Philosophie

  • 21.03.89

    Intersubjektivität ist nicht Objektivität, sondern nur das Gemeinsame der subjektiven, instrumentalen Vernunft. Diese hat sich – über die Naturwissenschaften, die die Natur diesem Instrumentalisierungs-(Herrschafts-)prozeß unterworfen hat – so tief in der Objektivität selber verankert, daß die Differenz fast unbestimmbar geworden ist. Es gibt keinen anderen Begriff der Vernunft mehr, seit es keinen anderen Begriff der Natur mehr gibt. Der entscheidende Schritt war die kopernikanische Wende.

    Der Katholizismus war einmal eine mehr oder weniger glückliche – jedenfalls funktionierende – Symbiose von Herrschaft und Religion. Diese Symbiose ist heute nicht mehr haltbar; sie ist – infolge des historischen Prozesses (in Wissenschaft und Gesellschaft) – Spannungen ausgesetzt, die das System zu sprengen drohen. Helfen kann allein eine historische Selbstverständigung, die durch Erinnerung die selbstzerstörerischen Kräfte, die heute freigesetzt werden, benennt und auflöst: Notwendig ist Erinnerung als therapeutischer Prozeß, der sicherlich schmerzhaft ist, aber allein noch aus der Krise herausführt. Gegenstand der therapeutischen Aufarbeitung sind Dogma, Ritus und Frömmigkeit als Einheit von kollektivem und individuellem Traum, Ziel ist das Aufwachen.

    Der Auferstehung geht nach alter katholischer Tradition (die auf die Petrusbriefe zurückgeht) der Abstieg zur Hölle voraus: die heute notwendige Erinnerungsarbeit, Trauerarbeit, die die ganze Geschichte des Antisemitismus, der Ketzer- und Hexenverfolgung mit einschließt, die Christianisierung der Welt, die keine Bekehrung – eher das Gegenteil – war, diese Erinnerungsarbeit hat ihren theologischen Vorbegriff im apostolischen Glaubensbekenntnis: abgestiegen zur Hölle. Nur daß diese Hölle keine vorgegebene, sondern eine von der Christenheit selbst angerichtete war (und weiterhin sein wird, wenn der anders unabweisbare Wiederholungszwang nicht durch Erinnerung aufgelöst wird).

    Diese Erinnerungsarbeit ist sowohl eine zwingende Konsequenz aus der Theologie (die Verweigerung ist Atheismus) als auch selber nur in theologischem Kontext möglich. Habermas‘ Abgrenzung von den theologischen, überschießenden naturphilosophisch-messianischen Motiven bei Benjamin wie bei den Frankfurtern ist seine Abgrenzung von der Realität.

    Sofern es noch eine Revolution gibt, wird sie in jedem Falle diese Erinnerungsarbeit in sich enthalten müssen. Das Subjekt der Revolution ist nicht mehr so dingfest zu machen, wie Marx es anhand seiner Kapitalismuskritik logisch stringent getan hat, nämlich am Proletariat; die Revolution, wenn sie ihre vergangenen Fehler vermeiden will, wird die Erinnerung an die Unterdrückten, Geschändeten, Ausgebeuteten und Ermordeten der Vergangenheit, die Erinnerung an die Toten mit einschließen müssen; nur so ist es vielleicht möglich, Herrschaft an ihren Wurzeln (an ihrem Naturgrund) zu entschärfen.

    Heideggers Vergewaltigung der Sprache (sein Antichristentum) ist auch eine Strategie des Vergessens, der Entlastung von den Beschwernissen der Vergangenheit. Der Begriff „Seinsvergessenheit“, den er allen entgegenschleudert, die nicht vergessen wollen oder können, drückt das genau aus.

  • 20.03.89

    „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.“ – Heideggers Denunziationen (der alltäglichen Verfallenheit an das „Man“, des „Geredes“, der „Uneigentlichkeit“) sind eigentlich Projektionen, sie treffen ihn selber. Sachlich und logisch sind alle einschlägigen Heideggerschen Kategorien Reflexionsbestimmungen, d.h. austauschbar: Ausdruck ihres eigenen Gegenteils. Und es ist nur dem Heiggerschen taktischen Geschick zu danken, wenn es ihm gelingt, das zu verbergen, unkenntlich zu machen. Der Preis allerdings ist hoch: das Versinken der Philosophie im Mythos, im Schicksals- und Schuldzusammenhang, den H. dann selbst sich noch als besonderes Privileg zurechnen kann.

    Grund ist der unmögliche Versuch, den Gegenstand der Metaphysik zum Gegenstand des Urteils (des Wissens) zu machen, der nicht zufällig in der Hypostasierung der (antwortlosen und deshalb „wesentlichen“) Frage endet: Mit diesem Hammer erschlägt er alle. In der letzten Konsequenz des mythischen Schuldzusammenhangs kann nur einer der Herr sein: der, dem es gelingt, im Schuldverschubsystem „oben“ zu bleiben; das ist der Trick, den H. in vollständiger Selbstverblendung dann auch auf den beginnenden Faschismus anzuwenden versucht hat. Darauf bezog sich der Satz: Nur wer groß denkt, kann groß irren.

    Es ist das Verdienst Heideggers, daß er error in principio der Philosophie endgültig kenntlich gemacht hat.

  • 07.02.89

    Sorge ist Ausdruck der Anbetung des Seins, der „Entsprechung“, der „Hörigkeit“, schließlich der „Gelassenheit“ (gegenüber dem Sein, nicht gegenüber der Freiheit). Die Sorge sorgt sich um das Sein (Hirte des Seins – nicht zufällig der Anklang an das katholische Hirtenamt, das Heidegger für sich wohl im Hinblick auf den deutschen Faschismus angestrebt hatte), nicht um die Opfer des „Seins“; sie ist die ins System eingebaute Verhinderung jeglicher Empathie, in letzter Instanz die Selbstzerstörung des moralischen Subjekts, des Gewissens (sie ist der systemimmanente Repräsentant des Antisemitismus).

  • 06.02.89

    Schlüssel zur Fundamentalontologie: Sorge als paranoische Entmündigung ihres Objekts, bewußtloses Herrschaftsinstrument; Erniedrigung mit gutem Gewissen. Der sich Sorgende genießt das moralische Prestige der Angst, die er um den anderen hat. Sorge, Erhebung, Empörung. Die Sorge hat den, um den sie sich sorgt, nur insoweit vor Augen, als sie um den Eindruck, den er auf andere macht, sich sorgt. Schlüssel zur Fundamentalontologie: Das Sein sind „die Anderen“: als paranoide Projektion der Selbstverleugnung, als Inbegriff des nach außen projizierten Aggressors, der man selbst ist, für den die Verantwortung zu übernehmen man sich weigert. Das Sein eröffnet den Weg des pathologisch guten Gewissens.

  • 27.11.88

    Sind die Argumente in den Kantischen Antinomien eigentlich gleichwertig? Ist das Gewicht der Hoffnung nur ein Zusätzliches, von außen Hinzukommendes, oder ist es nicht doch ein Moment in den Argumenten selbst (ein Zeitmoment, das verschwindet, wenn die Argumentation aufs Wissen, d.h. auf die Vorherrschaft des Vergangenen, abstellt)?

  • 23.10.88

    Es scheint eine von Heidegger-Adepten immer wieder gemachte Erfahrung zu sein, daß man beim Lesen glaubt etwas zu begreifen, das sich dann wieder verflüchtigt, eine Erfahrung, die zweifellos süchtig machen kann. Und Heidegger-Adepten erwecken nicht selten den Eindruck von Süchtigen.

    Das scheint zusammenzuhängen mit (offensichtlich von Heidegger selber) undurchschauten Tricks, zu denen H. gezwungen ist, und in die er seinen ganzen analytischen Scharfsinn legt, die nichts anderes bezwecken, als den Schein aufrechtzuerhalten, Reflexionsbegriffe seien fähig, ein An sich auszudrücken. Ein lernfähiger und lernbereiter Blick in Hegels Logik hätte genügt, diesen Schein aufzulösen.

  • 22.10.88

    Heideggers Philosophie ist ein Modellfall für die Mechanismen von Projektion und Verleugnung: Das Fascinosum, vom Begriff des Seins über Kategorien wie Eigentlichkeit, Entschlossenheit u.ä., ist der Duftstoff, der genau in die Bereiche herein(ver-)führt, die er dann diskriminiert. Die Bindung, die ihre Anhänger fesselt, besteht aus einer ebenso trüben wie wirksamen Mischung aus Selbsterhöhung und Selbstverachtung (verdrängter Schuld); es ist die gleiche Bindung, die den Zusammenhang des Mythos herstellt und definiert. Charakteristisch das Verhältnis zur Schuld: Es gibt keine Unschuld; soweit es Schuld gibt, ist sie infolge des projektiven Denkens nicht zurechenbar. Hier sind die gleichen Mechanismen wirksam, die nach dem Krieg geholfen haben, den Faschismus zu verdrängen.

    Die gleichen Konstellationen durchziehen die gesamte Geschichte der Philosophie: Heidegger macht gleichsam den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt. Es ist der gleiche Zusammenhang, aus dessen Kritik F.R. seine Philosophie gewinnt. Hier liegt die einzige Gemeinsamkeit beider.

  • 17.10.88

    Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob Zukunftserwartungen aus der Sicht des Zuschauers oder der des moralisch Betroffenen, der Verantwortung erwachsen. Die Sicht des Zuschauers ist die mythische, die des Betroffenen eine unendlich belastete und die befreiende zugleich.

    Mythisch ist der Staat, zu dessen Existentialien das Schicksal, das Recht und das Wissen gehören.

  • 07.08.88

    Nochmals Vorrang des Objekts: das verweist nicht nur auf die Welt als Objekt (und ihre Geschichte), sondern ebenso – und das ist zusammen zu sehen – auf jene Objektivität, auf die die Idee des Glücks verweist. Glück bezeichnet einen Objektbereich, der in einer höchst differenzierten zeitlichen und begrifflichen Beziehung zur Welt steht. Glück schließt die Menschheit mit ein, es ist eigentlich nur als das Glück aller denkbar, als Aufhebung der Not, des Elends, des Unglücks; insbesondere auch als Aufhebung vergangenen Leids. Glück wäre nicht denkbar ohne jenes fundamentum in re, das die modernen Naturwissenschaften schon in ihrem Ursprung aus dem Kreis ihrer Objekte ausgeschlossen haben: das gegenständliche Korrelat der Sinnlichkeit, die sinnlich erfahrene Welt (Licht, Farbe, Geruch, Wärme, Klang) als sinnlich erfahrene, nicht entfremdete Welt.

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