Die eigentliche Botschaft, die die Naturwissenschaften nach draußen vermitteln, liegt nicht in dem, was in populärwissenschaftlichen Büchern steht, sondern in der Grunderfahrung, daß die Welt aus Material und den Mitteln seiner Bearbeitung besteht und die Natur das natürliche Objekt der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist.
Heinsohn spricht zentrale Probleme der Menschheitsentwicklung (Ursprung des Geldes und der Sexualmoral) an, löst sie aber auf eine Weise, die den Autor und den Leser entlastet, indem sie ihn aus dem Schuldzusammenhang herausnimmt und Sündenböcke (vorge-schichtliche Naturkatastrophe, kirchliches Interesse an Menschenproduktion) zur Abdeckung der Lücken im System, des Defizits anbietet (ausgeklammert wird generell der patriarchalisch-frauenfeindliche Aspekt). Nicht zufällig erinnert sein Verfahren an das der Aufklärung, die immer schon mit Hinweisen auf Natur und Priestertrug Rationalitätsdefizite begründete. Hier scheint auch der Grund der Notwendigkeit und der Qualität seines polemischen Talents zu liegen. In dem bevölkerungstheoretischen Ansatz seiner Erklärung der Hevenverfolgung liefert er durchschlagendes Material für das Verständnis der Funktion der Sexualmoral insgesamt, wehrt aber dann im Hinblick auf Reich dessen „funktionalisierenden Ansatz“ ab (und behält damit von Reich nur den Slogan einer Zigarettenreklame übrig: Genuß ohne Reue). Und die unbesehene Gleichsetzung der präurbanen Methoden der Verhütung mit den technisch-industriellen, die heute sich durchsetzen, verweist auf die Schwächen seines Ansatzes. Das Vorurteilsmoment im Hexenwahn, das sehr früh seine eigene trieb- und realökonomische Schubkraft gewann, bleibt außerhalb seines Gesichtskreises und wird auch bewußt dort gehalten. Damit aber bleibt auch der Grund und der Stellenwert des Sexualtabus (sein Rationalitätskern im patriarchalischen Herrendenken) unbearbeitet. Seine Polemik zehrt vom Gestus des Jüngsten Gerichts (einer verkürzten Version des Hegelschen Weltgerichts), mit einer durchgebildeten Sündenbock-Dämonologie (in der der verdrängte Rationalitätskern der kirchlichen Sexualmoral wiederkehrt).
Muß Heinsohn das Vorurteilsmoment im Hexenwahn leugnen, weil dessen Erkenntnis an die eigenen Verdrängungen rührt? Und geht es nicht in der Naturkatastrophen-Theorie und im bevölkerungspolitischen Ansatz seines Hexenverfolgungs-Konzepts um die Neutralisierung des gleichen Problems (des Problems der Gemeinheit und ihres Ursprungs im Kontext des Patriarchats, der Entstehung des Privateigentums, des Weltbegriffs)?
Die biblischen Genealogien sind wohl auch aus ihrer Verknüpfung mit dem chronologisch-biologischen (Zeugungs-)Kontext herauszulösen:
– Abraham entstammt der Linie Arpachschad (und nicht Aram), aber seine Verwandten sind Aramäer (er selbst ein Hebräer).
– Die Stammbäume des Kain und des Seth sind teilidentisch, unterscheiden sich u.a. durch die Reihenfolge (vgl. insbesondere Henoch und Enosch, auch Lamech!).
Gilt der Satz „Niemand kennt die Zeit und die Stunde außer dem Vater, der im Himmel ist“ außer für die Zukunft auch für die Vergangenheit (Verhältnis von vergangener Zukunft und zukünftiger Vergangenheit)? Und sind unter diesem Vorbehalt nicht auch die Genealogien (die toledoth, einschließlich des Sechstagewerks) zu lesen?
Haben die sieben unreinen Geister etwas mit den sieben Engeln der Gemeinden (die Adressaten, nicht Boten der apokalyptischen Botschaft sind: aber wessen Boten sind sie?) in der Apokalypse zu tun? Und gibt es eine gemeinsame Beziehung beider zu den sieben Diakonen (die ersten Märtyrer: ein Apostel und ein Diakon, Jakobus und Stephanus)?
Das hypostasierende, verdinglichende Denken, das die Erneuerung der Theologie heute verhindert, wird durchs Dogma und durchs Bekenntnis und ihre gemeinsame Logik abgesegnet und stabilisiert.
Reich
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28.08.92
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