Patriarchat

  • 13.9.1994

    Luise Schottroff weist nach, daß das „lineare Zeitdenken … blind (macht) für die Leiden der Gegenwart“ (Lydias ungeduldige Schwestern, S. 254). Deutlicher läßt sich die Beziehung der Philosophie (und in ihrer Folge der Wissenschaften) zur Prophetie nicht bestimmen. Das „lineare Zeitdenken“ verdankt sich der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; nur im Geltungsbereich dieser Subsumtion, die den prophetischen Kern der Erkenntnis sprengt, lassen die Dinge (als Erscheinungen im Sinne Kants) sich erkennen. Wahrheit gibt es nur im Kontext der „Leiden der Gegenwart“.
    Das lineare Zeitdenken macht nicht nur blind; es lähmt: Es ist der Grund des Trägheitsgesetzes nicht nur in der Natur. Das unter die Vergangenheit Subsumierte ist tot. Die „tote Natur“ ist es nicht „von Natur aus“, sondern als Reflex des Gesetzes, dem sie unterworfen ist: Produkt des Inertialsystems.
    Auch die Natur steht unter einem Wiederholungszwang, der zu sprengen ist, wenn der Bann unter dem die Natur steht, endlich gelöst werden soll. (Schreibt Paulus nicht immer dann, wenn er auf die Natur sich beruft, dummes Zeug? Dieser Naturbegriff ist determiniert durch den Stand der Herrschaftsgeschichte, der auch seine Beziehung zum Martyrium des Stephanus und seinen Namenswechsel zu berühren scheint.)
    Liegt nicht in dem Satz des Jeremias im Anblick der babylonischen Herrschaft (die als Ursprung und als Modell der römischen Herrschaft sich begreifen läßt): Betet für das Wohl der Stadt, die Wurzel der Beziehung des Christentums zu den Völkern (auch der paulinischen „Heidenmission“)? (Prophetisches Zwischenglied Sacharja 823?) Wird nicht dieser Paradigmenwechsel in seiner Kontraktion im Weltbegriff und in seiner Bedeutung für den Ursprung des Christentums analysierbar und bestimmbar? Weist nicht das erste Auftauchen eines Weltbegriffs (der den der Natur noch ungeschieden in sich mit begreift) bei Jeremias schon auf diesen Sachverhalt?
    Auch Schelling steht noch unter dem Bann des gleichen Naturbegriffs, den er zu durchdringen und zu begreifen sucht, wenn er im Anfang der „Weltalter“ schreibt, daß die Zukunft „geahndet“ wird (meinte er „geahnt“, oder hat er wirklich die Zukunft als Schuld verstanden?): Im Kontext der Kritik des Naturbegriffs müßte es heißen „erinnert“: Durch den Weltbegriff ist die Zukunft zu einem Gegenstand der Erinnerung geworden.
    Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit gehört zur Definition der Person. Zurechnungsfähig ist, wer für seine Handlungen rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Läßt die Tatsache, daß die Richter des Dritten Reiches niemals zur Verantwortung gezogen werden konnten, Rückschlüsse auf die Zurechnungsfähigkeit von Richtern zu?
    Wie hängt der Ursprung und die Geschichte des bestimmten Artikels (articulus: Gelenk, Knöchel, Knoten bei Gliedmaßen und Pflanzen) mit dem Ursprung und der Geschichte der Urteilsform (des „Seins“) und des Neutrums (oder auch der Orthogonalität) zusammen?
    Zu den Tätigkeiten der Sklavin Photis (bei Apulejus, Metamorphosen) gehört, daß sie neben den übrigen Diensten auch mit dem Gast schläft (Schottroff, S. 300). Liegt hierin der Hinweis auf den Zusammenhang von Herrschaft und Sexualität, gehört zum Herrenrecht auch das Recht auf die Sexualität des Beherrschten? Nur so läßt sich das kirchliche Votum zum Abtreibungsrecht erklären: Hier geht es um die letzte Stütze des Patriarchats.
    Hat das Martyrium des Stephanus (und die Rolle, die Saulus/Paulus hierbei spielt) etwas mit dem „Amt“ des Diakons: mit der Bedeutung des diakonein für das Selbstverständnis der frühen Kirche (mit der Rolle der „Hellenen“ und der Frauen in der frühen Kirche), zu tun? Waren nicht auch die Hörer der Pfingstpredigt des Petrus „Hellenen“?
    Gründet die Theologisierung des Vaternamens in der Zeitstruktur der Genealogie: Ist der Name des Vaters der Name der vergangenen Zukunft (Begründung des vierten Gebots, wobei das Gebot, die Eltern zu ehren, aus seinem patriarchalischen Bann zu lösen ist; nur so erweist es sich als ein Teil der Befreiung der Zukunft aus der Vergangenheit, die sie in Banden gefesselt hält)?
    An Hegels Diskussion des hic et nunc (des aristotelischen Quellpunkts der Philosophie) ist direkt nachzuvollziehen, daß und in welcher Form die Philosophie und der Begriff des Wissens dem linearen Zeitdenken und der Verdrängung des prophetischen Kerns der Erkenntnis sich verdanken (Ursprung des Inertialsystems). Im Inertialsystem gibt es das hic et nunc nur als mathematischen Punkt, als Korrelat des Relativitätsprinzips (als Stellvertreter des realen Objekts und als Produkt seiner Abstraktion vom Objekt).
    Wenn Luise Schottroff den Namen des Menschensohns durch den des „Menschlichen“ ersetzt, entschärft und entradikalisiert sie damit nicht diesen messianischen Titel? Der Name des Menschensohns ist kein Ehrentitel, keine Rangbezeichnung, er hat keine diskriminierende Wirkung nach außen, sondern er ist im wörtlichen Sinne ein Arbeitstitel: Erst der Menschensohn befreit das Patriarchat von seinem totemistischen Ursprung: Der Urvater des Patriarchats ist kein Mensch, sondern ein Tier; das Patriarchat steht im Symbol der Schlange, die den Staub frißt, aus dem Adam ward, und zu dem er wieder wird. Der Menschensohn wäre der erste Mann, der dem Patriarchat entronnen ist. Die Befreiung gründet im „Auf-sich-Nehmen“ der Last, die in Joh 129 bezeichnet ist, wie umgekehrt die patriarchalische Tradition des Christentums in dem opfertheologischen Konstrukt einer „Entsühnung der Welt“, das aller Erfahrung widerspricht: der Umkehrung von Joh 129, begründet ist.
    Hier ist an Adornos Kritik des „Ersten“ zu erinnern: Das Ursprüngliche, das Erste ist nicht das Vornehmere, das Ranghöhere; die Ideologie vom „Ersten“, mit der jede hierarchische Gesellschaftsstruktur sich zu legitimieren versucht, ist Teil der patriarchalischen Selbstverblendung. Der Menschensohn, das ist ein Name, der jede Rechtfertigung irgend einer Vergangenheit ausschließt, es ist der Name für die Befreiung der vergangenen Hoffnung aus der katastrophischen Geschichte, in der sie begraben ist.
    Zu Benjamins Bild vom Engel der Geschichte gibt es ein Gegenbild, das Adorno gelegentlich zitierte: das vom Mistkäfer, der den wachsenden Dreck der Vergangenheit vor sich herschiebt. Dieser Mistkäfer ist das Patriarchat, der Engel der Geschichte (den Jürgen Ebach in Lots Weib wiedererkannt hat) die Verpuppungsgestalt des Menschensohns? Erinnert diese Konstellation nicht an die Geschichte vom Sündenfall: an den Fluch über Adam (der den Dreck produzierende Mistkäfer), Eva (der Engel der Geschichte) und die Schlange (der von Adams Staub sich nährende und in der Geschichte wachsende Katastrophenberg)? Ist nicht die „Feindschaft zwischen der Schlange und dem Weibe“ die einzige, die nicht unters Gebot der Feindesliebe fällt?
    Tritt nicht die Philosophiekritik an die Stelle, die in der Geschichte der jüdischen Mystik einmal die Gematria innehatte?
    Die wachsende Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die fortschreitende Verweltlichung der Welt, die zur Selbsterhaltung und zum Konkurrenzprinzip keine Alternative mehr kennt, macht den Exkulpationstrieb, den Rechtfertigungszwang, unwiderstehlich; das Recht wird zur Opfertheologie des vergesellschafteten Rachetriebs; zur Bekenntnislogik, zum Weltanschauungsunwesen, das ohne Vernichtungskriege nicht sich erhalten läßt, gibt es keine Alternative mehr.
    Apologetik ist endgültig blasphemisch geworden: Zur Gotteserkenntnis gibt es keine Alternative mehr.

  • 11.9.1994

    „Männer beten für das Ende der Sünder; Frauen für das der Sünde – nur so geschieht die Umkehr der Sünder.“ (b Ber 10a, zit. nach L. Schottroff, S.170, Anm. 269) – Ist das Patriarchat der genaueste Ausdruck der Logik der Schrift?
    Die Schrift ist das Medium des Denkens anderer; darin aber gründet die Logik des Urteils, die mit der Schrift entspringt und im Weltbegriff sich entfaltet. Kern der Logik der Schrift ist die Urteilsform. Die Unfähigkeit zu kritischer Kommunikation gründet in der autoritären Beziehung zur Schrift, in der die Schrift (und mit ihr die Welt) anstatt zum Feld der Suche nach der Wahrheit, zum Urteil über den Lesenden/Hörenden („Gehorchenden“) wird. Die erste vergegenständlichte Gestalt der autoritären Beziehung zur Schrift (die erste Objektivierung der Urteilsform) war die Schicksalsidee, während die Prophetie die Kritik der Logik der Schrift in der Schrift gegen die Schrift entfaltet („Spruch des Herrn“). Die zweite Gestalt war der Dingbegriff: Die Objektvorstellung gründet in der Logik der Schrift.
    Kreuzweg: Grundlage der Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie war die Ausblendung des politisch-ökonomischen Hintergrunds und die Fixierung auf das physischen Ereignis.
    Die Philosophie ist die Protokollführung der Herrschaftsgeschichte.
    Wäre nicht das prophetische Votum für die Armen und die Fremden heute zu ergänzen durch das Votum für die Frauen? Nur: Während das Votum für die Armen und die Fremden gleichsam ein allgemein-menschliches Votum ist, ist das Votum für die Frauen in erster Linie die eigene Sache der Frauen. Gibt es hier einen Zusammenhang mit dem Becher der Unzucht der Hure Babylon?
    Mit dem Staub, aus dem Adam geworden ist, und zu dem er wieder werden wird, nährt sich die Schlange: Sie nährt damit ihre Klugheit (sie war das klügste aller Tiere des Feldes)?
    Ist nicht der Inhalt des Spekulativen bei Hegel das Selbst: Ist das Absolute nicht der an der Logik der Welt sich spiegelnde Narziss, der autistische Gott?
    Haben die Hegelschen Volksgeister nicht eine Affinität zu den Arten der Tiere, die nach Hegel ein Beweis dafür sind daß die Natur „den Begriff nicht halten“ kann?
    1 Kön 13: Eine hochsymbolische Geschichte (von den beiden Propheten). Beziehungen zum Buch Jonas?
    Ist die Flexion (Deklination und Konjugation) der Gegenstand der Reflexion?
    Durch das System der Deklinationen wird das Wort unter die Herrschaft des Inertialsystems gebeugt (wird die Welt zu „alle(m), was der Fall ist“).
    Zum bestimmten Artikel: Ist der bestimmte Artikel (die demonstrative Beziehung des Begriffs auf sein Objekt) nicht überhaupt der Katalysator der Deklination? Und gehört nicht zu dem et haschamajim w’et ha’arez im ersten Satz der Genesis das tohu wa bohu im zweiten Satz?
    Sprache und Schrift: Verdankt sich nicht die grammatische Durchbildung und Artikulation der Sprache der Schrift? So ist die hochdeutsche Sprache durch die Bibelübersetzung Luthers entstanden (und in unvergleichlicher Weise theologisch instrumentiert worden).
    Die res der lateinischen Sprache ist die res publica. Erst mit der lateinischen Sprache hat die griechische Naturphilosophie ihr Objekt verloren, das sie dann als Theologie wiedergefunden zu haben glaubte. Unterm Zwang der Logik des Weltbegriffs und der Bekenntnislogik ist sie zur Quelle der modernen Naturwissenschaften geworden.
    Erinnert Hegels Begriff des Prozesses nicht sowohl an das procedere, den Fortschritt, als auch an das juristische Verfahren der Urteilsfindung (mit Ankläger, Angeklagtem, Verteidiger, Zeugen und Richter)? Der juristische und der szientifische Beweis haben nicht zufällig den gleichen Namen.
    Hegels Hinweis auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte begründet seine Prämisse, daß es Geschichte erst seit der Geschichtsschreibung gibt. Was als Geschichte vergegenständlicht wird, ist durch die Schrift „ursprünglich“ objektiviert worden: Die Schrift ist der erste Zeuge der historischen Taten und Ereignisse (dem später erst die anderen, dinglichen Zeugnisse der Architektur, der Kunst und der Archäologie zur Seite gestellt werden).
    Bezeichnen die Objekte der Schöpfung: die Himmel und die Erde, die großen Seetiere und am Ende die Menschen, nicht drei Stufen einer Schöpfung, die insgesamt als Abfolge von Katastrophen und Rettungen zu begreifen wäre (und nicht als souveräne Tat eines gewaltigen, allmächtigen Schöpfers)?
    Die drei Leugnungen sind Stufen der Identifikation mit dem Aggressor (die drei Katastrophen, die der Menschwerdung: der Erscheinung des Menschensohns, vorausgehen): Insofern haben sie etwas mit der Beziehung von Lachen und Weinen (er ging hinaus und weinte bitterlich) zu tun.
    Hat Behemoth etwas mit der Geschichte der Hysterie (Christina von Braun: Nicht-Ich) zu tun (das vom Pharao gejagte Chaos-Tier mit im Sklavenhaus heimatloser Barmherzigkeit)?
    Das Gebot der Barmherzigkeit reinigt die Liebe von ihrer Ohnmacht gegen die Verführung durchs Selbstmitleid (im Wunsch geliebt zu werden erstickt die Fähigkeit zu lieben).
    Greuel am heiligen Ort: Die homousia ist die Nadel, mit der der zarte Schmetterling der Gotteserkenntnis aufgespießt, hinter Glas gesetzt und (als verdinglichte Trinitätslehre) dem blinden Anschauen preisgegeben worden ist.
    Sind die subjektiven Formen der Anschauung nicht Produkte der Potenzierung der Verstockung: das eiserne anstelle des hölzernen Jochs (Jeremias und Hananja)? Vgl. das Stichwort „eisern“ in der Stuttgarter Wortkonkordanz, Bibel von A – Z.
    Das Joch symbolisiert sowohl die Last der Herrschaft als auch die des Begriffs: vgl. im NT auch das Kreuz und die Sünde der Welt (Mt 1129.30, Mt 1038 und 1624, Joh 129). Der Weltbegriff „befreit“ von der Last des Joches durchs Schuldverschubsystem (der Weltbegriff ist der Inbegriff der vergesellschafteten Welt). Dagegen richtet sich das Wort von der Sünde der Welt, das zum Nachfolgegebot gehört. Für diese Last gilt das Wort: Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. Vgl. Rosenzweig: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr.
    Herrschaftskritik eröffnet die Erinnerungsfähigkeit und sensibilisiert zugleich (erlöst die Moral vom Bann der Moral).
    Gerichtssprache und Hoffnungssprache sind ineinander verschlungen: Die Hoffnung für die einen ist das Gericht über die andern. Hierzu gehört eine Vorstellung des Jüngsten Gerichts, in der es als Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht zu begreifen wäre. (Vgl. Schottroff, S. 230)
    Die Kopenhagener Schule ist die apokalyptische Weiterbildung der Einsteinschen Prophetie.
    Das Buch des Lebens: Heißt das nicht, daß wir am Ende in der Natur das entschlüsselte Buch der Geschichte lesen werden?
    Der Weltbegriff, Korrelat des Selbsterhaltungsprinzips und Produkt seiner Logik, rückt die Armen, die Fremden und die Frauen ins Dunkel, er ästhetisiert die Geschichte, transponiert sie in den Kontext des Inertialsystems, dem er durchs Relativitätsprinzip verbunden ist, durch das der logische Rahmen der Gegenwart zum Existenzrahmen der so ästhetisierten Geschichte (die Geschichte selbst zu einem Gegenstand der Vorstellung) wird. Der Weltbegriff immunisiert die Geschichte gegen die Erinnerung.

  • 14.6.1994

    Angriff auf die Barmherzigkeit: Mit fortschreitender Säkularisation, mit der Entfaltung, Ausbreitung und Stabilisierung des Inertialsystems (der Geldwirtschaft, der Bekenntnislogik), entfalten sich die Kräfte der Gemeinheit, die dann gegen jede Manifestation der Barmherzigkeit draußen, deren Regung im eigenen Innern sie um der Selbsterhaltung willen schon im Keim verdrängen müssen, sich zuspitzen. Gnadenlosigkeit wird zum Markenzeichen der „Persönlichkeit“ (Ursprung des „steinernen Herzens“). Eines der frühesten Warnsignale (dem der Ursprung der Psychoanalyse sich verdankt) war die diskriminierende Abwehr der letzten Erinnerung an die Barmherzigkeit, die im Namen der Hysterie sich ausdrückt. Ausdruck der Hysterie aber war ihr Name. nicht das, was dieser Name bezeichnen sollte (exemplarisches Modell des projektiven Erkenntnisbegriffs). Im Namen der Hysterie hat sich der Schoß geöffnet, aus dem der Faschismus gekrochen ist (Eichmann sprach immer von den Ideen, die er „geboren“ hatte). – War die Erfindung der Hysterie eine Vorstufe der Abtreibungsdiskussion?
    Die kirchliche Stellung zur Abtreibungsfrage wird wahr, wenn man sie auf die messianischen Wehen bezieht.
    Ist der gnostische Lösungsversuch des Weltproblems (Erschaffung der Welt durch einen Demiurgen, der dann allerdings, anstatt als Staat begriffen, durch projektive Verschiebung mit dem jüdischen Gott identifiziert wurde) nicht eng mit der paulinischen Tendenz, den Konflikt mit dem Römischen Staat auf die jüdische Tradition (das „jüdische Gesetz“) abzuwälzen, verbunden? War nicht die Gnosis überhaupt so etwas wie die – zwangsläufig aus dem christlich-jüdischen Urschisma folgende – Urhäresie, aus der die nachfolgenden häretischen Bewegungen (bis zum Verbrauch der häresienbildenden Kraft in der Reformation) sich müssen ableiten lassen? Das Urschisma, die Gnosis und die Verurteilung der Gnosis ist als Ganzes der dramatische Prozeß der ersten Leugnung.
    Atomphysik und die Umkehr: Ist das Atommodell die mathematische Parodie der Lösung der sieben Siegel (vorgestellt am Prozeß der Abfolge der Umkehr aller Richtungen in ihrem Ursprungspunkt)?
    Tod und Auferstehung haben etwas mit der Beziehung von Erde und Himmel zu tun (wer den Himmel leugnet, leugnet die Auferstehung). Und wenn Jesus in den Himmel aufgefahren ist, ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß der Name des Messias im Namen des Himmels mit erschaffen ist?
    Ist das Wort „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ nicht ein Hinweis auf die messianischen Wehen?
    In dem Feuer, das Jesus auf die Erde bringen wollte, und von dem er wünschte, es brennte schon, werden die oberen und die unteren Wasser wieder zusammengefügt.
    Die unverschämte (unkeusche) Dreistheit einer bestimmten Art des öffentlichen Auftretens von Katholiken (ein Exhibitionsmus, dem man ansieht, welche Mühe er hat, den Vergewaltigungstrieb in sich unten zu halten).
    Als das Christentum seinen Weg in die Welt hinaus begann, war es hilflos und wehrlos gegen die Philosophie und gegen den Römischen Staat.
    Das Objekt des Satzes „Herr vergib ihnen, …“ sind wir, denn wir wissen weniger den je, was wir tun (wir sind die 120 000 in Ninive, die rechts und links nicht unterscheiden können).
    Die Unterscheidung von oben und unten (Religion und Herrendenken) und von vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) ist relativ leicht verständlich zu machen, während die Unterscheidung von rechts und links (Gericht und Barmherzigkeit) ist die schwierigste. Das scheint damit zusammenhängen, daß diese Unterscheidung keine theoretische, sondern eine praktische Unterscheidung ist.
    – Mit der Unterscheidung von vorn und hinten hängt das Urschisma,
    – mit der von oben und unten die Gnosis und die daraus folgende Geschichte der Häresien,
    – mit der von rechts und links die patriarchalische Struktur der Kirche und der Sexismus zusammen; hier beantwortet sich die Frage nach der Hilfe im zweiten Schöpfungsbericht.
    Leben wir nicht in einer Welt, in der das Normale verrückt ist und das Verrückte der normale Ausdruck der Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit dagegen?
    Zu Umberto Ecos Sprachphilosophie: Es fehlt die Kritik des Neutrum.
    Drei Gestalten der Finsternis: die Nacht, die Farben und die Materie.

  • 31.5.1994

    Zu Heideggers Begriff des „Daseins“: Wird damit der Mensch nicht als einer definiert, auf den man zeigen kann? Vgl. hierzu Hegel: „Das Dasein ist als bestimmtes Sein wesentlich Sein für anderes.“ (Grundlinien der Philosophie des Rechts, 71, S. 78)
    Ist es nicht komisch und blasphemisch zugleich, wenn dieser Papst seinen Badezimmer-Unfall und das daraus folgende Leiden theologisch aufwertet, und d.h. in letzter Instanz mit dem Kreuzestod auf eine Stufe stellt? Dies ist nun wirklich das Ende einer immer schon vom Selbstmitleid durchtränkten Leidensmystik, Korrelat einer Opfertheologie, gegen die an das Wort zu erinnern ist: Barmherzigkeit, nicht Opfer. Dieses Konstrukt steht in der kirchlichen Tradition der Vergesellschaftung des Staubes und Privatisierung der Wehen.
    Wer Privatereignisse (und dazu gehört auch das „Sein“, wie überhaupt die Ontologie das Modell dieses Verfahrens bereitstellt) mit Bedeutungsmacht auflädt, ist in der Hybris gefangen: in der Hybris der Schamlosigkeit. Das Problem der Scham ist ein Problem des Takts, der Sensibilität (hier gründet die Logik des Greuels am heiligen Ort, des Greuels der Verwüstung). Das Werk der Verdrängung und des schlechten Gewissens, es gründet im Bereich des Schuldverschubsystems, zu dem die vom Tauschprinzip beherrschte (oder die staatlich organisierte) Welt geworden ist.
    Hat die Zornesröte ihren Ursprung in der Schamröte, ist der Zorn die zum Handeln sich kontrahierende Scham?
    Das Schuldverschubsystem, der zur Wut neutralisierte Zorn oder die transzendentale Logik des Geschwätzes (Hereinnahme des Objekts in die Urteilsform unterm Gesetz der subjektiven Formen der Anschauung).
    Gräberschändung: Kontrafaktische Urteile sind taktlos (Emanationen der Wut); sie brauchen die Vergangenheit, die sich nicht wehren kann, als Projektionsfolie der eigenen Verdrängungswünsche und Rechtfertigungszwänge.
    Geschichtsphilosophie: Dem Blitz des Matriarchats folgte der langanhaltende Donner des Patriarchats.
    Aleph, Beth, Gimmel: Was haben der Ochse, das Haus und das Kamel miteinander zu tun (wo gibt es Kamele in der Bibel, wer waren die Midianiter, wer hat Joseph nach Ägypten gebracht)?
    Gibt es eine Affinität der Logik der Schrift zum Symbol (oder zur Logik des Symbols) des Stiers?
    Das Tier von der Erde hat zwei Hörner wie ein Widder und redet wie ein Drache: Ist das Gottessohn-Bekenntnis nicht auch das Bekenntnis der Dämonen, und ist Petrus, der Jünger, der auch dieses Bekenntnis ablegt, nicht auch der Einzige, zu dem Jesus sagt: Weiche von mir, Satan?
    Wie verhalten sich die sieben Werke der Barmherzigkeit zur Lösung der sieben Siegel, und in welcher Beziehung stehen beide zu den sieben Sakramenten (zu den sieben Planeten)?
    Die Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern: Ist das nicht ihre Befreiung von der kirchlichen Versteinerung der Herzen?
    In welcher Beziehung steht das Verhältnis von Form und Materie zum Kelch und seinem Inhalt? Ist im Bilde des Kelches nicht doch alles eingeschlossen, was einen Inhalt hat: von Raum und Zeit (von den subjektiven Formen der Anschauung) über den Begriff bis hin zu den Gemeinschaften wie Kirche und Nation, alles, was sich äußerlich auf einen Inhalt bezieht?

  • 30.5.1994

    Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (mit dem Inertialsystem) setze ich auch die Gegenwart als vergangen: Das ist die Voraussetzung des gesamten historischen Abstraktionsprozesses. (Der Historismus setzt die Ausdehnung des Raumes über das ganze Universum voraus: Das Interesse an der Astronomie ist das Interesse an der logischen Durchgestaltung des Natur- und Geschichtsverständnisses, es ist identisch mit dem Interesse des Staates an seiner Selbstbegründung, mit seinem Legitimationsintersse.) Der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit korrspondiert das Heideggersche Vorlaufen in den Tod“: Ich setze mich als gestorben (und mache so die Todesangst gegenstandslos).
    Liegt die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum nicht darin, daß der Begriff des Eigentums auf die Anerkennung durch andere (das Recht und den Staat) abzielt, während der Besitz nur das Nutzungsrecht des Dings bezeichnet?
    Hängt das Suffix „-tum“ (in Eigentum, Reichtum, Christentum etc.) mit dem Ursprung des Dingbegriffs zusammen?
    Wurde die Todesstrafe, als sie abgschafft wurde, nicht in das reine Funktionieren der gesellschaftlichen Mechanismen, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, verlegt (Vergesellschaftung als kalte Exekution der Todesstrafe)?
    Zur Begründung der Sprachphilosophie gehört die Umkehr des Satzes „Der Ursprung ist das Ziel“: Das Ziel ist der Ursprung. Das Matriarchat liegt nicht vor dem Patriarchat, sondern ist ein Teil der in der Katastrophe des Ursprungs des Patriarchats aufblitzenden Utopie: Der Gedanke daran, daß es auch anders sein könnte.
    Double-bind-Falle Dritte Welt: Wir zwingen ihr die Verhältnisse auf, die die Barbarei hervorrufen, die wir dann zugleich verurteilen.
    Die Illusion, Richter über die Geschichte zu sein, gründet darin, daß wir uns selbst von den Untaten, die wir in der Vergangenheit verurteilen, heute durch Delegation an andere (an Gefängnisse, Schlachthäuser, Irrenhäuser und an die Diktaturen der Dritten Welt) freisprechen. Wir machen uns die Hände nicht mehr schmutzig.
    Wir brauchen die Sünde der Welt nicht mehr „auf uns (zu) nehmen“, sie lastet auf unsern Schultern.
    Sind wir nicht der Verführung erlegen, uns als „Spätgeborene“ als Erben derer, die je gesiegt haben, der Herrschenden, zu begreifen. So sitzen wir uns selber im blinden Fleck.
    Kohl ist in der Tat ein Historiker, aber einer, der sein Handeln im Blick der „Geschichte“ (die einmal ihr Urteil fällen wird) sieht. Die Logik dieses Konstrukts ist der Grund seines politischen Handelns und seines demagogischen Talents. So einer kann in der Tat durch „reines Zusehen“ (durch Aussitzen) Politik machen und durch Zuwarten die Opposition in die Fallen locken, in denen er sie dann unschädlich machen kann. Kohl ist der zum reinen Punkt zusammengeschrumpfte und dann wieder aufgeblasene Hegel. Sein karrierewirksamste Qualifikation: Er beherrscht die Technik des kontrafaktischen Urteils.
    Zum kontrafaktischen Urteil:
    – Hegels Kritik des Sollens und der Satz aus der Rechtsphilosophie („das Wirkliche ist vernünftig …“),
    – Nietzsches Essay „vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Kritik der Machtanbetung des Historikers, die Lehre von der ewigen Wiederkunft und vom Übermenschen),
    – Benjamins geschichtsphilosophische Thesen,
    – die Konversion Rosenzweigs (die Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
    – kontrafaktische Urteile und ideologische Geschichtsschreibung (Kollektivscham, Exkulpationsstrategien und Geschwätz),
    – die Selbstverblendung der Politik in Deutschland (im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“), Kohls Demagogiekonzept und die Instrumentalisierung des kontrafaktischen Urteils: Ick bün all do.
    Der, der wiederkommt, muß das unbedingt derselbe sein, der einmal da gewesen ist?
    Die Materie ist der Reflex der Totalisierung des Raumes im Objekt (wie unterscheiden sich die Beziehungen der Zeit und der Materie zum Raum?).
    Die Römer haben dem Staub den Namen der Mutter gegeben (Materie), damit jedoch die Erinnerung an die messianischen Wehen verdrängt. Aber diese „Mutter“ war tot, und so sind die Mütter zu Hexen, zu Herrscherinnen des Totenreichs, geworden.
    Im Griechischen heißt die Materie „hyle“ (Holz, Wald); hängt das damit zusammen, daß der Naturbegriff im Griechischen auf das Zeugen anstatt auf die Geburt verweist? Im Christentum wurde das Zeugen in die Trinitätslehre mit hereingenommen und vergöttlicht.
    Wenn die Propheten schon im Mutterschoß berufen waren, heißt das nicht auch, daß sie im Namen der Barmherzigkeit berufen worden sind? Wie diese Barmherzigkeit aussieht, ist der Verkündigungsgeschichte zu entnehmen, dem Magnificat („die Mächtigen stürzt er vom Thron“).
    Was in der Sprachlogik des Hebräischen, in ihrer Grammatik, fehlt, erscheint in ihr als Symbol (die Schlange). Versuch, die griechische und die hebräische Sprache anhand des Modells dieser Beziehung zu vergleichen?
    Die Heiligung des Gottesnamens setzt die Kritik des Dogmas (und der Bekenntnislogik) voraus und schließt sie mit ein.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Pforten der Hölle. Gründet nicht
    – der Raum in der Beziehung von Vorn und Hinten (in der Abstraktion vom Angesicht),
    – das Geld in der von Rechts und Links (in der Abstraktion von der Barmherzigkeit) und
    – die Bekenntnislogik in der von Oben und Unten (in der Abstraktion vom Himmel)?
    Und bilden sie nicht genau in dieser Folge den Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang?
    Ist nicht durch den Begriff der Schöpfung im Deutschen die Schöpfungslehre zu einem Teil des Trinkens aus dem Kelch geworden, und ist dieser Schöpfungsbegriff nicht eher aufs Kreditwesen bezogen als auf die Theologie? Ist er nicht eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff (aus dem Begriff einer creatio mundi ex nihilo)? Aber: die Schöpfung ist geschaffen, nicht geschöpft (und die Erschaffung ist etwas anderes als die Erschöpfung). – Aus welchen sprachlichen Wurzeln stammen das hebräische bara, das lateinische creare und das griechische ktizo?
    Die Kirche hat den Staub vergesellschaftet und die Wehen privatisiert (nach und aufgrund der Rezeption der griechischen Philosophie).

  • 23.5.1994

    Die rabbinische Interpretation von Dt 2123 (vgl. Hyam Maccoby, Mythmaker, S. 67f) ist ein eindeutiges Verdikt über das katholische Kruzifix. „Ein Fluch ist der Gehängte“: Das kann nicht für den Gehängten gelten (die paulinische Interpretation ist magisch), wohl aber für die, die ihn gehängt haben oder ihn (über Nacht oder über den Sabbath hinweg) hängen lassen. Die Christen haben diesen Fluch auf sich gezogen, indem sie ihn zum antisemitischen Symbol gemacht und in ihre Kirchen und in ihre Wohnzimmern hereingenommen haben. Kann es sein, daß das apokalyptische Bild vom „Tier von der Erde“ (Offb 3117) auf Paulus sich bezieht (es hat zwei Hörner „wie ein Lamm“ und „redet wie ein Drache“, die Zahl dieses Tieres ist die „Zahl eines Menschen“; hat diese „Menschenzahl“ etwas mit dem messianischen Namen des „Menschensohns“ zu tun: durch Umkehr – wie verhält sich die „Zahl“ zum „Sohn“)? Repräsentiert Paulus (und seine Theologie) den Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen? Klärt nicht die These, daß Paulus ein Heide war (in jedem Fall kein Pharisäer, kein rabbinischer Schriftgelehrter), eine Reihe von Problemen in seiner Theologie, vom Gesetzesverständnis über den Glaubensbegriff bis zur Rechtfertigungslehre? Insbesondere die paulinische Interpretation des Gesetzes ist fast ein Beweis für die Maccobyschen Thesen, die dann auch das Problem seines Namens (Saulus/Paulus) in ein neues Licht gerückt haben – sh. hierzu S. 95f. Durch Paulus ist das Christentum zur Weltreligion geworden, hat es die Fähigkeit gewonnen, die Welt zu durchdringen (ist damit jedoch selbst von der Welt durchdrungen worden). Was hat es mit dem „dritten Himmel“ auf sich (2 Kor 122, mit dem Problem der Selbstanonymisierung: hier schreibt Paulus von sich selbst in der dritten Person)? Ergeben sich die Affinitäten der Paulinischen Theologie zur Gnosis und zu den Mysterienreligionen der Spätantike nicht von selbst aus der Logik des Maccobyschen Konzepts (liegt die Lösung im Problem des „dritten Himmels“: er hatte die Herrscher der Planetenwelt, die „Archonten“, über, nicht unter sich)? Vorausgesetzt (und mit eingeschlossen) ist in der Stufe des dritten Himmels – das Licht (und der Ursprung des Angesichts), – die Erschaffung der Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt, und – daß auf der Erde das Trockene hervortritt und die Wasser an einer Stelle sich sammeln. Ist es nicht fast unerheblich, ob die Prämissen der Maccobyschen Konklusionen zutreffen; das Ergebnis stimmt: die paulinische Theologie ist so konstruiert, als wäre Paulus ein Heide, kein Jude und erst recht kein „Pharisäer“, gewesen. Ob er nun Jude oder Heide war, ist auch eigentlich uninteressant. Ist nicht die paulinische Theologie eine Theologie für Proselyten, geprägt von der Angst vor der Beschneidung (war Paulus beschnitten, und welche Bedeutung hat die Geschichte mit dem Nasiräer-Gelübde – Apg 2123ff)? Hängt die Archonten-Lehre mit der Angst vor der Beschneidung (und die Beschneidung mit dem „kreisenden Flammenschwert“ des Cherubs vorm Eingang des Paradieses) zusammen: mit der Verdrängung der Astrologie und der Beziehung der „Theologie hinter dem Rücken“ zur kopernikanischen Wende (mit der Verheißung, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, und dem bis heute unerledigten „was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“)? Aber hat nicht das Lösen ein Echo in der paulinischen Theologie, in dem Satz, daß die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet? Eine verrückte Frage: Hat Tarsus etwas mit Tarschisch zu tun (und ist Paulus der Jona redivivus)? Gibt es nicht gewisse Parallelen zwischen dem Schiffbruch vor Malta und dem Versuch des Jona, mit dem Schiff nach Tarschisch zu fliehen, und seiner Geschichte mit diesem Schiff? Im Kern der paulinischen „invention of Christianity“ stand die Erfindung des Glaubens: die Ablösung des „Glaubens“ von seiner Beziehung zur realen Erfahrung, die ihm den Schein der rechtfertigenden Kraft verleiht, seine Einbindung in die Bekenntnislogik durch Verletzung des Bilderverbots im Kern der neuen Gestalt der Subjektivität (durch Verinnerlichung des Opfers). „Ohne Ansehen der Person“: Wie verhält sich die Person zum Angesicht? Ist nicht das Ansehen der Person das vergesellschaftete (und so blasphemisierte) Angesicht, das in rechtlichen Zusammenhängen (in denen der Personbegriff sich konstituiert) als Maske (als Charaktermaske und als Pokerface) gegen das Gesehenwerden sich verschließt? Durch seinen Ursprung in der Maske verweist der Personbegriff auf magische (patriarchalische und sexistische) Ursprünge. In der Person wird nicht das Angesicht, sondern die gesellschaftliche Rolle (die „Persönlichkeit“) und die Unerkennbarkeit der Absichten angesehen: deshalb setzt Gerechtigkeit das Absehen vom Ansehen der Person voraus.

  • 14.5.1994

    Zum Begriff des Historismus: Eine der wesentlichen Funktionen der Geschichtsschreibung scheint es zu sein, die Vergangenheit den Rechtfertigungszwängen der Gegenwart zu unterwerfen, das Verstörende, Abweichende zu tabuisieren, zu verdrängen. In diesem Kontext entspringt das Bedürfnis nach kontrafaktischen Urteilen.
    Der Anwendung dieser Rechtfertigungszwänge verdanken sich auch die alten Kosmologien und der Ursprung des Naturbegriffs (Kausalitätsprinzip und Inertialsystem).
    Ableitung der Dreidimensionalität des Raumes aus dem Objektbegriff: Nur im dreidimensionalen Raum führt die Drehung um jede Raumachse in die Ursprungsorientierung zurück, allerdings um den Preis der Mathematisierung des Objekts, seiner Trennung von der Sprache. Das Objekt ist
    . Gegenstand des intentionalen Aktes (der den Raum im Rücken hat: Gegenstand der Anklage) und
    . Produkt einer Konstruktion, die die Form des Raumes (die Beziehung auf die drei Dimensionen des Raumes, die seine Identität begründen: durch Subsumtion unter die Vergangenheit, aber seine Beziehung zur Sprache verwirren) zur Grundlage hat.
    Es ist die Grundlage der Dingvorstellung, durch die alle seine Bestimmungen zu „Eigenschaften“: in eine Possessivbeziehung zum Objekt gerückt werden; sie werden instrumentalisierbar, veränderbar und austauschbar. Über den Objektbegriff werden die Dinge zu Dingen und beherrschbar. Der Objektbegriff ist der Statthalter des Herrendenkens in den Dingen: So ist er zum Systemgrund der idealistischen Philosophien geworden. Stecken nicht die Namen des Bösen, des Anklägers und des Verwirrers, in den Fundamenten des Objektbegriffs?
    In welcher Beziehung stehen die drei Dimensionen des Raumes zum gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang?
    Repräsentieren nicht Jupiter und Mars die Innen- und Außenseite des Staates, Venus und Merkur die der Privatexistenz?
    Astronomische Züge des Erkenntnisprozesses: Lichtpunkte, durch weite Dunkelzonen getrennt.
    Enthält Rosenzweigs Unterscheidung der chinesischen und indischen Welt Hinweise auf die Logik der Schrift?
    Hündische Philosophie: Jedes absolute Urteil tilgt die Spuren eines vorhergehenden absoluten Urteils (Hegels Logik: die Geschichte dieses Spurentilgens). Ist nicht der Hund die Inkarnation der Exkulpationslogik?
    Im Begriff der Materie, des Objekts, auch der Natur, werden die Zukunft und die Vergangenheit in der Sache zusammengeschlossen. Die Wahrheit hat einen Zeitkern, das heißt nichts anderes, als daß es einen Aktualitätskern des Gottesnamens und des göttlichen Angesichts gibt.
    Erst mit Kopernikus, mit dem heliozentrischen System, konstituierte sich der Raum als subjektive Form der Anschauung, wurde der Fähigkeit, zwischen Rechts und Links zu unterscheiden, der Boden entzogen.
    Zieht nicht der Gebrauch des Tetragrammaton in der Bibelwissenschaft die Konsequenz aus der Geschichte der Theologie hinter dem Rücken Gottes: Ist es nicht der autistische, seiner Sprache beraubte Gott, dem man am Ende auch das Ich aus dem Munde nehmen kann?
    Der Satan und der Teufel sind durch Personalisierung neutralisiert, und damit zugleich zu Quellen des katholischen Mythos geworden. Hat die Kirche in diesem Mythos nicht ihren eigenen babylonischen Turm gebaut, indem sie den Stein, der der Eckstein hätte sein sollen, verworfen hat. Ist nicht die jahwistische Urgeschichte das Modell, das prophetische Bild der Kirchengeschichte:
    – das Bild der Rezeption der Philosophie und des Weltbegriffs: die Sintflut,
    – das Bild des Dogmas, der Orthodoxie: der Turm von Babel;
    – wer aber waren die Gottessöhne, die die Schönheit der Menschentöchter erkannten, und wer war Nimrod (der Erbauer der großen Stadt und der gewaltige Jäger vor dem Herrn)?
    Wird das Verständnis der Apokalypse durch Ängste blockiert, die reflektiert werden müßten, um an den Sinn der apokalyptischen Motive heranzukommen? Es sind die gleichen Ängste, die durch den Weltbegriff ontologisiert worden sind.
    Trägt die Fundamentalontologie nicht suizidale Züge (die u.a. in dem Bild des Vorlaufens in den Tod anklingen und mit dem heroischen Gestus, dem europäischen Pendant des Harikiri, zusammenhängen), und ist insbesondere das In-der-Welt-Sein nicht die Schlinge, in die das von objektloser Angst bestimmte Dasein seinen Kopf steckt? Auf diese Schlinge bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen.
    Warten auf Godot: In der Ankunft des Seins hat Heidegger die Erlösung von der Last der Verantwortung und vom Subjektsein und die Verwandlung (die Regression) in das schuldlose Dasein der Existenz und der „Eigentlichkeit“ erwartet.
    Standes- und Liegenschaftsamt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ursprung des Patriarchats und des Eigentums an Grund und Boden? Formalisierte Formen der Eheschließung (mit Eintragung in Registern) scheint es nur dort zu geben, wo es auch formalisierte Besitzrechte an Grund und Boden gibt (ebenfalls mit Eigentumsregistern).

  • 6.5.1994

    … ut adnuntietur nomen meum in universa terra (Röm 917, vgl. Kurt Flasch: Logik des Schreckens): Das Universum war zunächst ein Adjektiv, auf den Namen der Erde bezogen. Ist die (matriarchale) universa terra (und erst in seiner Folge das patriarchale Universum, das den Himmel mit einbezieht und so das Universum zum All gemacht hat) eine Folge der Venus-Katastrophe? Ein zentraler Mangel der Analysen Flaschs ist selber christliches Erbteil, das in ihre Prämissen mit eingegangen ist, von dem sie nicht sich zu lösen vermochte: nämlich die Vorstellung, die Erlösung beziehe sich (als Rechtfertigung) nur auf die einzelnen Subjekte und lasse die Welt unberührt. Damit verbunden ist ein zweiter, ebenfalls aus der christlichen Tradition sich herleitender Mangel: daß die Kategorien, in denen er Gott vorstellt und begreift, politische Kategorien sind; er sieht Gott im Bilde des Monarchen. Beides sind Folgen des unreflektierten Weltbegriffs, unter dessen Herrschaft es zum Selbsterhaltungsprinzip keine Alternative mehr gibt, und dessen Ursprung auf den Monarchen und den Staat (die Verkörperungen des Absoluten) und nicht auf Gott (auf den Namen Gottes, der erst im Kontext der Weltkritik, der „Heiligung des Gottesnamens“, sich bildet) zurückweist. Kann es sein, daß der paulinisch-augustinische Begriff der justificatio erst nach der sprachgeschichtlichen Trennung von Ding und Sache und im Kontext der hier entsprungenen Bekenntnislogik zur Rechtfertigung geworden ist, daß er an Ort und Stelle mit „Gerechtmachung“ (ähnlich wie fides mit Treue, und nicht mit dem auf den Gegensatz zum Wissen fixierten „Glauben“) zu übersetzen wäre? Folgen des Weltbegriffs: – Ontologisierung des Selbsterhaltungsprinzips, des Staates und der Herrschaft, – Hermann Cohen, Franz Rosenzweig und Emanuel Levinas: . die Attribute Gottes sind Attribute des Handelns, nicht des Seins, . die Umkehr (als erkenntnistheoretische Kategorie), der Name (ist nicht Schall und Rauch) und das Angesicht (nicht die Seele und nicht die Person ist das Ebenbild Gottes), . Ethik als prima philosophia. – Ausschließung der Herrschaftskritik, Konstituierung der Sexualmoral (Trennung der Sexualmoral von der Herrschaftskritik), – Beziehung von Namen und Begriff, Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (Prophetie und Philosophie: Liquidierung des Aktualitätsbezugs der Prophetie durch das tode ti; vgl. hierzu Hegels Analyse des Hier und Jetzt), – Trennung von Natur und Welt, Konstituierung des Wissens, Subsumierung der Zukunft unter die Vergangenheit (Vorstellung einer homogenen Zeit), – Konstituierung der mathematischen Raumvorstellung, Ursprung des Naturbegriffs (von der Astronomie zum Inertialsystem), – zum Begriff der Erscheinungen: die Wahrheit liegt nicht „hinter“ den Erscheinungen, sondern bezieht sich durch Umkehr auf die Erscheinungen, – Inbegriff des Schuldverschubsystems (Ursprung des Neutrum, „indogermanische“ Rekonstruktion der flektierenden Sprache), – Ursprung des Weltbegriffs (Philosophie/Mythos, Staat/Recht, Zivilisationsschwelle, Barbaren/Hebräer): Tempel und Opfer, Privateigentum und Geldwirtschaft, Ursprung der Schrift, – Weltkritik als Herrschaftskritik und Erinnerungsarbeit: Sensibilisierung, – Apokalypse, die sieben Siegel (Maria Magdalena und sieben unreinen Geister), Welt und Tier (die zukünftige Vergangenheit und die vergangene Zukunft), der Menschensohn, – die drei Leugnungen, das Binden und das Lösen, – Kant, Hegel und der Weltbegriff (die subjektiven Formen der Anschauung und das Anderssein des Einen), – Theologie im Angesicht Gottes und hinter seinem Rücken, – der Deckel auf der Vergangenheit (Begründung des Wissens und der Natur) und die Idee der Auferstehung, – Welt und Sündenfall („die Welt ist alles, was der Fall ist“): Der Sündenfall ein Sprachproblem? – Joh 129 und Kants Definition des Weltbegriff, – Weltbegriff antisemitisch, paranoid und frauenfeindlich, oder der Weltbegriff und die Bekenntnislogik, – die Konstituierung der Bekenntnislogik als exkulpatorische Logik und die Begründung des Geschwätzes, – der Weltbegriff, das Weltgericht, oder das Jüngste Gericht als das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht, – der Haß der Welt und die Idee des Parakleten, oder die Sünde wider den Heiligen Geist, – Verdinglichung und Instrumentalisierung, oder der Kreuzestod und die Opfertheologie, – Trauer- und Erinnerungsarbeit, oder Theologie nach dem Weltuntergang (Theologie und das descendit ad inferos, oder Auschwitz und die Naturwissenschaften), – „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“? – 1905, die Weltkriege, oder die Katastrophe der Marktwirtschaft, – Gunnar Heinsohn oder die Geschichte der Banken, – die Eucharistie und das Ding, oder die Geschichte der Theologie als Geschichte der drei Leugnungen, – Kanaan und die Philister: . der Exodus und die Landnahme sind gegen Kanaan gerichtet (Eroberung Kanaans), . die Begründung des Königtums erfolgt im Kampf gegen die Philister; aber das Königtum erliegt dann der kanaanäischen Verführung, – mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist in den neuen Erkenntnisbegriff und in die Konstituentien des Wissens ein projektives Moment mit eingegangen (Barbaren, Natur und Materie), – der Weltbegriff, die Unfähigkeit zur Sprachreflexion und der Fundamentalismus (das augustinische „ad litteram“ – Augustinus hat den Genesis-Kommentar nach 397 geschrieben – durch dieses „ad litteram“ wurde der prophetische Teil des Schöpfungsberichts neutralisiert, gelöscht, storniert, wurde er in die fundamentalistische Beziehung zur Natur gerückt), – Welt und Computersprache: cancle (löschen, beenden) und quit („quittieren“, Quittung), – mit der Lösung der Theologie aus den Verstrickungen des Weltbegriffs (den Verstrickungen des Andersseins) gewinnen auch die evangelischen Räte ihre wirkliche Bedeutung zurück: . aus dem Gehorsam wird das Hören, . aus der Keuschheit die Herrschafts- und Vergewaltigungskritik. Die Inquisition und der Terror, die Kurt Flasch zu Recht auf die augustinische Gnadenlehre zurückführt, sind Folgen der Verstrickung der Theologie in den Weltbegriff. Mit der dritten Leugnung wendet sich dieser Terror selbstzerstörerisch nach innen (der Greuel der Verwüstung). Hier verfängt sich die Kirche in der Logik ihrer Sexualmoral (es war die gleiche Logik, die Augustinus dazu gebracht hat, die Erbsünde in die concupiscentia zu verlegen (Ursprung des Biologismus und des Rassismus), anstatt sie in der Urteilslogik und im Weltbegriff zu erkennen). – Wird nicht das Wahrheitsmoment an der Trennung von Ding und Sache durch die Unterscheidung von Zorn und Wut ins Licht gerückt (im Kontext der alten res waren sie nicht unterscheidbar)? Hier (in dem Unvermögen, zwischen Wut und Zorn zu unterscheiden) liegt der Grund der augustinischen Verwirrung. Ist nicht das „Alles ist Wasser“ im „Satz des Thales“ (in der Erkenntnis der Orthogonalität) begründet? In der Tat „brütet der Geist über den Wassern“, aber am zweiten Schöpfungstag wurden diese Wasser durch die Feste des Himmels in die oberen und unteren Wasser geschieden. Ist diese Scheidung die Scheidung von oben und unten, und das als eine Trennung in den Wassern? Ist nicht das Wasser der Name, in dem die Trennung von oben und unten gründet, und ist das Wasser nicht deshalb in der Taufe das Symbol der Umkehr (während die Trennung von Licht und Finsternis der Trennung von vorn und hinten, dem Quellpunkt des Angesichts, zugrunde liegt; nur geht hier die „Finsternis über dem Abgrund“ dem Licht voraus)? Ist die Trennung von rechts und links die letzte: das Gericht (die Feuer der Hölle) und die Barmherzigkeit – Gegenstand einer Theorie des Feuers: – vorn/hinten: das Angesicht, – oben/unten: der Name, – rechts/links: das Feuer? Der Weltbegriff oder die Identifikation mit dem Blick von außen (Selbst- und Objektwahrnehmung durch den Blick von außen hindurch). Führt nicht das Konzept der „Umwertung der Werte“ zwangsläufig in die Konstrukte der Verzweiflung: in die Lehre vom Übermenschen und die Idee der ewigen Wiederkehr des Gleichen?

  • 5.5.1994

    Die gesamte augustinische Philosophie, von der Erbsünden- und Gnadenlehre bis zum entfalteten katholischen Mythos, wird durchsichtig, wenn man das ohnmächtige Aufbegehren gegen die Verstrickung in den Weltbegriff darin erkennt. Ist nicht die „Kultur“ in der modernen Welt (in deren Licht die Kultur der alten Welt erst zur abgehobenen Kultur geworden ist) der Astrologie und dem Mythos (und ihrer Stellung in der Realität der alten Welt) vergleichbar. Logos wird ins Lateinische mit Verbum übersetzt (ins Deutsche mit Wort). Dem Lateinischen zufolge wäre der Logos das Substrat der Konjugationen, im Deutschen der Konjugationen und Deklinationen (Grund des Dingbegriffs, der Trennung von Ding und Sache). In welchen Kontext gehört der Logos-Begriff selber (der nicht mit dem Namen identisch ist)? Ist der Logos der „Sohn“ des göttlichen Namens? Ist die Differenz zwischen Logos und Verbum ein Reflex der Differenz zwischen den Flexionssystemen, den Grammatiken des Lateinischen und Griechischen, und zugleich der Grund der Differenz zwischen der lateinischen und griechischen Theologie (Bedeutung Tertullians)? Ist nicht das Lateinische überhaupt ein sehr viel tiefer und sehr viel mehr vom Zeitlichen (vom Verbalen) tingiertes Griechisch? Gibt es eine lateinische Entsprechung zur griechischen theoria, und gibt es ein griechisches Modell für die lateinische scientia? Wird die Gesamtgeschichte nicht durch zwei Totalitätsurteile bestimmt: durch die Trennung von Welt und Natur in der alten Welt, und durch die Trennung des Dings von der Sache in der modernen Welt? Die Geschichte der christlichen Theologie ist die Geschichte der Transformation von der ersten zur zweiten Trennung: Zwischen beiden liegen die Trinitätslehre, die Opfertheologie und die Vergöttlichung Jesu, und das Resultat dieser Transformationsgeschichte ist die Bekenntnislogik, die von der verdinglichten Welt nicht mehr zu trennen ist. Während alle Kosmologien sonst Reflexe und Rechtsfertigungsprodukte der Staatenbildung (des Ursprungs der Organisation einer vom Privateigentum beherrschten Gesellschaft) sind, ist nur der biblische Schöpfungsbericht herrschaftskritisch, prophetisch, messianisch (antikanaanäisch). Die Redundanz oder die Reflexivität der Systeme ist der Grund ihrer Verselbständigung gegen die Sache, der Grund und der Ausdruck der Lähmung und Blendung (der Verknüpfung von Trägheit und Finsternis, die ihre gemeinsame Wurzel im Inertialsystem haben, wie auch das Inertialsystem erst nach der Begründung des Gravitationsgesetzes und der physikalischen Optik sich konstituiert hat). Modell dieser Redundanz und Reflexivität ist die mathematisch entfaltete Raumvorstellung (die Konstituierung des Raumes als subjektiver Form der äußeren Anschauung). Zum Ursprung der Philosophie: Das Wasser ist „teuflisch“, der Begriff „satanisch“. Sind so nicht beide Symbole (wie in ihrer Folge die Begriffe Natur und Welt) aufeinander bezogen? Die durch die subjektiven Formen der Anschauung hindurch konstituierte und begriffene Welt ist die gerichtete Welt. Deshalb gehören die subjektiven Formen der Anschauung zu den Grundlagen der Urteilstheorie. Als Morgenstern und Abendstern ist die Venus die Einheit von Osten und Westen, von vorn und hinten: Hat das etwas mit der Venus-Katastrophe zu tun? Die Erkenntnis, daß Morgenstern und Abendstern identisch sind, hat die Erde zur Totalität (zum Vorbegriff der Welt) zusammengeschlossen. Hängt diese Erkenntnis mit der der Vaterschaft (und dem Ursprung des Patriarchats) zusammen?

  • 25.4.1994

    Eine Kritik der politischen Ökonomie heute müßte auch die Astronomie durchsichtig machen.
    Zur Geschichte des naturwissenschaftlichen Freiheitsbegriffs: Sie beginnt mit dem liberum arbitrium, Reflex der Freiheitsgrade des Raumes und Produkt der Neutralisierung der Richtungen im Raum, und sie endet mit dem Freiheitsbegriff der Quantenphysiker, der an die Unbestimmtheitsrelation und das Komplementaritätsprinzip sich anlehnt (als falsches Bewußtsein der Freiheit vom Zwang des Inertialsystems).
    Im Begriff der Weltanschauung enthüllt sich die Bekenntnislogik als (patriarchale und sexistische) eine subjektive Form der Anschauung: Der Krieg Hitlers gegen die Sowjet-Union war als Weltanschauungskrieg ein Vernichtungskrieg (wie jetzt wieder der Bürgerkrieg in Jugoslawien). Weltanschauungen gibt es nur unter der Voraussetzung des „naturwissenschaftlichen Weltbildes“; der Begriff der Weltanschauung rückt die logische Beziehung der Bekenntnislogik zur subjektiven Form der äußeren Anschauung, zum Raum, ins Licht.
    Daß die transzendentale Ästhetik in dreifacher Gestalt sich präsentiert: als Form des Raumes, in der Logik des Geldes und als Bekenntnislogik, ist selbst wieder in der Form des Raumes begründet, im Problem der „drei Abmessungen“ des Raumes, in seiner Dreidimensionalität, darin, daß diese drei Dimensionen entgegen der Form ihrer mathematischen Beziehung im Raum nicht gleichwertig, nicht äquivalent, sind. Ihre mathematische Äquivalenz ist selber bereits Produkt der dreifachen, selbstreferentiellen Abstraktion. Das „von allen Seiten hinter dem Rücken“ konstituiert sich in der Abstraktion
    – von der Umkehr,
    – vom Namen (von der benennenden Kraft der Sprache) und
    – vom Angesicht,
    wobei
    – der Raum primär die Differenz zwischen vorn und hinten,
    – das Geld die zwischen Rechts und Links und
    – das Bekenntnis die zwischen Oben und Unten
    neutralisiert und in dieser Neutralisierung sich konstituiert.
    – Das Bekenntnis ist der Quellpunkt des autoritären Charakters,
    – das Geld der Quellpunkt der verdinglichten Welt und
    – der Raum der Quellpunkt des Absoluten und der Verblendung.
    Sind die subjektiven Formen der Anschauung die Pforten der Hölle; und ist nicht der Abstieg zur Hölle die Vorstufe der Auferstehung?
    Das Substantiv ist das durch die Kasus, die Formen der Deklination (der Veranderung) hindurch sich bestimmende Nomen; der Staub und die Asche in einer Welt, in der der Name zu Schall und Rauch geworden ist. Zu den Konstituentien des Substantivs gehört die Neutralisierung der differierenden Bestimmungen der Kasus (Akkusativ, Genitiv, Dativ, Ablativ, Instrumentalis, Lokativ): Indem das Substantiv die Objektbeziehung ins Nomen mit hereinnimmt, unterdrückt und verdrängt sie die Reflexion auf den Objektivationsprozeß, der in den Formen der Deklination sich entfaltet. Damit hängt es zusammen, wenn in dem Ausdruck „Wir Deutschen“ der Name der Deutschen zum reinen Ausdruck und zugleich zum Alibi der Gemeinheit und Brutalität geworden ist.
    Der Begriff des Substantiv ist Ausdruck der Trennung von Ding und Sache, Geburtsname der Verdinglichung, dem auf der Subjektseite der Personbegriff entspricht (Dinge gibt es, seit es juristische Personen gibt). Er ist der reinste Ausdruck einer Welt, in der alles nur noch das ist, was der Fall ist.
    Welche grammatische Bedeutung und welche logische Funktion hat das Suffix -iv in den grammatischen Begriffen (vom Substantiv bis zum Infinitiv)?
    Ist der griechisch-lateinische Gottesname Produkt einer Verschmelzung des -ivum mit dem deiktischen Affix d- (und damit der genaueste Ausdruck der Geburt des Absoluten)? Woher kommt dann der germanische Name „Gott“ (nach Ferdinand Ebner soll er aus einer Wurzel stammen, die das Anrufen, das Objekt der Anrufung, ausdrückt)?
    Hat die Venus-Katastrophe die Voraussetzungen für die Staatenbildung geschaffen:
    – Privateigentum und Geldwirtschaft,
    – Tempel, Opfer und Schrift,
    – Monogamie und Inzestverbot?
    Die Venus-Katastrophe hat das Planetensystem nicht nur ergänzt und vervollständigt, sondern es in Konstellationen eingerückt, die dann in die internen Voraussetzungen der Staatenbildung mit eingegangen sind.
    Gehört die chaldäische Astrologie zur Ursprungsgeschichte der indogermanischen Sprachen (insbesondere zur Ausgestaltung der Deklinationsformen, die selber vermittelt sind durch die Umgestaltung der Konjugationen)?
    Welcher Kasus und welcher Planet repräsentiert das Selbsterhaltungsprinzip? Die Logik des Selbsterhaltungsprinzips ist eine männliche Logik, es ist die Logik der vom Privateigentum beherrschten Welt. Klingt ihr Geheimnis nicht im Namen des Jupiter an (des Divus-Pater, des Erzeugers des Merkur, der Venus und des Mars, gleichsam seiner Emanationen, der aber der Macht des Kronos, des Saturn, auch wenn er ihn besiegt, nicht entgeht: der der Gefahr der Paranoia ausgesetzt bleibt)?
    Ist die Paranoia die patriarchalische Erscheinung der Melancholie (der messianischen Wehen)?
    Vgl. die Antwort Jesu auf die Frage der Pharisäer (der Schriftgelehrten, der Sadduzäer?) nach dem jenseitigen Schicksal der Frau und ihrer sieben Männer?
    Ist Heideggers Fundamentalontologie nicht gleichsam eine interne Erläuterung des Thalesschen Satzes: Alles ist Wasser? War nicht die Sintflut die Überschwemmung mit dem Was?
    Turmbau zu Babel: Der Turm, der bis zum Himmel reicht, und der herniederfahrende Gott bezeichnen präzise den Ursprung des Mythos.
    Die Bekenntnislogik ist eine reine Exkulpationslogik, Produkt der Weigerung, die Sünde der Welt auf sich zu nehmen; deshalb gehören die Opfertheologie und das Konzept der Entsühnung der Welt durchs Kreuzesopfer als deren innerster Kern zur Bekenntnislogik.
    Die Confessiones des Augustinus sind (als Dokument seiner Bekehrungsgeschichte) Sündenbekenntnisse (z.B. in den Kindheitsgeschichten, aber auch in der Geschichte der namenlosen Mutter seines Sohnes Adeodatus), aber Sündenbekenntnisse, die vom Instrumentarium des mythischen Schuldverschubsystems: von den Formen projektiver Schuldverschiebung, sich nicht lösen können: Darin stellt sich die Beziehung zum Glaubensbekenntnis her, die durchs Schuldverschubsystem (die Opfertheologie und das Konstrukt der Entsühnung der Welt) vermittelt ist. Vermutlich gehört die Geschichte über das mit der Erbsünde belasteten Kind Augustinus zu den geschichtlichen Ursachen der Einführung der Kindertaufe. Hier wurde der Trieb in die Seelen eingesenkt, der antstatt an der Herstellung gerechter Zustände nur noch an der eigenen Unschuld interessiert ist.

  • 17.4.1994

    Zur Kritik des Weltbegriffs gehört die Kritik der Opfertheologie und der Bekenntnislogik.
    Wie hängen die Interrogative wer, wie, was mit den bestimmten Artikeln der, die, das (und den Personalpronomina der dritten Person: er, sie, es) zusammen; was hat das Wie mit dem Femininum zu tun? Gibt es eine Beziehung zum Semitischen, wo bei den Interrogativa an die Stelle der Unterscheidung von Mask. und Fem. die von Person und Sache tritt (wer und was), ohne daß dem Was ein substantiviertes Neutrum korrespondiert. Heidegger hat die absolute Frage entdeckt, die dort entspringt, wo die Frage nach dem Absoluten gegenstandslos wird.
    Ist nicht jede Frage die Frage nach dem Urheber, dem Schuldigen (der „Ursache“), eine Frage, die die Philosophie seit je mit dem Absoluten (der Zusammenhang des Absoluten mit der Absolution ist nicht nur ein sprachlicher), die Prophetie mit der Gottesfurcht beantwortet? Das Absolute ist die durch den Weltbegriff abgelenkte, projektiv vergegenständlichte und so unkenntlich gemachte Gottesfurcht.
    Was bedeutet es, wenn in den semitischen Sprachen (Bergsträßer, S. 15) die Zahlen drei bis zehn mit dem zugehörigen Substantiv disgruieren, d.h. zu einem Mask. ein Zahlwort femininer Form tritt und umgekehrt? Die gleiche Polarität im Genus-Gebrauch tritt in hebräischen Pluralen im Verhältnis zum zugehörigen Singular auf (Beispiele bei Bergsträßer, vgl. auch das dort folgende zu Differenzen beim Kasus oder im Numerus u.ä.).
    Zu S. 17 („Nach der Abwanderung der Semitenschicht, aus deren Sprache das Akkadische hervorgegangen ist, nach Babylon …“): War es nicht umgekehrt, ist nicht Abraham von Ur in Chaldäa über (das akkadische?) Harran nach Kanaan gegangen?
    Woher kommt der Name des Sumerischen? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Personalpronomen der dritten Pers. mask. (im Akkadischen: schu = „er“, S. 22, Zusammenhang mit dem deutschen Sein, der Beziehung des Infinitivs zum Possessivpronomen Sein?), ist das „Sumerische“ die früheste Ausprägung des Patriarchalischen, und bezieht sich darauf die Geschichte vom Turmbau zu Babel: das Ursymbol des Absoluten?

  • 12.4.1994

    Der Weltbegriff bezeichnet eine Momentaufnahme im Säkularisationsprozeß. Er bestimmt zugleich die Logik, die den Säkularisationsprozeß beherrscht: den immer wieder vergeblichen Versuch, diese Momentaufnahme zu stabilisieren. Während in Israel Grund und Boden Eigentum JHWHs waren, waren sie in Kanaan Gegenstand privater Kaufverträge (Donner, Geschichte des Volkes Israel, S. 265). Hängt damit der Name Kanaan, der auch die Händler bezeichnet, und die kanaanäische „Religion“, das Urbild der Idolatrie (Ba’al, Moloch, die Ascheren, die „Unzucht“), zusammen? Ist insbesondere Ba’al ein Gott des Privateigentums an Grund und Boden? Ist der Name Kanaans ein Name eines Volkes oder eine soziologische Kategorie (die Volksnamen, die unter dem Namen Kanaans zusammengefaßt werden, legen die Vermutung nahe, daß Kanaan wie der Name der Hebräer eine primär soziologische Bedeutung hat)? Bei den Grundstückskäufen handelt es sich um – Abraham (Gen 23: Kauf des Grundstücks und der Höhle Makpela von dem Hittiter Ephron für das Grab der Sara), – Jakob (Gen 3319: Kauf eines Grundstücks bei Sichem von den Söhnen Hamors zur Errichtung eines Malsteins und eines Altars „El, Gott Israels“), – David (2 Sam 2418ff: Kauf der Tenne des Jebusiters Arawna zur Errichtung eines Altars, Grundstein des späteren Tempels), – Omri (2 Kön 1624: Kauf des Berges Samaria von Semer zum Bau der Stadt Samaria). Kann es sein, daß das Land Israel die religiöse Tradition (die „Sünde Jeroboams“), Juda hingegen die politischen Institutionen Kanaans (Jerusalem, das Stadtkönigtum) übernommen hat? Hat die Unterscheidung zwischen den „Zelten Israels“ und dem „Haus Juda“ (dem nomadischen Israel und dem urbanen Juda) damit zu tun? Es gibt die Häuser Isaak, Jakob, Ephraim, Levi, Juda, Saul, David, aber keine Häuser Manasse, Benjamin. Hängt die Unterscheidung von Zelt und Haus mit der des Himmels und der Sterne zusammen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Kapitalisierung des Bodens, dem Ursprung der Banken und der Schuldknechtschaft? Das „gezeugt, nicht erschaffen“ im Credo bezeichnet den Punkt der tiefsten Verzweiflung im Dogma, im Glauben. Genau daraus hat die Trinitätslehre das Moment der Redundanz, der Selbstreferenz, gewonnen, das die theologische Erkenntnis dem Wissen angleicht, es zu einem abgeschlossenen System verdinglicht und vergegenständlicht, den Inhalt zu einem vergangenen („immer schon seienden“) macht. Es ist das untrügliche Symptom der Ontologisierung der Theologie: Nur der Raum zeugt sich in der immergleichen Form seiner selbst fort, nicht Gott. Die kirchliche Sexualmoral ist ein Produkt der Anwendung des des Eigentumsprinzips (Kanaans) auf die Prophetie (Herausnahme der „Sexualität“ als Symbol der Urteils- und Herrschaftskritik aus der Prophetie). Wenn die Kanaaniter die Händler waren, wer waren dann die Amalekiter? Hat das Mehrwertparadigma, das im Tauschparadigma gründet, den Blick auf den Schuldzusammenhang verstellt? Welche Metalle wurden den Planeten zugeordnet: – das Gold der Sonne, – das Silber dem Mond, – das Eisen dem Mars, – das Quecksilber dem Merkur, – das Blei dem Saturn. Und Jupiter und Venus? Mathematik: Die Rekonstruktion der Finsternis über dem Abgrund. Zum fünften und sechsten Schöpfungstag: Nur die großen Seetiere, die Fische und die Vögel des Himmels sind von Gott erschaffen, die anderen Tiere hat die Erde hervorgebracht. Bezieht sich diese Unterscheidung auf die von Matriarchat und Patriarchat (und gründet hierin das nur auf Adam bezogene Staubsymbol und die auf Eva bezogen Feindschaft zur Schlange)? Die Kopenhagener Schule, die Anbetung des Staubs und die renovatio faciei terrae (die Rücknahme des Staubs). Die Jonas-Geschichte ist hegelianisch: die Geschichte des Absoluten und des Weltgerichts, zu der dann aber die Enttäuschung und der Ärger des Jonas über die Barmherzigkeit Gottes gehört. Wie paßt dazu die Tobias-Geschichte (mit dem Engel, dem Fisch, der Erlösung Saras und dem Untergang Ninives)? Ist die Buchstabenschrift ein Produkt der Herrschaft der Fläche, der Geometrie über die Sprache? Wenn Israel der Augapfel Gottes ist, wer ist dann das Ohr (oder: wer sind dann die Lahmen)? Worauf bezieht sich die Orion-Geschichte (vgl. Donner, S. 75, Anm. 8)? Was hat es mit dem Hyrieus (Vater des Orion) auf sich? Franz Rosenzweig hat durch die Konstruktion des Stern der Erlösung (durch die Sprengung des All, das dreifache Nichts und die konstitutive Bedeutung des „und“) der unio mystica endgültig den Boden entzogen (vgl. auch Cohens Bemerkung, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, und Levinas‘ Hinweis auf die Ethik als prima philosophia: die unio mystica ist die Besiegelung der Kapitulation vor der Ontologie).

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