Psychoanalyse

  • 20.09.87

    Die Freudsche Psychoanalyse ist auf andere Weise, als ihr selbst bewußt war, an den Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gebunden: Das Problem, als dessen Lösung die Psychoanalyse sich begreift, ist kein unhistorisches und die Lösung ist nicht für alle Zeit gültig, sondern beide, Problem und Lösung, sind an einen bestimmten Stand der Aufklärung, genauer: der Stellung des Bewußtseins zur Objektivität, gebunden; und dieser Stand der Stellung des Bewußtseins zur Objektivität wird substantiell und entscheidend durch den Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis (durch den Stand der historischen Auseinandersetzung mit der Natur, von der die Naturwissenschaften ein Teil sind) bestimmt und geprägt. Nachzugehen wäre der Vermutung, daß die Psychoanalyse in ähnlicher Weise als eine Grenzbestimmung der Naturwissenschaften sich begreifen läßt wie etwa die spezielle Relativitätstheorie. Das hätte freilich Konsequenzen, die weit über eine Ortsbestimmung der Psychoanalyse hinausgehen.

    Die Physik spaltet die Welt auf in das Produkt theoretischer Konstruktion (= Material und Instrument technischer Naturbeherrschung) und in das Chaos des Gegebenen, das Reich der Qualitäten und Empfindungen, das aus sich selbst nicht mehr verständlich, somit irrational ist. Psychoanalyse und spezielle Relativitätstheorie sind an den Grenzen dieses abgespaltenen Reichs angesiedelt.

  • 27.02.88

    Kann es sein, daß mit dem Verschwinden der Gottesidee (die im übrigen lange vor dem Verschwinden des manifesten Gottesglaubens einsetzt) etwas in der Struktur des Subjekts derart sich verändert, daß auch die Anwendung der Psychoanalyse davon berührt wird? Verschwindet nicht zugleich auch der Ödipuskomplex; und zwar in der Folge von Änderungen in der Ich-Struktur, die die Relation von Neurose und Psychose im Kern verändert haben? Sind diese Änderungen u.a. Grund dafür, daß in der Schizophrenie-Forschung heute Therapie-Möglichkeiten entdeckt werden können, die es vor achtzig Jahren einfach noch nicht gab? Ist m.a.W. die Normalität heute der Psychose näher als die Neurose? Ist der Faschismus historisch erkennbar geworden? (Vgl. hierzu nochmals Theweleits „Männerphantasien“).

    Die Narzißmus-Diskussion scheint den gleichen Sachverhalt als Anlaß gehabt zu haben: Eine Theorie der Gesellschaft, die aus dem Stand der Naturbeherrschung (dem Erkenntnisstand der Naturwissenschaften) zu entwickeln wäre, müßte das Problem auflösen können. Der Feminismus ist ein ebenso begründeter wie ohnmächtiger Protest gegen diesen gegenwärtigen Weltzustand.

  • 29.1.1997

    Wenn Schuld nicht nur ein subjektives Gefühl, sondern etwas Objektives Ist, dann ist die Psychoanalyse keine psychologische, sondern eine logische Theorie, dann verweist der Ödipuskomplex nicht nur auf eine innerfamiliäre Konstellation, sondern auf einen historisch-gesellschaftlichen Sachverhalt.
    Der Name des Menschensohns rührt an diesen Sachverhalt: Er ist antitotemistisch und zugleich nichtödipal, er zielt auf die Aufhebung der „Sünde der Welt“, der Sünde Adams, die der Menschensohn „auf sich nimmt“ („Nicht Adam, sondern jeder Mensch ist der Adam seiner eigenen Seele“ – Apokalyptik, S. 184). Die Apokalypse ist das jüdische Korrelat und die Selbstreflexion des Ödipus-Komplexes (das Licht im dunklen Innern des Ödipus-Komplexes).
    Als Sohn Gottes spricht Jesus in der ersten Person, als Menschensohn in der dritten. Und den entscheidenden Satz über ihn sagt der Täufer, den sagt er nicht selbst: Seht das Lamm Gottes … (zum agnus dei haben ihn die anderen, hat ihn die Welt gemacht; zum Menschensohn gehört das Wort: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …, dazu gehört auch das andere Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern).
    Das völlige Unverständnis der Apokalypse läßt sich an dem Text auf S. 184 (aus Robert Harvey Charles: Prophetie und Apokalyptik) aufzeigen:
    „Es gibt zahlreiche andere Abschnitte, die die moralische Tiefe und Innerlichkeit dieser Literatur zeigen. Kein Lehrer christlicher Ethik könnte einem besiegten Rivalen einen edleren Rat geben als diesen: ‚Hat einer mehr Glück als ihr, seid nicht betrübt, sondern betet für ihn, damit er vollkommenes Glück erlange‘ (Test. Gad VII, 1); oder ‚Und wenn euch jemand Böses zufügen will, so betet ihr durch Gutestun für ihn, und ihr werdet von allem Bösen vom Herrn befreit werden‘ (Test. Jos. XVIII, 2); oder: ‚Denn der Fromme erbarmt sich über den Schmähenden und schweigt‘ (Test. Benj. v, 4).“
    Hier sind die fürchterlichen Folgen eines Universalismus, der den apokalyptischen Grundgedanken der Asymmetrie, der Differenz zwischen Imperativ und Indikativ, zwischen dem Gebot, das an mich ergeht, und dem Urteil, das ich über andere fälle, nicht begriffen hat, mit Händen zu greifen: die Verwandlung der Moral in den Zynismus des Siegers, der den Besiegten Moral lehren will: Hier liegt der Kern des antisemitischen Vorurteils mitten in der Theologie. Die moralische Autorität, die hier für den „Lehrer der christlichen Ethik“ in Anspruch genommen wird, zerspringt unter dem Gesetz der Asymmetrie.
    Was hat die Psychoanalyse mit dem Problem des apagogischen Beweises (dem Problem der Beweisumkehr) zu tun?
    Der Traum des Nebukadnezar: Ist das nicht der Traum, den die Herrschenden vergessen haben, während die Beherrschten ihn an ihrem eigenen Leib erfahren?
    Kopernikus hat die Tat des Alexander vollendet: Er hat den Knoten, der zu lösen wäre, endgültig zerschlagen.
    Der Satz „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen“ verweist auf eine Grenze, die außerhalb der Theologie nicht zu erkennen ist: die Grenze zwischen Gebot und Urteil.
    Mit dem Problem des Imperativs, der Asymmetrie, der Unumkehrbarkeit der Beziehung von Subjekt und Prädikat hängt es zusammen, wenn biblische Erzählungen niemals exemplarisch, niemals im Sinne des Vorbilds verstanden werden können. Auch das Vorbild fällt unters Bilderverbot. Die Nachfolge gilt dem Namen.
    Et verbum caro factum est: Heißt das nicht auch, daß es einen Sprachleib gibt?
    Haben die vier Winde bei Daniel etwas mit den vier apokalyptischen Reitern zu tun?
    Verhalten sich nicht Natur und Welt wie die beiden Sätze aus dem Schöpfungsbericht: „Die Erde aber war wüst und leer“, und „Finsternis lag über dem Abgrund“? Vgl. hierzu die biblischen Texte über das Licht und Finsternis („Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“, „Ihr seid das Licht der Welt“).
    Hegel fällt unter den Satz „Laß die Toten ihre Toten begraben“.

  • 1.11.1996

    Hat die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel nicht nur auslegen, sondern zuvor selber erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn vergessen hat, nicht etwas mit den versteinerten Verhältnissen (in denen das subjektive „Gewinnstreben“ vom objektiven Rentabilitätsprinzip abgelöst worden ist) zu tun?
    Das Hebräische kennt zwar keinen Dativ, und d.h. kein Absolutes (und nur in dessen Kontext gibt es das „Gegebene“, auch einen Gott, den „es gibt“) wohl aber einen Stamm, ein Land und Menschen mit dem Namen Juda, von dem die „Juden“ ihren Namen haben. Juda aber heißt Dank. Israel kennt keinen Gott, der gibt, auch keinen Gott, den es gibt, nur den einen Gott, der fordert. Israel kennt keinen „lieben Gott“ und auch keinen „Herrgott“.
    Dativ: Sind das transzendentale Subjekt, die Idee des Absoluten und der Staat durch den Dativ vermittelt? Hat der Dativ den Genitiv reversibel gemacht (und so das Neutrum begründet)? War der Dativ der Kristallisationskorn der veränderten Konjugationsformen (der Repräsentant des Seitenblicks und der Katalysator der Vergegenständlichung der Zeit)? Bezeichnet der Dativ die Grenze zwischen Welt und Natur (nach ihrer Trennung durch die Urteilsform)? Ist der Dativ der Kern der hypostasierenden und verdinglichenden Gewalt in der Sprache (Ursprung des Substantivs, Denkmal und Spur des verschwundenen Namens)?
    Sind die Wege des Irrtums (auf die der Jakobusbrief verweist) nicht vorgezeichnet im Staat (in der Idee des Absoluten, die im Staat sich verkörpert: der Staatsanwalt ist der Anwalt dieses Absoluten, das nicht Gott ist, sondern der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft)?
    Wenn Pferde scheuen, wenn sie durch eine Pfütze gehen sollen, hat das vielleicht etwas mit der Erinnerung an das Schilfmeer zu tun?
    Feuer und Rasse: Sind Pferde das säkularisierte Feuer aus dem Namen des Himmels (das Modell jedes Rassismus), rührt daher nicht ihre Stellung in den Apokalypsen? Ist Reiten der Versuch, das Feuer zu domestizieren? War in St. Peter die Figut eines reitenden Papstes? Es gab sehr wohl (und das mehrfach) Pferde, die dem Wasser sich entrangen, aus ihm emporstiegen (ein, wie mir scheint, in dieser Gestalt sehr barockes und zugleich päpstlich-kirchliches Symbol). Die Griechen kannten Zentauren und den Pegasus. Mohammed ist zu Pferd gen Himmel aufgefahren, aber wie war es mit dem Elias?
    Das Rind, dem das Joch auferlegt wird, frißt Gras (ebenso Behemoth und Nebukadnezar). Auch Hitler war Vegetarier, und Kain opferte die Früchte des Feldes.
    Liegt nicht der schärfste Einwand gegen die habermas’sche Kommunikationstheorie in der Frage, ob ein herrschaftsfreier Diskurs überhaupt möglich ist? Wenn er möglich ist, dann nur im Zusammenhang der Reflexion von Herrschaft (der Auflösung der verblendenden Gewalt des Herrendenkens). Auch hier gilt der Satz, daß, wer nicht in den Angeklagten (ins Objekt, in die, die unten sind: in die Armen und die Fremden) sich hineinzuversetzen vermag, nicht mehr fähig sei, gerecht zu urteilen. Ein gerechtes Urteil wäre eins, in dem der Angeklagte (das durch den Akkusativ vermittelte Objekt) sich wiederzuerkennen vermag. Dem hat das positivistische Rechtsverständnis, eine Art zu richten, die den kantischen Unterschied zwischen bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht mehr kennt, den Boden entzogen. Diese Konstellation ist vorgebildet und beim Namen genannt im deutschen Titel des Staatsanwalts.
    Der Verfassungspatriotismus macht die Verfassung zu dem, was sie ihrer eigenen Intention zufolge nicht sein darf: zu einem puren Bekenntnis. Man könnte sagen: Seit es den Verfassungpatriotismus gibt (den Radikalen-Erlaß und das Bekenntnis zur FdGO), ist die Verfassung zu einem Schutz der Verfassung vor sich selber, zu einer Waffe gegen ihre eigenen Grundsätze, geworden. Das Bekenntnis zu einer Sache destruiert ihren imperativen Gehalt. Seitdem gibt es die ebenso folgenlosen wie verhängnisvollen „Werte“, das Ferment der Selbstzersetzung der Moral.
    Es gibt nur einen Fall, in dem ein Jahrzente überdauerndes folgenloses Bekennen dann doch zu einer Art Realisierung führte: den der Deutschen Einheit, die sich einmal als Fall erweisen wird. Seitdem gilt Kohl, der seit je alle Probleme durch Aussitzen erledigte, als großer Staatsmann. Und seitdem beginnt eine ganze Nation, ihre Probleme nur noch auszusitzen. Dieser Arsch mag Ohren haben (mit denen er gleichwohl nichts mehr hört), er hat keine Augen mehr. Er ist nur noch auf sein Inneres gerichtet, und was er da wahrnimmt, ist Sch…
    Beitrag zur politischen Logik heute: Ist nicht die Logik des folgenlosen Bekennens und des dazugehörigen Aussitzens auch eine Gefahr für die politische Kritik, die von der Reflexion sich verabschiedet hat; gehören in den gleichen logischen Kontext nicht auch die Sitzblockaden (die dann ebenso akausal und aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß genommen haben, zu einem „Ergebnis“ geführt haben wie die „Wiedervereinigungspolitik“)? Waren diese Sitzblockaden nicht der genaueste Reflex des Aussitzens, dessen Logik auch keiner begriffen hat? Und gibt es schließlich nicht eine gesellschaftslogische Beziehung des Aussitzens und der Sitzblockaden zu den Formen der juristischen Bekämpfung des Terrorismus, die ebenso phantasie- und reflexionslos sind, insbesondere zur Logik der „Isolationshaft“ (zusammen mit den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, die, außer in einem antinomischen, in keinem rationalen Verhältnis zu dem juristisch an sich geforderten individuellen Nachweis der Beteiligung an den terroristischen Taten stehen)? Steht nicht die „Wiedervereinigungspolitik“ in der gleichen antinomischen Beziehung zu ihrem „Ergebnis“, das anderen Ursachen sich verdankt, wie die Sitzblockaden zum Abzug der Raketen und die Strafen in RAF-Prozessen zu den Beweisverfahren, auf deren Grundlage sie verhängt werden? Sind nicht die Demonstrationen und Sitzblockaden und die polizeilichen und juristischen Reaktionen darauf, die Isolationshaft und die mehrfachen lebenslänglichen Freiheitsstrafen, mit denen in diesem Lande der Terrorismus bekäpft wird, die Kehrseite der Politik des folgenlosen Bekennens und des Aussitzens, einer Politik der unschuldigen, sich selbst exkulpierenden Gewalt?
    Demonstrationen: die Wallfahrten des ritualisierten Widerstands.
    Findet die Beziehung der Politik der Bundesregierung zu ihrer kriminalpolitischen Durchsetzung nicht ihre erschreckende typologische Parallele in der Beziehung der Protagonisten der Deutschen Bischofskonferenz: in der Beziehung von Lehmann und Dyba? Verdiente der logische Zusammenhang des folgenlosen Bekennens mit dem gewalttätigen Aussitzen der Probleme (das innerkirchlich in der Fixierung auf die sexualmoralischen Themen sich anzeigt und an deren herrschaftslogischer Rekonstruktion sich demonstrieren ließe) nicht auch eine ernsthafte theologische Analyse?
    Hat nicht das Aussitzen mit der Sphäre zu tun, die in Psychoanalyse mit dem Analen näher bezeichnet wird? Hierher gehört sowohl die psychoanalytische Geldtheorie wie auch die Theorie der Paranoia.
    War nicht die Geschichte der ägyptischen Plagen und die der Verhärtung des Herzens Pharaos das genaueste symbolische Modell des Aussitzens? Der Pharao, zu dem diese Geschichte gehört, war der, der Joseph, die Ursprungsgeschichte seiner ökonomischen Macht, nicht mehr kannte.
    Hat der Vater Jesu, dieser andere Joseph, und zwar nicht nur durch seinen Namen, etwas mit dieser Ursprungsgeschichte von Herrschaft zu tun, und hängt die merkwürdige Rolle, in die die Väter in den Evangelien gerückt werden, nicht mit dieser Erinnerung zusammen? Hat nicht Jesus mit dem Gottesnamen Vater (mit dem er seinen eigenen messianischen Titel begründet) alle anderen Väter verdrängt?
    Reicht nicht das Beelzebub-Motiv vom Reich, das zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins wird, das sein apokalyptisches Echo in Off 1713.17 in der „einen Meinung“ findet, die die Könige, die von den zehn Hörnern des symbolisiert werden, charakterisiert, in den Kern des apokalyptischen Gedankens, der apokalyptischen Idee?
    Sind die Planeten das Rätselbild des darin versteckten und verwirrten Baums des Lebens?
    Gibt es nicht seit dem Ende des Nationalsozialismus eine fürchterliche Angst vor Schuldgefühlen, die die Menschen zur projektiven Verarbeitung aller Erfahrungen, die daran erinnern, zwingen? Der Nationalsozialismus hat noch in seinem Untergang ein Netz ausgeworfen, aus dem es kein Herauskommen mehr zu geben scheint. Mit diesem Netz fängt er selbst die noch ein, die glauben, sich als seine Gegner verstehen zu dürfen.
    Haben nicht die indoeuropäischen Sprachen eine eingebaute logische Schutzvorrichtung, die ihre Reflexion erschwert, wenn nicht unmöglich macht, und ein rassistisches Selbstverständnis der „Arier“ fast erzwingt?
    Ist der „Angriff auf den Rechtsstaat“, den Hubertus Janssen in diesem Gericht (im 5. Strafsenat des OLG Frankfurt) erkannte, nicht in der inneren Logik des Rechtsstaats selber begründet? Ist es nicht die Verwechslung von Recht und Moral, die das „gute Gewissen“, das das Recht erzeugt, tierisch macht (eine Verwechslung, die am Ende nur theologisch sich auflösen läßt)? Stammt nicht die exkulpierende Kraft jeder Empörung aus dem Bewußtsein des Rechts, aus dem sie sich herleitet? Der Heiligkeit des Rechts entspricht hierbei die Heiligkeit der Empörung (Heumann ist die reinste Verkörperung dieser „heiligen Empörung“, die zwangsläufig denunziatorisch ist).

  • 11.1.96

    Habermas hat mit dem Begriff der „objektiven Welt“, in dem er Natur und Ökonomie nicht mehr unterscheidet, und nachdem er die Naturwissenschaft aus dem Bereich der philosophischen Kritik herausgenommen hat, auch die Ökonomie der Kritik entzogen. Damit scheint es zusammenzuhängen, wenn er zwar eine Theorie der Argumentation zu etablieren versucht, hierbei jedoch hinter den Stand der hegelschen Reflexion der Dialektik des Grundes zurückfällt und insbesondere das Problem der Beweislogik nicht sieht, nicht erkennt. Die Entfaltung und Bestimmung des Problems der Beweislogik wäre die Basis einer Theorie der Argumentation (der Begründung).
    Hier verstellt Habermas sich selbst den Weg zur Erkenntnis der systematischen Bedeutung des Begriffs des Scheins in der hegelschen Logik (aber hätte nicht die Reflexion des Scheins seiner Theorie des kommunikativen Handelns die Grundlage entzogen?).
    Die Theorie des kommunikativen Handelns ließe als die letzte Gestalt der Säkularisation des Dogmas sich begreifen. Damit scheint die Wahlverwandtschaft, die insbesondere katholische Theologen zu Habermas zu verspüren scheinen, zusammenzuhängen.
    Kann es sein, daß Habermas‘ Begriff der Rationalisierung, der sprachlich auf eine produktive, das Objekt verändernde, nicht auf eine erkennende Tätigkeit verweist, seinen systematischen Grund in Adornos Begriff der Säkularisierung hat. Auch Adorno hatte, als er von der restlosen Säkularisierung aller theologischen Gehalte sprach, deren Selbstaufklärung gemeint, nicht jene Gestalt der Säkularisierung, als welche (im Kontext von Objektivierung und Instrumentalisierung) das Dogma sich begreifen läßt. Ähnlich scheint Habermas seinen Begriff der Rationalisierung verstehen zu wollen, wobei er von den Konnotationen absehen muß, die diesem Begriff z.B. durch die Psychoanalyse zugewachsen sind: Hier bezeichnet er die Rechtfertigung im Kontext von Abwehr und Verdrängung, das genaue Gegenteil der Selbstaufklärung. Verwischen sich in Habermas‘ Theorie nicht in der Tat die Grenzen zwischen Rechtfertigung und Begründung?
    Durch die universale Herrschaft des Kausalitätsprinzips, Pendant der Apriorisierung des Objektbegriffs, ist die Logik der Begründung, die Grundlage der Argumentation, vom Objekt getrennt worden, ist sie zu einem Instrument der Rechtfertigung geworden (Propaganda und Reklame sind Anwendungen der transzendentalen Logik der Rechtfertigung). Grund ist die Vertauschung des ex ante mit dem ex post: Die nachträgliche Begründung einer Handlung dient ihrer Rechtfertigung; die Antizipation dieser Rechtfertigung, die das eigene Tun in ein subjektunabhängiges, objektives und neutrales Geschehen verwandelt, gibt sich nur noch den Schein der Begründung, der darüber hinwegtäuscht, daß es in der verwalteten, durchrationalisierten Welt wirkliches Handeln nicht mehr gibt.
    Eine Begründung, die mehr sein will als eine antizipierte Rechtfertigung, setzt die Kritik einer Logik voraus, die insbesondere in den modernen Naturwissenschaften sich verkörpert, sie zielt auf eine Rationalität, die dem Bann der Rationalisierung entronnen ist.
    Zum Begriff der Herrschaft: Die Idee, daß Gerechtigkeit und Friede herrschen, unterscheidet sich von jedem Begriff einer Weltbeherrschung. Die erste Idee wird in die zweite transformiert, wenn Gerechtigkeit und Friede als Elemente einer Rechtsordnung sich bestimmen.
    Habermas verlegt den Ort der Differenz zwischen Wahrheit und Richtigkeit in die Grenze zwischen objektiver Erkenntnis und normativer Geltung. Er vergißt nur, daß Erkenntnis und Geltung sich nicht real so trennen lassen, sondern durch einander vermittelt sind, sich wechselseitig definieren. Jede objektive Erkenntnis erhebt den Anspruch der Geltung für andere, ist durch diesen Anspruch (der in der Kopula des Urteils sich ausdrückt) vermittelt.
    Tatsachen, res factae, sind durch Handeln geschaffene Sachen, deren Urheber die Welt, der Inbegriff der Intersubjektivität, ist. Das logisch-reale Organisationsprinzip der Welt aber ist der Staat.
    Nur Herrschaftskritik vermag die Theologie aus dem Bann einer Tradition zu befreien, in den sie durch ihre Verstrickung in den historischen Objektivationsprozeß geraten ist. Deshalb gehört zur Herrschaftskritik konstituv Erinnerungarbeit dazu. Mit dieser Erinnerungarbeit hat die Dialektik der Aufklärung den Anfang gemacht.
    Hätte Habermas in seine Theorie der Begründung eine Theorie der Kritik mit aufgenommen, so hätte er die hegelsche Logik, nach der, was aus dem Grunde hergeht, auch zugrunde geht, rezipieren müssen. Das aber hätte die Konstituierung einer autonomen Handlungstheorie unmöglich gemacht. Kritik ist Kritik der Ästhetik und der ästhetisch begründeten (transzendentalen) Logik. Kritik heißt, das Bewußtsein der Asymmetrie (die Sprengung der subjektiven Formen der Anschauung) in die Logik hineintreiben. Das setzt die Kritik des Weltbegriffs voraus.
    Grundmotive sind Joh 129 (die Sünde der Welt) und die Dt-Stelle über Rind und Esel (Joch und Last).
    Mit der säkularen Herrschaftsgeschichte verschiebt sich die Idee der göttlichen Gerechtigkeit in die der Barmherzigkeit. Diese Verschiebung drückt sich trinitarisch in der Idee des Heiligen Geistes (des Parakleten) aus.
    Als Hegel glaubte, die Antinomie der reinen Vernunft zum Motor der dialektischen Arbeit des Begriffs instrumentalisieren zu können, hat er die Logik ästhetisiert (und dem Schein das Tor zum Eintritt in die Logik eröffnet).
    Ist nicht Herbert Schnädelbach dem Grund dieser Transformation (der Instrumentalisierung der Antinomie der reinen Vernunft) einmal sehr nahe gekommen, als er das Konstruktionsgesetz der hegelschen Dialektik herausgearbeitet hat: die herrschaftslogische Beziehung von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Das erkennende Bewußtsein, dessen Gegenstand das An sich ist, ist selber Gegenstand für ein anderes Bewußtsein, für das, was für das erste Bewußtsein an Sein an sich ist, ein Sein für ein anderes Bewußtsein ist. Diese Struktur wird insgesamt instrumentalisiert (und neutralisiert) durch die Form des Raumes, durch die Form der Beziehungen der Dimensionen (die Form der orthogonalen Beziehungen der Richtungen) im Raum. Die Mathematisierung des Raumes ist das Produkt der Abstraktion von der Selbstbegründung des Raumes.
    Es ist das ungeheure Resultat der kantischen Vernunftkritik, daß sie die Form des Raumes als vermittelt durch die subjektive Form der inneren Anschauung, durch die Vorstellung des Zeitkontinuums, begreift. Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ richtet sich gegen die Totalisierung der Totalitätsbegriffe als Folge der Hypostasierung der Zeit (in der Theologie entspricht dem die Verwechslung der Idee des Ewigen mit dem Überzeitlichen: überzeitlich ist die Zeit, das Ewige ist innerzeitlich; deshalb hat die Wahrheit einen Zeitkern).
    Die „leeren Blätter“ der Weltgeschichte sind die Blätter des Buches, das im Jnngsten Gericht aufgeschlagen wird (Erinnerungsarbeit versucht, diese „leeren Blätter“ zu entziffern).
    Mit dem Begriff der concupiscentia, der Begierde, hat die Theologie von der Vermittlung abstrahiert, der die concupiscentia sich verdankt, zugleich dem einzelnen Subjekt aufgebnrdet, was ebensosehr dem Weltzustand sich aufbürden läßt. Nicht die Begierde ist der Grund des Bösen, sondern die Instrumentalisierung des Triebs, die dem Weltbegriff, der in ihm verkörperten Logik, sich verdankt: der Herrschaftslogik.
    Habermas Versuch, die Philosophie durch Konservierung eines Begriffs der objektiven Erkenntnis zu retten, mußte mißlingen, es sei denn, er hätte zur Begründung dieser Objektivität – worauf Franz Rosenzweig erstmals hingewiesen hat – die Theologie zur Hilfe genommen, er hätte Herrschaftsreflexion und Reflexion der Sprachlogik zum Organ der Philosophie gemacht. Die logische Konsequenz wäre die Neubegründung der Namenslogik (die Logik der „Heiligung des Gottesnamens“) und die Kritik der erkennenden Kraft des Begriffs gewesen. Die Idee der Heiligung des Gottesnamens ist das Feuer, das die eherne Zwangslogik des Begriffs schmilzt (vgl. den Eisenschmelzofen Ägypten) und das Licht der erkennenden Kraft des Namens befreit.
    Im Kontext der Kritik des Begriffs als Herrschaftskritik gewinnt die realsymbolische Erkenntnis ihre Kraft.
    Was bedeutet „triftig“ und welche Sprachwurzel hat dieses Wort (abgeleitet von „treffen“)?
    Wolfgang Pohrt: Theorie des Gebrauchswerts. Erster Eindruck: Triumph des Besserwissens. Er genießt die Genugtuung darüber, daß, wenn sich schon nichts ändern läßt, er es wenigstens im voraus gewußt hat. Er weiß, daß alle als Marionetten des gleichen Systems figurieren, dessen Urheber sie zugleich sind, und er weiß zugleich, daß dieses Wissen unwiderlegbar ist (so wird die negative Dialektik zu einer Spezialität der transzendentalen Logik, eines Systems apriorischer Urteile, die er wie ein Hagelgewitter auf die apriorischen Objekte dieser Logik herunterprasseln läßt. Der Prophet als Richter ist ein eitler Prophet. – Kann es sein, daß diese Konstruktion in der Logik seines Themas begründet ist: Eine Theorie des Gebrauchswerts, die nachweist, daß die politische Ökonomie heute einen Zustand erreicht, in dem sie ihre eigen Basis, den Gebrauchswert, aufzehrt und vernichtet, ist ein Produkt der Verzweiflung darüber, daß der Trieb zu helfen kein Objekt mehr findet; aber er findet nicht deshalb kein Objekt mehr, weil keins mehr da ist, sondern weil er’s systembedingt nicht mehr sieht. Das „no pity for the poor“ gesellt sich zu den Grundsätzen einer Kapitalismuskritik, die unterm Begriff des Profits nicht mehr dessen gesamtgesellschaftliche Folgen begreift, sondern nur noch den Reichtum der andern verurteilt, und die am Ende nur noch die eigene Empörung genießt. Nachdem die Waren ihren Gebrauchswert verloren haben, soll wenigstens die Kritik noch ihren Gebrauchswert behalten. So implodiert das System.

  • 1.9.1995

    Haben die Pforten der Hölle etwas mit dem Tor, dem Ort der Versammlung und des Gerichts (mit der ecclesia), zu tun? War die agora das ins Innere der polis verlegte Tor, und entspringt der Handel dem Bereich des Gerichts?
    Die ecclesia, die Kirche, war eine säkulare, keine religiöse Institution, die Nachfolgerin der Versammlung am Tor. Wie weit klingt das im neutestamentlichen Gebrauch des Begriffs der ecclesia noch nach (insbesondere bei Mt, in der Apg und in der Off)? Das mulier taceat in ecclesia wäre dann nicht auf den sakralen Ort, sondern auf diese „Versammlung“ zu beziehen. Daß die Kirche dann Nachfolgerin des Tempels (mit Opfer und Allerheiligstem) geworden ist, läßt sich aus ihrem Ursprungsbegriff nur im Kontext ihrer kosmologischen (weltkonstituierenden) Funktion ableiten. Die Resakralisierung der Kirche, der neue Opferbegriff, war das Korrelat der Verzauberung der Welt, die das Objekt und die Voraussetzung der modernen Aufklärung war.
    Ecclesia wird in der Regel in der Apostelgeschichte mit Kirche, in der Johannes-Apokalypse hingegen mit Gemeinde übersetzt. Werden hier nicht Spuren verwischt? Seit diesem Präzendenzfall glauben Theologen und andere kirchliche Autoritäten (seit dem Ende des Faschismus auch Laien, an denen Adorno schon wahrgenommen hat, daß sie heute bereits so schlau sind wie früher nur ein Kardinal) den Autoren der Schrift vorschreiben zu können, was sie „eigentlich“ gemeint haben.
    Der Protestantismus hat aus der zum Tempel gewordenen Kirche eine Synagoge (den Ort einer neuen Nationalreligion) gemacht.
    Wann und auf welche Weise ist aus der Versammlung am Tor das synhedrion, der Hohe Rat, geworden? Hat nicht Pilatus wieder am Tor gesessen, mit der Versammlung als Chor? War das der Gründungsakt der Kirche?
    Der Weltbegriff begründet und sanktioniert den Konkretismus und die Personalisierung (Personalisierung und Konkretismus sind die Verführungen zur Sünde der Welt: die Kehrseite der Instrumentalisierung). Deren Kritik setzt die kritische Reflexion des Weltbegriffs voraus. Aber ist diese Kritik heute nicht versperrt? Was die Reflexion des Weltbegriffs verhindert, ist die Grenze zur Vergangenheit, die der Faschismus (als Instrument der Vergesellschaftung der Naturwissenschaften), der die Zukunft ausgelöscht hat, in Deutschland neu definiert hat. Dem Fluch der „Gnade der späten Geburt“ vermag keiner der Nachgeborenen zu entrinnen: gemeinsam mit der ebenso ungeheuerlichen Bekenntnislogik, die nur noch verurteilt, nicht mehr begreift, schirmt die Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen ist, diese Vergangenheit gegen jede Reflexion ab; diese Vergangenheit ist nur noch vergangen, der sich identifizierenden Erinnerung nicht mehr zugänglich. Das ist der letzte Sieg Hitlers.
    Die intentio recta ist in ihrem Ursprung durch die Internalisierung der Schicksalsidee, in ihrer modernen Gestalt durch die Ohrenbeichte, das Zölibat und das Konstrukt des Fegfeuers (die verzauberte Welt als Ursprungsort des Inertialsystems) vermittelt.
    Der Sabbat als Symbol der Lehre: Hat nicht der Sabbat (wie dann auch der Indikativ der Lehre) Gott von der Last des Imperativs befreit? Die Ruhe des Sabbats ist das Gegenteil der Friedhofsruhe (und der Indikativ der Lehre das Gegenteil des historischen Indikativs). Sind nicht die antisemitischen Grabschändungen ein apokalyptisches Symbol? Grabschändungen sind Mutproben im Anblick der Idee der Auferstehung der Toten, an die keiner mehr glaubt.
    Die kopernikanische Wende hat in der Natur die Friehofsruhe hergestellt (und mit dem Himmel die Erinnerung an den Sabbat zerstört).
    Kommt die Wendung „unter der Sonne“ noch an anderer Stelle, außerhalb des Buches Kohelet, vor, und was bedeutet sie (dazu gehört das „nichts Neues“, die Leugnung der Zukunft)?
    Haben die Sterne des Himmels etwas mit den himmlischen Heerscharen zu tun, und sind die Planeten die Wächter dieser Heerscharen (die Versiegelung des Abgrunds, aber auch der Schlüssel zum Abgrund)?
    Beerscheba: Schwurbrunnen und Siebenerbrunnen. Hat das etwas mit den Planeten zu tun?
    Ist der Bogen eine Spiegelung des Gewölbes an den Wolken?
    Das Moment der asymmetrischen Spiegelung aus seiner trinitarischen Gefangenschaft befreien. Ist die Trinitätslehre der Bogen in den Wolken am Himmel der Geschichte, der das Ende der Sintflut des mythischen Zeitalters anzeigt?
    Franz Rosenzweig hat einmal die Vermutung geäußert, daß, wenn ein Christ den Stern der Erlösung geschrieben hätte, er ihn in der Sprache des Neuen Testaments geschrieben hätte. Hier irrte R.: Das Neue Testament hat keine eigene Sprache, seine Sprache ist die des Alten Testaments, und nur wer diese wiedererweckt, bringt das Neue Testament zum Sprechen. Das Neue Testament ist kein Problem der Sprache, sondern eines der Logik der Schrift; deshalb ist es bis Hegel als Offenbarung der Trinitätslehre begriffen und erfahren worden.
    Die Trinitätslehre ist die Endlösung eines logischen Problems, aus dessen Bann wir nur mit Hilfe von Joh 129 werden heraustreten können. Voraussetzung wäre, daß Joh 129 ins Nachfolgegebot mit hereingenommen wird. Die Trinitätslehre ist die Ursprungsgestalt der Idee des Absoluten, und diese das Produkt der Selbstreflexion der Subjektivität im Unendlichen. Die Einheit des Absoluten (die in der Trinitätslehre durch die homousia garantiert wird) ist das Bild der Einheit des Subjekts (und deren erster Repräsentant der Monarch, der Kaiser Konstantin).
    Wenn die Beziehung von Vater und Sohn die einer asymmetrischen Spiegelung ist, welche Bewandnis hat es dann mit der Beziehung von Vater und Tochter, von Mutter und Sohn? Gibt es so etwas wie eine doppelt asymmetrische Spiegelung (Ergänzung der genealogischen durch die Geschlechterspiegelung)? Und liegt hier nicht das Problem und die Kraft der feministischen Theologie?
    Die Psychoanalyse war der erste Versuch, das Problem der doppelt asymmetrischen Spiegelung (am Beispiel der Hysterie) zu lösen.
    Verweist nicht der apokalyptische Unzuchtsbecher auf dieses Problem der doppelten Spiegelung, liegt hierin nicht die Differenz zum Zornes- und Taumelbecher (männlich und weiblich schuf er sie)?
    Liegt hier der Grund, weshalb die Frage des sexuellen Mißbrauchs von Kindern (real und in der öffentlichen Aufmerksamkeit) nach dem Krieg öffentlich geworden ist, öffentliche Relevanz gewonnen hat?
    Die Vater-Sohn-Beziehung (die Genealogie) war ein Konstrukt zur Stabilisierung des Zeitkontinuums (der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit), die Vater-Tochter-Beziehung sprengt das Zeitkontinuum. War die Tochter Zion die erste Reflexionsgestalt dieses Problems (und das Hohelied der Focus)? Vgl. die übrigen Tochter-Stellen (von den Töchtern Adams, den Menschentöchtern, über die Töchter Noes bis zu den Töchtern Jerusalems und Zions; vgl. auch den „einzigen Sohn einer Witwe“ und die Tochter des Jaïrus). Wann hat in der biblischen Symbolik die Tochter (Jerusalems oder Zions) die Gattin (JHWHs) ersetzt? Rührt das nicht an das Wer im Namen des Himmels, das Feuer?
    Waren nicht die Kirchenväter in der Regel die Söhne frommer Mütter (Basilius und Gregeor, Augustinus, auch Konstantin), während die Ordensgründer fromme Schwestern hatten (Benedikt, Franziskus)?
    Zu Basilius: Der Regenbogen ist auf die Vater-Sohn-Beziehung anwendbar, nicht auf die Vater-Tochter-Beziehung. Ist der Bogen ein Symbol des Patriarchats?
    Zur Trinitätslehre: Hat der Vater im Himmel und der Geist auf Erden den Sohn gezeugt? Wie aber kann dann der Geist „aus dem Vater und dem Sohne“ hervorgehen. Steckt darin nicht das Problem der doppelt asymmetrischen Reflexion, das Rätsel des Raumes, auf das die Trinitätslehre versiegelt ist? Die Form des Raumes ist das Instrument des Bildes, der Grund der Logik der Instrumentalisierung.
    Das tohu wa bohu (wüst und leer) ist eine asymmetrische Spiegelung, ein Bild der Vater-Sohn-Beziehung, während die Logik der Tochter-Beziehung auf den Geist verweist. Gibt es eine Hilfe zur Auflösung dieses Strukturproblems in der Apokalypse? Hängt die Rezeption der Opfertiere mit diesem Strukturproblem zusammen: Ist die Verdrängung des Stieres, des Rindes, eine Folge der Ersetzung des Namens durch die Vater-Sohn-Beziehung? Verweist nicht das Spottbild vom gekreuzigten Esel auf die Esel-Lamm-Beziehung, und kehrt nicht die Taube in der Gestalt des Geistes wieder?
    Das Tor/der Tor: Die Versammlung im Tor ist durch die Herrschaft Babylons zu einer Versammlung von Toren (idiotes) geworden.
    Gehört nicht zur Vorgeschichte des Buches Rut (Rut war eine Moabiterin) die Geschichte von den Töchtern Lots (die ihren Vater trunken machen, um die Generationenfolge sicherzustellen) und von Lots Weib (die im Anblick der Katastrophe zur Salzsäule erstarrt)?
    Ist die Magd des Herrn nicht die Gottesknechtin (ein Übersetzungsproblem ähnlich den sieben „Gemeinden“ in Asien, die eigentlich Kirchen sind)?
    Als Juda von der Schwangerschaft seiner Schwiegertochter Tamar erfuhr, sollte sie verbrannt werden (1 Mos 3824). Warum nicht gesteinigt? – Die Thora sieht in der Regel die Steinigung als Todesstrafe vor, nur in 3 Mos 2014 (wenn ein Mann eine Frau heiratet und ihre Mutter dazu, so ist das eine Schandtat), ebd. 219 (wenn sich die Tochter eines Priesters durch Unzucht entweiht: sie entweiht ihren Vater) und Jos 715 (wer im Besitze des Gebannten betroffen wird, den soll man verbrennen samt allem, was er hat) ist das Verbrennen vorgesehen.
    Die physikalische Unsterblichkeit, auf die selbst die Herder-Korrespondenz jetzt hinzuweisen sich gedrängt fühlt, wirft endlich das nötige Licht auf eine Idee des Absoluten, die an dieser Art der Aufhebung, der subjektlosen Erinnerung, der Ästhetisierung ihre Substanz hat. Die Idee der Unsterblichkeit bezieht sich nicht auf das mediale Überleben in einem Buch oder in einem Computer (die ebenso zerstörbar sind wie die physische Existenz der Menschen).
    Der Urknall hat mehr mit Auschwitz und mit Hiroshima (mit der Apokalypse) zu tun als mit dem Schöpfungsbegriff. Zu den Konstituentien der Vorstellung vom Urknall gehört die Logik der Spiegelung, die die virtuelle Zeitumkehr (als Grund der transzendentalen Ästhetik) mit einschließt: Der Urknall projiziert das Ende in den Anfang.
    Hat nicht das Vater-Sohn-Problem etwas mit der Gravitation, das Vater-Tochter-Problem mit der Elektrodynamik zu tun? Das würde ein Licht auf die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie werfen.
    Die „liebende Zustimmung Marias“ zum Foltertod ihres Sohnes am Kreuz (sh. Weltkatechismus) erinnert an den verordneten Stolz der Mütter, die beim „Heldentod“ ihrer Söhne im letzten Krieg nicht einmal mehr trauern durften. Das Vaterland erträgt keine Trauer über das, was es anrichtet.
    Wie würden wir diese Welt wahrnehmen, wenn es kein Fernsehen gäbe? Wer könnte sie ohne diese Dauerablenkung, diese organisierte Dauerverdrängung, noch ertragen?

  • 8.9.1994

    Ist der demagogische Trick Kohls nicht vorgebildet in der Geschichte der Physik: Die Kopenhagener Schule, die selber nach Einstein die Physik wieder ins Paradigma der Naturbeherrschung zurückgebogen hat, hat sich zugleich in der Öffentlichkeit immer als „Überwindung“ der klassischen Physik, zu der sie dann insbesondere Einstein hinzugerechnet hat, präsentiert, und den Preis der Rückkoppelung (die Unbestimmtheitsrelation und den Korpuskel-Welle-Dualismus als Komplementaritätsprinzip) als besonderen Gewinn sich selbst und den anderen eingeredet. Das wirklich Neue bei Einstein wurde damit der Reflexion entzogen. War nicht die Kopenhagener Schule, insbesondere ihr deutscher Teil, auf eine subtilere Weise antisemitisch als die ominöse „Deutsche Physik“?
    Gibt es eine (nationale oder weltanschauliche) Identität ohne Bekenntnislogik, und d.h. ohne eingebautes Feindbild? Ist nicht die politische Theologie Carl Schmitts (mit der Grundlage des Freund-Feind-Denkens) die genaueste Entfaltung der Bekenntnislogik? Und sind nicht Skinheads und Hooligans die letzten Confessoren?
    Hat Jesus nicht tatsächlich den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben, und zwar genau mit der gleichen Logik, mit deren Hilfe er den Vorwurf zu widerlegen versucht (ein Reich, das in sich uneins ist, …)?
    Die Bekenntnislogik ist der Kelch von Getsemane.
    Der Begriff der „zeitlosen Wahrheit“, Grundlage der Trennung von Natur und Welt, setzt voraus, daß es zur Vergangenheit des Vergangenen keine Alternative gibt.
    Zu Weigels Satz (in einem Brief an den WDR zur Lotto-Satire), daß er zwar Humor verstehe, aber …, fehlt die Ergängzung, die man wird hinzudenken müssen: Das Verständnis endet, wenn er selbst zum Objekt des „Humors“ wird. Dann ist er nur noch beleidigt. Hat nicht der Humor überhaupt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Duftmarken-Setzen der Hunde. Mit Humor werden Herrschaftsbezirke abgesteckt. Opfer des Humors sind in der Regel die, die aus der Gemeinschaft der Lachenden ausgeschlossen (oder zur Identifikation mit dem Aggressor gezwungen) werden sollen (Frauen, Juden, Ausländer). Der Humor hat die gleiche logische Struktur wie das Vorurteil und die Bekenntnislogik, wie er auch die gleiche Funktion hat: Gemeinschaftsstiftung durch gemeinsames Lachen: durch Identifikation des gemeinsamen Objekts. Auch der Antisemitismus ist eine Variante des Humors. Deshalb ist Humor nur erträglich, wenn er die Reflexion auf diese Struktur in sich mit hereinnimmt: als schwarzer Humor.
    Kein Bekenntnis ohne eingebautes Feindbild, wobei die logische Leistung des Lachens in seiner identitätsstiftenden Kraft liegt: Die Identität des Feindes wird durchs Lachen konstituiert. Repräsentant dieses Lachens im Subjekt ist die, die Objektvorstellung begründende, subjektive Form der äußeren Anschauung: der Raum.
    Hängt es nicht mit der inneren Logik des Gebots der Feindesliebe zusammen, wenn Jesus nicht gelacht hat?
    Weshalb wird das Lächeln der Babys als süß empfunden? Ist es nicht eigentlich etwas Schreckliches: Das Lächeln ist nicht freundlich. Beim Lächeln (auch dem archaischen Lächeln frühgriechischer Statuen, dem Seligkeits-Lächeln mittelalterlicher Skulpturen, dem Lächeln der Mona Lisa) ist der Schrecken nicht zu übersehen, der im instrumentalisierten keep smiling, im Lächeln der Verkäuferin, im cheese-Grinsen, als Raubtier-Lächeln erkennbar wird. Ist nicht das Lächeln der Babys das erste Zeichen der Selbstinstrumentalisierung, Folge der Erfahrung, daß diese Geste von den „Bezugspersonen“ honoriert wird? Wieviel objektive Ohnmachts- und Gewalterfahrung steckt schon in diesem Lächeln? Und ist das Süße an diesem Lächeln nicht die Süße der eigenen Macht- und Gewalterfahrung, die durchs Kind so bestätigt wird (Zusammenhang mit der Logik der Scham)?
    Kann es sein, daß der Adressat des archaischen Lächelns das sich zur objektiven Gewalt kontrahierende Schicksal des mythischen Zeitalters, der Adressat des mittelalterlichen Lächelns der Seligen die Gottes- und Subjektvorstellung war, die der Verinnerlichung der Scham sich verdankt. Ist das Lächeln nicht der früheste Ausdruck der paranoischen Ansteckung, die zu den Grundlagen der zivilisierten Welt gehört? Aufgetragen ist dieses Lächeln auf die Folie des verzweifelten Weinens.
    Haben die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn erscheinen wird, etwas mit den Wolken, die die ausziehenden Israeliten durch Wüste geführt haben, mit den Wolken am Berge Sinai, dann mit den Wolken der Herrlichkeit Gottes über der Lade im Allerheiligsten des Tempels, zu tun: mit der Schechina?
    Gegenstand der modernen Entzauberung der Welt war der katholische Mythos, der selber schon ein Produkt des gleichen Inertialsystems war, dem er dann zum Opfer gefallen ist.
    Jesu Wort an den Schächer am Kreuz: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein, ist noch unerfüllt. Dieses Heute ist noch nicht eingetreten.
    Der Sprach- und Symbolgrund der Barmherzigkeit ist die Gebärmutter. Aus welchem Sprachgrund stammt die Gerechtigkeit?
    Hat nicht die Anthropomorphismus-Kritik das weibliche Element (die Barmherzigkeit) aus Gott ausgetrieben?
    Die Philosophie hat die Sinnlichkeit aus dem Himmel (aus Wasser und Feuer) ausgetrieben, die Naturwissenschaften haben sie aus der Erde ausgetrieben. Das erste war die Folge der Verinnerlichung der Schicksalsidee, das zweite die der Verinnerlichung der Scham.
    Wenn die Grenze zwischen Innen und Außen eine transzendentallogische Grenze ist, die begründet ist in der Grenze zur Vergangenheit, ist es dann nicht notwendig, das Schicksal der Geschichte des Klassenkampfes, die nicht nur in der Außenwelt sich abspielt, im Innern der Menschen zu untersuchen, die Fortsetzung dieser Geschichte in der Geschichte seiner Verinnerlichung weiter zu verfolgen? Vermittelndes Glied ist der Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor; zur Geschichte der Verinnerlichung des Klassenkampfes gehört die Geschichte seiner Verdrängung. Diesem Aspekt kommt ein anderer entgegen: die Einsicht, daß der Begriff der Verdrängung nicht mehr auf die Psychologie sich einschränken läßt, daß er durch einen objektiven, historisch-gesellschaftlichen Begriff der Verdrängung, zu dem die Geschichte des Mythos und der Aufklärung gehört, zu ergänzen ist.
    Werbung und Propaganda, als Formen der technischen Anwendung der Psychoanalyse, haben diesen objektiven Begriff der Verdrängung (den sie ausbeuten und verstärken) zur Grundlage (Zusammenhang mit der Bekenntnislogik).
    Dignum et justum est: Hat das dignum, das dann mit würdig übersetzt wurde, etwas mit der Barmherzigkeit zu tun? Und wie verhält sich das dignum et justum (würdig und gerecht) zum juristischen billig und recht (wie verhalten sich dignum, würdig und billig zueinander)?

  • 19.8.1994

    Zum Ursprung des Neutrum: Nur wenn die Geschlechtlichkeit des Menschen die zweite und dritte Person (die Unmittelbarkeit und die Reflexion) umgreift, ist die Sexualmoral mehr als ein Mittel des moralischen Urteils. Das „als Mann und Weib schuf er sie“ hat eine andere Bedeutung, wenn es nur auf die (vergegenständlichte) dritte Person sich bezieht, als wenn es das Du mit einschließt. Die Neuralisierung der zweiten Person ist der Abgrund, aus dem das moralische Urteil aufsteigt, während die Herrschaftskritik in ihm sich auflöst, gegenstandslos wird. Die Neutralisierung der zweiten Person unterwirft die Sprache der Urteilsform, macht sie zum Geschwätz, während die Einschränkung der Sexualität auf die dritte Person sie vergegenständlicht, in sinnliches Objekt und Gewalt aufspaltet (und so beide der Sprachfähigkeit entzieht). Hier liegt der Grund, aus dem die Frauenfeindlichkeit und der Sexismus der Bekenntnislogik sich herleitet.
    Adam erkannte sein Weib: Ist dieser Satz nur im Hebräischen möglich, ist er nicht unübersetzbar?
    War die Freudsche Wende (die Leugnung des sexuellen Mißbrauchs von Frauen und Kindern) nicht der Einstieg in die Projektion der eigenen Kastrationsängste auf das weibliche Geschlecht insgesamt? Liegt hier nicht in der Tat der blinde Fleck der Psychoanalyse? Und bezieht sich der Ödipus-Komplex nicht genau auf die Verarbeitung dieses Projektions-Mechanismus: Ist nicht Ödipus, der seinen Vater erschlägt und mit seiner Mutter schläft, Ursprung und Modell des freudschen Mythos von der Urhorde und dem Vatermord? Und ist nicht dieser Vatermord-Mythos (der die Urgeschichte des Christentums nach dem Urschisma symbolisch repräsentiert) die direkte Manifestation dieser Katastrationsängste (und war nicht Freuds Buch über Moses ein symbolischer Vatermord)?
    Liegt dem Zölibats-Gesetz nicht eine symbolische Logik zugrunde, die den Kreuzestod (mit der Opfertheologie und dem erhöhten Jesus) mit den Kastrationsängsten verbindet? War nicht die theologische Diskussion, deren Gewaltlösung das homousia war, symbolischer Natur, eine Diskussion, deren Verlauf durch die Verschiebung des Kreuzestodes in den Bereich der Kastrationsängste (dem Grund der Flucht der Jünger) determiniert war: in dem der Kreuzestod als radikalisierte (verinnerlichte) Beschneidung erfahren worden ist?
    Gibt es in anderen Sprachen eine Entsprechung zur deutschen Anrede unter Erwachsenen mit „Sie“ (und hat sie etwas damit zu tun, daß im Deutschen die Formen des Femininen als Pluralformen wiederkehren: Folge ihrer Vergegenständlichung, ihrer Transformierung in die dritte Person)? Die zweite Person singular findet nur im Intimbereich (im Privatbereich) und im Verhältnis zu Unmündigen Anwendung. Die Anwendung auf Fremde gilt als Ausdruck der Mißachtung (die zweite Person plural gilt nur als Ausdruck der Verachtung). Merkwürdig, daß im Englischen die zweite Person plural zur allgemeinen Anredeform geworden ist (und die alte Form der zweiten Person singular, das „thou“, verdrängt hat).
    Ist nicht der JHWH Elohim Sabaoth, der Dominus Deus Sabaoth, der Herr der Völker-Götter, und sind diese nicht die „Himmelsheere“ (unter Einschluß des Anklägers, des Widersachers)?
    In der transzendentalen Ästhetik hat Kant das Prinzip benannt, auf das die gesamte Philosophie verhext ist.
    Hängt die Feigenblatt-/Tierfell-Symbolik in der Geschichte vom Sündenfall mit der Geschichte der Opfer des Abel und des Kain zusammen (der Unterscheidung von Pflanzen- und Tier-Opfer)?
    Drachenfutter: Im Auslands-Report werden die Informationen aus der Dritten Welt so zubereitet, daß es dem Zuschauer möglich ist, die Katastrophen, zu deren Urhebern er gehört, nachdem sie mit dem Salz der Empörung gewürzt und im Kessel des Vorurteils aufgekocht wurden, im Fernseh-Sessel zu genießen.

  • 14.6.1994

    Angriff auf die Barmherzigkeit: Mit fortschreitender Säkularisation, mit der Entfaltung, Ausbreitung und Stabilisierung des Inertialsystems (der Geldwirtschaft, der Bekenntnislogik), entfalten sich die Kräfte der Gemeinheit, die dann gegen jede Manifestation der Barmherzigkeit draußen, deren Regung im eigenen Innern sie um der Selbsterhaltung willen schon im Keim verdrängen müssen, sich zuspitzen. Gnadenlosigkeit wird zum Markenzeichen der „Persönlichkeit“ (Ursprung des „steinernen Herzens“). Eines der frühesten Warnsignale (dem der Ursprung der Psychoanalyse sich verdankt) war die diskriminierende Abwehr der letzten Erinnerung an die Barmherzigkeit, die im Namen der Hysterie sich ausdrückt. Ausdruck der Hysterie aber war ihr Name. nicht das, was dieser Name bezeichnen sollte (exemplarisches Modell des projektiven Erkenntnisbegriffs). Im Namen der Hysterie hat sich der Schoß geöffnet, aus dem der Faschismus gekrochen ist (Eichmann sprach immer von den Ideen, die er „geboren“ hatte). – War die Erfindung der Hysterie eine Vorstufe der Abtreibungsdiskussion?
    Die kirchliche Stellung zur Abtreibungsfrage wird wahr, wenn man sie auf die messianischen Wehen bezieht.
    Ist der gnostische Lösungsversuch des Weltproblems (Erschaffung der Welt durch einen Demiurgen, der dann allerdings, anstatt als Staat begriffen, durch projektive Verschiebung mit dem jüdischen Gott identifiziert wurde) nicht eng mit der paulinischen Tendenz, den Konflikt mit dem Römischen Staat auf die jüdische Tradition (das „jüdische Gesetz“) abzuwälzen, verbunden? War nicht die Gnosis überhaupt so etwas wie die – zwangsläufig aus dem christlich-jüdischen Urschisma folgende – Urhäresie, aus der die nachfolgenden häretischen Bewegungen (bis zum Verbrauch der häresienbildenden Kraft in der Reformation) sich müssen ableiten lassen? Das Urschisma, die Gnosis und die Verurteilung der Gnosis ist als Ganzes der dramatische Prozeß der ersten Leugnung.
    Atomphysik und die Umkehr: Ist das Atommodell die mathematische Parodie der Lösung der sieben Siegel (vorgestellt am Prozeß der Abfolge der Umkehr aller Richtungen in ihrem Ursprungspunkt)?
    Tod und Auferstehung haben etwas mit der Beziehung von Erde und Himmel zu tun (wer den Himmel leugnet, leugnet die Auferstehung). Und wenn Jesus in den Himmel aufgefahren ist, ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß der Name des Messias im Namen des Himmels mit erschaffen ist?
    Ist das Wort „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ nicht ein Hinweis auf die messianischen Wehen?
    In dem Feuer, das Jesus auf die Erde bringen wollte, und von dem er wünschte, es brennte schon, werden die oberen und die unteren Wasser wieder zusammengefügt.
    Die unverschämte (unkeusche) Dreistheit einer bestimmten Art des öffentlichen Auftretens von Katholiken (ein Exhibitionsmus, dem man ansieht, welche Mühe er hat, den Vergewaltigungstrieb in sich unten zu halten).
    Als das Christentum seinen Weg in die Welt hinaus begann, war es hilflos und wehrlos gegen die Philosophie und gegen den Römischen Staat.
    Das Objekt des Satzes „Herr vergib ihnen, …“ sind wir, denn wir wissen weniger den je, was wir tun (wir sind die 120 000 in Ninive, die rechts und links nicht unterscheiden können).
    Die Unterscheidung von oben und unten (Religion und Herrendenken) und von vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) ist relativ leicht verständlich zu machen, während die Unterscheidung von rechts und links (Gericht und Barmherzigkeit) ist die schwierigste. Das scheint damit zusammenhängen, daß diese Unterscheidung keine theoretische, sondern eine praktische Unterscheidung ist.
    – Mit der Unterscheidung von vorn und hinten hängt das Urschisma,
    – mit der von oben und unten die Gnosis und die daraus folgende Geschichte der Häresien,
    – mit der von rechts und links die patriarchalische Struktur der Kirche und der Sexismus zusammen; hier beantwortet sich die Frage nach der Hilfe im zweiten Schöpfungsbericht.
    Leben wir nicht in einer Welt, in der das Normale verrückt ist und das Verrückte der normale Ausdruck der Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit dagegen?
    Zu Umberto Ecos Sprachphilosophie: Es fehlt die Kritik des Neutrum.
    Drei Gestalten der Finsternis: die Nacht, die Farben und die Materie.

  • 2.5.1994

    Die vollständige Umkehr aller Richtungen im Raum schließt die Zeitumkehr als Bedingung der Vorstellung einer homogenen Zeit mit ein; die Voraussetzung hierfür ist die Vorstellung eines orthogonalen dreidimensionalen Raumes, eines für sich bestehenden „absoluten“ Raumes; aber dieses Für-sich-Bestehen des Raumes (der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“) verdankt sich der Selbstleugnung des Subjekts, das dann nur noch „alle meine Vorstellungen muß begleiten können“: das zu seinen eigenen Vorstellungen äußerlich sich verhält (mit der Vergegenständlichung wird eine Eigentumsbeziehung zu diesen Vorstellungen begründet: sie werden zu „meinen Vorstellungen“, Pendant ihrer Kommerzialisierung). Das Inertialsystem ist die dritte Leugnung (ein System, in dem es nur noch die miteinander vertauschbaren Dimensionen der Vergangenheit und Zukunft, aber – wie in der indogermanischen Sprache, in der das alte Imperfekt durch das neue Präsens, den Kern des neuen Konjugationssystems, verdrängt worden ist – keine Gegenwart mehr gibt).
    Das Prinzip der „Meinungsfreiheit“ ist Ausdruck und Folge der Herrschaft des Tauschprinzips, seiner Anwendung auf die Erkenntnis (Begründung des Wissens und des Bewußtseins).
    Durch ihre Verstrickung in den Prozeß der europäischen Aufklärung ist die Theologie zur Theologie hinter dem Rücken Gottes geworden; aber eben deshalb ist der Konflikt der Theologie mit der Aufklärung unlösbar.
    Die theologische Lehre von creatio mundi ex nihilo beschreibt einen Vorgang in der Ursprungsgeschichte des Staates: Dieses nihil symbolisiert den Mord, der Staat und Welt zugleich begründet; dieses nihil ist zugleich der Systemgrund des mythischen Opfers wie auch der christlichen Opfertheologie: Die christliche Theologie ist erst durch die Instrumentalisierung des Kreuzestodes zur Staatsreligion (zur Römischen Reichsreligion) geworden.
    Natur ist das Objekt des Herrendenkens; sie konstituiert sich als Natur im Kontext der exkulpatorischen Logik des Begriffs (der Logik der Welt). Der Grund oder die Wurzel dieser exkulpatorischen Logik des Begriffs heißt in Joh 129 die „Sünde der Welt“.
    Die Schwere und das Licht sind die realsymbolischen Korrelate des Gründens und Aufspannens.
    In den „Studies in Prejudice“ gibt es eine Untersuchung über die Sprache des Agitators (Löwenthal/Gutermann: Agitation und Ohnmacht). Diese Sprache des Agitators, die heute zur politischen Sprache insgesamt geworden zu sein scheint, hat eine metaphorische Basis. Wäre es nicht an der Zeit, das Problem der Metaphorik, deren Logik mit der der benennenden Kraft der Sprache zusammenhängt, ins Licht zu bringen? Ohne die Reflexion ihres metaphorischen Grundes ist die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache nicht zu leisten. Die Sprache des Agitators lebt von den unverarbeiteten Resten der theologischen Tradition; ihre Aufklärung ist ohne Theologie nicht mehr möglich. Liegt nicht die Differenz zwischen der Instrumentalisierung des metaphorischen Elements der Sprache und der Rekonstruktion seiner benennenden Kraft im Begriff der Umkehr? Ist nicht der Fundamentalismus ein Versuch, metaphorische Texte indikativisch zu verstehen; und ist nicht der Indikativ eine der zentralen differentiae specificae des Indogermanischen, eine der sprachlichen Wurzeln der abstraktiven Gewalt des Inertialsystems (vgl. die Sprachwurzeln der Begriffe Indikativ und Konjunktiv)?
    Das Präsens ist die Vergangenheitsform der Gegenwart (Reflex der Vorstellung einer homogenen Zeit), während das alte Imperfekt die offene Gegenwart (den Bereich der unabgeschlossenen Handlung) repräsentiert. Zum Präsens gehört das Präsentieren und das „Es gibt“. Unterm Gesetz dieses Präsens wird das Imperfekt zum Präteritum. Das Präsens und die Vorstellung einer fix und fertigen Welt, die gleichsam für unseren Gebrauch daliegt, gehören zum Weltbegriff. Aber diese Welt ist das Produkt einer Handlung (das Ensemble von „Tatsachen“): Produkt der Sünde der Welt. Mit diesem Präsens hängt die Neutrumsbildung zusammen: die Frucht, die die Schlange der Eva anbietet, die sie dann an Adam weiterreicht, ist das Präsentierte.
    Ist nicht der Präsens der Sprachgrund des Dativ? Und macht dieses Präsentische die indogermanische Sprache zur Schaufenstern- und Fernseh-Sprache, deren frühester Ausdruck die theoria ist (und ihr Repräsentant im Subjekt die Formen der Anschauung). In der jüdischen Tradition gibt es das „von Angesicht zu Angesicht“ (zu dem das sch’ma Jisrael gehört), aber nicht die (einseitige) „Anschauung Gottes“ (zu der das Credo gehört).
    Beschreibt die Geschichte vom Sündenfall den Ursprung der indogermanischen Sprache?
    Hat nicht Esau eine Kanaaniterin zur Frau; und wie war es mit Ismael, dem Bruder des Isaak?
    Die kirchliche Sexualmoral ist (wie der Fundamentalismus insgesamt) ein Produkt des indikativischen Verständnisses biblischer Texte.
    Die Römer sprachen Latein, die Israeliten hebräisch (die Juden aramäisch, hebräisch war die Sprache ihrer Schrift) und die Hellenen (die in der Apg mit den „Hebräern“ verglichen werden) sprachen Griechisch: Wie verhalten sich Volks- und Sprachennamen zueinander, und worin ist die Differenz begründet?
    In den Genealogien werden nur die Väter genannt, aber Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat?
    Ist Drewermann konfliktunfähig, nachdem ihm der Geist, der Inbegriff des verteidigenden Denkens, zum „Furz“ geworden ist? Die Befreiung des Hegelschen Geistes vom Fluch des Absoluten ist auch die Befreiung von seiner Wurzel, dem „Weltgeist“.
    Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan: Genau so wie wir sie im Bewußtsein und in der Praxis zum Verschwinden gebracht haben, haben wir ihn zum Verschwinden gebracht.
    Der Staub und die Archäologie: Archäologische Theologie ist experimentelle Theologie, der Versuch, die Ablagerungsschichten des Staubs aus dem Weg zu räumen, um die verschüttete Wahrheit ans Licht zu holen. Modell ist die Psychoanalyse, die ebenfalls schon eine archäologische Disziplin war. Der Jungsche Vorstoß zu den „Archetypen“ war ein Vorstoß in dieser Richtung, wobei er nur verkannte, daß das gesuchte Objekt kein psychologisches, auch kein kollektives, ist, sondern ein historisch-gesellschaftliches, und zwar eines, das sich in der Kritik der Konstellation von Verdrängung, Unbewußtem und Projektion erst bildet. Insbesondere hier gilt: Das Vergangene ist nicht nur vergangen. In diesem Konstrukt steckt die ganze Geschichte.
    Im Hebräischen gibt es kein Neutrum, wohl aber beim Interrogativpronomen die Unterscheidung zwischen Personen und Sachen (nicht „Belebtem“ und „Unbelebtem“). Hat das Interrogativpronomen für Sachen etwas mit dem Namen des Wassers (und dem des Himmels) zu tun (mah/majim/schamajim, vgl. im Deutschen was/Wasser)? Ließe sich daraus ableiten, daß die Trennung der oberen von den unteren Wassern etwas mit der Unterscheidung von Prophetie und Philosophie zu tun hat (der Name des Himmels bezeichnete dann diese Unterscheidung)?
    Als Jesus seine Jünger fragte: „Könnt ihr den Kelch trinken?“, meinte er die Nachfolge, aber als er dann sagte: „Ihr werdet den Kelch trinken“, hat er gewußt, daß die Evangelien in Griechisch geschrieben wurden.
    Der Konjunktiv bezeichnete ursprünglich die hypothetische Folge in einem Begründungszusammenhang (würde/hätte …, wenn …); wie ist aus der konkreten, begründeten Möglichkeit die abstrakte, von ihrer Begründung abgelöste Möglichkeit (der von der coniunctio getrennte Konjunktiv) geworden, ein Modus des Verbs? Worauf bezog sich der Indikativ (die prosaische Wirklichkeitsform; indicatio: Preisangabe, Zusammenhang mit dem durchs Tauschprinzip oder durchs Trägheitsgesetz definierten Realitätsprinzip)? Gibt es einen der kantischen Kategorie der Notwendigkeit korresponierenden verbalen Modus?

  • 20.4.1994

    Hängt der Begriff des Daseins bei Heidegger mit der Beziehung des Demonstrativpronomens zum Fragepronomen zusammen. Das Dasein ist
    – der Ausdruck der Identität des Vorhandenen (Da) mit dem Zuhandenen (Sein),
    – zugleich Grund der objektlosen Angst (Folge der namenlos gewordenen Herrschaft) und
    – der absoluten Frage (der durch das deiktische Moment jede Beziehung zur Antwort abgeschnitten wird).
    Dem Deiktischen würde die Frage nach dem Namen korrespondieren, auf die es in der durch den Naturbegriff namenlos gewordenen Welt keine Antwort gibt: Übrig bleibt die Frage nach dem Namen Gottes, die keine Frage ist.
    Sprachlicher Grund der Sexualmoral: Merkwürdig, daß das Fragepronomen (im Indogermanischen wie im Hebräischen) geschlechtslos ist, statt dessen zwischen Wer und Was (Person und Sache) unterscheidet. Ist das Fragepronomen (zusammen mit dem geschlechtslosen Personbegriff) kasus- statt geschlechtsbezogen (auf Herrschaft und Besitz sowie die davon abhängigen Attribute bezogen, während das Geschlecht in diesem Kontext „irrational“, an den stummen Trieb gebunden ist)?
    Zusammenhang von Frage, Bitte und Gebet: Das Gebet gehört zu einem Zeitalter, in dem das Wünschen noch geholfen hat, während das Recht und die Ökonomie, die Rahmenbedingungen der Selbsterhaltung, einen Zustand herbeiführen, in dem das Wünschen sinnlos wird, wenn ihm die Mittel der Realisierung fehlen.
    Steht das Fragepronomen unter dem Gesetz des Raumes (ist die Grundfrage das Wo, und nicht das Wer oder Was), und ist das der Grund seiner Geschlechtslosigkeit? – Wie hängen die Fragepronomen mit den Präpositionen und den Präfixen zusammen? Wie hängen der Ursprung und die Entfaltung und Differenzierung der modernen Sprachen, ihre Ablösung von den klassischen flektierenden Sprachen, mit der Geschichte des Ursprungs des Inertialsystems zusammen, mit der Halbierung der Welt?
    Ist die Reflexionsbeziehung zwischen den Fragepronomen und den bestimmten Artikeln eine Eigentümlichkeit der deutschen (und der griechischen?) Sprache?
    In welchem Verhältnis stehen die Fragepronomen zu den Personalpronomen, Demonstrativpronomen, den bestimmten Artikeln, zu den Kasus? Wie verhält sich die Frage zur Mathematik?
    Newtons Begriff des absoluten Raumes gründet darin, daß er durch das Adjektiv „absolut“ gleichsam verstockt darauf beharren muß, daß, was durch die Gravitationstheorie widerlegt wurde, trotzdem anzuerkennen ist, weil es zu den Prämissen dieser Widerlegung gehört (der seitdem verinnerlichte Widerspruch mobilisierte das Schuldverschubsystem). Der newtonsche Begriff des Absoluten gehört zu den Wurzeln des Absolutismus und der Hegelschen Philosophie (der Stellung des Begriffs des Absoluten in ihr). Auch Newton bedient sich schon des Instruments, das Hegel dann benannt hat: der List der Vernunft.
    Gibt es eine generelle Beziehung des Wortes „Wasser“ (aqua, hydor, majim) zum Fragepronomen?
    Lebt nicht die Psychoanalyse von der Wirksamkeit, vom Funktionieren, des Schuldverschubsystems (die Hegelsche Logik auf links gewendet)?
    Frage heißt auf Lateinisch Quaestio (von quaerere, suchen) und bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, den die Frage erst subjektiviert. Die Frage gehört zu einem personalisierenden, autoritären Kontext.
    Die Fragepronomen sind kasus- und nicht geschlechtsabhängig, aber die Kasus selber sind geschlechtsabhängig (nach dem grammatischen Geschlecht variabel organisiert). – Kommt nicht durch den Naturbegriff (der im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist) das Geschlechtliche wieder herein? Der moderne Naturbegriff versucht, beides (den männlichen und den weiblichen Aspekt) zu vereinigen: aber ist diese Vereinigung nicht inzestuös (Rousseau)?
    Das Neutrum ist die Hurerei.
    Schöpfung, Offenbarung und Erlösung: Die Zukunft, die in der Prophetie gesucht wird, wird in der Idee der Schöpfung als vergangene vor Augen gestellt.
    Sind nicht beide Komponenten des Begriffs Dasein, das Da und das Sein, deiktischer Natur (das Sein ist das deiktische Moment im Weltbegriff, Projekt der namenlosen Welt)?
    Bei Mt (Kap 24) heißt der Greuel am heiligen der Ort „Greuel der Verwüstung“.
    Das kontrafaktische Urteil ist ein Instrument der ideologischen Geschichtsschreibung: ein Instrument aus der Werkzeugkiste des Schuldverschubsystems. Es rangiert unter dem Motto: Männer machen Geschichte (und deshalb machen sie auch gelegentlich etwas falsch).
    Im Schematismus-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft werden die Kategorien als Orte in Zeitkontinuum definiert.
    Überzeugen ist unfruchtbar, Überreden die Vorstufe der Vergewaltigung: Gegenüber Kindern wird der Indikativ nicht selten als Steigerung des Imperativs gebraucht (anstatt „Martin, bleib hier“: „Der Martin bleibt hier“). Gegen den Imperativ kann man sich durch Widerspruch, durch Verweigerung (Trotz) wehren, während der Indikativ den Befehl gleichsam ontologisiert, ihn zu einem festgestellten Tatbestand macht, gegen den man sich nicht mehr wehren kann (Zusammenhang mit dem Gesetz und dem rechtskräftigen Urteil). Mißbrauch der elterlichen Sprachgewalt (Teilhabe am Gewaltmonopol des Staates)?
    Kritik der vergleichenden Sprachwissenschaft: Nirgend müßten sich deutlicher die Folgen eines Positivismus nachweisen lassen als hier, wo die einfachsten sprachlogischen Zusammenhänge ausgeblendet werden.

  • 07.10.93

    Zu Crüsemann, S. 246: Könnte es nicht sein, daß ein Verbot des Götzendienstes vor der Landnahme gegenstandslos war und reale Bedeutung erst im Zusammenhang mit der Begründung staatlicher Strukturen erlangte?
    Die Hegelsche Rechtsphilosophie hat, in der Konsequenz der Logik des Hegelschen Systems, den Staat auf eine radikale Weise verweltlicht: Hier ist der Staat zum Vollstrecker des „Weltgerichts“ geworden und der öffentliche Ankläger zum Staatsanwalt (mit der Folge, daß bereits das Ermittlungsverfahren zu einem hoheitlichen Akt wird, Eigenermittlungen Gefahr laufen, als Verletzung der Hoheitsdrechte des Staates inkriminiert zu werden -vgl. Finkelgruen, S. 169). Die ungeheuerlichen Folgen dieser Staatsmetaphysik für das deutsche Staatsverständnis sind bis heute nicht aufgearbeitet: weil sie aufgrund der Verstrickung dieses Staates mit dem Weltbegriff unsichtbar geworden sind?
    Im Titel des Staatsanwalts ist die Gemeinheit, die Ralph Giordano dann wahrgenommen hat, vorprogrammiert.
    Ethik als prima philosophia läßt sich begründen – und der Bruch zwischen der theoretischen und der praktischen Philosophie, der der Trennung des Natur- und Weltbegriffs zugrundeliegt und durch diese Trennung stabilisiert wird, heilen – nur durch die Schuldreflexion.
    Durch den Weltbegriff ist der Götzendienst zur Subjektidolatrie: zum Nationalismus geworden.
    Jesus hat die Sünde, nicht die Schuld der Welt auf sich genommen. Aber nur von der Last der Schuld befreit man sich, wenn man sie auf sich nimmt. Ist die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt (durch die der Logos sich an den Anfang der Welt setzt) die Grundlage für die Schöpfungsbedeutung des Logos? Wird nicht, wer die Sünde auf sich nimmt, selbst zum Sünder (mit ungeheuerlichen Konsequenzen fürs Verständnis des Kreuzestodes)?
    Heute klagen alle Leute darüber, daß sie nach Feierabend so fertig sind, daß sie sich nur noch vor die Glotze setzen können. Die Programme sind denn auch danach: nur noch Drachenfutter (Psychoanalyse verkehrt). Welcher Welt- und Ichzustand drückt sich darin aus! Die durchs Fernsehen vermittelte Welt ist ohne Fernsehen nicht mehr erträglich. Hat das Fernsehen als Droge das Rauchen, ohne das die Nazizeit nicht zu ertragen gewesen wäre, abgelöst (Teil des Modernisierungsschubs)?
    Die Isolationshaft der raf-Gefangenen ist das genaueste Bild der Isolationshaft, in der wir alle sitzen: Das Fernsehen ist die Blende vor dem Zellenfenster, und die Fernsehgesellschaft eine Gesellschaft von Kollektiv-Monaden; Aufgabe der Fernsehanstalten: die Herstellung der prästabilisierten Harmonie durch Verhinderung von Erfahrung.
    Liegen hier nicht die Voraussetzungen einer Politik des Aussitzens, deren Gravitationswirkung die „Hoffnung“ nicht unbegründet erscheinen läßt, daß „uns“ eines Tages Europa, und „morgen“ -wie zuvor die „deutsche Einheit“ – „die ganze Welt“, wie eine reife Frucht in den Schoß fällt; und dient nicht die Diskussion um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ genau diesem Zweck?
    Zu den schlimmsten Folgen des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus gehört die Zerstörung, die Destruktion der Erinnerung an die einzige Gestalt einer moralisch begründeten Politik im Nachkriegs-Deutschland: der Brandtschen Ostpolitik. In diesem Kontext gewinnen Gestalten wie Heitmann ihre verhängnisvolle Funktion.
    Drücken die Chaostheorien nicht den depressiven Untergrund unseres Naturverständnisses aus? Sie reduzieren die Natur auf die Logik der Gräser, Farne und Insekten (auf eine Entwicklungsstufe, in der es die Entsprechung des Licht, die Prophetie des Angesichts in der Natur: die Blüten, noch nicht gab).

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