Rosenzweig

  • 24.05.87

    Die Katastrophen dieses Jahrhunderts haben – im Unterschied zu historischen Gesteinsverschiebungen in früheren Epochen – nicht zu neuen Gleichgewichtsverhältnissen geführt; weitere tektonische Beben mit unabsehbaren Folgen sind, wenn nicht zu erwarten, so jedenfalls nicht auszuschließen. Die Philosophie dieses Jahrhunderts hat diese Vorgänge mit der größtmöglichen Genauigkeit aufzuzeichnen versucht: Lukacs, Bloch, Benjamin, Horkheimer, Adorno beschreiben eigentlich alle den gleichen Vorgang; die Differenzen zwischen diesen Autoren bezeichnen weniger Meinungsunterschiede, als vielmehr objektive Brüche, in denen die katastrophischen Kräfte des Systems bewußtlos weiterarbeiten.

    Erweiterung der Transzendentalphilosophie: Wenn es stimmt, daß unser Bewußtsein der Realität (die Realität für uns) sprachlich vermittelt ist, daß die Sprache zu den Fundamenten der Realität, wie wir sie kennen, gehört, ist es eigentlich sträfliche Fahrlässigkeit, wenn Sprachreflexionen auf den Gang der Erkenntnis so geringen Einfluß haben.

    Unterschied zwischen Sprachphilosophie und Idealismus: Die Geistphilosophie des Idealismus kennt das Subjekt eigentlich nur als vergangenes, abgestorbenes, während Sprachphilosophie ohne lebende, sprechende Subjekte (Ich mit Vor- und Nachname) nicht denkbar ist. Sprachphilosophie setzt eine theistische Theologie voraus. Die Konsequenzen sind absehbar, Franz Rosenzweig hat sie ausgeführt. Es gibt einen sprachzerstörerischen Erkenntnisprozeß; ihn hat die Ontologie seit je sanktioniert: genau das meint der R.’sche Hinweis auf die „verandernde Kraft des ´íst´“. Erkenntnis das auf Wissen zielt, ist an einem objektbezogenen Wahrheitsbegriff orientiert, der, wie er auf prinzipiell Vergangenes (Totes) sich bezieht, mit Herrschaft verbunden ist. Wissen ist ebenso subjektiv (auch als intersubjektives Wissen) wie autoritär. Kritische Reflexion des Wissens, zu der die kantische Vernunftkritik den entscheidenden Anfang gemacht hat, kommt nur zu haltbaren Ergebnissen, wenn sie auf dessen Verhältnis zur Zeit, auf seine gesellschaftlichen Sinnesimplikate und – nicht zuletzt – auf seine ethischen Konnotationen reflektiert: Wissen ist emanzipatorisch und menschenverachtend zugleich.

    Konkrete Erkenntniskritik darf vor den Naturwissenschaften nicht Halt machen, muß im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß die gesellschaftlichen Kräfte, seinen objektiven Zusammenhang mit dem Prozeß der fortschreitenden Naturbeherrschung und der Vergesellschaftung von Subjekt und Natur und in ihm zugleich das Moment der Selbstblendung des Subjekts begreifen. Die Naturwissenschaften sind ein aktives, bewußtlos tätiges Moment im gesellschaftlichen Schuld- und Verblendungszusammenhang.

  • 13.03.88

    Merkwürdig, daß niemand den Benjaminschen Begriff des Mythos (in den frühen Schriften, von „Schicksal und Charakter“ über die „Wahlverwandtschaften“ bis zum „Ursprung des deutschen Trauerspiels“) auch nur wahrnimmt, geschweige denn produktiv weiterführt. Hierzu scheinen den Literaturwissenschaftlern die theologischen und den Theologen die literarischen Voraussetzungen zu fehlen. Damit scheint es andererseits zusammenzuhängen, wenn bis heute niemand – auch Stephan Moses nicht – im „Stern“ von Franz Rosenzweig den Stellenwert und die religions- und geschichtsphilosophische Bedeutung seiner Rekonstruktion des Mythos und der chinesischen und indischen Welt sowie des Islam begriffen hat. (Warum gibt es beim Mythos eine begründete Gestalt – die griechische – und zwei Derivate – die chinesische und die indische -, während es im Bereich der Offenbarung zwei gleichberechtigte historische Gestalten – die jüdische und die christliche – und nur ein Derivat – den Islam – gibt?)

  • 03.08.88

    Das „Objekt“, das Mehr gegenüber dem durchs Subjekt Konstituierten, muß sich von allem Konstituierten, vom Ding und seinen Eigenschaften, von den Kausalverhältnissen, mit einem Wort: vom Gegenstand des Denkens, vom Korrelat der transzendentalen Logik, (wie das „Ding an sich“) unterscheiden. Es ist damit freilich nicht unbestimmbar; es ist nicht nur das einfache Unbestimmbare, sondern entsteht an der Grenze des Bestimmbaren; das aber ist nach Franz Rosenzweig nicht ein Unbestimmbares, sondern es sind mehrere, deren jedes auf andere Weise unbestimmbar ist, damit aber wiederum bestimmbar. Das Nichts, von dem die Philosophie ausgeht, die Nacht des Nichtwissens, ist nicht nur ein Nichts, nicht nur eine Nacht, sondern es sind mehrere; und ihre Zahl ist bestimmbar.

  • 5.5.1997

    Zur Kritik des Begriffs der Geschichte gehört die Kritik der Vorstellung des Zeitkontinuums, die der Objektivierung der Geschichte zugrunde liegt. Geschichte, wie sie bis heute verstan­den wird, ist das Produkt einer Neutralisierung der Vergangenheit, die verhindert, daß die Gegenwart in ihr sich wiedererkennt. – Enthält nicht Benjamins Hinweis auf die paradoxe Be­ziehung des jüngst Vergangenen zur Gegenwart (nichts ist so veraltet wie die jüngst vergan­gene Mode) einen Fingerzeig?

    Welche Länder werden mit dem bestimmten männlichen Artikel genannt, wie der Irak, der Iran, der Libanon, der Sudan, der Senegal, der Kongo? Was bedeutet und welche Funktion hat hier der bestimmte Artikel? Hat er mit der Substantivierung des Nomen, mit dem Über­gang vom Nomen zum Substantiv, zu tun? Wodurch unterscheidet sich das Substantiv vom Nomen? Macht der Artikel das mit Namen benannte Subjekt zum Objekt, sind die subjektiven Formen der Anschauung Produkte der logischen Entfaltung des bestimmten Artikels?

    Zwei Erklärungsmöglichkeiten:

    – aus der islamischen Vergangenheit (Beziehung des bestimmten Artikels zum Gottes­namen?),

    – aus der kolonialistischen Vergangenheit?

    In beiden Fällen Objektstatus der Länder, die (sei es aus religiösen, sei es aus Gründen der kolonialen Abhängigkeit) keinen Subjektstatus, keine nationale Souveränität im Sinne des modernen Nationbegriffs hatten?

    Drei Arten der Bildung des bestimmten Artikels:

    – the, der, to: die deiktische Funktion des bestimmten Artikels,

    – ha (hebräisch), hä/ho (griechisch): das Auslachen,

    – el/il (spanisch, italienisch), al (arabisch): Zusammenhang mit dem semitischen Got­tesnamen (El, Elohim, Allah)?

    Elohim ist der Name des Gerichts und der Schöpfung; JHWH Elohim der des Sündenfalls und des Fluchs.

    Rosenzweig: „Ja, das Ihr ist grauenhaft. Es ist das Gericht.“ (Stern, Ausg. Suhrkamp, S. 264) Hängt das euch (2. Pers. Plural) mit dem Wort ewig zusammen (vgl. dtv – Etymologisches Wörterbuch, S. 304/308)?

    Ist nicht die Vorstellung des Zeitkontinuums der Fluch, der über der Erde schwebt?

    Bei Hegel liegt Hoffnung allein in dem Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann.

    Hat nicht erst der Islam die Heiden erfunden, die „Ungläubigen“?

    Die Wolkensäule am Tag und die Feuersäule in der Nacht: Hat das etwas mit dem Bogen in den Wolken und dem Menschensohn auf den Wolken des Himmels zu tun?

    Greuel am heiligen Ort: Wenn der Faschismus über seine Verurteilung sich reproduziert, wandert er dann nicht von der Seite des Begriffs auf die des Objekts, aus der Schuldzusam­menhang der Welt in die „unschuldige“ Natur? Diese Metamorphose ist genauer zu bestim­men. Wie hängt die „Unschuld“ der Natur (die in ihrem Gesetzesgehorsam gründet, in ihrem Gegensatz zur Freiheit) mit ihrer Begriffs- und Namenlosigkeit zusammen?

    Wenn die Heuchelei die Reverenz, die das Laster der Tugend erweist, ist, ist dann nicht die Bekenntnislogik die logisch durchorganisierte Heuchelei (die Ursprungsgestalt der subjekti­ven Formen der Anschauung)?

    War nicht der Bann über Spinoza eine verschärfte Fassung des Banns über Uriel da Costa, und hat darin nicht die Amsterdamer Synagoge sich selbst verurteilt?

    Die Vorstellung, daß Gutes nur von Gutem und Böses nur von Bösem kommt, ist rassistisch.

  • 2.5.1997

    Heute schilt man die Reflektierenden rücksichtslos, weil sie auf die Verdrängungen der Andern keine Rücksicht nehmen. Empfindlich ist das zur Schuldreflexion unfähige Gewissen.

    Zur antisemitischen Vorgeschichte der Denunziation: Stefan Wyss berichtet von einem Fall aus der Geschichte der Inquisition, in dem ein Beichtvater einer Beichtenden, die einer marranischen Gruppe angehörte, die Absolution nur unter der Auflage erteilte, daß sie die anderen Mitglieder dieser Gruppe bei der Inquisition denunzierte.

    Aus dem gleichen Umkreis stammt auch der Begriff der „Selbstbezichtigung“, der auf ein Verhalten sich bezog, durch das ein Verdächtiger unter gewissen Bedingungen der Verfolgung sich entziehen konnte. Der Ausdruck war insofern begründet, als mit einer Selbstbezichtigung nur der Verdacht sich bestätigen, nicht aber die Tat sich nachweisen ließ; eine Selbstbezichtigung unterschied sich vom Schuldbekenntnis, vom Eingeständnis der Tat, dadurch, daß sie auch falsch sein konnte. Nach der Inquisition haben erst die stalinistischen Schauprozesse wieder von diesem Mittel Gebrauch gemacht.

    Im Munde der Bundesanwaltschaft gewinnt der Begriff der Selbstbezichtigung die Qualität eines instrumentalisierten Freudschen Versprechers: Hier wird ein begriffliches Merkmal der Anklage, die in der Tat eine bloße Bezichtigung ist, auf das Bekenntnis der Täter verschoben: hier wird das Bekennerschreiben, das eins ist, zum „Selbstbezichtigungsschreiben“, das offen läßt, ob der, der es verfaßt und veröffentlicht hat, auch die Tat begangen hat, deren er sich „bezichtigt“. Imgrunde kann die Anklage in Staatsschutzprozessen nur davon ausgehen, daß die Angeklagten grundsätzlich lügen, Beweismittel manipulieren oder vernichten, daß m.a.W. ein rationaler Diskurs mit den Angeklagten nicht möglich ist; deshalb gibt es zur Isolationshaft keine Alternative. So „bezichtigt“ z.B. die BAW Birgit Hogefeld nur der Taten, von denen sie selbst nicht weiß, ob sie sie auch begangen hat; für das Gericht gelten diese Bezichtigungen so lange, wie sie nicht widerlegt werden, als bewiesen. Und diese „Beweisführung“ wird dadurch erleichtert, daß die Angeklagte durch die Haftbedingungen in ihren Verteidigungsmöglichkeiten behindert wird (apagogische Beweisführung unter Laborbedingungen).

    Zur inneren Differenzierung des Begriffs der Selbstbezichtigung: In der Geschichte der Verfolgung der Marranen ging es darum, die Infamie mit ihren eigene Waffen zu bekämpfen, um sich selbst, das eigene Jüdischsein, zu retten; in den stalinistischen Prozessen dagegen um das Mitspielen in einem Schauspiel, das, um die Idee der Befreiung zu retten, die Öffentlichkeit hinters Licht führen sollte, auch wenn man selbst dabei zum Opfer wurde (wie hängt die Idee der proletarischen Revolution mit Hegels „Weltgericht“ zusammen, und die Selbstbezichtigungen der Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen mit Marx‘ „Veränderung der Welt“?).

    Über das Verfahren des apagogischen Beweises hängt das Marranenproblem mit der Geschichte der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung zusammen, die in den Staatsschutzprozessen endet.

    „Schweinehund“: Marranen (zwangsgetaufte Juden, die nur äußerlich der christlichen Umwelt sich anpaßten, im Innern aber Juden geblieben waren) waren „Sauhunde“; die Wut, die sie in ihrer Umwelt hervorriefen, gründete darin, daß die zwangsangepaßten Christen in ihnen sich selbst und die Logik des Zwangsbekenntnisses, dem sie sich unterworfen hatte, wiedererkannten. Erweist sich nicht vor diesem Hintergrund Name des Schweinehundes und der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ (heute: die „Dressur des inneren Schweinehundes“) als das missing link in der Geschichte des Übergangs vom Antijudaismus zum Antisemitismus, bezeichnet er (im Bilde des Marranen) nicht den Punkt, an dem der Antijudaismus rassistisch wird?

    Zur Vorgeschichte der Klandestinität gehört das Marranentum (vgl. auch die Geschichte der Schiiten, die „Praxis der Verheimlichung, verbunden mit politischer subversiver Tätigkeit“ im Kontext der „Privatisierung öffentlicher Macht“ bei Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 459f).

    Die Parabel vom Weizen, der auf den Weg, auf steinigen Grund, unter die Dornen fällt, ist eine Parabel über den Zustand der Welt, in die das Christentum hineingeschickt wird.

    Bis heute haben alle Rachephantasien nur dem Feind genützt, haben ihn stärker werden lassen.

    In der Schrift sind nur männliche Namen theophore Namen, weibliche Namen sind im allgemeinen aus der Pflanzen- und Tierwelt.

    Die Frage nach dem Naturgrund von Herrschaft ist eins mit der kantischen Frage, warum die subjektiven Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind. Weist sie nicht zurück auf den zweiten Schöpfungstag, die Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern trennt?

    Ist das Relativitätsprinzip das naturwissenschaftliche Pendant der „Feste des Himmels“, und ist es nicht – als Instrument der Instrumentalisierung – der Unzuchtsbecher, das Instrument der Dauervergewaltigung?

    Im Feuer manifestiert sich die Beziehung zwischen dem Angesicht und dem Seitenblick: zwischen dem Licht und seiner Abbildung im Inertialsystem, der Elektrodynamik. Das Feuer wird in der Physik selber repräsentiert durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und durch die Planck’sche Strahlungsformel.

    Die Beziehung von Natur und Freiheit bei Kant ist Ausdruck dieser Beziehung des Seitenblicks zum Im Angesicht: des Feuers.

    Der Bann der Anpassung an die Welt (an den objektivierenden Seitenblick) läßt sich nur durch die Theologie im Angesicht Gottes, in dem ich mir selbst durchsichtig werde, lösen.

    Theologie heute: Der Versuch von etwas zu reden, von dem man – wie Franz Rosenzweig von Gott Mensch Welt – nichts weiß. Die Bewegung, die dieses Nichtwissen bei Franz Rosenzweig durchläuft: Ist das nicht die Bewegung, in der Daniel den Traum des Nebukadnezar, den dieser nicht mehr weiß, rekonstruiert?

    Zur Gegenreformation gehört eine Moraltheologie, die als Pornographie im Gewande der Moral sich begreifen läßt. Sie stellt Adornos Satz „Erstes Gebot der Sexualethik: Der Ankläger hat immer Unrecht“ auf den Kopf.

    Hat das Wort „Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ etwas mit der Beziehung von Occident und Orient zu tun, mit Westen und Osten (ex oriente lux)?

    Ist nicht der apagogische Beweis, der das heliozentrische System fast unangreifbar macht, der Instrumentalisierungsbeweis (der Beweis durchs Experiment)? Dehalb gehört zum apagogischen Beweis, der insbesondere als Instrument des Staatsschutzes Anwendung findet, die Folter. Die Zwangsbekehrung der Juden (das Marranentum) war ein Instrument der Selbstinstrumentalisierung der Religion, die experimentelle Erprobung der Reichweite der Bekenntnislogik. Der Preis war die Universalisierung der Feindbildlogik und die Außerkraftsetzung des „in dubio pro reo“. Sie hat den Angeklagten zum Feind gemacht, gegen den die Anwendung der Folter zulässig ist. In der Konsequenz dieser Logik wird der Ankläger zum Anwalt des Staates, des Rechts, nicht der Gerechtigkeit (der Gebrauch, der im Titel des Staatsanwalts vom Namen des Staats gemacht wird, setzt an die Stelle der Gerechtigkeit das Recht, trennt das phainomenon vom noumenon).

    Wie hängt der apagogische Beweis mit der Selbstbegründung der Mathematik (mit der Konstruktion des adialogischen synthetischen Urteils apriori) zusammen, der Begründung einer Welt, die sowohl vom Licht wie von der Sprache abstrahiert?

    Das Gravitationsgesetz ist das Bild des Schuldverschubsystems.

    Gibt es einen Zusammenhang der Pluralisierung des tän hamartian tou kosmou zu den peccata mundi mit der Konfessionalisierung des homologein (dem Ursprung der Bekenntnislogik)? Und wie hängt die Konfessionalisierung des symbolon zusammen mit der Geschichte der Confessiones (von Augustinus bis Rousseau)?

    Gehört der Selbstmord des Uriel da Costa (der seiner Confessio, dem Exemplar humanae vitae, folgt) in die Geschichte der Selbstmorde, die mit dem kollektiven Selbstmord in Massada beginnt und mit Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) endet?

    Ist nicht die Amsterdamer Bannformel (gegen Uriel da Costa und dann, veschärft, gegen Spinoza), ein Indiz der Infizierung der Synagoge durch die Bekenntnislogik?

    Das Problem der Beichte verweist auf das der Sündenvergebung, der Bekehrung des einen Sünders, über dessen Bekehrung größere Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, der Bekehrung des Sünders von seinen Wegen des Irrtums, und in diesem Zusammenhang auch auf das Problem des Worts vom Binden und Lösen. Nicht die Verurteilung der Wege des Irrtums, sondern ihre Reflexion ist der Beginn dieser „Bekehrung“.

    Emmanuel Levinas zufolge verkörpert das Angesicht des Andern das Gebot: „Du sollst nicht töten“. Zugleich widerlegt das Angesicht des Andern das Konstruktionsprinzip der subjektiven Formen der Anschauung: den Staat.

    Der erste Handel war Fernhandel, die erste Form des Erwerbs der Raub, zu den ersten Waren gehörten die als Sklaven auf dem „Markt“ angebotenen Kriegsgefangenen (zu denen auch die Frauen gehörten: Exogamie, Inzest-Verbot).

  • 24.4.1997

    „Der Junge blieb vor dem Fenster stehen und starrte hinaus: ‚Der Mondschein‘, sagte er, ‚macht die ganze Natur so – knochenlos; die Sonne erweckt in dem Menschen Tatendrang, der Mond Gefühle.‘ – ‚Ja, das ist wahr‘, sagte Wenzlow lächelnd. ‚Darum ist die Sonne im Französischen männlich, le soleil. Der Mond, la lune, ist weiblich.’“ (Anna Seghers: Die Toten bleiben jung. Darmstadt und Neuwied, 1977, S. 386) Welche Konsequenzen hat diese Bemerkung für das Verständnis der deutschen Sprache, ihres sprachlogischen und herrschaftsgeschichtlichen Grundes?

    „Sie wachte zuweilen nachts auf und dachte: Ich möchte mein Kind aufpacken und weit weggehen. Wohin? Es gab kein Wohin mehr.“ (Ebd. S. 402) – Genauer läßt sich die Welt, die im Faschismus sich ausdrückte und die er hinterlassen hat, nicht beschreiben, als durch diese Zerstörung des Wohin. Es gibt keine Ziele mehr, auch keine Fluchtorte vor dem allgegenwärtigen Schrecken.

    Dritte Leugnung: Die Unterstützung des Nationalsozialismus im Rußlandfeldzug, im „Kreuzzug gegen den Bolschewismus und das Judentum“, in dem „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war, hat die Kirchen in den Abgrund mit hereingezogen, den die Nazis eröffnet haben, und der sich seitdem nicht mehr schließen läßt.

    Ist F.W. Marquardt nicht ein Beispiel dafür, daß die Theologie heute eine Opfer ihrer Sprache ist? Der Abgrund, in den die Theologie hereingezogen wurde, ist der Abgrund der Indikativs. Der Indikativ ist die Sprache der Exkulpation durch Objektivierung, durch Distanzierung von der Sache, die Sprache der reflexionslosen Verurteilung. Die Konstituierung und Rechtfertigung der Gegenständlichkeit hat den Imperativ aus der Sprache vertrieben, der dem Kommando im Wege stand, er hat den Namen Gottes geschändet, die Attribute Gottes unerkennbar gemacht.

    Der sprachlogische Grund des Indikativs ist das Neutrum und die Subsumtion Flexion der Verben, der Formen der Konjugation, unter die Zeit. Deshalb hat nur die Sprache der Schrift, das Hebräische, theologische Qualität, die anderen Sprache nur insoweit, wie es gelingt, die Schrift in diese Sprachen zu übersetzen. Ist das „Neue Testament“ nicht das Paradigma des Problems der Übersetzung der Schrift, und das Christentum die Folge eines – unter dem Zwang, nicht mißverstanden zu werden – unvermeidlichen und notwendigen Mißverständnisses?

    Der Antisemitismus hat den Trieb, nicht mißverstanden zu werden, vollendet und damit endgültig ins Leere laufen lassen. Er gründet in einer Sprache, die Mißverständnisse nicht nur nicht ausschließt, sondern keine Alternative mehr dazu kennt. Das innere Gesetz dieser Sprache ist der Indikativ. Hegel hat den Kern dieses Gesetzes im Begriff der List der Vernunft zu begreifen versucht. Der Antisemitismus ist das natürliche Ende dieser List der Vernunft (der Instrumentalisierung des Mißverständnisses).

    Die Instrumentalisierung des Mißverständnisses begründet die Logik der Gemeinheit (den logischen Kern des Antisemitismus). Kant hat das Gesetz dieser Logik in der transzendentalen Ästhetik vor Augen gestellt: in den „subjektiven Formen der Anschauung“. Aus dieser Wurzel stammen Hegels List der Vernunft, sein Begriff des Scheins und die Idee des Absoluten. Dem korrespondieren die drei den Indikativ sprengenden Kategorien, die Franz Rosenzweig im Stern der Erlösung benannt hat: die Umkehr (das Bild vom Koffer), den Namen (Name ist nicht Schall und Rauch) und das Angesicht. – Das Angesicht, das in der christlichen Idee der Anschauung Gottes, aus der jede Erinnerung an den göttlichen Namen getilgt ist, zum Ende der spekulativen Idee gemacht worden ist, ist bei Franz Rosenzweig der Anfang des Lebens (die Befreiung aus der Isolationshaft des Anschauens).

    Der Indikativ ist die Sprachlogik des objektivierenden Blicks, des Seitenblicks. So hängt er mit den subjektiven Formen der Anschauung (dem Instrument der Vergegenständlichung) zusammen.

    Der christliche Kanon der Schrift (des „Alten Testaments“), der die prophetischen Bücher zu historischen Büchern gemacht hat, ist ein Modell der kopernikanischen Wende, sein Vorläufer in der Theologie, der erste Ausdruck des Seitenblicks, sein Preis war der christliche Antijudaismus. In diesem Modell der kopernikanischen Wende waren die Elemente der Logik schon vorgebildet, die dann den Sternenhimmel, die ganze Natur und mit ihnen den Staat, den Begriff der Politik, verhext haben: Das heliozentrische System war der logische Grund des aus ihm erwachsenen Nationalismus, in dessen Dienst schon die Umwidmung der prophetischen in historische Bücher stand.

    Die Geschichte des Christentums hat ihren theologischen Ort zwischen Tod und Auferstehung: in der descensio ad inferos.

    Läßt sich nicht das Verhältnis von Leviticus und Deuterinomium am Verhältnis von Lev 26 und Dt 28 demonstrieren (und das Verhältnis des Exodus zum Deuteronomium an den beiden Fassungen des Dekalogs)?

    Der islamische theologische Topos, daß Gott die Welt in jedem Augenblick neu erschafft, ist die zwangsläufige Konsequenz einer Gottesidee, die – wie der Begriff des Absoluten – vom Staat nicht zu trennen ist. Die volle Schöpfungsmacht, die hier in jedem Augenblick auf das Geschöpf prallt, ist der theologische Grund des Islam, der Ergebung in Gottes Allmacht, der nichts widerstehen kann. Die Erfahrungsgrundlage dieser Schöpfungsmacht ist die Staatsgewalt.

    Sind nicht die Rechtsstaatsideologie und der Habermas’sche Verfassungspatriotismus ein Versuch, des faschistischen Erbes, das durch Reflexion aufzulösen wäre, durch einen zweiten Objektivationsschritt Herr zu werden: „Dressur des inneren Schweinehundes“. Die Reflexion, die heute notwendig ist, ist ohne die Hilfe der Theologie nicht mehr zu leisten.

    Zu Walter Benjamins Engel der Geschichte: Die Trümmer, die vor ihm sich aufhäufen, ist das nicht der Schutt, unter dem wir begraben sind, und zugleich der Leichenberg, auf dem wir stehen? Hängt das nicht mit der Konstruktion des Zeitkontinuums zusammen, durch den wir uns sowohl an den Anfang wie auch ans Ende der Zeitreihe, die beide im Unendlichen liegen, setzen? Die Aufspaltung der Zeit, die dem Indikativ zugrunde leigt, wird erzeugt und stabilisiert durch die Begriffe Natur und Welt. Die Natur ist der Leichenberg, die Welt der Trümmerhaufen. Dagegen richtet sich der Satz: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.

    Der Atheismus hat in der Linken seit je die Regression gefördert.

    Das Problem Miskottes ist, daß er aus dem Zwang zur Erbaulichkeit, in den ihn die Gemeindetheologie hineinführt, nicht herauskommt.

    Die Kirchengeschichte der Theologie: Dogma, Orthodoxie und Bekenntnislogik, gründet in der Verwechslung von Erkenntnis und Wissen. Das Wissen ist ein Produkt der Vergesellschaftung von Erkenntnis (die Habermas durch seinen Begriff der „privilegierten Erkenntnis“ zu diskriminieren gezwungen ist). Das Wissen subsumiert die Erkenntnis unter das Objektivierungsgesetz, das insbesondere die Gotteserkenntnis strikt ausschließt. „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott.“ Das Unkraut, das vor der Ernte nicht ausgerissen werden darf, ist die ins Wissen transformierte Erkenntnis. Die Häretiker sahen das Unkraut, sie wollten es vor der Ernte ausreißen. Mit der Verurteilung der Häresien hat die Kirche nur den Blick auf das Unkraut verboten, seine Wahrnehmung untersagt: hat sie nicht anstelle des Weizens das Unkraut in ihrem Garten gehegt und gepflegt?

    Die kopernikanische Wende (der die Kirche mit der Entwicklung des Dogmas und der Ausbildung der Orthodoxie vorgearbeitet hat) hat die Sensibilität in Empfindlichkeit verwandelt. Ausdruck dessen war die Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten, die Subjektivierung der „Empfindungen“.

    Steckt das Problem des Lichts nicht in der Geschichte der Auseinandersetzung Goethes mit der newton’schen Optik, in der Beantwortung der Frage, ob aus den Farben, aus den Brechungen des Lichts, das Licht sich rekonstruieren läßt? Goethes Bemerkung, daß die Mischung aller Farben grau, nicht weiß ergibt, ist ein Hinweis darauf, daß die Brechung des Lichts wie der Tod irreversibel ist. Physikalischer Ausdruck dieser Irreversibilität ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: So hängt der Bogen in den Wolken mit dem Inertialsystem zusammen.

    Was hat der Menschensohn auf den Wolken des Himmels mit dem Bogen in den Wolken zu tun?

    Der Bogen in den Wolken verkörpert die Naturbeherrschung in allen ihren Gestalten: Er ist das gegenständliche Korrelat des Schreckens der Tiere.

  • 22.4.1997

    Die Ursprungsgeschichte der Philosophie ist die Ursprungsgeschichte einer theoretischen Beziehung zur Objektivität, die in Alexander praktisch geworden ist (die Ursprungsgeschichte der stoischen Ataraxia – die Keimzelle des „eliminatorischen Antisemitismus“ – ist im Kollosseum in Rom als Kulturdenkmal der Erinnerung präsent und sinnlich erfahrbar).

    Die Geschichte der Häresien ist ein Indikator der inneren Geschichte des Christentums. Die Häresien waren ein projektiv entstellter Ausdruck der historisch-moralischen Probleme des Christentums. Mit der Verurteilung der Häresien sind diese Probleme nicht gelöst, sondern verdrängt – und eben damit perpetuiert – worden. Die Kirche hat ihre eigene Tradition zunächst in Isolationshaft, dann in Geiselhaft genommen: Das Dogma sind die Steine, die Bekenntnislogik der Mörtel und die Orthodoxie die Mauern des Gefängnisses, in die die Tradition eingesperrt worden ist. Der Schlüssel zu diesem Gefängnis ist die logische Figur von Schrecken und Verurteilung.

    Die drei Leugnungen Petri, Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister, der Kelch (Taumelkelch und Unzuchtsbecher, die Zebedäussöhne und Getsemane), der Weltbegriff und das Tier, Ankläger und Verteidiger (Satan und Paraklet).

    Zum Kelch: Hegel ist nur bis zum Taumelbecher gekommen, seine Philosophie ist die Grenze und der Übergang zum Unzuchtsbecher.

    Daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt, heißt das nicht, daß Gott seitdem keine Rückseite mehr hat?

    Gegen den Gebrauch des antisemitischen Begriffs Judenfrage (Marquardt) ist der Einwand durchschlagend, daß der Antisemitismus nichts mehr mit den Juden, sondern nur noch etwas mit den Antisemiten zu tun hat. Der Holocaust, die „Endlösung der Judenfrage“, war die Eröffnung in eine Sphäre, die sich seitdem nicht mehr schließen läßt. Nicht als ob es Vergleichbares nicht auch schon vorher gegeben hätte, nur hier ist der Durchbruch in die logisch-politische Sphäre der Öffentlichkeit gelungen, der irreversibel ist. Seitdem sind Menschenrechtsverletzungen, sind politische Unterdrückung und Verfolgung, Repression und Folter Objekte der „Weltöffentlichkeit“. Vor diesem Hintergrund sind die Habermas’sche Wendung zur Theorie des kommunikativen Handelns, ist das Motto „Dressur des inneren Schweinehunds“ so tief problematisch.

    Die Welt ist die Gebärmutter des apokalyptischen Tiers. Wer ist die „Frau am Himmel“?

    Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein: Wenn das Inertialsystem etwas mit der Feste des Himmels (mit der Scheidung der unteren von den oberen Wassern) zu tun hat, ist dann das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Hinweis auf die Identität von träger und schwerer Masse der Beginn der Lösung? Ist der zweite Schöpfungstag die Prophetie der Apokalypse?

    Wie hängen der Ursprung der Schrift und die Astronomie, die Sternenkunde, zusammen? Wie wird der Himmel von den Naturvölkern, den schriftlosen Völkern, erfahren? Im Islam ist Gott ein schreibender, kein sprechender Gott: ein Gott ohne Angesicht (ist das nicht die Widerlegung des Islam?).

    Läßt sich die Konstruktion der aristotelischen Philosophie nicht daraus ableiten, daß sie (wie dann wieder Hegel) das tode ti, das hic et nunc, unter dem Apriori der Logik der Schrift erfährt? Wird dadurch nicht zwangsläufig die noesis noeseos zum Ersten Beweger (und Alexander seine historische Verkörperung)? Und ist nicht die noesis noeseos zum Inbegriff der Logik der Schrift?

    Die Aufklärung verdankt sich der Rückprojektion der Logik der Schrift in die Dinge (die so zu Dingen werden).

    In der adäquatio intellectus ad rem ist die res der Reflex der Dinge in der Schrift, in der Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand ist der Gegenstand, das Objekt, der Statthalter des Subjekts in den Dingen.

    Es gibt heute einen vulgärmaterialistischen Begriff des Idealismus, der schon das Begreifenwollen als idealistischen Trieb denunziert.

    Man erkennt einen Menschen daran, was er erkennt, wie er die Dinge sieht. Was bedeutet dann der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, genauer: was bedeutet dieser Satz für die Gotteserkenntnis?

    Das Bilderverbot und das Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, sind drastische Hinweise darauf, daß Gott keine Rückseite hat (daß die Idee des Ewigen die Vergangenheit von sich ausschließt). Ist der Anfang des Sterns der Erlösung nicht nicht eine deutliche Erinnerung daran, daß das – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise – auch für Welt und Mensch gilt? Ist nicht darin das Nichtwissen von Gott Welt Mensch begründet?

    Theologie ist der Versuch, im Imperativ den Indikativ zu entdecken, während der Aufklärung (der Kosmologie) gleichsam unter den Händen der Indikativ zum Imperativ wird.

    Der am Objektbegriff gewonnene Begriff des Allgemeinen bezeichnet nicht das Allgemeine schlechthin, sondern das der Gattung. Deshalb konnte Hegel aus dem Begriff die Tatsache unterschiedlicher Arten und Gattungen der Tiere nicht ableiten. Deshalb kann Hegel zufolge „die Natur den Begriff nicht halten“. Hier ist er gezwungen einzubekennen, daß es die eine Welt nicht gibt. Die Idee der einen Welt ist im Angesicht der Geschichte nur zu halten, wenn die Weltgeschichte zum Weltgericht wird.

    Das Theologumenon, daß Gott die Welt erschaffen hat, die creatio mundi ex nihilo, ist der Grund jeglichen Fundamentalismus. Eine Theologie, die vom Begriff der Weltschöpfung ausgeht, macht Gott zum Absoluten, in dem am Ende nur der Staat sich spiegelt.

    Gibt es nicht einen Kirchen- und Gemeindebegriff, in dem die Kirche selber die Ghettomauern errichtet, in denen sie verrottet?

    Was die Nazis Humanitätsduselei und Ludwig Erhard die „Sünde wider die Marktwirtschaft“ nannten, trägt den theologischen Namen Barmherzigkeit.

    In den Worten Leib und Fleisch drückt die Differenz zwischen dem An sich und dem, was für andere ist, seiner Instrumentalisierung, sich aus (das Angesicht gehört zum Leib, wie die Person zur soma, niemals zum Fleisch). Das Blut hat nur diesen einen Namen, mit der Folge, daß wir allein das instrumentalisierte Blut darunter verstehen, während das An sich (die „Seele des Fleisches“) gegenstandslos geworden ist. Endgültig instrumentalisiert wurde das Blut – über die religiöse Vorgeschichte der Märtyrer- und Reliquienverehrung – in dem gleichen Säkularisationsprozeß, der diese religiöse Vorgeschichte beendete, in der Objektivierung des Blutkreislaufs, in dem gleichen Prozeß, in dem auch – im heliozentrischen System – die Objektivierung der Planetenbahnen sich vollendete. Das heliozentrische System ist das System der Subjektivierung und Instrumentalisierung der Zwecke. Es ist der gleiche Prozeß, in dem – in der Ursprungsgeschichte des Kapitalismus – die Zwecke zu Mitteln geworden sind, der transzendentalen Logik und dem Kausalitätsprinzip unterworfen wurden.

    Im Kontext des heliozentrischen Systems wird die biblische Blutsymbolik nicht nur unverständlich: Das heliozentrische System rückt die Blutsymbolik in eine Logik, in der sie zu den Voraussetzungen des Faschismus, des Rassismus und des Antisemitismus gehört (die gleiche Logik hat die Barmherzigkeit endgültig in Hysterie transformiert und die Barbaren durch die Wilden ersetzt).

    Das kopernikanische System hat mit der Teleologie die Idee des seligen Lebens, die Vorstellung des Endzwecks, in der Wurzel zerstört. Es hat sie durch die Rechtfertigungslehre ersetzt. Entscheidend war nicht mehr die Tat (und das göttliche Gericht über die Tat), sondern das Urteil über die Person („wie bekomme ich einen gnädigen Gott“), nicht mehr die Sünde, die ich zu meiden hatte, sondern die Schuld, der ich entgehen wollte.

    Jesus hat die Welt nicht entsühnt, er hat nicht die Schuld der Welt hinweggenommen, sondern die Sünde der Welt auf sich genommen. Hierfür ist die Kirchengeschichte der Beweis, und hierzu gehört die Geschichte von den drei Leugnungen Petri, von Maria Magdalena und den sieben unreinen Geistern, aber auch die ganze Kelchsymbolik sowie Hegels Wort, er sei „von Gott dazu verdammt, ein Philosoph zu sein“.

    Hat die fliegende Schriftrolle, „der Fluch, der über das ganze Land ausgeht“ (Sach 51) etwas mit dem Himmel, der wie eine Buchrolle sich aufrollt (Jes 344, Off 614), zu tun?

    Die Zentralbanken haben Himmel und Erde ehern und eisern gemacht (Lev 2619, Dt 2823). Zu ihrer Vorgeschichte gehören das Dogma und die Bekenntnislogik, zu ihrer Begleitgeschichte die kopernikanische Wende und die Naturwissenschaften. Die Geschichte der Banken ist die Ursprungsgeschichte des Inertialsystems.

    Das Urschisma und die Urhäresie (die Gnosis) gehören zu den Konstituentien der Bekenntnislogik, die Ausgrenzung der Frauen gehört zu ihren Folgen.

    Wenn es stimmt, daß der deutsche Name des Himmels etymologisch mit dem des Hammers zusammenhängt, hat das etwas mit Lev 2619 und Dt 2823 zu tun?

    Sind nicht das Inertialsystem, die subjektiven Formen der Anschauung und die Totalitätsbegriffe Natur und Welt Verkörperungen des „ehern“ und „eisern“ in Lev 2619 und Dt 2823? Spiegelt sich in der Differenz zwischen Lev und Dt die Differenz zwischen Kosmologie und Politik?

    Der Wertbegriff stammt aus der Ökonomie. Er gehört zu den synthetischen Urteilen apriori, die der Neutralisierung der Teleologie, der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel (der Zukunft unter die Vergangenheit) sich verdankt. Er gehört in den Bereich der reflektierenden Urteile, die unterm Apriori der Gewalt (des Rechts und des in ihm sich verkörpernden Gewaltmonopol des Staates) zu bestimmenden Urteilen werden. Wertordnungen sind politische Ordnungen. Reflex dieses Aprioris der Gewalt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die transzendentale Ästhetik.

    In der Kritik der Urteilskraft, in seiner Theorie der reflektierenden Urteile, die auf Ideen sich beziehen, die regulative, nicht konstitutive Bedeutung haben, steckt die kantische Kritik der Gewalt. Diese kantische Kritik der Gewalt ist durch den Faschismus in eine Engführung gebracht worden, aus der es nur dann einen Ausweg gibt, wenn es gelingt, den Bann zu brechen.

    Wer Gott zum Herrn der Geschichte macht, rechtfertigt nur das transzendentale Subjekt und leugnet Auschwitz.

    Wie hängt der Satz aus der Dialektik der Aufklärung über die Distanz zum Objekt (die vermittelt sei durch die Distanz die der Herr durch den Beherrschten gewinnt) mit dem Problem der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel zusammen?

  • 21.4.1997

    Das Vorurteil ist das Urteil vor aller Erfahrung, wobei die Erfahrung durchs Feindbild außer Kraft gesetzt wird, durchs Objektivationsgesetz: den apriorischen Objektbegriff und die subjektiven Formen der Anschauung, durch die Logik der Verurteilung. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich der Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz zum Objekt ist vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.“ Der Beherrschte (der Knecht) ist der besiegte Feind.

    Das Urteil gründet in der Verurteilung, es konstituiert sich – zusammen mit den subjektiven Formen der Anschauung – in der durch Herrschaft definierten Welt. Deshalb schließt die transzendentale Logik teleologische Urteile als gegenstandskonstituierende Urteile aus. Die Verurteilung versperrt den Ausblick auf die Zukunft. Deshalb ist das Licht, das nur in seinen raum-zeitlichen Reflexionsformen dingfest zu machen ist, selber kein Objekt der Physik. Zu diesen Reflexionsformen gehören das Gravitationsgesetz, die Elektrodynamik und die gesamte Mikrophysik.

    Das Licht ist ein Realsymbol, eine sinnlich-übersinnliche Kategorie.

    Pflanzen und Tiere unterscheiden sich durch ihre Beziehung zum Licht: Die Pflanzen streben nach dem Licht, Tiere sind Verkörperungen des Lichts; für die Pflanzen ist das Licht Ziel, für die Tiere ist es Schicksal. Allein die Menschen reichen an die Kraft der Bildung des Lichts (aber nur in der moralischen Sphäre, in der physischen haben sie nur Anteil an die Kraft der Reproduktion des Lichts).

    Hierauf bezieht sich das Wort vom Feuer vom Himmel. (Was ist das für ein Feuer, in dem die Welt verbrennt, und was ist das für eine Welt, die in diesem Feuer verbrennt?)

    Bezieht sich das Wort: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden“ auf das Wort vom Binden und Lösen? Aber hat nicht der Weltbegriff genau diesen Zusammenhang gegenstandslos gemacht?

    Der katastrophische Aspekt des „Weltuntergangs“ wird von denen erfahren, die sich mit der Welt identifizieren: von den Herrschenden, den Reichen. Die Anpassung an die Welt ist ein anderer Ausdruck für die Feindschaftslogik.

    Das synthetische Urteil apriori, die mathesis, konstituiert das Wissen und begründet die Trennung von Natur und Welt.

    Der Rosenzweig’sche Begriff des Nichtwissens („von Gott – von der Welt, vom Menschen – wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott – von der Welt, vom Menschen“) setzt den Begriff des Wissens voraus, setzt sich von ihm ab. Er bezeichnet die Grenze des Wissens, die nicht auch die Grenze des Seins ist.

    Enthält nicht der Prolog des Johannes-Evangeliums ein Stück negativer Kosmologie?

    Religion als Blasphemie: Alle Religionen sind naturwüchsige Gestalten der transzendentalen Logik, der Logik der Selbsterhaltung. Sie sind Gattungsreligionen, Tierreligionen, animalisch: Sie konstituieren eine gemeinsame, gattungsspezifische Welt. Lassen sich die Arten gattungsspezifischer Welten, ihre Konstituierungsprinzipien (Religion, Nation, Sprache) rekonstruieren?

    Der Schrecken läßt sich nur von innen auflösen. Von außen läßt er sich zwar bekämpfen, aber in diesem Kampf reproduziert er sich.

    Die Formel des Pfarrers, man müsse in der Bibel das Zeitbedingte vom Überzeitlichen fein säuberlich trennen, verdrängt präzise den prophetischen Zugung zur Bibel, zu ihrem Verständnis; sie verhindert die Gotteserkenntnis. „Zeitbedingt“ ist die Herrschaftskritik, „überzeitlich“ ist der Antijudaismus, der „die Juden“ unterm Apriori des Nationalismus wahrnimmt (aus dem „erwählten“ das „auserwählte“ Volk macht).

    Die reflexhafte Formel: „Du willst doch wohl nicht sagen, daß ich …“, die die Intention eines Angriffs, einer Beschuldigung unterstellt und im Dienst der Abwehr steht, gehört zur Deutschlehrer-Frage „Was will uns der Autor damit sagen“. Es geht überhaupt nicht darum, was einer sagen will, sondern allein darum, was objektiv in einem Text sich ausdrückt (und das ist allemal mehr, als der Autor sagen wollte). Beide Formeln unterstellen, daß alle nur noch „durch die Blume reden“, daß sie etwas anderes meinen, als sie sagen. Beide Formeln sind unverschämt.

    Hegel hat die herrschaftslogische Struktur der Trinitätslehre als zentralen Kern seiner Logik rein herauspräpariert. Damit hat er sie eigentlich widerlegt. Auch die Trinitätslehre wird erst wirklich begriffen, wenn sie im Licht des Satzes begriffen wird, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Der Indikativ des Urteils gründet in der Verurteilung. Die Beziehung von Begriff und Name (Indikativ und Imperativ) ist die Beziehung der Umkehr.

    Die Erschaffung der Feste des Himmels und die Scheidung der Wasser unterhalb von den Wassern oberhalb der Feste: Ist das nicht die Scheidung zwischen Israel und den Völkern (vgl. hierzu die ägyptischen Plagen und die Verstockung des Herzens Pharaos)?

    Wer selbst sich den Kopf anderer Leute zerbricht, wird hilflos, ohnmächtig und verletzbar, wenn andere sich seinen Kopf zerbrechen. In dieser Konstellation gründet der Tatbestand der Majestätsbeleidung (Paradigma der Empfindlichkeit).

  • 19.4.1997

    Müßte das Bild vom Koffer im Stern der Erlösung, das das Moment der Umkehr im Erkenntnisbegriff symbolisiert, nicht auf das durchgreifen, was Kant die subjektiven Formen der Anschauung genannt hat? Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Wände der fensterlosen Monade.

    Ist nicht die „militante Linke“ ein Opfer der deutschen Ideologie, ein Reflex des „Vereins“?

    Die Apokalypse bezeichnet einen Fortschritt im Begriff der Prophetie: Sie entspringt an der Stelle, an der das Königtum in Israel ersetzt wird durch die imperiale Herrschaft des Königs von Babel, durch die Fremdherrschaft.

    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Wenn der Begriff der Klarheit, der in dem der Aufklärung steckt, auf die Klarheit der „klaren Fronten“ sich bezieht, wäre die Aufgabe der Theologie die der Kritik dieser Fronten: die Reflexion.

    Die Konstellation von Autismus und Geiselhaft ist die Konsequenz eines Theorieverständnisses, das von Zwang der Selbstrechtfertigung nicht mehr sich freimachen kann, darüber aber die Verhältnisse und den Gedanken daran, wie das Ganze sich wenden läßt, aus den Augen verliert.

    Grund des Fundamentalismus ist die Verwechslung von reflektierenden und bestimmenden Urteilen, von regulativen und konstitutiven Ideen. Diese Verwechslung ist unvermeidbar im Kontext der Idee des Absoluten, sie gründet in der Unfähigkeit zur Reflexion, in der Unfähigkeit, die logische Beziehung der Idee des Absoluten zum Staat zu durchschauen. Deshalb ist nicht die Machtübernahme, das Auswechseln des einen Staats durch einen andern (der Machtwechsel), sondern das Absterben, die Selbstauflösung des Staates das Ziel der Revolution.

    Als Produkt, Grundlage und Reflex des Staates erzeugt die Welt aus sich selbst den logischen Zwang, der sie ins Chaos treibt. Und es ist die selbsterzeugte Angst vor diesem Chaos, die die Menschen in den Bann des Staates treibt.

    Seitdem es den Staat gibt, gibt es die Welt.

    Marx, Freud und Einstein: Kritik der Ökonomie, der Psychologie und der Physik unter den Bedingungen und mit den Mitteln der Ökonomie, der Psychologie und der Physik. Was haben das Geld, das Triebleben und die versteinerten Verhältnisse mit einander zu tun?

    „Privatisierung“: Verweist nicht der Begriff der „Lebenswelt“ (Husserl, Blumenberg, Habermas) auf den Versuch, auch das Für-sich-Sein der von der Außenwelt abgetrennte Privatsphäre noch zu objektivieren, und so als Teil der Außenwelt zu begreifen? Und dringt nicht in der Tat die Öffentlichkeit durch alle Poren in die Privatsphäre ein, die in allem (ökonomisch, technisch und informatisch) zu einem Anhängsel gesellschaftlicher Einrichtungen wird und auf diese Weise verfügbar und beherrschbar gemacht und für den Faschismus vorbereitet worden ist. Seitdem die öffentlichen Einrichtungen, die die private Existenz heute durchdringen und beherrschen, selber in wachsendem Maße privatisiert werden, wird die „private“ Existenz der Abhängigen (werden Arbeitslosigkeit, Krankheit, Renten) immer mehr als Kostenfaktor erfahren, wird sie immer „unbezahlbarer“. War der Begriff der „Lebenswelt“ nicht die Grundlage der Kommunikationstheorie (deren Objekt das im Spiegel des Öffentlichen reflektierte und so gegen die Zumutung der Reflexion sich abschirmende Private ist)?

  • 17.4.1997

    Wie hängt der Konjunktiv der indirekten Rede („sie sagte, sie hätten keinen Pfennig gehabt, als sie das Haus kauften“) mit dem direkten Konjunktiv zusammen („sie hätte das Haus gekauft, wenn sie das Geld gehabt hätte“)? Ist der Konjunktiv der indirekten Rede ein Konditionalis (er gibt die Aussage eines andern wieder, dessen Wahrheitsgehalt ich nicht garantieren kann)? Der Konjunktiv der indirekten Rede drückt ein Nichtwissen aus.

    Ist die logische Beziehung der indirekten Rede zum Konditionalis nicht eine Parallele zur Zweideutigkeit des Futur II, das sowohl die zukünftige Vergangenheit als auch den Zweifel an der Wahrheit der Aussage eines andern auszudrücken vermag, wenn die Verifizierung einer Aussage über Vergangennes noch offen ist, erst in der Zukunft erwartet wird („was wird schon gewesen sein“)? Darin scheint das logische Problem sich auszudrücken, das sich sich aus der Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft in der Vorstellung des einheitlichen Zeitkontinuums, aus der dieser Verschmelzung zugrundeliegenden Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ergibt. Diese einheitliche Zeitvorstellung (Kants subjektive Form der inneren Anschauung) ist der Grund des Universalismus, Prinzip der Verwischung der Asymmetrie, die die Beziehung zwischen mir dem Andern beherrscht.

    Wenn es heißt: er sagt, ich hätte gesagt, so heißt das auch: er sagt, ich soll gesagt haben. Die Nichtwissen der Zukunft hat etwas mit der Ungewißheit über die Wahrheit dessen, was ein anderer sagt, zu tun (Problem des Zeugen und der Beweislogik, Grund der Logik der Gemeinheit).

    Hat diese Konstellation etwas mit dem Problem des einen Sünders zu tun, mit den Wegen des Irrtums und mit der Sünde der Welt? Ist das Planetensystem ein Ausdruck der differierenden Konstellationen der Beziehung von Vergangenheit und Zukunft in der gewaltsamen Einheit des Zeitkontinuums?

    Gibt es im Hebräischen den Konjunktiv, und welche anderen Konjugationsformen drücken im Hebräischen das aus, was in den indoeuropäischen Sprachen der Konjunktiv ausdrückt? Wie hängt das Problem der Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren (die inverse Anwendung des Begriffs des Fremden) mit dieser grammatischen Konstellation zusammen?

    Was drückt in der offensichtlich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland in Gerbauch gekommene Wendung „Ich würde sagen, …“, die auch einen Konditionalis enthält, sich aus? Gibt es einen Zusammenhang mit dem kollektiven Verdrängungsprozeß in Deutschland, auch mit der merkwürdigen Wahrnehmung Hannah Arendts über die Beziehung von Meinung und Tatsachen (vgl. die Rede Jan Philipp Reemtsmas bei der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung in der Frankfurter Paulskirche) und mit den Bemerkungen Sonnemanns über „Innerlichkeit und Öffentlichkeit“ und den „verwirkten Protest“ (in „Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“)?

    Ist der Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ ein Legitimationsprinzip des Universalismus und ein Deckbegriff der Logik der Verurteilung, die dem Objektbegriff und der Begriffsbildung zugrunde liegt? Ist er nicht (wie der Dogmatismus, zu dem er gehört) ein Tabu über das Verstehen und die Reflexion? In diesem Satz drückt die Logik des Ich (als Verkörperung der Negation) sich aus. Ist Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nicht der Ausdruck eines in dieser Logik gründenden Identitätsproblems? Die Einheit des Subjekts ist das Korrelat der Kosmologie, der Einheit dieser Welt, während in der Idee der Einigung des Gottesnamens die Idee der zukünftigen Welt sich ausdrückt. Der Begriff konstituiert diese Welt, im Namen drückt die zukünftige Welt sich aus. Der Begriff gründet in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, im Namen drückt die Kraft, in der Reflexion der Vergangenheit die Zukunft zu erkennen, die Kraft der prophetischen Erkenntnis, sich aus. Zum Namen gehört die Erinnerungsarbeit. Der Gottesname ist der die Einheit der Welt sprengende prophetische Grund der Sprache.

    Horror vacui: Das Sein ist das ganz Leere, weil es den Sinn (den Namen) aus der Sprache vertrieben hat. Der Name ist die Aufhebung der Ontologie.

    Heiligkeit ist eine Sprachkategorie: Heilig ist der Name.

    Ist nicht der Stern der Erlösung schon der Beweis des Satzes: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?

    Der Name, den niemand kennt: Waren die Juden die wirklichen Christen, auch wenn weder sie selbst, noch die, die sich Christen nannten, es wußten?

  • 13.4.1997

    Zu F.W. Marquardt (in TuK 73/74, S. 34f): Ist nicht das Problem der Analogie eins der christlichen Tradition insgesamt, verweist es nicht auf das zugrundeliegende Problem der Beziehung zur Prophetie, ist nicht die Analogie das Instrument der Historisierung und dann der Instrumentalisierung der Prophetie gewesen, damit das Instrument ihrer Neutralisierung (Ursprung der Theologie)? Hat die Analogie etwas mit der Figur des falschen Propheten zu tun (hat zwei Hörner wie das Lamm, redet wie der Drache)? Die Analogie hat die Theologie im Angesicht Gottes in die Rede von Gott transformiert (und den Theologen aus dem Angesicht Gottes hinter seinen Rücken transportiert).

    Die Analogie steht unter dem Apriori der Ontologie, der Historisierung, der Verzeitlichung des Perfekts, der Exkulpationslogik, der Verwischung und Neutralisierung des Imperativs, der grammatischen Form der Attribute Gottes.

    Die Analogie verhält sich zur Prophetie wie das heliozentrische System zum Sternenhimmel, sie macht sie zu Objekt des vergegenständlichenden Seitenblicks. Die Analogie ist eine logische Vorstufe der Aufklärung. Anstatt in der Prophetie sich selbst und die eigene Gegenwart wiederzuerkennen, wendet sie sie bloß auf die Gegenwart an. Den Schrecken des Wiedererkennens lenkt sie (als „Unheilsprophetie“, die sie fein säuberlich von der „Heilsprophetie“ trennt) auf die Juden ab; so wird sie antisemitisch. Die Analogie ist ein Instrument des Schuldverschubsystems, das sie mit einem Mittel der Erlösung verwechselt. – Steht die Sakramentenlehre unter dem Apriori der Analogie?

    Ethik als prima philosophia: Das ist eine Ethik, die nur noch Richtschnur des Handelns, nicht mehr Maßstab des Urteils ist.

    Alle Dogmatik, die glaubt, vom reflektierenden Urteil konstitutiven Gebrauch machen zu können, hat sich vor der Kritik der Urteilskraft zu rechtfertigen. (Im Kontext des reflektierenden Urteils ist das „es gibt“ auf Gott nicht mehr anwendbar.)

    Seit es konfessionelle Theologien gibt, ist nicht die Theologie zum Ensemble geschlossener Gesellschaften geworden.

    Greuel am heiligen Ort: Mit dem Substantiv ist die Erinnerung an den Namen in der Grammatik getilgt, ist der Theologie der Boden entzogen worden.

    Ohne die Logik des Namens, ohne die benennende Kraft der Sprache, gäbe es kein Kommunikation. Wir weigern uns, diese Namenskraft der Sprache zu reflektieren, weil wir Angst haben, das nützliche Instrument des Urteils (den Reflex der Selbsterhaltung, des Geldes und des Privateigentums in der Sprache) preisgeben zu müssen. Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ bezieht sich auf einen sprachlogischen Sachverhalt.

    Als urteilendes Wesen ist der Mensch ein Tier.

    Das Problem der Apokalypse liegt darin, daß sie nur noch im Kontext einer Theologie hinter dem Rücken Gottes wahrgenommen und durch diesen Blick verhext wird. So wird sie zum Angsterzeuger. Im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes hingegen wird sie zu einem kostbaren Instrument der Angstbearbeitung.

    Die Apokalypse ist die Entfaltung des letzten Satzes des Jakobusbriefes.

    Sind nicht die Schüler Adornos allesamt Opfer seiner Berühmtheit geworden?

    Die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar läßt als Modell der logischen Figur, die dem Stern der Erlösung zugrundeliegt, sich begreifen. Es ist ein ungeheurer Vorgang, wie Franz Rosenzweig aus den Objekten des Nichtwissens, über eine ungeheuer durchsichtige und rational nachvollziehbare Bewegung, zu der auch die Umkehr gehört, die Elemente seiner Gotteserkenntnis entwickelt.

    Drei Seiten einer Medaille:

    – Die intentio recta,

    – die Unfähigkeit zur Reflexion und

    – der Dogmatismus, das imperative Verständnis des Indikativs, der konstitutive Gebrauch reflektierender Urteile.

    Genau darin, in der Ausbildung und gesellschaftlichen Durchsetzung dieser Logik, liegt der Dienst, den die dogmatische Theologie dem Staat erwiesen hat. Das war ihr Beitrag zur Zivilisierung der Menschen, zu ihrer Beherrschbarkeit.

    Zur List der Vernunft: Die Konstellation von Autismus und Geiselhaft ist die Kehrseite der Beziehung von Objektivierung und Instrumentalisierung.

    Wer das Problem der Herrschaft über die Natur zu einem Problem der Gesinnung macht, verschärft das Problem durch Verharmlosung. Naturbeherrschung ist ein gesellschaftslogisches Problem, damit ein Gegenstand der Reflexion, nicht der anwendungsbezogenen Moral. Gesinnungsethik und Verantwortungsethik sind keine Gegensätze, sondern komplementäre Manifestationen des gleichen Grundfehlers.

    Die Logik des Namens verhält sich zu dem des Begriffs wie das Licht zum Inertialsystem (oder wie Israel zu den Völkern).

    Ist der letzte Satz des Jakobusbriefs nicht eine Paraphrase zu dem Wort, wonach Israel das Licht der Völker ist?

    Kann es sein, daß das Problem der Beziehung Israels zu den Völkern (den „Heiden“) in der gleichen Bewegung durchsichtig wird und sich auflöst, in dem auch das Problem des Himmels durchsichtig wird und sich auflöst?

    Am ersten Tag wurde das Licht erschaffen, am zweiten die Feste des Himmels.

    Die Sprache ist das Organ der Erkenntnis, der Begriff das des Wissens. Erkenntnis reicht weiter als das Wissen, und „wissenschaftliche Erkenntnis“ ist eine Selbsteinschränkung der Erkenntnis.

    Der Begriff der Allwissenheit ist ebenso logisch inkonsistent wie der der Allbarmherzigkeit. (Gott ist nicht allbarmherzig, sondern er wird barmherzig, wenn ihn sein Zorn gereut, wenn er umkehrt. Und auch die Umkehr Gottes steht im Imperativ.)

    Gehört das Wort vom Binden und Lösen zur einzigen Stelle in den Evangelien, an der von der Kirche die Rede ist? Worauf bezieht sich dieses Wort; ist es zulässig, seine Bedeutung an den Rahmen der hierarchischen Logik, der Herrschaftslogik, zu binden? Wäre das Lösen nicht gerade als Auflösung dieser Logik zu begreifen, im Kontext der Lösung der sieben Siegel?

    Die Bekehrung des einen Sünders hat mit dem „Gehet hin und lehret alle Völker …“ zu tun, begründet aber nicht den „Missionsauftrag“.

    Verweist Joseph in Ägypten auf die Theologie in der Geschichte der Aufklärung und das Herrendenken auf den Pharao, der Joseph nicht mehr kennt?

    Die Intention, Politik wieder reflexions- und diskursfähig zu machen, die die Voraussetzung jeder Politik der Befreiung ist, schließt auch die RAF mit ein.

  • 10.4.1997

    Die Auseinandersetzungen um die Errichtung einer theologischen Fakultät in der Stiftungs-Universität Frankfurt in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts werfen ein Licht auf den Zusammmenhang des Selbstverständnisses der universitären Theologie mit dem Nationalismus. Die Frage ist offen, wie weit z.B. Hermann Cohen und Franz Rosenzweig den logischen Prämissen dieses Selbstverständnisses verhaftet waren. Andreas Pangritz scheint die Reflexionen Benjamins, Horkheimers und Adornos u.a. deshalb nur bekenntnislogisch (als bloße Gesinnung) begreifen zu können, weil er die innere (ins Zentrum der Theologie hineinreichende) logische Brisanz dieser Geschichte nicht sieht.

    Die „Gesinnung“ ist ein Teil des nationalistischen (und des bekenntnislogischen) Syndroms. Die Gesinnung bedient sich der Urteilsmagie: Sie ersetzt moralisches Handeln durch die Verurteilung des Bösen, durch „Distanzierung“ (durch Ausgrenzung, durch Distanz zum Objekt). Symbol der Gesinnung ist der „verdorrte Feigenbaum“.

    Das „Kleiner- und Unsichtbarwerden der Theologie“ (und darin das Problem der Gesinnung) hängt mit der Katastrophe des Nationalismus zusammen.

    Zur Geschichte der Privatisierung, die seit je (seit der „Erfindung“ der Barbaren) mit dem „Globalisierungsprozeß“ zusammenhängt, mit der Innenwirkung der der Außenmächte, gehören die Privatarmeen des Faschismus und die „Endlösung der Judenfrage“, der barocke Pomp (der Absolutismus und die katholische Gegenreformation, der Ursprung der Oper).

    Verletzung des Bilderverbots: Der Staat, dem im Subjekt die Ausbildung der subjektiven Formen der Anschauung (das „da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“) entspricht, ist das Prisma, das den Namen in Begriff und Vorstellung aufgespalten hat. Dem Staat entspricht in der Natur der Himmel.

    Der prophetische Kampf gegen die Idolatrie war ein Kampf gegen die religiösen Reflexionsformen des Staates und gegen die Instrumentalisierung der Religion, ihre Subsumtion unters Herrendenken. Hierauf bezieht sich das prophetische Symbol des Kelchs (bis hin zur Beantwortung der Frage der Zebedäussöhne und bis zu Getsemane).

    Die Resignation, die in der Antwort an die Zebedäussöhne: „ihr werdet ihn trinken“, anklingt, weist schon vor auf das „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.

    Was hat das Rauchen mit dem Räucheropfer und den Gebeten der Heiligen zu tun?

    Professionalität setzt die Anerkennung der Welt und die staatliche Lizenz voraus (der Professionelle ist nicht „selbsternannt“).

    Das Eingedenken ist das Sich-selbst-im-Andern-Wiedererkennen: der fruchtbringende Boden der Barmherzigkeit.

    Die Kollektivscham ist eine unverschämte Scham, sie bringt den Feigenbaum dazu, Blätter hervorzutreiben, aber sie verhindert die Frucht.

    Zu Stammheim ist es nicht notwendig, Partei zu ergreifen, an eine der beiden Versionen zu „glauben“. Notwendig ist allein, beide Versionen reflexionsfähig zu halten. Als Adorno schrieb, daß die Welt immer mehr der Paranoia sich angleicht, die sie gleichwohl falsch abbildet, hat er diese Reflexionsfähigkeit gemeint. Ist Stammheim nicht ein letzter Abkömmling des Marx’schen „Klassenkampfs“? Die Kraft der Reflexion sprengt die verdinglichende Gewalt des Glaubens, sie löst den Bann der Erbaulichkeit (oder: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht).

    An einer Stelle nennt Pangritz den ersten Kafka-Essay Benjamins (mit Hilfe einer nicht unproblematischen Verwendung eines Benjamin-Satzes) „unausgegoren“ (S. 149). Gehört diese Metapher nicht zur gleichen Sphäre, zu der auch der ägyptische Mundschenk gehört?

    Erinnert das „Christum treiben“ Luthers nicht an den Hund, der die Herde treibt?

    Wer lernt, im Gesicht des Andern zu lesen (jemandem „einen Wunsch von den Augen ablesen“), mag erfahren, was mit dem Angesicht Gottes gemeint ist. Gibt es nicht heute Berufe (insbesondere in Verwaltung, Justiz, Polizei), zu deren Eingangsvoraussetzungen die Verhärtung dagegen gehört? Wo jeder Fall ein Präzedenzfall ist, gibt es kein Gesicht. Wer in dem, den er vor sich hat, alle andern sieht, sieht den Einen nicht mehr. Rosenzweigs Kritik des Alls bezieht sich auf diese logische Konstellation. Das Gesicht ist kein Objekt des Wissens. Die wissenbegründende Orthogonalität (die in die Theologie mit dem Begriff der Orthodoxie eingedrungen ist) macht aus dem Angesicht und dem Namen das Objekt und den Begriff, sie verwechselt das Wahre mit dem Richtigen und begründet eine Ordnung des Lebens, in der alle nur noch ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut. Die Unterscheidung der Wahrheit vom Richtigen gründet in der Unterscheidung des Im Angesicht vom Hinter dem Rücken, der Barmherzigkeit vom Gericht.

    Die Apokalypse ist das kostbare Instrument des aufgedeckten Angesichts.

    Auch wenn man das Bestehende nicht ändern kann, muß man es nicht auch zusätzlich noch rechtfertigen.

    Natürlich steckt in der Reflexion ein auf Realisierung drängendes Moment, aber ich kann die Reflexion nicht davon abhängig machen, ob die Realisierung hier und jetzt möglich oder auch nur denkbar ist.

    Haben nicht alle Initiationsriten etwas mit der Bindungskraft der Komplizenschaft zu tun? Steckt nicht in allen gemeinschafts- und staatsbildenden Kräften der Religionen, auch des Christentums, etwas davon?

    Steckt in der Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zum Relativitätsprinzip nicht der verborgene Name des Himmels, die Beziehung von Feuer und Wasser?

    Bezogen auf 1948 ist 1997 ein Jobeljahr.

    Der Begriff der Natur im Subjekt wird verständlich nur, wenn man darin das Zitat aus der Kritik der Urteilskraft mit hört, die diesen Begriff auf die Sphäre der ästhetischen Produktion (der Hervorbringung des Genies) bezieht. Dieser Naturbegriff ist in sich selber historisch-gesellschaftlich vermittelt, er ist ein Teil der Herrschaftsgeschichte, er bezeichnet den Objektbereich von Herrschaft, der in die Geschichte der Herrschaft verflochten ist, mit ihr sich ändert. Erst im Bann des Weltbegriffs wird die Natur zu etwas Festem, Unveränderlichen. Die Sonne Homers scheint auch uns, aber wir leben nicht in der gleichen Natur.

    Ist nicht die Vermutung begründbar, daß die naturwissenschaftliche Medizin heute in eine Krise gerät, die auf die innere Logik der Herrschaftsgeschichte zurückweist und u.a. auch an der RAF sich ablesen läßt, eine Krise, die mit der Konstellation von Objektverlust, Autismus und Geiselnahme sich bezeichnen läßt? Der Autismus wäre z.B. an der „Gen-Forschung“, in der – in der Konsequenz rassistischer Konstruktionen der „Erbforschung“ – die Forschung beginnt, ihre Objekte selber zu produzieren und die Kranken, die, was mit ihnen passiert, nicht mehr zu durchschauen vermögen, unterm Vorwand medizinisch notwendiger Maßnahmen, zur Experimentalmasse tendentiell paranoider Forschungen macht. In wie hohem Grade das auch ökonomisch determiniert ist, mag man an der Tendenz der Apparatemedizin erkennen, die die Nutzung der Geräte nicht mehr an den diagnostischen Erfordernissen der Krankheit, sondern an der Begründbarkeit im Rahmen der kassenärztlichen Abrechnungsmöglichkeiten, der Gebührenordnung, orientiert. Zu untersuchen wäre, in welchem Maße das, was heute „Gesundheitsreform“ heißt, durch Zwänge dieser Entwicklung determiniert ist.

    Die Konstellation von Autismus und Geiselnahme gründet in der Logik der fortschreitender Instrumentalisierung, einer Logik, in der Mittel und Zwecke ununterscheidbar sich vermischen und nicht mehr „objektiv“ sich trennen lassen.

    Ist nicht die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar ein Schlüssel zu diesem Vorgang, der nicht auf die genannten Bereiche sich beschränkt, sondern die gegenwärtige Phase der Herrschaftsgeschichte insgesamt charakterisiert (und ist nicht die RAF ein Indikator der Nachkriegs-Herrschaftsgeschichte, des gegenwärtigen Stands der Geschichte der Naturbeherrschung, auch der Nachkriegsgeschichte der Beziehung der Naturwissenschaften zum Staat, die nur sich begreifen läßt, wenn man die darin sich reproduzierende Geschichte des Faschismus erkennt)?

    Modell der Konstellation von Autismus und Geiselhaft ist die Beziehung des Staats zur Wirtschaft, die ökonomische Konstruktion des Lebens in einer Welt, in der nicht mehr nur die Produktions-Einrichtungen, sondern zugleich auch die sie regelnden staatlichen Institutionen ihre Autonomie endgültig eingebüßt haben und zu einem Anhängsel der davon unabhängigen Kapital-Gesetze und -Bewegungen geworden sind.

    Ontologischer Trieb: Heute ertragen es die Menschen nicht mehr, daß andere Menschen – Menschen außerhalb des Definitionsbereichs, dem sie sich selber zurechnen: der Familie, der Nation, dem Geschlecht, dem Stand, dem Beruf, der Religion – sich herausnehmen, auch Menschen zu sein. Sie sollen bleiben, was sie sind: Ausländer, Arbeiter, Frauen, Geschäftsführer, Väter, Verkäufer, Juden, Beamte.

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