Postmoderne

  • 17.09.93

    Den Griechen eine Torheit, den Juden ein Ärgernis: Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt? (In welcher Beziehung steht im Deuterojesaia das Lamm zum Gottesknecht?)
    Die Geschichte der Naturwissenschaften als Geschichte der Austreibung des Geistes: als Gegengeschichte zur Dämonenaustreibung?
    Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung das Sündennetz, in das das Herrendenken und jede Objekt-Erkenntnis sich verstrickt?
    Jeremias und Jesus: War nicht das Judentum zur Zeit beider ins Herrendenken verstrickt (Analyse der Verwirrung: Wo gab es die ersten falschen Propheten: die ersten Rechtfertiger der Macht?).
    Scheint nicht beim Flavius Josephus, in der Geschichte der Grausamkeiten und der Paranoia der Mitglieder der Herodesfamilie (und dann der Beteiligten im Jüdischen Krieg), der „naturgeschichtliche“ Hintergrund der Jesus-Zeit, in den auch die Priesterschaft und der Tempel verstrickt ist, mit durch? Bezieht sich nicht hierauf der „Antijudaismus“ im Johannes-Evangelium?
    Sind es nicht einfach mangelnde historische Kenntnisse, die alles ineinander verschwimmen lassen: die Pharisäer, die Schriftgelehrten, die Sadduzäer etc.?
    Ist die Währung der Jesus-Zeit (die „Talente“) nicht eher eine politische als eine privatwirtschaftliche Währung? Wozu wurde das Geld gebraucht, womit wurde gehandelt? Wovon lebten die Massen in den Metropolen (gehörte die Bereitstellung des materiellen Unterhalts des Volkes zu den Pflichten der Herrschenden)? Waren nicht Herodes und die Mitglieder seiner Familie Polit-Unternehmer, verfeindet durch das wechselseitige Konkurrenzverhältnis? Waren die Söldner (sofern sie nicht, wie in Kriegszeiten, von der Beute lebten) die ersten Lohnabhängigen?
    Ist nicht die christliche Identifizierung Roms mit Babylon präziser als dessen jüdische Identifizierung mit Edom?
    Die dämonische Zweideutigkeit ist der logische Aspekt der Instrumentalisierung: Zusammenhang von Instrumentalisierung und Sprache, Bedeutung der Schuldreflexion und Ursprung des Nominalismus.
    Es ist ein Erbe der Philosophie, wenn die Theologie aus der Unterscheidung von Götzendienst und Monotheismus ein quantitatives Problem gemacht hat.
    Läßt sich die Hellenisierung des Christentums (auf die die Geschichte im Garten Getsemane anspielt?), als ein welthistorischer Akt des Tikkun verstehen (vgl. die Geschichte der Dönmeh in Saloniki)? Seitdem gibt es Wölfe im Schafsfell und Schafe im Wolfspelz, aber erkennen kann sie nur Gott.
    Ist nicht die Apokalypse eine notwendige Radikalisierung der Prophetie: nach dem Ursprung des Weltbegriffs (Daniel befindet sich am Hofe des Nebukadnezar: Hatte das nicht schon sein Vorbild in der Josefsgeschichte, und was bedeutet es, wenn Johannes auf Patmos schreibt?). Die Jonas-Geschichte ist postapokalyptisch.
    Klingt nicht die Kritik der Postmoderne in Deutschland ein wenig nach dem palmströmschen Vers, daß nicht sein kann, was nicht sein darf?

  • 22.08.93

    Ist der Personbegriff nicht ein Reflexionsbegriff der neutralisierten Welt (er bezeichnet den Schauspieler im Drama und das rechtlich schuldfähige Subjekt).
    Die sieben Siegel: Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe und Salbung.
    Wer den Faschismus nur unter dem Aspekt der Schuldfrage reflektiert, verfehlt ihn. Zu Auschwitz gibt es kein objektives Verhältnis mehr; das Besondere an Auschwitz ist die nicht mehr abweisbare Einsicht, daß man auch durch Nichthandeln (auch durch die Distanz des „historischen Betrachters“) schuldig wird. Mit Auschwitz enthüllt sich Objektivität insgesamt als Schuldzusammenhang.
    Grund des Weltbegriffs: Der Raum ist ein sich-selbst-tragendes Konstrukt (das reine Sich-Fortzeugen); er scheint nur hingenommen werden zu können und jeder Begründung und Reflexion sich zu entziehen. Die Konsequenzen allerdings sind unabsehbar.
    Die scheinbar so einfache und klare Struktur des Raumes ist in Wahrheit ein Produkt der Zerwirbelung der raummetaphorischen Elemente der Sprache:
    – im Angesicht und hinter dem Rücken,
    – rechts und links (Gerechtigkeit und Barmherzigkeit),
    – oben und unten (Herr und Knecht).
    Dies ist der Knoten, den Alexander als Erbe der Philosophie und Begründer des Cäsarismus, nur durchschlagen hat, während es darauf ankäme, ihn zu lösen.
    Hat nicht die Entdeckung des Winkels, der Orthogonalität, jene Seitenansicht der Dinge erst eröffnet und begründet, die dann die Begründung der Philosophie und die Konstituierung des Weltbegriffs (die Trennung des Natur- und Weltbegriffs) ermöglichte? Die ganze nachfolgende Geschichte, einschließlich des Ursprungs und der Ausbildung des Dogmas im Christentum, steht unter diesem Vorzeichen und war so die Voraussetzung für den europäischen Objektivations- und Säkularisationsprozeß. In diesem Prozeß ist die Seitenansicht dann zur Totalen geworden: zum Inertialsystem (der Verkörperung des Jeremias-Wortes vom „Grauen um und um“).
    Vgl. die schöne Stelle in Büchners „Lenz“: Sehen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
    Die Verführung des Feminismus: Wenn der Faschismus eine aus der Logik des Patriarchats erwachsene Erscheinung ist, dann ist der Feminismus gleichsam apriori exkulpiert. – Die große Bedeutung des Feminismus liegt darin, daß sie die politische Dimension des Sexismus wiederentdeckt hat.
    Gibt es eigentlich zum Schuldzusammenhang (und zum Rechtfertigungs- und Exkulpierungszwang) keine Alternative mehr?
    Die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die einhergeht mit der Unfähigkeit zur Sprachreflexion, reproduziert den Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, in dem sie gründet.
    Die technische Adaption der kritischen Theorie subsumiert sie unter Rechtfertigungs- und Alibizwänge.
    Die Kritik der Postmoderne, die Kritik Drewermanns und auch die Kritik Edith Steins trifft zwar den Sachverhalt, verdrängt aber zugleich das Problem und verfällt deshalb der Bekenntnislogik, der Vorstellung, das Bekenntnis zur richtigen Anschauung würde schon etwas ändern.
    Man muß sich klarmachen, daß das Inertialsystem das Referenzsystem aller physikalischen Erscheinungen, Begriffe und Gesetze ist, mit zwei Grenzfällen:
    – der speziellen Relativitätstheorie und
    – den Statistik-Gesetzen, insbesondere dem Planckschen Strahlungsgesetz.
    In beiden wird die Selbstreferenz und das Problem der Vermittlung im System als Gesetzeszusammenhang zu einem Teil des Systems. Die „empirischen“ Konstanten (der Wert der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum) sind selber auch Knotenpunkte des Systems. Hier liegt der objektive, in der Physik selber verankerte Grund einer Theorie des Feuers.
    (Sind nicht die Banken die black boxes der Ökonomie?)
    Sind die drei großen und die zwölf kleinen Propheten Reflexgestalten der Patriarchen und der zwölf Söhne Israels?

  • 11.08.93

    Ist nicht die Bühne ein Inertialsystem, und das Schauspiel, die Oper ein ästhetisches Korrelat der Physik?
    Opfer, Tragödie, Schauspiel: Ist das nicht ein Teil der Geschichte der Ausbildung der Raumvorstellung?
    Hat die Salbung des Königs etwas mit der Einbalsamierung der Toten, insbesondere des Opfers, zu tun? Ist der König nicht das gerettete (das wieder auferstandene) Opfer, der Kaiser hingegen die Verkörperung des philosophischen Monotheismus (der Einheit der Welt)? Was bedeutet dann die Krone, hatten die israelischen Könige eine Krone (David: 1 Sam 1230, 1 Chr 202; Joasch: 2 Kön 1112, 2 Chr 2311)? Ist die Krone der Kranz des Siegers oder der Kranz des Siegers ein Abbild der Krone? Hat nicht (nach der Legende) Karl der Große sich selbst die Krone aufs Haupt gesetzt?
    Natur und Welt werden durch den Einbruch der Subjektivität (genauer: der Intersubjektivität) getrennt.
    Es fehlt eine Kritik der indogermanischen Sprachen.
    Reicht nicht Rosenzweigs Bemerkung, daß das Äquivalent der modernen Technik in der alten Welt die Rhetorik gewesen sei, tiefer, als er selbst es gewußt hat: Sind nicht die sogenannten klassischen Sprachen des Altertums Ingenieursprodukte?
    Was verändert sich in der Sprache mit und nach der Entdeckung der Schrift? Welche innersprachlichen Voraussetzungen müssen für die Entwicklung der Schrift gegeben sein, und welche Rückwirkungen hat die Schrift auf die Sprache (Zusammenhang mit der Tempelreligion, dem Tempelbau, der Tempelwirtschaft: War die Schrift der Turm von Babel)?
    Ist das Christentum nicht ein Produkt der griechischen und lateinischen Tradition, bei gleichzeitiger Instrumentalisierung der jüdischen (wodurch unterscheiden sich die griechischen von den lateinischen Kirchenvätern)?
    Welche ökonomische Entwicklung liegt der Entdeckung des Winkels und welche der des Inertialsystems zugrunde?
    Auf das Futur II und die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit antwortet der Logos mit einer Art Zeitumkehr: mit der Übernahme der Sünde der Welt und der Hereinnahme der schöpferischen Kraft des Wortes in die Schöpfungsidee. Wird hier nicht verständlicher, was mit dem homologein gemeint ist? Und gewinnt nicht erst hier das von den Kirchen entsetzlich verharmloste Wort vom Binden und Lösen seinen ungeheuren Sinn?
    Sind nicht die drei evangelischen Räte Ansätze oder Teile des Versuchs, den Wiederholungszwang endlich zu durchbrechen, der Katastrophe, die darin besteht, daß es immer so weitergeht, Einhalt zu gebieten?
    War nicht der Untergang des Zweiten und Dritten Reiches (die Ergebnisse der beiden Weltkriege) ein zweistufiger Weltuntergang? Oder waren sie nicht die Nachwehen (und ein spätes schreckliches Echo) jenes Weltuntergangs, dessen Zeuge Hegel war? Ist nicht das Erste Reich untergegangen, als Hegel seine Phänomenologie des Geistes schrieb?
    Der 68er Marxismus war von einer erschreckenden Banalität, eigentlich doch nur ein Rechtfertigungskonstrukt privater Probleme der 68er Generation: der Generation der verlorenen Söhne. Sie lebten von dem Gefühl, neu und unbelastet in die Welt gekommen zu sein und haben die Last der Vergangenheit (auch in ihnen selber) offenkundig falsch eingeschätzt.
    Zum Weltbegriff: Wird hier nicht seit seinem Ursprung eine entstehende Atombombe mit einem Rettungsboot verwechselt? Die Geschichte der Welt ist das Maß für das Anwachsen der kritischen Masse der Selbstzerstörung.
    Kritik des Weltbegriffs als Weissagung des Jüngsten Gerichts: Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über das Weltgericht.
    Das Zeichen des Jona: Jona, der vor dem Prophetenamt nach Tarschisch flieht, wird ins Meer geworfen, vom großen Fisch verschlungen, betet im Bauch des Fischs, wird wieder ausgespien und geht dann nach Ninve, um zu verkünden: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört. Und welche Folgen hatte das?
    War die BALM der große Fisch?
    Wo und in welchem Kontext kommt die Auferstehung im AT vor (Jes 2619, Ez 37, Dan 122f, Hos 1314, 2 Makk 79, 1244f)? Alle im Zusammenhang mit der Unterwerfung Israels unter die Weltreiche (Assur, Babylon, Griechen)?
    Privatexistenz heute: das Ersticken im Komfort; das Fernsehen: der Schnuller im Mund; die Medien als Drachenfutter? Aufgabe der Medien heute: den Leuten die Welt, von der sie leben, vom Leibe halten?
    Wäre nicht Habermas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit endlich fortzuschreiben? Ist nicht Habermas der Mentor einer Wiederbelebung einer Theologie, die längst an den Naturwissenschaften erstickt ist? Gemeinsam mit Bloch, dessen große mystische Inspiration nach seiner marxistischen Bekehrung zur Rhetorik verdampft ist. Und wäre es nicht fortzuschreiben unter dem Aspekt:
    – Distanz zu den Frankfurtern (Verwerfung der Idee einer Rettung der Natur) und
    – im Hinblick auf die gegenwärtige Engführung des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ selber (die Hilflosigkeit und die Ohnmacht der Öffentlichkeit gegen dem, was jetzt sich zuträgt: Zusammenbruch des Ostblocks und Nichtgelingen der „Wiedervereinigung“, Ausbruch der Nationalismen, Verschärfung der ökonomischen Weltsituation; Fremdenhaß, Haß auf das Sichtbarwerden von Armut, Situation der Frauen)
    Hat nicht Habermas mit dem Ausklammern der „Naturfrage“ der Erinnerungsarbeit die Wurzeln abgeschnitten, dem einzigen Hilfsmittel gegen eine immer mehr in der eigenen Logik sich verstrickenden Öffentlichkeit? Ist der Verzicht auf die Kritik an den Naturwissenschaften nicht der Grund für den affirmativen Öffentlichkeits- (und Welt-) Begriff, an dem Habermas festhält, und der seinem Diskurs-Konzept zugrundeliegt (und ihn so harmlos macht)? Ist nicht die Abwehr der Postmoderne (ein Gemeingut der Habermas-Schule) die Abwehr dessen, der sich ertappt fühlt? Ist nicht die Verwechslung des Fremden mit dem Andern das, was die Habermas-Schule mit der Postmoderne verbindet, nur daß Derrida daraus die logischen Konsequenzen zieht, während Habermas die Früchte der Frankfurter Schule weiterhin ernten möchte, aber den Baum längst abgehauen hat? Weiter hilft nur die Einsicht, daß der Begriff des Anderen systemimmanent bleibt (und das Anwachsen der kritischen Masse mit befördert), während nur der des Fremden das System sprengt (bzw. die Sprengkraft des Systems auflöst). Zum Adorno/Benjaminschen Konzept der Säkularisierung aller theologischen Gehalte: Diese Säkularisierung setzt die Erinnerungsarbeit voraus, die Rekapitulierung der theologischen Gehalte. Denn: Auch die Naturwisenschaften sind eine Gestalt der restlosen Säkularisation der theologischen Gehalte, aber eine bewußtlose und die automatische und universale Verdrängungsarbeit fördende. Opfertheologie und Christologie sind Gestalten einer Logik, deren blindes und bewußtloses Fortwirken in den Zivilisationsprozeß selber eingewandert ist und, um des Begreifens dieses Prozesses willen, durch Erinnerungsarbeit der Bewußtlosigkeit zu entreißen ist.
    Die Physik ist der Stein vorm Grab der Vergangenheit: Wer wird ihn fortwälzen?
    Die ersten sechs Siegel (Off 6): die vier apokalyptischen Reiter, die Seelen der Märtyrer und Sonne, Mond und Sterne (die vom Himmel fallen wie ein Feigenbaum seine Blätter abwirft).
    Muß nicht, wer die Lehre von der Auferstehung ernst nimmt, die Unsterblichkeitslehre, die die Welt verrät, indem sie sie affirmativ rezipiert, verwerfen?
    Zur prophetischen Tradition: Neben dem Votum für die Fremden steht das für die Witwen und Waisen, wobei das für die letzten beiden gemeinhin zusammengefaßt wird als Votum für die Armen. Aber gehören die Frauen (die Witwen) nicht konstitutiv zu den Armen: Wer sind die Witwen? Sind es nicht die, die wie die Fremden und die Armen nur noch herausfallen aus den Strukturen des Patriarchats? Die Töchter leben unter dem Schutz des Vaters, die Frauen unter dem ihres Mannes, aber die Witwen fallen nur noch heraus. Müßte es heute nicht heißen: das Votum für die Fremden, die Armen und die Frauen?
    Wo wurde das Konzept der „narrativen Theologie“ entwickelt? Verdacht der Ambivalenz: Ist es nicht auch ein Kozept der Remythisierung, der Neutralisierung des kritischen Gedankens? (Gefahr, daß mit dem Urteil, dem Begriff, auch das Gebot, die Lehre, verworfen wird.)

  • 27.06.93

    Merkwürdige Bileams-Geschichte: Die Verführung durch die moabitischen Frauen: Essen von Götzenopferfleisch und Unzucht (Off 214, vgl. dazu Num 22-24, und 251-3, 318,16, Jos 1322 u.a., 1 Kor 7-10, 2 Petr 215, Jud 111). Besteht ein Zusammenhang mit der anderen Bileams-Geschichte: mit der Weigerung, den Fluch über Israel zu sprechen (und der Rolle des Esels und des Engels in dieser Geschichte)? Gibt es eine Beziehung zur Ruth-Geschichte, die auch eine Moabiterin war, dann in den Stammbaum Davids und Jesu hineingekommen ist
    Sind nicht bei den Bewegungen im Raum zu unterscheiden:
    – die reine Trägheitsbewegung, die von der Seite gesehen wird (Rechts und Links),
    – die Bewegung auf uns zu und von uns weg (im Angesicht und hinter dem Rücken), die uns als Größer- bzw. Kleinerwerden des Objekts erscheint, und auf die wohl primär das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich bezieht (vgl. den Doppler-Effekt), und
    – die Fallbewegung (Oben und Unten).
    Im Inertialsystem wird die Seitensicht zur Totalen gemacht.
    Hat die Geschichte von den drei Leugnungen nicht auch die Bedeutung, daß sie das perspektivische Moment in der Wahrheit hervorhebt, ihre Beziehung zur Reflexion, wobei die dritte Leugnung das Ende der Fallbewegung bezeichnet (den Fall als Grund der Reflexion in die Reflexion mit einbezieht). Aber steht das nicht auch in Beziehung zur Geschichte des Nominalismus, daß diese letzte Stufe, die die der sogenannten Postmoderne ist, das Konzept der Moderne in der Tat destruiert. Dagegen an der Moderne festhalten begründet einen neuen Dogmatismus und führt in die „Neue Unübersichtlichkeit“. Anders als bei Hegel, bei dem die Natur den Begriff nicht halten kann, kann hier der Begriff sein Objekt nicht mehr halten.
    Zum Begriff der Welt-Religion: War nicht die christliche Mission, ähnlich wie die islamischen Eroberungen, ein Versuch, das, was wir heute Natur-Religionen nennen, gleichsam auf Welt-Niveau zu heben (die Einheit der Welt durchzusetzen: deshalb war die Mission vom Kolonialismus nicht zu trennen und diese Durchsetzung der Einheit der Welt der Beginn ihrer Selbstzerstörung)?
    Wäre es nicht ein fantastisches Programm, die Geschichte der Menschheit insgesamt als Sprachgeschichte zu begreifen (Voraussetzung wäre es, zu begreifen, daß die alten Schriftsprachen alle Kunstsprachen waren, insbesondere das Hebräische, das Griechische und das Lateinische, während erst die modernen Sprachen gesprochene Sprachen, und zwar erstmals reflexions- und deshalb literaturfähige gewordene gesprochene Sprachen sind)? Die Konstruktionsprinzipien der Sprachen sind alle Ausdruck des historischen Prozesses.
    Die Geschichte der Mode als eine Geschichte der Scham begreifen.
    Zwischentitel:
    – Joh 129,
    – der kantische Versuch der Definition des Natur- und Weltbegriffs,
    – der Weltbegriff und die Bekenntnislogik, die Natur und das Dogma;
    – im Angesicht und Hinter dem Rücken;
    – die Logik des Raumes (die Logik der Rückkoppelung, selbstreferentielle Strukturen; das Geld und das Bekenntnis; Trinitätslehre und Opfertheologie);
    – Maria Magdalena,
    – die sieben Siegel der Offenbarung,
    – Hören und Sehen,
    – der Haß der Welt,
    – Rechts und Links,
    – alles ist Wasser: Thales und die Sintflut,
    – Turmbau zu Babel,
    – und es ward Licht,
    – als Mann und Weib schuf er sie,
    – die drei Leugnungen Petri,
    – das Substantiv und der Name,
    (bleibt fortzusetzen).

  • 03.02.93

    Wozu benötigt die Sprache das Futur II? Hat das Futur II (als sprachlicher Kern des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs) etwas mit dem babylonischen Turm, der bis zum Himmel reichen sollte, zu tun? Ist sie der Ursprung des Falls (die Antizipation des Selbstmords)? Das „Es wird gewesen sein“, die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, begründet mit dem Selbsterhaltungsprinzip die wechselseitige Äußerlichkeit der Dinge im Raum, sie konstituiert damit die Raumvorstellung selber: die die Orthogonalität und die Reversibilität der Richtungen im Raum begründenden Logik. Sie begründet das abschlußhafte, die Dinge wie die Vergangenheit abschließende Wissen, seine vergegenständlichende Kraft, die in der Trennung und wechselseitigen Konstituierung von Natur und Welt sich manifestiert.
    Das Futur II neutralisiert den Wunsch und das Gebot; es ist der Grund des Gesetzes, ein Graecum, kein Hebraicum. Es hat mit dem Orakel und mit den Auguren zu tun, nichts hingegen mit der Prophetie. Es ist der sprachliche Grund und Reflex der Subjektivierung des Schicksals (der Philosophie und des Weltbegriffs) und insoweit das reale Korrelat der Geschichte des Turmbaus zu Babel.
    Zielt nicht der katholische Gebrauch des Begriff des Fundamentalismus heute auf die Wahrheit selbst: sich selbst erfüllende Projektion?
    taz, 03.02.93 („Unterm Strich“): Die Redensart „Aus Saulus wird
    Paulus“, aus einem schlechten Mensch wird ein guter Mensch, fußt nach neuesten Bibelforschungen auf falschen Voraussetzungen. Der Apostel habe seinen ursprünglichen Namen niemals abgelegt, sei zeitlebens Jude geblieben und gelte fälschlicherweise als Mitbegründer des Christentums, erklärte der jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide in einem AP-Gespräch. Saulus, der später als zweiten, römischen Namen Paulus angenommen habe, habe sich nie zum Christentum bekehrt. „Das Wort Bekehrung kommt in der sogenannten Damaskus-Vision überhaupt nicht vor, sondern es heiße dort Berufung zum Apostolat“, erläutert der in Frankfurt am Main lebende Religionswissenschaftler. Nach der Überlieferung hatte Paulus auf dem Weg von Arabien nach Damaskus die Vision, daß Jesus ihn zum Apostel berufen wolle. Mit dem Menschen Jesus ist Paulus jedoch nie zusammengetroffen. Zu Petrus und Jakobus soll Paulus einmal gesagt haben: „Meine Vision der Auferstehung war wichtiger als eure Begegnung mit dem irdischen Zimmermannssohn.“ Als ein wesentliches Forschungsergebnis bezeichnet es Lapide, daß sich Paulus entgegen der Überlieferung im Galater-Brief niemals in Arabien aufgehalten habe. Vielmehr sei er von Arawah (hebräisch Steppe) nach Qumran gegangen, die beide am Toten Meer liegen. Den Weg habe Paulus zu Fuß oder auf dem Esel in etwa einer halben Stunde bewältigt. Qumran, wo im Jahre 1947 die berühmten Schriftrollen gefunden wurden, habe früher den Beinamen „Damaskus in der Wüste“ getragen, erläutert Lapide. So sei fälschlicherweise überliefert worden, Paulus sei von Arabien nach Damaskus in Syrien gegangen. Gegen die klassische Überlieferung spreche auch, daß es damals etwa von Riad nach Damaskus eine Achttagereise gewesen wäre, erklärte der Neutestamentler. Die berühmten Qumran-Rollen, Handschriften vor allem aus Büchern des Alten Testaments, wurden 1947 in einer Höhle von Beduinen entdeckt, die auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege waren. „Die meisten Rollen sind aus Leder, wenige aus Papyrus und nur zwei aus Kupfer“, erläutert der Neutestamentler. Da Wissenschaftler noch heute dabei seien, die Rollen auszuwerten, werde spekuliert, daß mit einer Gesamtveröffentlichung „die Einzigartigkeit von Jesus und seiner Botschaft geschmälert“ werden könnte. (Zusatz taz: Oh weh, oh weh.)
    Die „Beschreibung des Holocaust“ von James E. Young rührt an einen zentralen Punkt: an das Problem des Schreibens heute überhaupt und an das Verständnis der Schrift. Nähe zur „Grammatologie“ von Derrida und zum „Widerstreit“ von Lyotard. Erinnerung an die Selbstmorde von Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan (unsere Mitschuld daran, weil wir nicht bereit waren, den Schrei aufzunehmen). Lyotards Reflexionen über das vollkomene Verbrechen rühren an ein Problem der Sprache, für das Auschwitz auch steht: an die Unfähigkeit, den Bann der Gemeinheit zu sprengen und zugleich die rechtlichen Kriterien der Zeugenschaft zu erfüllen. Dazu ist an den Kontext des Logos-Begriffs und das „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, …“ zu erinnern, die das Problem in einen realen theologischen Zusammenhang rückt. Läßt sich über Auschwitz erst im Kontext der Idee der Auferstehung (oder erst nach der Auferstehung der Toten) schreiben? Rückt das die deutsche Abwehr der Postmoderne nicht doch in ein anderes Licht? Und hat es nicht doch verhängnisvolle Folgen, wenn dieser Diskurs in Deutschland fast nur abgewehrt und die Postmoderne wie eine Häresie verfolgt wird?
    In Auschwitz ist der Weltbegriff mit untergegangen, er ist seitdem für die Theologie nicht mehr brauchbar. Auschwitz ist der Maelstrom, dessen Poe’sche Beschreibung Adorno als Motto vor seine Kierkegaard-Arbeit gesetzt hatte: der Wirbel, der die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt. Wir leben in diesem Wirbel und halten ihn immer noch – unter dem Bann der subjektiven Form der äußeren Anschauung, des Raumes – für eine ruhende Welt. Auschwitz ist der Beweis dafür, daß der Logos die Last, die wir ihm aufbürden, indem wir die Nachfolge verweigern (und die Erscheinungen für die Dinge an sich halten), nicht zu tragen vermag. Die Last ist endgültig auf uns übergegangen.
    Erinnerungsarbeit und Vergangenheitskolonialismus: Solange wir glauben, die Richter der Toten sein zu können, richten sie uns.
    Zeugenschaft und Eingedenken: Dieses „Das darf nicht vergessen werden“ ist das zentrale Motiv, nicht die Widerlegung der Leugner.
    Zu Otto F. Best (FR von heute): Die Deutschen haben keinen Witz, weil sie Witze machen. Dadurch unterscheiden sie sich u.a. von den Franzosen. Witz ist die Fähigkeit zur Sprachreflexion, die das Witze-Machen durch seine verdinglichende, vergegenständlichende Gewalt (durch Gelächter) zerstört. Der deutsche Witz ist eine xenophobe und paranoide Notwehraktion (Indiz der verfolgenden Unschuld). Karl Kraus hat einmal darauf hingewiesen, daß die Deutschgesinnten in der Regel des Deutschen nicht mächtig sind. (Vgl. Adenauers Wort: „Je einfacher Denken ist eine guten Gabe Gottes“. Einschlägig scheinen auch die Satzeinschübe Kohls zu sein, wie z.B.: „das werde ich an dieser Stelle sagen dürfen“, mit denen Kohl seine Rede unterbricht, um sein Erstaunen darüber auszudrücken, was er hier wieder einmal sagt, und mit denen er zugleich sich selbst ermächtigt, es zu sagen. Das liegt auf der gleichen Ebene wie seine eigene Unfähigkeit und die anderer Mitglieder seines Kabinetts, zu den xenophoben und antisemitischen Ausschreitungen der letzten Zeit überhaupt auch nur einen vernünftigen Satz zu sagen. Zugrunde liegt die allgemeine Erleichterung darüber, daß wir nach der wiedergewonnenen Einheit uns keine Zurückhaltung mehr auferzulegen brauchen und endlich wieder sagen dürfen, was wir denken; die Irritation durch die ausländerfeindlichen Ausschreitungen wird real verdrängt und verschoben auf das bedauernswerte Unverständnis des Auslands für diese deutsche Eigenart, auf die wir leider noch Rücksicht nehmen müssen.)
    Die verandernde Kraft des Seins ist der Grund des Weltbegriffs, sie wird durch durch die Gewalt des Weltbegriffs unumkehrbar. Der Weltbegriff ist die verandernde Kraft des Seins als Totalität.
    Ist nicht der augustinische Satz, daß zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick der Qualen der Verdammten in der Hölle gehört, eine direkte Konsequenz aus dem Kernkonstrukt der dogmatischen Theologie: der Opfertheologie. Hier liegt der Grund, daß in der kirchlichen Tradition die Buße nur noch als Leiden verstanden wird, und nicht als Tun: die Umkehr ist gegenstandslos geworden. War nicht das Bild der Hölle ohnehin das Produkt einer projektiven Verarbeitung des Bewußtseins, daß die Gläubigen selber für sich und für die anderen die Hölle sind (mit der Exkulpierung von Herrschaft, der Legitimierung des staatlichen Gewaltmonopols, und einem Begriff der Sexualität, in dem die politische Ohnmacht bewußtlos sich reflektierte, als dem Herd des ewigen Feuers)?
    Das Wort von den Pforten der Hölle (Mt 1618): ou katischysousin autäs, sie werden sie nicht überwältigen.
    Die Rehabilitierung Galileis durch Johannes Paul II scheint mir auf den Versuch hinauszulaufen, den Kloß im Hals der Theologie, zu dem die Naturwissenschaften geworden sind, jetzt endlich zu schlucken: aber wird die Kirche nicht daran ersticken?
    Das Dogma war der Preis, den der Staat und die Philosophie für die Rettung des Welt- und des Objektbegriffs zahlen mußten.
    Hegels Satz, daß die Idee die Natur frei aus sich entläßt, müßte eigentlich unters kirchliche Abtreibungsverbot fallen (durch den affirmativen Weltbegriff hat die Theologie sich selbst abgetrieben).
    Zur deutschen Staatsmetaphysik gehören neben dem Gewaltmonopol des Staates und dem Staatsanwalt auch das deutsche Staatsexamen.

  • 07.06.92

    Zusammenhang von: Übernahme der Sünde der Welt, Feindesliebe, Arglosigkeit, Verzicht auf Projektion und Hypostasierung. Aufklärung wäre heute die Aufklärung der Herrschenden und ihrer Anhänger darüber, was sie sich selbst antun.
    Grund des evangelischen Rates der Armut: Grund des Hasses sind das hypostasierte Eigentum und seine gesellschaftlichen Derivate.
    Wie hängt Adam Smith mit Newton zusammen, die „invisible hand“ mit der dynamischen „Begründung“ des kopernikanischen Weltsystems durch die Gravitationstheorie?
    Naturwissenschaft, Kapitalismus, Bekenntnis: hängen diese drei in dieser Reihenfolge nicht mit Vorn und Hinten, Rechts und Links und Oben und Unten zusammen?
    Mit Kopernikus und mit dem Ursprung des Kapitalismus ist der Teufelspakt in die Konstruktion der gesellschaftlichen Realität mit eingegangen. (Kopernikus und Kolumbus arbeiteten am gleichen Projekt, und die Postmoderne ist nur durch ein Geringes von der Wahrheit noch getrennt.)
    Assmann: Götze Markt, S. 17: die „permanente diffuse Katechese“ reicht weit tiefer, als Assmann begreift, sie reicht in den Prozeß und das historisch sich fortschreibende und akkumulierende Ergebnis der naturwissenschaftlichen Aufklärung zurück.

  • 10.02.92

    Der Habermassche Begriff des „kommunikativen Handelns“ kommt erst zu seiner Wahrheit, wenn er die sprachliche Struktur z.B. der Gewalt, des Lachens, des Raumes, des Geldes, der Mathematik und zusammen damit die Beziehung von Schuld und Sprache (den Kern des dialogischen Verhältnisses, das nach Levinas ein unaufhebbar asymmetrisches ist) mit reflektiert. Nicht der Konsens, sondern die Versöhnung ist das zentrale Sinnesimplikat der Wahrheit. Der Hinweis auf die argumentative Struktur des kommunikativen Handelns vergißt, auf welche Probleme die Beweislogik führt, wie tief die argumentative Struktur der Sprache durch ein paranoides Element vergiftet ist (vgl. hierzu die kantische Antinomie der reinen Vernunft, Hegels „Reflexionsbegriffe“, auch die List der Vernunft). Wenn Habermas den Frankfurtern „negativistische Verfallstheorien“ (sic: der Plural steht so bei Habermas, T.u.K., S. 145) nachsagt, wenn er, was bei Horkheimer und Adorno – und darin ist ihr Denken in der Tat eines – als philosophische Erkenntnis auf die Struktur der Welt sich bezieht, zu ihrer subjektiven Meinung, zu einer Art Bekenntnis, macht, dann hat er den Kern z.B. der Dialektik der Aufklärung nicht begriffen oder inzwischen vergessen.
    Zur Asymmetrie des dialogischen Prinzips: Genau das ist der parvus error in principio (qui magnus est in fine): die Symmetrisierung, die „der subjektiven Form der äußeren Anschauung“, dem Erkenntnis-Apriori des Raumes und dem dadurch determinierten Begriff des philosophischen Subjekts, der auch den Begriff und das Verständnis der Sprache verhext, sich verdankt, die gleiche Symmetrisierung, die dann bei Hegel in dem Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zum Grund der „sprachlichen Intersubjektivität“ wird, zugleich aber den Wahrheits- und Erkenntnisbegriff zur Unkenntlichkeit entstellt, zum Einfallstor des Mythos in die Philosophie geworden ist (bis hin zur Hellenisierung des Christentums, zur Wiederkehr der mythischen Gewalt in der Orthodoxie und im Dogma).
    Woran die habermassche Philosophie ebenso krankt wie die an ihn sich anschließenden Theologien, ist die Unfähigkeit, die Kritik der Naturwissenschaft und der Theologie, die nur zusammen geleistet werden können, mit in ihren Begriff aufzunehmen.
    Der Begriff „negativistische Verfallstheorien“ (Habermas) gehört, wie mir scheint, in den Zusammenhang des Begriffs „Nestbeschmutzung“. Nicht die Welt ist schlimm, sondern der, der sie als schlimm denunziert. Es gibt auch einen Welt-Nationalismus. Damit scheint auch die bloß doch emotionale Reaktion der Habermas-Gruppe auf die Postmoderne zusammenzuhängen (wobei H. die Wadenbeißerei seinen Schülern überläßt). Habermas scheint den Blick in den Abgrund nicht zu ertragen, der in Derridas Grammatologie, im Levinasschen Begriff der Asymmetrie, in Lyotards Analyse des Auschwitz-Syndroms und der Beweislogik sich eröffnet. Im Anblick dieses Abgrunds wäre die Kommunkationstheorie nicht mehr zu halten. Deshalb leugnet H. die Realität diese Abgrunds und denunziert den Blick als verantwortungslos, wenn nicht paranoid. Aber mit diesem taktischen und strategischen Gebrauch dessen, was Hegel die List der Vernunft genannt hat entzieht er der argumentativen sprachlichen Intersubjektivität die Grundlage.
    Abgedeckt wird die Habermassche Kommunikationstheorie durch das Ausblenden der Natur und durch Adaptation jenes Weltbegriffs, dessen prädikativer Ursprung in der Tat der Grund der Kommunikationstheorie ist.
    Am Begriff des Logozentrismus, den Habermas durch Hinweis auf seinen faschistischen Gebrauch abwehrt, läßt sich der Komplex aufs schönste nachweisen. Unter Logozentrismus verstehen alle die Fähigkeit, die Wahrheit durch prädikative Urteile auszudrücken. Und dieser Logozentrismus wird dann in den Logosbegriff der Theologie hineinprojiziert, in dem er in der Tat seit Beginn des Dogmatisierungsprozesses enthalten ist. Was hier geschehen ist (und bis heute nachwirkt), ließe sich am Bekenntnisbegriff aufs schönste demonstrieren. Der biblische Logosbegriff selber aber steht in einem ganz anderen Kontext, der vergessen ist und heute insbesondere unter dem Rätselbild der Natur zu reflektieren wäre. Die christologische Struktur des Naturbegriffs (die der Vergöttlichung des Opfers) gibt darauf einen sehr deutlichen Hinweis. Der Logosname im Johannes-Evangelium steht in eindeutiger Beziehung zur „Übernahme der Sünde der Welt“, und d.h. er steht im Kontext nicht des Begriffs, sondern der Namenlehre (der jüdischen Traditon, nicht der griechischen).
    Es ist eigentlich doch erstaunlich, daß die Dialektik der Aufklärung bis heute nicht zum Anlaß genommen wurde, die Beziehung von Mythos und Philosophie in der Geschichte ihres griechischen Ursprungs einmal konkret aufzuzeigen und nachzuweisen. Die Entwicklung des Mythos in der griechischen Geschichte hat der Entstehung der Philosophie vorgearbeitet (durch die Entfaltung der Schicksalsidee), und der griechische Begriff des Mythos ist singulär und kein allgemeiner Obegriff für andere Mythologien, z.B. die altorientalischen, die einer anderen Konstellation, einem anderen Kontext angehören. Hier handelt es sich sogar umgekehrt um eine inverse Geschichte zur griechischen, die dann in der jüdischen Prophetie ihren Umkehrpunkt findet (in der Kritik der Idolatrie, des Sternendienstes und der Opferreligion, im „stammelnden“ Konzept der jüdischen Tradition).
    Das „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ hat die Kirche zum Objekt, die die Nachfolge der Richter Jesu angetreten hat.
    Die Verdrängung der Probleme der Beweislogik hängt damit zusammen, daß man die Probleme der (überlebensnotwendigen) Gemeinheitslogik nicht sehen will (oder, weil man sich selbst im Wege steht, nicht sehen kann). Der Ursprung dieses Problems scheint im Konzept der Habermasschen Habilitationsarbeit (Strukturwandel der Öffentlichkeit) zurückzureichen. Deren Thema wäre Anlaß gewesen, den Zusammenhang des Öffentlichkeitsbegriffs mit dem Syndrom der Gemeinheitslogik aufzuzeigen (Problem der Medien, der Wissenschaft, der Politik): Funktion der Dialektik des Sein für Andere(s); Begriff, Funktion und Geschichte der Scham (des Nichtöffentlichen, des Intimen, Privaten; reale und metaphorische Funktion der Sexualität und der Sexualmoral; Schamgrenze gegenüber der Theologie; Bedeutung des Antlitzes: von Angesicht zu Angesicht), Geschichte und Bedeutung des Objektivationsprozesses.
    Der Raum ist auch über die mathematische Anwendung hinaus die subjektive Form der äußeren Anschauung: Begriff der Weltanschauung. Die objektivierende, verdinglichende und instrumentalisierende Logik ist von diesem Konzept der nicht mehr hinterfragbaren subjektiven Form der äußeren Anschauung nicht zu lösen. Und darin liegt ihre selbstreferentielle Begründung: in diesem pragmatischen, herrschaftsbegründenden Aspekt. Das hat sich vergegenständlicht und verselbständigt im Weltbegriff. Die Vorformen des Weltbegriffs, die Geschichte seines Ursprungs, sind in der Prophetie benannt als Idolatrie, Sternendienst und Opferreligion. Das prophetische „Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit“ trifft die christliche Opfertheologie (das christliche Dogma) im Kern; es gilt auch im Hinblick auf die zivilisationsbegründende Verinnerlichung des Opfers (Reflex der Vergegenständlichung der Natur).
    Das Konzept der Säkularisation aller theologischen Gehalte führt nicht (wie das naturwissenschaftliche Erkenntniskonzept) zu haltbaren Resultaten, die man „schwarz auf weiß besitzen und getrost nach Hause tragen kann“, sondern ist ständig neu zu leisten. Das ist das entscheidende Argument gegen das christliche Orthodoxie- und Dogmenverständnis.

  • 09.08.91

    Geldwirtschaft gründet in Schuldknechtschaft. Der Aspekt der Herrschaft des Tauschprinzips ist insoweit irreführend, als er das Unaufhebbare am Kapitalismus verdeckt, verdrängt. Die Vorstellung, daß gleichberechtigte Warenbesitzer mit einander tauschen und dafür irgendwann ein allgemeines Tauschmittel, das Geld, einführen, erweckt den Eindruck, als sei der Reichtum schlicht vorhanden, bloß gegeben, und bräuchte im Bedarfsfall nur umverteilt zu werden. Es gibt aber keinen Reichtum, der nicht die Armut zur Grundlage hat, die er selbst produziert. Daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut zu steuern, hängt mit dem Ursprung und dem Begriff des Reichtums zusammen. Die Geschichte vom reichen Jüngling drückt genau diesen Sachverhalt aus.
    Es gibt heute – draußen und drinnen – eine Armut, die nicht mehr mit dem Argument zu rechtfertigen ist, die Armen seien selbst schuld, daß sie arm sind.
    Gibt es – neben dem Confessor und der Virgo, zu deren letzten Auswirkungen die Penner und die Huren gehören – auch die Heiligengestalt des Gerechten? Diese Gestalt des Gerechten, die kenntlich gemacht hätte, worauf das Ganze hinausläuft, scheint es im Christentum nicht gegeben zu haben. Mit dem Ursprung der Welt ist die Gerechtigkeit zu einer transzendenten, unerfüllbaren Idee geworden, das Recht als seine säkularisierte Gestalt in der verweltlichten Welt ist ein konstitutiver Teil des Schuldzusammenhangs. Erlösung war immer eine Erlösung von der Schuld, aber nicht Befreiung zu einem gerechten Leben. Das drückt sich dann aus in der Idee der Rechtfertigung, dem Kristallisationskern des mythischen Denkens in der Theologie.
    Die kantischen synthetischen Urteile apriori und die Kategorientafel sind die Konstituentien des namenlosen Objekts.
    Kann es sein, daß der Objektstatus heute nur noch zu ertragen ist, wenn er durch das, was sich heute Musik nennt, übertäubt wird. Beachte die Gesichter von Joggern: ohne Walkman verzerrt, wütend, aggressiv, mit Walkman selig lächelnd.
    Heute nagelt das Christentum die Gläubigen an das Kreuz ihres Selbstmitleids, macht sie unsensibel sowie arrogant, böse und stumm.
    Die Welt definiert sich gegen die Vorwelt durch die Vergesellschaftung der Gewalt, durch die Installation des Gewaltmonopols des Staates (durch das Recht); oder durch die damit begründete Vergesellschaftung und Internalisierung der Naturbeherrschung. Bevor sie ihren Siegeszug nach außen antreten konnte, mußte sie sich in der Gesellschaft, in den Subjekten konstituieren.
    Die staatliche Instrumentalisierung der Gewalt ist die Voraussetzung des Objektivationsprozesses, Grundlage des Weltbegriffs.
    Die Bäume in der Bibel:
    – „Von allen Bäumen dürft ihr essen“: Vorausgesetzt war das Nahrungsgebot, das die Früchte des Feldes und die der Bäume den Menschen zuwies (und den Tieren das Kraut).
    – „Nur nicht von dem Baum in der Mitte des Gartens“ (dem Baum der Erkenntnis, des Lebens?): Vom Baum der Erkenntnis haben sie dann gegessen, mit den bekannten Folgen.
    – Die Jotam-Fabel (auch der Dornbusch ist demnach ein Baum), die Zedern des Libanon, der Weinstock, der Feigenbaum, der Ölbaum, das Kreuz.
    – Gibt es zu Stammbaum eine biblische Entsprechung? Stammbaum = toledot; Stamm (Baum) und Stamm (Sippe): Jesus kommt aus dem Stamme Davids? Gibt es eine Beziehung zu den Türmen?
    Nachdem die häresienbildende Kraft mit der Reformation verbraucht war, hat es neben den Konfessionen (den säkularisierten Gestalten der Kirche) nur noch Sekten gegeben.
    Dummheit gründet im allgemeinen in mangelnder Idenfikationsfähigkeit (Aufmerksamkeit), in der Unfähigkeit, sich auf die Erfahrung des anderen einzulassen.
    Früher haben Propheten eine Situation durch Symbolhandlungen aufgeschlüsselt, heute sind Symbolhandlungen (aufgrund des Wiederholungszwangs, dem sie unterworfen sind) Formen der Selbstverurteilung.
    Opfertheologie und Instrumentalisierung gehören zusammen. Die gemeinsame Wurzel beider ist die Idolatrie.
    Der Konkretismus der Heinsohn et al. rührt her von der Unfähigkeit, das, was sie durch Naturkatastrophen hervorgerufen verstehen, aus der genetischen Struktur der Erfahrung und der Geschichte der Sprache abzuleiten.
    Fundamentalisten sind Religions-Hooligans (Bindeglied ist das Bekenntnis).
    Das Prinzip der Delegation (im postmodernen Management) scheint daraus sich herzuleiten, daß insbesondere das Unangenehme, das, was moralische Skrupel verursachen könnte, an andere delegiert werden soll. Daher kommt es, daß die Bedenkenlosesten im allgemeinen als die besten Mitarbeiter angesehen sind
    Warum gibt es keine objektive Moral, oder: warum schließt der Begriff einer moralisch begründeten Erkenntnis den Verzicht auf moralisches Urteil mit ein (Zusammenhang von Erkenntnis und Schuld: Grund des Nachfolge-Gebots)?
    Heideggers „In-der-Welt-Sein“ ist das notwendige Korrelat der begrifflichen Aufteilung des Seienden in Vorhandenes und Zuhandenes. Der reflektorische Begriff des Zuhandenen verleiht dem Dasein den Charakter des In-der-Welt-Seins. Als Zuhandenes ist das Dasein uneigentlich, als Vorhandenes eigentlich? Der Trick zieht nicht: Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit sind wie Vorhandenes und Zuhandenes untrennbare Reflexionsbegriffe.
    Inertialsystem und Gravitationsgesetz gehören zusammen: sie sind zwei Aspekte der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen.
    Hat die Geschichte von Romulus und Remus etwas mit der von Kain und Abel zu tun? Auch Romulus erschlägt seinen Bruder Remus und gründet dann die Stadt Rom.
    Sind die Astralreligionen als Herrschaftsreligionen schon in der Schöpfungsordnung (Herrschaftsauftrag an die Leuchten des Himmels) verankert?
    Der Personbegriff ist die Stecknadel, mit der der Name getötet und wie ein Schmetterling aufgespießt wird; er nimmt dem Namen das Wesen: das Angesprochen- und Gehört-Werden. Sind Frauen Personen, und sind nur Personen bekenntnisfähig? Auch Gott ist nur ein Personbegriff.
    Das Inertialsystem ist das Refenzsystem, auf das alle naturwissenschaftlichen Begriffe, Gesetze und Erscheinungen sich beziehen, und diese drei Begriffe bezeichnen nur drei Aspekte einer Sache (Grund der negativen Trinitätslehre).
    Die Welt ist das entstellte Antlitz der Erde, auf das sich der Satz bezieht: emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae.
    Adornos Eingedenken der Natur im Subjekt gehorcht dem Nachfolge-Gebot.
    Die Parole Rousseaus „Zurück zur Natur“, die zusammenhängt mit der romantischen Vorstellung von den edlen Wilden, fällt herein auf die christologisch begründete Hypostasierung der Natur (der Vergöttlichung des Opfers) und ist wider Willen einer der Auslöser der Barbarei. Vielleicht müßte man hierzu den zweiten Teil von Derridas „Grammatologie“ lesen.
    Die Psychoanalyse und die Psychomatische Medizin sind keine Hilfen bei der Wiedergewinnung des Subjekts, sondern verlängern den Instrumentalismus ins Subjekt hinein. Nicht zufällig sitzt der Psychotherapeut bei der Anamnese hinterm Rücken des Patienten.

  • 02.05.91

    Als die Kirche das Schuld- und Moralzentrum aus der Politik in die Sexualität rückte (die Schöpfung anstatt auf Himmel und Erde, auf die Welt bezog), hat sie (den Wölfen sich angepaßt und) der Gottesfurcht den Weg versperrt: dafür den Mechanismus des autoritätshörigen Charakters installiert.
    Zum Ursprung des Dezisionismus: Seit es für Antworten keine Begründungen mehr gibt, gibt es für Fragen (wie für mathematische Gleichungen) nur noch Lösungen (für die deutsche Frage, die Judenfrage, die Seinsfrage u.ä.): zugleich wurden die Fragen, um im Jargon zu bleiben, „unlösbar“, denn Lösungen sind keine Antworten.
    Der Begriff der Schuld ist so zweideutig wie der der Person; beide unterliegen der gleichen Dialektik wie das Gewissen, das als Organ der Wahrnehmung der Schuld, der Fähigkeit, ohne Rechtfertigungszwang die eigene Schuld zu erkennen, zu unterscheiden ist von dem Schuldvorwurf, von der Anklage, die die Person von außen trifft und – wenn sie keinen Verteidiger hat – zwangsläufig Rechtfertigungszwänge auslöst, die Person in den Schuldzusammenhang hereinzieht, in denen die gesellschaftlichen Instanzen, vor denen die Person rechtfertigungspflichtig wird, sich konstituieren. Die Person ist nicht nur der Träger des Namens, sondern zugleich der Verantwortung, der Zurechenbarkeit. Die Person muß für ihre Taten geradestehen, sie muß Rede und Antwort stehen. Der Zusammenhang von Name und Schuld, Name und Anklage (man wird beim Namen gerufen, um Rede und Antwort zu stehen) ist die instrumentalisierende Kehrseite des von der Instrumentalisierung befreienden „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“. Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über die Unbarmherzigkeit des Weltgerichts. Die Persönlichkeit besteht vor dem Weltgericht, weil sie dessen richtende Gewalt sich zueigen gemacht, verinnerlicht hat (und somit tendentiell unbarmherzig geworden ist), besteht sie auch vor dem Jüngsten Gericht? „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“.
    Die griechische Philosophie (kennt und) braucht keine „Vorsehung“; in der Gestalt des schönen, wohlgeformten, durchorganisierten Kosmos ist das Ziel präsent, an dessen Bild die Poleis sich orientieren. Der Kosmos ist das Modell der richtigen Gesellschaft. Dagegen ist der römische Weltbegriff ein reiner Herrschaftsbegriff; seine Grenzen sind nicht die inneren Grenzen (die „Formen“) der kosmischen Körper, sondern die äußeren des Römischen Imperiums, der römischen Macht. In der griechischen Philosophie war das Chaos nach innen, in den Begriff der Materie, verdrängt; im römischen Reich lag es sowohl außerhalb der Grenzen der Pax Romana wie dann auch im Innern der zwar unterworfenen, aber nicht schon endgültig befriedeten Völker. Aber beide Weltbegriffe, der philosophische Begriff des Kosmos als auch der politische des Reichs, lassen sich nicht ohne fatale Konsequenzen theologisieren. Wer den Schöpfungsbegriff auf den Weltbegriff bezieht, macht den Staat zum Schöpfer (den die Gnosis übrigens zu Recht als Demiurgen erkannt hat), begründet die verhängnisvolle Staatsmetaphysik, die seit je die wichtigste Quelle des Antijudaismus und am Ende des Antisemitismus war. An der Systemlogik dieses Weltbegriffs hat sich die christliche Theologie seit der Vätertheologie vergeblich abgearbeitet. In diese Systemlogik gehören die Trinitätslehre, die Christologie und Opfertheologie herein, sowie der seitdem zentrale Bekenntnisbegriff, mit dem die Staatsmetaphysik verinnerlicht wurde. Diese Systemlogik war deshalb nicht mehr kritisierbar, weil sie sich selbst im blinden Fleck steht: sie war Grund sowohl des theologischen Objektivierungsprozesses als auch der hierarchischen Kirchenstruktur. Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, der damit installiert war (und seitdem Grundlage der westlichen „abendländischen“ Zivilisation ist), ist das negative Abbild der Trinitätslehre.
    Zum Johannes-Evangelium (zu der daraus abgeleiteten Christologie): Das „Im Anfang war das Wort“, das anklingt an das „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“, bezeichnet einen Anfang, zu dessen Bestimmung die damit erst entstandenen zeitlichen Bestimmungen nicht ausreichen. Insbesondere ist fraglich, ob er so einfach in die Vergangenheit projiziert werden kann (der Begriff des Ewigen schließt doch eigentlich eine Vergangenheit von sich aus). Und der Logos hat sicherlich weniger mit der Logik (und sei es die Hegelsche) zu tun, als mit der Sprache und dem Namen.
    Was entspricht dem Personbegriff des Tertullian: prosopon oder soma? Oder ist es die Identifikation beider, der Gewaltakt, der die lateinische Theologie begründet? Ist es der gleiche Gewaltakt, der notwendig war, um den griechischen, kosmischen Personbegriff (soma) dem römischen, politsch-juristischen anzugleichen.
    Welche Bewandnis hat es damit, daß das westliche Christentum nicht von der Metropole, sondern von den Peripherien ausgeht (in der auslaufenden Antike Nordafrika, und dann, im beginnenden Mittelalter, Irland)? – Aus Irland kommen insbesondere: die Ohrenbeichte, das Zölibat, die Mönchskirche, das Fegefeuer, insgesamt die Verdinglichung des Jenseits.
    Die inneren Probleme des Christentums sind zu einem nicht unerheblichen Teil Übersetzungsprobleme. Es wäre sicherlich fürs Verständnis wichtig, wenn man die Schriften des NT ins Hebräische oder Aramäische zurückübersetzen würde. Was wäre, wenn man die Trinitätslehre und die Christologie ins Hebräische übersetzen würde?
    An der Startbahnmauer steht heute noch der theologische Satz: „Ihr Gewissen war rein; sie benutzten es nie.“
    Hierarchie bedeutet: der Anfang, der Grund, die Herrschaft des Heiligen, Hieronymus der heilige Name, Augustinus der Augustiner; was bedeutet Tertullian?
    Besteht eine Beziehung zwischen der postmodernen Diskussion um den Begriff des Erhabenen und dem Caesar Augustus, aus der die kirchliche Legende dann den Kaiser Augustus anstelle des erhabenen Caesar gemacht hat. („Oh, du lieber Augustin …, alles ist hin.“)
    „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist …“ Über die Münze ist das Bild in den philosophischen Objektbegriff eingewandert, der somit unters Bilderverbot fällt (Zusammenhang von Opfer, Münze, Säkularisation). Dieses Bild des Kaisers ist zugleich Modell für den philosphischen Subjektbegriff (Folge der Säkularisation des Schicksals, des Dämon, des Kaisers, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ ist der legitime Erbe des Kaisers. Hegels Philosophie ist die Entfaltung dieses Zusammenhangs von Begriff, Schicksal, Herrschaft, Objekt und Subjekt, mit der Auflösung in der zutiefst scheinhaften Idee des Absoluten (des Organismus, in dem „kein Glied nicht trunken ist“, geweissagt im prophetischen „Taumelkelch“?).
    Hängt das prophetische Bild des Taumelkelchs mit der Vorstellung von der „entsühnenden Kraft“ des Blutes zusammen (die heute noch die Tradition des Abendmahls entstellt, verdunkelt)?
    Nach Freud ist der Witz auf drei Personen bezogen: den Urheber, das Objekt und den Adressaten des Witzes (der über den Witz lacht). Das Lachen ist Ausdruck und Teil seiner „Objekt“-Beziehung.
    Rechtfertigung ist die Begründung ex post, die Begründung die Rechtfertigung ante.
    Wie verhalten sich Ursache und Grund zueinander? Im Grund reflektieren sich die Zweckursachen, das teleologische Moment in der Sache. Die Welt unterscheidet sich von der Erde (adama) durch die Entgründung, durch die Herrschaft des Kausalitätsprinzips. Die Welt ist die grundlos (atheistisch) gewordene Erde. (Auch die Quantenmechanik hat – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz – das Kausalitätsprinzip nicht durchbrochen.) Erst angesichts der grundlos gewordenen Welt ist die Frage sinnvoll: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Wenn es nur noch subjektive Gründe gibt, ist die Welt grundlos, bedarf es keines Gottes, gibt es keine Alternative zur Macht. In der instrumentalisierten Welt kommt es nicht mehr auf die Qualität der Argumente an, sondern nur noch auf die dezisionistische Entscheidung dessen, der seine Entscheidung auch durchsetzen kann (auf Macht). Das Äquivalent der Begründung in der formalisierten Logik leistet nicht mehr, was es leisten soll; mit dem Grund verschwindet auch das Subjekt aus dem Denken. Durch den Zusammenhang von Grund und Subjekt rührt das Subjekt an den Grund der Welt, an dem es Anteil hat, und darauf antwortet das Nachfolgegebot.
    Wie hängt Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit der Instrumentalisierung und dem Verschwinden des Grundes zusammen? – Der Sündenfall eröffnet den Abgrund, in dem der Grund zugrunde geht: das Inertialsystem ist dieser Abgrund. Hierauf scheint das Moment des Rechtfertigungszwanges in der Geschichte vom Sündenfall hinzuweisen, wobei der Rechtfertigungszwang nur soweit reicht wie die Projektions-, die Objektivationsfähigkeit (die Schlange überredet, verführt, wird ohne Möglichkeit der Rechtfertigung verurteilt).
    Flammenschwert: Vertreibung aus dem Paradies; Bileam? – Blitz (Mt 2427, 283, Lk 1018, 1724)? Zusammenhang mit dem Gewitter (Hi 38)? Ps 1814ff: „Da ließ der Herr den Donner im Himmel erdröhnen, der Höchste ließ seine Stimme erschallen. Er schoß seine Pfeile und streute sie, er schleuderte die Blitze und jagte sie dahin. Da wurden sichtbar die Tiefen des Meeres, die Grundfesten der Erde entblößt vor deinem Drohen, Herr, vor dem Schnauben deines zornigen Atems.“
    Die zweite Bitte des Herrengebets ist keine Bitte, sondern eine Selbstverpflichtung.
    Ist die Schwangerschaft nicht ein verinnerlichtes Brüten? Das erinnert an den Geist Gottes, der über den Wassern „brütet“.
    Die Theologie heute erinnert an die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung: Und sie sammelten die übriggebliebenen Stücklein, und siehe, es gab zwölf Körbe voll.
    Vgl. Gen 11: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ und Gen. 24b: „Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“ Was bedeutet die unterschiedliche Reihenfolge (Himmel und Erde bzw. Erde und Himmel) im Kontext von „schuf“ und „machte“ sowie von Jahwe und Elohim?
    Läßt die doppelte Gottesbezeichnung Jahwe und Elohim sich so verstehen, daß die eine die Selbstbezeichnung des den Menschen ansprechenden Gottes ist, während die andere die Fremdbezeichnung ist, sich auf Gott in der dritten Person bezieht, damit aber zwangsläufig im Plural gefaßt werden muß (gegen das Identitätsprinzip und die Hypostasierung des „Einen“).

  • 06.04.91

    Aufklärung und Erinnerungsarbeit: schließt den Zusammenhang von transzendentaler Ästhetik und Logik mit ein, gegen Instrumentalisierung der Erinnerung (gg. Habermas und seine Anwendung des Begriffs des kommunikativen Handelns). Erinnerungsarbeit sucht die Last der Vergangenheit als Produkt vergangener Arbeit zu begreifen und selbst durch Erinnerung aufzulösen. Die realen Opfer sind Folgen der Verdrängung dessen, wofür das Opfer einmal einstand; diese Verdrängung ist sedimentiert in der transzendentalen Ästhetik. Deshalb ist eine Kritik der Naturwissenschaften heute unabweisbar; sie ist aber nur möglich, wenn Philosophie zusammen mit der „religiösen Tradition“, auf die sie in allen ihren Phasen sich bezieht, in die Erinnerungsarbeit mit einbezogen wird. Eine gewisse Vorarbeit hat hier Hans Blumenberg geleistet; zugleich wird die Arbeit der Postmoderne (Lyotard) hilfreich.
    Die wichtigste theologische Konsequenz aus Auschwitz: Kritik der Opfertheologie (und der Gnaden- und Rechtfertigungslehre), der Trinitätslehre und der Christologie; Beginn der Erinnerungsarbeit, deren erster Gegenstand die Geschichte des Opfers ist, in eins damit: Kritik des historischen Objektivationsprozesses (der transzendentalen Ästhetik: das „reine Zusehen“ ist nicht mehr erlaubt).
    Nicht: nach Auschwitz ein Gedicht schreiben, sondern: nach Auschwitz ein Bild malen, ist barbarisch.

  • 20.02.91

    Schneisen schlagen:
    – Theologie im Angesicht/hinter dem Rücken Gottes (vgl. Jürgen Ebach, UuZ, S. 51ff: Der Gottesgarten liegt im Antlitz Gottes; bedeutet „hinter dem Rücken Gottes“: im Angesicht des Feindes? – Im Angesicht = in den Augen von, im Urteil von),
    – Subsumtion der Zukunft (der Versöhnung) unter die Vergangenheit (Theologie hinter dem Rücken Gottes) als Basis des Herrendenkens,
    – „sanctificetur nomen tuum“: was geschieht dem Kind, dessen Mutter in seiner Gegenwart über das Kind redet: sie macht das Kind sich selbst und der Mutter zum Feind (und verdeckt diese Feindschaft durch symbiotische Bindung); genau das machen unsere Theologen mit Gott; – haben unsere Theologen einmal nachgefragt, was die Juden unter der „Heiligung des Gottesnamens“ verstehen?
    – zum Begriff des Ewigen (Umkehr: Heute, wenn ihr meine Stimme hört),
    – Bekenntnis: Herrendenken und Instrumentalisierung,
    – Kritik des Personbegriffs (Produkt der Verinnerlichung der falschen Versöhnung),
    – Kritik des Inertialsystems (Entfremdung, Grund der Instrumentalisierung, Löschung der benennenden Kraft der Sprache: Produkt der falschen Versöhnung),
    – Kritik des Herrendenkens (Begriff und hierarchische Struktur der Logik; Herrschafts-, Schuld-, Verblendungszusammenhang),
    – Dornen und Disteln (Ursprung der Gewalt, Herschaft von Menschen über Menschen),
    – Ursprung und Kritik der Gewalt (Verhältnis zur Logik; Logos: Begriff oder Name?),
    – Ansteckung durch Gewalt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“
    – „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“,
    – Petrus: Schlüsselgewalt und dreifache Verleugnung: die dritte – die Sünde wider den Heiligen Geist – endet in der Selbstverfluchung,
    – imitatio Christi, die Gottesfurcht (dazu gehört auch die Lektüre des Angehörigen-Info),
    – Natur und Welt als Totalitätsbegriffe zur Absicherung des Herrendenkens, Neutralisierung der Gottesfurcht (Zusammenhang mit der Grenze/Ausdehnung von Natur und Welt – Rom, Kopernikus),
    – Welt und Schöpfung: Ursprung und Geschichte der Häresien (Orthodoxie und Weltbegriff: Instrumentalisierung der Theologie; Äquivalenz von Bekenntnis und Trägheitsgesetz),
    – Welt und Geschichte: geschichtliche und kosmische Religion; Genealogie, Chronik, Prophetie vs. Mythos; Christentum und Verweltlichung; Ursprung und Geschichte von Antijudaismus, Ketzer- und Hexenverfolgung,
    – Verweigerung/Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit (Idee der Versöhnung: offene Zukunft und abgeschlossene Vergangenheit; die Öffnung des Raumes schließt die Vergangenheit ab),
    – nicht Ökumene, sondern Entkonfessionalisierung der Kirchen,
    – die raf und der Golfkrieg: die Welt gleicht sich immer mehr dem Verfolgungswahn an, durch den sie zugleich falsch abgebildet wird (seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben),
    – es kommt nicht aufs Rechtbehalten an (Bekenntnissyndrom; Rechtbehaltenwollen als Teil der „Versuchung“: et ne nos inducas in tentationem),
    – wer unbedingte Gewißheit: die Zukunft dingfest machen will, zahlt zwangsläufig den Preis der Entfremdung, weil er es nicht erträgt, in der Furcht Gottes zu bleiben; er ist zur Verdummung verurteilt,
    – wo kein Kläger, da kein Richter (Hauptsache: nicht erwischt werden): sich der Anklage stellen, anstatt die Schuldgefühle, die sie auslöst, zu verdrängen.
    Bekenntnis und Komplizenschaft: Die Komplizenschaft ist in den Weltbegriff bereits eingebaut. Als Bürger des Staates (sowie als Käufer in einer durch Geldwirtschaft bestimmten Gesellschaft) bin ich als Komplize der Herren (durch Identifikation mit dem Aggressor) selbst Herr über die Unterworfenen (und die Produzierenden, die Arbeit und das Produkt der Arbeit anderer). Entlastung von den Schuldgefühlen bringt die Absicherung der Selbstexkulpierung durch das „homologe“ Bekenntnis aller: Wo kein Kläger, da kein Richter. Erst durchs Bekenntnis (durchs Bekenntnis zu den geltenden Werten: zum moralischen Urteil, bzw. durch Identifikation mit dem Aggressor und Verzicht auf die Anklage gegen ihn) werde ich real zum Komplizen. Dieses „Bekenntnis“ (und das gilt heute auch für das kirchliche, konfessionelle Bekenntnis) ist ableitbar als Umkehrung des Schuldbekenntnisses (als falsche Versöhnung: Leugnung der offenen Schuld in der Gegenwart und Dekretierung der Versöhnung als einer in der Vergangenheit bereits geleisteten; Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; das sich Verstecken des Adam („unter den Bäumen des Gartens“), Flucht aus dem Angesicht Gottes, dreifache Leugnung des Petrus: die dritte – die Sünde wider den Heiligen Geist – endet in der Selbstverfluchung; Instrumentalisierung der Scham).
    Ist das homologein (Bekennen) nur ein anderer Ausdruck für das akolouthein (die Nachfolge)? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
    Beherrscht der Mond die Natur und die Sonne die Welt? Die Sonne erleuchtet (herrscht über) den Tag, der Mond die Nacht.
    Die Vorstellung des (nicht vorstellbaren) unendlichen Raumes hat Natur und Welt als Totalitätsbegriffe konstituiert: vorher waren beide begrenzt, gab es noch ein Außerhalb.
    Der philosophische Begriff des Kontingenten konnte nur deshalb mit dem Schöpfungsbegriff verwechselt werden, weil die Schöpfung selber mit der Welt verwechselt wurde. Beides war erkauft mit einem Tabu über die Erinnerungsarbeit (Kontingenz bezeichnet die Beziehung des Objekts zum Begriff, Schöpfung die zum Namen).
    Der Begriff der List der Vernunft ist der Spalt, durch den die benennende Kraft der Sprache entweicht und die Gewalt in die Hegelsche Philosophie Einlaß gefunden hat (vgl. Adornos Hegel-Aufsatz). Heute ist von der List der Vernunft nur die List noch übriggeblieben, der reine Dezisionismus. Nicht zufällig taucht der gleiche Begriff der List auch im Rahmen der Hegelschen Theorie der Naturbeherrschung auf: als Prinzip der Technik; die gesellschaftliche Anwendung des Listbegriffs liegt auf der Hand (vgl. die List des Swinegels und Jürgen Ebachs Bemerkungen dazu, UuZ, S. 154).
    Die Sprachverwirrung beim Turmbau von Babel („und machen wir uns damit einem Namen“) wird beschrieben als die Folge eines Eingreifens Gottes, der herabstieg, „um sich Stadt und Turm anzusehen“ (Gen. 111ff).
    Erst in der transzendentalen Logik, durch die Einbindung des Objektbegriffs, wird die benennende Kraft des Begriffs, die im traditionellen Begriff des Begriffs noch drinsteckt, gelöscht. Die Geschichte der Philosophie läßt sich hiernach auch begreifen als eine sprachgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen Begriff und Namen, mit dem Ziel, den Namen zu neutralisieren (Kampf gegen die Magie, Ursprung des Personbegriffs). Die Verwirrung kommt herein durch die zentrale Funktion des Urteils (und dessen Bindung an den instrumentellen Sprachgebrauch). Die Umformung der Subjekt-Prädikat- in die Objekt-Begriff-Beziehung in der transzendentalen Logik Kants markiert den Punkt, an dem sich die Sprache endgültig von ihrer benennenden Kraft emanzipiert. Hier vollendet sich die Sprachverwirrung (der Turmbau von Babel). Oder: die Postmoderne beginnt mit Kant und Hegel. Hier gibt es einen zwangsläufigen Zusammenhang mit der Interpretation der Geschichte vom Sündenfall (die in der Tradition der Aufklärung und des deutschen Idealismus als die Geschichte der Menschwerdung begriffen wird) und mit der Neigung zum Antisemitismus.
    „Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß“: Gegen die Sprachverwirrung die Dinge zum Sprechen bringen (oder sie beim Namen nennen).
    War es vielleicht die beängstigend nahegerückte Gefahr des Wiederauflebens der Magie (nicht nur in Astrologie und Alchimie, sondern näher noch in der neuen Gestalt des Bekenntnisses: des Konfessionalismus), die dann ihr Sündenbock-Opfer in der Hexenverfolgung fand? – Namenszauber und Ursprung der Naturwissenschaften und des Nominalismus, des Objekts der kantischen Kritik? Ritualisierung des Lebens (pompöse Verkleidung: Perücke und Robe) zur Abwehr der andrängenden feindlichen Mächte (der Gewissensmächte: zweite Geburt der Person – Christentum als Gewissenskomfort – Höllensturz). Unausweichlichkeit der Melancholie und der barocken Hybris?
    Gewissen und Über-Ich: das Gewissen lebt von der Erinnerungsarbeit, von der Fähigkeit, die Vergangenheit zur benennen (Name, Scham und Schuld), das Über-Ich ist die verinnerlichte, instrumentalisierte Gestalt der falschen Versöhnung, gehört zur Geschichte des Begriffs.
    Ich glaube, man muß heute die tiefe Ambivalenz in der Geschichte der Aufforderung an Petrus: „Schlachte und iß!“ (in der Apostelgeschichte) begreifen, um die ganze Tragweite der Entscheidung zur Heidenmission (die mit dem Namen des Petrus, der Kirche, untrennbar verbunden ist; die Auseinandersetzung mit Paulus, in der Petrus die andere Seite vertritt, macht das Gewicht der Entscheidung noch deutlicher) zu begreifen.
    Unsere Theologie hat die Gottesfurcht durch die Furcht des Herrn ersetzt (Ursprung und Geschichte der Herrenbegriffs, des Kyrios-Begriffs).
    Der Staat oder die installierte Sünde wider den Heiligen Geist.
    Einer der Nebeneffekte des Bekenntnissysndroms ist die Gesinnungsethik, bei der in der Regel übersehen wird, daß die „Ge-sinnung“ gerade nicht das Innerste des Menschen bezeichnet, sondern nur das, was der Gesinnte gerne als sein Innerstes nach außen demonstrieren möchte: Der demonstrative (durch den Exkulpationswunsch bestimmte) Grundzug, den die Gesinnung mit dem Bekenntnis gemeinsam hat, ist unverkennbar; er verweist zugleich darauf, daß ohne Ausnahme jede Gesinnung von außen induziert ist (oder auch transplantiert, bei herabgesetzten Immunkräften): Ausdruck dessen, was David Riesman den „außengeleiteten Charakter“ genannt hat; man ist national „gesinnt“, aber einem Menschen, den man liebt, wohl „gesonnen“ (zu diesem Adjektiv gibt es bezeichnenderweise kein verdinglichendes, personalisierendes Substantiv; hierauf kann man niemanden festnageln). Von der Gesinnung (wie auch vom Zwangs-Bekenntnis) ist das Passive, das Unspontane und Unlebendige, das Selbst-Opfer und die dahinter lauernde Wut auf den, der nicht einstimmt, nicht abzuwaschen (es gibt keinen Nationalismus ohne Feinddenken). Jede Gesinnungsethik trägt ausgesprochen exkulpatorische Züge, sie ist ein Akt der Selbstfreisprechung, des reuelosen Sich Unschuldigfühlens, der direkt in den Wiederholungszwang hineinführt. (Begriff der Gesinnung bei Kant?)

  • 10.10.90

    In seiner Predigt vor der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz in Fulda vermißte Karl Lehmann die „dankbare Freude“, statt dessen werde „Trübsinn, Vergangenheitsbeschwörung und gottferne Skepsis gepflegt“ (FR vom 26.09.90). Karl Lehmann auf J. Ebachs Interpretation der Geschichte von Lots Weib hinweisen? Der Begriff „Vergangenheitsbeschwörung“ zusammen mit dem Hinweis auf „Trübsinn“ und „gottesferne Skepsis“ macht die Verwirrung, die den deutschen Katholizismus heute beherrscht, (den Verdrängungsprozeß und die Verblendung, unter denen die Kirche heute leidet) mit einem Schlage sichtbar.

    Die Verwendung des Begriffs „Vergangenheitsbeschwörung“ läßt sich nur durch einen vollständigen Mangel an Gottesfurcht erklären.

    Die Todesstrafe wurde abgeschafft, als die Menschen nicht mehr an die Hölle glaubten. Dafür wurde dann die lebenslängliche Haftstrafe eingeführt und entsprechend ausgestaltet. Die Abschaffung der Todesstrafe war außerdem überdeterminiert, da nach Auschwitz zu viele das Risiko zu fürchten hatten.

    Das Gefängnis ist heute der Ort, an dem Menschen zu qualitätsloser Materie fertiggemacht werden. Es mußte einfach in der Industriegesellschaft einen Ort geben, der noch schlimmer war als die Fabrik. Das wirft ein Licht auf die Argumente der allgemeinen Niedertracht: „Denen geht’s ja viel zu gut“.

    Zu dem Prinzip „man darf alles tun, sich nur nicht erwischen lassen“: Das Prinzip ist erweiterungsfähig: Jede Gemeinheit ist zulässig, solange sie nicht ausdrücklich rechtlich untersagt ist; und Gemeinheit ist nicht justiziabel. Nach diesem Prinzip verfährt heute ein nicht unerheblicher Teil sowohl der Medien (von BILD bis FAZ) als auch unserer Justiz (von den Ermittlungsbehörden über unsere Gerichte bis zu den Aufsichtsorganen in den Strafanstalten).

    Das Gewaltmonopol des Staates drückt sich mittlerweile in den Folgen der Komplizenschaft einer Gemeinheit aus, die bewirkt, daß fast alles erlaubt ist, weil nichts mehr nachweisbar ist. Darin überlebt auf eine perfektionierte und gewitzte Weise Auschwitz.

    Im übrigen wurde Auschwitz vorbereitet in den kirchlichen Höllenpredigten (der Schule der Gemeinheit).

    Zum Problem des Selbstmitleids: Nach Walter Benjamin ist der Kleinbürger Teufel und arme Seele zugleich, arme Seele für sich und Teufel für die andern. Heute gibt es hierzu keine Ausnahme mehr, heute sind alle Kleinbürger. Genau darin liegt die ungeheure Gefahr und die Gewalt des Selbstmitleids. Vgl. hierzu Edgar Morins Antwort auf die Frage, warum die Menschen im Kino weinen.

    Im Übrigen ließe sich die Hölle sehr gut als Kino vorstellen, nur daß in der Hölle die Verdrängung entfällt, das reale Bewußtsein der Situation hinzukommt. Diese Situation ist heute durch das Fernsehen individualisiert und privatisiert worden.

    Naturkonstanten wie z.B. Masse und Ladung des Elektrons verweisen allesamt auf strukturelle Gegebenheiten, nicht auf Dingeigenschaften. Wer das verwechselt, ist potentieller Antisemit.

    Mir scheint, in der Auseinandersetzung mit der Postmoderne in Frankreich wird die mißlungene Auseinandersetzung mit dem Positivismus wie unter einem Wiederholungszwang nochmals mißlingend wiederholt. Die Leute wollen sich einfach die „Dinge“ nicht aus dem Kopf und aus der Hand schlagen lassen, weil sie fürchten, dabei sich selbst zu verlieren.

    Wären Menschen, die vor zweieinhalb Tausend Jahren Propheten wurden, heute vielleicht schizophren? Und säße Ezechiel heute in der Anstalt eines Landeswohlfahrtsverbandes?

    Zum Problem „Insektenforscher“: Der Begriff erweckt den Eindruck, als sollten Probleme der Kirche und der Hierarchie ohne Emotionen untersucht werden. Das ist nicht ganz korrekt: Affekte sind sehr wohl angemessen und notwendig; ich würde sagen: wenn es sein muß mit Zorn, aber ohne Empörung (beide unterscheiden sich durch ihre Richtung: der Zorn geht zur Sache, die Empörung gegen Personen).

    Zum Bruch zwischen der Vätertheologie und der Scholastik: Vätertheologie und Dogmenentwicklung als Anpassung der Theologie an die Welt, als der Versuch, sich als Kirche in der Welt einzurichten; war möglich, weil ihm ein philosophischer Weltbegriff (Begriff des Kosmos) entgegenkam. Dieser Weltbegriff, den Spengler mit dem Begriff der arabischen Kultur zu fassen versucht hat, mußte untergehen, ehe die dann weitergehenden Konsequenzen daraus gezogen werden konnten. Theologie mußte mit einem neuen Weltbegriff verbunden werden, der aus der Theologie zu entwickeln war: Das ist die Leistung der wissenschaftlichen Diskussion seit den Anfängen der Scholastik (Entwicklung des instrumentalisierten Begriffs).

    Theologie als Geschichte der Auseinandersetzung mit der Philosophie (mit dem Herrendenken, dem die Theologie mit der Rezeption der Philosophie dann selbst verfallen ist).

    Karl Thieme hat einmal die Geschichte des Schiffsbruchs vor Malta eschatologisch interpretiert: als Typos der Rettung der Völkerwelt (mit Ausnahme des einen Volkes, dessen Rettung nicht Sache der Kirche ist) bei gleichzeitigem Untergang des Schiffes (der Kirche). Er hat einen Punkt dabei übersehen: das Schiff ist infolge eines Sturms untergegangen (durch den Geist). – Vgl. auch die Geschichte mit der Natter (Paulus wird von der Natter gebissen, stirbt aber nicht, sondern überlebt, nachdem er sie ins Feuer geworfen hat: verniedlichter Höllensturz des Drachen).

    Heidegger war der Sache ganz nahe: Sein „Gestell“ ist in Wirklichkeit das Gericht.

    Die „Summa contra gentiles“ war der Weg, über den der Islam in das Christentum eingedrungen ist. Nach der Hellenisierung und Islamisierung wäre heute die Judaisierung des Christentums an der Reihe.

    Drückt in der kirchlichen Kampagne gegen die Abtreibung vielleicht doch ein Stück Projektion sich aus. Wird hier nicht etwas angegriffen, dessen man sich selbst schuldig fühlt: der Abtreibung der Wahrheit (durch deren Instrumentalisierung im Interesse des Herrendenkens).

    Eine Philosophie des Namens müßte die ganze Spannbreite des Sprachgebrauchs abdecken: vom „das ist in unserem Namen geschehen“ bis zum „die Dinge beim Namen nennen“.

    – Im Bereich des Namens gibt es keine Subsumtionsbeziehungen.

    – Im Namen ist die Trennung von Begriff und Objekt aufgehoben.

    – Das Sein ist der Annihilationspunkt des Namens, der Punkt, an dem der Name in den Begriff umschlägt, die Subsumtionslogik, das Herrendenken beginnt (Quellpunkt des Begriffs).

    – Rührt das emphatische, das gleichsam theologische Verständnis der Ontologie her vom ontologischen Gottesbeweis?

    – Nicht das Eine oder die Einheit, sondern der Eine ist ein Gottesname.

    Adams Namengebung der Tiere verweist auf den Zusammenhang von Benennung, gegenständlicher Erkenntnis, die „katastrophische“ Genesis der Tiere (DdA) und den Zusammenhang mit den apokalyptischen Tieren (den singulären Chaosmächten: den falschen Umschlag des „Begriffs“ als absoluter Begriff in den Namen). – Hiob nochmal lesen: Behemoth und Leviathan; welche Bedeutung der Hinweis auf diese Tiere an dieser Stelle hat: Begründung der Gottesfurcht? – Zusammenhang mit der Erschaffung Evas (Namengebung der Tiere vorher), der Geschlechtertrennung und dem Auftrag zur Naturbeherrschung, sowie mit dem Baum der Erkenntnis (Erkenntnis des Guten und Bösen).

    Merkwürdige grammatische Beziehung: Die Erhebung in die Allgemeinheit verwandelt ein Maskulinum in ein Femininum. Jede -heit und -keit ist feminin, jeder -ismus ist maskulin. Oder auch: der Logos, aber die Ontologie, Theologie, Geologie etc. – Gattung und Art sind feminin (im Deutschen, aber genus und species?), das Individuum ist neutrum.

    Die Raumkontraktion und die Zeitdilatation beschreiben genau den Punkt, an dem die die sinnliche Welt in die physikalische umkippt: die Grenze zum Objekt. Man muß den prozessualen Vorgang nur rückwärts lesen.

    Das Ätherproblem ist mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gelöst worden: Es ist das Problem der inneren Grenze des Inertialsystems.

    Die Tatsachenwelt ist in der Tat eine: Die Welt ist ein Produkt des Tuns; in der Konstruktion der Welt steckt das Tun der Menschen, der Gesellschaft: der Staat. Durch dieses Tun sind die Menschen, ist die Gesellschaft mit in den Schuldzusammenhang verflochten. Und auf dieses Tun müßte sich heute die Gewissenserforschung richten, deren Resultat eine neu begründete Theologie wäre. Der Inbegriff dieses Gewissens ist die jüdisch-christliche Tradition, die der Antisemitismus (im Auftrag der Welt) aus der Welt schaffen wollte. Wenn die Beichte heute den wirklichen Problemen in Deutschland (nach Auschwitz) überhaupt nicht mehr angemessen ist, dann hängt das damit zusammen. Der eigentliche Gegenstand der Beichte wäre das Erbe der Philosophie.

    Ist der (kultische) Opferbegriff dem Kreuzestod Jesu angemessen? Wo und von wem wurde zum erstenmal der Opferbegriff hierauf angewandt? Und wie war hier der Opferbegriff gemeint, real oder symbolisch (als Teil der Aufhebung des Opfers)?

    Was bedeutet die „Erhöhung des Herrn“, und zusammen damit das „Sitzen zur Rechten Gottes“: Die Rechte ist die Seite der Gnade, des Erbarmens (aber von hinten ist sie die Linke, die Seite der Strenge, des Gerichts – Bedeutung der Umkehr!). Wie verhält es sich mit dem Wort: „…, der ißt und trinkt sich das Gericht“? Hat nicht die Mysterientheologie durch den Zusammenhang, in den sie die sakramentale, mystische Teilhabe der Gläubigen an der Erhöhung des Herrn rückt, diese Erhöhung zur Hypostase des Gerichts gemacht?

    „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Dieses Wort Jesu verweist darauf, daß die Wahrheit nicht nur gegenständlich ist, sondern auch subjekthaft (wer das Subjekt in der Wahrheit durchstreicht, streicht die Wahrheit durch.)

    Vielleicht stimmt es, daß die Beziehung der Juden zu Gott unmittelbar ist (F. Rosenzweig), die der Christen ist es nicht. Hier bedarf es – auch im Sinne der Mysterientheologie – des Durchgangs durch den Tod. Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ hält davon die letzte und allerabstrakteste Erinnerung fest, oder auch die letzte Erinnerung des islamischen Verständnisses des Martyriums als Tod im Heiligen Krieg. Auch bei Heidegger ist ja das „Vorlaufen in den Tod“ Teil des heroischen Gestus seiner Philosophie. (Anzumerken ist: Der Islam hat den Heiligen Krieg gepredigt, das Abendland hat ihn – zuletzt im sogenannten „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war – aufs fürchterlichste praktiziert.)

    Der Zusanmmenhang von Objektivation und Instrumentalisierung (Vorhandenheit und Zuhandenheit bei Heidegger) verweist auf einen absoluten Vorrang des dreidimensionalen Raumes.

    Hegels Offenbarungsbegriff bezieht sich auf die Konstantinische Wende (das Ergebnis des Dogmatisierungsprozesses: das Christentum als Staatsreligion), nicht auf das Leben und die Taten und Leiden Jesu. Nicht zuletzt deshalb erscheinen auch bei Hegel die antijüdischen Vorurteile, die zu den Voraussetzungen und Folgen der Konstantinischen Wende gehören.

    Die Wirkung des Bekenntnissyndroms auf den Bekenntnisinhalt kann man daran erkennen, daß das Symbolum das Leben und die Lehre Jesu nicht erwähnt. Jesus ist nur geboren, gestorben und auferstanden; was dazwischen liegt, wird verschwiegen und ist auch im Rahmen des Bekenntnisses wohl nicht faßbar. Die Hegelsche Philosophie hingegen bezieht ihre ganze Stringenz aus diesem Bekenntnissystem; das Bekenntnis ist sozusagen die nicht mehr reflektierte Grundlage der Hegelschen Philosophie. Und die Bekenntnis-Theologie ist zum Inbegriff eines verworfenen, hoffnungslosen Glaubens geworden.

    Zu Dezisionismus und Bekenntnis: Die Ontologie ist nicht nur dezisionistisch, sondern auch Bekenntnis-Ontologie. Durch das Bekenntnis ist mit der Philosophie das dezisionistische Moment in die Theologie hereingekommen, und das war die Grundlage der Trinitätslehre und der Lehre von der Göttlichkeit Jesu im Sinne einer (nicht ewigen, sondern) überzeitlichen Göttlichkeit. Dieser Dezisionismus oder das Bekenntnis haben die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen ermöglicht. (Zum Begriff des Ewigen vgl. auch Rosenzweigs Aufsatz.) Überzeitlich ist der Staat (der Begriff), ewig ist der Gegenstand der Theologie (der Name).

    Wer sich mit dem Staat befaßt, wird den Staatsanwalt nicht vermeiden können.

    Jede Architektur ist ontologische und Bekenntnisarchitektur.

    Die Terroristen sind der Nachfolge Christi näher als die elitären Mysterientheologen.

    Zum Eckstein, den die Bauleute verworfen haben: Heute geht es nicht mehr nur um den Eckstein; sondern die Materialien, aus denen die Theologie zu erbauen wäre, bestehen nur noch aus den verworfenen Materialien, aus Ruinen. Zuerst ist die Betondecke zu zertrümmern, die die Ruinen der Geschichte zudeckt.

    Zu den Ursprungsbedingungen des pathologisch guten Gewissens gehören auch die historischen Verdrängungsprozesse, insbesondere jene die mit der Ursprungsgeschichte der modernen Aufklärung, vor allem der modernen Naturwissenschaften zusammenhängen. Erst wenn es gelingt, die Tathandlung, die die Naturwissenschaften ins Leben gerufen hat, und deren Folgen in der Welt selbst zu begreifen, erst dann gelingt es auch, jene Verdrängungsblockade aufzuheben.

    Modell für die Neutralisierung durch Erkenntnis ist das „pecunia non olet“. Deshalb wird man nicht umhin können, in der Vergangenheit „herumzuschnüffeln“.

    Es gibt zwei Formen der Entstehung von Vergangenheit. Die eine ist die historische: Mit jedem Tag vermehrt sich die Vergangenheit (die dann hinter uns liegt). Die zweite ist die natürliche (die auf uns lastet): sie ist gegenläufig zur historischen.

    Gefühl des Schwindels, wenn der Boden des Herrendenkens unter den Füßen weggezogen wird (Adorno): Die Kritik des Dings trifft auch das Subjekt zentral (in seinem blinden Fleck).

    Die Wahrheit ist antisystematisch, systemkritisch. Wenn sie trotzdem selbst systematische Züge trägt, rührt das her aus der Kritik des Herrschaftssystems, dessen Strukturen sich verkehrt in der Wahrheit abbilden. Darin liegt die unermeßliche Bedeutung der Hegelschen Philosophie.

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