicht davor geschützt werden, als stellvertretendes Opferleiden mißbraucht zu werden. Aber galt das nicht auch schon seit je für den Kreuzestod Jesu, dessen opfertheologischer Mißbrauch jetzt, nach Auschwitz, vollends blasphemisch geworden ist? Heute wird Getsemane wichtiger als der Kreuzestod: mit dem Schlaf der drei „Säulen“, dem „Wachet und betet“ und dem Kelch.
Bezeichnet der Begriff der Schöpfung eigentlich den selben Sachverhalt wie das hebräische bara? Und ist das Konzept einer creatio mundi ex nihilo nicht eine Kompromißbildung?
Wenn die Wissenschaften ihrem eigenen Entwicklungsgesetz sich überlassen, verlieren sie sich im leeren Unendlichen (vgl. neben Astronomie und Mikrophysik die Biologie und die historische Grammatik).
Sind nicht Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie Hinweise darauf, daß je nach Kontext das Inertialsystem in sich selbst noch zu differenzieren ist. Verhalten sich nicht Gravitationstheorie und Elektrodynamik wie Esel und Rind, Last und Joch?
Die Materie bezeichnet das Schuldmoment an den Dingen, durch das sie dem Naturgesetz unterworfen sind.
Greuel am heiligen Ort: Heute wollen alle bloß frei sein von Schuldgefühlen, das aber heißt: frei sein von der Gottesfurcht, und dazu mißbrauchen sie die so blasphemisch gewordene Religion. Diese Religion ist nur noch ein Exkulpationsautomat, mit hochexplosiven gesellschaftlichen Folgen.
Am Ende des ersten Stücks im „Geist der Utopie“ heißt es: „Diesen (sc. den utopisch prinzipiellen Begriff, H.H.) zu finden, das Rechte zu finden, um dessenwillen es sich ziemt zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu haben, dazu gehen wir, hauen wir die metaphysisch konstitutiven Wege, rufen was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das Tatsächliche verschwindet – incipit vita nova.“ Zu den handschriftlich unterstrichenen Worten „bauen ins Blaue hinein“ findet sich in dem mir vorliegenden Exemplar aus dem Nachlaß von Heinrich Scholz die ebenfalls handschriftliche Randbemerkung: „scheint so“ (der nur wenige Seiten später dann eine ins Antisemitische eskalierende Bemerkung folgt: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um derlei Zeug zu verstehen“).
Die Tempelreinigung: Sind die Geldwechsler und die Taubenhändler nicht die Banken und die Kirchen? Markus ergänzt die Geschichte noch durch den Satz „und ließ es nicht zu, daß jemand ein Gefäß durch den Tempel trug“, während Johannes, die Stelle an den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu rückt (nach der Hochzeit in Kana), zu den Taubenhändlern noch die Verkäufer von Ochsen und Schafen nennt.
Die kantische Erkenntniskritik ist der Beginn der Selbstreflexion der richtenden Gewalt, die den historischen Erkenntnisprozeß durchherrscht (hierzu Reinhold Schneider: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häupten aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“).
Bietet der Satz von Rind und Esel nicht auf eine Hilfe zur Lösung des Problems der Fälschungen im Mittelalter? Das moralische Urteil (zu dessen Grundlagen die Historisierung des Vergangenen gehört) verstellt der Erkenntnis nur den Weg, während es darauf ankäme, die Zwangslogik, die den Vorgang beherrscht, endlich zu durchschauen: Auch diese Zwangslogik (die Logik des Rechtfertigungszwangs) gehört nämlich zu den nicht vergangenen Vergangenheiten, zu den Fundamenten der Gegenwart, in denen die Vergangenheit überlebt. Ist nicht die Logik der Fälschungsgeschichte zu einem Strukturelement der Aufklärung selber geworden, in die Strukturen der projektiven Erkenntnis und der modernen gesellschaftlichen Institutionen mit eingegangen (unterscheiden sie sich nicht gerade hierdurch von der Form der antiken Institutionen)? Und steckt nicht in der moralischen Empörung über diese „Fälschungen“ selber ein projektives, vom Rechtfertigungszwang erzeugtes Moment, das seine Erkenntnis verhindert? Gehören nicht die Fälschungen zusammen mit der Sage und der Legende zur Vorgeschichte der historischen Aufklärung wie die Astrologie zur Vorgeschichte der Astronomie gehört und die Alchimie zur Vorgeschichte der Chemie? Wie verhalten sich die Fälschungen zum vorausgehenden symbolischen Erkenntnisbegriff der Theologie? Gibt es einen inhaltlich bestimmbaren abgegrenzten Bereich (institutionelle Legitimation von Eigentumsrechten und Herrschaftsansprüchen), auf den die Fälschungspraxis sich bezieht (ihr Ort waren wohl die Schreibwerkstätten in den Klöstern und kirchlich-politischen Kanzleien)? Gehören nicht die Inquisition (die projektive Paranoia, die die Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung begleitet) und die Geschichte der Eucharistie-Verehrung (opfertheologischer Ursprung des Dingbegriffs als Teil der Ursprungsgeschichte des Inertialsystems; vgl. hierzu die Jericho-Geschichte, das Verbot, die zerstörte Stadt wieder aufzubauen und der mit dem Aufbau verbundene Fluch über die Erstgeburt und den jüngsten Sohn des Wiedererbauers) zu den Folgen der Fälschungsgeschichte und die Ausformung des katholischen Mythos, das Fegefeuer, die Ohrenbeichte, das Zölibat zu ihren Voraussetzungen (Zusammenhang mit der Geschichte der Legitimation der Gewalt, die ihre „naturwüchsige“ Qualität verliert, und der Verinnerlichung der Scham, beides Momente der institutionellen Selbstlegitimation, die im Inertialsystem in den Naturbereich sich ausdehnt)?
Hängen nicht die Fälschungen des Mittelalters mit einer frühen Phase der nominalistischen Aufklärung (den Anfängen einer aufgeklärten, historisierenden Bibel-Kritik, zu deren Vorläufern die Historisierung der Bibel seit Flavius Josephus gehört) zusammen? Die in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus und zur Vorgeschichte Hitlers gehörenden projektiven Rekonstruktionen der altorientalischen Geschichte sind späten Folgen der Historisierung der Bibel.
Das Barock hat die Bibel endgültig ins Erbauliche transformiert. Die Allegorie war das Instrument dieser Transformation (und nach Walter Benjamin der Totenkopf die Urallegorie). Gibt es einen Zusammenhang der Allegorie mit dem Nominalismus und der Eucharistie-Verehrung? Und war nicht die Transformation ins Erbauliche die Grundlage (der Hintergrund) für die historische Bibelkritik? (Hier wird das Daniel-Motiv – den Traum, den Daniel erklären soll, muß er zuvor erst finden – durch die Erfindungen des Traums, durch Fälschung, auf den Kopf gestellt.)
Wie hängt Kafkas Schauspieldirektor („er wechselt die Windeln des künftigen Hauptdarstellers“) mit dem Problem des Hahns zusammen?
Ist die Trennung von Wer und Was (von Feuer und Wasser) in der Konstruktion des Inertialsystems mit enthalten? Nicht zufällig führt die newtonsche Begründung des kopernikanischen Systems zum Deismus. Mit der Subsumtion des Falls unters Inertialsystem, mit seiner Neutralisierung im Gravitationsgesetz (mit der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen), ist die qualitative Unterscheidung von Oben und Unten auch neutralisiert: eigentlich das Inertialsystem als ein objektives System überhaupt erst begründet (oder aus seiner Vorstufe, dem Neutrum, erzeugt) worden. Gehört das Wasser zur Beziehung von Rechts und Links und das Feuer zu der von Oben und Unten (wie das Angesicht zu der von Vorn und Hinten)? Das aber heißt: Steckt im Wasser die verdrängte Kraft des Namens, wird die Urteilsform (der „Grund“ der Welt), werden Objekt und Begriff aus dem Wasser „geschöpft“, und ist das Nichts der Schöpfungslehre das Wasser (das Nichts des Begriffs)?
Hängt das hebräische esch/Feuer mit dem isch/Mann zusammen (wie das majim/Wasser mit dem ma/was)? Gibt es ähnliche etymologische Beziehungen bei dem griechischen und lateinischen Namen des Feuers (… und ignis)?
Hängen der griechische Pan (der Gott des mittäglichen Schreckens) mit dem lateinischen panis (Brot) zusammen? Hat der Pan etwas mit dem Schrecken Isaaks zu tun? Steckt im Pan der Schrecken des neutralisierten Angesichts (die Erfahrung des Angesichts in einer vom Neutrum beherrschten Sprache: das Angesicht des Hundes)?
Zwischen dem Brot und dem Korn steht die Mühle: Simson muß als Gefangener der Philister die Mühle drehen. In der Apokalypse ist die Rede von einer Stadt, in der der Gesang, das Geräusch der Mühle und die Stimme von Bräutigams und Braut nicht mehr gehört werden. -
23.2.1995
Die Kosmologie war seit je eine Legitimationswissenschaft; sie hat (als theoretisches Korrelat des Rechts) der Politik und dem Geschäft den Rücken freigehalten.
Last und Joch: Die Justiz produziert die Schuld, für die sie dann – wie das Inertialsystem für die träge Masse – das Maß liefert. Es gibt kein Schuldurteil ohne projektives Moment; jedes Schuldurteil reproduziert das Schuldverschubsystem und ist eine Quelle der Paranoia. Wie das funktioniert, läßt sich am Prozeß gegen Birgit Hogefeld ablesen: Die paranoiden Eingangskontrollen erhärten die Schuld der Angeklagten mehr, als jede Beweisführung es vermöchte. So entsteht der Eindruck, als sei die Beweiserhebung nur eine lästige Pflichtübung, von der man absehen könnte, wenn nicht die Verteidigung den Gang des Verfahrens, dessen Ergebnis ohnehin schon feststeht, durch unnötige Fragen und Anträge behindern und verzögern würde. Dem entspricht das gereizte Klima in der Verhandlung ebenso wie das Verhalten der polizeilichen Hilfsorgane, denen der Hinweis auf „diese“ Angeklagte zur Begründung und Rechtfertigung der schikanösen und entwürdigenden Kontrollen, die sie mit deutlicher Demonstration von Berufsstolz durchführen, genügt. Nirgends wird deutlicher, daß dieser Prozeß auch der Erhaltung und Stabilisierung eines Vorurteils dient. „Rechtsstaatlichkeit“ ist, wie es scheint, nur eine Formalie, die beachtet werden muß, um keinen Revisionsgrund zu liefern.
Noch dem Sohar ist es „das Ich …, das die Flut bringt“ (Ausgabe Diederichs, S. 119). Vor allem bei der Sintflut spricht Gott in der ersten Person Singular („ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vom Erdboden vertilgen“, „so will ich sie denn vom Erdboden vertilgen“ und „ich lasse jetzt die Sintflut über die Erde kommen“ – Gen 67,13,17), voher jedoch schon bei der Erschaffung Evas („ich will ihm eine Hilfe schaffen“ – 218), nach dem Sündenfall, beim Fluch gegen die Schlange („ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, …“ – 315) und gegen Eva („ich will dir viel Beschwerden machen bei der Schwangerschaft“ – 316); bei der Erschaffung des Menschen (Adam) spricht er (im Selbstgespräch) in der ersten Person Plural („laßt uns den Menschen machen“ – 126). Die weiteren Stellen, an denen Gott in der ersten Person Singular spricht, betreffen dann den Bund (mit Noe, mit Abraham), die Selbstoffenbarung im brennenden Dornbusch, die zehn Gebote, und welche anderen außerdem? Schließt z.B. in der Prophetie die Unterscheidung zwischen erster und dritter Peron, zwischen „ich, JHWH“ und „Spruch des Herrn“ (bei Ezechiel: „Ich, ich“ und „Spruch des Herrn, des Herrn“) eine inhaltliche Differenz mit ein, und welche Bedeutung hat das Ich Gottes in den Psalmen? Was hat es hiernach mit der Sintflut auf sich, was war im Sohar gemeint?
Der Sohar übersetzt Dt 3323: „Voll vom Segen JHWHs, West und Süden werden ihn erben.“ Der Satz steht im Segen des Moses über Naphthali, in dem dieses „West und Süd“ in der Regel mit „Meer und Süd (Meer und Mittag)“ übersetzt wird. Die Beziehung zwischen Meer und West mag in der Geographie Palästinas begründet sein, wo das Meer im Westen lag. Aber läßt sich die Möglichkeit apriori ausschließen, daß die symbolische Beziehung des Westens zum „Hinter dem Rücken“ (im Gegensatz zum Angesicht) und in diesem Kontext auch zum Meer, zum Wasser, mit hereinspielt? Zum Meer gehören die großen Meerestiere (Rahab, Leviatan, der große Fisch), und nicht zuletzt das „Tier aus dem Meer“ der Apokalypse (die Verkörperung der Leugnung des Angesichts). Die Hure Babylon, „die an den an den vielen Wassern sitzt“, gehört hierher, auch der Satz, daß das Meer am Ende nicht mehr sein wird. Die Philosophie beginnt mit dem Satz „Alles ist Wasser“, und sie endet mit dem Inertialsystem, durch das die Dinge in eine Perspektive gerückt werden, in der sie „von allen Seiten hinter dem Rücken“ gesehen, in eine Logik eingetaucht werden, in der sie nur noch sind, was sie für andere sind (genau das drückt der kantische Begriff der Erscheinung aus). Das, was sie „an sich“ sein mögen, wird im wörtlichen Sinne „liquidiert“: verflüssigt. Naturwissenschaftlich gehört das Wasser zur Festkörperphysik (und das Glas zu den flüssigen Körpern): Ist das Wasser nicht das Realsymbol des Relativitätsprinzips, der Identität des Starren mit der vollständigen Beweglichkeit in sich selber? Wie im Inertialsystem und im Geld lassen sich auch im Wasser Ruhe und Bewegung nicht unterscheiden. Aber bezeichnen nicht das Inertialsystem und das Geld den Übergang vom Wasser zum Feuer (der Sohar ergänzt: vom Was zum Wer), der im biblischen Namen des Himmels sich anzeigt?
Weitere Konnotationen:
– Das Ich und die Sintflut (das Wasser und die Manifestation des göttlichen Ich), oder Noah, der Weinbau, die Trunkenheit und die aufgedeckte Blöße, Ham und Kanaan.
– Die Feste und die Scheidung der oberen von den unteren Wassern.
– Jesus, das Meer und das Wasser; die Berufung von Fischern zu Aposteln; die Kirche und das Schiff.
– Die Hochzeit zu Kana und die Verwandlung von Wasser in Wein.
– Das Zeichen des Jona.
Erst mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird das Inertialsystem gegenständlich, konkret, materiell.
Die Orthogonalität (der „Seitenblick“ auf die Zeit, ihre Verräumlichung) ist der Grund des Relativitätsprinzips: der Einheit von starrer Form und absoluter Beweglichkeit, der Nicht-Unterscheidbarkeit von Ruhe und Bewegung, die gleichwohl als Natur und Welt (als dynamisches und mathematisches Ganzes: als Bewegtes und Ruhendes zugleich) unterschieden und getrennt werden. Gründet in dieser Konstellation nicht auch das Konstrukt der Orthodoxie, mit einer merkwürdigen genetischen Wechselbeziehung zur Objektivationsgeschichte insgesamt.
Befreiung der Kritik aus der projektiven Logik des Schuldverschubsystems: Erst wer die „Schuld der Welt auf sich nimmt“, hat es nicht mehr nötig, sie zur eigenen Entlastung nach draußen zu projizieren. Kritik, die diesen Namen verdient, zielt, anstatt auf die Fixierung des Kritisierten, seine Dingfestmachung, auf seine Auflösung: auf die Änderung der Welt. -
19.12.1994
Prigogine: die Postmoderne in den Naturwissenschaften.
Zum Weltanschauungstrieb der Naturwissenschaften: Kein Zufall, daß Prigogine sowohl den Snow (Die zwei Kulturen) als auch den Forman (Weimarer Kultur, …) zitiert.
Wenn Prigogine den Namen Boltzmann nennt, kann man davon ausgehen, daß er in erster Linie die Weltanschauung, und nur am Rande den physikalischen Sachverhalt meint.
Unberührt bleibt der in der Tat ungeheuerliche Gedanke, das Plancksche Wirkungsquantum zur Entropie in Beziehung zu setzen; nur daß dieser Gedanke verpufft, weil er das Konstitutionsproblem, das auf die spezielle Relativitätstheorie zurückweist, verdrängt. Der wichtigste Hinweis liegt darin, daß die gesamte Mikrophysik sich „jenseits“ der Lichtgeschwindigkeit konstitutiert, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Voraussetzung hat. Dieses „Jenseits“ hat die Atomistik zu einem Pseudo-Diesseits gemacht.
Die Beziehung des Gravitationsgesetzes zum Gesamtbereich der Erscheinungen, auf den die Lichtgeschwindigkeit sich bezieht, der mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich konstituiert, ist eine inverse, keine additive Beziehung. Der logische und historische Ursprung dieser Inversion liegt in der Geschichte der Theologie, in der Bekenntnislogik.
Die Physik als ein System allgemeingültiger Sätze, die zu den Erscheinungen im Verhältnis der Subsumtionslogik stehen, verwirrt den Erkenntnisbegriff.
Interessant an allen zeitgenössischen kosmologischen Theorien ist eigentlich nur noch das, was sie verdrängen.
Ist nicht diese ideologische Physik durchsetzt mit Wunschdenken, was kein Einwand wäre, wenn es nicht mit der Prätention aufträte, kein Wunschdenken zu sein, wenn es nicht mit der Unfähigkeit, sich selbst zu reflektieren, verbunden wäre? Diese Form des Wunschdenkens ist der im Hoffnungslosen verrottete Rest der Hoffnung.
Bemerkenswert an allen Versuchen, nichteuklidische Geometrien zu entwickeln, daß sie die „euklidische Geometrie“ logisch voraussetzten: Läßt eine „Krümmung“ anders als am euklidischen Referenzmodell sich bestimmen? Widerlegt werden sollte ohnehin nicht Euklid, sondern das kantische Konzept der subjektiven Form der äußeren Anschauung. Deren (ebenso mathematischer wie logischer) Kern aber war nicht das Parallelenaxiom, sondern die Orthogonalität: der innerräumliche Reflex seiner Beziehung zur Form der inneren Anschauung, zur Zeit. Aber waren das nicht schon Paradigmen der gleichen Konstellation, die seitdem rapide sich durchgesetzt hat: daß alle Angriffe schon im Ansatz als Niederlagen sich erwiesen, alle gleichsam die Züge des Harakiri trugen. Jeder Angriff steht unter der Zwangslogik des Begriffs, der sein Objekt verloren oder auch abgetrieben hat (steht unter der Zwangslogik der Paranoia und des Herrendenkens).
Wenn unsere Politiker gegen den Rechtsextremismus auf den Blick und das Urteil des Auslands verweisen, machen sie den Rechtsextremismus zu einem Selbstläufer, zu einem Perpetuum mobile, das an seinen entropischen Folgen scheitert.
Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus wird erst dann verstanden sein, wenn er als das Ende der Bekenntnislogik begriffen wird. Die Bekenntnislogik bleibt auf den Staat fixiert, gewinnt in dieser Fixierung ihre „Identität“. Wenn die raf-interne Diskussion immer mehr auf das Verhältnis „des Staates“ zu den Gefangenen sich zuspitzt, auf die Erhaltung der „Identität“, dann hat der Staat genau in dieser Zuspitzung der raf-Position auf das Recht, ein Bekenntnis zu haben (das ohne Feindbild nicht auskommt: und sei es das Feindbild „Staat“), bereits gesiegt. Er kann diese Gefangenen freilassen, weil sie jetzt auch draußen ungefährlich (nämlich berechenbar und kontrollierbar) geworden sind. Der Staat vermag seine Gegner auch an der langen Leine der Feindschaft noch in der Hand zu halten. Haben die Gefangenen nicht mit der Feindschaft gegen den Staat (mit der Paranoia) ihre Isolationshaft verinnerlicht (und ist die „Identität“, die sie sich nicht rauben lassen wollen, nicht der Schlüssel dazu)? Zur Frage, ob man den Staat hassen kann, wäre an die Antwort Gustav Heinemanns auf die Frage, ob er den Staat liebe, zu erinnern: er liebe seine Frau. Im Kontext des Bekenntnisses instrumentalisieren sich alle Objektbeziehungen, geht es nur noch darum, wofür oder wogegen einer ist; im Kontext des Bekenntnisses stirbt die Welt den Kältetod, als dessen Hypostase der Staat sich etabliert.
Hat nicht die raf (unterm Bann der Bekenntnislogik) seit je die Logik des Systems personalisiert?
Magischer Ursprung des Naturbegriffs: Wenn ein Kind sich an einer Tischkante stößt, ist der Tisch schuld.
Ist nicht alle Philosophie deshalb Bewußtseinsphilosophie, weil das Bewußtsein erst mit dem „Wissen“ entspringt, seine Organisation der Organisation und Logik des Wissens verdankt?
Alle Unschuld ist Schein.
Verweist der Satz, daß, was ihr auf Erden lösen werdet, auch im Himmel gelöst sein wird, nicht darauf, daß es ein Ungelöstes (noch Gebundenes) auch im Himmel noch gibt; und ist die Bindung dieses Ungelösten nicht das Werk der Kirche (was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein)? Hängt nicht das Binden und Lösen auf ganz andere Weise mit dem Bußsakrament zusammen: Hat dieses Sakrament das Lösen zu einem Teil des Bindens gemacht? -
18.11.1994
Ist die bei Paul Forman unterstellte „tiefe Feindseligkeit der Epoche gegenüber der Mathematik und Physik“ (S. 64) nicht ein Indiz für das paranoische Klima in den Naturwissenschaften seit dem Ende des Ersten Weltkriegs? Und liegen hier nicht die Ursachen für die wachsenden Rechtfertigungszwänge und die fortschreitende Ideologisierung der Physik? (Das erinnert an das Verhalten der Hermes-Schüler in dem gemeinsamen Seminar für Philosophen und mathematische Logiker in Münster in den fünfziger Jahren.) Die „starke Sensibilität und Anteilnahme an den sozialen Problemen“ scheint Paul Forman (ebenso wie die Rechtfertigungszwänge der Physiker in Deutschland in der Weimarer Zeit) zu den „grundsätzlichen, oft ausgesprochen antiwissenschaftlichen Regungen“ zu rechnen. (S. 65) Es ist ihm nur eine Anmerkung wert, daß die „Weimarer Akademiker“ „im großen und ganzen … in der Demokratie und in den republikanischen Institutionen die Ursache ihrer sinkenden Wertschätzung“ sahen (S. 88, Anm. 59). Notwendigkeit einer Analyse der Verstrickung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozesses in Rechtfertigungszwänge, ihrer Ursachen und Folgen. Diese Rechtfertigungszwänge haben ebensosehr innerphysikalische wie politisch-ökonomische Gründe. Ist Spengler an allem schuld (weshalb hatte Spengler diesen spektakulären Erfolg)? Hängt der Widerwille gegen das Kausalitätsprinzip als Erkenntnisprinzip (dessen Leugnung von Leuten, die gleichzeitig an der Konstruktion einer „Uranmaschine“, wenn nicht bereits der Atombombe, arbeiten, eigentlich nur noch komisch ist) nicht mit der Leugnung der Kriegsschuld, mit der faschistischen Verarbeitung der Niederlage und des Friedensvertrags von Versailles, zusammen (aber zweifellos auch ebenso mit den Problemen der Anwendung des Kausalitätsprinzips auf gesellschaftliche Zusammenhänge)? Die Attraktion des Begriffs des Schicksals (bei Spengler wie allgemein in der Weimarer Republik, vgl. S. 207) hängt mit der Schuldverarbeitung zusammen: Schicksal ist das Produkt der Neutralisierung (der Apersonalisierung) von Schuld. – Vgl. den genetischen Zusammenhang des Inertialsystems mit dem Schicksalsbegriff, die Verflochtenheit beider mit den Exkulpationsmechanismen. Liegt das, was Forman analysiert und als „Anpassung ans Milieu“ beschreibt, nicht ebensosehr in der inneren Logik der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Aufklärung in dieser Zeit wie in der Logik der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung? Wäre nicht aus der innerwissenschaftlichen Logik die gesellschaftliche Logik zu ermitteln? Paradigma: Änderung des Positivismus in der Entwicklung von Mach zum Wiener Kreis. Während es dem alten Positivismus noch um das transzendentallogische Problem der Konstitution des Objekts, der Beziehung der Theorie zu den „Empfindungen“, ging, ist der neue Positivismus zum reinen Rechtfertigungszwang geworden (deshalb die Neigung zur Paranoia – vgl. Heideggers objektlose Angst); für ihn scheint es keine Objekte mehr zu geben.
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2.11.1994
Aufs Wort gehorchen: Unterm Gesetz der Logik der Schrift wird das Hören zum Gehorsam. Durch diesen Gehorsam wird genau das unterbunden, was die Schrift ins Hören zurück übersetzen könnte: die Reflexion. Die systematische Unterbindung dieser Reflexion ist der Positivismus, dessen Unmittelbarkeit die durch die Logik der Schrift (paradigmatisch: durchs Inertialsystem) vermittelte ist. Modell des positivistischen Wissenschaftsverständnisses sind die mathematischen Naturwissenschaften.
Grund der Unfähigkeit zur Reflexion ist die Unfähigkeit zur Reflexion des subjektiven Apriori der Naturwissenschaften, der subjektiven Formen der Anschauung, die Angst, daß deren Verflüssigung einen Sturz ins Bodenlose nach sich zieht. Aber wäre diese Verflüssigung, die „Liquidierung“ der subjektiven Formen der Anschauung, nicht die Entzündung des Feuers (nach der Sintflut: next time fire)?
Das Plancksche Strahlungsgesetz beschreibt den Dingbegriff (das mechanischen Objekt) von innen: Hat es nicht etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun (Theorie des Feuers)?
Zu den Voraussetzungen des Inertialsystems gehört das Prinzip der Identität von träger und schwerer Masse. Bezieht sich hierauf das biblische Verbot, mit Ochs und Esel gemeinsam zu pflügen: das Joch und die Last in eins zu setzen?
Ist nicht die ganze Geschichte der Physik die Geschichte der Kritik ihrer eigenen Voraussetzungen und gleichzeitig die Geschichte der Verdrängung dieser Kritik? Darin liegt die Ursprungsgeschichte des Positivismus.
Ein Propädeutikum der Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung ist die marxsche Kapitalismuskritik, die Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung aber wäre die Voraussetzung der Erfüllung des Wortes, die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache.
Die Materie ist das gegenständliche Korrelat der Leugnung des Gottesnamens. Darauf bezieht sich das Wort des Täufers von der Sünde der Welt in Joh 129.
Das „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ heißt nicht: Seid hinterhältig (wie die Schlangen), sondern: Begreift den Hinterhalt, in dem ihr steckt.
Durch die Bekenntnislogik (eine Emanation der Logik der Schrift) ist der Faschismus auf die christliche Tradition als seinen Ursprung bezogen. Jedes Bekenntnis ist ein Schuldbekenntnis, und als Bekenntnis gehört es zur Logik der Schuldbefreiung. Die Bekenntnislogik macht von der exkulpierenden Kraft des Bekenntnisses Gebrauch unter gleichzeitiger Nutzung der verandernden Kraft der Weltbegriffs, seiner projektiven Schuldverschub-Automatik. Die Bekenntnislogik gehört zum Schuldverschubsystem (und weckt so das Strafbedürfnis gegen sie) und setzt die identifikatorische („gemeinschaftsbildende“) Kraft des „Glaubens“ (die aus der Zone der Schuld herausführt, den Gläubigen in die Gemeinschaft der Geretteten zurückführt: extra ecclesia nulla salus) dagegen. Hat nicht erst die lateinische Theologie das symbolum durch die confessio ersetzt? Der durchs Bekenntnis definierte Glaube ist der Schlüssel zum Schuldverschubsystem (eine Fortentwicklung der Logik des Begriffs). Hier liegt der Grund, weshalb der Confessor ein männlicher Heiliger war (und sein Gegenstück die Virgo).
An dem Punkt, an dem das Bekenntnis aus einer Sache der Märtyrer zu einer des Confessors wird, verrät Augustinus seine namenlose Geliebte, gerät das Bekenntnis in die Zwangslogik der Männerphantasien. Das Bekenntnis, das die Herrschenden fordern, leugnet das Bekenntnis (die Zeugenschaft) des Märtyrers: Hierauf bezieht sich die Geschichte der drei Leugnungen.
Die Bekenntnislogik, das Dogma und in ihrem Kern die Opfertheologie sind Produkte der Logik der Schrift. In ihnen erfüllt sich die Schrift und nicht das Wort. Mit der Bekenntnislogik, mit dem Dogma und mit der Opfertheologie tritt die Theologie in den Prozeß der Aufklärung ein.
Deutscher Umgangston: Anonymer Hinweis an einer Mülltonne vor einem Mehrfamilienhaus „Wissen Sie nicht, daß … Sie, ja genau Sie sind gemeint“. Das Ich des deutschen Idealismus ist ein Papier-Ich.
Zu Veerkamp, Vernichtung des Baal, S. 60: Unter welchem Busch saß Jona? Und gibt es eine Beziehung zwischen Hagar, Elijahu und Jona? Hat der Busch bei Hagar, Elijahu und Jona etwas mit den Bäumen des Paradieses, unter denen Adam sich versteckte, zu tun?
Ist nicht der Polizei- und Medienaufwand um die beiden Geiselnehmer in diesen Tagen ein Indiz dafür, wie stark der Ablenkungsbedarf (das Strafbedürfnis und das Vorurteilspotential) ist?
Das Votum für die Armen und das Votum für die Fremden hängt mit den beiden getrennten Elementen der Logik des Angesichts zusammen:
– das Votum für die Fremden verweist auf den Ursprung und den Widerschein der eigenen Fremdheit in der Fremdheit des andern; es ist die reinste Reflexionsbeziehung und zugleich die Evokation der Gottesfurcht;
– das Votum für die Armen bezieht sich auf das Verhältnis von Gericht und Gnade; es ist die Evokation der Barmherzigkeit.
Zur Dialektik der Paranoia gehört es, daß sie genau das ausbrütet, wovor sie sich fürchtet; ihr Ursprung wird in Heideggers objektloser Angst bezeichnet.
Das Neutrum und die durch es determinierten Grammatiken sind die Repräsentanten der Logik der Schrift in der Sprache.
Die mathematische Logik hat in der logischen Begründung und im Begriff des Grundes noch das teleologische Prinzip und in ihm die letzte Erinnerung an den Mythos erkannt; deshalb hat sie sie aus der Logik verbannt (und mit ihr die Argumentation aus dem Denken: Ursprung des autoritären Prinzips oder auch die ironische Erfüllung der Prophetie – Jer 3134).
Als Hegel die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik übertragen hat, hat er die Ästhetik in die Logik mit übertragen; sie erscheint hier unter dem Begriff des Scheins. -
19.9.1994
Das Lachen ist die Finsternis über dem Abgrund wie auch die dem Feind zugewandte Seite der Bekenntnislogik, die mit dem Feindbild zugleich den Inhalt des Bekenntnisses stabilisiert (Beziehung zur Opfertheologie). Das Lachen gehört ebenso wie die hierarchische Grundordnung, zu der es gehört, zu den Konstituentien einer durch Gewalt bestimmten Welt. Das Lachen steht in einem Systemzusammenhang mit dem Problem der Souveränität (Carl Schmitt); es definiert die Grenze zwischen dem Eigentlichen und dem Uneigentlichen, die Bei Heidegger als Produkt einer reinen Dezision („Entschlossenheit“) sich erweist. Das Stück Irrationalität, die Lücke, die das Lachen (der Dezisionismus) überbrücken soll, ist die systemische Lücke der Beweislogik. Nicht zwar überbrückt, wohl aber ausgelotet wird diese Lücke durch die theologische Idee der Barmherzigkeit, ohne die es eine Schöpfungslehre und die Lehre von die Lehre von der Auferstehung nicht gibt: sie sprengt den Natur- und Weltbegriff, indem sie die Trennung beider, die der eigentliche Grund des Lachens ist, aus dem Bann des Absoluten erlöst. Während im Schrecken (im „Grauen um und um“) die Schrift sich erfüllt, erfüllt sich das Wort in der Erlösung von diesem Bann. Die gesamte christliche Tradition hat die Erfüllung des Wortes mit der Erfüllung der Schrift verwechselt: Diese Verwechslung war der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen.
Man kann Carl Schmitt nicht widerlegen, wenn man die Lücke, die er mit seinem Begriff der Souveränität zu schließen versucht, bloß leugnet (vgl. Krockow).
Der Paulinismus hat mit dem Namen des Gesetzes (der in der Logik der Schrift gründet), die Erinnerung an die Lehre (die Voraussetzung der Erfüllung des Worts) gelöscht und nur deren Leichnam, das Dogma und die Eucharistie, übrigbehalten.
Hat Joachim Ritter nicht recht, wenn er das Lachen als ein Ingrediens des Weltbegriffs begreift? Das Lachen ist das Instrument der Trennung von Welt und Natur: Mit dem Lachen hält die Welt sich die Natur vom Leibe. Die Sprache bewegt sich nur noch in der zweiten Natur der Subjektivität, sie reicht an die erste nicht mehr heran (wie in Habermas‘ Kommunikationstheorie).
Aber Ritters Begriff der Subjektivität ist das Zeichen der Kapitulation vor der sprachfremden Objektivität, des Verzichts darauf, diese Objektivität mit der Vernunft zu durchdringen.
Joachim Ritter übersieht den blutigen Ernst des Lachens, seine doppelte Beziehung zum Mord, in dem es sowohl gründet als auch endet.
War nicht das homerische Lachen der Götter Ausdruck der Auseinandersetzung mit dem Schicksal: die Subjektivierung des Lachens war ein Nebeneffekt der Verinnerlichung des Schicksals (und des Ursprungs einer Gottesidee, zu der die Vorstellung gehört, daß Gott seiner nicht spotten läßt: Modell des heute vergesellschafteten Instituts der „Majestätsbeleidung“).
Ist der Mond die astronomische Verkörperung des Lachens? Das würde begründen, weshalb Hunde den Mond anbellen. (Und der Zyklus der Frauen hängt mit dem Mondzyklus zusammen.)
Gibt es innersprachliches Äquivalent jener Engel-Kosmologie, die die Paulus-Briefe auszeichnet (und u.a. in der kirchlichen Liturgie, in der Präfation, erscheint)? Ist das kreisende Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses die Verkörperung des Lachens (JHWH thront auf den Kerubim)?
Wenn Jesus nicht gelacht, dafür aber die Dämonen ausgetrieben hat, so ist das das genaueste Symbol der Erfüllung des Wortes.
In ihrer mystischen Tradition haben die Juden versucht, das Wort aus seiner Verstrickung in die Logik der Schrift zu befreien, während die christliche Tradition das Wort erneut der Logik der Schrift unterworfen hat.
Ist nicht das Deutsche die vollendete Entfaltung der Logik der Schrift? Und sind davon nicht die deutsche Klassik, die deutsche Musik und die deutsche Philosophie der vollendetste Ausdruck? Daß bei Schelling die Zukunft „geahndet“ wird (und nicht, wie es nach der Entfaltung des Weltbegriffs allein noch möglich ist, erinnert), ist hierzu ein Schlüsselwort: Spökenkieker mögen die Zukunft „ahnen“, geahndet wird nur die Schuld, in deren Zusammenhang die Zukunft mit dem entfalteten Weltbegriff irreversibel sich verstrickt.
Vgl. die Vermutung Gunnar Heinsohns, daß Darius (der Erfinder des gemünzten Geldes) der biblische Hammurabi ist (der erste, der das Recht der Logik der Schrift subsumiert, es zum Gesetz gemacht hat). Gegen das persischen Reich waren in der Tat das assyrische und das babylonische nur Vorstufen.
Hat der Ursprung und die Geschichte der Beichte etwas mit dem Ursprung und der Geschichte des Geldes (Heinsohn) zu tun? Auch hier wurde die Schuld in kleine Münze umgeformt, die am Ende als ganze eingefordert werden wird (Ursprung und Geschichte der Schuldknechtschaft, Geschichte der Banken).
(Liegt „meiner“ Interpretation der Geschichte der drei Leugnungen die matthäische Version zugrunde?)
Das typologische Schriftverständnis müßte im Kontext einer Kritik der Philosophie (einer Kritik der Geschichte der Logik der Schrift) sich sprachlogisch begründen lassen.
Nur die Schriftreligionen sind Weltreligionen.
Heute machen sich die Bücher mit dem Weltgericht gemein (mit wenigen Ausnahmen). Der Hegelsche Weltgeist ist das durch die Logik der Schrift gekreuzigte, gestorbene und begrabene Wort.
Mit dem Übergang vom Märtyrer zum Confessor, der dann die Geschlechtertrennung der Heiligen (den Ursprung der „Virgo“) nach sich gezogen hat, ist das Zeugnis der Wahrheit, das vorher das des Martyriums war, vergeistigt worden zur confessio: Hierdurch ist die Wahrheit in die Logik der Schrift zurückgenommen, in ein Herrschaftsmittelt umgeformt (und patriarchalisiert) worden. Die Logik der Schrift ist die Logik der Instrumentalisierung (oder auch die Logik der Vergegenständlichung, des Weltbegriffs).
Reflektieren nicht die Grammatiken allesamt den Punkt, an dem die Sprachen zu Schriftsprachen geworden sind?
Das Substantiv ist der Verdunkelungspunkt der Grammatik, das schwarze Loch, das alle Erkenntniskraft der Sprache in sich aufsaugt und nicht mehr herausläßt.
Wie kommt es, daß in den modernen romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) tendentiell das Neutrum wieder entfällt?
Gründet das Neutrum in der Angleichung von Ja und Nein (Ursprung der Reflexionsbegriffe).
Gehört nicht zur Bekenntnislogik als ihr Kern das Opfer der Vernunft? Der Ausgleich ist das Feindbild (Ursprung des Weltbegriffs).
Korruption und Verschwendung der Regierenden steigen mit der Not des Volkes.
Ist nicht jeder Staatskapitalismus zum Untergang verurteilt, sobald er beginnt, die agrarische Produktion zu vergesellschaften; liegt nicht hier die Quelle der Paranoia aller „sozialistischen“ Diktaturen, und gründet nicht hier der Mechanismus, der sie zwingt, am Ende von der eigenen Substanz zu leben? Und sind das nicht zugleich drastische Beispiele für die Folgen der Bekenntnislogik, die unvermeidbar waren, nachdem Kritik in ein Herrschaftsmittel verwandelt (der historische Materialismus zur Ideologie) wurde: für die Folgen Instrumentalisierung der Sprache, der Trennung einer sprachfreien Realität von der subjektivierten Sprache?
Der Wohlgesonnene ist für den Nationalgesinnten ein Sympathisant.
Der Staat gründet im Urteil, und das Gewaltmonopol des Staates ist das Prinzip der Selbstzerstörung der Sprache.
Der Grund, aus dem jede Ästhetik erwächst, ist die Reflexion. Auf diesem Boden von „realer Gegenwart“ zu sprechen (George Steiner) heißt: den Schein hypostasieren.
Der Satz „Das Eine ist das Andere des Andern“ fixiert mit der Konsequenz, die Hegel daraus zieht, den Blick des Anklägers und treibt die Barmherzigkeit aus (die jeder Ankläger mit den Dämonen verwechselt). Die Welt ist der Inbegriff der verandernden Kraft, und deren Repräsentanten im Subjekt sind die subjektiven Formen der Anschauung (und deren objektiver Grund wiederum ist die Logik der Schrift).
Zu Begriff der Spekulation: Das Subjekt, das sich in der entfalteten Reflexion zu verlieren droht, bedarf des Absoluten als eines Spiegels, in dem es sein Selbst entdeckt und wiedergewinnt. Dieses Absolute ist Subjekt, Gegenstand und Produkt der Spekulation. Der Grund, aus dem es hervorgeht und erwächst, ist der Schein. Bezieht sich hierauf nicht das Bild von der Konstellation Schlange, Adam und Staub (die Schlange frißt den Staub, den Adam produziert)? Der Dezisionismus, der nicht zufällig in der Lehre von der Souveränität gründet, ist das unfreiwillige Schuldeingeständnis des Absoluten. Und die Idee des Absoluten ist das Denkmals des philosophischen Erbes der Theologie. Durch die Idee des Absoluten ist die Theologie auf eine höchst ironische Weise zur Magd der Philosophie geworden.
Kopernikanisches System und Fernsehen: Das Inertialsystem ist die Schaubühne, auf der wir Autor, Regisseur und Schauspieler in einem sind, nur daß wir es am Ende als Zuschauer nicht mehr merken.
Verkehrte Welt: Der Weltbegriff ist die Einheit der Gegenständlichkeit des Wissens mit der Subjektivität der Natur. -
6.9.1994
Gründe zur Skepsis bei Duchrow:
– In den Bemerkungen über Luther bemerkt er nicht, daß ein Unterschied besteht zwischen der Kritik des (in die Fundamente der Gesellschaft mit eingebauten) „Wuchers“ und der (bloß moralischen) Verurteilung des „Wucherers“: zwischen dem Problem und seiner Personalisierung; vgl. hierzu das Verhältnis Jesu zur „Steuerfrage“ und seine Beziehung zu den „Zöllnern“.
– Schließt nicht die Personalisierung gesellschaftlicher Probleme immer ein projektives Element mit ein; ist sie nicht nur verständlich im Kontext von Exkulpationsstrategien?
– Ist nicht die Personalisierung ein Teil der Verdinglichung, und ist diese nicht ein christliches Erbe (das Ferment der Selbstzerstörung des Christentums)?
– Gibt es Wirtschaftsstrukturen, die zum Leben, und Wirtschaftsstrukturen, die zum Tode führen, läßt sich das so „klar“ trennen?
– Was versteht er unter der „Gottesfrage“ und unter einem „funktionierenden Gott“?
– Bezeichnet nicht die „Nische im Perserreich“ genau die Falle, in die Duchrow hineinrennt? Es unterstellt ein Stück Absicht und Planung (und hängt so mit der projektiven und zugleich paranoiden Logik der Personalisierung zusammen), während es die Irrationalität der Realität bestätigt.
– Erst die Logik der Verdinglichung macht eine spontane Aktion zum Gegenstand einer Organisation (Verwaltungsdenken). Wiederholen sich darin nicht zwangshaft die Strukturen der Entstehung der Kirchen, des Dogmas und der Bekenntnislogik (Zusammenhang mit der Vergegenständlichung als und durch Geschichte)?
– Verweist nicht der häufige Gebrauch des Begriffs „Zeichen“ auf den Zusammenhang des symbolischen Politikverständnisses mit der Bekenntnislogik (auf die Konstruktion des Schuldverschubsystems)? Das „Zeichen setzen“ drückt das Einverständnis mit dem Wertgesetz aus. „Zeichen“ sind die Buschtrommeln im Dschungel der entfremdeten Welt; sie sprengen nicht das Gesetz der entfremdeten Welt. Dagegen hilft nur eine rückhaltlose, von allen apologetischen Zwängen freie Erkenntnis. Jonas ist nicht nach Ninive gegangen, um alternative Gemeinschaften zu begründen, er hat nicht einmal zur Umkehr aufgefordert, sondern nur verkündet: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört.
Zusammenhang von Projektion und Paranoia.
Die Trennung von Realität und Sprache, Produkt der Urteilsform, gründet in den subjektiven Formen der Anschauung. Beide gründen im Gewaltmonopol des Staates, zu dessen Ursprungsgeschichte sie gehören. Die Befreiung von den sieben unreinen Geistern und die Lösung der sieben Siegel ist die konkrete Kritik des Gewaltmonopols des Staates und der Trennung von Sprache und Realität (die Bedingung der Erfüllung des Worts).
Die „invisible hand“ ist der Inbegriff der Gewalt, die hinter unserm Rücken sich aufrichtet (des Weltbegriffs, der „Sünde der Welt“). Deren Reflexion ist die einzige Möglichkeit, nicht zum Opfer ihrer Verstrickungen zu werden.
Ist die „invisible händ“ nicht die Hand, die das „mene, tekel u pharsin“ an die Wand schreibt?
Bleibt die Kritik der „Geldvermehrungswirtschaft“ nicht abstrakt, wenn man zugleich die Umsatzsteigerungen als Rechtfertigung alternativer Wirtschaftsformen benützt? Wer die Alternativen so am Realitätsprinzip mißt, ist schon in dem System gefangen, das er zu kritisieren meint.
Die Freude, die Duchrow den „Gemeinschaften“ zuschreibt, hängt mit dem Zeichensetzen logisch zusammen: sie gleicht der Euphorie, die zur Verdrängung der Agonie gehört (Ende der Bekenntnislogik).
Ist der Blutacker (hakeldama) das Symbol der Subsumtion des Ackers unters Tauschprinzip? Adam: mit dem Acker wird auch der Mensch unters Tauschprinzip subsumiert (gemeinsamer Ursprung der „Befreiung“ des Ackers aus seiner theologischen Bindung, der Schuldknechtschaft und Sklaverei, und der Lohnarbeit). Hängt nicht das faschistische „Blut und Boden“ mit dem hakeldama zusammen, und was drückt es eigentlich genau aus? Ist dieses Blut nicht das Blut der „Helden“, die den eigenen Boden verteidigt und fremdes Land erobert haben: Grund der staatlichen Eigentumsnahme? Und was hat das mit Judas Iskarioth, dem Verrat Jesu und mit den Hohepriestern zu tun? War nicht die erste Leugnung Petri die Leugnung vor der Magd des Hohepriesters?
Skinheads: die Engel des Hegelschen Weltgerichts. Deshalb gehören Friedhof- und Gräberschändungen zur Einübung rechtsextremer Gewalt.
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