Merkwürdig, daß niemand den Benjaminschen Begriff des Mythos (in den frühen Schriften, von „Schicksal und Charakter“ über die „Wahlverwandtschaften“ bis zum „Ursprung des deutschen Trauerspiels“) auch nur wahrnimmt, geschweige denn produktiv weiterführt. Hierzu scheinen den Literaturwissenschaftlern die theologischen und den Theologen die literarischen Voraussetzungen zu fehlen. Damit scheint es andererseits zusammenzuhängen, wenn bis heute niemand – auch Stephan Moses nicht – im „Stern“ von Franz Rosenzweig den Stellenwert und die religions- und geschichtsphilosophische Bedeutung seiner Rekonstruktion des Mythos und der chinesischen und indischen Welt sowie des Islam begriffen hat. (Warum gibt es beim Mythos eine begründete Gestalt – die griechische – und zwei Derivate – die chinesische und die indische -, während es im Bereich der Offenbarung zwei gleichberechtigte historische Gestalten – die jüdische und die christliche – und nur ein Derivat – den Islam – gibt?)
Philosophie
-
10.06.88
Die Subsumtion der Arbeit unter das Tauschprinzip begründet nicht allein den Kapitalismus, sondern mit ihm den Schuldzusammenhang als abgeschlossenes System, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Projektion dieses Schuldzusammenhangs in eine vor aller Erfahrung gegebene und allem Handeln zugrundeliegende Objektivität (Natur) ist die moderne Naturwissenschaft.
-
03.07.88
Es gibt keine ursprüngliche Vergangenheit: jede Vergangenheit muß einmal gegenwärtiges, lebendiges (bewußtes/bewußtseinsfähiges?) Dasein gewesen sein. Dieser Zusammenhang läßt sich jedoch ohne einen Anfang der Zeit, ohne eine „erste Vergangenheit“, nicht denken. Hier handelt es sich nicht um einen Anfang „in“ der Zeit, sondern um einen Anfang „der“ Zeit, d.h. um einen Anfang, vor dem es kein Vorher gibt. Die „unendliche Vergangenheit“ ist es nur für uns; unklar, was ihr entspricht, es kann sich eigentlich nur um etwas völlig Abstraktes handeln, um eine reine Projektion (etwas, was mit der Zeit entsteht, entspringt, geschaffen wird?).
-
06.07.88
Wenn die Vergangenheit nicht ursprünglich sein kann, so kann auch die Welt, soweit sie nur als vergangene begriffen werden kann, als tote gegenständliche raum-zeitliche Welt, nicht ursprünglich sein; ihr muß etwas vorausgehen, was dann in der Zeitfolge durchaus als das Spätere erscheinen mag: das Lebendige.
-
02.08.88
Der Materialismus ist weniger die Benjaminsche „Puppe“, die, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, immer gewinnt, er ist vielmehr die Theologie selber in der heute allein noch vertretbaren Gestalt. Ob er „immer gewinnt“, ist mehr als zweifelhaft; eher ist er Ausdruck der Verzweiflung, die dem heutigen Zustand der Welt angemessen ist, und zugleich der ohnmächtige und wütende Schrei nach der Theologie.
Adornos „Vorrang des Objekts“, auf den bei ihm der Materialismus sich zusammenzieht, drückt das aus: dieses „Objekt“ ist die Leerstelle, die zurückgeblieben ist, nachdem Natur zum Verschwinden/Verstummen gebracht wurde durch den Abstraktions- und Entfremdungsprozeß, durch den Prozeß der Instrumentalisierung, die am Ende auch das Subjekt ergreift.
-
03.08.88
Das „Objekt“, das Mehr gegenüber dem durchs Subjekt Konstituierten, muß sich von allem Konstituierten, vom Ding und seinen Eigenschaften, von den Kausalverhältnissen, mit einem Wort: vom Gegenstand des Denkens, vom Korrelat der transzendentalen Logik, (wie das „Ding an sich“) unterscheiden. Es ist damit freilich nicht unbestimmbar; es ist nicht nur das einfache Unbestimmbare, sondern entsteht an der Grenze des Bestimmbaren; das aber ist nach Franz Rosenzweig nicht ein Unbestimmbares, sondern es sind mehrere, deren jedes auf andere Weise unbestimmbar ist, damit aber wiederum bestimmbar. Das Nichts, von dem die Philosophie ausgeht, die Nacht des Nichtwissens, ist nicht nur ein Nichts, nicht nur eine Nacht, sondern es sind mehrere; und ihre Zahl ist bestimmbar.
-
22.4.1997
Die Ursprungsgeschichte der Philosophie ist die Ursprungsgeschichte einer theoretischen Beziehung zur Objektivität, die in Alexander praktisch geworden ist (die Ursprungsgeschichte der stoischen Ataraxia – die Keimzelle des „eliminatorischen Antisemitismus“ – ist im Kollosseum in Rom als Kulturdenkmal der Erinnerung präsent und sinnlich erfahrbar).
Die Geschichte der Häresien ist ein Indikator der inneren Geschichte des Christentums. Die Häresien waren ein projektiv entstellter Ausdruck der historisch-moralischen Probleme des Christentums. Mit der Verurteilung der Häresien sind diese Probleme nicht gelöst, sondern verdrängt – und eben damit perpetuiert – worden. Die Kirche hat ihre eigene Tradition zunächst in Isolationshaft, dann in Geiselhaft genommen: Das Dogma sind die Steine, die Bekenntnislogik der Mörtel und die Orthodoxie die Mauern des Gefängnisses, in die die Tradition eingesperrt worden ist. Der Schlüssel zu diesem Gefängnis ist die logische Figur von Schrecken und Verurteilung.
Die drei Leugnungen Petri, Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister, der Kelch (Taumelkelch und Unzuchtsbecher, die Zebedäussöhne und Getsemane), der Weltbegriff und das Tier, Ankläger und Verteidiger (Satan und Paraklet).
Zum Kelch: Hegel ist nur bis zum Taumelbecher gekommen, seine Philosophie ist die Grenze und der Übergang zum Unzuchtsbecher.
Daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt, heißt das nicht, daß Gott seitdem keine Rückseite mehr hat?
Gegen den Gebrauch des antisemitischen Begriffs Judenfrage (Marquardt) ist der Einwand durchschlagend, daß der Antisemitismus nichts mehr mit den Juden, sondern nur noch etwas mit den Antisemiten zu tun hat. Der Holocaust, die „Endlösung der Judenfrage“, war die Eröffnung in eine Sphäre, die sich seitdem nicht mehr schließen läßt. Nicht als ob es Vergleichbares nicht auch schon vorher gegeben hätte, nur hier ist der Durchbruch in die logisch-politische Sphäre der Öffentlichkeit gelungen, der irreversibel ist. Seitdem sind Menschenrechtsverletzungen, sind politische Unterdrückung und Verfolgung, Repression und Folter Objekte der „Weltöffentlichkeit“. Vor diesem Hintergrund sind die Habermas’sche Wendung zur Theorie des kommunikativen Handelns, ist das Motto „Dressur des inneren Schweinehunds“ so tief problematisch.
Die Welt ist die Gebärmutter des apokalyptischen Tiers. Wer ist die „Frau am Himmel“?
Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein: Wenn das Inertialsystem etwas mit der Feste des Himmels (mit der Scheidung der unteren von den oberen Wassern) zu tun hat, ist dann das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Hinweis auf die Identität von träger und schwerer Masse der Beginn der Lösung? Ist der zweite Schöpfungstag die Prophetie der Apokalypse?
Wie hängen der Ursprung der Schrift und die Astronomie, die Sternenkunde, zusammen? Wie wird der Himmel von den Naturvölkern, den schriftlosen Völkern, erfahren? Im Islam ist Gott ein schreibender, kein sprechender Gott: ein Gott ohne Angesicht (ist das nicht die Widerlegung des Islam?).
Läßt sich die Konstruktion der aristotelischen Philosophie nicht daraus ableiten, daß sie (wie dann wieder Hegel) das tode ti, das hic et nunc, unter dem Apriori der Logik der Schrift erfährt? Wird dadurch nicht zwangsläufig die noesis noeseos zum Ersten Beweger (und Alexander seine historische Verkörperung)? Und ist nicht die noesis noeseos zum Inbegriff der Logik der Schrift?
Die Aufklärung verdankt sich der Rückprojektion der Logik der Schrift in die Dinge (die so zu Dingen werden).
In der adäquatio intellectus ad rem ist die res der Reflex der Dinge in der Schrift, in der Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand ist der Gegenstand, das Objekt, der Statthalter des Subjekts in den Dingen.
Es gibt heute einen vulgärmaterialistischen Begriff des Idealismus, der schon das Begreifenwollen als idealistischen Trieb denunziert.
Man erkennt einen Menschen daran, was er erkennt, wie er die Dinge sieht. Was bedeutet dann der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, genauer: was bedeutet dieser Satz für die Gotteserkenntnis?
Das Bilderverbot und das Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, sind drastische Hinweise darauf, daß Gott keine Rückseite hat (daß die Idee des Ewigen die Vergangenheit von sich ausschließt). Ist der Anfang des Sterns der Erlösung nicht nicht eine deutliche Erinnerung daran, daß das – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise – auch für Welt und Mensch gilt? Ist nicht darin das Nichtwissen von Gott Welt Mensch begründet?
Theologie ist der Versuch, im Imperativ den Indikativ zu entdecken, während der Aufklärung (der Kosmologie) gleichsam unter den Händen der Indikativ zum Imperativ wird.
Der am Objektbegriff gewonnene Begriff des Allgemeinen bezeichnet nicht das Allgemeine schlechthin, sondern das der Gattung. Deshalb konnte Hegel aus dem Begriff die Tatsache unterschiedlicher Arten und Gattungen der Tiere nicht ableiten. Deshalb kann Hegel zufolge „die Natur den Begriff nicht halten“. Hier ist er gezwungen einzubekennen, daß es die eine Welt nicht gibt. Die Idee der einen Welt ist im Angesicht der Geschichte nur zu halten, wenn die Weltgeschichte zum Weltgericht wird.
Das Theologumenon, daß Gott die Welt erschaffen hat, die creatio mundi ex nihilo, ist der Grund jeglichen Fundamentalismus. Eine Theologie, die vom Begriff der Weltschöpfung ausgeht, macht Gott zum Absoluten, in dem am Ende nur der Staat sich spiegelt.
Gibt es nicht einen Kirchen- und Gemeindebegriff, in dem die Kirche selber die Ghettomauern errichtet, in denen sie verrottet?
Was die Nazis Humanitätsduselei und Ludwig Erhard die „Sünde wider die Marktwirtschaft“ nannten, trägt den theologischen Namen Barmherzigkeit.
In den Worten Leib und Fleisch drückt die Differenz zwischen dem An sich und dem, was für andere ist, seiner Instrumentalisierung, sich aus (das Angesicht gehört zum Leib, wie die Person zur soma, niemals zum Fleisch). Das Blut hat nur diesen einen Namen, mit der Folge, daß wir allein das instrumentalisierte Blut darunter verstehen, während das An sich (die „Seele des Fleisches“) gegenstandslos geworden ist. Endgültig instrumentalisiert wurde das Blut – über die religiöse Vorgeschichte der Märtyrer- und Reliquienverehrung – in dem gleichen Säkularisationsprozeß, der diese religiöse Vorgeschichte beendete, in der Objektivierung des Blutkreislaufs, in dem gleichen Prozeß, in dem auch – im heliozentrischen System – die Objektivierung der Planetenbahnen sich vollendete. Das heliozentrische System ist das System der Subjektivierung und Instrumentalisierung der Zwecke. Es ist der gleiche Prozeß, in dem – in der Ursprungsgeschichte des Kapitalismus – die Zwecke zu Mitteln geworden sind, der transzendentalen Logik und dem Kausalitätsprinzip unterworfen wurden.
Im Kontext des heliozentrischen Systems wird die biblische Blutsymbolik nicht nur unverständlich: Das heliozentrische System rückt die Blutsymbolik in eine Logik, in der sie zu den Voraussetzungen des Faschismus, des Rassismus und des Antisemitismus gehört (die gleiche Logik hat die Barmherzigkeit endgültig in Hysterie transformiert und die Barbaren durch die Wilden ersetzt).
Das kopernikanische System hat mit der Teleologie die Idee des seligen Lebens, die Vorstellung des Endzwecks, in der Wurzel zerstört. Es hat sie durch die Rechtfertigungslehre ersetzt. Entscheidend war nicht mehr die Tat (und das göttliche Gericht über die Tat), sondern das Urteil über die Person („wie bekomme ich einen gnädigen Gott“), nicht mehr die Sünde, die ich zu meiden hatte, sondern die Schuld, der ich entgehen wollte.
Jesus hat die Welt nicht entsühnt, er hat nicht die Schuld der Welt hinweggenommen, sondern die Sünde der Welt auf sich genommen. Hierfür ist die Kirchengeschichte der Beweis, und hierzu gehört die Geschichte von den drei Leugnungen Petri, von Maria Magdalena und den sieben unreinen Geistern, aber auch die ganze Kelchsymbolik sowie Hegels Wort, er sei „von Gott dazu verdammt, ein Philosoph zu sein“.
Hat die fliegende Schriftrolle, „der Fluch, der über das ganze Land ausgeht“ (Sach 51) etwas mit dem Himmel, der wie eine Buchrolle sich aufrollt (Jes 344, Off 614), zu tun?
Die Zentralbanken haben Himmel und Erde ehern und eisern gemacht (Lev 2619, Dt 2823). Zu ihrer Vorgeschichte gehören das Dogma und die Bekenntnislogik, zu ihrer Begleitgeschichte die kopernikanische Wende und die Naturwissenschaften. Die Geschichte der Banken ist die Ursprungsgeschichte des Inertialsystems.
Das Urschisma und die Urhäresie (die Gnosis) gehören zu den Konstituentien der Bekenntnislogik, die Ausgrenzung der Frauen gehört zu ihren Folgen.
Wenn es stimmt, daß der deutsche Name des Himmels etymologisch mit dem des Hammers zusammenhängt, hat das etwas mit Lev 2619 und Dt 2823 zu tun?
Sind nicht das Inertialsystem, die subjektiven Formen der Anschauung und die Totalitätsbegriffe Natur und Welt Verkörperungen des „ehern“ und „eisern“ in Lev 2619 und Dt 2823? Spiegelt sich in der Differenz zwischen Lev und Dt die Differenz zwischen Kosmologie und Politik?
Der Wertbegriff stammt aus der Ökonomie. Er gehört zu den synthetischen Urteilen apriori, die der Neutralisierung der Teleologie, der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel (der Zukunft unter die Vergangenheit) sich verdankt. Er gehört in den Bereich der reflektierenden Urteile, die unterm Apriori der Gewalt (des Rechts und des in ihm sich verkörpernden Gewaltmonopol des Staates) zu bestimmenden Urteilen werden. Wertordnungen sind politische Ordnungen. Reflex dieses Aprioris der Gewalt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die transzendentale Ästhetik.
In der Kritik der Urteilskraft, in seiner Theorie der reflektierenden Urteile, die auf Ideen sich beziehen, die regulative, nicht konstitutive Bedeutung haben, steckt die kantische Kritik der Gewalt. Diese kantische Kritik der Gewalt ist durch den Faschismus in eine Engführung gebracht worden, aus der es nur dann einen Ausweg gibt, wenn es gelingt, den Bann zu brechen.
Wer Gott zum Herrn der Geschichte macht, rechtfertigt nur das transzendentale Subjekt und leugnet Auschwitz.
Wie hängt der Satz aus der Dialektik der Aufklärung über die Distanz zum Objekt (die vermittelt sei durch die Distanz die der Herr durch den Beherrschten gewinnt) mit dem Problem der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel zusammen?
-
9.4.1997
Heute wird auch die Philosophie zum Markenartikel: Es gibt weder die Kritische Theorie noch die Theologie.
Adornos Programm der „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“ ist zweideutig: Die christliche Theologie, die orthodoxe dogmatische Theologie, ist bereits – als Theologie hinter dem Rücken Gottes (als „Rede von Gott“) – das Produkt ihrer vollständigen Säkularisierung, während Adornos Konzept auf das genaue Gegenteil: auf das Ende der verdinglichten Theologie und die Realisierung der Theologie als eine Gestalt eingreifender Erkenntnis abzielte, auf eine Theologie im Angesicht Gottes.
Die Orthodoxie ist der Inbegriff der 99 Gerechten, die Geschichte der Häresien der des einen Sünders und seiner Wege des Irrtums. Über die Bekehrung dieses einen Sünders herrscht mehr Freude im Himmel als über die 99 Gerechten.
Die Kritik der Metaphysik, wenn sie nicht im Mythos enden soll, ist nur möglich durch Kritik der Ontologie, an deren Stelle die Ethik zu treten hätte, im Kontext einer Theologie, die den Satz zur Richtschnur der Erkenntnis macht, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Dem entspricht der Benjamin’sche Begriff der Lehre.
In dem die Geschichte der Dogmenbildung begleitenden Prozeß der Auseinandersetzung des Christentums mit den Häresien ist dieser Imperativ externalisiert, zum Instrument der Verurteilung und zum logischen Kern eines Schuldverschubsystems gemacht worden, mit den bekannten fürchterlichen Folgen fürs Christentum.
Modell war die Internalisierung des Mythos, des Schicksalsbegriffs, in der Ursprungsgeschichte der Philosophie (des Begriffs). Anhand der Ursprungsgeschichte der Philosophie wäre der Zusammenhang des Ursprungs des Schuldverschubsystems mit der Konstituierung der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt zu demonstrieren.
Der Begriff der Größe hängt mit dem des Erhabenen zusammen. Deshalb ist bei Kant der Sternenhimmel über mir ebenso „erhaben“ wie das moralische Gesetz in mir. Das Erhabene ist das über alles, was der Fall ist, Erhabene, das über die Welt Erhabene. Aus der gleichen Logik stammt das historische Attribut der Größe, das den historischen Prozeß der Konstituierung der Welt (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) begleitet.
Der Begriff des Erhabenen erinnert ans Erhobene und ans Haben.
Ist das Erhabene der selber nicht säkularisationsfähige Grund des Säkularisationsprozesses, ein Moment der inneren Logik des Eigentums?
Wird die „irre Fahrt zu den Sternen“ heute nicht im Ernst zum Menetekel?
Der biblische Fluch ist ein Instrument der Verurteilung, der Inbegriff seiner Logik (der biblische Reflex des Schicksals). Hat er nicht in der Tat etwas mit der Idee des Himmels zu tun?
Wie hängt der zweite Schöpfungstag mit Lev 26 und Dt 28 zusammen?
Das Problem der Theologie heute ist von dem der Apologie irgend einer der kirchlichen Denominationen streng zu trennen. Eine andere Frage ist, ob, was heute noch Theologie heißen darf, überhaupt an einer der akademischen Einrichtungen, seien sie kirchlich oder seien sie staatlich, noch seinen Ort finden kann. Theologie heute wäre
– prophetische, und d.h. sowohl staats- als auch kirchenkritische Theologie,
– messianische, auf Realisierung, Erfüllung zielende Theologie und
– parakletische Theologie, das Organ des verteidigenden, das Gericht überwindenden, ihm enthobenen Denkens, das Organ des aufrechten Gangs.
Das Buch der Richter ist ein prophetisches Buch, und als solches hat Lillian Klein es erstmals wieder begriffen (über der Prophetie steht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen).
Zur Begründung des Kausalitätsprinzips: Die gemeinsame Logik der modernen Naturwissenschaft und des Kapitalismus ist die Logik der „List der Vernunft“, sie ist im genauesten Sinne hinterhältig (sie konstituiert sich hinter dem Rücken der Dinge). Der Listige spannt den Andern, ohne daß er es merkt, für seine Zwecke ein. Das biblische Symbol des Subjekts dieser Vernunft ist die Schlange, ihr grammatisches, sprachlogisches Korrelat das Neutrum.
Wie hängt die List mit dem Unschuldssyndrom und dem Schuldverschubsystem zusammen?
Die Fähigkeit zur Schuldreflexion entgründet den Universalismus, destruiert das Überzeitliche und bindet die Erkenntnis an die Aktualität, an ihren Zeitkern. Das Unum ist nicht die Grundlage, sondern – in dem Gebot der Einigung des Gottesnamens – das Ziel.
Was geschieht, wenn der westliche Antizionismus und die antiislamischen Tendenzen sich vereinigen?
Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Der „Hinterkopf“, die Fähigkeit, mit offenen Fragen zu leben und das Urteil zurückzustellen, ist das Organ der Gottesfurcht.
Zu einer Theorie des Feuers: Sind die Objekte der Mikrophysik gemeinsame Abkömmlinge des „Wärmestoffs“ und des „Äthers“?
Die Bundesanwaltschaft: das suizidale Experiment der gnadenlosen Anklage.
Die kleine Veränderung, die der Messias an der Welt vornehmen wird, ist die Selbstreflexion des Hinter dem Rücken und die Selbstbegründung des Angesichts. Das wäre die endgültige Umkehr und die Befreiung von den sieben unreinen Geistern. Diesen Vorgang beschreibt die Apokalypse.
Die Siebenzahl bezeichnet keine Fülle, sondern die Gesamtheit der Wege des Irrtums.
Teufel und arme Seele: Wer den Begriff der Schöpfung auf die Welt bezieht, hält die Frage offen, ob die Menschen zur Welt oder auf die Seite des Schöpfers gehört. Das ist der Preis für die Vorstellung der Einheit der Welt.
Der Historismus ergreift die Partei des Todes.
Reflektierende Urteile – und die sind das Element, in dem die Theologie sich bewegt – sind nicht konstitutive, sondern regulative Urteile.
Wäre es nicht notwendig, nachträglich noch einmal die Diskussion zwischen Benjamin und Horkheimer über die Vergangenheit des Vergangenen aufzunehmen? – Vgl. hierzu Horkheimers Frage, ob auf dem riesigen Leichenberg, auf dem wir stehen, die Idee einer richtigen Gesellschaft überhaupt noch sich denken läßt.
Hat der Satz, daß Auschwitz uns umso näher zu rücken scheint, je weiter wir uns historisch von ihm entfernen, nicht etwas mit dem Satz Karl Thiemes, daß Hitler nicht der Antichrist, sondern nur die Generalprobe war, zu tun?
Der letzte Satz des Jakobusbriefs ist das christliche Äquivalent zu Jer 3134. Zwischen beiden Worten liegt der Ursprung des Weltbergriffs.
Die kopernikanische Wende hat die Differenz zwischen Himmel und Erde zwar nicht aufgehoben, aber so verwirrt, daß davon auch die Theologie nicht unberührt geblieben ist. Als die Erde unter die Planeten, und damit an den Himmel, versetzt wurde, ist auch der Himmel und mit ihm die Theologie endgültig entgegenständlicht worden. Seitdem sind wir selbst zum Gegenstand der Theologie, ist das zentrale Thema der Theologie, die Beziehung von Gericht und Barmherzigkeit, zu einem inneren Problem der Erkenntnis geworden.
-
4.4.1997
Staatsschutz-Senat: Die Geschichte der Philosophie ist ein Prozeß, in dem die Natur die Angeklagte und die Welt, deren Anwalt die Philosophie ist, Ankläger und Richter in eins ist. In dem Schiller-/Hegelschen Begriff des Weltgerichts drückt dieser Sachverhalt sich aus.
Der strafrechtliche Unterschied zwischen Alkohol- und Drogenkonsum gründet darin, daß der Staat in der Trunkenheit sich selbst wiedererkennt, während er im Rausch die Unbotmäßigkeit dessen ahndet, der sich seiner Herrschaft entzieht. Die Trunkenheit (der biblische Taumelkelch) ist ein Abbild der Herrschaftslogik, während der Rausch anarchische Züge aufweist. Wenn in Deutschland Trunkenheit als Strafmilderungsgrund gilt, so hat das etwas mit der Begründung und Rechtfertigung des staatlichen Gewaltmonopols, mit dem präventiven Selbstfreispruch des Staates zu tun.
Weltreligion: Spiegelt sich in der Abfolge der drei Leugnungen Petri nicht die fortschreitende Anpassung der Kirche an die Welt?
Zur Selbstreflexion des Antifaschismus: Glaubt einer im Ernst, man könne mit Kanonen in die Vergangenheit schießen? Das kann nur zu Rohrkrepierern führen: Die Granaten explodieren in der Gegenwart.
Woher kommt es und was hat es zu bedeuten, daß Hegels Rechtsphilosophie – ähnlich wie die Logik, aber im Unterschied zur Ästhetik, zur Religionsphilosophie und zur Philosophie selber – keine Geschichtsphilosophie ist? Hängt es damit zusammen, daß das Recht und die Logik zu den Konstituentien und nicht zu den Manifestationen des Weltbegriffs gehören? Gehört nicht deshalb die Kritik der Logik und des Rechts (die Kritik des Urteils) zu den Voraussetzungen der Kritik des Weltbegriffs?
In welcher Beziehung steht der Naturbegriff und der Begriff der Wissenschaft zu dieser logischen Konstellation? Bei Hegel entfaltet sich der Wissenschaftsbegriff in der Phänomenologie, in der Logik und in der Enzyklopädie. Die drei kantischen Totalitätsbegriffe, Wissen, Natur und Welt, werden in Hegels Philosophie insgesamt nur vorausgesetzt, nicht entfaltet.
Sprachlogische Deduktion des deutschen Suffixes „-schaft“ (in Wissenschaft, Gesellschaft, Ärzteschaft, Bundesanwaltschaft, NS-Frauenschaft, Burschenschaft, Mannschaft, Herrschaft, Feindschaft und Freundschaft, Gefangenschaft, Landschaft, Eigenschaft, Wirtschaft, Landwirtschaft; die Nazis kannten noch die Bauernschaft, das Proletariat hatten sie durch die Arbeiterschaft ersetzt, und war nicht die Jungenschaft eine Unterorganisation des Jungvolks)? Drückt darin nicht etwas vom demiurgischen Potential des Staates, von seiner logischen Beziehung zur Welt, seiner Funktion bei der „Schöpfung der Welt“, sich aus? Etymologisch hängt das Suffix mit dem Begriff der Schöpfung, des Schaffens, zusammen. -
28.3.1997
Bedingung der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (des „Kelches“) ist die Objektivierung des Gravitationsgesetzes (die Instrumentalisierung des „Falls“). Gehört dazu nicht auch die Sakramentenlehre (das theologische Äquivalent der „Wege des Irrtums“)? Was hat das Gravitationsgesetz mit der Deklination zu tun?
Die Vermittlungsgeschichte der kopernikanischen Theorie ist ein Paradigma des Begriffs der Vermittlung überhaupt. Die Erde als Planet der Sonne ist ein Reflex des Ablaufs der Jahreszeiten und die Rotation der Erde um die eigene Achse ein Reflex der Folge von Tag und Nacht.
Die Schuldknechtschaft gehört zur Ursprungsgeschichte des Geldes, die Erkenntnis der Planetenbewegungen zur Ursprungsgeschichte der Raumvorstellung.
Die subjektiven Formen der Anschauung verwandeln den Raum in ein Haus, das wir von außen betrachten können, sie verdrängen das Bewußtsein, daß wir nicht nur Bewohner, sondern Teil dieses Hauses sind. Auch den Pharao treffen die Schläge, die der Gründung des Sklavenhauses folgen, die Abfolge dieser Schläge ist die Geschichte der Verstockung seines Herzens.
Der Universalismus gründet in der Verdrängung der Asymmetrie, er begründet eine Logik, die gegen die Schmerzen des Andern (und gegen den Tod des Andern: gegen die Erfahrung des Todes) unempfindlich macht. Um diese Logik aufrecht zu erhalten, bedarf es heute des Atheismus.
Die Lehre vom Sündenfall (von der Sünde Adams) schließt die These mit ein, daß wir die Mörder aller sind. Und verweist das Wort vom Lösen, von der Bekehrung des einen Sünders, und darin eingeschlossen die Idee der Gnade nicht darauf, daß wir Anteil haben an der rettenden Kraft?
Hat nicht dem Kopernikus bereits der Himmel wie ein Buchrolle sich aufgerollt, nur daß wir die Schrift noch nicht lesen können?
Die Überzeugungskraft der kopernikanischen Theorie gründet nicht in ihrer theoretischen Konsistenz, sondern in dem „praktischen“ Vorteil, daß sie es uns zu ermöglichen scheint, uns die Welt als ganze vorzustellen (sie uns „vor Augen“ zu stellen, sie zum fix und fertigen Objekt von Urteilen zu machen und so das Urteil von der Last der Reflexion zu befreien). Ist die kopernikanische Theorie die Verkörperung des einen Sünders? (Merkwürdige Verschiebung: die christliche Tradition hat Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, zur „großen Sünderin“ und sie, die damit zum Typos der vollständigen Umkehr geworden ist, zur „Büßerin“ gemacht.)
Ist nicht die kopernikanische Theorie, die die Totalität der Vermittlung verkörpert, auch die Verkörperung der Trennung von Stadt und Land? Kopernikus hat Ninive, Babel und Rom neu gegründet. Damit steht Kopernikus in der Tradition des Nimrod und des Turmbaus von Babel, des Nebukadnezar und der Hure Babylon (der Zerstörung Jerusalems).
Nimrod war ein „großer Jäger vor dem Herrn“. War nicht der Pharao ein Krokodiljäger, und waren die Herrscher Babylons Löwenjäger (ist nicht das Krokodil das Chaos in den Fundamenten des Hauses – das bei der Gründung des Hauses Verdrängte, die Leichen im Keller, die nicht tot sind -, und sind die Löwen die Repräsentanten der feindlichen Königreiche)?
Das Inertialsystem ist die fressende Todesmaschine.
Das Jogging bekämpft wirksam das aufkommende Bewußtsein der Asymmetrie (die Reflexion). Es stellt die inertiale Ordnung wieder her.
Tiere sind Verkörperungen der inertialen Ordnung, Pflanzen die natürliche Prophetie des Falls (sind Blüten die Seufzer der gefallenen Natur?).
Im Namen Noahs sind die Menschen eingetreten in den Schrecken, der auf den Tieren liegt. Auch die Arche ist ein Haus (und nach dem Ende der Sintflut opferte Noah von allen reinen Tiere und von allen reinen Vögel).
Das Haus trennt innen und außen.
Das Kleid im Blute des Lammes waschen, heißt das nicht, die religiösen Vorstellungen durch Reflexion ihres sprachlichen Grundes aus dem Bann ihres Bildseins (aus dem Bann der Erbaulichkeit) lösen?
Der logische Schluß, den die Philosophie erfunden (und mit dessen Erfindung sie sich selbst begründet) hat, gehört zur Geschichte des Perfekts, des Universalismus. Seine zentrale Prämisse ist: Alle Menschen sind sterblich. Der logische Schluß hat den Tod instrumentalisiert und damit die Todesangst neutralisiert.
Die Universalisierung des Todes ist die subtilste Art seine Leugnung.
Die Unfähigkeit zur Selbstreflexion zerbricht sich den Kopf der Andern. Sie will nichts Besonderes sein.
Gegen den Zynismus der Linken, die heute die Rechten darin zu übertrumpfen suchen, daß sie alles schon im Voraus wissen, der den Marxismus zur Naturwissenschaft gemacht hat, in der „the future will be like the past“, hilft nur die Neubegründung der Reflexion. Auch der Zynismus ist eine Form des Triumphalismus: die Siegerpose der Verzweifelten.
Heute sieht die Linke vor lauter Wald die Bäume nicht mehr.
Das Endziel ist im Antlitz und im Namen gegenwärtig. Das Antlitz und der Name sind die Widerlegung der kopernikanischen Theorie.
Wenn die sieben Siegel der Apokalypse etwas mit den Richtungen des Raumes und der Irreversibilität der Zeit zu tun haben, hat dann die Lösung der sieben Siegel etwas mit dem Bild des wie eine Buchrolle sich aufrollenden Himmels zu tun?
Als die Berliner Horst-Eberhard Richter als Agenten des Verfassungsschutzes denunzierten, haben sie da nicht heftig projiziert?
Der Erkenntnisbegriff der Prophetie ist moralisch begründet. Levinas‘ Hinweis darauf, daß die Attribute Gottes im Imperativ und nicht im Indikativ stehen, verweist auf diesen Sachverhalt. Deshalb ist die Schuldreflexion ein Konstituens dieses Erkenntnisbegriffs. Und deshalb gehört Joh 129 ins Nachfolgegebot. -
27.3.1997
„Pointiert ausgedrückt, war die politische Denunziation gewollt, aber der Denunziant nicht erwünscht.“ (Gisela Diewald-Kerkmann: Politische Denunziation im NS-Regime, Bonn 1995, S. 23) Dieser Satz trifft den Sachverhalt genauer als die nachfolgende Begründung, die zu sehr auf zweckrationale Motive abstellt. In Wirklichkeit gehört diese Konstellation zur zweifellos bewußten und intendierten Instrumentalisierung des double-bind-Mechanismus, zur gezielten Herstellung eines gesellschaftlichen Klimas der Unsicherheit, des Gerüchts, der Angst, des Terrors. Die politische Denunziation als Massenphänomen war ein Instrument der Massenbildung (der Herstellung der „Volksgemeinschaft“, in der keiner vorm andern mehr sicher war) durch bewußte und gezielte Zerstörung des Vertrauens, ohne die es Selbstbewußtsein und Autonomie, in denen der Nationalsozialismus seine schärfsten Widersacher erkannte, nicht gab. Die politische Denunziation gehört zum gleichen Instrumentarium, zu dem auch der Antisemitismus gehört, der nicht zufällig eines seiner Haupt-Wirkungsfelder war. Adorno hat einmal den Antisemitismus das Gerücht über die Juden genannt; das Gerücht aber ist der einzig geeignete Nährboden der Paranoia, von der der Nationalsozialismus und sein handlungslogischer Kern, der Antisemitismus, leben. Das Klima des Gerüchts aber hatte einen fürs Verständnis der Nachkriegszeit außerordentlich wichtigen Effekt: In ihm war der Verdrängungsakt, der bereits im Anfang der Nachkriegszeit die Erinnerung an die Nazizeit unterbunden hat, schon angelegt und vorgebildet. Es dürfte niemanden gegeben haben, der nicht vom Naziterror, von der Judenverfolgung und von der Existenz und der Funktion der KZs gewußt hätte (ohne dieses Wissen hätte es auch die politische Denunziation als Massenphänomen nicht gegeben). Dieses Wissen wurde bewußt und gezielt vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Über die KZs und das, was dort vor sich ging, durfte in der Öffentlichkeit nicht berichtet und nicht einmal gesprochen werden, während gleichzeitig die Gerüchte darüber auf allen möglichen Wegen gefördert wurden. Alle sollten es wissen, denn anders hätte der Terrorapparat seinen Zweck als Herrschaftsinstrument nicht erfüllen können, aber diesem Wissen wurde bewußt (auch mit Hilfe entsprechender Sanktionen) der Weg in die Öffentlichkeit, in den öffentlichen Diskurs, versperrt. Damit war eine wichtige Wirkung garantiert: Diesem Wissen wurde gewaltsam die Qualität des Gerüchts aufgeprägt, so war es als Angstproduzent, als Instrument des Terrors, allgegenwärtig; die Wirkung wurde zugleich auf paradoxe Weise dadurch verstärkt, daß diesem Wissen mit der Öffentlichkeit die Berechenbarkeit, die Möglichkeit des rationalen Umgangs mit dieser allgegenwärtigen Drohung, und damit auch die Erinnerungsfähigkeit entzogen wurde. Deshalb haben alle „nichts davon gewußt“ (d.h., sie haben es gewußt, aber können sich post festum nicht erinnern: auch eine objektive Lüge kann subjektiv ehrlich sein). Ist es ein Zufall, wenn das gleiche technische Instrumentarium im Bereich des sexuellen Mißbrauchs (der den faschistischen Terror wie unterm Wiederholungszwang aus dem politischen Bereich ins Private verschiebt) wiederkehrt?
Gisela Diewald-Kerkmann weist darauf hin, daß es in der Geschichte der politischen Denunziationen (Politische Denunziation im NS-Regime, Bonn 1995, S. 62ff) zwei Höhepunkte gegeben hat, und zwar 1935/36 und von 1942 bis 1944. Auffällig, daß beide Phasen Krisenphasen des Regimes waren, und daß es sich in beiden Fällen zugleich um entscheidende Phasen der nationalsozialistischen Judenpolitik handelte (Nürnberger Gesetze und „Endlösung“). Fragen:
– Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Freigabe der Denunziation und der Anheizung des Antisemitismus (Öffnung eines Ventils, Instrumentalisierung der projektiven Verarbeitung der eigenen Zweifel)?
– Wie hängt diese Geschichte mit der Nachkriegs-Verdrängungsgeschichte zusammen, und welche Folgen hatte sie für den Umgang mit der Nazivergangenheit nach dem Krieg („Kollektivscham“, Verurteilung statt Erinnerung, Funktionalisierung des „Terrorismus“)?
Gibt es ein Äquivalent zu Denunziation und Antisemitismus in der Konstruktion der naturwissenschaftlichen Erkenntnis?
„Volksgemeinschaft“ (Volk als „Schicksalsgemeinschaft“): Welche reale Bedeutung hat eigentlich der Slogan „Wir sind das Volk“?
Der letzte Satz des Jakobusbriefs macht nicht nur zum erstenmal verständlich, was Gnade ist, er bezeichnet den genauesten Einspruch gegen jede Art von Schicksalsgemeinschaft.
Das Motiv, den Tempel abzureißen und in drei Tagen wieder aufzubauen, gibt es in den Evangelien sowohl real, als Wort Jesu, als auch als Denunziation, als „falsches Zeugnis“. Es kann etwas also wahr und eine Denunziation zugleich sein. Hat dieser Sachverhalt nicht etwas mit dem Taumelkelch, mit der Besoffenheit des Herrendenkens, zu tun?
Die Geschichte des Opfers ist der sprachgeschichtliche Teil der Geschichte der Instrumentalisierung.
Wird in der Antisemitismus-Diskussion in der „Jungen Kirche“ nicht aufs drastischste deutlich, daß die Bücher Samuel und Könige keine historischen, sondern prophetische Bücher sind? Sie sind insbesondere keine Hagiographien. David als „Vorbild“ gehört in den Komplex „Karl der Fiktive“, es gehört nicht in die messianische Geschichte. Ebenso weist das Verständnis der Nachfolge als „Vorbild“ haarscharf neben die wirkliche Bedeutung der Nachfolge: Sie ist eins mit dem „Bekenntnis des Namens“, das mit dem Bekenntnis zum Namen nicht nur nichts zu tun hat, sondern auf den Irrweg geführt wird. Das Vorbild gehört zu den Dingen, auf die das Bilderverbot sich bezieht; es gehört zur gleichen Logik, der der Name der Christen sich verdankt, der das Christentum zur Partei gemacht hat.
Die Orthodoxie ist insgesamt wahr, bis auf das eine: sie verletzt das Bilderverbot. Die Wurzeln der Verletzung des Bilderverbots sind die „subjektiven Formen der Anschauung“. Kopernikus hat die Verletzung des Bilderverbots zum Apriori der Vorstellung des Universums gemacht.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Systemgrund der Bilder (der Vorstellungen). Dieser Systemgrund wird fundiert, stabilisiert und abgesichert durch die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt.
Die Objektivierungsgeschichte ist die Subjektivierungsgeschichte. Diese Geschichte ergreift in der Idee des Absoluten Gott; das Absolute ist der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft, der Quellpunkt der Verhärtung des Herzens (das hat Hegel erfahren, als er sich als „von Gott dazu verdammt“ erkannte, „ein Philosoph zu sein“.
Die erbauliche Bibelauslegung, die aus dieser Logik sich herleiten läßt, hat die Schrift in den Kontext des Gerüchts gerückt. Sie verweist auf die Wurzel des Gerüchts: die Subsumtion der Sprache unters Gesetz der Selbsterhaltung, das in der christlichen Tradition durch die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele hereingekommen ist. Indem sie die Idee des seligen Lebens an die philosophische Idee des Glücks (zu der der Islam dann die Illustration geliefert hat) zu binden trachtet, verrät sie die Barmherzigkeit, deren gegenständliches Korrelat die Idee der Auferstehung ist. Die Unsterblichkeitslehre war das infamste Herrschaftsinstrument.
Zu dem Satz, daß die Kirchen bis heute nur gebunden, nicht gelöst haben, gehört der Satz: Magnus error in principio magnus est in fine.
Das Himmelreich ist nicht eine fix und fertige Einrichtung über uns, bei der es dann nur noch darum geht, ob man reinkommt oder nicht, sondern das Himmelreich, daß mitten unter uns ist, ist etwas, was sich in der Geschichte der Erlösung erst bildet: das Ziel der messianischen Wehen, an dessen Hervorbringung wir wie die Gebärerin an der Geburt aktiv teilhaben (Röm 819ff).
Ist die „Stille im Himmel“ bei der Öffnung des siebten Siegels (Off 81) das akustische Äquivalent der Sabbatruhe? Am siebten Tag schweigt auch Gott, ist er entlastet von der Last der Schöpfung durchs Wort.
Subjektivierungsgeschichte: Von hinten wird das Licht zur Empfindung, von der Seite trennen sich Barmherzigkeit und Gericht, von unten wird der Name zur Macht.
Stecken die Denunziation und der Antisemitismus nicht schon in den Fundamenten der Welt (die durchgedrehte Bekenntnislogik)?
Die religiösen Vorstellungen, das Dogma und die Orthodoxie verhalten sich ähnlich zur Bekenntnislogik wie die Erscheinungen, die Begriffe und die Gesetze der Physik zum Inertialsystem.
Welche „Großen“ gibt es in der Geschichte (von Alexander über Karl, Gregor und Innozenz, Albertus bis hin zu Friedrich und Katharina)? Vgl. hierzu Jakob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen, insbesondere das 5. Kapitel: Das Individuum und das Allgemeine (Die historische Größe), und hierzu in der Einleitung:
– „Wir betrachten das sich Wiederholende, Konstante, Typische als ein in uns Anklingendes und Verständliches“ und
– „wir können jene Lehre von den Anfängen entbehren, und die Lehre vom Ende ist von uns nicht zu verlangen“ (S. 10).
Hat der historische Begriff der Größe etwas mit dem paradoxen Versuch zu tun, unter den Bedingungen des Zeitkontinuums so etwas wie einen Anfang zu etablieren (den Anfang der Welt, die ein „Großer“ begründet hat)? Zielen Benjamins Reflexionen zur Kritik der Gewalt nicht auf diesen Sachverhalt? Der Begriff der Größe benennt die Gewalt, die Walter Benjamin die rechtssetzende Gewalt nennt.
Zur Größe gehört das Denkmal, das von der Last der Reflexion suspendiert (seit des Goethe-Denkmäler gibt, wird Goethe nicht mehr gelesen).
Die Größe ist das Korrelat (und das Alibi) der eigenen Kleinheit.
Ist nicht die Sohn-Gottes-Theologie der Versuch, auch Jesus ein der Größe korrespondierendes Attribut zuzuerkennen („Bekenntnis“ und Größe)?
Dieser Begriff der Größe erfährt seine Vollendung in der Unendlichkeit der kopernikanischen Welt, vor der ich mich endgültig klein fühlen darf (ist nicht die kopernikanische Welt der Baum, unter dem Adam nach dem Sündenfall sich versteckte?).
Alle Anti-Bewegungen der Nachkriegszeit waren verhext durch die Feindbildlogik.
Das „nur“ in der Fassung des kategorischen Imperativs, nach der Menschen nicht nur als Mittel angesehen werden dürfen, schließt die absolute Verpflichtung zur Reflexion mit ein (und diese Verpflichtung gilt als moralische Pflicht auch für den Richter; deshalb darf der Angeklagte niemals zum Feind werden).
Ist nicht der Universalismus und der unter seinem Gesetz vollzogene Objektivationsprozeß ein Prozeß der Selbstinstrumentalisierung, der Identifikation mit dem Aggressor. Die subjektiven Formen der Anschauung haben diesen Prozeß automatisiert.
Wer das „nur“ unterschlägt, gerät in eine Logik, in der er am Ende den Satz nur noch auf sich selbst bezieht, alle anderen davon ausschließt.
Sind nicht alle Planeten frei fallende Fahrstühle, die nur durch die Trägheitskräfte ihrer elliptischen Bewegungen vom Sturz in die Sonne abgehalten werden?
Das Licht ist der Sprachgrund im Sehen. Gott spricht, bevor er sieht, die Menschen sehen, bevor sie sprechen. -
18.3.1997
Das Modell der Beziehung von Gattung und Exemplar ist das der Beziehung von Geld und Ware.
Ist es nicht eigentlich konsequent, wenn erst nach der Sintflut der „Bogen in den Wolken“ erscheint, wenn erst, nachdem der Begriff die Welt überflutet hat, der Begriff der Farbe in den Wolken sichtbar wird?
Das Horn ist das Symbol einer Gewalt, die aus der Bedrängnis erwächst.
Der Atheismus heute leugnet den Imperativ, das Gebot.
Das, was Ferdinand Ebner den Traum nannte, die Logik der Ich-Einsamkeit, ist der Traum des Nebukadnezar. Diesen Traum, den der, der ihn träumt, zwangsläufig vergißt, rekonstruiert und deutet Daniel.
Die Schlange oder das Neutrum ist ein Instrument zur Vermeidung der Gottesfurcht.
Ismaeliten waren es (Midianiter), die Joseph nach Ägypten verbrachten, wo er als Sklave verkauft wurde. Midianiter waren es, die Moses, als er aus Ägypten floh, aufnahmen (die Frau des Moses war eine Tochter des Midianiter-Fürsten, der Moses aufgenommen hatte).
Den Namen geändert haben Abram/Abraham und Sarai/Sara, Jakob/Israel. Danach erst wieder Simon/Petrus und Saulus/Paulus?
Trägt von den Aposteln nur Johannes, der „Lieblingsjünger“ (und Nathanael, „ein wahrer Israelit“) einen theophoren Namen?
Wer klare Fronten haben will, will wissen, wofür und wogegen einer ist. Will nicht die „Aufklärung“ klare Fronten, wie die subjektiven Formen der Anschauung sie dann schaffen (Aufklärung ist auch Verbrechens- oder Feindaufklärung)? Aber: Die Sonne bescheint Gerechte und Ungerechte; die Sonne Homers bescheint auch uns; und: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
Die Bekenntnislogik usurpiert die Definitionsmacht über die Unterscheidung von Licht und Finsternis. Wer diese Deifinitionsmacht verliert, fürchtet, in die Finsternis zurückzusinken.
Heute will niemand mehr ein Gerechter sein, aber alle wollen unschuldig sein, an der Unschuld der Kollektive, die sie durch die Bekenntnislogik zu gewinnen glauben, teilhaben. Darin gründet die logische Attraktionskraft der Nationen, der Kirchen, der Parteien.
Welche Rolle spielen in der Logik der RAF-Unterstützer die Geschichte der RAF und die Gefangenen? Ist es nicht die Sprengkraft dieser Logik, die heute so drastisch sich manifestiert?
Die RAF fällt, gemessen an den Feuerbach-Thesen Marx‘, unter die Philosophien, die die Welt nur verschieden interpretieren. Zur Änderung der Welt reichen die bloße Absicht und der bloße Wille nicht aus. Es hilft nicht, der anderen Interpretation nur eine dezisionistische Praxis anzuhängen.
Schrumpft das Handeln der RAF nicht auf Reflexe des Verfolgungsdrucks zusammen? Und wie schützt sie sich vor der Gefahr, diesen Verfolgungsdruck zu verinnerlichen und zu reproduzieren?
Nur Gott sieht ins Herz der Menschen: Das Herz der Menschen, ist das nicht die Barmherzigkeit? Und wartet Gott nicht darauf, daß er endlich in den Herzen der Menschen sich selbst erkennt? Bezieht sich nicht das Wort vom Binden und Lösen und das von dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel herrschen wird als über 99 Gerechte, auf diesen Sachverhalt?
Zentral ist nicht die Frage Luthers: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, sondern die Frage Gottes: Wann werden die Menschen barmherzig, wann wird das steinerne Herz der Welt in ein fleischernes Herz verwandelt.
Der Kapitalismus, die Naturwissenschaften und die Bekenntnislogik sind Instrumente der Versteinerung des Herzens.
„Und er ging hinaus und weinte bitterlich“: Dieses Weinen löst die Wut. Ist das das Lösen?
Das vor der Schlange erstarrende Kaninchen erstarrt aufgrund seiner fehlenden Reflexionsfähigkeit. – Jonas war nicht „im Angesicht“, sondern im Bauch des großen Fisches.
Die Bekenntnislogik gründet in der Unfähigkeit zur Selbstreflexion der Beweislogik.
Der Dezisionismus ist falsch; aber gibt es zu ihm eine Alternative? Das gleiche gilt für die nachkopernikanische Naturerkenntnis.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie