Powers

  • 19.3.1997

    Wie hängt die Verdrängung des Vergangenen mit der Exkulpationsautomatik der subjektiven Formen der Anschauung (des Inertialsystems) zusammen? Die Leugnung der Asymmetrie begründet die Gewalt des Todes, definiert die Todesgrenze. Die Verführungskraft der Sprache steckt u.a. in den Adjektiven.
    Zum letzten Abschnitt in „Heisenbergs Krieg“: Liegt nicht das Problem Heisenberg auf einer anderen Ebene, kommen nicht Goudsmit und Bush der Sache näher, wenn sie auf das „Stümperhafte“, auf das deutsche Organisationsgesetz, auf die Struktur des ganzen Apparats verweisen? Liegt das Problem nicht einer Struktur, die heute auf anderer Stufe wiederkehrt: in den in dieser Struktur liegenden Verführungen zur Verantwortungslosigkeit, die vom deutschen Nationalismus (der heute auch formell „die Welt“, „das Ausland“, zum Vorbild und zum Maß seines Handelns nimmt) nicht zu trennen zu sein scheint. Wichtig sind nicht die Ziele, die man anstrebt, sondern wichtig allein ist der Schein, den das Handeln nach außen erzeugt, sind die Exkulpations- und Rechtfertigungsmechanismen, die das Handeln beherrschen; wichtig ist in einer Welt, in der alle ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut, die Entlastung, das Streben, nicht verantwortlich gemacht werden zu können, ein, wie es scheint, insbesondere in Deutschland zentrales handlungslogisches System (Habermas‘ Begriff des „kommunikativen Handelns“ zielt auf die Explikation dieser Handlungslogik). Diese Entlastung ist eines der seine Verführungsgewalt begründenden Effekte des Nationalismus. Wichtig sind die Rechtfertigungs- und Exkulpationsmechanismen, die der Nationalismus (wie die Bekenntnislogik, die ihm zugrundeliegt) bereitstellt. Der Nationalismus macht die Welt zum Subjekt, das Subjekt zum (tendentiell paranoiden) Objekt dieser Welt. Das „reinste Gewissen der Welt“ (Heisenberg) ist das gewissenlose Gewissen. Es gehört in den gleichen logischen Zusammenhang wie das „Am deutschen Wesen muß die Welt genesen“ und der wilhelminische Begriff der „Weltgeltung“ (der übrigens auch der Name einer deutschen Zündholzmarke war). Die Fixierung aufs Ausland nach dem Kriege, deren Angelpunkt der Begriff der Kollektivscham war, war eigentlich nur die genaue Umkehrung der nationalsozialistischen Feindbild-orientierten Eroberungspolitik, die seit je das dem Feind unterstellte Handeln zur Norm des eigenen Handelns gemacht hat, den Feind als Alibi für die eigene politisch-moralische Enthemmung gebraucht hat.
    Rekonstruktion der Logik des Geldes: Wie hängt die „Globalisierung“ (das Ende der Nationalökonomie und die Vorherrschaft der Betriebswirtschaft) mit dem Ursprung – des Handels im Fernhandel (gemeinsamer Ursprung von Ware und Sklaven), – der Geld- und Tempelwirtschaft in der den unterworfenen Völkern auferlegten Tributzahlung und – des Instituts der Schuldknechtschaft zusammen? Die Freisetzung der Marktgesetze vollendet die Geschichte der Gewalt, die mit dem Ursprung des Staates sich entfaltet und am Ende den Staat von innen zerstört. Das Geld hat die Vorstellung des unendlichen Raumes, in dem seine Logik sich spiegelt, begründet und stabilisiert.

  • 16.3.1997

    Das Private und das Öffentliche sind die beiden Brennpunkte der elliptischen Wege des Irrtums.
    Meint Thomas Powers wirklich, es handle sich um bloß mangelnde Sensibilität, wenn Heisenberg niederländische Physiker nach seinem Besuch in den Niederlanden im Oktober 1943 in einem offiziellen Bericht an den damaligen Reichserziehungsminister und wenige Monate später zusätzlich bei den deutschen Besatzungsbehörden in Holland denunziert (Heisenbergs Krieg, S. 452)?
    Macht diese „Unsensibilität“ nicht, was Goldhagen den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen nannte, verständlich: den Rachetrieb der Empfindlichen? Bei Thomas Powers kann man die Verstrickungen der Physik (paradigmatisch der „Kopenhagener Schule“) in die Katastrophen dieses Jahrhunderts studieren. Die SS hatte Nils Bohr liquidieren lassen wollen, die amerikanischen Geheimdienste Heisenberg.
    Der Dingbegriff ist das Produkt der Instrumentalisierung (die der Ziele anderer als Mittel sich bedient). Das Feuer ist ein Reflex (die Rückseite?) der Instrumentalisierung (als Werkzeuge erfunden wurden, wurde auch das Feuer entdeckt).
    In die RAF kann ich mich insoweit hineinversetzen, als sie von der Erfahrung geprägt war und davon ausgehen mußte, daß das, was sie tat, nur Wut provozieren konnte. Allein die Präventivwut der RAF ist mir unverständlich (daß sie mit dem Kollektiv der Wütenden sich gemein gemacht hat, in das Kontinuum der Wut sich hat hereinziehen lassen). Diese Präventivwut hat dazu beigetragen, die Wut der anderen Seite zu legitimieren. So ist heute die Wut zum alles beherrschenden Klima geworden. Es gibt keine Wut, die nicht kollektive Züge trägt, die nicht der Absicherung durch andere bedarf. Wut ist die Substanz der Bekenntnislogik. Empörung ist ein Wutventil, in der sie sich selbst genießt; Empörung verstärkt die Wut.
    Der Ansatz zur Lösung des Problems des Lichts liegt in der Feststellung, daß die physikalische Richtung des Lichts seiner sinnlichen Richtung (der Richtung des Blicks) exakt entgegengesetzt ist. Ist das Auge des Polyphem die erste Gestalt der subjektiven Form der äußeren Anschauung? Blick und Gegenblick bedürfen zweier Augen, der Blick des Einäugigen (der Blick Polyphems) ist seelenlos. Das wirkliche Sehen ist reflektierendes Sehen, es hat die Sprache in sich; die subjektive Form der äußeren Anschauung abstrahiert von dieser Reflexion, sie abstrahiert von der Sprache. (Was ist mit den Augen von Sabine Christiansen und Ulrich Wickert?)
    Neoliberalismus: Was hat es mit den noctium phantasmata, den Schreckbildern der Nacht (Vesper-Hymnus), auf sich. Sind nicht die schlimmsten Schreckbilder der Nacht die, deren Urheber sie selber nicht mehr wahrnehmen, weil sie sie auf die Andern verschieben?

  • 6.3.1997

    Thomas Powers „Heisenbergs Krieg“ ist in Wirklichkeit Heisenbergs Legende: Es ist schon erstaunlich, wie dreist der Nationalismus Heisenbergs (und der Antisemitismus E. v. Weizsäckers) heruntergespielt wird, so als sei es normal, angesichts der Vertreibung der jüdischen Kollegen, des Kriegs und des Genozids nationalgesinnt zu sein, und als sei es verständlich, wenn Heisenberg den Anstand im faschistischen Deutschland erst in dem Augenblick als bedroht ansieht, als es um die eigene Karriere (um die Berufung auf den Lehrstuhl Sommerfelds in München) geht. Da sieht er selbst in dem Versuch, Himmler einzuschalten, noch kein Problem. Andererseits trägt Powers doch sehr dick auf, wenn er die Bemühungen in den USA, nach Hahns Entdeckung der Atomspaltung die Möglichkeiten einer militärischen Nutzung der Atomenergie auszuloten, als gierig und irrational beschreibt (und auf die Sensibilisierung der Emigranten, die Art und Ausmaß der Nazigefahren am eigenen Leibe erfahren haben, für eine mögliche deutsche Bedrohung nicht eingeht), während beispielsweise ein mindestens vergleichbarer Hinweis Weizsäckers an das Heereswaffenamt auch im unmittelbaren Anblick der Gefahr eines von Deutschland ausgehenden neuen Weltkrieges für ihn nur normal ist.
    So läßt sich denn auch die in der Tat unsägliche Rolle Philip Lenards und Johannes Starks und der „deutschen Physik“ als Alibi verwenden, um die wirkliche Beziehung der „seriösen“ deutschen Physiker wie Heisenberg und Weizsäcker, um von Pascual Jordan zu schweigen, zu Einstein nicht aufklären zu müssen. Dabei wäre es an der Zeit, einmal im Ernst zu untersuchen, welche ideologische Rolle die sogenannte „Kopenhagener Schule“ (die seit je Nils Bohr nur als Alibi benutzt hat) im faschistischen Deutschland (und in der Folgezeit) wirklich gespielt hat.
    Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ ist der fundamentale Einspruch gegen das Herrendenken. Den gleichen Sachverhalt hat Rosenzweig in seiner Kritik des All zu formulieren versucht. Es ist der Einspruch gegen einen Universalismus, für den die Totalität zur Verfügungsmasse geworden ist. Der Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ hält die Idee der Versöhnung bis ins Innere des Gedankens (und d.h. auch: bis in den Kern der Natur) offen. Die Idee einer Zukunft, die nicht unter die Vergangenheit subsumiert ist, ist anders nicht mehr zu halten.
    Kritik der Naturwissenschaft oder
    – der Seitenblick, in dem Natur als Natur überhaupt erst sich konstituiert, oder
    – Kritik der zukünftigen Vergangenheit oder
    – der asymmetrische Wahrheitsbegriff (Name und Begriff).
    Die kantische Frage, wie es möglich ist, daß Raum und Zeit als subjektive Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind, erstreckt sich heute auf Natur und Geschichte insgesamt.
    Der terminus ad quem der resurrectio naturae ist die Erkenntnis des Namens. Natur steht unterm Bann der Feindbildlogik. Deshalb gehörten zum Selbstverständnis des Hellenismus als Projektionsfolie die Barbaren.
    Die modernen Naturwissenschaften (deshalb ist der Begriff der naturwissenschaftlichen Erkenntnis emotional so hoch besetzt) haben die Idee der Erlösung und damit die Wurzel des Christentums selber angegriffen und säkularisiert. Bezieht sich das Wort „Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein“ auf dieses dem Begriff der naturwissenschaftlichen Erkenntnis innewohnende Problem? Steckt darin nicht die Lösung des Problems des zweiten Tags (zur Feste des Himmels fehlt der Satz „und er sah, daß es gut war“)?
    Die Kritik der Naturwissenschaften ist von dem Problem der Kritik der politischen Ökonomie und dem der Kritik der Bekenntnislogik nicht zu trennen. Verweisen die „Völker, Nationen und Sprachen“ in den Apokalypsen auf diese Konstellation (vgl. auch das Wort über Assur, Ägypten und Israel in Jes 1925)?
    Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist: Ist das Geld nicht ein „außenpolitisches“ Institut, ein Mittel der Tributerhebung, damit aus seiner eigenen Logik heraus ein kaiserliches Institut (Dareiken)?
    Kann es sein, daß die karolingische Münze, die als Beweis für die Existenz des karolingischen Reiches angesehen wird, als Schlußstein zu den Fälschungen gehört, die das mittelalterliche Imperium legitimieren sollten: daß sie „Falschgeld“ ist? War dieses Geld ein Instrument der Selbstbegründung der Reichsidee und des Kaisertums?
    Aus welcher Zeit stammt das Attribut „der Große“, auf wen wurde es angewandt (von Alexander über Karl bis zum preußischen Friedrich) und was drückte in diesem Attribut sich aus?
    Das Traumproblem in der Schrift scheint darauf hinzudeuten, daß der Joseph in den Evangelien vielleicht doch etwas mit dem gleichnamigen Sohn Israels etwas zu tun hat?

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