Rassismus

  • 15.11.93

    Wie stellen sich die Naturwissenschaftler das eigentlich vor, daß irgendwann in der Welt irgendwelche Dinge angefangen sind zu sehen und zu hören?
    Unterscheiden sich die beiden Schöpfungsberichte nicht dadurch, daß
    – der erste mit dem Licht beginnt (auf das Sehen, das Angesicht sich bezieht), während
    – der andere den Menschen durch den Atem Gottes zum Leben erweckt (d.h.: auf die Sprache sich bezieht und mit der Geschichte vom Sündenfall endet)?
    Wer den Wahrheitsbegriff auf die Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand gründet, versperrt sich selbst den Weg zu der Wahrheit, die lebendig und frei macht. Dieser Weg führt durch die Schuldreflexion hindurch.
    Ist der Rechtsradikalismus (und die gegenwärtige Form der Gewalt) nicht der Naturaspekt des heutigen Weltzustandes (die Welt ist blind, die Natur taub)?
    Der Zuschauer konstituiert den Schuldzusammenhang, indem er sich davon distanziert. Er spaltet die Schöpfung in Natur und Welt (Gegenstand und Begriff).
    Philosophie und Caesarismus haben der Theologie und der Kirche den Trägheitsschutz eingeimpft, der sie vor der Gotteserkenntnis schützt.
    Das Buch Jona ist prä- und postapokalyptisch zugleich. Es bezeichnet den Angelpunkt zwischen Prophetie und Apokalyptik. Die Buße in Ninive geht vom Volke aus, ergreift dann auch den König, der die Tiere (die Welt) mit einbezieht. Nicht zuletzt wegen des Viehs wird Ninive verschont.
    Innerweltlich gibt es trotz aller Probleme keine Alternative zur Deszendenztheorie; sie verändert sich vollständig, wenn man die Kritik des Weltbegriffs mit hereinnimmt.
    Zum Weltbegriff gehören viele (Tier- und Herrschafts-)Götter; er ist an sich polytheistisch. Ist nicht die Welt ein plurale tantum, wobei die Frage nach der besten aller Welten gegenstandslos ist (die Religion, der man angehört, ist ohnehin die falsche)?
    Ist nicht auch der Vater ein plurale tantum (Ursprung des plural majestatis) und seine Unterwerfung unters Identitätsprinzip Grund der Vermischung von Gewalt und Autorität?
    Im Namen des Hundes begreife ich sowohl die Gattung Hund als auch die Welt des Hundes: alle drei sind ineinander verschränkt (und die Namen der Tiere sind in die Bestimmungsmacht der Menschen gegeben).
    Zu Marx, Freud und Einstein: Haben nicht alle drei ihre Kopenhagener Schule, mit wachsender Zuspitzung des Problems, von Marx zu Engels, von Freud zu Jung und von Einstein zu den Promotoren der Atomphysik?
    Die Selbstverfluchung Petri bei der dritten Leugnung entspricht dem Danielschen Greuel am heiligen Ort.
    Ist der Objektbegriff die Grundlage der Seelenvorstellung?
    Cohen, S. 522: Der Hass ist subjektlos, ein Weltaffekt, Produkt der Identifikation mit dem „Haß der Welt“.
    S. 523: Ist nicht die Idee des „Naturfriedens“ wie auch die des Naturschönen, und damit die Idee des Friedens insgesamt, begründet im Wunder sinnlichen Naturerfahrung?
    S. 524: Der Haß ist Rückfall in Biologie; und das gilt nicht nur für den Rassismus.
    S. 527: Die Freude über eine gute Handlung bezeugt die Lebenskraft des Friedens. (Der Rechtsradikalismus ist ein Indikator für den Naturaspekt des Weltzustandes, der die Menschen zwingt, dem Verlangen, gut zu sein, zu entsagen und …)
    Dem Glück sind die Tränen der Freude näher als das Lachen.

  • 26.06.93

    Mit dem Weltbegriff wurde die Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft etabliert, damit die Quelle des Fortschritts eröffnet und die Erinnerungsfähigkeit domestiziert (abgeschnitten). In diese Geschichte ist das Christentum als Lehre und als Institution solange unheilbar verstrickt, wie es seine eigene Vergangenheit, nämlich die jüdische Tradition, nur in der durchs Dogma entstellten, antijudaistischen Gestalt erinnert.
    Bezieht sich das zweite bara in der Schöpfungsgeschichte (die Erschaffung der großen Seeungeheuer) auf den Staat?
    Ist die Metzsche Ersetzung der Sensibilität durch die Empfindlichkeit nicht ein Anpassungseffekt?
    Die Erweckungsgeschichten: der Jüngling von Naim, die Tochter des Jairus und Lazarus.
    Der Begriff der Gesellschaftskritik hatte auch ein Stück Exkulpations- und Alibifunktion: Schuldig waren die, die sich mit dieser Gesellschaft identifizierten, sie repräsentierten; der Gesellschaftskritiker war (wie generell der Empörte) durch seine Kritik (Empörung) ausgewiesen als einer, der der Schuld enthoben war. Auf die Änderung kam es schon gar nicht mehr an.
    War nicht die Enttäuschung der Parusieerwartung durch ihre Folgen (durch einen selbstreferentiellen Rückkoppelungseffekt) selber eine der Ursachen der Verzögerung, des Ausbleibens der Parusie? War sie nicht selber ein Teil der Parusieblockade? Und ist nicht das Dogma der Felsen, in den das Grab gehauen war, und der Stein vor dem Grab? Aber am Ende wird sich erweisen, daß das Grab leer ist. Als Petrus und der andere Jünger (Joh 203ff) zum Grab liefen, war der andere Jünger als erster am Grab, aber Petrus ging als erster hinein.
    Ist nicht der Begriff einer Enttäuschung der Parusieerwartung nur ein taktvoller Ausdruck für die Verdrängung der Parusieerwartung, und das etablierte Christentum die Erfüllung einer selffulfilling prophecy? Die Christen haben das letzte Wort am Kreuz umgekehrt: Sie vertrauen auf die Vergebung Gottes, indem sie sich bemühen, nicht mehr zu wissen, was sie tun. Wenn auch der neue Katechismus wieder die Barmherzigkeit Gottes in die Sündenvergebung legt, so apelliert er genau an diesen Mechanismus. Begründet ist das ganze in einem Personalismus, der die Schuld verrechtlicht, sie an das Prinzip der Zurechenbarkeit (und damit ans Prinzip des Beweises) knüpft, und dann nach dem Motto lebt, was die Welt nicht weiß, macht mich nicht heiß.
    Der Rechtsradikalismus heute hat seine Wurzeln nicht auf der Bekenntnisebene (im „Rassismus“), sondern auf der Verhaltensebene: in Ritualen und Wiederholungszwängen. Das ist es, was die Linken so irritiert, die selber von der idealistischen Vorstellung, daß das Tun in Vorstellungen und Ideen gründet, nicht mehr loskommen. Der Rechtsradikalismus zeichnet sich dadurch aus, daß er die Bekenntnislogik endlich vom Inhalt des Bekenntnisses gelöst, sie auf ihre Identifikationsfunktion reduziert und so zu einer reinen Verhaltenslogik gemacht, damit aber erstmals analysierbar gemacht hat.
    Läßt sich nicht die Kritik des verdinglichenden Denkens und die Kritik des Weltbegriffs aus dem „Richtet nicht …“ herleiten?
    Steckt die Beziehung des Glaubens- zum Schuldbekenntnis nicht in dem Schein der Schuldbefreiung (der „Rechtfertigung“) durch den Glauben, in der falschen, weil autoritären Plausibilität der Vorstellung, daß Er, wenn ich Ihn als den Herrn anerkenne, mich dafür lieb haben wird? Hier ist nicht mehr die Tat, sondern wie ich angesehen werde: das Erwischtwerden entscheidend (Problem der Scham). Und geht es nicht genau darum in der Geschichte von den drei Leugnungen: repräsentieren die Umstehenden nicht die Welt, die Ursache der Scham?
    Auschwitz ist die Frage an Petrus (die Kirche) vor der dritten Leugnung, und die Kollektivscham (der neue Katechismus, mit dem die Kirche der Kollektivscham ausweglos verfällt) die mit der Selbstverfluchung verbundene dritte Leugnung.
    Die Sorge um die Zukunft und die Sorge um den andern gehorchen der gleichen Logik.
    Auch das „Liebet eure Feinde“ ist (wie die Umkehr und das „Richtet nicht …“) ein erkenntnistheoretisches Prinzip: Es ist ein Sinnesimplikat der Kritik der Verdinglichung. Der Objektbegriff selber ist Repräsentant des Feindes im Objektivierungsprozeß, der von der Unterwerfung des zum Objekt Gemachten sich nicht trennen läßt. Das Urteil gründet im Schuldzusammenhang und konstituiert ihn zugleich; diesen Zusammenhang erstmals in die Nähe der Erkenntnis gebracht zu haben, ist das große Verdienst der kantischen Transzendentalphilosophie. Das Gebot der Feindesliebe ist nicht zu trennen vom Nachfolgegebot und seiner Begründung in Joh 129, von der „Übernahme der Sünden der Welt“. Die dogmenbegründende Opfertheologie perpetuiert das Feindbild und seine Logik (die Bekenntnislogik, die durch das opfertheologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ und durch das Opfer der Vernunft das Bekenntnis von der Erkenntnis trennt). Sie hat seit je mehr an den Teufel als an Gott geglaubt.
    Ist nicht das lateinische ire (gehen) ein reines Infinitivsuffix? Hat dieses ire etwas mit ira (Zorn) zu tun? Was bedeuten Verben wie dare (geben) und fere (tragen), die das Infinitivsuffix nur an einen Vokal binden? Gibt es nicht auch zu den gestae (Geschehnissen) einen Infinitiv gere?
    Nochmal zum Sein:
    – Ist nicht auch das esse ein reiner Infinitivsuffix? Dann aber diese merkwürdige Folge sum, es, est, sumus estis, sunt, mit gleichen Stämmen
    . in der 1. Pers. sing. und der 1. und 3. Pers. pl. (ich, wir und sie) bzw.
    . der 2. und 3. Pers. sing und der 2. Pers. pl. (du, er, sie, es und ihr).
    Hat das sum, sumus, sunt etwas mit sumere (nehmen) zu tun, das auf die merkwürdige (instrumentalisierende) Beziehung des Seins zum Eigentumsprinzip verweisen könnte?
    – Ist das Griechische einai ein durch das -ai suffigiertes Infinitivsuffix -ein? Gibt es das Suffix -ai auch sonst noch im Griechischen, ist es vielleicht Ausdruck einer Hypostasierung (durch Pluralisierung)?
    – Im Deutschen sind die Stammbindungen anders verteilt: bin, bist, ist, sind, seid, sind: Verbunden sind das ich und du, dann die Pluralbildung, während die 3. Pers. sing. (und anders die 3. Pers. pl., die rückwirkend auch die 1. Pers. pl. bestimmt: Selbstobjektivierung des wir!) an die entsprechende lateinische Bildung anklingt.
    – Im Englischen ist der Infinitiv von Sein (das to be) von den präsentischen Deklinationsformen getrennt (am, are, is, are, are, are, mit der merkwürdigen Identität aller Pluralformen mit der 2. Pers. sing. – Zusammenhang mit dem to be, der Hypostasierung des Präfixes be-?).
    Zur Sprachlogik des „Seins“ vgl. auch die Frage der Perfektbildungen mit den Hilfszeitverben haben und sein (im Englischen nur mit have). Ich habe getan, ich bin gewesen (I have been).
    Wird der Ausdruck „(diese) Person“ nur von Frauen über Frauen im diskriminierenden Sinne gebraucht? Bei einem Mann ist ein vergleichbarer Ausdruck „(der) Kerl“. Ist im Falle des Personbegriffs nicht gemeint, daß hier eine Frau sich herausnimmt, Person zu sein, was doch nur einem Mann zusteht? Und drückt darin nicht auch sich aus, daß der Personbegriff sich als Produkt einer Projektion begreifen läßt: als Produkt der Personalisierung; indem ich jemand als Person bezeichne, halte ich ihn für sein Tun rechtlich und moralisch verantwortlich. (Vgl. den theologischen Ursprung und Gebrauch des Personbegriffs in der Theologie: bei Tertullian; Grund der urpatriarchalischen Trinitätslehre?)
    Mit herauszuhören ist beim diskriminierenden Gebrauch des Personbegriffs auch der Anklang an die Diskriminierung der Prostitution, die weniger an die Verletzung des Sexualtabus (dann müßte die Diskriminierung sich gegen den Mann richten) als an das Problem der Emanzipation (der aktiven Teilnahme von Frauen am Warenverkehr) erinnert. Ist nicht der diskriminierende Personbegriff ein veralteter Ausdruck für das, was heute „Emanze“ heißt? Und rührt das ganze nicht viel mehr an das Problem der Ehe und deren Verstrickung in den historischen Prozeß (und an die politischen Konnotationen der Sexualmoral bei den Propheten)? Kulminiert dieser Konflikt nicht heute in der Werbung, die nicht nur den Tod verschweigt, sondern jeden Genuß auf den der sexuellen Gewalt reduziert (zurückführt)? Wäre nicht anhand der Werbung (und ihrer Vorform: der Propaganda, deren Begriff kirchlichen Ursprungs ist) zu demonstrieren, was heute Keuschheit heißen müßte, zusammen mit der Reflexion des Sachzwangs: Es gibt keine Massenproduktion (weder von Waren, noch von Christen) ohne Werbung. Die Produkte müssen sich (wie Babylon durch den Turm, wie die Christen seit Antiochien) einen Namen machen. Seitdem kann man sich dem Zwang, in jeder sprachlichen Äußerung nur noch herauszuhören, wofür oder wogegen einer ist (der Erkenntnis des Guten und Bösen), fast nicht mehr entziehen kann.
    Merkwürdige Beaobachtung beim Scharping (gestern in der ARD): Was hatte es zu bedeuten, wenn er in der Befragung gestern abend beim Wechsel des Fragenden jedesmal mit einer Wendung des Kopfes reagierte, die auszudrücken schien, welche Mühe es ihm bereitete, sich von der vorhergehenden Frage (und dem Fragenden) zu lösen, um der neuen Frage sich zuwenden zu können?
    Im Angesicht Gottes, oder wie hängen Sehen und Hören mit einander zusammen? Sind nicht die Blinden und die Tauben, nur beide mit charakteristischen Differenzen, auch von physiognomischen Wahrnehmungen und Erkenntnissen bestimmt? Die physiognomischen Wahrnehmungen des Blinden und seine Art der Aufmerksamkeit unterscheiden sich signifikant von denen des Tauben: Der Blinde lebt vom natürlichen Vertrauensvorschuß, während der Taube dem paranoiden Mißtrauen nur mit großer Anstrengung sich entziehen kann. Ist nicht die Erfahrung des Hasses der Welt eher ein Sinnesimplikat eher des Hörens als des Sehens? Und muß nicht, wer mit den Augen hören lernen will, durch diesen Haß der Welt hindurch? An diesem Haß der Welt habe ich als Sehender größeren Anteil denn als Hörender; er wird auf den begriffslosen Begriff gebracht durch die subjektive Form der äußeren Anschauung: durch die Form des Raumes. Heute vergeht dem wirklich Sehenden das Hören, dem wirklich Hörenden das Sehen. Aber lernen müßten wir, mit den Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen. Steckt nicht das in dem Wort: Wer euch angreift, greift meine Augapfel an.
    Hat es nicht doch eine ganz anderen metaphysischen, oder genauer prophetischen Hintergrund, wenn heute die Beziehung der Geschlechter nicht mehr im Kern durch die Ehe, sondern durch den Zustand der Welt (der prophetisch im Bilde der Ehe zu begreifen wäre) definiert werden?
    Anhand der Ehe wäre zu demonstrieren, welche Bedeutung die Sakramente einmal für das „Bestehen der Welt“ (im objektiven, logischen, wie im subjektiven, moralischen Sinne) hatten, und welche Kräfte, Zwänge und Notwendigkeit hier wie auch bei der Säkularisation der anderen „Sakramente“, in der Geschichte des modernen Staates, wirkten und zugleich sich entfalteten, freigesetzt wurden (Ursprung der modernen Staatsmetaphysik). Diese Geschichte steht in Wechselwirkung mit dem Ursprung und der Entfaltung des Inertialsystems: Hier wurden die Sakramente zu den Siegeln (mit dem Nationalismus als säkularisierter Eucharistie: vgl. Bölls Sakrament des Büffels), deren Lösung die Apokalypse beschreibt.
    Ist nicht die Säkularisierung der sieben Sakramente beschrieben in Geschichte von den sieben unreinen Geistern? Und bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen nicht auf diese sieben Sakramente? Welche Bedeutung hat in der Johannes-Apokalypse (108ff) das Essen des Buches (im Munde süß, im Magen bitter)? Gibt es eine Beziehung zum Trinken des Bechers des Zorns? Ist das nicht die letzte Gestalt der Eucharistie? (Vgl. 1 Kor 1125ff)
    Was bedeutet das to arnion to esphagmenon (Offb 512, lt. Einheitsübersetzung: das Lamm, das geschlachtet wurde) wörtlich? Ist nicht das im Katechismus zitierte entsetzliche Lumen gentium-Wort von der „liebenden Zustimmung zur Schlachtung des Sohnes“ eine projektive Verarbeitung der Schuld, ohne die das Amt des Papstes nicht mehr zu ertragen wäre? Es reicht nicht mehr, nur Jesus die Schuld der Welt aufzubürden; auch diese Schuld (der Verdrängung, der zwangshaften und vergeblichen Wiederholung des Opfers) muß noch abgewälzt werden auf Maria: So wird sie zur „Mittlerin aller Gnaden“. Da ist das Stabat mater ehrlicher. Gibt es nicht ein herzzerreißendes und steinerweichendes Weinen?
    Diese ungeheure Schwammspinner-Johannistrieb-Natursymbolik? Wann begreifen wir’s endlich?
    Bezieht sich die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel auf das finster gewordene Geheimnis des Bußsakraments?
    Hängt der Patriarchalismus des Christentums mit dem Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre zusammen? Welche Bedeutung hatte hier die Übertragung der Theologie aus der griechischen in die lateinische Sprache (Tertullian)?

  • 11.06.93

    „Wo Es ist, soll Ich werden.“ Das Unbewußte verhält sich zum Bewußtsein wie das Nicht-Ich zum Ich: Es ist Teil eines transzendentalen Systems; es gibt kein Unbewußtes ohne Bewußtsein, kein Es ohne Ich (kein Objekt ohne Begriff, keine Natur ohne Welt). Was beide trennt, hat einen Namen: das Urteil (biblisch: Baum der Erkenntnis). Freuds Aufforderung zieht seine Kraft aus dem, was einmal Umkehr hieß.
    Die Beweisführung Julian Jaynes‘ zieht ihre Kraft aus der Zweideutigkeit des Begriffs des Bewußtseins: Er setzt das Unbewußte, daß sie doch erst in der Beziehung zum Bewußtsein (in einer bestimmbaren geschichtlichen Periode) konstituiert, als vom Bewußtsein getrennte Natur, das dann zwangsläufig (wie der Rassismus der Nazis) in der Biologie anzusiedeln ist.
    „Wenn die Welt euch haßt“: Der Haß der Welt konstituiert die Natur; so leugnet der Weltbegriff die Schöpfung. Aber der Naturbegriff leugnet die Auferstehung: der Haß der Welt, in dem er sich konstituiert, trifft die Fähigkeit zu hören, auf die die Idee der Auferstehung sich bezieht, tödlich. Der evangelische Rat des Gehorsams, der diese Fähigkeit zu hören (das „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“) meinte, ist erst durch die kirchlich-theologische Rezeption des Weltbegriffs (durch den kirchlichen Selbsthaß) zum bloßen Gehorsam, dem christlichen Pendant des Islam, verkommen. Deshalb ist die Idee der Auferstehung grundlos geworden. Aber hier wird erstmals deutlich, worauf sich der Satz von der „Sünde wider den Heiligen Geist“ bezieht: auf die Identifikation mit dem „Haß der Welt“.
    Ihr Natursein ist der Grund, weshalb die Schöpfung seufzt und in Wehen liegt.
    Der theologische Kompromiß der creatio mundi war keiner, sondern hat die Opferfalle (den Naturbegriff) eröffnet, aus der die Theologie sich bis heute nicht hat befreien können. Aber: die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen!
    Schelers Wertphilosophie wird aufs genaueste durch die Umkehrung eines Sprichwortes getroffen: Viele Breie verderben den Koch.
    Wer ist in einem Karussel vorn und wer ist hinten?
    Stand das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, in der Tradition des kreisenden Flammenschwerts? Mit der Durchschlagung des Knotens wurde das Retten gegenstandslos.
    Die Kirche, die zu den Urhebern der Verweltlichung der Welt gehört, ist die Kirche der dreifachen Leugnung.
    „Verflucht beim Herrn sei der Mann, der es unternimmt, Jericho wieder aufzubauen. Seinen Erstgeborenen soll es ihn kosten. wenn er sie neu gründet, und seinen Jüngsten, wenn er ihre Tore wieder aufrichtet.“ (Jos 626) „In seinen Tagen baute Hiel aus Bet-el Jericho wieder auf. Um den Preis seines Erstgeborenen Abiram legte er die Fundamente, und um den Preis seines jüngsten Sohnes Segub setzte er die Tore ein, wie es der Herr durch Josua, den Sohn Nuns, vorausgesagt hatte.“ (1 Kön 1634) -Jericho ist die Palmenstadt?
    Zur Abtreibungsdiskussion vgl. Mt 2415ff: Wenn ihr den Greuel am heiligen Ort stehen seht, der durch den Propheten Daniel (927, 1131, 1211, H.H.) vorhergesagt worden ist – der Leser begreife -, dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen; … Weh aber den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen. Betet darum, daß ihr nicht im Winter oder an einem Sabbat fliehen müßt. Denn es wird eine so große Not kommen, wie es noch nie eine gegeben hat, seit die Welt besteht, und wie es auch keine mehr geben wird. Und wenn jene Zeit nicht verkürzt würde, dann würde kein Mensch gerettet werden; doch um der Auserwählten willen wird jene Zeit verkürzt werden.
    Urknall-Theorie: Die Physiker projizieren ihre eigene Dummheit in die Dinge. Bei den globalen Theorien werden alle Differenzierungen, ohne die Detailforschung nicht mehr denkbar ist, vergessen; übrig bleiben der leere Raum und die Frage, wie die Materie da hinein gekommen ist. Im Hinterkopf haben sie die „christliche“ Vorstellung der creatio mundi ex nihilo, und zu diesem „nihil absolutum“, wie Kant es genannt hat, fällt ihnen nur der leere Raum, in dem „nichts drin“ ist, ein. Aber physikalische Anfänge gibt es nur innerhalb des Systems, in dem alle physikalischen Begriffe, Erscheinungen und Gesetze überhaupt erst sich konstituieren, und das absolute Anfänge per definitionem ausschließt: im Inertialsystem, während ein realer kosmischer Anfang auch den des Raumes und der Zeit mit enthalten müßte.

  • 08.06.93

    Die Heußsche Erfindung der Kollektivscham war ein genialer Trick, sich selbst und allen anderen die Erinnerungsarbeit: die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, zu ersparen; sie gehört zu den Wurzeln des Ausländerhasses heute. Seit der Erfindung der Kollektivscham nehmen die Deutschen sich selbst nur noch im Blick, der sie von außen trifft, wahr, im Blick der Anderen: der Nachbarn, des Auslands, der Welt; seitdem gehört die paranoide Frage, wie das Ausland (die Welt) sie sieht, zu den gleichsam existentiellen Grundfragen der Deutschen. Zur unbewußten (aber stringenten und handlungswirksamen) Logik des Ausländerhasses gehört es, daß man mit der Beseitigung der „Ausländer“ (wie früher mit der „Endlösung der Judenfrage“, mit der Juden-Vernichtung) glaubt, sich von dieser lästigen Instanz befreien zu können. Zur Logik dieses Syndroms gehört das Bild von der „Asylantenflut“, die das Deutschtum – wie die Scham das Selbst – überschwemmt. (Gehört zur Keuschheit nicht vor allem die Fähigkeit zur Reflexion der Scham: die Fähigkeit, auf dem Meer zu wandeln: schamfrei zu werden, nicht schamlos und nicht unverschämt?)
    Zum „Deutschtum im Ausland“ gehörten einmal die „Volksdeutschen“, die, sofern sie sich „zum Deutschtum bekennen“, heute als Rücksiedler (damit am Ende auch alle schön beisammen sind) die Chance erhalten, endlich „heimzukehren ins Reich“.
    Die Kollektivscham: der blinde Fleck, der die Stelle markiert, an der sich einmal das Selbst befand, drückt sich am deutlichsten aus in der grammatischen (Un-)Logik des „Wir Deutschen“; sie bringt das Deutschtum und seine Beziehung zum Volks-, Eigen-und Heiligtum auf den Begriff.
    Zur Genesis des Behemot: Im Paradies waren die Menschen nackt, „aber sie schämten sich nicht“. Jedoch nach dem Sündenfall heißt es nur: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie bedeckten ihre Blöße, aber die Scham wird nicht mehr erwähnt. Wurden die Tiere, die der Scham nicht entrinnen konnten, damals paranoid (Fell, Flucht und Aggression, Hörner, Zähne, Klauen)? Gott aber gab den Menschen ein Fell von Tieren: die Möglichkeit, die Scham zu reflektieren (Ursprung der Mode).
    Die „Volksdemokratien“ kannten das „Volkseigentum“: Durch die Einbindung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel in die Schicksalsgemeinschaft des Volkes anstatt ins Prinzip der freien kollektiven Selbstbestimmung ist sie zum Kern der Selbstzerstörung der vergesellschafteten Produktionsmittel geworden. Der Appell ans Volk war seit je der Appell an die anderen: an die Verantwortungslosigkeit aller. Und die Verführung, die vom Namen des Volkes ausgeht (und im Begriff des Volkstums kulminiert), liegt in seiner exkulpierenden Kraft: Deshalb werden Urteile „Im Namen des Volkes“ gefällt. Entsprechen nicht den realsozialistischen „Volksdemokratien“ in den Marktwirtschafts-Systemen die „Volksparteien“ (Verkörperungen der Politik-Verdrossenheits-Automatik)?
    Der Weltbegriff ist nur solange zu halten, wie die Vergangenheit nur als vergangen (oder die Natur nur als Natur) verstanden wird. War der Knoten, den Alexander nur durchschlagen, nicht gelöst hat, der der Bindung der Gegenwart ans Vergangene (Grund des Naturbegriffs)? Und hat nicht das Lösen (Mt 1619 und 1818) etwas mit der (von der Kirche bis heute verweigerten) Erinnerungsarbeit zu tun?

  • 07.06.93

    Kleingärtner: der tägliche Kampf gegen das Unkraut.
    Ist das Ungetüm der Allgemeinbegriff zu den -tümern? Haben die beiden Präfixe im Ungetüm mit den beiden Rosenzweigschen Negationen des Nichts in den Anfangs-Konstruktionen des Sterns der Erlösung zu tun? M.e.W.: Ist das Ungetüm die Rosenzweigsche Vorwelt (oder: die Rosenzweigsche Vorwelt der Realrepräsentant des Ungetüms), ist es das letzte Realsymbol des Mythos?
    Zum Ungetüm gibt’s kein Positivum. Es gibt wohl ein Gedröhn, ein Gedöns und ein Getue, aber kein Getüm.
    Steckt nicht im -tum (-tüm) neben dem domus auch das Taumeln? Sind die -tümer insgesamt der Inbegriff des Taumelkelch?
    Unter einem Ungetüm stellt man sich so etwas wie einen Saurier vor: ein Wesen, das vor Kraftprotzerei verteidungsunfähig geworden ist. Ist es nicht das Modell Babylon? Und steht nicht Babylon als Warnfigur vor den -tümern (vor den Volks-, Brauch-, Juden-, Christen-, Heiden-, Deutsch-, Eigen- und Heiligtümern)? Kehrt nicht in den -tümern die Vorgeschichte als Schein der Erfüllung der Geschichte wider?
    Das Ungetüm erinnert auch an Goliat.
    Der Rechtsradikalismus heute, der sich an der Ausländerfeindschaft festmacht, holt das „Deutschtum im Ausland“ ins Inland zurück. In der „volkstümlichen Musik“ mag man das Bild dieses „Inlands“ erkennen.
    Wie hängen Gehorsam, gehören und gehorchen zusammen, wenn nicht über den Begriff des Eigentums? Und macht nicht die Kirche in der Abtreibungsfrage so etwas wie ihre Eigentumsrechte geltend?
    Erinnerungsarbeit: Sich wie ein Maulwurf in der Sprache bewegen (vgl. Kafka: Der Bau).
    Ist nicht die Gewinnermentalität bei Kindern („ich bin der Erste“, „ich der Zweite“ … „das sind die Letzten“) Ausdruck von Ängsten, die wir nicht mehr wahrnehmen, weil wir in die Kindheit (wie auch in die Natur) nur noch die Freiheit von unseren Ängsten (die Freiheit von den gesellschaftlichen Pflichten) hineinprojizieren? Aber dies ist die Freiheit, die dann am Ende den Ruheständler zum Vollidioten macht.
    Sind in der Stelle „Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht“ das „es werde“ und das „es ward“ auch im Hebräischen unterschieden (vgl. den Sohar, in dem beide Stellen mit „es werde“ wiedergegeben werden)? Wenn nein, könnte es dann nicht auch heißen „Und Gott sprach: Es ward Licht, und es werde Licht“? Und würde das nicht auch den späteren Satz „Und Gott nannte das Licht Tag“ genauer bestimmen?
    Ist das Licht nicht die aufgehobene Vergangenheit, und ist das „Es ward Licht und es werde Licht“ nicht ein prophetischer Hinweis auf den im brennenden Dornbusch offenbarten Gottesnamen?
    Hat das Lösen etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun?
    Walter Benjamin hat einmal die messianische Zeit durch die Sekunde ausgedrückt. Im Alten Testament war die messianische Zeit durch den Tag (Tag JHWH’s) bestimmt, im Neuen Testament durch den Tag und die Stunde (Niemand kennt den Tag und die Stunde …). Das ist bei Walter Benjamin auf die Sekunde zusammengeschrumpft.
    Hat die Selbstverfluchung in der Geschichte von den drei Leugnungen etwas mit dem Greuel am heiligen Ort zu tun? Ist nicht der neue Katechismus die dritte Leugnung, festzumachen
    – an der Bedeutung der Trinitätslehre im Katechismus,
    – an der Stellungnahme zur „Übernahme der Sünden der Welt“ und
    – an der Erläuterung der Bitte um Heiligung des Namens?
    Hat der Saulus unter den Propheten etwas mit dem Paulus unter den Aposteln zu tun?
    – Kommt Paulus außer in der Apostelgeschichte und in seinen eigenen Briefen sonst noch vor (z.B. in einem der anderen Apostelbriefe, oder in der Apokalypse)?
    – Wie stehen Paulus und der Hebräerbrief zueinander?
    – Was hat es mit der Frage der „Echtheit“ der Paulusbriefe auf sich, wo liegt die Grenze zwischen den echten und den anderen? Nach Reclams Bibellexikon (S. 388) sind
    . 7 Briefe echt (1 Thess, Gal, 1 und 2 Kor, Röm, Philem, Phil),
    . 2 unklar (2 Thess und Kol),
    . 4 von P.-Schülern (Eph, 1 und 2 Tim und Tit).
    . Hebr wurde zwar von der Alten Kirche Paulus zugeschrieben, „doch widersprechen dem stilistische und inhaltliche Gründe eindeutig“ (ebd. S. 203). Als Verfasser wurden vermutet z.B. Lukas, Apollos, Barnabas.
    – Welche Apostel (außer Petrus und den „Säulen“) werden bei Paulus genannt?
    – Woher kommt der Name Paulus: Ist es generell sein römischer Name, ist es seine Selbstbezeichnung als Christ, wie nennen ihn die Andern? Was bedeutet der Name: ist es nur ein üblicher römischer Name, oder meint er so etwas wie den „Geringsten unter den Aposteln“?
    Nach Reclams Bibellexikon (S. 389) trug Paulus „neben seinem Geburtsnamen Schaul zum Zeichen des seiner Familie eigenen röm. Bürgerrechts den lat. Beinamen (cognomen) Paulus“ (Hervorhebung H.H.); nach dem Kleinen Pauly (Lexikon der Antike, Bd. 5, Sp. 137) „nahm Paulus unter dem Eindruck der Begegnung (mit dem römischen Prokonsul in Zypern L. Sergius Paulus, H.H.) das Cognomen des Proconsul an“. Vgl. hierzu Apg. 137ff, insbesondere 139, wo erstmals von „Saulus, der auch Paulus (heißt)“ die Rede ist; voher heißt er nur Saulus, danach nur Paulus. Kann es sein, daß Saulus erst hier (mit dem Namen Paulus) auch die römische Staatsbürgerschaft angenommen hat (vgl. dagegen Apg 2227f: … als Römer geboren)? Was ist sonst von L. Sergius Paulus bekannt?

  • 06.06.93

    Ursprung der Flexionen in der sumerischen Sprache: Sind nicht die Prä- und Suffixe insgesamt Determinaten? Hängt nicht die Bildung der Flexionen, die ja auch Kombinationen von Prä- und Suffixen sind, mit diesem Ursprung in den sumerischen Determinanten zusammen?
    Drogen und Alkoholismus: Kann es sein, daß der Drogenkonsum im Sinne der Bikameralitätstheorie die linke Hemisphäre des Gehirns außer Funktion setzt, der Alkohol (als reine Zivilisationsdroge) die rechte? Der Drogenkonsum führt hinter die Zivilisationsschwelle zurück, der Alkoholkonsum macht sie erträglich und stabilisiert sie (Taumelbecher). Aber wie steht es dann mit dem Rauchen: Leugnet es die Gebete der Heiligen?
    Nur dort, wo die Sprache nicht mehr hinreicht, bedarf es der Gewalt; aber was mit Gewalt (mit Hilfe des Rechts) durchzusetzen ist, ist nicht die Moral, sondern ihr Schein.
    Die Bekehrung ersetzt nicht die Umkehr.
    Der Raum als subjektive Form der Anschauung ist die höhnische Kälte, mit der wir heute die Welt ansehen; und die kantische Philosophie (die Kritik der reinen Vernunft) war der Anfang des Bewußtseins, und damit der Heilung davon.
    Taub, blind und besessen: Hat das etwas mit leer, gereinigt und geschmückt, und haben beide mit den drei evangelischen Räten, Armut, Gehorsam und Keuschheit zu tun? Heilt nicht der Gehorsam die Taubheit, die Armut die Blindheit, und befreit die Keuschheit von der Besessenheit (und diese Besessenheit ist eine siebenfache)?
    Zu den Grundproblemen der Europäischen Gemeinschaft gehört das Währungsproblem. Aber um dieses Problem zu begreifen, wäre es notwendig zu ermitteln:
    – Welche Sparten der Wirtschaft profitieren von der Währungsstabilität und welche werden benachteiligt und müssen den Preis zahlen;
    – oder umgekehrt: welche Sparten profitieren von einer inflationären Geldpolitik und welche werden davon benachteiligt. Hieran ließe sich das Problem des Ex- und Imports der Armut demonstrieren, oder die Wahrheit des Hegelschen Satzes, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern. Jede Geldpolitik ist eine Marktorganisationspolitik und wie diese interessengebunden.
    Der Gedanke, daß mit der Wissenschaftsorganisation und mit dem Kanon der Wissenschaften auch ein gesamtgesellschaftlicher Verdrängungsapparat produziert und tradiert wird.
    Jesus und der Tempel:
    – Nach seiner Geburt wurde er im Tempel „dargebracht“,
    – der zwölfjährige Jesus „lehrt“ im Tempel,
    – und der erwachsene Jesus „reinigt“ den Tempel von Händlern und Geldwechslern, und bei seinem Tod reißt der Vorhang vorm Allerheiligsten entzwei.
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Sie erkannten, daß sie Objekt für andere waren, und darauf reagiert die Scham, sie ist eine Objektreaktion.
    – In der Rosenzweigschen Konstruktion des Sterns der Erlösung vertritt der Mensch die Stelle des Objekts (die Welt die Stelle des Begriffs und Gott die der Indifferenz beider).
    – Scham, Materie, Feigenblatt und Tierfell: So, nämlich über den Begriff der Scham und über die Geschichte seiner naturgeschichtlichen und politischen Konnotationen, hängen der „Materialismus“ und das Keuschheitsgebot zusammen.
    Nochmal zur Scham: Sind die seit Heuß begeistert sich schämenden Deutschen der Nährboden für den heute ausbrechenden Fremdenhaß? Wurde nicht mit der „Kollektivscham“ die Selbstwahrnehmung im Blick der Anderen (aus dem die Rechtsradikalen heute ausbrechen möchten) kanonisiert. Der Schambegriff hat die produktive Verarbeitung der Schuld unmöglich gemacht. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn kein Mitglied der Regierung Kohl bis heute den Mord zur Kenntnis genommen hat, sondern nur die Schande für den deutschen Namen und das Urteil des Auslands.

  • 14.05.93

    Erbsünde: Der Begriff bedeutet nicht, daß man sich diese Sünde zurechnen lassen muß, sondern daß man sie begeht, wenn man sich nicht ihrem Zwang (durch Übernahme der Schuld der Welt: durch Gottesfurcht) entzieht. Bekennt sich Jesus nicht in dem Satz „Ehe Abraham ward, bin ich“ als Täter der Sünde Adams?
    In dem kantischen „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ klingt jene Sponateität an, die in dem Ich=Ich des deutschen Idealismus dann abgeschnitten und verdrängt, in das System „meiner Vorstellungen“ mit einbezogen wird. Dieses Ich=Ich ist die Identifikation mit dem Aggressor: das Anderssein des Ich, das Ich des andern, dem ich unter Verdrängung der Spontaneität mich angleiche, ein Stück Welt.
    Wie sind die Pyramiden orientiert: sind die Flächen oder die Ecken den Himmelsrichtungen zugeordnet? Gibt es eine Beziehung zu dem Richtungssystem im Sohar, in dem den vier Himmelsrichtungen die acht oberen und unteren Zwischenrichtungen zugeordnet sind (während oben und unten fehlen)?
    Die drei evangelischen Räte richten sich gegen die Logik der Instrumentalisierung:
    – der Gehorsam gegen das Inertialsystem,
    – die Armut gegen das Tauschprinzip und
    – die Keuschheit gegen die Bekenntnislogik.
    Zum Inzestproblem bei Jean-Jacques Rousseau: Die Geschichte des Natur- und des Weltbegriffs ist die Geschichte zweier ineinander verflochtener Begriffe: der Grund der Geschichte der Sexualität. Vgl. die Beziehung von physis und kosmos, natura und mundus, Natur und Welt (Umkehrung von „leer, gereinigt und geschmückt“).
    Die neuplatonischen Emanationslehren, die unterm Bann der Verhältnisse im Römischen Reich stehen, erinnern nicht zufällig an eine Dynamik, bei der sich nicht mehr entscheiden läßt, ist sie das Bild der Onanie oder das einer Sturzgeburt. Es ist das in patriarchalem Kontext entstehende Problem der Beziehung von physis und natura, von Zeugung und Geborenwerden, bei gleichzeitiger Diskriminierung des Weiblichen: der Materie (Verteufelung der Produkte der eigenen projektiven Phantasien, die die ganze mittelalterliche Geschichte beherrscht und manifest wird in den Teufels- und Höllenphantasien und in der Geschichte der Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgungen).
    Zum et und atah im Sohar: wie steht es mit der Beziehung von et und at (2. Pers. fem.) in dem et haschamajim we’et haarez?
    War die Biologie (und mit ihr der Rassismus, insbesondere der sprachgeschichtliche, der heute die gesamte Sprachreflexion verhext) nicht erst möglich, nachdem die Erde und das Lebendige durch die modernen Naturwissenschaften (durch Kopernikus und Newton, letztlich durchs Inertialsystem) begrifflich geschieden waren? Beziehung der Nazi-Parole „Blut und Boden“ zum hakeldama, genetische Ableitung der Nazi-Parole? Ist nicht in dieser Nazi-Mythologie das Konzept der Gräberschändungen angelegt (Vergangenheitsvernichtung Folge der christlichen Vergangenheits-„Überwindungen“, Grund: Instrumentalisierung des Kreuzestodes)?
    Gibt es nicht einen Aspekt des Kreuzessymbols, der unters achte Gebot fällt, ist das Kreuzessymbol nicht vom Ursprung und von der ebenso realen und unbewußten Bedeutung her ein antisemitisches Symbol? Würden wir ein Bild aus Auschwitz in unseren Schlaf- und Wohnzimmern (ohne projektive Verarbeitung) ertragen, und mit welchen Folgen für unsere Kinder und für uns? Das Bild des Gekreuzigten ständig vor Augen zu haben, muten wir uns zu?
    Die Darstellung der Theologie im neuen Katechismus: Positivismus in Watte gepackt (was fehlt: Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit der antijudaistischen Tradition der kirchlichen Theologie; die Unfähigkeit zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit: Ketzer, Hexen, Geschichte der „Bekehrungen“, „Autorität“ und Befreiung; Demokratie; Befreiungstheologie und feministische Theologie; der kirchliche Wahrheitsbegriff, Verzicht auf Schuldreflexion und die Konfliktunfähigkeit der Kirche).

  • 11.02.93

    Die Vorstellung des unendlichen Raumes macht das Chronologie-Problem unlösbar und die Schuld unaufhebbar (die Nachfolge im Sinne von Joh 129 unmöglich). Mit seiner Vergöttlichung wurde Jesus erschlagen. Hängt der affirmative Gebrauch des Weltbegriffs nicht damit zusammen, daß das Kreuz zu einem affirmativen Symbol geworden ist, und ist nicht das Kreuz selbst das Symbol der Welt? Dann aber wäre Joh 129 nur eine andere Fassung des Nachfolgegebots und im wesentlichen nicht davon unterschieden. Das Kreuz auf sich Nehmen und das die Sünden der Welt auf sich Nehmen ist eins.
    Erläutern sich Joh 129 und das „ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe, darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ nicht gegenseitig?
    Drückt nicht im Titel Herrenbruder ein Stück Kritik an der Herrschaftsmetaphorik im Dogma von der Göttlichkeit Jesu sich aus? Waren die Verfasser des Jakobus- und des Judasbriefes Brüder des Herrn? Welche Bewandnis hat es überhaupt mit den Herrenbrüdern, die (als Herrenbrüder) erst nach Ostern zu den Jesus-Jüngern kommen?
    Wenn man im Satz Wittgensteins „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ den Fall mit Sündenfall übersetzt, dann kommt man dem nahe, was in Joh 129 mit „Sünden der Welt“ bezeichnet wird.
    In der verhängnisvollen deutschen Staatsmetaphysik steckt finsterstes Hegelsches Erbe: Hier wird der Staat zum Subjekt gemacht und das Subjektlose, der Gemeinheitskern, das durch Umkehr zu humanisierende, verdrängt. Das wird nirgend deutlicher als in der sehr deutschen Institution des Staatsanwalts (auch in der des „Kanzlers“?).
    Ist nicht der Ausländerhaß ein nach außen gewendeter, projektiv instrumentalisierter Selbsthaß, der seine Wurzeln insbesondere in der deutschen Staatsmetaphysik hat?
    Was hat es zu bedeuten, wenn nach dem Aufdecken der Blöße des Vaters durch Ham nicht er selbst, sondern sein Sohn Kanaan zur Knechtschaft verdammt wird?
    Zum Taumelbecher und zur Trunkenheit:
    – Hegel zufolge ist im Absoluten kein Glied nicht trunken;
    – diese „Trunkenheit“ ist ein zwangsläufiges Zivilisationssyndrom, nur durch Verdrängung (unter Mithilfe realer Trunkenheit) zu ertragen;
    – sie erlaubt und erzwingt es, erinnerungslos zu leben; dazu ist der Alkohol als Zivilisationsdroge unentbehrlich;
    – deshalb ist Trunkenheit zugleich gewaltfördernd und schuldmindernd.
    Hängt es hiermit zusammen, wenn im Josephs-Roman der Mundschenk des Pharao wieder in seine Rechte eingesetzt wird (dem Pharao den Becher reicht), der Oberbäcker hingegen gehängt wird (nachdem die Vögel des Himmels das Gebäck im Korb für den Pharao fressen)?
    Drückt nicht in der Anerkennung der Trunkenheit als Strafmilderungsgrund auch ein Stück deutscher Staatsmetaphysik sich aus?
    Ist nicht die Natur das Sklavenhaus, und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der Beginn des Exodus? Und liegt nicht der Ursprung des Weltbegriffs im Turmbau zu Babel? Die babylonische Gefangenschaft ist etwas anderes als das Sklavenhaus in Ägypten.
    Ist nicht die Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele eigentlich die Vorstellung der Unsterblichkeit der Schuld? Und bezeichnet der Begriff der Seele nicht das Trägheitsmoment im Subjekt, mit dem Gefühl als Schwerkraft?
    Zum Problem der Wand siehe
    – Sauls Attentate auf David (1 Sam 1811, 198 und 2025),
    – Hiskijas Reue (2 Kön 202, Jes 382) und
    – die Schrift an der Wand: das „Mene mene tekel u-parsin“ bei Daniel (55ff).
    Ursprung des Begriffs „Sodomie“: geht es hier um den realen Verkehr mit Tieren oder um den unzüchtigen Verkehr mit dem Behemoth, dem apokalyptischen Tier, und sind in dieser Version nicht die die Nazis und ihre Erben die wirklichen Sodomiten (die, die das Antlitz des Hundes tragen)?
    Ist es nicht das steinerne Herz, das das Antlitz zum Antlitz des Hundes macht, Und fällt nicht der Ursprung des Antlitzes des Hundes in die Geschichte des Weltbegriffs (Babylon stand unterm Symbol des Hundes, Ägypten unter dem der Katze)?
    Was war das Schilfmeer? Nach Reclams Bibellexikon
    – der Golf von Akaba, der Nordostarm des Roten Meeres (1 Kön 926, Jer 4921), andere Versionen in
    – Ex 1019: der Golf von Suez,
    – 1320: bei den Bitterseen, nördlich des heutigen Suez, und
    – 142.9: am Sirbonischen See, nordwestlich von den Bitterseen.
    Der Verblendungszusammenhang, der das Ganze der Erscheinungen und mit ihm die Begriffe Natur und Welt überhaupt erst konstituiert, gründet in den subjektiven Formen der Anschauung. Die transzendentale Logik, wenn man sie affirmativ und nicht als Grundlage der Erkenntniskritik begreift, bezeichnet den Grund und den Inbegriff des Herrendenkens.
    Die Buße ist das Umdenken im Banne des Herrendenkens: die Umkehr als Erscheinung.
    Sakramente waren beim Augustinus noch das Symbolum und das Herrengebet (das Kreuzzeichen, das Salz, die Exorzismen, die Anhauchungen, das Bußgewand, die Kopfneigungen, das Ausziehen der Schuhe und die übrigen Riten des Katechumenats und der Kompetentenzeit, die Osteroktav, die Handauflegung, die Rekonziliation, das große Fasten, die geistlichen Gesänge etc.), aber auch die Taufe, die Buße, „die Feier des Leibes und Blutes des Herrn“ und die „Ölsalbung“ (van der Meer, S. 296): eigentlich die ganze symbolische Selbstdarstellung des Christentums in der unerlösten Welt; erst im Mittelalter kristallisierte sich (zusammen mit den innerkirchlichen Reformen: Zölibat, Einführung der Ohrenbeichte u.a.) die Siebenzahl der Sakramente heraus: Taufe und Firmung, Buße und Eucharistie, Priesterweihe und Ehe und schließlich die Krankenölung. Interessant wäre eine Geschichte der Sakramente (im Kontext einer Geschichte der Liturgie), in der insbesondere ihre Beziehung zur Geschichte der Herrschaft und des Weltbegriffs, zur Geschichte von Staat, Recht und Philosophie, herauszuarbeiten wäre (Basis und Medium der Islamisierung der Kirche und der Theologie, Kern des kirchlichen Erlösungsbegriffs: Nutzung der exkulpierenden Kraft der theologisierten Philosophie, Ursprung der naturwissenschaftlichen Aufklärung). Aber nach Abschluß der Vergesellschaftung und Verinnerlichung von Herrschaft: erweisen sich jetzt nicht die sieben Sa-kramente als die sieben Siegel der Apokalypse (neue Theologie der Sakramente)?
    Nicht die Philosophie als Magd der Theologie, sondern die Theologie als Magd der Philsophie, als Instrument der Absicherung ihrer zivilisationsbegründenden Kraft, war das Organisationsprinzip der Orthodoxie und der Kirchenbildung seit den Ursprüngen des kirchlichen Christentums.

  • 23.12.92

    „Das existentielle Zentrum des Handelns und Denkens“ (Engler, S. 45)
    Drückt nicht im Ausländerhaß auch ein Stück Neid auf jene sich aus, die ohne eigene Arbeit wie ein Säugling versorgt werden und so der Last der Verantwortung enthoben sind. Das deutsche „Ausländerdeutsch“, kein empirischer, sondern ein projektiver Tatbestand, verweist auf den gleichen Sachverhalt: Mit der Verantwortung sind Ausländer auch der Last des artikulierten Sprechens enthoben. Karl Kraus‘ Bemerkung, daß die Deutschgesinnten in der Regel des Deutschen nicht mächtig sind, bezieht sich auf den gleichen Sachverhalt. In den Ausländern werden die eigenen verdrängten Regressionswünsche verfolgt.
    Jeder Nationalismus spricht Regressionsbedürfnisse an.
    Hängen Funktion und Gebrauch der Hilfszeitverben im Deutschen genetisch mit dem lateinischen AcI zusammen (insbesondere die Futur- und die Konjunktivbildungen)?
    Ist die Welt nicht das gegenständliche Äquivalent des Futur II (und bezieht sich darauf nicht die Charakterisierung des apokalyptischen Tieres, das „war, nicht ist, und wieder sein wird“)?
    Vergesellschaftete Herrensprache ist Sklavensprache: Sie unterdrückt nur das Bewußtsein, Sklave zu sein. Daraus resultiert der Fremdenhaß (und in der Philosophie Begriffe wie Natur und Materie). Die Unterdrückung des Bewußtseins, abhängig zu sein, ist die Unterdrückung der Fähigkeit zur Schuldreflexion; sie hat sich im Christentum über den Weltbegriff: über die Vorstellung, daß die Welt durch den Opfertod Jesu entsühnt worden sei, etabliert. Dies ist der Kern der Unbelehrbarkeit, der im Dogma sich vergegenständlicht hat.
    Das Bewußtsein, daß die Natur schon alles zum besten lenken wird, ist ein Erbteil der unreflektierten Christologie, und wie diese obszön.
    Der Begriff der Sünde entspricht dem dynamischen Aspekt des Naturbegriffs, der der Schuld dem mathematischen Aspekt des Weltbegriffs. Die Rechtfertigung, der apologetische Gebrauch der Vernunft macht die Schuld erneut zur Sünde (Quellpunkt der zweiten Schuld): die Verdrängung der Gottesfurcht. Die Sünden der Welt auf sich nehmen, heißt: den Schuldzusammenhang des Begriffs durch Reflexion auf seine tätige Wurzel auflösen. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen dem regressiven Moment in der Fremdenfeindschaft heute und der kirchlichen Abtreibungskampagne?
    Hat das „de mortuis nihil nisi bene“, bezogen auf das vierte Gebot, nicht auch insoweit ein fundamentum in re, als die Eltern mit der Zeugung und Geburt ein Stück mitsterben.
    Gibt es eine Beziehung zwischen dem hebräischen Namen der Griechen (jawan, griechisch Ionier) und dem Namen JHWH?

  • 18.12.92

    Die Natur ist der Inbegriff des Hinter dem Rücken, die Welt der Inbegriff des Über dem Kopf. Damit hängt es zusammen, daß der Naturbegriff die Idee der Auferstehung, und der Weltbegriff die der Schöpfung leugnet (beide sind zusammen entsprungen mit dem Begriff des Wissens: der „mathematisch“ begründeten Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden). Nicht zufällig hat sich der Weltbegriff in Untersuchungen, die unter dem Titel „peri physeos“ liefen, herausgebildet (Zusammenhang mit den politischen Begriffen Naturalisierung und Naturrecht?).
    Die Welt konstituiert sich im Schuldzusammenhang, die Natur im Herrschaftszusammenhang, das Wissen im Verblendungszusammenhang.
    Hegel hat den Krieg als (zwischenstaatlichen) Naturzustand bestimmt. Dahinter stand die Einsicht, daß Recht und Gesetz nur im Zusammenhang des Gewaltmonopols eines Staates begründbar sind. Der Nachkriegsversuch der „entwickelten“ Staaten, große Militärmaschinerien aufzubauen, um ein Instrument abschreckender Gewalt nach außen zu installieren, erweist sich heute (insbesondere nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus) zunehmend als illusionär, als unzulässige Übertragung von Innenerfahrungen auf Außenverhältnisse. Vietnam, Golfkrieg und heute Jugoslawien sind Stationen eines Prozesses, der mit zunehmender Deutlichkeit die Realitätsfremdheit dieses Konzepts beweist, die Unfähigkeit, Zwecke und Mittel in ein rationales Verhältnis zu bringen. Die Unangemessenheit ist zum einen in dem Problem der Größenordnung begründet: Man kann mit einem Vorschlaghammer keine Knöpfe annähen. Sie manifestiert sich zum andern an dem Zusammenhang des demokratischen Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht mit dem, was Militärs gerne den Geist der Truppe nennen: Volksheere sind einsetzbar nur im Kontext einer deutlich erkennbaren Innen-Außen-Grenze, im Kontext eines politischen Nationalismus, der den Feind an der Grenze lokalisiert und dingfest macht (den französischen Erbfeind, die bolschewistische Weltmacht der andern Seite der vormals geteilten Welt). In einer Situation,
    – in der die Grenzen fließend werden:
    . die „nationalen“ (sprich Wirtschafts-)Interessen über den ganzen Globus sich ausbreiten,
    . der „Feind“ als realer Fremder (als „Asylant“ oder „Wirt-schaftsflüchtling“) im Innern des Landes auftaucht und
    . die Menschenrechtsprobleme draußen und mit ihnen der moralische Druck, endlich einzugreifen, dem Unerträglichen ein Ende zu machen, den Fernsehbürgern täglich ins Wohnzimmer geliefert werden,
    – in der jedoch zugleich Problem und verfügbare Lösungsmittel sich als inkompatibel, als systemfremd, erweisen: Man kann -ohne Rückfall in einen ganz anders brutalen Nationalismus -.den ökonomischen Kolonialismus nicht ohne weiteres militärisch absichern,
    . die „Asylantenflut“ nicht mit militärischen Mitteln eindämmen und
    . Brügerkriege nicht mit Waffensystemen, die auf Großkonflikte ausgelegt sind, befrieden,
    in einer solchen Situation erwecken die Einrichtung eines Volksheeres und die vorhandenen Waffensysteme nur noch den Eindruck des Unnützen und der Hilflosigkeit. Aber welche Folgen ergeben sich im Falle des Versuchs einer Lösung durch „Eingreiftruppen“ nach dem Modell Berufsheer oder Fremdenlegion?
    Was ist eigentlich von dem moralischen Anspruch der NATO oder auch der UNO zu halten, wenn sie vor den Drohungen eines Söldnerführers („dann werden Blauhelme als Geiseln genommen“) zurückweicht und darauf verzichtet, Beschlüsse, die den Greueln ein Ende machen könnten, durchzusetzen?
    Die Logik, die die Regierenden dazu bringt, gegen die grassierende Fremdenfeindschaft anstatt auf die politische Moral auf die moralischen und wirtschaftlichen Wirkungen im Ausland sich zu berufen, gehört zu den systemimmanenten Gründen der Fremdenfeindschaft. Das Fatale ist, daß diese Logik in den Verhältnissen, in dem erreichten Weltzustand selber, begründet ist.

  • 10.11.92

    Zur Kritik des Tauschprinzips: Der Preis, das Opfer und die Strafe.
    Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen: Das Inertialsystem wird nicht siegen. Und ist hiernach die Rücknahme der Verurteilung Galileis, und zwar der Form, nicht der Sache nach, ein Teil der Selbstverfluchung?
    – Sollte der Papst wirklich gesagt haben: Galilei, ich verzeihe dir, so klingt das, als wenn auch die Deutschen eines sich bereit erklären würden, den Juden Auschwitz zu verzeihen.
    – Und wenn der Papst die Männer der Inquisition mit dem Hinweis auf den „guten Glauben“, in dem sie gehandelt hätten, verteidigt, so wird man daran erinnern müssen, daß mit dem gleichen Argument („fehlendes Unrechtbewußtsein“) die ganze Nazijustiz freigesprochen wurde, ja daß mit diesem Argument die Täter selber (in Auschwitz und den anderen KZs), die auch glaubten, für eine gute Sache zu handeln, nicht hätten schuldig gesprochen werden dürfen. Auch der Fremdenhaß und der Antisemitismus sind bona fide geschehen.
    Das „Herr vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, kann und darf niemand auf sich selbst anwenden (dieser Aspekt, der eine seiner Wurzeln in der paulinischen Gesetzeslehre hat, gehört zu den Gründen der Theologie).
    Das bona fide gehört zu den Wurzeln der Perfidie, die die Kirche seit je an den anderen (insbesondere an den Juden) verfolgt hat.
    Zur Anzeige der Frankfurter Sparkasse in der FR von heute: Dies ist der unverhohlene Aufruf dazu, Frankfurt endlich mieterfrei zu machen. Der Hinweis darauf, welche Gewinne z.Z. aus den Mietsteigerungen gezogen werden können, ist selber eine der Hauptursachen der Mietsteigerungen. Hier (an der Grenze, an der Politik, Ökonomie und Reklame in einander fließen) läßt sich verdeutlichen, wie Anschauungen, die vorgeben, ideologiefrei zu sein, fast naturgesetzlich und zwangsläufig Zustände begründen, die Haß auf die Fremden dann als Blitzableiter brauchen, d.h. zum Ideologie-Generator werden. Diese Reklame verschweigt nicht mehr nur den Tod, sondern sie gehört zu den Schreibtisch-Ursachen des Mords. Heute glaubt die Politik insgesamt, durch Perhorreszierung des Denkens ideologiefrei leben zu können.
    Der Kampf gegen die Fremdenfeindlichkeit unter dem Titel Rassismus ist ohnmächtig und hilflos, weil nach dem Modernisierungsschub, den der Faschismus geleistet hat, die Brutalität die Rechtfertigung durch den Rassismus nicht mehr braucht, sondern schlicht und einfach nur noch auf Fremdheit reagiert. Und die, die heute als Nazis sich gerieren, haben das entweder noch nicht gemerkt (und sind noch dümmer, als die Nazis es schon waren), oder sie verkleiden sich bloß aus Reklamegründen, nutzen das Nazibild als Wirkungsverstärker.
    War die Gnosis nicht ein Stück offener Projektion, steckte der Demiurg nicht in der logischen Fluchtlinie jener Gestalt der Theologie, die durch Zuhilfenahme der Philosophie von ihrem jüdischen Ursprung glaubte sich emanzipieren zu müssen? Der christliche Gott trägt seit den Anfängen der hellenisierten Theologie demiurgische Züge; so war der Zwang, sie auf den eigenen Ursprung zu projizieren, fast unwiderstehlich. In der Gnosis hat die Kirche erstmals ein Stück ihrer selbst verdammt, ohne sich real davon befreien zu können. Und hat die Kirche nicht seitdem in ihren Feindbildern das Unerlöste in sich selber gehütet und gepflegt?
    Seid arglos wie die Tauben: Steckt nicht in jedem Wohnen ein Stück „Argwohn“?
    Rankes Satz, es sei Aufgabe des Historikers zu erkennen, wie es denn eigentlich gewesen sei, unterschlägt das Was. Er vernebelt damit, daß für den Historiker dieses Was vorgegeben ist durch sein (damals vor allem nationales) Interesse. Nur wer das nicht mehr zu reflektieren bereit ist, für den bleibt nur das Erkenntnisziel, wie es den eigentlich gewesen sei. Das Was erscheint als Objekt der freien Wahl.
    Randbemerkung hierzu: Spielt hier nicht auch die merkwürdige Beziehung der Fragewörter zu den bestimmten Artikeln mit herein, die Beziehung von wer wie was zu der die das?
    – Hier steht das Wie in einer noch unaufgeklärten Beziehung zum femininen Artikel. Hängt das Wie mit der Instrumentalisierung des Weiblichen zusammen, die die patriarchalische Sprache insgesamt charakterisiert? Und
    – hängt es nicht auch damit zusammen, daß in den indogermanischen Sprachen im Weiblichen Genitiv und Dativ (und im Weiblichen und im Neutrum Nominativ und Akkusativ) nicht zu unterscheiden sind. Das aber heißt, daß das Weibliche wie das Neutrum im strengen Sinne subjektlos sind (keinen Nominativ haben), nur als (aus dem Akkusativ abgeleitetes) Objekt vorkommen, und daß im Weiblichen darüber hinaus durch die Nichtunterscheidung von Genitiv und Dativ das Herrschafts- und Besitzverhältnis des Genitiv von der Geschenk- und Gnadenbeziehung des Dativ nicht sich trennen läßt: die Differenz von Hingabe und Vergewaltigung (ähnlich wie die Gemeinheit überhaupt) in der Sprachstruktur nicht bestimmbar ist.
    – Die Trennung von Masculinum und Neutrum, von Person und Sache, ist im Femininum gegenstandslos; das Neutrum ist ein abgespaltener Teil des Masculinum: deshalb gelten Frauen als unsachlich, als der Logik nicht fähig.
    – Frage: Wie hängt das zusammen mit der Bildung des Futur II (dessen Ursprung sich herleiten läßt aus dem Ursprung des Privateigentums, der neuen Bedeutung der Vaterschaft und seiner Beziehung zur Funktion der Erbschaft): liegt hier nicht der Grund der Trennung von Person und Sache, von der das Weibliche ausgenommen ist?
    – Wie hängt diese Sprachstruktur mit dem Ursprung des Objektbegriffs, mit dem Begriff des Schicksals und der Geschichte seiner Verinnerlichung in der Gestalt des bürgerlichen Subjekts und im Ursprung der Philosophie zusammen?
    – Ist dieser Zusammenhang des Masculinum, Femininum und Neutrum nicht im Sündenfall, im Verhältnis von Adam, Eva und der Schlange vorgebildet; verweist nicht insbesondere die Geschichte mit dem Staub (zu dem Adam wird, und von dem die Schlange sich nährt) auf den besonderen Charakter des Verhältnisses von Männlichem und Sachlichen? Das Neutrum ist die Schlange, die auf dem Bauche kriecht und Staub frißt.
    Unter der Herrschaft des Weltbegriffs wurde das Antlitz der Erde entstellt und die ganze Schöpfung in der Naturhölle eingesperrt.
    Die andere Bedeutung des Futur II: Es wird (wohl so) gewesen sein, ist zu ergänzen durch das „Wenn du es sagst“. Hier wird die Autorität von der Sache in die Person zurückgenommen und zugleich relativiert. Hier reflektiert sich die Unterscheidung von Person und Sache, die im Männlichen gründet. Das Logozentrische des Indogermanischen ist der Widerpart des Logos.
    Hängt die Logik jener „Tiefenzeit“ bei Stephen Jay Gould nicht mit jener Logik zusammen, die die Reklame heute zu einem Mordinstrument macht, und mit der gleichen Logik, die die Politik von den realen Erfahrungen der Menschen auf eine fast nicht mehr nachvollziehbare Weise entfernt? Das aber heißt, ist sie nicht ein Teil jener Logik, die heute die Welt insgesamt in sodomitische Zustände hineintreibt

  • 24.09.92

    Architektur und Ontologie (Haus des Seins): Die Gründung des Hauses (als Schutz gegen die Außenwelt) ist erkauft mit der ersten Raumerfahrung: In jeder Ecke des Hauses wird die orthogonale, dreidimensionale Struktur des Hauses sichtbar und anschaulich. Aus der Erfahrung des Hauses stammt die des Kosmos, der Welt. Das Innen war seit je das Außen des Außen. (Zusammenhang mit dem Turm von Babel, dem Ursprung der Sprachverwirrung, und dem Namen Pharao, des Herrn des Sklavenhauses?)
    Pharao ist das große Haus, Josef war seine rechte Hand (Vorgeschichte mit Potiphar und seiner Frau, die Gefängniszeit, der Mundschenk und der Hofbäcker, der Traum und dann der Ursprung, die Entstehung und die Vollendungsgeschichte dieses „großen Hauses“, des Sklavenhauses, die Geschichte der Akkumulation des Eigentums in der Hand des Pharao). – Mizraim (Ägypten) ist ein Dualis.
    Verweist die kantische Bestimmung des Weltbegriffs als Begriff der mathematischen Totalität aller Erscheinungen auf den mathematischen Grund des Weltbegriffs selber?
    An dem Kapitel über die Wunder Jesu in Uta Ranke-Heinemann: „Nein und Amen“ läßt sich genau studieren, wie Empörung dumm macht.
    Zu den Dämonen, die Jesus als Sohn Gottes erkennen und ansprechen, deren Name „Legion“ ist, und die dann auf eigenen Wunsch in die Schweineherde fahren und sich ins Meer stürzen: Ist es so undenkbar, daß hier die Kirche gemeint ist? War es nicht Petrus, der nach der Apostelgeschichte über einen Traum das Essen von Schweinefleisch eingeführt hat? Und ist es nicht die Kirche, die dem Namen des Gottessohns im Dogma eine dämonische Signatur gegeben hat?
    Zum Islam: Ist die Verbindung von Religion und Politik, in die der Fundamentalismus immer wieder zurückfällt, nicht aufgrund der islamischen Schöpfungsvorstellung, wonach Allah die Welt jeden Augenblick neu erschafft, um sie zu erhalten, unvermeidbar?
    Zum Kollektivschuld-Problem hat man nach dem Krieg nur eine Sprachregelung, keine Lösung gefunden. Es gibt keine Kollektivscham, es sei denn, daß man ein Kollektiv-Subjekt akzeptiert; aber das wäre genau das Subjekt, von dem die Täterqualität nicht abzuwischen ist. Diese Kollektivscham war der Rettungsanker, über den der Nationalismus sich erhalten hat: Seitdem ist Auschwitz (Hoyerswerda, Rostock etc.) eine Schande für den deutschen Namen: der Opfer braucht nicht mehr gedacht zu werden (und man kann es den Juden übelnehmen, daß sie Anlaß waren, daß dieser Schatten auf den deutschen Namen gefallen ist, mit der Folge, daß Rostock keine Diskussion über den erschreckenden Ausbruch der Gemeinheit und der Niedertracht auslöste, sondern nur über das Asylrecht, die wieder die Opfer zu den in Wahrheit Schuldigen machte). Durch die Kollektivscham wurden die Untaten dem Bereich des Gewissens entrückt und zu einer Sache des Urteils der Geschichte, der Welt, des Auslands über uns. In der Kollektivscham sieht sich die ganze Nation als von außen angesehen. So wurde die Maxime sanktioniert, wonach es nicht aufs Tun, sondern aufs Erwischtwerden ankommt, und die Schleusen der Gemeinheit sind seitdem weit geöffnet. Der einzige Weg, der hätte herausführen können, wurde durch das Stichwort Kollektivscham (in instinktiver Kenntnis der Konsequenzen) versperrt: Das Bewußtsein, daß man auch durch Nichthandeln schuldig werden kann, Grund der Reflexion des Weltbegriffs (Bedeutung des Wortes von der Übernahme der Sünde der Welt und seiner theologischen, dogmenkritischen Konsequenzen: die Opfertheologie wäre nicht mehr zu halten gewesen).
    Aber scheitert die sühnelogische Interpretation der Opfertheologie nicht an schon an der Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie? Diese Zwei-Naturen-Lehre widerspricht nämlich der Instrumentalisierung des Opfers, ohne die es die Sühnelogik nicht gibt. Erst die Anpassung der Theologie an die Welt, die übernahme der Logik des Weltbegriffs in den theologischen Erkenntnisbegriff oder die innere Säkularisierung der theologischen Gehalte, die selber abhängig ist von der sühnelogischen Interpretation der Opfertheologie, die insbesondere dann im Begriff einer Erschaffung der Welt aus dem Nichts sich manifestiert, zieht als ihren Schatten einen Naturbegriff nach sich, der die theologischen Inhalte gleichsam aufsaugt und dann gegen die Theologie sich verselbständigt. Dieser Naturbegriff neutralisiert den Widerspruch, von dem er lebt: er läßt nicht mehr sich auflösen (und zerstört, durch Gewöhnung an den Widerspruch, jede Kraft der Argumentation: er zerstört die Sprache).
    Die Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie (die Idee der Erschaffung der Welt aus dem Nichts) schirmt die Politik gegen theologische Kritik ab (neutralisiert die Prophetie) und begründet die seitdem (nicht nur im Christentum) herrschende zentrale Stellung der Sexualmoral (und das in der Geschichte mit der Ehebrecherin bezeugte Verhältnis Jesu zur Sexualmoral ist in seiner Weltkritik begründet). Oder anders formuliert: die christliche Sexualmoral ist ein Produkt der inneren Säkularisation der theologischen Tradition.
    Gründet nicht der kantische Begriff der Erscheinung (als eine Totalität des Scheins) und dessen Hegelsche Zuspitzung zum Begriff des Scheins (aus dem das Wesen hervorgeht) in der Beziehung zur Schuld, indem er vom Schuldzusammenhang, aus dem er stammt, abstrahiert, selber (durch das Schuldverschubsystem und die verandernde Kraft des Seins) zu einer Kraft der Exkulpation wird. Dieser Widerspruch wird im Naturbegriff gegenständlich, er ist ein Säkularisat der Theologie. Grund ist die (aus der Innenerfahrung des Hauses stammende) Vorstellung des Raumes, der Reversibilität der Richtungen im Raum, durch die die Differenz zwischen den Richtungen im Raum (Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Rechts und Links, Oben und Unten) neutralisiert und zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Hier entspringt der logische Zusammenhang, der in der transzendentalen Ästhetik und Logik Kants und im System der Hegelschen Philosophie sich entfaltet, der zugleich in der Grundstruktur des Kapitalismus, in der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, sich manifestiert und seine systembegründende Qualität gewinnt. Hier wurde der Pakt Fausts mit dem Teufel geschlossen, in dessen Bann wir seitdem sind.
    Das Christentum ist die jüdische Antwort auf eine veränderte geschichtliche Situation; und diese Veränderung drückt sich zentral in der Funktion und Bedeutung, im logischen und historischen Stellenwert des Weltbegriffs aus. Aber diese neue Antwort war in sich selber ambivalent, und ihre Ambivalenz war unvermeidbar. Diese Ambivalenz abzuarbeiten wäre die heutige Aufgabe der Theologie.

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