Philosophie

  • 14.08.92

    Die Verdrängungsgewalt des Weltbegriffs, seine „Ideologiefreiheit“ ist in seiner dämonisch-ambivalenten Beziehung zur Schuld (oder genauer: zum Geld und zur subjektiven Form der äußeren Anschauung, zum Raum) begründet. Die Vorstellung des unendlichen Raumes verhindert heute die kritische Reflexion des Weltbegriffs, die reale Erinnerung an Auschwitz und die Erneuerung der Theologie, die Wiedergewinnung des theologischen Begriffs der Lehre.

  • 12.08.92

    Es gibt keinen euklidischen Raum, es gibt nur euklidische Flächen (im orthogonalen Raum). Und die sogenannten nichteuklidischen Räume sind eigentlich Systeme nichteuklidischer Flächen im orthogonalen Bezugsraum.
    Was passiert eigentlich sprachlich, wenn der Psalmensatz „… heute habe ich dich gezeugt“ mit Hilfe der Beweislogik auf das trinitarische Dogma von der Zeugung des Sohnes durch den Vater bezogen wird?
    Der Rensch’sche Determinismus, sein Begriff der Willensfreiheit und der Freiheit überhaupt, hängt damit zusammen, daß er sein Naturgesetz-Konzept als Exkulpationsmittel mißbraucht. Er ist so unfähig, Freiheit in Beziehung zur Schuld zu begreifen, sondern nur in Beziehung zum Kausalgesetz; und da ist die Freiheit in der Tat das Wunder in der Erscheinungswelt, das er leugnen muß. So wird die Ethik für ihn gegenstandslos. (Vgl. u.a. S. 203)
    Die Begriffe Wissenschaft, Natur und Welt bilden ein System, in dem keiner der Begriffe ohne den anderen besteht. Es ist das Verdienst der transzendentalen Logik Kants, das erstmals ins Bewußtsein gehoben zu haben. So wird nicht zufällig die nachfolgende Geschichte des deutschen Idealismus, die Abfolge der Systeme in ihr, durch das Verhältnis dieser drei Begriffe geprägt: Der Fichteschen Wissenschaftslehre folgt die Schellingsche Naturphilosophie und dann die Hegelsche Weltphilosophie. Der Zusammenhang wird deutlich, wenn man diese drei Begriffe auf die Theologie bezieht:
    – Die Wissenschaftslehre leugnet die Offenbarung,
    – die Naturphilosophie die Auferstehung der Toten und
    – Hegels Welt-Philosophie leugnet die Schöpfung.
    Grund ist das Verfahren der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die transzendentale Logik oder das Prinzip des Ursprungs und der Auflösung der Begriffe.
    Objektivation und Instrumentalisierung: das scheint der Kern des Hegelschen Begriffs der List zu sein, aber mit der Instrumentalisierung verdampft die Idee der Wahrheit, verflüchtigt sich die benennende Kraft der Sprache. Die kritische Theorie verdankt sich der Reflektion des Instrumentalisierungsmoments im Hegelschen Begriff der Dialektik. Und genau diese Reflektion hat Habermas in seiner Kommunkationstheorie unterbunden: Konsens ist in der instrumentalisierten Welt nur möglich durch Unterwerfung unter „gemeinsame“, d.h. fürs Subjekt vorgegebene Ziele; diese „Gemeinsamkeit“ aber wird durch den Bruch in der Welt selber verwehrt. Auf diesem Wege ist das Herrendenken in die Habermassche Philosophie wieder eingewandert. Habermas hat begriffen, daß die Idee der Versöhnung, die der kritischen Theorie zugrunde liegt, auch die Änderung der Natur und die Aufhebung der Vergangenheit (die „Auferstehung der Toten“) mit einschließt; er hat nur die falschen Konsequenzen daraus gezogen.
    Zur Bedeutung des Reliquienkults: Die Erinnerung des Martyriums ist der Realgrund des Bekenntnisses. Und das reale Schuld- (und Glaubens-) Bekenntnis ist das Bekenntnis, zu den Tätern und nicht zu den Opfern zu gehören (sich auf die Seite der Welt geschlagen zu haben). Daran erinnerten die Märtyrer. Die Verdinglichung dieser Erinnerung im Reliquienkult war zugleich der Ursprung des überwältigenden Exkulpierungs- und Verdrängungsapparats, zu dem die Kirche dann geworden ist. Der Schlüssel hierzu ist der Naturbegriff.
    Mit der Opfertheologie wurde dem Opfer etwas aufgebürdet, was es nicht leisten konnte: wurde es nochmals verraten.
    Es ist der wissenschaftliche Objektbegriff, der uns alle, ohne daß wir es auch noch wahrnehmen, auf die Seite der Täter transportiert und ans am Ende auf entsetzliche Weise stumm macht.
    Die Marxsche Idee einer resurrectio naturae ist eine ähnliche contradictio in adjecto wie die einer Erschaffung der Welt.
    Hegels Idee, daß die Substanz als Subjekt sich erweist, ist über den Weltbegriff vermittelt und nur um den Preis zu realisieren, daß durch den Begriff die verandernde Kraft des Seins dann auch die Substanz affiziert, ihr (wie allgemein dann der subjektlosen Natur) den Schein des Subjekthaften verleiht. So ist die spätere Welt-Philosophie Hegels schon in der Phänomenologie des Geistes angelegt.
    Was mich am Angehörigen-Info stört, ist diese Larmoyanz, die gezielt genutzte Instrumentalisierung der eigenen Opferrolle. Darüber darf man freilich nicht vergessen, daß die Gefangenen in der Tat heute auch Opfer sind, und von denen, die ihre Strafhaft als Geiselhaft mißbrauchen, bewußt und gezielt dazu gemacht werden. Auch hier gibt es eine Instrumentalisierung des Opfers: eine der terroristischen Abschreckung dienende Instrumentalisierung (in der an die faschistische Vergangenheit erinnernder Wiederholungszwang weiterwirkt).
    Bedeutung des Ursprungs des Futur II in der Sprache, Beziehung zum Inertialsystem (zukünftige Vergangenheit), zum Ursprung des Materiebegriffs (Zusammenhang mit dem Ursprung des Staates). Materie und der biblische Begriff des Staubs (Sündenfall, Name der Hebräer). Futur II: Begriffsbildung, Hypostasierung des Prädikats, Ursprung der Raumvorstellung und des Objektbegriffs (das sich in sich selbst reflektierende Prädikat). Wer ist die Schlange, die auf dem Bauche kriecht und Staub frißt? Und wie hängt Adam, der Staub ist und wieder zu Staub wird, mit der Tertullianischen Systematisierung der lateinischen Theologie zusammen, dem Ursprung des Personbegriffs und der Vorstellung, daß die Frau, wenn sie in den Himmel kommt, zum Manne wird?
    Ist die christliche, an die Person gebundene Unsterblichkeitslehre im Gegensatz zur Lehre von der Auferstehung der Toten nicht doch die ausweglose Hypostasierung des Staubs (des Selbsterhaltungsprinzips, des Objektbegriffs, des Materiebegriffs)?

  • 03.08.92

    Wann war Jesus „erschüttert“? – Beim Tod des Lazarus (Joh 1133) und bei der Ankündigung des Verrats (Joh 1321). Und im Garten Gethsemane?
    Zum evangelischen Rat der Armut: Mit dem Eigentum verlängere ich meine Sinnlichkeit (über die Abtötung der eigenen Sinnlichkeit: Ursprung der christlichen Sexualmoral), mache ich mich über meine Physis hinaus (in die Dinge hinein) empfindlich und verletzbar. Dazu muß ich sie vorher töten: Das historische Mittel dazu ist der Begriff, dann die Universalisierung des Begriffs in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung (die Verweltlichung der Welt: ein verkehrt magischer Vorgang oder die Umkehrung der Magie). Der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ am Frankfurter Gerichtsgebäude meint eigentlich: Das Eigentum – denn darin verkörpert sich fürs Recht die Würde des Menschen – ist unantastbar („Faß mein Auto nicht an“).
    Ist das nicht der Grund, aus dem die Geschichte der Medizin erwächst (vgl. die gesellschaftlichen Bedingungen für den Ursprung der Anatomie)? Mit der medizinischen Wissenschaft melden die Ärzte ihre Eigentumsansprüche an die Körper der Menschen an. – Welche gesellschaftlichen Veränderungen drücken sich heute in den Fortschritten der Medizin und in den Veränderungen der Einrichtungen des Gesundheitswesens aus? Fallen nicht mittlerweile die Zähne unter den Eigentumsanspruch der Zahnärzte, die operierbaren Teile des Körpers unter den der Chirurgen? Sind nicht Vorsorgeuntersuchungen vorsorglich geltend gemachte Eigentumsansprüche? (Sind Ärzte nicht in einem sehr tiefen Sinne Verbündete des Todes, Erben, die ihre Ansprüche schon vor dem Ableben geltend machen?)
    Eigentum ist kein einfacher Sachverhalt mehr; Mein und Dein lassen sich nicht mehr säuberlich trennen. Es gibt nicht mehr nur sich wechselseitig berührende, sondern auch wechselseitig sich durchdringende und überlagernde Eigentumsansprüche.
    Der Systemfehler des Rechts liegt darin, daß es die Grundsätze des (zukünftigen) Handelns zu Kriterien des Urteils über vergangenes Handeln macht: in der Zeitumkehr, die es (als weltbegründendes Institut) mit den nachfolgenden Naturwissenschaften gemeinsam hat. Hierin liegt das vom Recht nicht abzulösende Herrschaftsmoment. Über die Logik der Rechtfertigung führt das dazu, daß das Richten über die Objekte, das Gericht nach draußen (die subjektive Form der äußeren Anschauung), von der Selbstexkulpierung, der Barmherzigkeit nach innen, nicht abzulösen ist (Projektion).
    Die materiale Wertethik führt nicht heraus aus dem Formalismus in der Ethik, sondern schürzt den Knoten der Verstrickung zur Unlösbarkeit.
    Der transzendentale Idealismus ist der Beweis für den idealistischen Ursprung des Materialismus.
    Wissen ist Macht, und Begriffe sind Eigentumsansprüche; das Mein in Begriff des Allgemeinen und in dem der Meinung (auch in dem des Gemeinen, der mit dem des Allgemeinen ähnlich zusammenhängt, wie die Allbarmherzigkeit Allahs mit der Barmherzigkeit) erinnert daran. So ist die Philosophie sowohl das Modell der modernen Aktiengesellschaft als auch des demokratischen Staates, der das Eigentum aller ist, und dessen Gewalt und dessen Handeln der gemeinsamen Verantwortung aller unterliegen. Und der Widerspruch zwischen Aktiengesellschaft und Staat ist als Widerspruch in der Philosophie nicht zu heilen, auch nicht durch (rechte oder linke) Parteinahme aufzulösen, nur zu reflektieren.
    Die christliche Sexualmoral, wenn sie aus dem Kontext der Urteilsform herausgenommen wird, gewinnt prophetische Bedeutung.
    Gibt es einen Zusammenhang der „sieben unreinen Geister“ mit den mosaischen Reinheitsgeboten, die auf der einen Seite mit dem Gebot der Beschneidung verbunden waren, auf der anderen Seite in den Essens-, Sakral- und Sexualbereich hineinwirken, und die insgesamt dann aufgehoben worden sind durch die petrinische Vision? – Der Kreuzestod ist in der Tat die Abgeltung des Opfers, aber in einem Kontext, der mit dem Ursprung und der Bedeutung des Weltbegriffs zusammenhängt. Eben darin ist die ungeheure Ambivalenz begründet, die vom Christentum seit seinem Ursprung nicht abzulösen ist (Unkraut und Weizen).
    Das Wasser als realmythisches Symbol: Es gibt eine Festkörperphysik und eine kinetische Gastheorie, und es gibt (im Planckschen Strahlungsgesetz) eine „Theorie des Feuers“. Aber es gibt keine Physik des Flüssigen (keine Wasserphysik). Es gibt allerdings die metaphorischen Begriffe des Verflüssigens und der Liquidation (Tötung des Verräters und Aufforderung zur Begleichung einer Schuld).

  • 02.08.92

    Wilhelm von Humboldt unterscheidet (S. 203) zwischen einer „Zergliederung der Rede“ (in der das Du, die zweite Person, nicht vorkommt) und einer „Zergliederung der Sprache“, für die das Du (Bubers dialogisches Prinzip) die Substanz ist: dieser gehören der theologische Begriff des Logos und die Namenslehre an, der ersten (in der die zweite untergegangen ist, während die erste in der zweiten erhalten bleibt) der Begriff.
    S. 208 verweist Humboldt auf die Beziehung der Personalpronomia zum Raum (zur Form des Raumes).
    Idealismus und Materialismus sind nicht nur Gegensätze, sondern als Gegensätze sich wechselseitig begründend.
    Begründung und Erlösung: Die Opfertheologie begründet den Bestand der materiellen Welt und erzeugt den Schein der Befreiung von dem der Materie inhärierenden Verschuldungsgesetz, während die Erlösungslehre (über den Begriff der Nachfolge) das Verschuldungsgesetz freilegt, bewußtseinsfähig macht und so vom Schuldzusammenhang befreit.
    Das Verschuldungsgesetz: Die Materie ist der leere Platzhalter des Schuldverschubsystems, des bloßen Objektseins; deshalb ist sie qualitätslos, aber damit ist sie auch der Abgrund, in dem die Sprache ihre benennende Kraft verliert: Hier wird die Theologie „klein und häßlich“, so daß sie sich „nicht mehr darf blicken lassen“. (Zum Ende des Buches Jona: Es sind die Mathematiker, die „Rechts und Links nicht mehr unterscheiden können“.)

  • 30.07.92

    Das Ganze ist das Unwahre. Dann schließt allerdings die Idee der Wahrheit die Unabgeschlossenheit der Vergangenheit: die Idee der Auferstehung der Toten, mit ein. Und die Toten werden unsere Richter sein.
    Die Pharisäer und die Sadduzäer unterschieden sich u.a. durch ihr Verhältnis zur Lehre von der Auferstehung der Toten. Droht nicht heute der Kirche die Gefahr, sadduzäisch zu werden (die Griechen leugneten die Idee der Schöpfung, der vollendete Kapitalismus die der Auferstehung von den Toten; das Judentum gründet in der Schöpfungsidee, das Christentum in der Auferstehungsbotschaft)? Und welche Bedeutung hat dann die Magd des Hohepriesters in der Geschichte der drei Leugnungen? Ist die erste Leugnung die opfertheologische Interpretation des Kreuzestodes und der Auferstehung?
    Hängt die Lehre von der Auferstehung der Toten mit der Geschichte von den sieben unreinen Geistern zusammen (Maria Magdalena, die erste Zeugin der Auferstehung)?
    Ist das nicht ein ungeheures Bild: die Frauen, die zum Grabe eilen, um den Leichnam des Gekreuzigten zu salben, ihm als Opfer die messianische Würde zu geben; und sie finden das Grab leer.
    Gibt es einen Unterschied zwischen dem johanneischen Passionsbericht (ohne Abendmahl) und den Passionsberichten der Synoptiker, insbesondere im Hinblick auf Frauen (die am Abendmahl nicht teilnehmen)?
    Hängt der Dualis, überhaupt die Vorstellung des Paares, mit einer Geschichtsphase zusammen, in der die Unterscheidung von Rechts und Links noch erheblich war? Und verweist das Ende des Buches Jonas (… die Rechts und Links nicht mehr unterscheiden können) nicht auf das Verschwinden des Dualis? Diese 120000 sind die, die glauben, sich selbst im Spiegel zu sehen, und nicht begreifen, daß sie sich spiegel-, d.h. seitenverkehrt sehen. Und ist das nicht der Inhalt des Reflexionsgesetzes, das der Hegelschen Logik zugrundeliegt: das Eine ist das Andere des Anderen? Aber ich sehe mich im Spiegel eben nicht so, wie die anderen mich sehen. Es ist das gleiche Reflexionsgesetz, das die Philosophie an die Ontologie bindet. Aus dem gleichen Grunde verfängt sich die Husserlsche Intentionalität in ihren eigenen Verstrickungen. Die Wahrheit ist niemals Gegenstand intentionaler Akte (vgl. 1 Kor 1312 und Jak 123). Die Folgen des Verschwinden des Dualis sind an der kantischen transzendentalen Logik ablesbar, es sind die Folgen, die aus der Hypostasierung des Raumes (die auch in der Gestalt der transzendentalen Ästhetik sich erhält) sich ergeben.
    Hegels Philosophie erhebt den Anspruch, nicht über der Sache, sondern in der Sache zu sein; aber in der Sache unterliegt sie der Gewalt der Reflexionsbegriffe, wird sie gleichsam seitenverkehrt. Darum ist sie eine Weltphilosophie und eine Philosophie des Weltgerichts.
    Als „subjektive Form der äußeren Anschauung“ hat Kant den Raum zugleich kritisierbar und unkritisierbar gemacht.
    Bezeichnet die kantische Unterscheidung von Welt- und Schulphilosophie das Verhältnis von protestantisch-bürgerlichem zum katholisch-feudalen Wissenschafts- und Philosophie-Verständnis?
    Schließt der Dualis und die Unterscheidung von Rechts und Links auch die Unterscheidung von Zukunft und Vergangenheit (oder auch von Himmel und Erde) mit ein? Der Dualis wird verdrängt in der Geschichte der Universalisierung der Welt.
    Der „Stern der Erlösung“ ist ein archäologisches Werk; darauf verweist vor allem der Rosenzweigsche Begriff der Vorwelt (und der des Mythos). Es käme heute darauf an, das archäologische Element auch an der Psychoanalyse zu begreifen, sie von ihrem „psychologischen“ Bann (aus dem Bann des Privaten) zu befreien: zu begreifen, daß die Verdrängung und der Begriff des Unbewußten nicht nur auf das psychologische Innere sich beziehen, sondern einen realen objektiven Anteil haben.
    Verdankt sich der indische Frauenmord der Verschmelzung der Friedmanschen Ökonomie mit vorkapitalistischen Religionsresten (Zusammenhang mit dem Ursprung der Fundamentalismen)? Hier bestätigt sich die Benjaminsche These, der Kapitalismus sei ein reiner Kult ohne Dogma: der reinste Opferdienst, der wegen seiner „Ideologiefreiheit“ sich mit allen Religionsformen verbinden kann, allerdings um den Preis ihrer Wahrheit. Ich glaube, die Kapitalismuskritik beginnt erst, sie ist nicht zu Ende. Nur war sie untauglich als Ideologie.
    Der moderne Bekenntnisbegriff entspringt genau an der Stelle, die Walter Benjamin bezeichnet hat, wenn er den Kapitalismus einen reinen Kult ohne Dogma genannt hat: es ist eine Leerstelle. Hier wird jede Religion, die auf die Kapitalismus-Kritik verzichtet, fundamentalistisch.
    Kriegszeiten sind Bekenntniszeiten: Der kalte Krieg wurde eingeleitet durch die MacCarthy-Ära, in der Bundesrepublik durch den Radikalen-Erlaß. Und die Bildzeitung hat es auf den Punkt gebracht, wenn sie die Frage, woran Eltern erkennen können, ob ein Kind in der Gefahr steht, Terrorist zu werden, damit beantwortet: Wenn es sich zu sehr um Gerechtigkeit kümmert. Die Terrorismus-Fahndung folgte immer schon der Methode: Haltet den Dieb. Sie selber ist der Terrorismus, den sie verfolgt, und dessen sie aus eben diesem Grunde nie habhaft wird.
    Die Blasphemie, die in der Bekenntnisforderung des Staates steckt, wird von den Kirchen deshalb nicht erkannt, weil sie selber die Erfinder, ersten Anwedner und ersten Nutznießer dieses blasphemischen Bekekenntnisbegriffs waren. Dieser Bekenntnisbegriff besetzt genau die Stelle, an der das wirkliche Bekenntnis real werden könnte: die benennende Kraft der Sprache. Es ist dieser Bekenntnisbegriff, der den Namen des Sohnes und mit ihm den Ursprung des Parakleten leugnet.
    Der liberale Ideologiebegriff entspricht genau der Benjaminschen Definition des Kapitalismus als Kult ohne Dogma. Jede Gestalt der Lehre wird angesichts dieses Kults zur Ideologie.
    Was muß erst passieren, bis auch die Kirchen begreifen, daß der „Sieg über den Kommunismus“ die bestehenden Probleme nicht gelöst, sondern nur verschärft hat, und daß eine der Triebkräfte, die zur Brutalisierung der Versuche, die ungelöstem Probleme zu lösen, geführt haben, in der blinden Regression der Rückkehr zu den traditionellen Religionen liegt. Der Jugoslawien-Konflikt sollte eigentlich auch die beteiligten Kirchen (u.a. die katholische) an ihre Mitschuld erinnern.
    Sind die lutherische Rechtfertigungslehre und das hobbessche „homo homini lupus“ nicht zwei Seiten ein und derselben Sache? Und richtet sich dagegen nicht auch das Wort: „Seht ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe …“
    Die kirchliche Lehre von den Schafen und der Weideauftrag an Petrus (Joh 2115ff) werden sinnvoll und verständlich nur vor dem Hintergrund des Deuterojesaias, der Gottesknechts-Kapitel, und von Joh 129.
    Zum Verständnis der Lehre vom corpus Christi mysticum: Wer wird im liturgischen „agnus dei, qui tollis peccata mundi“ angesprochen: Christus oder nicht doch jeder Christ?
    Zum messianisch-parakletischen Element in der Einsteinschen Relativitätstheorie:
    – sie verleiht dem Inertialsystem (dem logisch-mathematischen Zentrum der gesamten naturwissenschaftlichen Aufklärung) eine Exzentrizität, sie rückt es aus dem erkenntnistheoretischen Zentrum, in das es die kantische Erkenntniskritik (die Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung) gebracht hat, heraus.
    – Offen bleibt jedoch die Beziehung zu dem theoretischen Bereich, auf das die allgemeine Relativitätstheorie sich bezieht, die Gravitation. Ist hier nicht eine Lösung denkbar, die auch die zentralen Konstanten (die Lichtgeschwindigkeit und die Gravitationskonstante) in einen Beziehung wechselseitiger Abhängigkeit rückt, ihnen den Charakter der Konstanten nimmt.
    Zum solaren Mythos: Ist nicht auch das Matriarchat eine männliche Erfindung?
    Zum Begriff der arche und zum Thales’schen Satz „Alles ist Wasser“: Bezeichnet nicht der Begriff der arche die bis heute unaufgelöste, aber aufzulösende Bindung von Ursprung und Herrschaft (Schuld und Schicksal, das Wasser als realmythische Symbol)? Und worauf beziehen sich dann die paulinischen Archonten (die Herrschaften und Mächte)?
    Hängt der Stich in die Seite beim Kreuzestod Jesu mit der Erschaffung Evas (aus der Seite Adams) zusammen?
    Ist die Maria Magdalena-Geschichte insgesamt prophetisch, und bezieht sich die Geschichte mit den sieben unreinen Geistern auf die Kirche (als Korrelat zur Leugnungs-Geschichte)?

  • 28.07.92

    Zum Schatten, den Auschwitz wirft, gehören auch die Naturwissenschaften. Und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist das erste Moment der Kritik, in dem eine Ahnung des Lichts (des ersten Schöpfungstages) wieder erscheint.
    Mit dem Licht ist auch das Im Angesicht und Hinter dem Rücken erschaffen.
    Hängen „fehlen“ uns „befehlen“, die sich allerdings in der Deklination unterscheiden (fehlte, befahl), etymologisch mit einander zusammen? Woher stammt der Begriff des Imperativ (imperare, Imperialismus)? Im Hebräischen gibt es den Jussiv; hängt das mit jus (Recht) und jurare (schwören) zusammen? Der Schwur und das Recht sind ohnehin vom Ursprung her verbundene Begriffe (Zeugenschaft, Vertrag – vgl. den Schwur in der Bibel – und Beweislogik). Wie verhält sich der Eid zur transzendentalen Logik und Ästhetik (als Zeugen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis im erkennenden Subjekt selber; als Schwur, den das Subjekt sich selber leistet)?
    Wenn es zum Verständnis der Präfixe Schlüsselworte gibt, dann gehört zum be- (bekennen, befehlen) das Beschuldigen.
    Das „Seid arglos wie die Tauben“ ist das eigentlich antiparanoische Element in der Theologie. Es gehört zusammen mit dem Gebot der Feindesliebe.
    Fällt das Abendmahl, das er nur mit seinen Jüngern (die bei seiner Kreuzigung flohen) und nicht mit den Frauen (die unterm Kreuze und am Grabe waren) hielt, in die Tradition des Fluchs über Adam? Wie verhält sich dazu Johannes (der als einziger mit unterm Kreuze steht): da fehlt das Abendmahl, statt dessen wäscht er den Jüngern die Füße (nachdem ihm zuvor die „stadtbekannte Sünderin“ die Füße gesalbt hatte).
    Mit dem Ursprung des begrifflichen Denkens hat sich die Paranoia im Denken eingenistet, mit den Nebeneffekten der Sexualmoral und des Materiebegriffs, der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Die Paranoia hat seit je dazu gedient, den Herren ein gutes Gewissen zu geben, das Herrendenken zu stabiliseren. Die Wirkungen der Exkulpationsmechanismen gingen zu Lasten des Objekts. Die Furcht des Herrendenkens vor dem Materialismus war begründet in der Furcht, daß in Begriff und Struktur der Materie einmal die Projektion erkennbar würde, die das Herrendenken begründet.
    Materialismus und Paranoia, oder Materie und Exkulpationstrieb.
    Das Wachstum und die Sterblichkeit des Lebendigen ist der Beweis für die objektive Realität des Inertialsystems.
    Der Begriff des „kommenden Gottes“ (T.R.Peters) sollte durch Heidegger eigentlich obsolet geworden sein.
    Hängt das „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Luk 2334) mit dem postapokalyptischen Ende des Jonasbuches zusammen („… die Rechts und Links nicht unterscheiden können“)? Wie verhält sich dieses Luk 2334 zu der christlichen Ermächtigung, die Sünden zu vergeben, und zur Lösung des Gebundenen?
    Tiemo Rainer Peters (S. 119f „Verzeiht Gott alles“): Worum geht es hier eigentlich, um mein Seelenheil oder um die Rettung und Erlösung der Welt? Das „Prinzip Gnade vor Recht“ wäre doch wohl etwas anderes als das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Die Frage „Verzeiht Gott alles“ ist falsch gestellt, sie ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob ich sie auf mich oder auf andere beziehe, so wie grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen den Grundsätzen des Handelns (vor dem Handeln) und den Kriterien des Urteils (nach dem Handeln). Das ist eine Konsequenz aus der Nachfolge, der Übernahme der Sünde der Welt. Das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ macht einen absoluten Unterschied zwischen der Selbstbeurteilung und dem Urteil über andere. Die Frage „Verzeiht Gott“ ist islamisch, nicht christlich; Indiz der frühen „Islamisierung“ des Christentums.
    Heideggers „Haus des Seins“: die letzte Erinnerung an Pharao und den Tempel?
    Die drei Leugnungen lassen sich aus der Geschichte der Beziehung des Christentums zur Philosophie herleiten: Die Gnosis wie die nachfolgende Geschichte der Häresien ist eine Folge des Urschismas (der ersten Leugnung: Leugnung des Vaters): der Rezeption der griechischen Philosophie (des Weltbegriffs), des Verzichts auf Kritik des Staates (der im gnostischen Demiurgen realistisch entstellt wiederkehrt); und sie ist ein Nebenprodukt des Ursprungs der christlichen Sexualmoral (die sich wie der Weltbegriff dem Verzicht auf Staatskritik verdankt). Hegels Philosophie, in der sich der durchs Urschisma ausgelöste Prozeß vollendet, ist der Beginn der dritten Leugnung (Leugnung des Heiligen Geistes; sie macht die Welt zum Subjekt der Wahrheit, die die Theologie gleichsam von innen aufzehrt, so zu ihrer Parodie wird).

  • 25.07.92

    Nicht nur im Symbol des Taumelkelchs, sondern davor bereits in dem des Baums der Erkenntnis (der Erkenntnis des Guten und Bösen) findet die Philosophie ihre Stelle in der Prophetie.
    „Zum gemeinsamen Ursprung von moralischer Rechtfertigung und ästhetischer Lust“: Mit diesem Untertitel erschien in der FR vom 14.07.92 ein Beitrag von Birgit Recki, der leider das Versprechen dieses Untertitels nicht einlöste. Es wäre Anlaß gewesen, den Begriff des Ästhetischen, der die kantischen Formen der Anschauung genau so abdeckt wie den ganzen Bereich der Kunst, so auf seine systematischen Konnotationen (und auf seine Beziehung zum Bereich der Erkenntnis und des Wissens) hin zu prüfen und zu begreifen, daß in der Tat das Bedürfnis nach moralischer Rechtfertigung, der Exkulpationstrieb und damit diese besondere Beziehung zur Schuld Grund jedes Ästhetischen ist und seine Beziehung zur Wahrheit bestimmt.
    Wenn Goethe sich als „Weltbürger“ verstand, so sollte in diesem Namen weniger der politische Sinn (die Distanz zur eigenen Nation) als vielmehr der theologische mit gehört und verstanden werden: der antiparakletische, zutiefst heidnische Sinn des goetheschen Selbstverständnisses.

  • 04.07.-13.07.92

    Krankenhausaufenthalt:
    Ist nicht der Weltbegriff Produkt der Verletzung des gesamten Dekalogs (insbesondere des 4. und 8. Gebots)?
    Die Opfertheologie, die Vorstellung von der Wiederholbarkeit des einen Opfers, hat die christliche Theologie an den Mythos gebunden. Der Preis war die Vergöttlichung des Geopferten (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs).
    Gesellschaftlicher Zusammenhang von Schuld: Täter – Opfer; Vater (Herr) – Sohn (Knecht); Schuld/Schulden; Schuld – Bekennntis -Rechtfertigung; Schuld gibt es nur vor jemandem (vor Gott); kann Robinson schuldig werden? Schuld ist ein gesellschaftliches Phänomen, auch als ontologisches.
    Vermittlung des christologischen Naturbegriffs durch den modernen Kunstbegriff (W.B. I 1, S, 64 – Novalis). Bedeutung des Naturschönen.
    Ist nicht die Religion gleichsam der verwesende Rest des mythischen Opfers, sein christlicher Umkehrpunkt das Martyrium (Zeugenschaft)? Verinnerlichung des Opfers im Bekenntnis (mythischer Ursprung des Bekenntnisses: Notwendigkeit einer letzten Summa contra gentiles).
    Außen und Innen: Auch die Funktionalität der modernen Architektur steht unterm Primat des Außen (Rasenmäher und Plätschern beim Krankenhaus nur für den zerstreuten Besucher (Betrachter), aber gegen die Bedürfnisse der Patienten, die ohnehin nur Objekte sind – Gewöhnung als Gewöhnung ans Objektsein, an die Entmündigung, die die Ärzte bereits voraussetzen – Ansätze beginnender Paranoia).
    Im Krankenhaus die Bedeutung des Satzes erfahren: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Hölle des Selbstmitleids).
    Die Stationsärztin, die bis heute kein Wort mit mir gesprochen hat, erklärt an meinem Bett mit allen Details meinen „Fall“ dem Chefarzt: So erfährt man, wie es um einen steht (vgl. die zweite Leugnung Petri).
    Außen und Innen: Naturwissenschaft als Produkt der Veräußerlichung und Verinnerlichung des Kosmos zugleich (= Weltanschauung). Das Innen ist das Außen des Außen.
    Ist nicht der Begriff der Weltanschauung im Sinne eines Genitivus subjectivus zu verstehen (Welt als Subjekt, nicht Objekt der Anschauung)? – Aus diesem Grund gibt es Weltanschauungen nur im Plural.
    Ist nicht die Anschauung die Leugnung des Angesichts?
    Erst die durchinstrumentalisierte Welt ist frei für nicht mehr kritisierbare subjektive Zwecke; sie ist „ideologiefrei“, weil es jedem offen steht, in ihr seine Interessen und Zwecke zu verfolgen. Hierbei wird nur die „Kleinigkeit“ übersehen, daß diese „Offenheit“ nur für den geringeren Teil der Menschheit real und gegeben ist; für alle anderen ist sie eine geschlossene Welt, ein Gefängnis, ein Irrenhaus, Grund des universalen Hospitalismus (Verhältnis von Raum und Geld!).
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes und das Tauschparadigma verdrängen den Widerspruch (kein Reichtum ohne Armut, keine Materie ohne Energie).
    Pharao, das „große Haus“: Hängt der Name des Pharao mit der geschichtsphilosophischen Bedeutung des Hauses (der Architektur mit dem Toten im Innern) zusammen? Ist das „Haus des Seins“ pharaonisch und ontologisch (der babylonische Turm hingegen instrumental)?
    Benjamin zufolge können „Gestalten keiner Dichtung je der sittlichen Beurteilung unterworfen“ sein (I 1, S. 133). Gilt das nicht mit fortschreitendem Objektivationsprozeß auch bereits für die Lebenden?
    S. 189: „von Haus aus“.
    Pharao: Haben die Juden sowohl die institutionellen Grundlagen (Josef) als auch die äußere, architektonische Realisierung des Pharaonentums (das Sklavenhaus) geschaffen? Ist der Josef-Roman das früheste Dokument der Dialektik von Herr und Knecht (aber anders als die Hegelsche)?
    Walter Benjamin I 1, S. 332f: Der neudeutsche Kult der Trägheit des Herzens (acedia).
    Rührt Benjamins Theorie der Allegorie nicht auch an den Ursprung der Schrift (S. 339f, 351)?
    Schrift und Vergesellschaftung: Mit der Schrift beginnt die Zivilisation (Modell und Ursprung der Beziehung von Begriff und Gegenstand, des Objektivations- und Vergesellschaftungsprozesses).
    Schlange als Bild der Zeit (S. 346): Seid klug wie die Schlangen.
    Benjamin II 1, S. 351: die „fallende Sucht“; wie verhält sich die Epilepsie zum Mond und zur Mutter?
    S. 352: Dummheit und Bosheit bereits Grundlage der herrschenden Politik, der Herrschaft überhaupt (keine Alternative dazu?). Der subjektlose Gemeinheitskern der Öffentlichkeit: Ontologie der Strudel, in dem die Moral versinkt.
    Ist die Eucharistie nicht mehr nur Zeichen, sondern bereits Ersatz der Nachfolge? Bezieht sich darauf der Satz vom Zusammenhang des unwürdigen Essens mit dem Gericht (1 Kor 1127)?
    Die islamische Polygamie verweigert die Erfahrung des ehelichen Konflikts ebenso wie die Verarbeitung dessen, worauf sich das vierte Gebot bezieht (den Ödipuskonflikt).
    Sabotiert der Islam (die Ergebung in den „Willen Allahs“) die Spontaneität und die Aufmerksamkeit?
    Ist der Islam die verdinglichte Version des jüdischen „Monotheismus“ (die jüdische Religion als Fall), und deshalb gleichsam „von Haus aus“ fundamentalistisch? Kein Ausweg aus dem Sexismus (Pascha: Herrschaft und Selbstmitleid)? Islam als Gottesfurcht-Vermeidungsstrategie, als scheinhafter Ersatz der Gottesfurcht?
    Ist der Islam nicht auch Ausdruck einer erschütternden Hilflosigkeit (wie jeder Fundamentalismus, und jede zum Terrorismus neigende politische Bewegung, einschließlich der durch den unaufgearbeiteten Faschismus bestimmten herrschenden Politik)? – Läuft nicht die Art, wie die Kinder des Pakistani ihrem Vater jeden Wunsch erfüllen, noch bevor er ihn überhaupt äußern kann, auf eine ganz sublime Entmündigung (Infantilisierung) des Vaters hinaus? Er ist nicht mehr fähig, die einfachsten Dinge selbst zu tun. So rächt sich die Familie an ihrem „Oberhaupt“. (Oder: Die arme, klagende Kreatur rächt sich für das, was ihr angetan wurde, an ihrer Umwelt.)
    Der Islam scheint eine Erlösung der Welt nicht zu kennen (deshalb der Freitag als Wochenfeiertag: der Tag vor dem Sabbat). Der Islam kennt Erlösung nur als individuelle Erlösung (Belohnung oder Bestrafung); deshalb ist er mehr noch als das Christentum auf die unerlöste Sexualität (und damit an die Frauenfeindschaft) fixiert. Paradigma der Erlösung ist die unio mystica oder die Rückkehr ins Paradies (den Garten mit den Flüssen) als reine Regression. Wenn die Welt nicht erlösbar ist, ist es auch die Frau nicht (Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem Patriarchat und der Frauenfeindschaft).
    Vgl. hierzu die Entrüstung, mit der der Autor von „Jesus starb in Indien“ auf die Salbung Jesu durch eine „Prostituierte“ reagiert (überhaupt die Empfindlichkeit gegen „Schande“, gegen eine Beeinträchtigung des Rufs, des öffentlichen Ansehens: deshalb darf Jesus nicht am Kreuz gestorben sein.)
    Zusammenhang von Nationalismus und Befreiungsbewegungen:
    – Konsequenz daraus, daß es ohne Geldwirtschaft (als subjektiver und objektiver Nationalitätsgrund) nicht geht, der Sozialismus hieran seine Grenze findet.
    – Grund des Wiederauflebens religiös-politischer Kräfte (Nordirland, Islam, Jugoslawien, GUS).
    – Grund für das theoretische Gewicht und die Bedeutung einer Analyse des Geld- und Bankenwesens.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes setzt die ganze Welt unter Laborbedingungen, sterilisiert sie gleichsam, unterwirft sie dem Herrenblick, bringt das Andere zum Verschwinden.
    Mit der Verdrängung des Sterbens aus der Erfahrung schwinden die Toten aus der Erinnerung. Die Welt wird vom Sterben und von den Toten nicht mehr berührt: sie wird steril (durchs Inertialsystem zum universalen Labor).
    Der Personalismus in der Philosophie trat auf, als die Seele (und mit ihr der Gedanke der Unsterblichkeit und des seligen Lebens) aus dem Bewußtsein verdrängt wurde. Aber niemand (auch die „Gläubigen“ nicht) hat’s gemerkt, weil alle andere Ziele haben.
    Ist die Erschaffung der „großen Seeungeheuer“ der Hinweis auf die Erschaffung des Bösen? Vgl. auch Hiob: den Ankläger und Behemoth und Leviatan.
    Hat die Sara (im Buch Tobit) etwas mit Maria Magdalena zu tun (die sieben in der Brautnacht verstorbenen Männer mit den sieben unreinen Geistern)?
    Die Trennung von Begriff und Objekt, Geist und Materie, dient auch der Erhaltung und Absicherung von Herrschaft, schließt den Gedanken einer Änderung der Gesellschaft (und der Natur) vom Grunde her aus. Kein Zufall, daß jede Namenslehre in Gefahr steht, magisch mißverstanden oder mißbraucht zu werden (Beziehung der Astronomie zur Schrift?).
    Was bedeutet es, wenn die Schrift der Magie das Ende bereitet hat (Ausnahme: das Verhältnis von Kabbalah und Magie)?
    Herrschaft ist Herrschaft über die Vergangenheit. Keine Änderung ohne Änderung der Vergangenheit (Beziehung der Herrschaft zur Sternenwelt).
    Man kann nicht die Menschheit, um sie zu befreien, abschaffen. Die Wahrheit ist nicht durch Unwiderleglichkeit (gegen die Häretiker), sondern durch ihre Ausbreitungsfähigkeit (daß alle in ihr sich als gemeint wiederfinden) zu bestimmen. Die alltägliche Erfahrung, daß die Menschen über ihr unmittelbares Eigeninteresse hinaus nicht mehr ansprechbar sind, ist kein Anlaß zur Empörung, sondern zur Trauer. Empörung verwandelt auch die Wahrheit in ein Moment des gleichen bornierten Eigeninteresses, über das sie sich empört, macht sie zur Ideologie, die dann keinen anderen Weg mehr kennt außer dem der Gewalt, die die Wahrheit durch Unwiderlegbarkeit zerstört.
    Es ist ein an der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens geschulter böser Scharfsinn, der uns die Ursprünge des kirchlichen Christentums heute anders wahrnehmen läßt. Dagegen hilft keine Apologie.
    Zu Kants Bemerkung über das Verhältnis von Natur- und Weltbegriff die transzendentale Logik (Deduktion der synthetischen Urteile apriori) vergleichen: Der Ursprung der Unterscheidung und ihre Folgen sind hier ablesbar.
    In Benjamins Wort von der „Erektion des Wissens“ (I 1, S. 131) klingt sowohl die Erinnerung an der Turmbau zu Babel als auch ein Hinweis auf den Ursprung und die Geschichte der modernen Naturwissenschaften mit an. Diese Erektion des Wissens begründet den Weltbegriff.
    Gründet das Gefühl in der Trauer? (S. 139)
    Der Weltbegriff gründet in der gleichen objektiv vermittelten Abstraktion, der auch der Ursprung der Schrift sich verdankt.

  • 14.06.92

    Wie verändert die Vorstellung des unendlichen Raumes den Erkenntnisbegriff?
    Nicht die Vermeidung, sondern die Reflexion neurotischer Gefährdungen, und nicht die Vermeidung, sondern die Reflexion von Angst ist der Quellpunkt jener Aufklärung, die heute notwendig wäre.
    Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein: Ist nicht die Kirche mittlerweile zu einer Gemeinschaft von Steinewerfern geworden?
    Ist nicht die Unterscheidung zwischen Berufung und Besessenheit eine Frage des Standpunkts: Was von innen Berufung heißt, erscheint von außen als Besessenheit.
    Zum Begriff des Sinns: Während der deutsche Heideggerianismus sich von der berüchtigten Sinnfrage, die an das blasphemische „Warum ist überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts“ sich anschließt, narkotisieren läßt, hat die französische Heidegger-Rezeption die Frage nach dem Sinn im Anschluß an Husserl als phänomenologische Bedeutungsanalyse verstanden.
    Die Frage „Warum ist überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts“ erinnert in brutaler Weise daran, daß man im Hegelschen Übergang vom Sein zum Nichts (zu Beginn der Logik) nicht vergessen darf, daß die Differenz Sein und Nichts trotz der Identität beider erhalten bleibt, oder daß in dem Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ das Eine gleichwohl vom Anderen unterschieden werden muß.
    In der französischen Tradition und in dem Rückgriff auf Husserl klingen jene Nuancen mit an, die den Begriff des Sinns mit dem des Sinnlichen (den Namen Rot mit der Farbe Rot) verbinden, und die die Phänomenologie auf das im naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozeß Subjektivierte und Verdrängte verweisen (Zusammenhang mit den primären Sinnesqualitäten); hier ist die Anschlußstelle, die den Sinnbegriff mit dem Inkommunikablen: der Empfindung und dem Gegebenen, aber auch der benennenden Kraft der Sprache verbindet. Als Repräsentant dieses Inkommunikablen erscheint dann als Zentralbegriff dieser Philosophie nicht zufällig der des Anderen (als Bezeichnung sowohl des Gegenständlichen im Subjekt als auch des Subjektiven im Objekt).
    Man könnte das Verhältnis der deutschen zur französischen Heidegger-Rezeption am Hegelschen Satz „das Eine ist das Andere des Anderen“ demonstrieren: Hier ergreift die deutsche Seite die Partei des Einen, die französische die des Anderen. Hat hierzu nicht Franz Rosenzweig im „Stern der Erlösung“ den entscheidenden Hinweis auf eine Möglichkeit der Lösung geliefert: indem er erstmals die Umkehr als gnoseologische Kategorie, durch die das Eine und das Andere in dem genannten hegelschen Satz sich aufeinander beziehen lassen, einführt und in der späteren Erläuterung des „Neuen Denkens“ das kostbare Wort von der „verandernden Kraft des Seins“ bereitstellt.
    „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“: Es gibt nichts Gottverlasseneres als unsere Theologie.
    Ist nicht die gemeinsame Geschichte der Physik und des Kapitalismus die der Selbstverfluchung in der Geschichte von den drei Verleugnungen?
    Mit dem Fernsehen dringt die Öffentlichkeit, das Für andere Sein, die Entfremdung in die Privatsphäre ein und zerstört sie von innen (Modell einer Theorie der Banken?). Seit der Einführung des Fernsehens (insbesondere seit dem Ursprung des Familienserien) leben die Menschen in der eigenen Wohnung als Fremde, so als lebten sie selbst (und nicht nur die Personen in den für den Zwangs-Voyeurismus produzierten Serien) ständig unter dem zudringenden Einblick aller anderen (vgl. den bewußt inszenierten Schein, von den Nachrichtensprechern, Ansagern und Moderatoren selber angeschaut zu werden, mit ihnen in Blickkontakt zu stehen). Wen wunderts, daß es heute fast nur noch „aufgeräumte“ Wohnzimmer gibt (während noch in meiner Jugend, das aufgeräumte „beste Zimmer“ von der Familie – außer zu den Namenstagen der Eltern, und vielleicht noch zu Weihnachten – nicht genutzt wurde).
    Womit handeln die Banken? Mit dem verdinglichten Medium und Instrument des Für andere Seins: dem Geld.

  • 10.06.92

    Ist die Magd des Hohepriesters die ancilla theologiae (die Philosophie)?
    Die Arbeit ist immer die Arbeit anderer, und deshalb ohne Schmerz und ohne Mühsal, d.h. unkörperlich (vgl. Assmann, S. 88). Grundsatz der Mechanik: Man muß Schläge einstecken, um Schläge austeilen zu können. Und verdrängt werden die „Taten und Leiden des Lichts“. Nur mein Schmerz ist realer Schmerz; er ist irreal für andere, und mit dem Für-andere-Sein wird der Schmerz irrealisiert, gegenstandslos.
    Zu dem Satz „Da interessiert sich kein Schwein für“ und zu der Geschichte mit den Dämonen und der Schweineherde: Das Schwein ist schamlos, aber nur deshalb, weil es keine Fähigkeit zur Selbstreflexion von außen hat. Es ist ebenso unfähig sich selbst in den Augen anderer wahrzunehmen wie, in den anderen mehr als nur ein Objekt zu erkennen; Schweine fressen ihre eigenen Kinder. Sie wälzen sich im eigenen Dreck, sind Verkörperungen des Kummerspecks, und sie sind „nackt“. Aber werden sie dazu nicht erst im Zuge ihrer Domestikation? Sind Tiere nicht generell Verkörperungen von natürlichen Sozialcharakteren, und liegt darin der Grund für das Symbol Behemoth?
    Ist das Ich nicht pathologisch, Produkt eines Entzündungsvorganges (des induzierten Selbstinteresses)?
    Das Wunder von Kana: die Verwandlung von Wasser in Wein. Sind es die Wasser oberhalb oder unterhalb des Firmaments, die in den Wein des Taumelkelchs verwandelt werden? Und worauf verweist die Hochzeit zu Kana? In welcher Beziehung steht der Wein zur Hochzeit (vgl. die Töchter Lots)?
    Ist nicht die Atomistik mit all ihren Differenzierungen, die ganze Mikrophysik (mit Elektro-, Thermodynamik und Chemie), Produkt der dem Inertialsystem immanenten apriorischen Objektbeziehung (der Einbeziehung des Objekts in die Urteilsform: der transzendentalen Logik), Pendant der Subsumtion der Lohnarbeit unters Tauschprinzip im Ursprung des Kapitalismus (paradigmatisch die Verschiebung der Arbeit vom realen Arbeitenden ins Kapital)? Ist hier nicht der Punkt, an dem die verwirrende Obszönitat des Zusammenhangs von Zeugung und Zeugenschaft sich zu klären beginnt?
    Zusammenhang und Differenz von Geld und Raum: Der Kapitalismus subsumiert die Vergangenheit unter die Zukunft (zerstört durch die Subjektivierung und Instrumentalisierung der Zwecke die Idee einer objektiven Teleologie), während die Naturwissenschaft die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert; zusammengehalten wird beides durch die Vorstellung einer homogenen Zeit. Aber deshalb ist nur die Naturwissenschaft in einem strengen Sinne prognostisch. – So hängen Götzendienst, Sternendienst und Opferwesen zusammen.
    Zwölf Apostel und sieben Diakone: Tierkreis und Planetensystem? Wer waren die sieben Diakone, und weshalb war Stephanus (die Krone) der erste Märtyrer?
    Weitere Zuordnungen zu 12 und 7: Judentum und Heidentum (12 Stämme und 12 Apostel, aber 7 Diakone); 12 Monate und 7 Tage (Jahr und Woche); 12 Tierkreiszeichen und 7 Planeten.
    Worin bestand die Buße der 120000 in Ninive, die Rechts und Links nicht unterscheiden konnten, und des Viehs?
    Was bedeutet es, wenn im Buch Tobit der Dämon Asmodai siebenmal den Bräutigam der Sara in der Brautnacht tötete, und erst Tobias die Sara von diesem Fluch befreit; und wie hängt das zusammen mit der Geschichte des Tobit, der erblindete, weil er gegen den Befehl des Königs die Toten begrub, und nach der Tötung des Fischs geheilt wird? Aber am Ende wird Ninive dann doch zerstört, weil Jona es prophzeit hatte.
    In der Skyline Frankfurt kehrt die ökonomische Rationalität des Marktes in ihre idolatrischen Ursprünge zurück.
    Jesus hat gesagt: Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und ich wollte, es brennte schon. Gilt auch für Theologie: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?
    Ist das Heute nicht etwas anderes als das An diesem Tag? Es gibt kein Gestern, das nicht zuvor ein Heute war (es gibt kein ursprüngliches Gestern: zum Begriff der Ewigkeit).
    Die Bedeutungen der Präpositionen und der Präfixe überschneiden sich, sie lassen sich nicht eindeutig trennen. Soweit sie sich trennen lassen, sind Präpositionen in erster Linie räumliche und zeitliche Objektbestimmungen, während Präfixe objektbezogene Bestimmungen des Tuns und Leidens sind. Auch Präfixe sind vom Ursprung her Präpositionen, nur daß sie ins Werk zurückgenommen worden sind und ihm eine prismatische Vielfalt von Bedeutungen verleihen (be-, ver-, zer-, ent-, etc.).
    Gibt es eigentlich die Hilfszeitverben (sein, haben etc.) ohne das Futur II?
    Würde nicht die Bedeutung des Marktparadigmas und auch die der politischen Ökonomie entscheidend sich ändern, wenn man die Geschichte der Banken (Schuld und Kredit) mit hereinnimmt?
    Das Hinter dem Rücken ist kein einfacher Tatbestand, sondern setzt sich zusammen aus den Prinzipien der Anklage, der Verwirrung und der Zuteilung des Schicksals (des Zufalls: Modell der Zuordnung von Begriff und Objekt). Die Zuteilung des Schicksals ist die Macht, die das Prädikat im Objekt über das Subjekt gewinnt (die adaequatio intellectus et rei ist mehr als die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“). Wer gemordet hat, ist ein Mörder: Diese Macht ist zugleich das Prinzip der Hypostasierung (der Personbegriff in der Trinitätslehre) und der Ursprung des Begriffs der Materie.
    In der Geschichte des Bekenntnisbegriffs wurde der Knoten geschürzt, der uns heute zu strangulieren droht.
    Zum Heideggerschen Begriff des Daseins: Dieses deiktische Da -Heidegger spricht auch vom „Sein des Da“ – enthält die Leugnung des Du; das Dasein ist das zum Verstummen gebrachte, fertiggemachte, aus der Kommunkation herausgefallene („geworfene“) Subjekt.
    War die Gnadenlehre nur möglich in einem sprachlichen Kontext, in dem es den Dativ und den Konjunktiv gibt?
    Liegt der Fehler des Augustinus, der bis in die Taten der raf nachwirkt, nicht darin, daß er das „Nicht soll ihrer gedacht Werden“ ersetzt durch den fixierenden Genuß der Seligen im Himmel im Anblick der Leiden der Verdammten.
    Die falsche Übersetzung des tollere (airho – aufheben, aufnehmen) mit „Hinwegnehmen“ hängt zusammen mit der falschen Identifikation des johanneischen mit dem philosophischen (philonischen?) Logos-Begriff (genauer: der Verwechslung von Name und Begriff). Sie bezeichnen gemeinsam präzise den Sündenfall der Theologie.
    Zu den Unterschieden des Opferparadigmas in Markt- und Planwirtschaft: Hier wäre auch hinzuweisen auf die Selbstopfer und die Opfer der Vernunft, die von den Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen gebracht worden sind (nur weil es der Sache diente, der Lüge zuzustimmen, deren Opfer sie selbst dann waren). Schon vor diesem Hintergrund wäre die Klärung der Frage der Tode von Stammheim wichtig (waren es marktwirtschaftliche Morde oder stalinistische Selbstopfer: hier konvergieren beide Paradigmen).
    Das In-der-Welt-Sein ist die Vorprägung durch die Welt, zu der es fast keine Distanz mehr gibt, nur noch das Mitmachen.
    Liegt das Firmament (die Mondsphäre), die die Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb scheidet, nicht auch zwischen Nord und Süd (Links und Rechts)? Gehören Kopernikus und Kolumbus nicht auch in diesem (geschichtstheologischen) Sinne zusammen? Wo liegt das „Schwarze Loch“: in Süd- oder in Nordamerika?
    Hat das firmamentum, die Feste, die Trennung der Wasser oben und unten und die Einheit von Feuer und Wasser, etwas mit der Beziehung von Reichtum und Armut zu tun?
    Zum Verhältnis von Opfer und Gewalt siehe Assmann, S. 184.
    Ist die „Sinnfrage“ (die Husserl noch in der Bedeutungslehre rationalisieren konnte) nicht das letzte Rudiment der Namenlehre in der vom Begriff durchherrschten Sprache? Zusammenhang mit der Idolatrie: sie ist Ausdruck der Hybris des Subjekts, sie macht das Subjekt zum Logos (Sinn ist Sinn für mich; und wenn, dann soll die Welt Sinn für mich haben; Konsequenz aus dem heutigen Verständnis der Unsterblichkeitslehren: was scheren mich die anderen).
    Heute ist schon der Begriff des Eigentums transzendental: alle sind Proletarier; und das Eigentum repräsentiert das trandzendentale Subjekt.
    BEF und BALM: Der Unterschied zwischen einem Amt und Anstalt (zwischen Beamten und Angestellten) ist in vorliegendem Falle haushaltsrechtlich begründet. Der Haushalt eines Amtes (einer nachgeordneten Behörde) ist im Bundeshaushalt auszuweisen, während bei einer Anstalt nur die Kosten der Anstalt auszuweisen sind (z.B. im Falle einer Kreditaufnahme nur die Kosten des Kredits, der Schuldendienst, nicht die Kreditaufnahme selber). Aber weshalb heißen dann Schulen, Gefängnisse, Irrenanstalten und Krankenhäuser sowie die Rundfunk- und Fernsehanstalten auch Anstalten? Kommen etwa alle, die angestellt werden oder etwas angestellt haben, in eine Anstalt? Und wie hängen Anstalten mit Veranstaltungen zusammen?
    Müßte nicht in etymologischen Wörterbüchern die Darstellung der Herkunft von Begriffen außer auf die Geschichte der Wortbedeutung auch auf die institutionelle Geschichte seiner Anwendung (zuletzt auf die politische Ökonomie) reflektieren?
    War nicht die Führerrede das Realsymbol des Rundfunks; was ist das Realsymbol des Fernsehens? Es müßte irgendwo in der Fluchtlinie der Einheit von Sport und Kultur zu suchen sein: der Stillstellung des Subjekts im Zuschauer. Unterhalten werden, um nicht auf den richtigen Gedanken zu kommen?
    Ist nicht der Titel „Götze Markt“ und das Konzept, das dahinter steht, auch ein Stück Verharmlosung? Ein Freund der Familie, der Anfang der vierziger Jahre für kurze Zeit aus Dachau entlassen wurde, antwortete damals auf die Frage „Wie war’s“: „Noch schlimmer“. Hier wird etwas identifiziert, was getrennt gehalten werden muß: Das Marktparadigma (Privateigentum, Geldwirtschaft, Handel; Ursprung des Rechts) ist nicht selbst der Götze, sondern in der Tat, auch historisch, die Wurzel der Idolatrie (es wäre Aufgabe der Altorientalistik, das endlich aufzuarbeiten: nur so wäre auch dem Ursprung der Religonen und der politischen Institutionen der frühen Großreiche, des Geldes und auch der Schrift auf die Spur zu kommen). Die Idolatrie war eine Form der Absicherung, der Herstellung von Strategien der Schuldverarbeitung, die notwendig waren, um die durch das Marktparadigma veränderten Bedingungen der Erfahrung zu verarbeiten. Zum Ursprung des Christentums: Was einmal der Götzendienst leistete, wurde dann durch den Ursprung und die Konstituierung des Weltbegriffs übernommen (über die Philosophie und die Institutionen des Römischen Reiches), das Christentum ist nur die jüdische Antwort auf diese veränderte Situation (eine Antwort, die dann allerdings von real existierenden Christentum im Sinne der Idolatrie verfälscht wurde: das Marktparadigma ist gleichsam in die Substanz des historischen Christentums mit eingegangen).
    Insbesondere wird bei Assmann (obwohl er die „Dialektik der Aufklärung“ zitiert) ausgeblendet, daß in diese Geschichte des Marktparadigmas (als Grund und Teil der Herrschaftsgeschichte) auch in die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur mit eingegangen ist, daß es einen realhistorischen Zusammenhang des Marktparadigmas mit dem Grundkonstrukt, dem dann – durch Vermittlung der Theologie – die naturwissenschaftliche Aufklärung sich verdankt, gibt. Auch deren Anfänge liegen in der altorientalischen Geschichte.
    Die Übersetzung des zweiten Gebots durch das Gebot „Du sollst nicht fluchen“ ersetzt die Gottesfurcht durch die Herrenfurcht und unterbindet das Gottsuchen, sie installiert im Zentrum der Theologie den Götzendienst, die Idolatrie.

  • 30.05.92

    Joachim Fest hat seine Hitler-Biographie seinerzeit als „Geschichte einer Karriere“ verstanden. Er hat damit einen wesentlichen Punkt heutigen Politikverständnisses getroffen: Wo die Politik zu Karriere wird, wo Politik am Prestige gemessen wird, das sie gewährt, wird sie tendentiell faschistisch. Das Prestige, der Ruhm, das Sich-Spiegeln im Urteil der Öffentlichkeit, der Welt oder gar „der Geschichte“ ist Produkt einer pathologischen, Welt und Geschichte mit einbeziehenden Potenzierung des Exkulpationstriebs. Die größte Verführung für den Politiker ist das Gefühl, zum Herrn der Sprache zu werden, durch Sprachregelungen (bis in die Medienpolitik hinein) zwar nicht mehr die Dinge, wohl aber (im Interesse der eigenen Karriere) das Bewußtsein der Dinge bestimmen zu können.
    Der Fluch über die Schlange: „auf dem Bauche sollst du kriechen und Staub sollst du fressen“ ist nur ein anderer Ausdruck für den automatisierten Objektbezug (den apriorischen Objektbezug der transzendentalen Logik). Ist es nicht diese Schlange, die am Boden der Tatsachen klebt („die Welt ist alles, was der Fall ist“)?
    Die Schlange ist die Verkörperung der Leugnung der Umkehr, die Welt ist der Inbegriff dieser Leugnung.
    Die Beziehung von Licht und Finsternis, hat das etwas mit dem Entstehen und Vergehen zu tun (mit dem Verhältnis des Lichts zur Gravitation)? Und drückt sich das nicht in den Farben aus?
    Wenn die Fische auf die Wasser unterhalb des Firmaments bezogen sind, sind dann die Vögel auf die Wasser oberhalb bezogen?
    Der Turm zu Babel, der bis zum Himmel reicht: war das die Astrologie?
    Sind nicht die modernen, nach-einsteinschen Kosmologien (wie zuvor schon die sogenannten nicht-euklidischen Geometrien) Nachfahren der ptolemäischen Epizyklen – auf der Basis der kopernikanischen Wende?
    Kommen Leviathan und Behemoth nicht auch im Buch Jonas vor: als der große Fisch (bei der Flucht nach Tarschisch) und als „so viel Vieh“ in Ninive?
    Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang hängt mit den drei Dimensionen des Raumes zusammen: mit der Beziehung von
    – Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
    – Gericht und Barmherzigkeit (rechts und links) und
    – Oben und Unten (Herrschaft und Gottesfurcht).
    Genau hierin gründet der Primat der Ethik, das Konzept der Ethik als prima philosophia.
    Prophetie und Sexualität: ein unbearbeitetes Thema (war nicht Jeremias unverheiratet, aber schon „im Mutterschoße“ erkannt; vgl. auch die Ehegeschichte des Hosea sowie den prophetischen Begriff der Hurerei)?
    Augustinus, der ausdrücklich darauf verzichtet, im Buche Genesis die „Rätsel der Prophetie“ zu lösen, nimmt damit das Recht der Schlange wahr (und begründet die Allegorie, christliche Sexualmoral und die Höllenlehre).
    Labor und Verwaltung; weitere Äquivalenzen: Industrie, Militär, Justiz und Strafvollzug, Schule, Psychiatrie. Definieren sie nicht alle geschlossene Systeme, die aber zugleich alle einander äußerlich sind?
    Innen und Außen (rechts und links?): Die Gesinnung verdankt sich der Subjektivierung der exkulpierenden Instanz, die Verantwortungsethik ihrer Objektivierung. Gesinnung und Empörung gehören zusammen (die Empörung ist ein Ausfluß und ein Stabilisator der Gesinnung), beide sind zusammenhängende Quellpunkte einer selbstzerstörerischen Dynamik. Im Begriff der Verantwortung steckt die Beziehung auf eine äußere (richtende, zur Verantwortung ziehende) Instanz.

  • 27.05.92

    Zweideutigkeiten:
    – Das „An-Gott-Glauben“ kann sowohl heißen, daß man glaubt, daß ER Gott ist, daß es ihn gibt, als auch: daß man IHM glaubt (seinen Verheißungen).
    – Creatio ex nihilo: Wird entweder verstanden als Ursprung der Materie (die Gott aus dem Nichts erschaffen habe, die aber zugleich Ausdruck des Nichtseins ist) oder als Erschaffung aus dem Nichts, das die Materie (als Teil des Schuldzusammenhangs der Welt) ist; und der Logos als Reflexion dieser Sünde der Welt : jener Reflexion, in der am Ende der Schein der Materie sich auflöst.
    Das „factorem coeli et terrae“ im Credo schließt an an den Anfang des zweiten Schöpfungsberichts; nach dem ersten müßte es heißen „creatorem“.
    Steckt nicht in dem Satz des Thales „Alles ist Wasser“ ein Hinweis auf die Beziehung der Philosophie zu den großen Seetieren? Danach aber wäre es nicht möglich, den intellectus agens als den heiligen Geist zu verstehen.
    Die Übersetzung, wonach Jesus die Schuld der „hinweg“, nicht auf sich genommen hat, bezeichnet genau den Sündenfall der christlichen Theologie. Hier ist die Kirche zum Wolf im Schafspelz geworden.
    Das Konzept des großen Genesis-Kommentars des Augustinus: keine prophetischen Rätsel lösen, dafür genau die Tatsachen feststellen und bestimmen, hängt mit der Grundstruktur der augustinischen Theologie zusammen, die ihr Objekt unterm Primat der Vergangenheit anschaut und Zukunft nur als Fluchtweg der vergeistigten Selbsterhaltung (gleichsam als private Rettung, nicht als Rettung der Welt) kennt. Er verwechselt die Gottesfurcht mit der hündischen Demutshaltung. – Zusammenhang mit dem Ursprung der christlichen Sexualmoral: Hier ragt die Bindung ans Vergangene, die die Theologie verhext, ins Subjekt, in seine Biologie herein.
    Die augustinische Unterscheidung zwischen dem prophetischen und dem tatsächlichen Inhalt der Genesis verfehlt die Schrift in einer für die gesamte christliche Theologie danach paradigamtische Weise. Und zwar auf die gleiche Weise, die auch die Erinnerung an Maria Magdalena so entsetzlich verfälscht hat. Grund ist ein grammatisches Vorurteil, die Installation des Futur und damit des hypostasierenden Denkens in der Sprache: die grammatische Grundlage der Schicksalsidee (des Mythos) und der Philosophie.
    Die Übernahme der Sünde der Welt schließt heute die Reflexion des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs mit ein: Herrschafts- und Wissenschaftskritik, Kritik des Herrendenkens.
    Die Rezeption des Herrendenkens in der Vätertheologie war keine Sache der bloßen Gesinnung: selbst die kirchliche Judenfeindschaft, die Konfliktunfähigkeit in der Auseinandersetzung mit den Häresien und die Frauenfeindschaft stehen in systematischem Zusammenhang mit der Unfähigkeit zur Reflexion des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs, dem sie angehören.
    Hätte Augustinus den Zusammenhang des Begriffs littera mit den paulinischen stoicheia, den „Elementen“, begriffen, wäre die Unterscheidung von prophetischem und tatsächlichem Gehalt undenkbar gewesen.
    Das Fehlen der Futurbildungen in der hebräischen Sprache rückt die Vergangenheit in eine Beziehung zur Zukunft, die die Unterscheidung zwischen prophetischer und tatsächlicher Bedeutung eines Textes ausschließt: Hier hält die Grammatik auch die Vergangenheit für die Zukunft offen; und die Verheißungen sind mit der unabgegoltenen Vergangenheit verknüpft. Erst die griechische Sprache schließt mit der Futurbildung (insbesondere mit der Struktur einer zukünftigen Vergangenheit, des „es wird gewesen sein“) die Vergangenheit ab, macht sie zu etwas Erledigtem, Unauflösbarem, zu dem wir uns nur als Zuschauer verhalten, der gegenüber wir uns, um unserer Freiheit willen, entsolidarisiern müssen, die wir überwinden müssen. Seitdem stehen die Sieger auf den Leichenbergen. Enthält die griechische Sprache nicht schon das Inertialsystem in nuce?
    Genitivus subjektivus und objektivus bezeichnen Eigentums- und Herrschaftsbeziehungen als Reflexionsbeziehungen:
    – der Herr des Sklaven und der Sklave des Herrn,
    – der Eigentümer des Hauses und das Haus des Eigentümers.
    Ist das Adelsprädikat eine Vorstufe der Genitivbildungen?
    Wenn Augustinus das Zeugen von Sühnen aus der Schuldbeziehung (aus der Erbschuld) herausnimmt: drückt sich darin nicht auch diese Funktion der Trinitätslehre und des Zeugungsbegriffs in der Trinitätslehre aus, daß sie eben dieses Zeugen des Sohnes durch Vergöttlichung exkulpiert.
    Was bedeutet es, wenn Jeremias Ägypten den Eisenschmelzofen nennt, und wie bezeichnet er Babylon? Wie hängt das damit zusammen, daß er in der Vorgeschichte der babylonischen Gefangenschaft die Partei Babylons ergreift?
    Stand nicht der gesamte Expressionismus im Konjunktiv? Und ist das Verschwinden des Konjunktivs nicht Ausdruck des Verschwindens der Hoffnung (bis hinein in raf-Texte)? Das Blochsche Prinzip Hoffnung ist eine zwangsläufige Konsequenz der expressionistischen Anfänge Blochs. Dagegen treibt die Ontologie den Menschen das Wünschen aus; sie macht die Menschen, indem sie die Geschichte ins Ereignishafte, Schicksalshafte (in die „Geschichtlichkeit“) zurückstaut, zu bloßen Objekten. Nicht Anderes drückt sich im heideggerschen Begriff des „Daseins“ aus. Der deiktische Gestus im Da des Daseins ist subjektlos (wie das Grinsen der Katze, das im Raum bleibt, wenn die Katze verschwindet). Deshalb gehört zum Dasein die Geworfenheit ins Da. In diesem Da drückt sich genau das aus (und wird auf die Spitze getrieben), was Rosenzweig die verandernde Kraft des Seins genannt hat. – Das Dasein ist Produkt der Identifikation mit der annihilierenden Gewalt des Seins.
    Die heideggersche Geschichtlichkeit ist der endgültige, der abschließende Ausdruck der Verleugnung der Prophetie durch den historischen Objektivitationsprozeß (Heidegger als katholischer Wellhausen).
    Zur Identität von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit: Das Eigentliche Heideggers hat eine ähnliche Bedeutungsstruktur wie das Grundsätzliche der Juristen: Es bezeichnet „eigentlich“ die Verneinung des Gemeinten. Wie das „grundsätzlich“ bezeichnet es ein Sollen, das nicht erfüllt werden muß; es schließt die Ausnahme vom Grundsätzlichen als Regel mit ein.
    Taucht nicht dieser heideggersche Sprachgestus der antwortlosen, der „rhetorischen“ Fragen erstmals beim Rhetoriker Augustinus auf? (Heidegger als Verkörperung der dritten Gestalt der Verleugnung: der Selbstverfluchung, und Augustinus die der ersten Gestalt?)
    Augustinus‘ Genesis-Kommentar, drittes Buch, sechstes Kapitel: „Der Verfasser (der Bibel, H.H.) wußte genau um das Wesen der Elemente und ihre Ordnungen, als er die Geschichte der Schöpfung der sichtbaren Dinge einleitete …“ (S. 80) Es ist der gleiche apologetische Gestus, der glaubt nachweisen zu müssen, daß der Prophet genau so klug war wie die Philosophen (oder das zeitgenössische unreflektierte Bewußtsein, das es immer besser weiß), der dann in die Falle der Unterstellung gerät und nicht mehr herauskommt. Hier klingt erstmals die allbekannte Lehrerfrage an „Was wollte der Dichter damit sagen?“
    Haben die biblischen Abgründe etwas mit dem Gravitationsfeld zu tun, und was entspricht dem in der Sprache, die das Inertialsystem antizipiert?

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