Der Habermassche Begriff des „kommunikativen Handelns“ kommt erst zu seiner Wahrheit, wenn er die sprachliche Struktur z.B. der Gewalt, des Lachens, des Raumes, des Geldes, der Mathematik und zusammen damit die Beziehung von Schuld und Sprache (den Kern des dialogischen Verhältnisses, das nach Levinas ein unaufhebbar asymmetrisches ist) mit reflektiert. Nicht der Konsens, sondern die Versöhnung ist das zentrale Sinnesimplikat der Wahrheit. Der Hinweis auf die argumentative Struktur des kommunikativen Handelns vergißt, auf welche Probleme die Beweislogik führt, wie tief die argumentative Struktur der Sprache durch ein paranoides Element vergiftet ist (vgl. hierzu die kantische Antinomie der reinen Vernunft, Hegels „Reflexionsbegriffe“, auch die List der Vernunft). Wenn Habermas den Frankfurtern „negativistische Verfallstheorien“ (sic: der Plural steht so bei Habermas, T.u.K., S. 145) nachsagt, wenn er, was bei Horkheimer und Adorno – und darin ist ihr Denken in der Tat eines – als philosophische Erkenntnis auf die Struktur der Welt sich bezieht, zu ihrer subjektiven Meinung, zu einer Art Bekenntnis, macht, dann hat er den Kern z.B. der Dialektik der Aufklärung nicht begriffen oder inzwischen vergessen.
Zur Asymmetrie des dialogischen Prinzips: Genau das ist der parvus error in principio (qui magnus est in fine): die Symmetrisierung, die „der subjektiven Form der äußeren Anschauung“, dem Erkenntnis-Apriori des Raumes und dem dadurch determinierten Begriff des philosophischen Subjekts, der auch den Begriff und das Verständnis der Sprache verhext, sich verdankt, die gleiche Symmetrisierung, die dann bei Hegel in dem Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zum Grund der „sprachlichen Intersubjektivität“ wird, zugleich aber den Wahrheits- und Erkenntnisbegriff zur Unkenntlichkeit entstellt, zum Einfallstor des Mythos in die Philosophie geworden ist (bis hin zur Hellenisierung des Christentums, zur Wiederkehr der mythischen Gewalt in der Orthodoxie und im Dogma).
Woran die habermassche Philosophie ebenso krankt wie die an ihn sich anschließenden Theologien, ist die Unfähigkeit, die Kritik der Naturwissenschaft und der Theologie, die nur zusammen geleistet werden können, mit in ihren Begriff aufzunehmen.
Der Begriff „negativistische Verfallstheorien“ (Habermas) gehört, wie mir scheint, in den Zusammenhang des Begriffs „Nestbeschmutzung“. Nicht die Welt ist schlimm, sondern der, der sie als schlimm denunziert. Es gibt auch einen Welt-Nationalismus. Damit scheint auch die bloß doch emotionale Reaktion der Habermas-Gruppe auf die Postmoderne zusammenzuhängen (wobei H. die Wadenbeißerei seinen Schülern überläßt). Habermas scheint den Blick in den Abgrund nicht zu ertragen, der in Derridas Grammatologie, im Levinasschen Begriff der Asymmetrie, in Lyotards Analyse des Auschwitz-Syndroms und der Beweislogik sich eröffnet. Im Anblick dieses Abgrunds wäre die Kommunkationstheorie nicht mehr zu halten. Deshalb leugnet H. die Realität diese Abgrunds und denunziert den Blick als verantwortungslos, wenn nicht paranoid. Aber mit diesem taktischen und strategischen Gebrauch dessen, was Hegel die List der Vernunft genannt hat entzieht er der argumentativen sprachlichen Intersubjektivität die Grundlage.
Abgedeckt wird die Habermassche Kommunikationstheorie durch das Ausblenden der Natur und durch Adaptation jenes Weltbegriffs, dessen prädikativer Ursprung in der Tat der Grund der Kommunikationstheorie ist.
Am Begriff des Logozentrismus, den Habermas durch Hinweis auf seinen faschistischen Gebrauch abwehrt, läßt sich der Komplex aufs schönste nachweisen. Unter Logozentrismus verstehen alle die Fähigkeit, die Wahrheit durch prädikative Urteile auszudrücken. Und dieser Logozentrismus wird dann in den Logosbegriff der Theologie hineinprojiziert, in dem er in der Tat seit Beginn des Dogmatisierungsprozesses enthalten ist. Was hier geschehen ist (und bis heute nachwirkt), ließe sich am Bekenntnisbegriff aufs schönste demonstrieren. Der biblische Logosbegriff selber aber steht in einem ganz anderen Kontext, der vergessen ist und heute insbesondere unter dem Rätselbild der Natur zu reflektieren wäre. Die christologische Struktur des Naturbegriffs (die der Vergöttlichung des Opfers) gibt darauf einen sehr deutlichen Hinweis. Der Logosname im Johannes-Evangelium steht in eindeutiger Beziehung zur „Übernahme der Sünde der Welt“, und d.h. er steht im Kontext nicht des Begriffs, sondern der Namenlehre (der jüdischen Traditon, nicht der griechischen).
Es ist eigentlich doch erstaunlich, daß die Dialektik der Aufklärung bis heute nicht zum Anlaß genommen wurde, die Beziehung von Mythos und Philosophie in der Geschichte ihres griechischen Ursprungs einmal konkret aufzuzeigen und nachzuweisen. Die Entwicklung des Mythos in der griechischen Geschichte hat der Entstehung der Philosophie vorgearbeitet (durch die Entfaltung der Schicksalsidee), und der griechische Begriff des Mythos ist singulär und kein allgemeiner Obegriff für andere Mythologien, z.B. die altorientalischen, die einer anderen Konstellation, einem anderen Kontext angehören. Hier handelt es sich sogar umgekehrt um eine inverse Geschichte zur griechischen, die dann in der jüdischen Prophetie ihren Umkehrpunkt findet (in der Kritik der Idolatrie, des Sternendienstes und der Opferreligion, im „stammelnden“ Konzept der jüdischen Tradition).
Das „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ hat die Kirche zum Objekt, die die Nachfolge der Richter Jesu angetreten hat.
Die Verdrängung der Probleme der Beweislogik hängt damit zusammen, daß man die Probleme der (überlebensnotwendigen) Gemeinheitslogik nicht sehen will (oder, weil man sich selbst im Wege steht, nicht sehen kann). Der Ursprung dieses Problems scheint im Konzept der Habermasschen Habilitationsarbeit (Strukturwandel der Öffentlichkeit) zurückzureichen. Deren Thema wäre Anlaß gewesen, den Zusammenhang des Öffentlichkeitsbegriffs mit dem Syndrom der Gemeinheitslogik aufzuzeigen (Problem der Medien, der Wissenschaft, der Politik): Funktion der Dialektik des Sein für Andere(s); Begriff, Funktion und Geschichte der Scham (des Nichtöffentlichen, des Intimen, Privaten; reale und metaphorische Funktion der Sexualität und der Sexualmoral; Schamgrenze gegenüber der Theologie; Bedeutung des Antlitzes: von Angesicht zu Angesicht), Geschichte und Bedeutung des Objektivationsprozesses.
Der Raum ist auch über die mathematische Anwendung hinaus die subjektive Form der äußeren Anschauung: Begriff der Weltanschauung. Die objektivierende, verdinglichende und instrumentalisierende Logik ist von diesem Konzept der nicht mehr hinterfragbaren subjektiven Form der äußeren Anschauung nicht zu lösen. Und darin liegt ihre selbstreferentielle Begründung: in diesem pragmatischen, herrschaftsbegründenden Aspekt. Das hat sich vergegenständlicht und verselbständigt im Weltbegriff. Die Vorformen des Weltbegriffs, die Geschichte seines Ursprungs, sind in der Prophetie benannt als Idolatrie, Sternendienst und Opferreligion. Das prophetische „Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit“ trifft die christliche Opfertheologie (das christliche Dogma) im Kern; es gilt auch im Hinblick auf die zivilisationsbegründende Verinnerlichung des Opfers (Reflex der Vergegenständlichung der Natur).
Das Konzept der Säkularisation aller theologischen Gehalte führt nicht (wie das naturwissenschaftliche Erkenntniskonzept) zu haltbaren Resultaten, die man „schwarz auf weiß besitzen und getrost nach Hause tragen kann“, sondern ist ständig neu zu leisten. Das ist das entscheidende Argument gegen das christliche Orthodoxie- und Dogmenverständnis.
Philosophie
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10.02.92
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28.01.92
Hängt die Unterscheidung von Rechts und Links nicht auch mit der von Plus und Minus (Erfindung der Null als Voraussetzung des Inertialsystems) und mit dem Schuldenproblem in der Geldwirtschaft zusammen (Schuldknechtschaft, doppelte Buchführung)? Erst mit der Vorstellung des unendlichen (homogenen und isotropen) Raumes setzt sich die Herrschaft des Tauschprinzips endgültig durch, wird der letzte Widerstand beseitigt. Im Inertialsystem werden die Dinge von allen Seiten von hinten betrachtet, und mit dem Gravitationsgesetz ist in jeder Richtung unten, gibt es kein Oben mehr, das die Gegenbewegung zum Fall anzeigen würde. Seitdem sind die Gottesfurcht und die Gnade (die Barmherzigkeit) grundlos geworden, und ist die Welt alles, was der Fall ist.
Die Reversibilität der Richtungen im Raum ist die Grundlage der mathematischen Gleichung. Und die Gleichheit ist eigentlich die von Vergangenheit und Zukunft, die vermittelt ist durch die Vorstellung des unendlichen, homogenen und isotropen Raumes. Hierbei bedeutet die „Unendlichkeit“ des Raumes letztlich, daß die Endlichkeit der Dinge kein Ende hat, und daß alles, was ist, endlich ist.
Muß nicht die Interpretation der Mikrophysik im Sinne der Kopenhagener Schule (oder zumindest ihrer deutschen Varianten) metaphysiziert, theologisiert werden, um den Widerspruch zu verdecken, der eigentlich einer des (physikalischen und gesellschaftlichen) Systems ist.
Sind nicht die aristotelischen Topoi (seine Lehre vom natürlichen Ort der Dinge) notwendige Elemente seiner Metaphysik, d.h. einer Metaphysik, die den Begriffsrealismus zur Grundlage hat. Auch der Unbewegte Beweger ist ein topologischer Begriff, die Vergeistigung des Falles, Produkt jenes Kurzschlusses, der das Denken des Denkens vergöttlicht, indem er es zum Gegenstand der Theoria, des Schauens, macht (Ursprung der christologischen Logik).
Was wir aufgrund einer schlechten Übersetzung die Schriftgelehrten nennen, sind in Wahrheit die Schreiber gewesen, die allerdings zugleich auch Schriftgelehrte waren. Die Trennung beider Funktionen, der Kopisten von den Scholaren, ist mittelalterlichen Ursprungs und setzt die Kanonisierung der Schrift (und der anderen Autoritäten) voraus. War nicht Esra ein „Schriftgelehrter“?
Die Elemente der Selbstinstrumentalisierung im Tierreich: Der Mensch hat diese Mittel der Selbstinstrumentalisierung (die Hörner, Klauen, Zähne, aber auch die Fisch- oder Vogelgestalt) in seinem Verstand verinnerlicht und in der Hand universalisiert. Sind nicht die Fische und Vögel auf eine sehr viel mathematischere Weise lateral-symmetrisch als beispielsweise die Säugetiere und erst recht die Menschen?
Bei den Pflanzen ist vorne, rechts und oben identisch: sie kennen eigentlich nur oben und unten (Blüte und Wurzel; sie wurzeln im Grunde und „streben zum Licht“). Bei den Tieren wird die Unterscheidung von vorne und hinten bzw. rechts und links erkauft durch die Unfreiheit noch oben, während für den Menschen oben, rechts und vorne getrennte Dimensionen sind.
Die Subjektivierung der sekundären Sinnesqualitäten ist nur ein Aspekt der Sache: Die Subjektivierung der räumlichen Dimensionen ist der verdrängte Grund des gesamten Subjektivierungsprozesses. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Diese Scham ist der erste Ursprungsreflex des unendlichen Raumes; er hat zur Voraussetzung die Erkenntnis des Guten und Bösen, die Vorform der instrumentalisierenden, vergegenständlichenden Erkenntnis.
Für die Fische ist das Wasser das Medium der vollendeten Öffentlichkeit: die Fische kennen keine Scham und keine Privatsphäre; die Vögel dagegen haben ihre Nester und ihr Federkleid. (In welcher Beziehung stand die Vogelschau zur Unterscheidung von Rechts und Links?)
Die Fische und die Vögel bewegen sich in einem dreidimensionalen Medium: im Wasser und in der Luft.
Weshalb werden bei der Sintflut die Tiere gerettet und dann zu Nahrung freigegeben?
Im Angesicht, das ist etwas anderes als von Angesicht zu Angesicht. Der Satz „Laß dein Angesicht leuchten über uns“ drückt eher aus, was mit dem „Im Angesicht“ gemeint ist.
Wer eine Sache hinter ihrem Rücken untersucht (wer „über“ eine Sache forscht), muß mit der Verdachts- und Beweislogik arbeiten und dann auch „hinter“ der Sache nach dem Grund suchen. Alle Hypostasierungskonzepte (imgrunde die ganze Philosophie, die Suche nach den archä) verdanken sich dieser Logik und treiben sie in die Dialektik hinein. Diese Hypostasierungslogik ist ein Motor der naturwissenschaftlichen Aufklärung, sie wirkt nach bis hinein in die Kopenhagener Schule: Die Hypostasierung der „Rätsel“ der Mikrophysik dient nur der Stabilisierung dieser Logik, die ihre letzte Stütze in der Vorstellung des unendlichen Raumes hat. Und diese Logik ist die Herrschaftslogik.
Wer „eine Frage in den Raum stellt“, sucht keine Antwort, sondern eine „Lösung“: Grundlage des Verwaltungsdenkens (Zusammenhang mit dem Personbegriff).
Was hat der Caesar, der wie der König (der Gesalbte) in der Heros- und Opfertradition steht, mit der Durchsetzung des Raumes und des Weltbegriffs zu tun, mit der Gewalt, die beide repräsentieren? Wo liegt der Unterschied zwischen der königlichen und der kaiserlichen Gewalt (Zusammenhang mit dem Fernhandel, der Stabilisierung des internationalen Marktes, mit dem Pantheon und der neuen Gestalt und Funktion der Religionen)? -
16.01.92
Unter der Voraussetzung, daß es gelingt, den Weltbegriff, seinen Zusammenhang mit der Idolatrie und deren erkenntnistheoretische (erkenntnisleitende) Funktion durchsichtig zu machen, findet der Cohensche Titel „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ eine überraschende Auflösung: diese Religin ist das Christentum.
Gemessen an der Sprache des Buches der Richter ist die christliche Theologie eine Theologie aus dem Hinterhalt.
Zwei haben Anteil an der künftigen Welt: die Opfer (die Märtyrer, die Zeugen) und die Helfenden (die Verteidiger). Die christologische Vergöttlichung des Opfers verrät beide.
Die Idee des Ewigen bezeichnet etwas, das sich nicht als vergangen denken läßt, etwas, das die Vergangenheit von sich ausschließt. Nicht zu verwechseln mit der Idee des Überzeitlichen, zu der sämtliche Begriffe gehören (die Idee des Ewigen gehört nicht in den Bereich des Begriffs): Im Überzeitlichen drückt sich allein die Macht der Vergangenheit über die Zukunft aus, das Schicksal oder die Quelle der Gewalt, theologisch gesprochen die Erbschuld. Die Philosophie hat seit je das Ewige mit dem Überzeitlichen verwechselt; nur so ließ sich die Erkenntniskraft der Begriffe sichern. Damit hängt es zusammen, wenn die Philsophie (und das philosophische Subjekt) sich begreifen läßt als Produkt der Verinnerlichung des Schicksals (des Opfers); nicht zufällig erweist sie sich in der Hegelschen Philosophie als Reflex der Geschichte der Herrschaft, sie steht in einer noch aufzuklärenden Beziehung zum Sternendienst, zur Vorgeschichte der Astronomie. Im Gegensatz zum Überzeitlichen, das den Quellpunkt der Begriffe bezeichnet, bezeichnet die Idee des Ewigen den Quellpunkt der Sprache: nicht der Begriff, sondern der Name hat Anteil an der Idee des Ewigen.
Mir scheint, es ist kein Zufall, daß der Ursprung des begrifflichen Denkens bei den Griechen zusammenfällt mit der Erkenntnis der Bedeutung und der Funktion des Winkels in der Geometrie, der Orthogonalität als des Grundes der Unabhängigkeit der Dimensionen im Raum. Die Form der Beziehungen der Richtungen im Raum ist Grund und Modell des Abstraktionsprozesses, in dem
– die Begriffe sich bilden und
– am Ende der Raum gegen die Zeit und die Materie sich verselbständigt, alle drei hypostasiert werden.
Es gibt keine Wissenschaft, kein System apodiktischer Urteile, ohne ontologische Absicherung. Kritik der Wissenschaft ist nur möglich im Rahmen der Reflexion der Ontologie: im Rahmen der Reflexion des Satzes „das Eine ist das Andere des Anderen“ und des Rosenzweigschen Hinweises auf die „verandernde Kraft des Seins“, die sich genau auf den Kontext und die Folgen des Hegelschen Satzes bezieht. (Heideggers berühmter Titel wäre zu variieren: Raum und Sein.)
Der Weltbegriff und sein unreflektierter Gebrauch ist die Grundlage und die Rechtfertigung zugleich für Machtpolitik und Gewinnökonomie, fürs Herrendenken. Die gleiche politisch-ökonomische Funktion und den gleichen Zweck erfüllte vor Konstituierung der „Welt“ die Idolatrie, der Götzendienst.
Ethik als prima philosophia: die Ethik ist kein additum zu einer fix und fertigen Welt, sondern sie besetzt die Stelle, an der die Welt noch offen ist, und von der aus der die Welt begründende Schuldzusammenhang und die von der Welt ausgehende Verblendung durchschaut werden kann. Die Physik, oder allgemein die naturwissenschaftliche Aufklärung entgründet die Welt in gleichem Maße, in dem sie den Himmel entspannt.
„Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel schauen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“ (Mt 1810) „Ihre Engel“: Sind das die Engel der Kinder, und wie unterscheiden diese sich von den Engeln Gottes (Engel Elohims, Engel JHWHs)? Woher kommt die Vorstellung vom Schutzengel (im Christentum seit dem 9. Jhdt. nachweisbar; an deren Stelle ist im 20. Jhdt. – in Auschwitz – die „Schutzstaffel“ getreten)? -
08.01.92
Das Selbstmitleid erstickt den Anderen: es entzieht dem Anderen die Möglichkeit des Mitleids, der Identifikation. Man kann den, der sich ins Selbstmitleid fallen läßt, verstehen, aber man kann ihm nicht mehr helfen: und diese Situation ist nicht zu ertragen. Insbesondere ist die Gefahr, selbst dem Selbstmitleid zu erliegen (und die eigene Schuld in den Anderen zu projizieren), kaum abzuwenden. Dieser Mechanismus gehorcht einer geradezu naturwissenschaftlichen Logik.
Die Philosophie verdrängt den Schrecken, indem sie sich in die Stelle seines Ursprungs setzt, sie verlagert ihn im Innern in den blinden Fleck (und zugleich nach draußen: in den Begriff der Materie); sie antizipiert die Erfindung der Narkose, aber sie hebt den Schrecken nicht auf. Die Prophetie hingegen versucht, den Schrecken zur Quelle ihrer Inspiration zu machen. Das Mittel, mit dem die Philosophie sich selbst unter Narkose setzt, ist die subjektive Form der äußeren Anschauung, Grundlage des Thoriebegriffs und Motor der Entsinnlichung der Welt: der Raum. Die Hypostasierung des Raumes ist das proton pseudos des modernen Bewußtsein, der parvus error in principio: der Grund nicht nur der Abtrennnung und Vergegenständlichung der Materie und der Zeit, sondern auch der Urteilsform und der Konstituierung der Totalitätsbegriffe Welt und Natur, der Tod der Sprache und der Prophetie.
Vor dem Schuldvorwurf rettet nur die Rechtfertigung; aber es gibt keine Rechtfertigung ohne Anklage und Schuldverschiebung (Grund der Ideologie). Über die exkulpierende Kraft des Wissens (Resultat des akkusativischen Denkens), oder über die dämonische Struktur der transzendentalen Logik (anklagendes Denken und Verwirrung der Begriffe). Begründung der erkenntnistheoretischen Bedeutung der Umkehr und der „Übernahme der Schuld der Welt“. Parakletisches Denken ist als Erbe des prophetischen: verteidigendes Denken. -
07.01.92
Orientalistik eine Veranstaltung zur Bannung einer Gefahr: Hintergrund ist der Zusammenhang mit der jüdisch-biblischen Tradition. Auch die Bibelwissenschaft (vgl. O. Loretz: Ugarit und die Bibel) kann aus methodischen Gründen den Anspruch, den die Schrift (als Prophetie – im Unterschied zur Philosophie, deren Anspruch auf Rationalität „leichter“ zu erfüllen zu sein scheint) stellt, nicht akzeptieren (Konsequenz der Phänomenologie: Übertragung der Husserlschen Epoche auf die historische Kritik; Nominalismus, „Wesensschau“ = Absehen von der Existenz und Neutralisierung der Prophetie gehören zusammen). Grund ist u.a. ein Realitätsverständnis, das sich der – auch die Menschen ergreifenden – verdinglichenden Gewalt der Naturwissenschaften verdankt, und das a priori jeglichem religiösen Gedanken die Objektivität bestreitet, ihn der Subjektivität, der bekenntnisreligiösen Willkür überantwortet (ohne deren Geheimnis auszusprechen: Kriterium des Bekenntnisses ist seine herrschaftstechnische Zweckmäßigkeit, die aber nur wirksam ist, wenn sie verschwiegen wird: als Trug – objektiver Grund der hegelschen „List der Vernunft“).
Griechische und hebräische Schrift: ist der Unterschied der Schreibrichtungen ein Hinweis auf die Beziehung beider Schriften, die sich wie die zwei Seiten eines Blattes (wie die griechische Philosophie zur jüdischen Prophetie) zu einander verhalten?
Derrida zufolge gründet das Rousseausche Konzept des Ursprungs der Sprache in der Erkenntnis, daß „die Gesellschaft, die Sprache, die Geschichte … gleichzeitig mit dem Inzestverbot“ entstehen (S. 453). Hat der Ursprung der Schrift etwas mit den Menschen-(Kinder-)Opfern der Phönizier (und diese mit ihrer Funktion in der Ökonomie der altorientalischen Reiche) zu tun? Ist der Moloch die Katastrophe, die sich in der Artikulation der Sprache und im Ursprung der (deshalb zunächst konsonantischen) Schrift manifestiert. Welche Bedeutung hat dann die „Bindung Isaaks“? – Gibt es andere (nicht gleich erkennbare) Hinweise auf den Ursprung der Schrift (Ursprung der Stadt; Schrift und Abgeltung des Opfers durch das Königtum und dann durch Philosophie oder Prophetie)? -
05.01.92
Wenn in einem Gespräch das Vorurteil ins Spiel kommt, so ist das in der Regel daran zu erkennen, daß Faktenfragen zu Grundsatzfragen erhoben werden: die Fakten müssen mit dem Gewicht der eigenen Person abgesichert werden, um ihre Entlastungsfunktion (ihre Exkulpierungsfunktion) sicherzustellen (und ihre Bestreitung nimmt dann notwendigerweise den Charakter der persönlichen Beleidigung an: sie wird Schuldvorwurf erfahren).
Zu Loretz „Alkohol und Sex …“ (Ugarit und die Bibel, S. 122):
– Gegen die sexistisch-verdinglichte Interpretation ist auf die andere Bedeutung des Taumelkelchs und der Hurerei bei den Propheten (und auf Hegels „kein Glied nicht trunken“) hinzuweisen;
– sind der „Sex“ und der Alkohol Zivilisationsdrogen, während die „harten Drogen“ (wie die unkontrollierte Liebe) deshalb Ängste auslösen, weil sie die Gefahr, aus der „Welt“ (aus der Zivilisation) herauszufallen, signalisieren?
Die Welt ist die Welt des Anderen (sie gründet in seinem Namen; Repräsentant dieses Namens, in dem die Welt gründet, war der König, der Gesalbte, Erbe des Opfers); und wer einen Menschen tötet, zerstört nicht eine Welt, er zerstört seine eigene Welt (er zerstört im Anderen, in seinem Namen, die sprachlichen Wurzeln seiner eigenen Welt: Konsequenz des Zerfalls der Monarchie?). Kain wurde nach dem Brudermord „unstet und flüchtig“ (wie der Dornstrauch in der Jotam-Fabel und das transzendentale Subjekt in der transzendentalen Logik: Genesis des namenlosen Objekts). Deshalb gehört der Gerechte zu den Wurzeln des Bestehens der Welt. -
02.01.92
Zu Derridas Kritik des Logozentrismus: nochmal die Christina von Braun lesen.
Die Hypostasierung der Natur ist der Versuch, einen anti-christologischen Schöpfungsbegriff zu etablieren; die Idee eines stummen Schöpfers, eines Schöpfers, der ohne die Sprache erschafft (ebenso wie die Welt die Idee eines stummen Gerichts vor Augen stellt: eines ohne die Möglichkeit einer Einrede gefällten und sogleich vollstreckten Urteils. Der Säkularisationsprozeß ist ein Prozeß ohne Verteidigung, ein Prozeß, in dem der Verteidiger nur stört, Sand im Getriebe ist.
Keine Philosophie wurde schneller vergessen als die Adornos: nämlich von seinen eigenen Schülern.
Ist ein Raum vorstellbar (konstruierbar), in dem nur zwei Dimensionen umkehrbar sind. die dritte hingegen unumkehrbar.
Büchners Lenz hatte bei der Wanderung durch die Vogesen den Wunsch, auf dem Kopf zu gehen; umgekehrt wollte Marx den Hegel vom Kopf auf die Füße stellen. Und war das nicht die entscheidende Wendung in der Geschichte der Rationalisierung der Musik, daß sie gleichsam umgekehrt und auf den Kopf gestellt wurde: daß die Melodiestimme von unten nach oben und die Begleitstimme von oben nach unten gerückt wurde? Ergab sich hieraus die Konsequenz der Zwölftonmusik? Beziehung zum Fall: das Tiefe (das Untere) wird heute als das Schwere, das Hohe (das Obere) als das Leichte erfahren. Aber ist es nicht die Welt, die uns auf den Kopf stellt (und haben damit nicht der Ödipus-Komplex und die Gewalt, die seitdem das Erwachsenwerden begründet, etwas zu tun)?
Das metaphorische Element der Sprache hält die Spuren der Genesis ihrer Entfremdung fest. Ein gänzlich metaphorisch durchwirkter Text kommt der Wahrheit näher als ein Text, der durch Definitionen, durch verdinglichte und instrumentalisierte Begriffe festgezurrt wurde und daran erstickt ist. Die Metaphorik ist das Lebenselement der Sprache.
Hat die Anatomie nicht eigentlich immer schon die Wahrheit als Leiche gemeint, und ist diese nicht ihr Modell? Hängt sie (bis hin zu den Menschenexperimenten in den Konzentrationslagern) nicht zusammen mit einem rekonstruierbaren blasphemischen Stand der Theologie und des Dogmas?
Die Metaphorik beschreibt den Organismus des Sprachleibs, die Dogmatik seine Anatomie. Wenn wir begreifen, was in der alten Geschichte die Leberschau und die Beobachtung des Vogelflugs bedeuteten, welche Bedeutung die Ostraka im Zusammenhang mit dem Ursprung der Schrift haben, sind wir dem Verständnis der alten Welt und des Ursprungs des Christentums ein ganzes Stück näher gekommen.
Die Finsternis und das Wasser sind nicht erschaffen, sondern als Nebenprodukte im Schöpfungsprozeß mit entstanden. Lernen, mit der Angst umzugehen, sie nicht zu verdrängen, wenn wir uns der Vorwelt nähern.
Hatte nicht Habermas, und auf andere Weise generell die 68er Linke, noch ein gänzlich unangemessenes Zutrauen in Institutionen, in die Wirksamkeit der Mechanismen der Instrumentalisierung? Und war es nicht dieses Zutrauen, daß Habermas dazu verführte, die Naturkritik der Frankfurter zu vorschnell zu verwerfen? Das ist es, was dann in der nächsten Generation (bei Hauke Brunkhorst oder bei Micha Brumlik) gelegentlich völlig unkontrolliert ausbricht.
Erst in einer Welt, in der die Sprache gegenstandslos wird, wird das Beten funktionslos.
Was das Christentum in der Folge der Rezeption des Hellenismus nicht verstanden und am Ende dann verdrängt hat, ist, daß die Übernahme der Schuld der Welt sich auf einen sprachlichen Sachverhalt bezieht. Nur innerhalb dieses sprachlichen Zusammenhangs wird verständlich, was im NT Logos heißt.
Die Asymmetrie im dialogischen Verhältnis korrespondiert mit der Asymmetrie von Zukunft und Vergangenheit, Sprache und Mathematik. -
22.12.91
Natur und Welt sind durch die Urteilsform an einander gebunden und von einander getrennt: Natur ist der Inbegriff aller Objekte von Urteilen, Welt der Inbegriff aller Urteile über Objekte. Der unreflektierte Gebrauch dieser Begriffe (ihr Gebrauch im Kontext der Selbsterhaltung, dem Grund der Urteilsform) verfällt ihrem Bann: er macht die Gemeinheit des Urteils unsichtbar. Naturphilosophie, die ihren Zusammenhang mit dem Weltbegriff, dem Prinzip der Selbsterhaltung, nicht reflektiert, verfehlt ihr Objekt.
Raum und der Ursprung des Scheins (der Gemeinheit): Der Raum ist durch die Neutralisierung des Richtungsmoments (durch die Mathematisierung der Winkelfunktionen oder durch die Neutralisierung der Teleologie und Instrumentalisierung des Zweckbegriffs: durch die selbstverschuldete Unfähigkeit, rechts und links: Zweck/ Grund und Ursache, zu unterscheiden) zur Basis und zum Medium der Instrumentalisierung geworden: Grund der
– Verdinglichung des Objekts,
– der Neutralisierung des Namens sowie
– der Zerstörung der argumentativen Kraft der Sprache;
Herrschaft des Gravitationsgesetzes.
Traum, Symbolbildung, Verschiebung und Projektion: So hängen der Traum und die Vorurteilsmechanismen mit dem Raum zusammen. In dem Verhältnis von Verschiebung und Projektion steckt das Relativitätsprinzip. Und die transzendentale Logik ist eine Logik des Vorurteils (der synthetischen Urteile a priori); sie schließt u.a. die Verteidigung des anderen aus (Konstruktion des Selbstmitleids; Zusammenhang mit dem autoritären Charakter: Ausschluß der Verteidigung in Terroristenprozessen; Verteidiger „Organ der Rechtspflege“). Die Bekenntnislogik beschreibt den gesellschaftlichen Kontext des Vorurteils.
Raum und Umkehr: Die Vertauschung von vorn und hinten und von rechts und links zieht die Vertauschung von oben und unten nach sich. Das „hinter dem Rücken“ (Verwechslung von vorn und hinten) und der Verzicht auf Barmherzigkeit (Verwechslung von rechts und links), mit einem Wort die wölfische Welt und ihr Grund, das Selbstmitleid, unterwerfen die obere Welt der unteren: begründen die Niedertracht und die Gemeinheit, mit einem Wort: den autoritären Charakter. Projektion und Verschiebung gehören zusammen wie die Unfähigkeit zur Verteidigung des anderen mit dem autoritären Charakter (beide wurzeln im Selbstmitleid, in der Erfahrung des „Schreckens um und um“). – Konstruktion der Materie (Ursprung des Inertialsystems) und Rekonstruktion der Sprache (Zusammenhang der Konjugationen mit den Deklinationen) – Der Logos und die Übernahme der Schuld der Welt?
Wer einen Menschen tötet, zerstört nicht eine Welt, er zerstört seine eigene Welt (die sprachlichen Wurzeln seiner eigenen Welt). Kain wurde „unstet und flüchtig“ (wie der Dornstrauch in der Jotam-Fabel).
Ist das Opfer Abels das Opfer des Wortes, mit dem Adam die Tiere benannt hat? (Vgl. den „Duft des Wortes“ im Sohar, S. 33) -
06.12.91
Ist die analogia entis, dieses Kernstück der thomistischen Theologie (ein Begriff übrigens, der heute sein fundamentum in re verloren zu haben scheint), der katholische Ersatzbegriff für die Umkehr?
Wenn der Ursprung der Philosophie sich aus der Verinnerlichung des Schicksalsbegriffs begreifen läßt, repräsentieren dann nicht Islam und Christentum die beiden verschiedenen Seiten des Schicksals (das Christentum die Subjektseite, der Islam die Objektseite)? Lassen sich daraus nicht sogar die Differenzen in der Theologie ableiten (z.B. die islamische Vorstellung, daß Gott in jedem Augenblick die Welt neu erschafft, auch daß es neben dem Koran weder eine besondere Philosophie noch einen kritischen Wissenschaftsbegriff geben kann)? Bedeutet das aber nicht umgekehrt, daß das Problem Islam sich nur mit der Selbstaufklärung des Christentums (mit der Selbstaufklärung der Philosophie) lösen läßt, weil anders der Islam als Projektionsfolie für das unbekehrte Christentum ebenso notwendig bleibt wie der Terrorismus für den Staat?
Wenn Franz Rosenzweig Mohammed den großen Plagiator nennt, so erinnert das daran, daß auch der Muslim unmittelbar bei Allah sein möchte, aber beim Schicksal sich wiederfindet. Der Islam repräsentiert die mythische Gestalt der Monotheismus-Rezeption.
Im Begriff des Ewigen ist auch das Vergangene gegenwärtig: als das noch unversühnte Gericht. -
25.11.91
An der Mundpartie erkennt der in die Geheimnisse der Zivilisation Eingeweihte, ob der andere bereit ist mitzulachen (ob er Person ist: vgl. das Augurenlächeln und den Eicherschen Begriff der „Augurenreligion“ – Michael Weinrich in Einwürfe 4, S. 140). Wer hat angefangen, sich zu rasieren, und seit wann? Die Philister und die Ägypter waren bartlos. Für die Griechen sind die Barbaren sowohl die Bärtigen als auch die Stammelnden.
Hat das Rasieren etwas mit der Herstellung des poker-face zu tun? Und ist das poker-face nicht das Gesicht dessen, der selbst den Witz erzählt und nicht darüber lachen darf?
Das diabolein beginnt mit der Erkenntnis des Guten und Bösen und endet mit der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden.
Diabolos (oder die entsetzliche theologische Verwirrung im Katholizismus; vgl. die Versuchungen Jesu – Mt 41-11, Mk 112-13, Lk 41-13): Wer andere „durcheinanderwirbelt“, verwirrt den Orientierungssinn. Der Verwirrte kann rechts und links (sowie vorn und hinten) nicht mehr unterscheiden. Er kennt nur noch oben und unten, aber in einer Weise, die es ihm verwehrt, sich oben zu halten. Unsere Theologie müßte auf den Stand gebracht werden, auf dem die Dichtung seit Goethes „Faust“ (vgl. auch Thomas Manns „Doktor Faustus“) und die Philosophie seit Hegels „Phänomenologie des Geistes“ bereits ist. Mit der Etablierung des Raumes (i.e. des Inertialsystems) gegen die Natur und mit der Zurichtung der Ökonomie zum System (durch die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip und durch dessen unversale Ausbreitung: die Zerstörung aller „naturwüchsigen“ Verhältnisse) wurde die Orientierungskraft der Offenbarung (ihre erhabene Anthropozentrik) zerstört.
Das Wort Satan hat nach Gershom Scholem im Hebräischen die Bedeutung „Ankläger“, die Bezeichnung Diabolos ist griechisch und bedeutet „Verwirrer“. Die hebräische Bezeichnung stammt aus dem Rechtsbereich, die griechische aus dem räumlich-logischen.
Der Ankläger ist der Verführer: er verführt zur Empörung oder zur Rechtfertigung. Maßgebend ist ist der projektive Umgang mit der Schuld.
Was uns das Festeste zu sein scheint, der Raum, das Geld, das dogmatisierte Bekenntnis (die Orthogonalität, die Stabilität und die Orthodoxie) ist gerade die Quelle und der Ursprung der Verwirrung.
Unterm Zwang des Systems ist die Moral (vgl. die Konstruktion der Wertethik: Moral als anklagende, urteilende, richtende Instanz; Zusammenhang mit dem akkusatorischen Objektivationsprozeß; die Wertethik kennt kein Pardon) zu einem Instrument im Schuldverschubsystem geworden: mit der Nutzung des Scheins der exkulpatorischen Kraft des moralischen Besserwissens (des moralischen Urteils und des vergesellschafteten Bekenntnisses, deren innere Triebkraft die Empörung ist) ist sie zu einem Instrument des hemmungslosen Projektierens geworden, das sowohl dem Gebot der Feindesliebe als auch dem Nachfolgegebot widerspricht (dem Gebot, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, anstatt sie -sich selbst exkulpierend – in den anderen dingfest zu machen).
Omne ens inquantum est ens est bonum: dieser Satz enthält einen utopischen Begriff des „Seienden“. -
02.11.91
„Kritik der toten Natur“: Hier wurde ein zentrales Thema der heute möglichen Naturphilosophie mehrfach verfehlt.
– Nicht „die tote Natur“, sondern ihr Begriff wäre der Kritik zu unterziehen (nicht das Proletariat, sondern das System, das es dazu macht).
– Die „tote Natur“, oder die Natur im Zustand der vollendeten Naturbeherrschung, ist ein Deckbild der toten Gesellschaft; und die notwendige Kritik beider schließt die Kritik ihrer Genesis: die der Herrschaftsgeschichte mit ein. Es gibt keine „tote Natur“ außerhalb der Naturbeherrschung und keine Naturbeherrschung ohne Herrschaft in der Gesellschaft.
– Wer die Erfahrungen der Opfer zum Sprechen bringen will, muß die stumme Erfahrungsschicht mit zum Sprechen bringen, die uns in der „äußeren Natur“ vor Augen steht. Ist die Natur stumm, weil sie tot ist, oder erscheint sie uns (zwangsläufig und ohne daß eine Alternative sich konstruieren oder benennen ließe) als tot, weil sie stumm ist?
– Man kann keine Herrschaftskritik betreiben, ohne die Geschichte der Naturbeherrschung und deren Objekt mit einzubeziehen.
– Begriffliche Schneisen schlagen: Gibt es eine Definition des Naturbegriffs? Die einfachste, auf die sich das Problem heute zu reduzieren scheint, ist die, die die Definition des Weltbegriffs mit einschließt: Der Begriff der Welt bezeichnet das Resultat des Säkularisationsprozesses, den Inbegriff der Herrschaftsgeschichte, dessen (in der hegelschen Philosophie sich begreifende) begriffliche Seite, der Naturbegriff im gleichen Prozeß die Objektseite (daher rühren die hegelschen Schwierigkeiten, die Natur als „Entäußerung der Idee“ zu fassen, die ihn dann zwingen zuzugeben, daß sie „den Begriff nicht halten kann“; die Natur kann ihn aufgrund der Logik ihres Begriffs nicht halten: das Objekt ist als apriorischer Gegenstand des Begriffs dazu verurteilt, den Begriff nicht halten zu können). Die Begriffe Welt und Natur sind außerhalb der Herrschaftsgeschichte ohne Bedeutung, sie bezeichnen in ihr die begriffliche (die Subjekt-) und die Objekt-Seite als getrennte Wesenheiten. Sie sind Totalitätsbegriffe, die den Herrschaftszusammenhang stabilisieren.
– Liegt es nicht in der Konsequenz der Dialektik der Aufklärung, die Beziehung zwischen der Geschichte der Naturbeherrschung und den geschichtlichen Katastrophen endlich wahrzunehmen (die moderne naturwissenschaftliche Aufklärung beginnt mit der Hexenverfolgung und endet mit Auschwitz)?
Das Urteil, die Ontologie (Natur und Welt) und der Turmbau zu Babel.
Der Übergang vom uneigentlichen zum eigentlichen Dasein bedarf in der Tat nur der Entschlossenheit, in der Sache sind beide nicht zu unterscheiden. Und damit scheint es zusammenzuhängen, daß der Begriff des Asozialen heute die Extreme der Gesellschaft trifft, nämlich sowohl die, die ganz unten, wie die, die ganz oben sind. Seit Kopernikus und Newton sind die ganz oben von denen ganz unten nicht mehr zu unterscheiden.
Heute traut sich niemand mehr, das Wort vom „beschränkten Untertanenverstand“ auszusprechen; dafür läuft die gesamte Politik sprachlich auf zwei Ebenen: es gibt den esoterischen Innenraum, in den niemand hineinblickt, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, während der Bereich der Darstellung nach außen, der Öffentlichkeit, auf die von der Bekenntnislogik beherrschten Mechanismen der Massenkommunikation abgestellt ist.
Es hätten eigentlich alle erschrecken müssen, als in einem sozialdemokratischen Parteiprogramm der Begriff „Vertrauensbildende Maßnahmen“ auftauchte (und das in der gleichen Phase, in der von den Notstandsgesetzen und dem Radikalenerlaß über den Nachrüstungsbeschluß bis zur Terrorismusbekämpfung der Graben zwischen realer Politik und Öffentlichkeit vertieft, ausgebaut und befestigt wurde).
Es ist ein allgemein bekannter Grundsatz: Wer in der Politik mitmacht, macht sich die Finger schmutzig, und den Luxus, unschuldig zu bleiben, kann sich niemand mehr erlauben.
Das Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist nur dort sinnvoll, wo die Sprache noch fähig ist, die Wahrheit auszudrücken. (Die Menschen wollen glauben, daß die Politiker die Wahrheit sagen, lieber verdrängen sie die Realität).
Die Physik schirmt die Natur ab gegen die Sprache.
Hat die Abfolge der drei Leugnungen eine Beziehung zur Trinität: erinnert die Selbstverfluchung nicht an die Sünde wider den Heiligen Geist? Entscheidend ist, daß das Hinter dem Rücken steigerungsfähig ist (bis hin zur Selbstverfluchung). -
21.10.91
Die Person ist das apriorische Objekt der verwalteten Welt: deshalb ist sie eigentums- und bekenntnisfähig; sie ist das Subjekt-Objekt des Rechts und des moralischen Urteils (Ursprung in der Tragödie: als Maske).
Das Bekenntnis hat seit seinem Ursprung der Erinnerung der Weg versperrt: zunächst (im historischen Dogmatisierungsprozeß: Kirche als Verdrängungsgemeinschaft) der genuin christlichen Erinnerung, heute, als Grund und Focus der Staatsmetaphysik, der geschichtlichen Erinnerung (auch der in den Armen und Fremden gegenwärtigen Erinnerung). Gestützt wird diese Erinnerungssperre (die ein Teil des Herrendenkens ist) durch jede Art von Empörung: von der moralischen (der Wurzel der politischen Empörung) bis hin zu jener Empörung, die in der Anschauung (als deren Form) sich objektiviert: in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Nicht zufällig war der Weltanschauungskrieg ein Vernichtungskrieg, dem eine durch die Erinnerungssperre vermittelte Wahrnehmungssperre (Bolschewisten, Juden, Untermenschen) vorausging: Abgeschafft werden sollte, was an die Vergangenheit erinnert. Jedes Bekenntnis ist ein Krieg gegen die eigene (verdrängte individuelle und kollektive) Vergangenheit.
Das Bekenntnis (und das Dogma) war im Ursprung ein Erinnerungsschutz, ohne den ein Leben in der gnadenlosen Welt (wie Schafe unter den Wölfen) kaum zu ertragen gewesen wäre.
Im Hegelschen Absoluten ist kein Glied nicht trunken: es konstituiert sich im Eiertanz der Verdrängung. Aber dieser Eiertanz ist real: Es gibt keine Unschuld im realen Schuldzusammenhang; und es gibt keine Erinnerungsarbeit, die nicht daran sich abarbeitet.
Der Raum, das Lachen, der Atheismus und die vollendete Gemeinheit („Fertigmachen“). – Haben Lachen und Gewalt eine gemeinsame sprachliche Struktur (zu unterscheiden sind Subjekt, Objekt, Adressat; Sprache der Stummheit, des „Helden“, der Wut)?
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