Philosophie

  • 25.05.92

    Die augustinische Gnadenlehre ist (durch ihr Verständnis des Bekenntnisbegriffs) die Grundlage der Confessiones (Flasch, S. 109).
    Die augustinische Gnadenlehre, oder die instrumentalisierte Gottesfurcht und der Terror.
    Die Rhetorik reicht von der forensischen Sphäre der Konfliktbearbeitung (Anklage und Verteidigung) bis hin zum Aufschwätzen in Politik und Geschäft (public relation).
    Die Vätertheologie insgesamt und an ihrem Ende auch Augustinus ist zum Opfer ihrer Opfertheologie geworden, die paradoxerweise der Preis war für die Rezeption der Philosophie.
    Die augustinische Gnadenlehre ist das erschütternde Denkmal seiner Auseinandersetzung mit dem philosophischen Prinzip: der mißlungenen Kritik des Herrendenkens.
    Hängen „gesinnt“ und „gesonnen“ mit „Sinn“ und „Sonne“ zusammen (nationalgesinnt und wohlgesonnen)? Dann wäre hieraus ableitbar, daß jede Sinnsuche blasphemisch ist.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes verschließt die Dinge gegen die Einsicht, gegen den „intellectus“. So war in der aristotelischen Tradition des Mittelalters der intellectus agens in der Mondsphäre angesiedelt: d.h. außerhalb des subjektiven Verstandes (Konnotation der Gnadenlehre). In der augustinischen Philosophie hängt der intellectus als Erfüllung des Glaubens mit der Gnadenlehre zusammen.
    Die Themenstellung Freiheit und Gnade bezeichnet genau die Falle, in der Augustinus sich verfangen hat. Im Rahmen dieser Themenstellung (auf der Basis des liberum arbitrium) ist eine Lösung grundsätzlich ausgeschlossen.
    Augustinus hat aus dem Sündenfall den Sündenphall gemacht, damit aber sich selbst den Bereich verschlossen, in dem allein sinnvoll von der Erbschuld hätte gesprochen werden können. Er hat an die Stelle der Zunge den Phallus (an die Stelle der Urteilslust die sexuelle Lust) gesetzt. Damit hängt es zusammen, wenn er im Kampf gegen den „bösen Treib“ seine Frau verraten hat. (Aber ist nicht vielleicht doch der Phallus in der Natur, was die Zunge in der Welt ist, und sind vielleicht beide wie Natur und Welt aufeinander bezogen?)
    Die Sexualmoral verrät den Logos (und zwar zwangsläufig: indem sie die Idee des Logos an dessen philosophische Parodie, die Übernahme der Sünde der Welt an die Herrschaft der Logik verrät).
    Die Kirche hat Jesus, indem sie supponiert, er habe die Sünde der Welt „hinweggenommen“, aufs entsetzlichste belastet und alleingelassen.
    Augustinus verfehlt sein Thema, nämlich die Gottesfurcht, die in dem Pauluswort, daß niemand sich rühmen dürfe, drinsteckt und gemeint ist, dadurch, daß er sie unmittelbar per Projektion ableitet auf die Israeliten, d.h. in die kirchliche Judenfeindschaft. Und es ist genau diese verdrängte Gottesfurcht, die dann als Ideologie des Terrors wiederkehrt.
    Daß man sich nicht seines Tuns rühmen darf, heißt nicht, daß man nicht für sein Tun verantwortlich ist. Aber dieses Mißverständnis zu vermeiden, scheint Augustinus nicht ganz gelungen zu sein. Seine Gnadenlehre hat schon etwas von jenen Exkulpationsstrategien (Rechtfertigungslehren), die dann daraus abgeleitet worden sind und das Christentum im Kern verhext haben.
    Die Realbedeutung der augustinischen Gnadenlehre läßt sich an der Feststellung ermessen, daß jeder, wenn er erwachsen wird, auch für sein Gesicht und für seinen Charakter verantwortlich wird, und daß man eines Tages nicht nur für die eigene Vergangenheit, sondern auch für die, in die man hineingeboren wird, wird Rechenschaft ablegen müssen (was das für den Christen, für den Deutschen und für den Mann heute heißt, bedarf keiner Erläuterung).
    In welcher Beziehung steht der intellectus agens zur Vergangenheit? Ist er nicht ein Stück erinnerter Vergangenheit? Und in welcher Beziehung steht er zu der Lehre von der Auferstehung der Toten oder zur Idee des Heiligen Geistes?
    Auch die Philosophie, die an der Idee des Guten sich orientiert, steht unter dem Gesetz der Erkenntnis des Guten und Bösen, d.h. des Sündenfalls.
    Omne animal post coitum triste: Ist nicht die Dämonisierung der Lust auch die Dämonisierung der Trauer (der Erinnerung)? Und steckt nicht in jeder Lust – gleichsam als das Salz, als ihre Substanz – die Trauer der vergangenen Erinnerung?
    Die Umformung des achten Gebots in das „Du sollst nicht lügen“ ist insoweit dämonisch, als es selber Lüge ist und zur Lüge verurteilt. Hieran läßt sich die paulinische Erkenntnis, daß das Gesetz zur Schuld verurteilt, demonstrieren.
    Nochmals zum intellectus agens: War nicht der Ursprung der modernen Naturwissenschaften, das Inertialsystem und dann besonders auch das Gravitationsgesetz, so etwas wie die Durchsetzung eines universalen Erinnerungsverbots (das erstmals durchbrochen wurde durch die Einsteinsche Relativitätstheorie, durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit)?
    Für das Christentum war das jüdisch-christliche Schisma der Ursprung des Erinnerungsverbots und der Identifikation mit dem Aggressor: der Rezeption des Weltbegriffs. Durchschnitten wurde die Beziehung des Weltbegriffs zum Schicksal: zur Idolatrie, zum Sternendienst und zum Opferwesen, die Erinnerung seines Ursprungs. Nur diese Erinnerung hätte das Dogma und seinen terroristischen Gebrauch verhindern können. Das Erinnerungsverbot wurde zum Grund der kirchlichen Theologie und der hierarchischen Herrschaftsstrukturen in der Kirche (ihrer Noachidisierung).

  • 24.05.92

    Ist nicht (gegen Flasch, S. 94) die Biologisierung der Erbsünde gerade eine Konsequenz des augustinischen Personalismus?
    Augustinus behandelt die Geschichte mit Esau und Jakob als Fall, an dem man ein Gesetz (die Paradoxie des Gesetzes der Gnade) demonstriert.
    Zu Psalm 5811 (5711): In dem Psalm ist das Blut der Sünder das der „Frevler“, der Herren (bei Augustinus wird daraus das Blut der Aufsässigen, schließlich der Häretiker); und der Gerechte wäscht nicht (wie die Vulgata übersetzt) seine Hände in diesem Blut, sondern er watet im Blut.
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, aber das Strafrecht läßt als Notwehr gegen die Gemeinheit des Rechts die Lüge zu. Vor diesem Hintergrund gewinnt die kirchliche Umformung des achten Gebots in „Du sollst nicht lügen“ den besonderen Sinn, die Menschen wehrlos zu machen. Konsequenz des dämonischen Gottesbegriffs. Zugleich hat sie die Gläubigen aggressiv gemacht.
    Das Gebot „Du sollst nicht lügen“ definiert Wahrheit durch die subjektive Ehrlichkeit; er schränkt Wahrheit damit apriori auf das Reich der Erscheinungen ein: er ist eine Konsequenz aus der Unfähigkeit zur Reflexion des Weltbegriffs (ein Mittel im Kampf gegen die Häeresien, die selber genau dieser Unfähigkeit sich verdanken, und der Grund, aus dem die Selbstverfluchung einmal zwangsläufig erwachsen muß).
    Die gar nicht so uninteressante Frage, ob nicht der emphatische Begriff der Wahrheit etwas mit einschließt, was im Kontext der Verblendung Lüge heißt, wäre zu prüfen. Daß Generationen von Philosophen, durch die Universitätsbildung schlau geworden, nichts dabei fanden, in welchem Zusammenhang und mit welcher Bedeutung in Hegels Philosophie der Begriff der List erscheint, hängt hiermit zusammen.
    Der Teufel, der Herr der Hölle ist auch der Vater der Lüge (und Subjekt des Gelächters). Wie hängen Lachen und Lüge zusammen? Ist nicht das Lachen die infamste (weil ohne Selbstdenunziation nicht widerlegbare) Gestalt des falschen Zeugnisses (Zusammenhang mit dem Raumbegriff)?
    Zur Ableitung der Sexualmoral und der Frauenfeindschaft: Augustinus opfert im Kampf gegen seinen bösen Trieb die Frau (die namenlose Mutter seines Sohnes „Adeodatus“: wer ist hier der „deus“?). Der Marquis de Sade hat dieses Verhältnis auf den Punkt gebracht.
    Kurt Flasch mißt Augustinus an der neopaganen Idee einer unschuldigen Natur (oder der natürlichen Unschuld); er hat offensichtlich seinen Freud nicht gelesen und kennt in dieser Sache nur die – aus der christlichen, der augustinischen Tradition stammende -Alternative: Urteil oder Freispruch.
    Im jüdisch-christlichen Schisma hat das Christentum die Gottesfurcht verdrängt; damit waren die Wurzeln eingepflanzt für Gnosis und Manichäismus.
    Nach dem Verrat der Gottesfurcht, wurde im Kampf gegen die Gnosis die Idee der Schöpfung, im Kampf gegen den Manichäismus die des Gerichts verraten.
    Zum Taumelkelch und seiner Beziehung zum Hegelschen Absoluten: Ist dieser Taumelkelch nicht schon zuvor über die Trinitätslehre in die Theologie aufgenommen worden?
    Im Dogmatisierungsprozeß wurde die Warntafel mißachtet, die Jesus selbst aufgerichtet hat: Das Wort „Richtet nicht …“ enthält doch auch die ganz schlichte Konsequenz: Die Wahrheit ist nicht Gegenstand des Urteils.
    Das Verbot zu lügen untergräbt die Logik und die Botschaft des Märchens; nur das Märchen eröffnet den Bereich, in dem der Teufel als dumm erkennbar wird: das aber ist das für ihn schlimmste Prädikat.
    Wo kommen Insekten in der Schrift vor? Und in welcher Beziehung stehen sie zu den Würmern, zum Gewimmel, zu den Kriechtieren -oder zur Schlange? (Und welche Blumen kommen in der Bibel vor?)
    „schuf“, „erschaffen“, „Erde“, „Himmel“.
    Zur Theorie des Feuers: das Aufspannen (des Himmels) hängt mit der Spannung zusammen, die beispielsweise auch einem Roman eignet, dessen Telos (nach Lukacs) der Tod ist. Waren die Scheiterhaufen die christlichen Erben der Moloch-Opfer? Bibel-Stellen zu „Feuer“, „Flamme“, „brennen“, „brannte“. Der Kreislauf des Wassers (der Wasser von unten und der von oben) oder der Zusammenhang von Schuld und Segen. Was bedeutet das Wort am Kreuze „Mich dürstet“ („Durst nach Gerechtigkeit“)? Hunger und Durst, Feuer, Asche und Staub. Die vierzig Tage Jesu in der Wüste, die Versuchung und am Ende die Engel, die seinen Hunger und Durst stillten. Wovon nährte sich Johannes der Täufer? Haben die Heuschrecken mit denen in der Exodusgeschichte zu tun?
    Die Orthogonalität des Raumes und die Reversibilität der Richtungen im Raum gehören zusammen. In dieser Reversibilität aber drückt die Macht des Unteren über das Obere, des Hinteren über das Vorne und der linken über die rechte Seite aus.
    Natur und Welt sind die beiden Gestalten des Für-andere-Seins als Totalität (Folge der Verirrung im Labyrinth der Mathematik: aber hat nicht die kantische Philosophie die Grenzen dieses Labyrinths abgesteckt, während die hegelsche Philosophie das Labyrinth von innen vermessen hat).
    Der Exkulpationstrieb hat seine Wurzeln in der Gewalt, die wir immer noch dem moralischen Urteil beimessen; diese Gewalt aber gründet in der christlichen Himmels- und Höllenvorstellung.

  • 19.05.92

    Die aristotelische Metaphysik ist von der aristotelischen Körperphysik nicht zu trennen, zu der u.a. auch die Lehre vom natürlichen Ort gehört, die dann durch die noesis noeseos, durch das Denken des Denkens, das (über das teleologische Element darin) eins ist mit dem ersten Beweger, direkt in die Metaphysik einmündet. Mit der Kritik und Auflösung der Zweckursachen, mit der Subjektivierung der Teleologie und d.h. mit der Etablierung des Inertialsystems verliert die aristotelische Metaphysik ihre Basis. Das ist vermittelt durch die Theologie, durch die Einführung des Schöpfungsbegriffs in die aristotelische Metaphysik (in die er nicht hineinpaßt). Durch die Idee einer creatio ex nihilo gewinnt zwar der aristotelische Gott Schöpferkraft, gewinnt er seine besondere Art von Allmacht, die ihn dann allerdings (durch die genau hier logisch erzwungene nominalistische Revolution) gleichsam von innen aushöhlt, als Hypostase des Staates erkennbar macht. Nicht Gott, sondern der Staat ist „Schöpfer“ der Welt; und die creation ex nihilo ist ein Deckbegriff der unbegriffenen ökonomischen Funktion des Staates.
    Quellpunkte des Systems sind:
    – die Geldwirtschaft,
    – dann der (aus der Verbindung der philosophischen Gotteslehre mit der theologischen Schöpfungsidee entspringende) theologische Bekenntnisbegriff,
    – und am Ende das Inertialsystem (mit dem daraus entspringenden christologischen Naturbegriff).
    Die Etablierung des Inertialsystems ist von ähnlicher geschichtsphilosophischer Relevanz und Bedeutung wie der kirchliche Dogmatisierungsprozeß, mit dem sie genetisch, strukturell und logisch zusammenhängt.
    Die fürs Inertialsystem konstitutive (systembildende) Beziehung zur Vergangenheit hat ihr Modell und ihr Vorbild in der Beziehung zur Vergangenheit, die bereits den Prozeß der Dogmenbildung bestimmt. Die „Überwindung“ der Vergangenheit (der vergangenen Gestalten der Religion oder der Erkenntnis) ist in beiden Fällen erkauft mit der unkenntnlich gemachten Wiederkehr des Verdrängten.
    Das newtonsche Gravitationsgesetz und seine Optik gehören zum Inertialsystem als Stabilisatoren (als Wächter des Orthogonalitätsprinzips) dazu.
    „Oh Haupt voll Blut und Wunden …“: das tiefste Symbol des Inertialsystems (eigentlich insgesamt die Passionsgeschichte: mit dem „Warum schlägst du mich?“, der Königsparodie und der Dornenkrone, aber auch unter Einschluß des Unschulds-Händewaschens des Pilatus).
    Der Satz Adornos „Ideologie ist Rechtfertigung“ ist im strengen Sinne christologisch, bringt die „Sünde der Welt“ auf den heutigen Erkenntnisstand.
    „Wenn die Welt euch haßt …“ Das heißt doch auch: der Haß, den ihr verspüren werdet, wird so subjektlos sein wie die Welt; das ist der Hintergrund und die Grundlage für das Wort am Kreuz: „… denn sie wissen nicht, was sie tun“. Und dieses Wort scheint heute zum Wesen und zu Signatur der Welt insgesamt zu werden: Wer weiß noch, was er tut? Vgl. hierzu auch das Ende des Buches Jona. Heute verstricken sich alle in Schuld, die es immer noch nicht wissen und sich wohl dabei fühlen. Nochmal: „Wenn die Welt euch haßt …“ Aber wenn der Geist kommt, wird er das Antlitz der Erde erneuern, das hinter diesem Haß der Welt nicht mehr zu erkennen ist.
    Drei Bemerkungen zur Kritik der Naturwissenschaft:
    – Das Inertialsystem ist das Referenzsystem aller naturwissenschaftlichen Erscheinungen, Begriffe und Gesetze;
    – es konstituiert sich durchs Relativitätsprinzip, durch das Gedankenexperiment, das die Orthogonalität aller Strukturen im Inertialsystem (bis hin zur „Trennung“ von Raum, Zeit und Materie); dazu gehören die Formulierung des Gravitationsgesetzes (die Identität von träger und schwerer Masse) und der Grundlagen der Optik (Feststellung der endlichen Lichtgeschwindigkeit);
    – mit der Etablierung des Inertialsystems ist die Herrschaftslogik mitgesetzt, als Logik des Zusammenhangs von Objektivation und Instrumentalisierung.
    Rosenzweigs Bemerkung zu Schopenhauer und Nietzsche, daß sie als erste die Welt nach ihrem Wert für sie (für Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche) beurteilen, bezeichnet den Punkt, an dem erstmals die Sünde der Welt in die Philosphie hereinragt.
    Der Konsensbegriff und die Kommunikationstheorie übersehen, daß die Logik – nach dem Hegelschen Nachweis – ohne ein dezisionistisches Moment nicht zu halten ist; eben deshalb bedarf die Hegelsche Rechtsphilosophie eines Souveräns und seiner Legitimierung durch Geburt. Es gibt in der Tat keine Wahrheit ohne die Idee der Versöhnung.
    Bis heute hat die Kirche ihre Hähne immer rechtzeitig geschlachtet.
    Ohne Metaphorik verliert die Sprache ihre benennende Kraft; aber die Metaphorik lebt von der Logik der Umkehr. Sie verhält sich zur Identitätslogik wie die Begründung zur Kausalität. Ohne Metaphorik verliert die Sprache mit der benennenden auch die begründende Kraft („Traum der Menschheit, sich von einem Punkt des Raumes zu einem anderen Punkt des Raumes zu bewegen“).
    Weltbegriff: historisch, logisch und theologisch.

  • 18.05.92

    Ist das „Lamm Gottes“ nicht die konkrete Antwort auf die philosophische „theoria“, die Suche nach der archä (Korrelat der „Sünde der Welt“), die Entdeckung des Begriffs (Verinnerlichung des Schicksals) und die Begründung des Weltbegriffs?
    „Die Welt ist alles, was der Fall ist“: Das ist die logische Folge der Beziehung von Schicksal, Begriff und Weltbegriff. Im Symbol des Lammes Gottes wird die Zuschauerhaltung zur Welt als Schein (und als Gottesfurcht-Verhinderungs-Strategie) durchsichtig.
    Umkehr als gnoseologische Kategorie und Ethik als prima philosophia.

  • 16.05.92

    Dem Antisemitismus sind die Trauben zu hoch, deshalb zu sauer.
    Hat der gordische Knoten etwas mit der Ökonomie, mit der Geldwirtschaft zu tun und/oder mit dem Planetensystem? Und ist die Transzendentalphilosophie ein Produkt des bloß durchschlagenen, nicht gelösten Knotens?
    Hat das Wunder von Kana, die Verwandlung von Wasser in Wein, etwas mit der Noe-Geschichte zu tun (Sintflut, erster Weinanbau, Trunkenheit Noes und Aufdeckung seiner Blöße durch Ham)?
    In jedem apodiktischen Urteil steckt die Negation mit drin: A ist nicht A, sondern B.
    Die Vögel, die Fische und die Reptilien legen Eier und sind mit Ausnahme der Delphine und Wale keine Säugetiere.
    Lippenbekenntnis und Zungenreden. Zunge: welch merkwürdiges Wort und welch gefährliches Ding.
    Gibt es nicht, vom Indifferenzpunkt der Längenkontraktion und Zeitdilatation aus gesehen, zwei Wege des Falles, zwei Wege, das Inertialsystem zu konstruieren: die Identität von Trägheit und Schwere und das Plancksche Strahlungsgesetz?
    Die Idee Gottes ist von der des Ewigen, die des Menschen von deren zeitlichem Abbild, nicht zu trennen.
    Der Fall ist der Fall in die reine Äußerlichkeit, die Trennung von Raum, Zeit und Materie (Trennung von Leib und Seele).
    Es gibt keine Begriffe ohne projektiven Anteil. Ist nicht der Grund des begrifflichen Denkens das erlösungssüchtige Selbstmitleid?
    Ist der Weltbegriff die Wasserscheide zwischen Hebräern und Juden; und gehört nicht die Geschichte von den verlorenen Stämmen Israels in diesen Kontext? Die Hebräer sind mit dem Haus Israel untergegangen, an deren Stelle ist das Haus Juda getreten?

  • 07.05.92

    Kelch und Kreuz: Ist mit dem Kreuz im Nachfolge-Rat schon das Kreuz von Golgatha gemeint? Muß, wer das Kreuz auf sich nimmt, den Kelch trinken?
    Die Unbelehrbarkeit (Produkt aus Schuld und Verstockung) ist eine Konsequenz aus der Sünde wider den Heiligen Geist. Sie kann weder in dieser noch in der kommenden Welt vergeben werden.
    Jungfrauengeburt und die sogenannte „Enttäuschung der Parusieerwartung“: In beiden spielen die Mechanismen eine Rolle, die man in dem Konzept von Objektivierung und Instrumentalisierung zusammenfassen kann.
    Alle Kosmogonien haben mit dem Urknall gemeinsam, daß sie sich um die Idee der Schöpfung herummogeln, den Naturbegriff als Totalitätsbegriff festhalten wollen.
    Zu den Confessiones des Augustinus:
    – Für ihn war das Bekenntnis als Symbolum in erster Linie etwas, das sich in seiner Beziehung zu Gott abspielte; es war esoterisch, der Gottesfurcht oder der Scham unterworfen.
    – Vor den Menschen war es vorab ein Schuldbekenntnis, ein Sich-wehrlos-Machen, ein „Akt der Demut“, und zugleich ein Bekenntnis der Befreiung, mit dem Anreiz für andere, es nachzumachen. Hierin ist der ursprüngliche Sinn des Bekenntnisses noch sichtbar, aber hier ist genau der Punkt bezeichnet, an dem es umkippt in ein konfessionelles Bindemittel.
    – Das zweite große Bekenntnis in der europäischen Geschichte, das des Rousseau, ist eigentlich nur noch exkulpatorisches Bekenntnis, Bekenntnis einer schuldlosen Schuld, das glaubt, im „Zurück zur Natur“ einen Fluchtweg aus dem Schuldbewußtsein, aus der Gottesfurcht gefunden zu haben, und das dann zwangsläufig in den christologisch instrumentierten Naturbegriff führt. Es kein Zufall, daß Rousseau, die Etablierung des modernen Naturbegriffs, diese zugleich ungeheure und subkutane Wirkung gehabt hat, in der gesamten Geschichte von Spinoza über den deutschen Idealismus bis hin zu Derrida.
    – Welche Sünden bekennt Augustinus:
    . die Gier und die Eifersucht des Säuglings,
    . den Diebstahl des Heranwachsenden und
    . die Sexualität des jungen Mannes, wobei er das moralische Problem nicht in der Trennung von der Frau, mit der er zusammengelebt hat, sieht, sondern nur in der sexuellen Beziehung, die er vor der Trennung gehabt hat. Diese Kälte ist die Kirche seitdem nicht mehr losgeworden. Indiz des Zusammenhangs der kirchlichen Unsterblichkeitslehre mit dem bürgerlichen Prinzip der Selbsterhaltung, das über diese Unsterblichkeitslehre (und durch die Aufnahme des Tauschprinzips in die bürgerliche Moral) gleichsam seine theologische Weihe erhält.
    – Beim Augustinus ist der Kontext des ungeheuerlichen Wortes vom Binden und Lösen noch mit Händen zu greifen. Hat nicht dieses Binden und Lösen nicht sehr viel mit dem gordischen Knoten zu tun: den Alexander, Schüler des Aristoteles und erster Welteroberer, nur durchschlagen und nicht gelöst hat? Alexander ist geradezu die historische Verkörperung jener Beziehung von Philosophie und Herrschaft, die dann durch die Rezeption der Philosophie und durch die Übernahme des Erbes Roms in der Konstantinischen Ära von der Kirche übernommen und verinnerlicht worden ist, mit all den Folgen, die das gehabt hat.
    – Im Anfang (im Zusammenhang mit dem Satz „inquietum es cor nostrum …“) kommt die Differenz zwischen dem Anrufen Gottes und der Kenntnis Gottes zur Sprache, ohne daß sie wirklich entfaltet wird. Ist nicht das „inquietum …“ ein Fluchtversuch aus dem Bereich der Gottesfurcht?
    – Ist nicht der augustinische Gott – wie der philosophische -stumm, und wird er nicht gerade durch die dogmatische Logos-Spekulation zum Verstummen gebracht? Was ist das für ein Gott, in dem ich ruhen könnte?
    Zur euklidischen Geometrie: Ein Dreieck in einer Ebene enthält sechs Bestimmungselemente: drei Längen und drei Winkel. Von diesen sechs Elementen müssen drei gegeben sein, um ein Dreieck eindeutig zu bestimmen, mit der einen Ausnahme: Durch drei Winkel werden nur ähnliche, nicht gleiche Dreiecke bestimmt (Grund ist u.a., daß aufgrund der mathematisch bestimmten Winkelsumme der dritte Winkel keine unabhängige Größe darstellt, sondern durch die Festlegung der beiden anderen mitbestimmt ist).
    Hat das Rosenzweigsche Konstrukt Gott Welt Mensch etwas mit dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zu tun, oder auch mit dem Verhältnis von Raum und Umkehr: Oben/Unten, Rechts/ Links und Vorne/Hinten (und zwar genau in dieser Reihenfolge)? Und gründet die Ebenbildlichkeit des Menschen in der Abbildlichkeit, in der abbildlichen Beziehung des Vorne und Hinten zum Oben und Unten? Für Gott gibt es kein Hinten, für den Menschen kein für ihn gegenständliches Unten (aus diesem Satz läßt sich die gesamte Moral ableiten).
    Die Subjektivität der kantischen Formen der Anschauung wird bei Kant selber nachgewiesen durch die Antinomien der reinen Vernunft.
    Israel ist der Augapfel Gottes; deshalb entspringt mit dem Versuch, der Gottesfurcht zu entgegehen, gleichsam hinter den Rücken Gottes zu gelangen, der Antisemitismus.
    Es ist wahr: Mit dem Ursprung des Protestantismus war die häresienbildende Kraft in der Kirche erschöpft. Aber ist die Frage nicht interessanter: Wo und unter welchen Bedingungen ist die häresienbildende Kraft in der Kirche entstanden, wo ist sie entsprungen? Die Lösung dieser Frage würde die Lösung des Rätsels des Christentums mit einschließen.
    Die apologetische Bemerkung in der Einleitung zu den Minima Moralia über die Bedeutung der individuellen Erfahrung für die Philosophie wäre ihres apologetischen Charakters zu entkleiden und als schlichter sachlicher Quellpunkt einer neuen Selbstbegründung der Philosophie zu bestimmen.

  • 06.05.92

    Die Vergangenheit eröffnet sich erst, wenn wir die Geschichte nicht mehr nur als eine Geschichte der Dinge, sondern auch als eine Geschichte des Bewußtseins begreifen, d.h. wenn wir fähig sind, das eigene Bewußtsein, die Gestalt des eigenen Bewußtseins, selber als geworden, als bedingt zu reflektieren und zu begreifen. Nichts anderes bedeutet es, wenn es von Jesus heißt, er habe die Sünde der Welt auf sich genommen. Die Geschichte als eine Geschichte der Dinge zu begreifen, heißt die Geschichte als Weltgeschichte begreifen. Und diese Geschichte reicht nun in der Tat nicht vor die Entstehung der Welt oder des Weltbegriffs zurück.
    Der Begriff der Welt ist das Apriori, der der Natur das Aposteriori des verdinglichenden Denkens.
    Der Islam kennt kein Geschichtsdrama, weil er keine Erbsünde kennt.
    Das Im Angesicht Gottes ist die Antizipation des Jüngsten Gerichts (und nur innerhalb einer durchs Geschichtsdrama bestimmten Geschichte möglich). Nur so ist die Prophetie zu verstehen und ihr Zusammenhang mit dem Satz „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“.
    Anstatt die Schrift auf das Niveau von Seminararbeiten an deutschen Universitäten herabzuziehen, käme es darauf an, das Niveau von Seminararbeiten auf das der Schrift anzuheben.
    Die Konfliktunfähigkeit in der Kirche rührt her von dem fürchterlichen Mißverständnis des vierten Gebotes. „De mortuis nihil nisi bene“: Hat das nicht auch etwas mit dem kirchlichen Verständnis des Begriffs der Blasphemie zu tun (während die Idee der Heiligung des Gottesnamens auf etwas davon toto coelo Verschiedenes bezieht)?
    Die letzte Gestalt des Bekenntnisses: das Weinen des Petrus, nachdem der Hahn krähte. Das konfessionelle Bekenntnis liegt eher in der Nähe des trotzigen (stumme) Beharrens auf der Schuld; es ist das Modell jeglicher Unbelehrbarkeit und insofern mythisch.
    Zur Konstituierung und Absicherung des Trägheitsbegriffs und des Inertialsystems, und d.h. zur Konstituierung und Absicherung des Konzepts der modernen Naturbeherrschung gehören das Gravitationsgesetz und eine Theorie des Lichts, die die endliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts mit einschließt. Beide beziehen sich nicht nur auf Erscheinungen im System, sondern auf den Bestand des Systems selber (vgl. den Zusammenhang von Trennen und Benennen in der biblischen Schöpfungsgeschichte).
    If the future will be like the past, oder: Weshalb lassen sich die an vergangenen Erscheinungen gewonnenen Erkenntnisse auf die Zukunft übertragen? Diese Frage läßt sich mit ja beantworten nur im Kontext dessen, was Kant die subjektiven Formen der Anschauung nennt, objektiv im Kontext des Inertialsystems. Indiz ist der Begriff der Materie (der Trägheit), Voraussetzung der grammatische Zusammenhang von Futurbildungen und Hypostasierung (Substanzbegriff). Historische und logische Vorstufen dieses Konzepts sind die Idolatrie, der Sternendienst und die Opferreligion.
    Aufklärung verdankt sich nicht nur der Verinnerlichung des Opfers, sondern der Neutralisierung und Vergegenständlichung von Idolatrie und Sternendienst im Weltbegriff und seinen Absicherungen in der Geschichte der Philosophie und der Wissenschaft.
    Bemerkungen zum johanneischen Begriff der Sünde der Welt, oder über das Verhältnis von Philosophie und Theologie.
    Die Unfähigkeit zur Reflexion der subjektiven Form der äußeren Anschauung (des Raumes) ist die Unfähigkeit zur Reflexion des Patriarchats.

  • 13.04.92

    „Der orientalische Staat ist daher nur lebendig in seiner Bewegung, welche, – da in ihm nichts stät und, was fest ist, versteinert ist, – nach außen geht, ein elementarisches Toben und Verwüsten wird; die innerliche Ruhe ist ein Privatleben und Versinken in Schwäche und Ermattung.“ (Hegel, Rechtsphilosophie, S. 355) Hier, im Entstehungsprozß der „Welt“, ist der Staat noch (nach innen und nach außen) ein Natur- und Gewaltverhältnis, welches die Griechen dann im projektiven Begriff der Barbaren nach außen projizieren, indem sie das Gewaltverhältnis selber als Vernunft verinnerlichen, sich zu Herren dieses Gewaltverhältnisses machen. Das Gelingen drückt sich im Begriff der Welt aus. Heute, da die Verhältnisse des „äußeren Staatsrechts“, die Hegel zufolge Natur- und Gewaltverhältnisse geblieben sind, über die nicht mehr zu domestizierende Ökonomie im Innern der Staates sich reproduzieren (der Weltbegriff zu Protest geht, Außengewalt und Innenrecht trübe sich vermischen, der Begriff an der dezisionistisch-autoritären Gestalt der Souveränität zerbricht, der „Rechtsstaat“ als Ausnahmezustand sich etabliert – vgl. Carl Schmitt), sind wir zu Akteuren des gleichen Weltuntergangs geworden, gegen den wir zugleich (als bloße Zuschauer) uns selbst verblenden. Rückfall in den orientalischen Staat: in die „inner-liche Ruhe“ der Idiotie des Privatlebens, „Versinken in Schwäche und Ermattung“.
    Auch das ist Erbe der Hegelschen Philosophie (oder ihr prophetischer Gehalt): daß im Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus die Nationalismen aufbrechen mit z.T. barbarischer Gewalt. Der Zusammenhang von Marktwirtschaft und Nationalismus läßt sich erkennen an dem Zusammenhang von Geldwertstabilität und Außenhandelsbilanz, an dem gleichen Zusammenhang, der die westliche (insbesondere aber die deutsche) Wirtschaftspolitik bestimmt, und der Hegels Satz, „daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, … dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern“ (Rechtsphilosophie, S. 245), auf die fatalste Weise bewahrheitet: Die Wirtschaftspolitik des Westens begreift deshalb in erster Linie die Steuerung der Armut als ihren Export nach außen (ähnlich wie zur gleichen Zeit der Antisemitismus als Israel- / Palästinenserproblem in den vorderen Orient exportiert wurde).
    Hat die Schöpfung etwas mit den Wassern oberhalb und unterhalb des Firmaments zu tun? – Vgl. die biblischen Brunnengeschichten (Rebekka, Rahel, die Samariterin und das „lebendige Wasser“).
    Die Christologie hat etwas mit dem Versuch, den Logos zum Verstummen zu bringen, zu tun, ihn in einen Heros umzumünzen (der dem Stern der Erlösung zufolge stumm ist).
    Die Eucharistie und das falsche Gedächtnis, oder genauer: als Verhinderung des Gedächtnisses und damit als Gericht. Das ist der Sinn des Satzes „Wer es unwürdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht“.
    Zur Sexualmoral: Verworfen ist nicht die sexuelle Lust an sich, sondern die Lust an der Gewalt in der sexuellen Lust, der Sexismus. Die christliche Sexualmoral züchtet den Vergewaltiger. Daran hat sich entzündet, was Nietzsche den Willen zur Macht genannt hat: das stumme Genießen.
    Das Angesicht ist immer das Angesicht des Andern, das eigene sieht man nur im Spiegel, und da seitenverkehrt (und d.h.: nicht ohne die Vertauschung von Rechts und Links). Hinter dem Rücken und im Spiegel: das sind die beiden Vertauschungen von Vorn und Hinten und von Rechts und Links. Gibt es in der Schrift einen Hinweis auf den Spiegel (Narziß ist einer der Ursprünge der Philosophie)? Vgl. 1 Kor 1312: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht“, und insbesondere Jak 123: „Wer das Wort nur hört, aber nicht danach handelt, ist wie ein Mensch, der sein Gesicht im Spiegel betrachtet“.
    Der Spiegel (oder die Reflexion) gehorcht dem Gesetz des Raumes, er macht alles seitenverkehrt (vgl. die „verandernde Kraft des Seins“). Die Physik sieht alles von hinten und zugleich spiegelverkehrt (Zusammenhang von Stoß und Reflexion).
    Wer sich selbst im Angesicht der Andern sieht, d.h. wer sich der Welt anpaßt, sieht sich selbst nicht mehr.
    Das Wahrnehmen des Angesichts des Andern ist die Umkehr; insofern ist die Aufmerksamkeit das natürliche Gebet der Seele.
    Die Schule als Recyclings-, als Abfallproduktions- und -verwertungsanlage (zum geschichtsphilosophischen Stand des Wissens).
    Die Begriffe Natur und Welt enthalten als Totalitätsbegriffe einen terroristischen Anteil.
    Es gibt weder eine Geschichtstheologie, noch eine Heilsgeschichte. Wenn die Philosophie innerhalb der Theologie ihren Platz finden soll, dann weder unter dem Begriff der analogia entis, noch als ancilla theologiae, sondern allein unter dem Begriff des Millenariums, der Bindung des Satans. Mit der Kraft zu lösen (mit ihrer Umkehr) könnte die Kirche endlich auch den noch unverbrauchten Gnadenschatz freisetzen.
    Die Hauptresultate der Einsteinschen Theorien liegen in ihren Ansätzen, nicht ihren Ergebnissen: im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und dessen Beziehung zum Inertialsystem und im Konzept der Identität von träger und schwerer Masse (Bindung des Trägheitsprinzips an die Gravitation, vergleichbar dem Zusammenhang von Tauschprinzip und Schuldknechtschaft).
    Die Bindung des Tauschprinzips an die Schuldknechtschaft ist der Grund, weshalb man die Geschichte des Militärs und der Rüstung an der Geschichte der Banken wird messen können.
    Die Israel-Theologie der Marquardt u.a., aber auch die Antizionismus-Darstellung Heinsohns, übersieht, daß wir das Problem produziert haben: Haben wir da nicht auch ein Stück Mitverantwortung für jene, denen wir es aufgeladen haben, für die Palästinenser?

  • 11.04.92

    Das Bild ist Modell und Ursprung des Objekts; Ursprung und Modell des Bildes ist das Opfer, das Bild das Gedächtnis oder Ersatz des Opfers. Das Bild ist aber ebensosehr der Quellpunkt der Schrift, des prädikativen Denkens, des Logos und der Welt. Und der Gott und das Opfer sind Modell der Beziehung von Welt und Natur.
    Das Opfer und das Ding hängen über die Exkulpationsautomatik zusammen (gegenüber einem Ding kann ich nicht schuldig werden: Verdinglichung als Schutz vor dem schlechten Gewissen, Schutz vor der Gottesfurcht).
    Der Untergang der Welt und die Erneuerung des Antlitzes der Erde: das ist ein Vorgang.
    Hat nicht die Fortpflanzung des Lichts (Modell der Selbstausbreitung des homogenen, isotropen Raumes) tatsächlich etwas mit der Fortpflanzung, der Zeugung (und diese Zeugung etwas mit dem Zeugnis, den Bedingungen der Anerkennung der Zeugenschaft (Geschlecht und Anzahl der Zeugen): der Raum ist der Zeuge der Naturwissenschaft, aber das perfekte falsche Zeugnis wider den Nächsten), zu tun? Und ist der Frühling so etwas wie ein Orgasmus der Natur? Was bedeuten dann die Insekten und die Vögel? Sind die Vögel nicht akustische Blüten (und die Insekten Bastarde aus Raum und Licht (vgl. Belzebul, den Herrn der Fliegen)?
    Das organische Leben unterliegt der Dialektik von Innen und Außen und der Prävalenz des Außen. Durch die Geldwirtschaft wurde diese Dialektik auf die Evolution des Kapitalismus übertragen. Der Darwinismus verdankt sich der projektiven Übertragung dieser gesellschaftlichen Evolution auf die Natur. Frage: Welche Stellung haben die Blumen, die Insekten, die Bäume, die Vögel, die Säugetiere und die großen Seeungeheuer (Behemot und Leviatan) in der Evolutionsgeschichte des Kapitalismus?
    Bei den Tieren drückt sich das Verhältnis von Im Angesicht und Hinter dem Rücken im Angriffs- und Fluchtverhalten aus, in der organischen Selbstinstrumentalisierung der Arten und Gattungen (in den Hörnern, dem Gebiß, den Klauen und Pfoten, den galoppierenden Hufen). Und wie sieht es aus mit dem Charakter von Behemot und Leviatan? Und mit der Schlange: als reine Selbstinstrumentalisierung der „Klugheit“? Hier ist – wie bei den Tieren überhaupt – die Instrumentalisierung durch Gattung und Art vorgegeben (von der organischen Ausstattung bis hin zum Verhalten: wie hängen beide zusammen?). Das einzelne Tier ist für seinen Charakter (seine organische und Verhaltens-Ausstattung) nicht verantwortlich, reiner Ausdruck des Schuldzusammenhangs der Welt. Der Mensch hingegen ist für seinen Charakter und für sein Gesicht verantwortlich. Er muß die Selbstinstrumentalisierung selbst arrangieren, wobei ihm die Gesellschaft (in der Gesamtheit ihrer Institutionen) die Mittel an die Hand gibt, die diese Selbstinstrumentalisierung zumindest erleichtern, in der Regel bewußtlos durchsetzen.
    Die Musik mißt die Distanz zwischen der nominalistisch depotenzierten Sprache und dem Schuldgrund, auf den sie zurückzubeziehen ist. Die Kunst federt die Brutalität des Aufklärungsprozesses ab und ermißt sie zugleich, sie verleiht dem Leiden die Sprache vor der Sprache. Die Konstellation von Technik, Material und Ausdruck in Musik und Malerei ist das Medium dieser seismographischen Wahrnehmung.
    Das Osterlachen scheint mir (in Publik-Forum) völlig falsch interpretiert zu sein. Das exhibitionistische Element als Anlaß des Lachens verweist auf die Soziologie des Witzes, nur daß hier – wie beim Clown – Erzähler und Objekt des Witzes eins sind. Das Osterlachen ist tieftraurig und blasphemisch zugleich, die umgekippte Osterfreude.
    Die gesamte Geschichte der europäischen Aufklärung steht unter dem Zeichen des Gerichts.
    Wittfogel, Franz Borkenau und Alfred Sohn-Rethel: An den Rändern der Frankfurter Schule scheinen die Versuche mißlungen zu sein, an das offene Problem der Frankfurter Schule sich heranzutasten. Die realen Ursachen dieser Probleme werden vielleicht am ehesten sichtbar an dem konspirativen Element im Ursprung der Theorie Sohn-Rethels. Lösbar ist das Problem erst geworden durch Einstein.
    „Das Christentum als Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“
    Die Gebote des Dekalogs sind strikte Gebote, keine durch Sanktionen abzusichernde Gesetze. Das unterscheidet sie von Rechtsgründungen der Hamurabi, Solon u.a.
    Aufschlußreich (für das Verhältnis von Wirtschaftsmacht und Recht) ein Fall, der heute in der Rundschau geschildert wird: Ein Großunternehmen verklagt einen öffentlichen Kritiker (Leserbriefschreiber) und setzt die Schadensersatzforderung und den Streitwert so hoch, daß die Rechtsschutzversicherungen andere Beteiligte (u.a. das Publikationsorgan, das den Leserbrief veröffentlicht hatte) zwingen, die Klage zurückzuziehen. (Der Kritiker selbst hält durch und gewinnt den Rechtsstreit.) Wie lange gibt es angesichts der jedem Vergleich spottenden Unterschiede der ökonomischen Potenz für einen privaten Beteiligten überhaupt noch eine Möglichkeit, gegen einen potenten Kläger sein Recht zu bekommen? Es ist offensichtlich ein Leichtes, einen etwa bestehenden Rechtsschutz auf legale Weise auszuhebeln. Ist es nicht längst so, daß „Rechtspersonen“ Vorrechte vor realen Personen haben (und die Gleichheit vor dem Gesetz längst zur Makulatur geworden ist: Rückkehr des Naturzustandes, Undomestizierbarkeit der in Privathand angewachsenen ökonomischen Gewalt)?

  • 08.04.92

    Was ist das „Salz der Erde“, und was ist das „Licht der Welt“?
    Der Unterschied zwischen der griechischen und der jüdischen Tradition liegt unter anderem darin, daß zwar die Philosophie in der Prophetie ihre Stelle findet (und auch benannt wird), nicht aber die Prophetie in der Philosophie. Die Prophetie kommt in der Philosophie nicht vor, weil die Philosophie den Gedanken der Schöpfung a priori abweisen muß, nicht ertragen kann. Schlimm war, was dann die Theologie unterm Begriff der creatio ex nihilo glaubte als Schöpfungsbegriff in die Philosophie einzuführen zu können und dann im Begriff des Kontingenten glaubte begriffen zu haben: Diese creatio ex nihilo hat mehr mit Bankgeschäften und Geldschöpfung zu tun als mit dem biblischen Schöpfungsbericht, aber sie war die einzige Möglichkeit, eine Erschaffung der Welt auch nur zu denken.
    Die Darwinistische Theorie ist eine Analogiebildung. Das Modell für die Vorstellung von der Entwicklung der Arten war die Erkenntnis der „organischen“ Entwicklung des Kapitalismus. Aber wenn sie eine Analogiebildung ist, dann wurde ihr Grund in der theologischen Konzeption der creatio ex nihilo gelegt.
    Die Idee der creatio ex nihilo ist ein Mammonismus. Dagegen ist die Rosenzweigsche Konzeption des nihil als eines dreifachen, bestimmten Nichts realistischer und kommt der Sache näher.
    Warum nennen die Dämonen Jesus den „Sohn Gottes“ (und warum nennt Pilatus ihn den „König der Juden“)? Kann er das überhaupt sein, wenn diese ihn als solchen glauben zu erkennen?
    Heideggers Kritik der Metaphysik ist regressiv, sie führt hinter Aristoteles zurück, nicht über ihn hinaus.
    Kann es sein, daß die Astrologie von der Chaldäern und die Alchemie von den Ägyptern (lt. Meyers großem Taschenlexikon im 2./3. Jhdt. im griechisch sprechenden Ägypten) stammt?
    Es ist eine im Aufklärungsprozeß selber entsprungene Verblendung, die die Menschen heute daran hindert, zu sehen, was sie durch ihr materielles Leben draußen anrichten. Ganz verdrängen läßt sich’s nicht: Sie ahnen die Wahrheit und reagieren darauf faschistisch. Der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eingetretene Rechtsruck läßt sich daraus herleiten.
    Sind nicht die Aktionen der Linken auch in der großen Gefahr, zu Exkulpationsriten zu werden, die dann die andere Seite erst wecken und provozieren?
    Wie in der Politik hilft auch in der Wissenschaft die selbstlaufende Logik nicht mehr zur Ermittlung der Wahrheit. Ist der Verdacht so unbegründet, daß sie heute bereits der Produktion des Chaos dient?
    Das war der Irrtum des real existierenden Sozialismus und das ist der Irrtum der gesamten Marktideologie, dessen Zeche wir werden zahlen müssen.
    Die Splitter in den Augen der Anderen sind Metastasen des Balkens im eigenen Auge. Oder anders: Das steinerne Herz ist der Reflex des Objektivierungsprozesses.
    Ist Petrus das steinerne Herz der Kirche, das erst nach dem Hahnenschrei durch die lösende Kraft des Weinens sich in ein fleischernes Herz verwandelt? Und ist nicht das aufs Dogma bezogene Bild von Schale und Kern noch zu grob?
    Die Todesgrenze ist identisch mit der Grenze, die das Lachen zieht, das Gelächter.
    Simone Weil: Schwerkraft und Gnade. Das muß als physikalisch-theologisches Buch gelesen werden.
    Nur die Gottesfurcht entmythologisisert die Welt.
    Das Objekt „fällt“ unter den Begriff, und das Urteil wird „gefällt“: So drückt sich der Fall in der Logik aus, und so wird die Welt zu „allem, was der Fall ist“.
    Die Kanonisierung der Schrift (in allen drei Schrift-Religionen) war die Installation der Schrift als Schicksalsmacht.
    Das kirchliche Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist unerfüllbar, weil die Wahrheitspflicht, die darin sich ausdrückt, unerfüllbar ist. Und zwar ebenso unerfüllbar wie die Chance einer als Hexe Beschuldigten, ihre Unschuld zu beweisen. (Das ist der Beweis der dämonischen Unwahrheit des Unschulds-Ideals). Die Wahrheit, die nicht an der Idee des Konsenses, sondern an der der Versöhnung sich mißt, ist im prädikativen Urteil nicht faßbar. Und das Gebot „Du sollst nicht lügen“, verurteilt unentrinnbar zur Schuld; in seinem Bannkreis gibt es keinen möglichen Weg der Befreiung. Es verdankt sich dem kirchlichen Instrumentalisierungsgesetz, das bis ins Dogma hinein die Wahrheit entstellt, und dessen Wirkung hier mit Händen zu greifen ist: Es ist Produkt der Instrumentalisierung des achten Gebots: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten. Es verwandelt das befreiende Offenbarungs-Gebot in ein Schicksals-Gebot.

  • 01.03.92

    Innen und Außen vs. Im Angesicht und Hinter dem Rücken:
    – der unendliche Raum: Herrschaft des Außen über das Innen (die Homogenität und Isotropie des Raumes),
    – Zusammenhang der Geschichte der Architektur (Abgrenzung des Innen gegen das feindliche Außen) mit der Geschichte der Religionen und der Philosophie (astronomische Funktion der Tempel; Ontologie: Haus des Seins),
    – Objektivation und Verdinglichung, Genese des Weltbegriffs, Konstituierung des Herrendenkens,
    – Raum und Lachen (Raum und Transzendentallogik des Witzes),
    – Sündenfall, Ursprung und Geschichte der Scham,
    – Ausbreitung der Gewalt, Ursprung der Gemeinheit und Umschlag nach innen, Geschichte des Opfers und Verinnerlichung des Opfers, Terror und Folter,
    – Geheimbereich des Staates (das Innere der objektivierenden Gewalt; Widerpart des Angesichts), Rechtsstaat (Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand) und Staatsanwalt, Erkenntnisbehörden (Stasi, Verfassungsschutz),
    – Nietzsche und Büchner (Gott ist tot; mit einem Lachen ergriff der Atheismus in ihm Platz),
    – Jesus hat nicht gelacht, aber die Dämonen ausgetrieben,
    – Begriff der Gnade, Sünde wider den Heiligen Geist,
    – nicht Person (Maske) oder Seele, sondern Angesicht als Bild Gottes (gegen die Trinitätslehre und das Dogma: das richtende und das parakletische Denken).
    Das Hinter dem Rücken hat seinen Ursprung in der Idolatrie, im Sternendienst und im Opferwesen. Die erste Erfahrung des Hinter dem Rücken ist die Erkenntnis des Guten und Bösen; oder die Erfahrung des Todes des Anderen.

  • 28.02.92

    Hat das homologein etwas mit der homousia zu tun? Wo sind die, die „in seinem Namen“ die Dämonen austreiben, Kranke heilen, Tote auferwecken?
    Die Religionen sind die Feuerstellen, auf denen die Sprachen zubereitet worden sind. Das „Gottessen“ ist wirklich ein blasphemischer Ausdruck für die Eucharistie, die Kommunion, die real immer schon auf die Sprache sich bezog, auf den Logos.
    Die Trennung von Wissen und Glauben bedarf als Bindeglied des entfremdeten Bekenntnisses; insoweit hängt das Bekenntnis mit der Raumvorstellung (die ein vom Glauben unabhängiges Wissen konstituiert) zusammen. Nach der Erkenntnis des Guten und Bösen gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    Es liegt in der zwangshaften Konsequenz der Zerstörung des Angesichts, wenn man an seine Stelle als Paradigma das Gehirn setzt.
    Es kommt heute alles darauf an, das unter dem Primat der Vorstellung des unendlichen Raumes (Produkt ungehemmter Selbstfortpflanzung) stehende Paradigma der Unterscheidung von Innen und Außen, in der das Außen immer gewinnt, zu ersetzen durch das Paradigma Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Hier und nur hier gewinnt das, was nicht aufgeht, die emphatische Bedeutung, die den Anschluß an die theologische Tradition wiederherzustellen vermag. Die Geschichte des Tempels und der Kirchen (die Geschichte der Architektur bis hin zur Konstituierung und Auflösung der Privatsphäre) ist ein Teil dieser Paradigmengeschichte (zum Zusammenhang der Geschichte der Architektur mit Geschichte der Philosophie vgl. Heideggers „Haus des Seins“ und sein „In-der-Welt-Sein“: Hier wird wie im modernen Kirchenbau das Innen zur Außenseite des Außen).
    Der Weltbegriff ist das Produkt der Vergesellschaftung der Welt. Und die Übernahme der Sünde der Welt steht – wie die Idee des Messias selber – in der Königstradition, die zusammen mit der Idolatrie, dem Sternendienst und der Opfertradition zu den historischen Konstituentien des Weltbegriffs gehört. Vgl. hierzu auch die Jotam-Fabel und die Dornenkrone.

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