Planck

  • 18.08.1996

    Natur ist ein Exkulpationsbegriff, der von der „Last“ des richtigen Lebens (der Barmherzigkeit) befreit. Mit dem Begriff der Natur (und hinter seinem Rücken: dem Bewußtsein nur durch Reflexion zugänglich) konstituieren und entfalten sich die im Weltbegriff zusammengefaßten Herrschaftsstrukturen. Deshalb ist die Geschichte der Naturerkenntnis ein Teil der Herrschaftsgeschichte, deren Erkenntnis sie zugleich ausblendet.
    Jede historische Gestalt der Naturerkenntnis war ein Mittel der Rechtfertigung des jeweils Bestehenden; mit dessen Änderung veraltet auch die ihm jeweils korrespondierende Gestalt der Naturerkenntnis. Der große Fisch und das Vieh im Buch Jona: sind das Leviatan und Behemot? Mit dem Begriff der Buße wurde das herrschaftskritische Element im Begriff der Umkehr ins Autoritäre zurückgebogen. Symbol und Typos konstituieren sich als Erkenntnisbegriffe nur durch die Kritik von Natur und Welt (durch die Kritik der historisierenden Vergegenständlichung) hindurch. Exemplarisch für diese kritische Beziehung zur Objektivität ist die symbolische Beziehung der Schlange zum Neutrum und die logische Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren. Verhält sich der Stier zum Naturbegriff wie die Schlange zum Neutrum?
    Indogermanisches: Die christianisierten Neutrum-Sprachen sind Sprachen im Bauch des Fisches (Jonas bekennt sich, bevor er ins Meer geworfen und vom Fisch verschlungen wird, als Hebräer). Haben die Christen den Namen der Hebräer nicht seit je als eine spezielle Anwendung (und antijüdische Radikalisierung) des Namens der Barbaren mißbraucht? Der Symbolbegriff bezieht sich auf die Natur, der des Typos auf Welt und Geschichte, und zwar beide als Mittel der kritischen Reflexion. Der Bekennende gibt sich zu erkennen, dieses Bekenntnis (dessen Paradigma das Schuldbekenntnis ist: Ausdruck der Wehrlosigkeit) wird durch die Bekenntnislogik ins Gegenteil verkehrt: die Bekenntnislogik macht das Bekenntnis zur Maske, den Bekennenden zur Person: sie macht die Welt zum Subjekt des Bekenntnisses (und wird so zu einem Instrument der Welt- und Objekt-Erkenntnis). Jesus hat die Bekenntnislogik in der Gestalt des Pharisäers zum Objekt der Kritik gemacht. Durch Historisierung der Pharisäer (wie auch der Propheten) hat das Christentum diese Kritik externalisiert und zu einem Instrument des Antijudaismus gemacht. Für die Christen waren die biblischen Pharisäer gleichsam Pharisäer von Natur, ihr Pharisäertum eine Natureigenschaft (hier liegt eine der Wurzeln des Rassismus), die Christen sind durch diese projektive Verschiebung nicht mehr nur zu Pharisäern, sondern zu Rassisten geworden. Die Logik des Satzes „Rich-tet nicht …“ läßt an dieser Konstellation sich demonstrieren; die Bekenntnislogik ist die Logik der Verurteilung. Sind die Wolken der Zeugen die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn kommen wird? Das Herrengebet hat die Christen ins Leere, in die Wüste geschickt: Wie können sie den Namen heiligen, wenn sie ihn nicht kennen? So wurde aus der Heiligung des Gottesnamens das Verbot des Fluchens (das wahr wird, wenn man es moralisch, als Norm des Handelns, und nicht verbal versteht: als Herrschaftskritik und nicht als Verbot der Majestätsbeleidigung, der „Verunglimpfung“ von Herrschaftssymbolen). Jedes Verurteilen ist ein Fluchen; und dieses Fluchen konstituiert die Wege des Irrtums (den bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist). Hat die Erfindung der Schrift etwas mit dem Versuch der Rekonstruktion der Planetenbewegungen zu tun? Und verweist nicht das Planetensystem (wie auch der hebräische Name des Himmels) auf die Beziehung von Schrift und Wort? Am Ende wird sich der Himmel wie eine Buchrolle aufrollen. Die folgenreichste Wirkung der kopernikanischen Wende war, daß sie die Schrift dieses Buches gelöscht hat. Kohelet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Deshalb ist des Bücherschreibens kein Ende. Ist nicht Kants Wort über den Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir der Beweis, daß er mehr wußte als er sagen konnte? Kant = Jona: Die Kritik der reinen Vernunft ist der Bauch des Fisches, die Kritik der praktischen Vernunft das Gebet im Bauch des Fisches, und mit der Kritik der Urteilskraft hat der Fisch Jona an Land gespien (dort aber reichte sein Sprachvermögen nur bis zu dem Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört). Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe. Dazu eine Warnung: Der Messias wird in der gleichen Gestalt wiederkommen, nicht aber der Antichrist. Verhalten sich die hebräischen und die griechischen (indoeuropäischen) Deklinations- und Konjugationsformen zueinander wie die Wasser über und die Wasser unterhalb der Feste des Himmels (wie Name und Begriff, Wort und Schrift)? Ist nicht der Himmel das erste Geschöpf, dazu das einzige, das dann als Name Verwendung findet? Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte: Heißt das, daß, wer Joseph nicht mehr kennt, wie Pharao wird? Wenn der Herr sich als Urheber der Verstockung bekennt, ist das nicht der Herr, den Pharao nicht kennt (und ist das die Ursache der Verstockung)? Auch wenn Gott das Herz des Pharao verhärtet, verstockt Pharao sich selbst. Und ist nicht das Gottsuchen der einzige Weg, der aus der Verstockung herausführt? Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: In der objektivierenden Anschauung des Andern erkenne ich meine eigene Nacktheit. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
    Der „eliminatorische Antisemitismus“ war die Einübung ins Herrendenken, das nach dem Krieg (auf der Grundlage der kollektiven Verdrängung und im Prozeß der Metamorphosen des Feindbilds) als ausgesprochen karrierefördend sich erwiesen hat. Auschwitz steckt in den Fundamenten der Nachkriegsgesellschaft (nicht nur in Deutschland), diese Vergangenheit ist nicht nur vergangen.
    Adornos Bemerkung, daß heute jeder Katholik schon so schlau sei wie früher nur ein Kardinal, gehört in den gleichen Zusammenhang. Dem Antisemiten (ähnlich wie dem Folterer) beweist jede Lebensäußerung des Opfers (jeder Ausdruck der Qual, die der Folterer ihm zufügt) das Recht und die Notwendigkeit, es zu quälen. Das verleiht dem Antisemitismus (aber auch seinen Nachfolgekonstrukten) eine Beharrungskraft, eine inertiale Gewalt, die inzwischen die gesellschaftliche Bewegung insgesamt durchdringt, sie dem mechanischen Prozeß, mit dessen Logik sie seit ihrem Ursprung aufs engste verbunden ist, endgültig angleicht. Der apagogische Beweis (dessen Analyse noch aussteht) ist der Beweis durch Verdrängung. Und die Vorstellung des unendlichen Raumes, die keine ist (der unendliche Raum läßt sich nicht „vorstellen“), gewinnt ihre Überzeugungskraft und ihre logische Gewalt allein aus den Verdrängungsprozessen, die die Anpassung an die Welt (das Selbsterhaltungsprinzip) heute erzwingt. Hegels Kritik des apagogischen Beweises (Logik I, Ausgabe Meiner 1951, S. 231ff, insbesondere S. 236), die ihn nicht auflöst, sondern instrumentalisiert, ergreift (obwohl sein Text das Gegenteil suggerieren will) die Partei der Welt gegen das Subjekt. Verweisen nicht die Aporien des kopernikanischen Systems, in dem bei gleichmäßiger Verteilung der Materie im Universum nicht sich erklären läßt, – weshalb es nachts dunkel ist und – weshalb die Gravitationskräfte, die sich eigentlich akkumulieren müßten, nicht unendlich und chaotisch sind, auf einen inneren Zusammenhang von Gravitation und Licht, und ist es nicht in der Tat merkwürdig, daß Newton, der das allgemeine Gravitationsgesetz entdeckt hat, auch die Grundlagen für die physikalische Optik gelegt hat, und daß Einsteins Relativitätstheorien durch ihre Beziehung zum Licht und zur Gravitation sich unterscheiden? Ist das Inertialsystem die Feste des Himmels, die im Namen des Himmels die Einheit von Wasser und Feuer repräsentiert, und hat nicht Einsteins spezielle Relativitätstheorie den Zusammenhang beider erstmals notiert: das Wasser im Relativitätsprinzip und das Feuer im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (das konkret nur auf thermische <oder allgemein: mikrophysikalische>, nicht auf makrophysikalische Objekte und Prozesse sich bezieht; die Beziehung der speziellen Relativitätstheorie (des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) zur Planckschen Strahlungsformel ist nicht nur eine zufällige, historische, sondern beide beziehen sich, in unterschiedlicher Perspektive, auf den gleichen logischen und empirischen Sachverhalt: auf die Wechselwirkung kinetischer und elektrodynamischer Prozesse)? Sintflut: War der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“, der die Geschichte der Philosophie eröffnete, die erste Formulierung des Relativitätsprinzips?

  • 15.08.1996

    Unter den neutestamentlichen Namen kommen Abraham und Isaak, Moses und Aaron, David und die Namen der Propheten nicht vor (mit zwei Ausnahmen: Zacharias ist Sacharja, und Simon Petrus wird einmal als Barjona, Sohn des Jonas, bezeichnet). Die am häufigsten vorkommenden Namen sind: Simon und Judas, Jakobus und Johannes, Joseph; auffällig sind der jüdische Gebrauch griechischer (und römischer) Namen: Andreas, Philippus, Alexander (Petrus, Paulus, Rufus). Bei den Frauen ist Maria fast ein Standard-Name, dazu Elisabeth, Hannah, Martha, Salome, Susanna.
    Unterstellt nicht dieses falsche Adorno-Zitat von Habermas „Eingedenken der gequälten Natur“, daß Adorno nur mit dem Negativen sich befaßt habe (nur mit der gequälten Natur, nicht mit der anderen Natur, was immer das sein mag)? Wer der Natur-Kritik glaubt enthoben zu sein, verdrängt die Wahrnehmung des Schreckens und verliert die Fähigkeit zur Kritik des Bestehen.
    Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Hinweis darauf, was mit dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, gemeint ist? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird. Steckt nicht hinter dieser Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz ein politisches und ein sprachlogisches Problem zugleich (und sind nicht die zentralen politischen Probleme zugleich auch sprachlogische Probleme)?
    Der Symbolbegriff schließt den affirmativen Gebrauch aus; es gibt keine ein für allemal gültigen Zuordnungen der Symbole zu ihren Bedeutungen. Das Symbol ist ein Reflexionsmedium, das gegen die verdinglichende Gewalt des Urteils sich richtet, diese Gewalt gegenstandslos macht. Es ist der Vorschein der Erfüllung des Worts, die nicht mehr nur im Medium der Sprache sich vollzieht.
    Beziehen sich nicht die drei Verdrängungsakte, die die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis als ihr Schatten begleiten:
    – die Verdrängung der Sinnlichkeit (die in den Objekten keinen Halt mehr findet),
    – die Verdrängung der Kritik (deren Subjektivierung zur bloßen Meinung) und am Ende
    – die Verdrängung der Schuld (die zu einem pathologischen Gefühl wird, von dem das aufgeklärte Subjekt sich freizumachen hat -hierher gehört der ungeheure Verdrängungsakt, der nach dem Krieg die Schrecken des Faschismus durch Objektivierung der Erfahrung entzogen hat),
    auf die drei theologischen Themen, die am Angesicht, am Feuer und am Namen sich entzünden? Ist nicht das Angesicht der Schlüssel zur sinnlichen Erfahrung, das Feuer das Symbol der Beziehung der Kritik zur Idee der Wahrheit, und ist es nicht der Name, der die Fähigkeit der Erinnerung und Reflexion der Schuld begründet? Schuld wird zu einem pathologischen Gefühl, wenn der Name (wie der Gottesname in der Trinitätslehre) zu Schall und Rauch wird.
    Verhalten sich nicht Angesicht und Name wie Nähe und Ferne, und sind nicht beide durch das Feuer auf einander bezogen? Ist nicht der Name das unendlich Ferne, das Gesicht das unendlich Nahe, bezeichnen sie nicht die beiden Grenzen der räumlichen Unendlichkeit (die des unendlich Großen und des unendlich Kleinen), die durch die Orthogonalität auf einander bezogen sind?
    Wenn das Angesicht und der Name etwas mit der Form des Raumes zu tun haben, dann hat die Reflexion und Kritik der Form des Raumes etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun: mit der Idee des Leuchtens Seines Angesichts.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Plancksche Strahlungsformel rühren gemeinsam an das im Orthogonalitäts-Problem verborgene Problem des Feuers.
    Die Sinnfrage (die John L. Berger zufolge die Grundfrage der Religion ist) leugnet die Auferstehung. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, ontologisiert den Habitus des „neutralen Zuschauers“, der weder neutral noch bloß Zuschauer ist, er ontologisiert den Habitus des Herrenblicks (den heute das Fernsehen kultiviert); er leugnet die moralische Gemeinschaft mit der Welt und zerstört das moralische Selbstverständnis der Menschen. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, möchte die Last der moralischen Pflichten, die darin gründet, daß das Sein keinen von ihrem moralischen Verständnis (von der Sensibilität, von der Fähigkeit zur Wahrnehmung des Leidens) unabhängigen Sinn hat, loswerden. Das Bedürfnis nach Sinn ist eine Konsequenz aus dem objektivierenden Verständnis des Seins.
    Die Frage nach dem Sinn von Sein ist antisemitisch (eine Ursprungsgestalt des eliminatorischen Antisemitismus im Sinne Daniel Goldhagens).
    Gibt es außer dem Blut des Abel und dem Leiden der Israeliten im Sklavenhaus Ägypten noch andere Dinge, die „zu Gott, zum Himmel schreien“? Ist der Schrei die Ursprungsgestalt des Gottesnamens?
    Der Hinweis, daß es nicht nur die eine, allen gemeinsame Welt (die eine Projektion unseres menschlichen, am Selbsterhaltungsprinzip geschulten Verstandes ist), sondern verschiedene, nach Gattungen getrennte Welten gibt, daß zu jeder Nation, zu jeder Sprache, zu jedem Beruf, insbesondere aber zu jeder Tiergattung (und diese Zuordnung ist die exemplarische) eine eigene Welt gehört, ist nicht metaphorisch, sondern in der Logik des Weltbegriffs selber begründet.
    Vgl. hierzu:
    – Kants Definition der Begriffe Natur und Welt sowie Hegels Begründung für seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, weil es dann nämlich keine verschiedenen Gattungen und Arten der Tiere geben dürfe: zur einen Welt gibt es nur ein Tier;
    – aber auch die Geschichte der Benennung der Tiere durch Adam, an die die kantische Definition des Weltbegriffs rührt, und das apokalyptische Symbol des Tieres, das in Hegels Bemerkung über die logische Beziehung von Tier und Welt sich entschlüsselt: das Symbol des Tieres ist ein sprachlogisches Symbol;
    – und schließlich die Geschichte der Tieropfer, die ihr apokalyptisches telos im Opfer des Tieres und des falschen Propheten finden wird.
    Hat das Tier aus dem Meere etwas mit der griechischen (der prädogmatischen), das Tier vom Lande etwas mit der lateinischen (der postdogmatischen) Sprache zu tun?
    Wie hängt das Feuer mit dem Dingbegriff, und wie hängen beide mit der Geschichte der Instrumentalisierung zusammen?

  • 10.08.1996

    Daniel Goldhagen zitiert auf S. 87 ein Flugblatt aus dem Rheinland (aus dem 19. Jhdt.), in der es heißt, „die Welt überhaupt“ werde von dieser Frage (der Emanzipation) angerührt. Erinnert diese Wendung nicht tatsächlich an den Zusammenhang des Antisemitismus mit der Geschichte des Weltbegriffs?
    Der Faschismus ist Ausdruck einer Zwangslogik, deren Bann allein durch Reflexion zu brechen ist. Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleiche, die sie gleichwohl falsch abbildet, trifft genau diesen Sachverhalt.
    Hängen die Sätze „Ich bin das Licht“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ mit dem Licht des ersten Schöpfungstags zusammen, zu dessen Vorgeschichte der Geist über den Wassern gehört? Und bezieht sich hierauf die Wahl des ersten Tages als dies dominica, als Herrentag, sowie der Satz, der Menschensohn sei Herr des Sabbats (was nicht auf seine Abschaffung, sondern auf seine Erfüllung zielt)?
    Erst ein Volk, das sich aus dem Bann, bloß Volk (bloß Schicksalsgemeinschaft) zu sein, löst, das auf Erden löst, was dann im Himmel gelöst sein wird, entrinnt der Gefahr des Antisemitismus (was liegt zwischen dem Lösen des sechsten und des siebten Siegels?).
    Liegt nicht das innere Problem des Christentums, wie auch die Lösung des Rätsels der Apokalypse und ihrer Beziehung zur Prophetie, darin, daß es nicht mehr nur um die Beziehung zweier Seiten (Innen und Außen, Im Angesicht und Hinter dem Rücken), sondern um die Konstellation der sechs Seiten eines Objekts (hat dieser Hinweis etwas mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos und mit der des Übergangs von der Eucharistielehre zum Inertialsystem zu tun)?
    Muß man nicht bei der Entschlüsselung der Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen davon ausgehen, daß die Plagen, wie sie hier beschrieben sind, aus der Sicht des Pharao sich darbieten (so wie für ihn JHWH der Gott der Hebräer ist)? Und wurde eigentlich das „Scheusal Ägyptens“ schon geopfert?
    Das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos verweist auf das Problem des pathologisch guten Gewissens, auf die Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik (und damit des Weltbegriffs, des Herrendenkens, des Staates). Vgl. dazu die Geschichten
    – der drei Jünglinge im Feuerofen (Daniel),
    – des Martyriums der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk),
    – der Sara und des Dämons Asmodai (Tob) und
    – der Maria Magdalena und der sieben unreinen Geister.
    Oder insgesamt: Das Christentum schließt den Frieden mit der Welt aus.
    Hat die Konstellation, in der die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich löst, etwas mit der Konstellation zu tun, in der die Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel durchsichtig wird?
    Haben die drei ersten Plagen etwas mit den kantischen Totalitätsbegriffen zu tun, und kommt die Natur aus dem Wasser und die Welt vom Lande (die Tiere der Apokalypse)?
    Wer waren die „ägyptischen Zauberer“, und von welchem Punkt an konnten sie, was Moses und Aaron taten, nicht mehr nachmachen, wann sagten sie. Das ist der Finger Gottes?
    Das Wort „Der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis …“ ist an Seinen „Gesalbten Cyrus“ adressiert.
    War nicht am Ende des Krieges die schlagartige Verdrängung dessen, was man vorher gewußt hat, der Preis für die „Bewältigung“ der Vergangenheit durch bloßen Gesinnungswechsel, durch Eintritt in die Gemeinschaft aller, die die Vergangenheit nur zu verurteilen brauchten, um sich davon loszusagen? Verdrängt werden mußte neben dem eigenen Anteil an dieser Vergangenheit insbesondere auch, was man über die Beteiligung der anderen wußte: Selbst die Verdrängung (die kollektive Amnesie) gehorchte noch den in der Nazizeit eingeübten Gesetzen der Komplizenschaft (steckt nicht im Begriff der Gesinnung ein kollektiver, bekenntnislogischer Anteil: Paradigma der Gesinnung ist die nationale Gesinnung).
    Die im Umkreis der Habermas-Schule gängige Kritik der Postmoderne trägt ausgesprochen projektive Züge. Und ist nicht in der Tat die habermassche Kommunikationstheorie ein postmodernes Konstrukt, das sich von der französischen Postmoderne nur dadurch unterscheidet, daß sie kein Bewußtsein davon hat, daß sie es nicht weiß?
    Einer der Effekte des Inertialsystems ist die Irreversibilität der Zeit. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die Basis und die Voraussetzung dieser Irreversibilität der Zeit; ohne die irreversible Zeit wäre die Ausdehnung des Raumes, wären die räumlichen Beziehungen der Orte im Raum nicht definiert. Sie macht so die Grenze zur Vergangenheit zu einer absoluten, sie ist zugleich das Instrument der Instrumentalisierung der Erinnerung, der Löschung der Kraft des Eingedenkens.
    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das logische Prinzip, das die Vergangenheit absolut setzt und sie der Erinnerung, dem Eingedenken entzieht. Diese Logik arbeitet mit der instrumentalisierten Form der Erinnerung, die das Eingedenken ausschließt. Darauf, auf die Kritik dieser instrumentalisierten Erinnerung, zielte Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (nicht das Eingedenken der „gequälten Natur“, so Habermas).
    Ist nicht das Inertialsystem die Form einer Beziehung zur Objektivität, die auf einer kollektiven Amnesie (auf den „subjektiven Formen der Anschauung“) sich gründet und sie zugleich reproduziert? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Reflex des „stummen Inneren der Gattung“ im Subjekt? Und gehört die Selbstreflexion im Spiegel des Auslands zur Logik dieser durchs Inertialsystem festgeschriebenen Beziehung zur Objektivität, die mit dem Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, nicht mehr anfangen kann?
    Das Inertialsystem ist der Reflex des Selbsterhaltungsprinzips, es ist in sich selbst herrschaftsgeschichtlich, und d.h. durch die Geschichte des Staats als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, als Organisationsform einer Gesellschaft, die auf der Grundlage der Geldwirtschaft auf dem Prinzip der Selbsterhaltung sich gründet, vermittelt.
    Welche wirklichen „Erfolge“ hat die Weltraumforschung (neben der Erfindung der Teflonpfanne) aufzuweisen? Zu nennen wäre:
    – zunächst einmal ihr rüstungstechnischer Beitrag zur Entwicklung von Waffensystemen (die Raketen sind nutzbar als Trägersysteme);
    – hinzu kommt ihre „ökonomische“ Funktion auf der Grundlage der Satelliten-Technik, die neben der Wetterforschung insbesondere die Globalisierung der Telekommunikation gefördert hat (und mit ihr die Globalisierung der Marktgesetze, zu deren Folgen auch die fortschreitende „Privatisierung“ aller ökonomischen und kommunikativen Einrichtungen, nicht zuletzt des Fernsehens: ihre Subsumtion unters Wertgesetz, gehört).
    Wer das bereschit am Anfang der Genesis mit „im Prinzip“ übersetzt, kommt der Sache sehr nahe: Gemeint ist ein „logischer“, kein zeitlicher Anfang, nur wäre dieser Begriff der Logik genauer zu bestimmen: Er gehört zur Logik des Namens, nicht des Begriffs.

  • 18.4.96

    Kritik der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele: Wann und an welchem Feuer hat sich das Subjekt entzündet (Pathologie der Empfindlichkeit)?
    Die Subjektivierungsgeschichte, die über die sinnlichen Qualitäten die Herrschaftskritik und am Ende die Schuld ergreift, steht unter dem logischen Zwang des Objektbegriffs. Mit dem Objektbegriff ist die Subjektivierungsgeschichte mitgesetzt, aber in diesem Objekt, das seine eigene Projektion ist, erkennt das leere Subjekt am Ende nur noch sich selber wieder.
    Zum historischen Objektivierungsprozeß gehört die Ausgrenzung der Barbaren, die im Christentum unter dem Namen der Heiden sich wiederholt.
    Adornos Philosophie ist der ungeheure Versuch, den Bann einer Logik zu brechen, die nur so lange wirksam ist, wie sie dem Licht des Bewußtseins sich entzieht. Dieses Verfahren hat etwas mit dem Satz zu tun: Ihr seid das Licht der Welt. Und mit dem Satz: Der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht.
    Hinter dem Rücken: Das ist die Gemeinheit, die sich zugleich selbst verleugnet und dementiert, die nicht weiß, was sie tut; die das pathologisch gute Gewissen gleich mitliefert.
    Die Bilder der Schrift gehorchen einer Symbollogik, die eine Sprachlogik ist.
    Die Instrumentalisierung gehorcht dem Gesetz der Verwüstung und befördert es zugleich.
    War nicht die theoretische Entwicklung der Naturwissenschaften mit Planck und Einstein beendet, und alles weitere bloße Ausmalung eines Bildes, dessen Rahmen und dessen Grundmotiv vorgegeben war?
    Schließt der Plural in dem Wort „Lasset uns den Menschen machen“ nicht schon die Menschen mit ein (die an ihrer eigenen Menschwerdung mitzuwirken berufen sind)?
    Hören und Sehen: Das Wissen gründet in der optischen Erinnerung (im „Gesehenhaben“), die Offenbarung im Hören.
    Daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet, heißt das nicht, daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit zur Schuldreflexion (die Freiheit vom Rechtfertigungszwang) wartet, die auch die Natur vom Bann befreit?
    Mit dem Urschisma haben nicht nur wir uns von den Juden getrennt, sie ihres Namens beraubt, indem wir uns als das neue Israel definierten, wir haben zugleich die Völker, die wir selber sind, zu Heiden umdefiniert und externalisiert: So sind wir erst zu „Heiden“ geworden.

  • 29.2.96

    Das kopernikanische System ist die Mühle, die den Kosmos zu Staub zermahlen hat.
    In den neutestamentlichen Berichten vom Letzten Abendmahl ist beim Wein jeweils auch vom Kelch die Rede. Der Unterschied zwischen den Evangelien und dem 1. Korinther-Brief liegt in der Beziehung zur Zeit: Während die Evangelien auf die Zukunft (auf die Erfüllung im Reiche Gottes) verweisen, rückt Paulus den Kelch ins Vergangene („das tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis“). Steht Paulus unter dem Bann der Logik der Schrift? Die Wandlungsworte im katholischen Meßopfer zitieren den Paulus: Bezeichnet das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ schon die Differenz zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Worts?
    Vgl. aber die unverständlichen Stellen Joh 622ff, die in dem Satz enden: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt …“ (654). Was heißt hier „Essen“ und „Trinken“?
    Der Pharisäismus, für den der Feigenbaum steht, ist mit der Bekenntnislogik in die Theologie eingedrungen und mit der Rechtfertigungslehre vergesellschaftet worden. (Jesu Kritik des Pharisäismus meint nicht die Diskriminierung der Pharisäer, sondern dringt auf die Erfüllung des Worts.)
    Das Organische (der Staat) ist gegenüber dem Anorganischen (der Ökonomie) nicht das Bessere, sondern es steht, in der zweiten wie auch in der ersten Natur, selber unter dem Bann des Anorganischen, an dem es seine materielle Grundlage hat. Beide stehen unter dem gleichen Gesetz der Selbsterhaltung.
    „Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet“: Beginnen nicht die Weltalter Schellings mit einem klassischen Freudschen Versprecher?
    Verweist das Hethitische auf eine frühe Stufe der Neutrumsbildung, in der das Neutrum auch die grammatische Widerspiegelung der Geschlechterdifferenz neutralisiert, sie in den (juristischen, staatslogischen) Gegensatz von Person und Sache bannt? Schlägt hier nicht die überwältigende Logik des entstehenden Staates in die Sprache durch? Ist es vor diesem Hintergrund nicht doch von Bedeutung, daß Salomo der Sohn einer Hethiterin ist?
    Hat die Geschichte der Vertreibung der „Käufer und Verkäufer“ aus dem Tempel (die Befreiung der Idee des Heiligen aus der Herrschaft des Tauschprinzips) etwas mit der Preisgabe des Vorhofs des Tempels an die Heiden (die Völker) zu tun (Off 112)?
    Waren nicht Horkheimer und Adorno zwei Zeugen des Nationalsozialismus, die, wenn ihre Philosophie wirklich eine geworden wäre, die Einigung des Gottesnamens erreicht hätten?
    Genitiv und Dativ: Während Horkheimer wie einer wirkte, der der Last, die ihn niederdrückte, die Reflexion, seinen unbeugsamen Erkenntniswillen entgegensetzte (und der gelegentlich auch etwas von der Störrischkeit eines Esels hatte), war Adorno wie einer, der seine Lebendigkeit an der Freude hatte, mit der er die kostbarsten Einsichten aus dem Schatz seiner Erkenntnis hervorholen durfte. Adorno beschenkte die Welt, Horkheimer nahm der Welt, gelegentlich widerwillig, die Last ab, indem er sie beim Namen nannte.
    Hat die Zahl vierzig, die auf die Wüste (im Exodus und beim Aufenthalt Jesu in der Wüste, vor den drei Versuchungen) sich bezieht, etwas mit den zehn Hörnern des Drachens und des Tiers aus dem Meer zu tun (der Drache hat die Kronen auf seinen sieben Köpfen, das Tier auf den zehn Hörnern, während seine Köpfe gotteslästerliche Namen tragen; der Drache ist der Gegenspieler des Weibes mit dem Kind; die Hure Babylon sitzt auf dem Tier aus dem Meer)? – Kann es sein, daß die Zahl zehn (die Zahl der Hörner, die die Macht verkörpern) in der Zahl vierzig auf die vier Weltgegenden sich erstreckt: auf die Verwüstung der die Welt durchdringenden Ökonomie?
    Mit ihrer newtonschen Begründung hat die kopernikanische Theorie die Gravitation ins Zentrum gerückt. Seitdem ist die Welt alles, was der Fall ist, sind die Schwerpunkte (die räumlichen Punkte, die Schnittpunkte der Dimensionen des Raumes) Bilder des Objekts.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Ist die Nacktheit das optische Korrelat des Schwerpunkts? Der Nackte erfährt sich im Blick der Anderen, als Schnittpunkt dieses allgemeinen Blicks (vgl. die Augen der Wesen in der Vision Ezechiels). Scham ist der Versuch, diesem Blick sich zu entziehen, sich unsichtbar zu machen, im Erdboden zu versinken.
    Gehört die Reflexion der Beziehung des Sehens zur Schwere zu den Grundlagen einer Theorie des Feuers (Ableitung des Planckschen Strahlungsgesetzes, des Begriffs der Strahlung insgesamt)?
    Schwarzer Körper: Im Planckschen Strahlungsgesetz sind die unterschiedlichen Beziehungen der thermischen Bewegung und der Strahlung zum Raum und zueinander und die Abhängigkeit dieser Beziehungen vom Energieinhalt zu bestimmen (die wechselseitige Abhängigkeit von Temperatur, Frequenz und Energie).

  • 26.2.96

    Bange machen gilt nicht: Wer die Aufsätze Horkheimers in dem Bändchen „Autoritärer Staat“ (Schwarze Reihe Nr. 3, Verlag de Munter, Amsterdam 1968) liest, weiß, weshalb Horkheimer nach dem Krieg kein Buch mehr geschrieben hat. Die Texte sind von einer Panik durchsetzt, die den Grund seines Denkens offenlegt: sich auch in der äußersten Katastrophe von Angst nicht dumm machen zu lassen.
    Sind nicht das Plancksche Wirkungsquantum, die „Quantensprünge“ und die Elektronenbahnen im Atommodell Konsequenzen des Entropiegesetzes?
    Wichtig wäre die genaue Analyse des Planckschen Strahlungsgesetzes: Hier ist die Beziehung von elektromagnetischer Strahlung und thermischer Bewegung – mit dem Planckschen Wirkungsquantum als vermittelndem mathematischen Glied – exakt definiert.
    An der Hegelschen Philosophie ist nicht der „Idealismus“ falsch, sondern das, was sich dahinter verbirgt: die Parteinahme für die Herrschenden, für die Sieger, und das Hegelsche Weltgericht als der Inbegriff dieser Parteinahme. Falsch ist m.a.W. die Ästhetisierung des Gedankens, der der Idealismus sich verdankt (der ästhetische Grund der Hegelschen Logik).
    Jakobsleiter: Als die Theologie mit Gott sich auseinandersetzte, hat sich hinter ihrem Rücken etwas gebildet, dessen Opfer sie dann geworden ist: die Bekenntnislogik. Ist es nicht die Bekenntnislogik, die die Kirche hinkend macht (die sie am Ende lahm und blind macht)?
    Die Erfindung der Tiefenzeit war ein Entlastungskonstrukt: Was soweit in der Vergangenheit zurückliegt, ist nicht mehr erinnerungsfähig, nur noch objektivierbar.
    Wenn die unter Physikern verbreitete Kritik des Kausalitätsprinzips stimmen würde, wäre es noch auf eine ganz andere Weise unverantwortlich, Atomkraftwerke zu bauen: Die Atomphysiker wüßten als Techniker und Ingenieure und nicht mehr, was sie tun. Aber darum ging es in der Frage des Kausalitätsprinzips auch gar nicht. Mit der Kritik der Kausalität war nicht der physikalische, sondern ein gesellschaftlicher und moralischer Sachverhalt gemeint: Vernebelt werden sollte der gesellschaftliche und moralische Zusammenhang, in dem die industrielle und militärische Nutzung der Atomphysik steht, und die eigene Mitarbeit an diesen Projekten; diese Kausalzusammenhänge, die in Wahrheit Herrschafts- und Schuldzusammenhänge sind, sollten im Dunkeln bleiben.
    War nicht der Faschismus selber schon, wie leicht an Gestalten wie Spengler, Klages u.a. sich demonstrieren ließe, ein Objekt der Panik, die er glaubte nur durch Projektion von sich fernhalten zu können? Der Preis war die Paranoia. Der Schrecken des Faschismus ist nicht durch Verurteilung, sondern nur durch Reflexion zu bannen. Den Faschismus durch Verurteilung zu bekämpfen heißt, den Teufel mit Beelzebub austreiben.
    Erhaltungssatz: Die Beziehung der Theologie hinter dem Rücken Gottes zur Theologie im Angesicht Gottes ist eine der Umkehr, aber nicht in dem Sinne, als könne man sich von der einen ab- und der anderen zuwenden; sondern diese Umkehr gleicht eher dem Wenden eines Handschuhs (wobei der theologische der linke, der auf rechts zu wenden wäre, und der politische der rechte, der auf links zu wenden wäre, ist). Diese Umkehr müßte heute die Naturwissenschaften mit einbeziehen, hier liegt ihr schwierigster Teil. Der Handschuh aber wäre nicht zu verwerfen, ohne ihn hätte die Umkehr kein Objekt und kein Ziel; er bleibt erhalten.
    Haben Einsicht und Verstand in Off 1318 etwas mit Schlange und Taube in Mt 1016 zu tun; ist der Verstand „klug wie die Schlangen“ und die Einsicht „arglos wie die Tauben“?

  • 25.2.96

    Der Universalismus heute ist nicht der theologische, es sei denn der der Verwüstung.
    Das Korrelat des Weltbegriffs ist die Selbsterhaltung. Die Welt ist zur Welt erst in einer Gesellschaft geworden, zu deren Grundlagen die Organisation des Privateigentums und der Selbsterhaltung, mit einem Wort: der Staat, gehört. Deshalb ist der Kern des Weltbegriffs nicht die Vernunft, sondern das Tier.
    Sind die beiden apokalyptischen Tiere, das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande, nicht das Römische Reich und – in dieser Folge – die Philosophie, die Kirche und die Aufklärung?
    Welches sind die Zeichen, auf die Jesus verweist, als er sagte: „So erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht“ (Lk 2128)?
    – „Es werden Zeichen eintreten an Sonne und Mond und Sternen
    – und auf Erden Angst der Völker, sodaß sie sich nicht zu raten wissen vor dem Tosen und Wogen des Meeres;
    – Menschen werden den Geist aufgeben vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen werden;
    – denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
    – Und dann wird man den Sohn des Menschen auf einer Wolke kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit.“
    Die Selbstlegitimierung des Bestehenden gründet darin, daß der Objektivierungsprozeß (der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß) von der gleichen Logik geleitet wird, die sich als Herrschaftslogik in der Geschichte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur herausgebildet und in den Institutionen des Staates, der Wirtschaft und des Rechts auskristallisiert hat.
    „Die Etappen des Weltgeistes folgen nach Hegel einander mit logischer Notwendigkeit, keine kann übersprungen werden. Marx ist ihm darin treu geblieben. Die Geschichte wird als unverbrüchliche Entwicklung vorgestellt. Das Neue kann nicht beginnen, ehe seine Zeit gekommen ist. Aber der Fatalismus beider Denker bezieht sich, merkwürdig genug, bloß auf die Vergangenheit. Ihr metaphysischer Irrtum, daß die Geschichte einem festen Gesetz gehorche, wird durch den historischen Irrtum aufgehoben, daß es zu ihrer Zeit erfüllt sei. Die Gegenwart und das Spätere stehen nicht wieder unter dem Gesetz. Es hebt auch keine neue gesellschaftliche Periode an. Fortschritt gibt es in der Vorgeschichte. Er beherrscht die Etappen bis zur Gegenwart. Von geschichtlichen Unternehmungen, die vergangen sind, mag sich sagen lassen, daß die Zeit nicht reif für sie gewesen sei. In der Gegenwart verklärt die Rede von der mangelnden Reife das Einverständnis mit dem Schlechten. Für den Revolutionär ist die Welt schon immer reif gewesen. … Er ist mit den Verzweifelten, die ein Urteil zum Richtplatz schickt, nicht mit denen die Zeit haben. Die Berufung auf ein Schema von gesellschaftlichen Stufen, das die Ohnmacht einer vergangenen Epoche post festum demonstriert, war im betroffenen Augenblick verkehrt in der Theorie und niederträchtig in der Politik.“ (Horkheimer: Der autoritäre Staat. Schwarze Reihe Nr. 3, Amsterdam 1968, S. 58f) Daß die „Logik der Geschichte“ nur post festum sich demonstrieren lasse, daß sie niemals prognostische Qualität gewinnt, ist vielleicht die entscheidende Einsicht, die auch in die Interpretation der Naturwissenschaften einschlägt.
    Waren nicht alle Kosmologien auf den jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Naturbeherrschung bezogene Legitimationstheorien? Deshalb war Prophetie als Kritik des Götzendienstes die Kritik dieses Legitimationsverfahrens. Und das Bilderverbot bezieht sich auf die Götzen und auf die „Weltbilder“ der Naturwissenschaften zugleich.
    Das Inertialsystem ist das Referenzsystem aller naturwissenschaftlichen Begriffe, Gesetze und Erscheinungen. Diese Eigenschaft des Inertialsystems wird durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht aufgehoben. Das Inertialsystem wird zwar durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit systemisch berichtigt, aber diese Berichtigung wird greifbar nur in Erscheinungen, die wiederum das unberichtigte Inertialsystem als Referenzsystem voraussetzen, in einer Gruppe von Bestimmungen, die an den Begriffen, Gesetzen und Erscheinungen als dingliche Eigenschaften sich manifestieren. Ebenso wie eine empirische Bestimmung zum Kern einer systemischen Korrektur des Systems geworden ist, manifestiert sich das korrigierte System in einer Gruppe empirischer Erscheinungen. Dazu gehören die universalen Naturkonstanten der Mikrophysik (insbesondere das Plancksche Wirkungsquantum und die elektrische Elementarladung), aber auch strukturelle Eigenschaften wie der Korpuskel-Welle-Dualismus oder die (Heisenbergsche) „Unbestimmtheitsrelation“.
    Die Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf die Richtungen im Raum, auf ihre physikalische Realität, die sich von ihrer mathematischen unterscheidet. Nur die mathematische Richtung enthält die Reversibilität, ihre Umkehrbarkeit, als ein konstitutives Moment in sich, es ist die gleiche Gerade, in der die beiden Gegenrichtungen aufeinander sich beziehen. Der Lichtstrahl, der die Gerade beschreibt, ist hingegen nicht nur idealiter, in der Richtungsintention, sondern real von seiner Umkehrung unterschieden: Die Umkehrung eines Lichtstrahls ist ein anderer Lichtstrahl; nicht nur sein Richtungssinn, sondern auch sein Zeitsinn ist dem des ersten Lichtstrahls entgegengesetzt. Was ist das für eine Bewegung, auf die sich die Geschwindigkeit des Lichts bezieht?
    Weltanschauungen sind das Problem der zweiten Generation.
    Die Verwandlung von Kritik in Meinung (die Neutralisierung der Kritik) ist ein Produkt der Verdinglichung. Meinungen lassen sich (auf dem Markt der Meinungen: in der Öffentlichkeit) vertreten, sie sind vererbbar, sie können erworben oder ausgetauscht werden, sie unterliegen dem Tauschprinzip, sie sind das Eigentum dessen, der sie hat (und aufgrund dieser Eigentumsbeziehung nicht mehr einsichtig). Als Meinung wird die Kritik gleichsam zur Ware, die nach Subsumtion unter die Logik des Tauschprinzips auf einen Zirkulationsprozeß zurückweist, dessen nähere Analyse den „Geisteswissenschaften“ obliegt: Kritik wird zur Meinung durch Eliminierung des Moments der Einsicht, aus der jede Kritik hervorgeht, auf die sie sich beruft, an die sie appelliert; deshalb ist jede Meinung über die Zwischenstationen ihrer Herkunft zurückzuverfolgen zu ihrem Ursprung, dem sie ihr Echtheitssiegel verdankt.
    Ist nicht die Meinungsfreiheit auch ein Instrument zur Zerstörung der Kritik?
    Wo findet in den Konstellationen der drei Subjektivierungsphasen (der Verkürzung und Subjektivierung der sinnlichen Qualitäten in Empfindungen, der Kritik in Meinungen und der Reflexion in Schuldgefühle) der philosophische Gebrauch des Wertbegriffs seinen logischen Ort? Werte sind instrumentalisierte und vergesellschaftete Urteile, der Wert einer Sache ist die automatisierte Kurzfassung eines Werturteils über die Sache.
    Sind die Schuldgefühle nicht das Pendant der Empfindungen im Bereich der zweiten Natur?
    Matthäus zitiert das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ (Hos 66) an zwei Stellen (913 und 127), die erste bezieht sich auf den Umgang Jesu mit den „Zöllnern und Sündern“, die zweite auf die Heiligung des Sabbat (nach dem Ährenessen der Jünger).

  • 22.1.96

    Ist nicht die Scham der Kinder für das Verhalten ihrer Eltern das Modell der Konstellation, aus der die 68er Bewegung hervorgegangen ist?
    In der Theorie des kommunikativen Handelns, die an dieser Konstellation teilhat, wird Wissenschaft in einer Weise selbstreferentiell, die jeden Zugang von außen zu versperren scheint. Nur wer in den Zirkel hineingesprungen ist, versteht ihn, findet vielleicht einen Schlüssel, der die Realität zu erschließen vermag. Bezeichnend eine Stelle bei Habermas, an der er den Begriff der Willkür als einen Fachterminus aus dem Bereich der idealistischen Systeme denunziert.
    Musterschüler: Nach der Verdrängung der Vergangenheit mit Hilfe der Kollektivscham ist die Neigung verbreitet, sich in die hineinzuversetzen, vor denen man sich schämt, und deren Urteil durch Unterschiebung anderer Objekte (durch Schuldverschiebung) von sich selbst abzulenken. Aber steckt in dieser Neigung nicht immer schon ein Stück Rachetrieb, enthielt sie nicht immer schon den Trieb zum Verrat? Das Gefühl, daß man mit der Verurteilung der Nazis (z.B. mit der Verurteilung von Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger) insgeheim sich selbst verurteilte, was dann die Urteile nur rigoroser machte, war auf diesem Wege nicht wegzubringen, es ließ sich nur verdrängen.
    Hegels Warnung, den Gegner nicht dort zu widerlegen, wo er nicht ist, wurde in den Wind geschlagen.
    Die Kollektivscham hat die Schuld nicht aufgehoben, sondern nur verhärtet, unreflektierbar gemacht.
    Setzt nicht Günther Anders‘ Begriff einer „prometheischen Scham“ ein anderes Schamproblem schon voraus, die doppelte Bewegung, in der die Scham vor anderen durch die Scham für andere (vor einem Dritten) schon in sich enthält: Ist nicht die propmetheische Scham diese Scham vor einem Dritten, die fast nicht mehr zu durchschauen ist?
    Ist nicht das begriffliche Denken (die Konstituierung des Begriffs) ein Produkt dieser Bewegung der Scham: Die Instrumentalisierung der Schamumkehr, in deren Ursprungsgeschichte der Objektbegriff (und der Naturbegriff) sich bildet?
    Fremdenfeindschaft gründet in der Abwehr der Selbsterkenntnis, die des Fremden bedarf, weil nur über die Realität des Fremden die Reflexion der Scham möglich ist.
    Hat nicht die Beschneidung weniger hygienische Gründe, als vielmehr Gründe, die mit dem Problem der Scham (der Konstituierung des Objektbegriffs) zusammenhängen? Die Beschneidung ist eine Beschneidung des Ich (Zusammenhang mit dem Namen der Hebräer, seiner inversen Beziehung zu dem der Barbaren).
    Als Freud den Frauen den Kastrationskomplex andichtete, hatte er da nicht den in der Beschneidung gründenden eigenen Kastrationskomplex auf die Frauen verschoben?
    Stand der Kreuzestod in der Tradition der Geschichte der Beschneidung, und mußte er deshalb mit Hilfe der Opfertheologie verdrängt werden? Hängt die Beschneidung selber nicht schon mit der Geschichte des (Tier-)Opfers (das durch Barmherzigkeit aufgehoben werden sollte) zusammen, mit der Ablösung der Erstgeburt, der menschlichen Erstgeburt wie auch der des Esels durch das Lamm? – Trug nicht der Esel bei der Opferung Isaaks die Opfermaterialien?
    Wie/die: Die Feminisierung des Verfahrens der Objektivierung und Instrumentalisierung ist der deutlichste Hinweis auf die Bedeutung des apokalyptischen Unzuchtsbechers.
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Das heißt, sie ist alles, was unter Begriffe fällt. Heißt das nicht, daß in der Gravitation ein konstitutives Moment des Begriffs sich widerspiegelt? Mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes ist das Objekt zum Begriff und der Begriff selbstreferentiell geworden.
    Kopernikus hat die Planetenbewegung vorstellbar gemacht, er hat die Planetenwelt in den einen Raum der Anschauung transformiert, Newton hat mit dem Gravitationsgesetz die „dynamische Begründung“ dazu geliefert.
    Aufschlußreich wäre eine physikalische Geschichte des Objektbegriffs, dessen „Identität“ allein aus seiner Beziehung zum Subjekt, nicht jedoch aus der Abfolge der Bestimmungen, die er im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß durchläuft, sich ableiten läßt. Seit der kopernikanischen Wende enthält jede „Lösung“ schon die Problemkonstellation in sich, die den Erkenntnisprozeß weitergetrieben hat. Und keines der Probleme, die im Prozeß der naturwissenschaftlichen Objektivierung hervorgetreten sind, ist wirklich gelöst worden. Eine Kulmination des Objektproblems war zweifellos das damals so genannte „Ätherproblem“, der vergebliche Versuch, das Objekt der Maxwellschen Gleichungen im Anschauungsraum sich „vorzustellen“. Die genaueste Fassung dieses Problems (nicht schon seine Lösung) war zweifellos die spezielle Relativitätstheorie Einsteins (das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Problem von der Objektvorstellung in die Struktur des Systems verschoben hat), während die durchs Plancksche Strahlungsgesetz eröffnete Welt der Mikrophysik, die moderne Atomphysik (und ihre ideologische Abschirmung durch die Interpretation der Kopenhagener Schule), die Unlösbarkeit des Problems als seine Lösung propagiert. Beschreiben nicht das Plancksche Strahlungsgesetz und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf den gleichen Sachverhalt, wobei ihre Differenz in der unterschiedlichen Stellung zum Inertialsystem, in der Beziehung von Objekt und System, gründet? Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit berichtigt das Inertialsystem derart, daß es als gegenständliches Objekt vom System sich abspaltet und verselbständigt: als von Strahlung durchsetzter Hohlraum durch ein mathematisches Gesetz sich bestimmen läßt.

  • 8.1.96

    „… in den Sozialwissenschaften (hat) der Wettstreit der Paradigmen einen anderen Stellenwert als in der modernen Physik. Die Originalität der großen Gesellschaftstheoretiker wie Marx, Weber, Durkheim und Mead besteht, wie in den Fällen Freud und Piaget, darin, daß sie Paradigmen eingeführt haben, die in gewisser Weise heute noch gleichberechtigt konkurrieren. Diese Theoretiker sind Zeitgenossen geblieben, jedenfalls nicht in demselben Sinne ‚historisch‘ geworden wie Newton, Maxwell, Einstein oder Planck.“ (Theorie des kommunikativen Handelns, S. 201) Hier weiß Habermas nicht, wovon er redet. Newton, Maxwell, Einstein oder Planck sind sicher in einem sehr viel genaueren Sinne „aktuell“, als es Weber, Durkheim und Mead, oder auch Piaget, je gewesen sind. Wer die Naturwissenschaften von Kopernikus/Newton bis Einstein/Planck heute entschlüsseln, wer sie erkenntnis-, und d.h. herrschaftskritisch begreifen würde, wäre einer kritischen Theorie der Gesellschaft näher als die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns.
    Die drei Stufen der modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnis lassen sich als Phasen der Erkenntnisumkehr begreifen:
    – die Mechanik als universale Richtungsumkehr (von allen Seiten hinter dem Rücken: der umgestülpte Raum),
    – das Gravitationsgesetz als Objekt- und Begriffsumkehr (es macht das Ungleichnamige gleichnamig) und
    – die Maxwellschen Gleichungen und das Gesamtsystem der durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmten Erscheinungen als Zeitumkehr, die im Phänomen der Lichtgeschwindigkeit selber enthalten ist (Paradox eines mit Lichtgeschwindigkeit bewegten Objekts).
    Modell dieser Umkehrungen ist die Etablierung und Entfaltung des Selbsterhaltungsprinzips in der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft.
    Der Marxsche Satz, der die Waffe der Kritik an die Kritik der Waffen bindet, enthält den Hinweis, daß die Revolution heute auch ein Problem der Kritik der Logik ist. Eine Herrschaftskritik, die nicht zugleich die Kritik der Herrschaftslogik mit einschließt, bleibt in der Herrschaftslogik gefangen und stärkt die Macht des Staates.
    Der Begriff des „herrschaftsfreien Diskurses“ steht unterm Unschuldsbann; gemeint ist der schuldfreie Diskurs, ein Diskurs, der glaubt, von der Schuldverstrickung sich freihalten zu können. Aus der Schuldverstrickung aber gibt es nur den einen Weg der Schuldreflexion, und die führt nber die Herrschaftsreflexion. Der herrschaftsfreie Diskurs glaubt, die Last abwerfen zu können, von der sich nur befreit, wer sie auf sich nimmt.
    Steht nicht Habermas‘ Konzept eines herrschaftsfreien Diskurses in der Tradition der Opfertheologie, und zwar in ihrer protestantischen Version als Rechtfertigungslehre?
    Weder die raf noch ihre Verurteilung löst das Problem, deren Symptom die raf ist. Die Trennung von Theorie und Praxis ist ein Teil des technologischen Verständnisses der Wirklichkeit und zugleich ein Instrument der Instrumentalisierung der Moral: Die raf und ihre Verurteilung unterliegen dem gleichen logischen Bann.
    Ist nicht Petrus wirklich der Fels, und ist nicht die Selbstreflexion dieses Felsen die Voraussetzung der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz? Ist Petrus der Stein, gleich einem großen Mühlstein, der ins Meer geworfen wurde, und ist die Kirche dieser ins Meer geworfene Stein (vgl. Off 1821)?
    Wenn nach dem Strafrecht nicht das Töten, sondern der Mord bestraft wird, hat dies auch den Zweck, das Militär aus dieser Regelung herauszunehmen, d.h. dem Staat das Recht zu töten (oder zumindest das Recht, das Töten zu exkulpieren) zu lassen. Das aber begründet die Vermutung, daß es bei der Bestrafung des Mords nicht um die Bestrafung des Tötens geht, sondern um die Bestrafung der Anmaßung eines Rechts, das der Staat sich vorbehalten will. Deshalb ist der Mord kein Tatdelikt, sondern ein Täterdelikt, deshalb wird der Mörder bestraft, nicht der Mord.
    War nicht die mittelalterliche Eucharistiefrömmigkeit das Opfer einer Logik, die dem Tauschprinzip sich verdankt, war nicht das Modell der Transsubstantiation die Beziehung von Ware und Geld? Der wirkliche Leib Christi wäre das Brot, das gebrochen wird, das Brot, das man mit den Hungrigen teilt, nicht das Brot, das man als einzelner oder in Gemeinschaft ißt.
    Welchen Ursprung haben die englischen Begriffe mankind (kind: Gattung, Sorte, Art; adj. freundlich) und woman?

  • 22.11.95

    Der Andere und der Fremde: Der Begriff des Anderen ist ein Systembegriff, der des Fremden ein systemsprengender Begriff. Der Weltbegriff macht alles Weltliche zu Anderem für Andere; das Eine, das das Andere für Andere ist, ist im Kontext des Weltbegriffs in diesem Anderssein aufgehoben und verschwunden. Der Satz: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, drückt diese Struktur aufs genaueste aus. Als ihnen die Augen aufgingen, lernten sie sich in den Augen der Anderen sehen: Da erkannten sie, daß sie nackt waren. Diese Nacktheit ist das biblische Äquivalent des philosophischen Andersseins. Das, was ich unter dem Zwang der Logik der Scham (unterm Rechtfertigungszwang) in mir verdrängen muß, ist damit nicht wirklich verschwunden: Es erscheint in der Gestalt des Fremden (zugespitzt in den Gestalten des Feindes, des Verräters und in der der Sexualität, der weiblichen Verführung), der, weil er der Systemlogik des Andersseins sich nicht einordnet, zur Projektionsfolie meiner Verdrängungen wird. In dieser Logik gründet die Xenophobie.
    Läßt die Beziehung des Andern zum Fremden nicht an der Beziehung des Inertialsystems zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich ablesen? Bezeichnet nicht die Lichtgeschwindigkeit (zusammen mit der Gravitationskonstanten) genau den Fremdheitspunkt im System? Im Inertialsystem ist die Division durch 0 (das Äquivalent der Orthogonalität) nicht gleich Unendlich, sondern = c, gleich der Lichtgeschwindigkeit (vgl. hierzu die Erörterungen Derridas über die Beziehungen der Begriffe des Andern, des Fremden und des Unendlichen in seinem Essay über Levinas, in: Die Schrift und die Differenz, S. 121ff, insbes. S. 149ff, 159ff, 174).
    Die 0 (Null) ist der Statthalter der Orthogonalität in der Mathematik. Die Vorstellung der Unendlichkeit des Raumes ist durch ein dreifaches Nichts (durch drei Nullen, die erst durch ihre wechselseitige Reflexion mit einander identisch, zu Nullen, werden: durch eine dreifache Abstraktion) vermittelt. Vorläufer der Null, ihr Statthalter in der Sprache, war das Neutrum, in der Schrift symbolisiert durch die Schlange: „An jenem Tage wird der HERR mit seinem harten, großen und starken Schwerte heimsuchen den Leviathan, die flüchtige Schlange, und den Leviathan, die gewundene Schlange, und wird den Drachen töten, der im Meere haust“ (Jes 271).
    Die Null ist die Narbe an der Stelle, an der Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, sie ist dann zu einem Instrument im Klassenkampf geworden.
    Redundanz: Der Begriff des Rassismus erklärt die Xenophobie auf der Basis und im Rahmen der Logik der Xenophobie.
    Zur Geschichte des Objektbegriffs: Die Kopenhagener Schule hat die ungelösten Probleme der Äthertheorie in den mikrophysikalischen Objektbegriff mit hereingenommen, sie hat sie zu dinglichen Eigenschaften von Objekten (der „Elementarteilchen“) gemacht. Hierauf bezog sich meine These, daß die Strukturen der Mikrophysik (des gesamten Bereichs, den das Plancksche Wirkungsquantum eröffnet hat) aus der Form des durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit neu definierten Inertialsystems sich müssen herleiten lassen.
    Hat der Faschismus nicht eine sehr christliche Tradition terroristisch zugespitzt, als er den Opfern auch nachträglich noch unauslöschliche Schuldgefühle mitgegeben hat? Der daraus sich herleitende Rechtfertigungszwang läßt sich nur im Kontext der Reflexion der Genesis dieser Schuldgefühle (die gegenstandslos, aber nicht grundlos sind) auflösen. Und nur auf die Auflösung dieses Rechtfertigungszwangs, nicht der Schuldgefühle, kommt es an. Was heute Religion heißt: der vergebliche Versuch, diese Schuldgefühle (unter Hinweis auf ihre Gegenstandslosigkeit) loszuwerden, bleibt in diese Rechtfertigungszwänge verstrickt. Diese Religion ontologisiert das Schuldverschubsystem: Sie macht sich selbst lahm und blind.
    Liegt das ungeheure symbolische Potential des Konflikts um die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie nicht in ihrer Beziehung zu diesem Schuldverschubsystem? Welch schreckliche symbolische Logik liegt nicht in der Geschichte, daß C. F. von Weizsäcker, der in die Entstehungsgeschichte der angeblich friedlichen Nutzung der Atomenergie involviert war, vor Jahren sich einen privaten Atombunker gebaut haben soll? Und ist die Wirksamkeit des Schuldverschubsystems nicht direkt an seiner Formel für die Energiebilanz der Sonne, die eigentlich auf die Technik der „Uranmaschine“ abzielte, abzulesen (an der kosmologischen Verschiebung eines technischen und erkenntnistheoretischen Problems)? Auch das ein Versuch der Verharmlosung (und Schuldentlastung): die Verschiebung des Problems aus einer ethisch relevanten in eine ethikfreie Zone: ins Kosmologische. War dieses Konstrukt nicht ein Vorläufer der „kosmologischen“ Theorien des Urknalls oder auch des Schwarzen Lochs (der „Kosmologisierung“ technischer Redundanz-Probleme)?
    Entsühnung der Welt: Ersetzen heute nicht Exkulpationsmechanismen, der Trieb, den Komfort des guten Gewissens sich zu erhalten, immer deutlicher und massiver die Arbeit an der Erkenntnis dessen, was hinter dem Vorhang sich abspielt? Heute wollen die Menschen nicht mehr wissen, was sie tun, sie wollen nur noch, was sie tun, ohne Schuldgefühle tun.
    Beim Tod Jesu „(zerriß) der Vorhang im Tempel … von oben bis unten in zwei Stücke, und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der Entschlafenen wurden auferweckt; und sie kamen nach seiner Auferweckung aus den Grüften hervor, gingen in die heilige Stadt und erschienen vielen“ (Mt 2751f). Wird hier nicht beschrieben, was „hinter dem Vorhang“ ist?

  • 14.10.1995

    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum sind Hinweise auf die Irreversibilität der Richtungen im Raum.
    Die Linguistik reicht ebensowenig an die Ursprungsgeschichten der Sprachen heran wie die Naturwissenschaften an die der Welt. Ist nicht die Urknalltheorie rassistisch, bezeichnet sie in der Physik die Stelle, die in der Linguistik das Problem des Ursprungs der indogermanischen Sprache bezeichnet?
    Hegels Begriff der List der Vernunft ist das Eingeständnis, daß die bürgerliche Vernunft sich vom Betrug nicht freimachen kann. Dieser Betrug steckt in den Fundamenten der Welt, sein Kern ist der Weltbegriff, sein Grund das Herrendenken.
    In welchem Zusammenhang stehen die Begriffe Verdacht, Unterstellung und Behauptung?
    Hegels Philosophie gleicht der Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt, sie gleicht dem Swinegel un sin Fru, die den Hasen sich zu Tode rennen lassen, weil er sie nicht unterscheiden kann, wenn sie rufen „Ick bün all do“. Sie unterschlägt, daß die Katze eigentlich die Maus meint, und daß das Ich des Swinegels und das siner Fru nicht dasselbe Ich ist. Grund des Betrugs ist in beiden Fällen die List, die das Ungleichnamige gleichnamig macht. Diese List zerstört den Namen, ersetzt ihn durch den Begriff.
    Sind Begriffe terroristische Vereinigungen, bildet das strafrechtliche Konstrukt der terroristischen Vereinigung ein Moment im Prozeß der Begriffsbildung ab? Wenn ich einen, der gemordet hat, Mörder nenne, subsumiere ich ihn unter einen Allgemeinbegriff, der ihn terrorisiert („abschreckt“). Gilt das Gleiche nicht auch, wenn ich eine Katze eine Katze, ein Rind ein Rind und einen Löwen einen Löwen nenne? Was ist wirklich passiert, als Adam die Tiere benannte?
    Wenn ich aus dem Begriff „Rache des Objekts“ das Psychologische herausnehme, trifft er einen sehr realen Sachverhalt.
    Die Hegelsche Idee des Absoluten ist die Rache des Objekts am Begriff.
    Beweislogik und Objektivität: Ist nicht das Recht der Beweis, daß die Logik ein Instrument der Rache des Objekts (die instrumentalisierte Rache des Objekts) ist?
    Das Prophetenwort: Mein ist die Rache, spricht der Herr, ist der Kern der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung, der Kern des Bilderverbots, und ein Hinweis auf das mit der Heiligung des Gottesnamens Gemeinte.
    Wer ist das Subjekt der Geschichte? Erst durch den Begriff wird das Objekt zum Objekt (der Begriff konstituiert den Raum, in dem das Objekt als Objekt erscheint): Erst durch die Geschichtsschreibung, die die Geschichte in die Vergangenheit bannt, sie zum Gegenstand der Anschauung macht, wird die Geschichte zur Geschichte.

  • 14.9.1995

    Lichtgeschwindigkeit, Plancksches Wirkungsquantum und elektrische Elementarladung verhalten sich wie Raum, Zeit und Materie (oder wie Mechanik, Elektrodynamik und Gravitation), sie stehen in der gleichen logischen Beziehung. Auflösung anhand der Logik des Raumes: der wechselseitigen Begründung von Linearität (intentio recta), Orthogonalität (Asymmetrie) und Reversibilität (Spiegelung)?
    „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“: Die Lehre von der Auferstehung der Toten ist die Antwort auf die Transformation des Perfekts ins Vergangene.
    Wenn Mord nicht nur ein Tat-, sondern als Täterdelikt zugleich ein Gesinnungsdelikt ist (zu den Tatbestandsmerkmalen gehören „niedrige Beweggründe“), und wenn kein Verbrechen in vergleichbarem Maß den Rachetrieb (und in ihm die Logik der Personalisierung) weckt (vgl. den vorstaatlichen [und vorweltlichen] Zusammenhang der Blutrache mit der Ursprungsgeschichte des Opfers), so läßt sich daran der Schuldzusammenhang ablesen, der der Konstruktion des Staates zugrunde liegt, dessen Instrumentalisierung der Staat ist (im Kern des Weltbegriffs, der ersten „Schöpfung“ des Staates, steckt ein verdrängter Mord: Deshalb gehört die Geschichte der Kosmogonien und Kosmologien zur Ursprungsgeschichte des Staates).
    Rechtfertigung als Selbstzerstörung: Der Objektivationsprozeß als Instrument der Selbstrechtfertigung des Bestehenden, oder der Urknall, die Hohlraumstrahlung (der schwarze Körper), das schwarze Loch.
    Heinsohns Ableitung des Holocaust ist noch zu harmlos: Der Antisemitismus als genereller (apriorischer) Freispuch des Tötens brauchte von Hitler nicht erfunden werden, er gehört zu den Grundlagen des Staates, und das jüdische Tötungsverbot ist ein Angriff auf den Staat.

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