Wie hängen Grund, Begründung und Schuld mit einander zusammen? Ist der Grund die inverse Schuld?
Gegen die falsche Bewertung der Sexualmoral (zentrales Argument gegen das Zölibat): Das gefährlichste Organ des Menschen ist nicht der Phallus, sondern die Zunge (erst der Weltbegriff exkulpiert die Zunge und belastet des Phallus).
Der Bann der Sexualmoral ist nur zusammen mit dem des Weltbegriffs aufzulösen. Sexualmoralische Begründung des Objektbegriffs (Kristallisationskern der transzendentalen Logik und des Weltbegriffs): Der Objektbegriff (und die mit ihm verbundene Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes) neutralisiert die Differenz von Himmel und Erde, universalisiert sie zur „Welt“; der Begriff der Welt (des Universums) als Repräsentant der Subjektivität im Objekt macht Herrschaft durch Subjektivierung und Vergesellschaftung (durch Identifikation mit dem Aggressor) unkritisierbar (und entzieht so der Theologie den Erkenntnisgrund). Durch die Sexualmoral wird das Kritikbedürfnis auf ein scheinbar herrschaftsfreies Objekt, in Wahrheit jedoch auf das ins Dunkle gerückte Objekt von Herrschaft (auf die Materie) abgelenkt. Der Objektbegriff, Produkt der Neutralisierung des Namens und Ursprung und Repräsentant der Gewalt des Begriffs, ist selber der Inbegriff dieses Dunklen (Herrschaft erzeugt die ihr korrespondierenden Dunkelzonen, die Schattenwelt, ohne die sie kein Licht hat).
Zum achten Gebot: Wo treten falsche Zeugen auf?
– Im Verhör Jesu,
– beim Verfahren gegen Stephanus,
– in der Geschichte der Susanna (Buch Daniel).
Die Confessio als Zeugenschaft ist der eigentliche Ort der Unzucht (Verinnerlichung der Idolatrie). Und die Virginitas ist eine Ersatzbildung der mißlingenden Vermeidung des falschen Zeugnisses (des falschen Bekenntnisses). Die Biologisierung der Virginitas und die Instrumentalisierung der Confessio gehören zusammen.
Der Andere: ist das nicht die falsche Identifizierung des Fremden mit dem Armen unter der Herrschaft des Weltbegriffs (und in seiner reallogischen Konstituierung und Begründung)? Das prophetische Votum für die Armen und die Fremden depotenziert die neutralisierende (und bewußtlos verwirrende) Kraft der Welt, des Weltbegriffs: es entzieht dem Sein die verandernde Kraft. Kommt heute nicht alles darauf an, zu verhindern, daß diese neutralisierende, verandernde und verwirrende Kraft der Welt endgültig den Sieg davonträgt (es wäre der Sieg über die Armen und die Fremden, und über alle Toten)?
Randalierer und Krawalle: das hört sich so an, als ob es sich um Leute handelte, die nur Lärm machen und dazu höchstens noch einiges kurz und klein schlagen, aber sonst relativ harmlos sind. Verschwiegen, verdrängt wird das zentrale Moment der gegenwärtigen Ausländerfeindschaft: die obszöne Mordlust, die sich noch an der folgenlosen Empörung über ihre Taten aufgeilt (und die tagtäglich in der Öffentlichkeit: in der Politik und in den Medien zur Schau getragene Empörung ist folgenlos).
Zu prüfen wäre, welche Rolle bei den derzeitigen Pogromen der Alkohol spielt, und ob es hiernach noch vertretbar und zulässig ist, Trunkenheit weiterhin als strafrechtlichen Milderungsgrund anzuerkennen. Trunkenheit ist ein Männerdelikt, und Trunkenheit ist ein Zivilisationsdelikt (Zusammenhang von Potenzzweifel, Komplizenschaft, falscher Schuldverarbeitung: Kampf gegen den „inneren Schweinehund“, Abbau von Hemmungen). Trunkenheit ist ein Stabilisator der Herrschaftslogik (Taumelbecher). Trunkenheit hat subjektiv (bei der Begründung des autoritären Charakters) eine ähnliche Funktion wie objektiv (im Zusammenhang der Selbstbegründung des Staates) die Strafe im Recht (als Manifestation des Gewaltmonopols des Staates). Vgl. die biblischen Bedeutungen von Wein und Trunkenheit.
Die Verdunkelung der Materie (im Kontext der Etablierung des Weltbegriffs, Reflex des Gewaltmonopols des Staates) ist der Preis für die Zivilisation.
Der substantivische Tod wird am Ende mit weichem „d“, das adjektivische tot mit hartem „t“ geschrieben. Der Eine ist der Abschneidende, das Andere bezeichnet das Abgeschnittene.
Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer Unrecht“ ist ein spätes Echo des jesuanischen „wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“. Hierzu gehört das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“: Heißt das aber nicht, daß, wer steinigt, selber versteinert: zu Stein (Kephas) wird? Ist Petrus und die darauf errichtete Kirche das steinerne Herz der Welt (das „steinerne Herz der Unendlichkeit“ in der „Dialektik der Aufklärung“, mit der Philosophie als Kristallisationskern des historischen Gesteinsbildungsprozesses), dessen Voraussicht die Angst im Garten Gethsemane (Antityp des Gartens Eden) und die Bitte „Laß diesen Kelch an mir vorüber gehen“ allein begründet; ist es dieses Herz, das am Ende in ein fleischernes umgewandelt werden wird?
Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam: einer der ambivalentesten Sätze der Schrift; einer der Sätze, die in den Kontext des Kelchsymbols gehören. Doppelbegriff der Kirche: das Gebäude (Nachfolger von Tempel und Turm) und die Gemeinde.
Komplizenschaft und Identifikation mit dem Aggressor oder Prinzip Mescalero: In der Regel zeigen insbesondere die, die bloß das Glück hatten, nicht erwischt worden zu sein, mit besonderer Empörung und besonders tiefem Abscheu auf die, die erwischt wurden. So erweist sich diese (und nicht nur diese, sondern bei genauer Betrachtung jede) Empörung als eine Manifestation der klammheimlichen Zustimmung.
Zum Begriff des Lösens: gelöst wird der Knoten, das Siegel, und gelöst wird die Fessel, mit der der Gefangene gebunden wurde.
Zur Geworfenheit und zum Vorlaufen in den Tod: Die Heideggersche Philosophie findet sich als Ontologie zwangsläufig in der Isolationshaft wieder, aus der die Philosophie aus eigener Kraft nicht herauskommt. Das Vorlaufen in den Tod ist ambivalent: Es ist die Identifikation mit dem Aggressor und zugleich das verzweifelte Pochen an der Zellentür, die nur mit Hilfe des Engels Theologie aufzusprengen wäre. Nicht zufällig erinnert der Titel Fundamentalontologie an die Verliese, die in den Fundamenten der Burgtürme sich befanden, und der Begriff der Geworfenheit an das Verfahren der Verbringung der Gefangenen in diese Verliese.
Uta Ranke-Heinemann verkennt, daß die historische Kritik nur die Vorarbeit ist, die dann aber helfen sollte, den prophetischen Kern der Texte freizulegen. Franz Rosenzweig hat das Sigel R (das den Redaktor bezeichnet) als Rabbenu (unser Lehrer) dechiffriert.
Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ gibt einen Hinweis darauf, wie die Idee der Auferstehung der Toten noch sich halten läßt. Und zu Benjamins Satz „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“: Wir verraten die Hoffnungslosen nochmal (und endgültig), wenn wir die Hoffnung, die wir nur für sie hegen dürfen, verraten. Die Prophetie hat ein fundamentum in re, unabhängig davon, ob das, worauf sie abzielt, eintreten wird oder nicht (vgl. den letzten Satz in Blochs „Geist der Utopie“).
Ranke-Heinemann
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28.09.92
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24.09.92
Architektur und Ontologie (Haus des Seins): Die Gründung des Hauses (als Schutz gegen die Außenwelt) ist erkauft mit der ersten Raumerfahrung: In jeder Ecke des Hauses wird die orthogonale, dreidimensionale Struktur des Hauses sichtbar und anschaulich. Aus der Erfahrung des Hauses stammt die des Kosmos, der Welt. Das Innen war seit je das Außen des Außen. (Zusammenhang mit dem Turm von Babel, dem Ursprung der Sprachverwirrung, und dem Namen Pharao, des Herrn des Sklavenhauses?)
Pharao ist das große Haus, Josef war seine rechte Hand (Vorgeschichte mit Potiphar und seiner Frau, die Gefängniszeit, der Mundschenk und der Hofbäcker, der Traum und dann der Ursprung, die Entstehung und die Vollendungsgeschichte dieses „großen Hauses“, des Sklavenhauses, die Geschichte der Akkumulation des Eigentums in der Hand des Pharao). – Mizraim (Ägypten) ist ein Dualis.
Verweist die kantische Bestimmung des Weltbegriffs als Begriff der mathematischen Totalität aller Erscheinungen auf den mathematischen Grund des Weltbegriffs selber?
An dem Kapitel über die Wunder Jesu in Uta Ranke-Heinemann: „Nein und Amen“ läßt sich genau studieren, wie Empörung dumm macht.
Zu den Dämonen, die Jesus als Sohn Gottes erkennen und ansprechen, deren Name „Legion“ ist, und die dann auf eigenen Wunsch in die Schweineherde fahren und sich ins Meer stürzen: Ist es so undenkbar, daß hier die Kirche gemeint ist? War es nicht Petrus, der nach der Apostelgeschichte über einen Traum das Essen von Schweinefleisch eingeführt hat? Und ist es nicht die Kirche, die dem Namen des Gottessohns im Dogma eine dämonische Signatur gegeben hat?
Zum Islam: Ist die Verbindung von Religion und Politik, in die der Fundamentalismus immer wieder zurückfällt, nicht aufgrund der islamischen Schöpfungsvorstellung, wonach Allah die Welt jeden Augenblick neu erschafft, um sie zu erhalten, unvermeidbar?
Zum Kollektivschuld-Problem hat man nach dem Krieg nur eine Sprachregelung, keine Lösung gefunden. Es gibt keine Kollektivscham, es sei denn, daß man ein Kollektiv-Subjekt akzeptiert; aber das wäre genau das Subjekt, von dem die Täterqualität nicht abzuwischen ist. Diese Kollektivscham war der Rettungsanker, über den der Nationalismus sich erhalten hat: Seitdem ist Auschwitz (Hoyerswerda, Rostock etc.) eine Schande für den deutschen Namen: der Opfer braucht nicht mehr gedacht zu werden (und man kann es den Juden übelnehmen, daß sie Anlaß waren, daß dieser Schatten auf den deutschen Namen gefallen ist, mit der Folge, daß Rostock keine Diskussion über den erschreckenden Ausbruch der Gemeinheit und der Niedertracht auslöste, sondern nur über das Asylrecht, die wieder die Opfer zu den in Wahrheit Schuldigen machte). Durch die Kollektivscham wurden die Untaten dem Bereich des Gewissens entrückt und zu einer Sache des Urteils der Geschichte, der Welt, des Auslands über uns. In der Kollektivscham sieht sich die ganze Nation als von außen angesehen. So wurde die Maxime sanktioniert, wonach es nicht aufs Tun, sondern aufs Erwischtwerden ankommt, und die Schleusen der Gemeinheit sind seitdem weit geöffnet. Der einzige Weg, der hätte herausführen können, wurde durch das Stichwort Kollektivscham (in instinktiver Kenntnis der Konsequenzen) versperrt: Das Bewußtsein, daß man auch durch Nichthandeln schuldig werden kann, Grund der Reflexion des Weltbegriffs (Bedeutung des Wortes von der Übernahme der Sünde der Welt und seiner theologischen, dogmenkritischen Konsequenzen: die Opfertheologie wäre nicht mehr zu halten gewesen).
Aber scheitert die sühnelogische Interpretation der Opfertheologie nicht an schon an der Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie? Diese Zwei-Naturen-Lehre widerspricht nämlich der Instrumentalisierung des Opfers, ohne die es die Sühnelogik nicht gibt. Erst die Anpassung der Theologie an die Welt, die übernahme der Logik des Weltbegriffs in den theologischen Erkenntnisbegriff oder die innere Säkularisierung der theologischen Gehalte, die selber abhängig ist von der sühnelogischen Interpretation der Opfertheologie, die insbesondere dann im Begriff einer Erschaffung der Welt aus dem Nichts sich manifestiert, zieht als ihren Schatten einen Naturbegriff nach sich, der die theologischen Inhalte gleichsam aufsaugt und dann gegen die Theologie sich verselbständigt. Dieser Naturbegriff neutralisiert den Widerspruch, von dem er lebt: er läßt nicht mehr sich auflösen (und zerstört, durch Gewöhnung an den Widerspruch, jede Kraft der Argumentation: er zerstört die Sprache).
Die Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie (die Idee der Erschaffung der Welt aus dem Nichts) schirmt die Politik gegen theologische Kritik ab (neutralisiert die Prophetie) und begründet die seitdem (nicht nur im Christentum) herrschende zentrale Stellung der Sexualmoral (und das in der Geschichte mit der Ehebrecherin bezeugte Verhältnis Jesu zur Sexualmoral ist in seiner Weltkritik begründet). Oder anders formuliert: die christliche Sexualmoral ist ein Produkt der inneren Säkularisation der theologischen Tradition.
Gründet nicht der kantische Begriff der Erscheinung (als eine Totalität des Scheins) und dessen Hegelsche Zuspitzung zum Begriff des Scheins (aus dem das Wesen hervorgeht) in der Beziehung zur Schuld, indem er vom Schuldzusammenhang, aus dem er stammt, abstrahiert, selber (durch das Schuldverschubsystem und die verandernde Kraft des Seins) zu einer Kraft der Exkulpation wird. Dieser Widerspruch wird im Naturbegriff gegenständlich, er ist ein Säkularisat der Theologie. Grund ist die (aus der Innenerfahrung des Hauses stammende) Vorstellung des Raumes, der Reversibilität der Richtungen im Raum, durch die die Differenz zwischen den Richtungen im Raum (Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Rechts und Links, Oben und Unten) neutralisiert und zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Hier entspringt der logische Zusammenhang, der in der transzendentalen Ästhetik und Logik Kants und im System der Hegelschen Philosophie sich entfaltet, der zugleich in der Grundstruktur des Kapitalismus, in der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, sich manifestiert und seine systembegründende Qualität gewinnt. Hier wurde der Pakt Fausts mit dem Teufel geschlossen, in dessen Bann wir seitdem sind.
Das Christentum ist die jüdische Antwort auf eine veränderte geschichtliche Situation; und diese Veränderung drückt sich zentral in der Funktion und Bedeutung, im logischen und historischen Stellenwert des Weltbegriffs aus. Aber diese neue Antwort war in sich selber ambivalent, und ihre Ambivalenz war unvermeidbar. Diese Ambivalenz abzuarbeiten wäre die heutige Aufgabe der Theologie. -
08.09.88
Empörung verstellt den Blick, wenn es um den Begriff von Vergangenem geht. Sie ist in der Regel ein Hinweis auf Nachwirkungen dessen, worauf Empörung reagiert, auf Widerstand gegen Einblick in Verdrängtes. Hierbei handelt es sich um Verdrängungen, die weniger in individuellen als vielmehr in kollektiven, historischen traumatischen Prozessen begründet sind. Die Neigung, hier empört zu reagieren, verweist auf den naturgeschichtlichen Prozeß, auf Nebenwirkungen der historischen Auseinandersetzung mit der Natur. Als „veraltet“ wird empfunden, was auf vergangene Phasen der Auseinandersetzung mit der Natur verweist; verdrängt wird, daß diese Phasen zu den Voraussetzungen und Bedingungen auch des gegenwärtigen Daseins noch gehören. Verhaltensweisen, die heute nur noch irrational sind, können durchaus einmal (unter anderen Bedingungen) ein angemessener Ausdruck rationalen Verhaltens gewesen sein. Mehr noch: ob sie wirklich irrational sind, könnte unter Umständen vielleicht erst dann entschieden werden, wenn der Bann, unter dem Natur im Zeitalter der vollendeten Naturbeherrschung steht, einmal gelöst ist. (zu Uta Ranke-Heinemanns „Eunuchen für das Himmelreich“)
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie