Zu den Konstituentien der Gegenständlichkeit des Vergangenen gehört der Tod, und zwar der instrumentalisierte Tod. Deshalb gehört die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes zur Geschichte der Aufklärung.
Die Angst vor der Sexualität ist ein Teil der Todesangst (und die Angst, an den Trieb sich zu verlieren, ist ein Teil der Angst, in der Natur unterzugehen, aus der beruhigenden Gegenständlichkeit der Natur, aus der Absicherung des Selbst durch die vergegenständlichende Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung herauszufallen). Aber stark wie der Tod ist die Liebe: Die Wendung, die Rosenzweig diesem Satz aus dem Hohenlied der Liebe gegeben hat, ist befreiend.
Die Höllenangst war die Rache der Bekenntnislogik an der Verräumlichung des Himmels. Und die Vorstellung, daß zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick der Qualen der Verdammten in der Hölle gehört, hat sein fundamentum in re in der Sühne- und Strafrechtslogik in der staatlich organisierten Privateigentumsgesellschaft.
Zu den Stabilisatoren der Vergegenständlichung des Vergangenen gehört auch das Strafrecht.
Die Hellenisierung der Theologie ist der Beweis dafür, daß die Bitte „et ne nos inducas in tentationem“ nicht erfüllt wurde. Aber darauf verweist schon das Wort von Getsemane „Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe“.
Durch die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist die Religion zur Staatsreligion geworden (zu einem Instrument der Selbstrechtfertigung des Bestehenden). Genau dagegen richtet sich die prophetische Erkenntnis, die Kritik des Götzendienstes und der Hurerei.
(Zur Eingangskontrolle im Hogefeld-Prozeß:
– Die Würde des Menschen ist antastbar;
– Eingangskontrolle als „Beweismittel“, als Instrument der Vorverurteilung;
– Eingangskontrolle als Mittel der Abschreckung der Öffentlichkeit.)
Heute ist das Erkennen selber in die historisch-gesellschaftlichen Unheilsstrukturen verstrickt; es wirkt als deren Verstärker. Der Verstärkungsmechanismus gründet in den institutionalisierten, die Wahrheit ausblendenden Rechtfertigungszwängen.
Solange es noch Zukunft gibt, sind die Pforten der Hölle noch nicht verschlossen. Nur für die, die die Toten vergessen, sind sie verschlossen. Die Kraft des Lösens (die Kraft, die Gefangenen zu befreien) liegt in der Erinnerung, im Eingedenken.
Den blasphemischen Gehalt des Kohlschen Satzes über eine „Versöhnung über den Gräbern“ (der die Aufforderung in sich schließt, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen) wäre innerchristlich erfahrbar gewesen, wenn die freie Erinnerungsarbeit die eigene Tradition bereits aufgearbeitet hätte.
Rosenzweig
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18.3.1995
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11.3.1995
Wenn Empfindlichkeit pathologisch ist, wer ist dann ihr Subjekt? Der Empfindlichkeit geht es um den Schutz der Bäume, unter denen Adam sich versteckte, als Gott ihn beim Namen rief.
Ist nicht der Ausdruck „Entfremdung“ doch korrekt? Bezeichnet er nicht die Xenophobie, Grund und Produkt der Anpassung an die Welt, die das Subjekt, indem es das Fremde abstößt, von innen aufzehrt und auslöscht, „sich selbst entfremdet“? Die Entfremdung, indem sie das Fremde abwehrt, richtet sich auf am Anderen, dem sie dann sich angleicht. Entfremdung ist ein anderer Ausdruck für Veranderung. Das Verhältnis zu den Fremden ist der Gradmesser der Autonomie. Der Andere und der Fremde verhalten sich wie Joch und Last, wie Begriff und Name. Hängt nicht die Ambivalenz der christlichen Symbole mit dem Verschwinden des Rinds aus dem Kreis dieser Symbole zusammen, mit der Konsequenz, daß sowohl die Auflösung des Jochs (das Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt) als auch seine Unauflösbarkeit (die Opfertheologie und das Konstrukt der Entsühnung der Welt durch den Opfertod Jesu, das zur Geschichte der Aufklärung als Geschichte der Selbstlegitimation des Bestehenden gehört) als Grund christlicher Erfahrung sich anbieten?
Verweist nicht auch der Satz: Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Herrn, auf das Verhältnis von Fremdheit und Anderssein? Fremdheit und Anderssein sind geschieden durch die subjektiven Formen der Anschauung (durch den Kelch, dessen Inhalt das Anderssein der Dinge ist). Sie sind geschieden wie der Ewige vom Überzeitlichen.
Ist nicht die Welt, deren Fundament der Gerechte ist, eine andere als die, deren Fundament die Naturwissenschaften sind?
In welchem Verhältnis stehen Sodom, Jericho und Gibea (die biblischen Exempel der Xenophobie) zu einander?
– Auf Sodom bezieht sich die Stelle im Hebräer-Brief, daß die Fremden als Engel sich erweisen. Aber Lot, der anstelle der von der xenophoben Meute herausgeforderten Fremden seine Töchter anbietet (jedoch vor dieser Konsequenz durch die Engel geschützt wird), wird selber später von seinen (von ihm verratenen) Töchtern betrunken gemacht und erzeugt mit ihnen Moab und Ammon. Über die „Moabiterin Rut“ gehören Lot und seine Töchter zum Stammbaum Davids und Jesu.
– In Jericho ist es nicht das Volk, sondern der paranoide König, der von der Hure Rahab die Herausgabe der Fremden, der Kundschafter Josues, fordert. Rahab, die die Fremden rettet, wird als einzige Einwohnerin Jerichos auch gerettet und gehört ebenfalls zum Stammbaum Davids und Jesu.
– Gibea ist die Geburtsstadt Sauls. Ein Levit, der als Fremder im Gebirge Ephraim lebt, kommt mit seiner bethlehemitischen Nebenfrau auf dem Heimweg als Fremder nach Gibea, ein Mann, der selbst als Fremder in Gibea lebt, nimmt ihn auf. Als die xenophobe Meute der benjaminitischen Einwohner Gibeas seine Herausgabe fordert, gibt er seine Nebenfrau heraus, die zum Opfer der Meute wird. Bethlehem, der Heimatort der Frau, ist der Geburtsort Davids und Jesu.
Sodom wird durch Schwefel und Feuer, Jericho durch den Posaunenschall der Israeliten, Gibea nach einem Vergeltungskrieg ganz Israels an dem einen seiner Stämme, in dem diese schreckliche Tat begangen wurde, zerstört.
Der Begriff unterscheidet vom Namen durch die Monologisierung, durch seine äußerliche, durch die „dritte Person“ vermittelte Beziehung zum Objekt, gleichsam durch ein in ihn installiertes, gegen das Objekt gerichtetes Lachen: durch die subjektiven Formen der Anschauung, die das Objekt zum Objekt erstarren machen.
Der Name unterscheidet sich vom Begriff dadurch, daß er (wie nach Emanuel Levinas die Attribute Gottes) die Trennung von Indikativ und Imperativ suspendiert: er steht im Imperativ (er ist als Name zugleich Gebot – aber eines, das in der Objektivität der Sprache, und subjektiv im Hören, gründet). Oder – in Abwandlung eines Satzes von Herrmann Cohen: auch für den Namen gilt, daß er kein Attribut des Seins, sondern des Handelns ist (so wie die Attribute Gottes die Qualität des Namens, nicht des Begriffs haben). Ist nicht Joh 129 ein Teil des Namens Jesu, und rückt nicht das „Bekenntnis (homologein) des Namens“ diesen ins Zentrum des Nachfolgegebots? Die Theologie wird durch die wiederzugewinnende Kraft des Namens (durch die Heiligung des Gottesnamens oder als Theologie im Angesicht Gottes) überhaupt erst zur Theologie.
In der Beziehung zum Namen gründet, was Adorno einmal „eingreifende Erkenntnis“ nannte. (Aber was bedeutet in Gesetzen und Urteilen das „Im Namen des Volkes“; ist der „Name des Volkes“ das allen Gesetzen und Urteilen zugrunde liegende Gewaltmonopol des Staates?)
Der Johanneische Logos bezieht sich auf die Kraft des Namens (und nicht auf den „Begriff“). Die Differenz liegt in Joh 129, eine Stelle, die falsch übersetzt werden mußte (mit fatalen Konsequenzen für die gesamte Theologie), um den Anschluß der Theologie an die Philosophie sicherzustellen. Die Frage, ob das Dogma der Hellenisierung der Theologie oder der Enttäuschung der Parusieerwartung sich verdankt, ist falsch gestellt: Beide Thesen bezeichnen nur zwei verschiedene Aspekte des gleichen Sachverhalts.
Die Vision rührt an das Schauen Gottes, nicht an die „Anschauung Gottes“, eine contradictio in adiecto.
Stehen nicht die Siegel (mit denen das Buch versiegelt ist) für den Namen? Und wenn die sechs Richtungen des Raumes nach kabbalistischer Anschauung auf sechs Aspekte des Gottesnamens versiegelt sind, kommt das nicht der Wahrheit der apokalyptischen Siegel nahe? Das Problem des Raumes ist nur im Kontext der Rekonstruktion (der Wiederherstellung) der benennenden Kraft der Sprache aufzulösen.
Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, ist auch das Lamm, das würdig ist, die Siegel zu lösen: Nach dem Wort vom Binden und Lösen ist etwas von dieser Kraft an die Kirche übergeben worden (die dann ihr Talent im Dogma vergraben hat); das aber setzt voraus, daß das Auf-sich-Nehmen der Sünde der unters Nachfolgegebot fällt.
Kann es sein, daß das Verhältnis des Feminismus zur Kirche in dem Satz der Martha vorm Grab des Lazarus vorbezeichnet: „Herr, er riecht schon“ (Joh 1139)?
Die christliche Theologie hat immer aus zweiter Hand gelebt: die der Kirchenväter von Philo und die der Scholastik von Maimonides. Kann es nicht sein, daß das Werk Franz Rosenzweigs heute eine ähnliche Bedeutung hat, wir sie nur noch nicht erkannt haben?
Wenn Ezechiel die Namen Daniels und Hiobs zusammen mit dem des Noe nennt, so rückt er beide in eine Beziehung zum Stammvater der Menschheit nach der Sintflut. Verweist es aber nicht zugleich auch darauf, daß bereits für Ezechiel Hiob und Daniel (deren Namen er kennt) zusammen mit Noe an die Qualität und den Charakter des Gerechten rühren? Welche Bedeutung hat diese Stelle für die historische Bibelkritik, für die historische Zuordnung der Bücher Daniel und Hiob? -
10.3.1995
Namen:
Wer sind die Zebedäussöhne, wer ist Alphäus (Jakobus, Levi?), Thaddäus (Judas?)? Was bedeuten die griechischen Namen (Andreas, Philippus)? Wer ist Nathanael (aus Kana), hat er etwas mit Simon Kananäus zu tun? Wer ist die Mutter der Zebedäussöhne (wer war Salome?), wer war die Schwiegermutter des Simon Petrus? Was bedeuten die Namen Petrus/Kephas (Simon Barjonas), Paulus (Saulus)? Was heißt Iskarioth (Judas, der ihn verraten hat)?
Die Apostel in den Evangelien:
Mt Mk Lk Joh Apg
Simon (Pt) Simon (Pt) Simon (Pt) Simon (Keph) Petrus
Johannes Johannes Johannes Zeb.söhne Johannes
Jakobus Jakobus Jakobus Zeb.söhne Jakobus
Andreas Andreas Andreas Andreas Andreas
Philippus Philippus Philippus Philippus Philippus
Thomas Thomas Thomas Thomas (Zw) Thomas
Bartholom. Bartholom. Bartholom. ) Bartholom.
Matthäus Matthäus Matthäus ) ?? Matthäus*
Jak. (Alph) Jak. (Alph) Jak. (Alph) ) Jak. (Alph)
Simon (Kan) Simon (Kan) Simon (Eif) ) Simon (Eif)
Thaddäus Thaddäus Judas (Jak) Judas (n.I.) Judas (Jak)
Jud.Isk. Jud.Isk. Jud.Isk. Jud.Isk. — (Matthias)
Nathanael (aus Kana)
* Matthäus, der Zöllner, bei Mk und Lk auch Levi.
Wer sind die Cherubim:
– der Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert vorm Eingang des Paradieses,
– die Cherubim im Allerheiligsten des Tempels (die Träger des Gottesnamens und der Herrlichkeit Gottes)
– in der Merkaba-Vision des Ezechiel (mit den vier Gesichtern – Stier, Löwe, Adler und Mensch -, den Flügeln und Rädern, den Augen), sie tragen den Thron Gottes („der Himmel ist sein Thron“).
– Erscheint mit den Cherubim zum erstenmal der Name des Menschensohns (bei Ezechiel)?
– Sind die Cherubim die ersten Objekte der Sprachvision?
– Was bedeuten die vier Gesichter, die Flügel, die Räder, die Augen, in welcher Beziehung stehen sie zum Flammenschwert?
– Sind die Cherubim die Instrumente des Aufspannens („Er hat die Erde gegründet und den Himmel aufgespannt“)?
– Sind die Cherubim, die „überall Augen“ haben, Verkörperungen des Gegenblicks, die andere Seite des Gesehenwerdens: die kosmischen Entsprechungen der Scham nach dem Sündenfall, der Inbegriff dessen, wovon der Raum als „Form der Anschauung“ abstrahiert (in welcher Beziehung stehen sie zu den „sieben unreinen Geistern“)?
Der Raum ist einäugig wie der Polyphem. Was bedeutet der Name Polyphem (hängt das -phem mit phemi, ich sage, zusammen: ist die Einäugigkeit ein Konstituens der Sprachverwirrung)?
Oculi omnium in te sperant, Domine: Hat das etwas mit den Augen der Cherubim zu tun; sind die Augen der Cherubim die Augen aller?
Der Mythos verhält sich zur Wahrheit wie die Häresie zur Orthodoxie, und das auch in dem Sinne, daß auch in ihm, im Mythos wie in den Häresien, der Schlüssel zur Wahrheit liegt, auch wenn er sie nicht „enthält“. Der Mythos enthält – wie auch die Häresien – die entstellten Gestalten des Vergessens.
Der Mythos ist die durchs Prinzip der Anschauung stillgestellte Kosmogonie. Hinter der mythischen Anschauung bildete sich die Schicksalsidee (als Abspaltung des projektiven Elements im Mythos). Deren Erbe ist der die begriffliche Erkenntnis und mit ihr die Objektivierung und Instrumentalisierung der Dinge legitimierende Weltbegriff. Diese Beziehung von Begriff und Objektivierung (der Begriff als die subjektive Form des Stands der Objektivierung) im Weltbegriff begründet die Selbstlegitimation des Bestehenden im Prozeß der Aufklärung. Der Weltbegriff bezeichnet den jeweils aktuellen Stand des Säkularisationsprozesses und begründet dessen Selbstlegitimation. Darin, in dieser Selbstlegitimation (in ihrem kollektiven Exkulpationseffekt), liegt das Wesen der Aufklärung.
Wer das Resultat der Naturwissenschaften für die Wahrheit hält, ist wie einer, der die Mühle anbetet, weil sie Mehrwert produziert, aber das Mehl und das Brot nicht mehr wahrnimmt. Überzeitlich, das „Bleibende“, ist das Geld, die Gebrauchswerte hingegen sind vergänglich. Aber war nicht das Vergängliche seit je das Wesentliche?
Ich werde das steinerne Herz durch ein fleischernes ersetzen. Was daraus geworden ist, kann man dem Kirchenlied entnehmen:
„Mach unser Herz von Sünden rein,
damit wir würdig treten ein
zum Opfer Deines Sohnes.“
Was hat der (moralische) Anstand mit dem Anstand des Jägers zu tun? Bezeichnet nicht der moralische Begriff des Anstands die Reduktion der Moral auf die Sexualmoral? Anständig ist, wer sich in sexualibus nichts zuschulden kommen läßt. Deshalb konnte Himmler vor dem Mordpersonal in Auschwitz vom Anstand reden. Findet hier nicht der jagdtechnische Begriff des Anstands (hatten nicht die Wachtürme auch dieses Anstandsfunktion?) seinen Bezugspunkt? Hat nicht der Anstand etwas mit dem Anstehen und der Schlange zu tun? Oder, auf eine kurze Formel gebracht: Der Anstand verknüpft den Mord mit der verdrängten Lust zur Mordlust. – War nicht die kirchliche Sexualmoral eine der Voraussetzungen der fürchterlichen Kriege und Verfolgungen in der christlichen Ära? Sich an anderen dafür rächen, was man sich selbst versagen muß: Das Schuldverschubsystem ist die Seele des apokalyptischen Tieres.
Auschwitz, eine Folge des Wiederholungszwangs, unter den die Christen geraten sind, nachdem sie die Frage, vor die sie durch den Kreuzestod gestellt waren, falsch beantwortet hatten.
Die Staatsmetaphysik, die im anklagenden und richtenden Prinzip wurzelt, ist das Instrument der Sprachverwirrung. In der Geschichte vom Turmbau zu Babel bezeichnet das Niederfahren Gottes den Ursprung des Staates. Niedergefahren ist die Linke Gottes.
Die Anpassung an die Welt, oder das Sichverstecken im Andersein, im Nicht-Ich, ist im Konzept der „Entsühnung der Welt“ institutionalisiert worden. Dieses Entsühnungskonstrukt ist die Geschäftsgrundlage ist die Geschäftsgrundlage der kirchlichen Gnadenverwaltung (der Theologie als Verwaltungswissenschaft: als Theologie hinter dem Rücken Gottes).
Die sieben Siegel und die Auflösung des projektiven Erkenntnisbegriffs.
Die sieben Wunder im Johannes-Evangelium:
– Hochzeit zu Kana (21),
– Heilung des Sohns des königlichen Beamten in Kapernaum (446),
– Heilung eines seit 38 Jahren Kranken am Teich Bethesda in Jerusalem (53),
– die Speisung der Fünftausend am jenseitigen Ufer des Sees von Tiberias (61),
– Jesus wandelt auf dem See (616),
– Heilung eines Blindgeborenen am Sabbath (91),
– Auferweckung des Lazarus (111).
In Rosenzweigs Stern der Erlösung sind Gott Mensch Welt Grenzbegriffe der Vorwelt (der Wachs, aus dem die sieben Siegel gefertigt sind?).
Das Konzept der Entsühnung der Welt ist die theologische Legitimierung der Selbstlegitimation des Bestehenden, damit zugleich die Tabuisierung der Kritik.
Während das Armutsgebot eindeutig ist, sind die beiden anderen evangelischen Räte (Gehorsam und Keuschheit) unterm Bann des Weltbegriffs zum Gegenteil dessen geworden, was sie ursprünglich meinten.
Ist nicht das, was Drewermann und fast die ganze Theologie vor ihm den „jüdischen Rachegott“ nennt, eigentlich das Instrument gegen den Rachetrieb (indem sie die „Rache“ Gott überantwortet); und hängt das „Mißverständnis“ nicht mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit, konkret mit Auschwitz, zusammen? -
2.3.1995
Die Opfertheologie (und die Tradition des Menschenopfers, mit dem Ziel der „Entsühnung der Welt“) gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs.
Zentral scheint bei Heinsohn das Tabu auf der Gesellschaftskritik zu sein, die er insgesamt der „Linken“ zuordnet. Dieses Tabu gründet in der Unfähigkeit, den Bann, der auf dem Bestehenden liegt, zu brechen, die Logik der Selbstlegitimation des Bestehenden zu durchschauen.
Durch das Symbol des Kelches sind Prophetie und Apokalypse aufeinander bezogen und miteinander verknüpft. Auf dieses Verhältnis bezieht sich die Geschichte von Traum und Vision im Buch Daniel. Der Fundamentalismus, den es erst unter nachapokalyptischen Verhältnissen gibt, ist der Unzuchtsbecher: die Subsumtion des Kelches unter den Kelch.
Die erste Traumgeschichte, in der Nebukadnezar einen Traum hatte, ihn dann aber vergessen hat (das bezieht sich schon auf das „denn sie wissen nicht, was sie tun“), Daniel dann diesen Traum nicht nur deuten, sondern vorab überhaupt erst finden soll, ist die Eröffnungsgeschichte zum Verständnis der Apokalypse insgesamt: einen vergessenen Traum finden und dann auslegen.
Der Schrecken der Tiere (nach der Sintflut): Ist das nicht der Schrecken, von dem Walter Benjamin spricht in seiner Bemerkung, daß die Tiere sich erkannt wissen von einem Namenlosen (als Objekte einer subjektlosen Erkenntnis). Und ist es nicht der gleiche Schrecken, der nach der Bemerkung Rosenzweigs über die „verandernde Kraft“ des ‚ist‘, der Kopula, von jedem Urteil (von der objektivierenden Gewalt des Urteils) ausgeht und in jedem „Wissen“ als dessen innere Qualität sich niederschlägt (auf die Auflösung dieses „Schreckens“ zielt das Adornosche Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt). Es gibt kein Urteil, dessen Objekt nicht in diesem Urteil sich mißverstanden weiß; deshalb ist das Urteil kein Mittel theologischer Erkenntnis (es sei denn einer Theologie „hinter dem Rücken Gottes“). Der Schrecken der Tiere rührt an einen zentralen sprachgeschichtlichen und -philosophischen Sachverhalt: an das in der Sprache verborgene Problem des Weltbegriffs. Am deutlichsten manifestiert sich der Ursprung dieses Schreckens im Lachen (zu einer Theorie des Urteils gehört der Hinweis, daß die Beziehung von Objekt und Begriff als Beziehung von Schrecken und Lachen sich begreifen läßt, wobei das Objekt, die Materie, durch den Schrecken, den das Lachen des Begriffs in ihnen erzeugt, zum Objekt, zur entqualifizierten Materie, erstarrt). Jedes Lachen hat Teil an der Erzeugung des Schreckens, dessen Subjekt im Weltbegriff sich konstituiert, und als dessen Objekt die Natur sich erweist. Vgl. hierzu Büchners „Lenz“, Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“, das Victor Hugo-Zitat in der „Dialektik der Aufklärung“ und den Sohar (Lachen schlimmer als Zorn).
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb Jesus in den Evangelien niemals lacht, wohl aber die Dämonen austreibt.
Kommunikationstheorie des Lachens: Lachen ist Ausdruck sowohl der Freude als auch ihrer „anderen Seite“. Das Lachen über einen Witz bedarf ebenso eines Objekts (über das gelacht wird) wie auch des Zeugen, der zugleich der Adressat des Witzes ist. Der, der den Witz erzählt, darf bei einem „guten Witz“ nicht lachen. Umgekehrt kann man lachen auch, ohne daß ein Witz vorausgeht: Lachen ist unmittelbar „ansteckend“, sich aus eigener Kraft selbst fortzeugend wie die Form des Raumes. Das Lachen bringt die subjektive Form der Anschauung, die historisch-genetisch auf die kommunikative Struktur des Lachens sich zurückführen läßt, auf ihren Begriff.
Als Moment in der Konstituierung des Objekts gehört das Lachen zur Geschichte der Aufklärung: Es setzt die Distanz zum Objekt, die der Aufklärung zugrunde liegt. Die Welt ist das neutralisierte Lachen, die Natur der im Objekt neutralisierte Schrecken.
Der leere Raum ist das Realsymbol der Beziehung von Lachen und Schrecken (der unreine Geist findet das Haus, in das er dann mit sieben weiteren unreinen Geistern zurückkehrt, „leer, gereinigt und geschmückt“).
Herrschaft wird erkauft mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die dann auch das Vergangene nicht unangetastet läßt. Das „stark wie der Tod“ und „schwer wie die Gruft“ (Martin Buber: „gewaltsam wie der Tod“ und „hart wie das Gruftreich“) im Hohenlied der Liebe drückt genau das aus.
Drückt nicht das Wort passio beides aus, das Leiden und die Leidenschaft (wie die Geschichte das vergangene Geschehen und den Bericht darüber)?
Es gibt eine List der Herrschenden und eine List der Schwachen. Sie unterscheiden sich dadurch, daß, während die List der Herrschenden die Dummheit derer, die sie betrügt, erst produzieren muß, die List der Schwachen die substverschuldete Dummheit der Herrschenden bereits vorfindet. Die erste gehört zu den Ursachen und Gründen des Schuldzusammenhangs, die zweite zu den Auswegen aus ihm. -
27.2.1995
Die Vision des Ezechiel hängt zweifellos nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell mit der Situation in der babylonischen Gefangenschaft zusammen, mit einer bestimmten Phase in der Geschichte der Prophetie. Mit dieser Vision gründet (und entspringt) auch die Apokalypse in der durch Babylon bezeichneten neuen Geschichtssituation, im Zeitalter der Weltreiche als Teil der Ursprungsgeschichte des Staats (und der Astronomie).
Die Sünde der Welt auf sich nehmen, heißt: den Staat und die Welt reflexionsfähig halten.
Das Inertialsystem ist die Materie, aus der das kreisende Flammenschwert geschmiedet ist. Es ist Produkt der Neutralisierung des Feuers, des Namens und des Angesichts.
Haben die „Gleichnisse“ Jesu mit dem „Bild und Gleichnis Gottes“ in der Schöpfungsgeschichte zu tun?
Sind nicht die Armut am brennenden Dornbusch (Ziehe deine Schuhe aus, …), der Gehorsam (das Hören) am Sinai und nur das Keuschheitsgebot apokalyptisch: in der Hure Babylon vorbezeichnet?
Haben Armut, Gehorsam und Keuschheit etwas mit Gottesfurcht, Umkehr und Nachfolge zu tun? Und ist nicht Nachfolge die Wahrheit des Bekenntnisses (von dem es nur durch die Umkehr getrennt ist), und insofern das Neue, das als Antwort auf den Ursprung des Weltbegriffs mit dem Christentum in die Welt gekommen ist? Und hängen nicht die drei Gestalten des Kelches: Zornesbecher, Taumelbecher und Unzuchtsbecher hiermit zusammen? Wie das Keuschheitsgebot auf den Unzuchtsbecher, so bezieht sich das Armutsgebot auf den Kelch des göttlichen Zorns und der Gehorsam auf den Taumelbecher.
Die Stämme, Völker, Nationen und Sprachen, sind das nicht die vier Formen der kollektiven Vergangenheit, die uns beherrschen?
Auch die entzauberte Welt steht noch unter einem Bann, aber es gibt keinen Weg zurück. Zu ergänzen ist: Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist auch das Nach-vorne-Denken zur Regression geworden. Deshalb erinnert Hegels Idee des Absoluten an den Swinegel, an das „Ich bün all do“.
In Rosenzweigs „deus fortior me“ ist das me sehr wörtlich zu nehmen: als Ich, mit Vor- und Zuname.
Das Christentum hat aus Angst vor dem Feuer den Namen und das Angesicht geleugnet, sie durch den Begriff und die Person ersetzt. Wenn die Person zum Träger des Namens geworden ist, so ist darin das Vergessen des Namens schon mit eingebaut.
Das mystische Nu ist die Erinnerungspur des Zeitkerns der Wahrheit, des Mediums der Prophetie. Im kirchlichen Gebet erinnert nur noch das per saecula saeculorum an diesen Zeitkern der Wahrheit.
Aus dem Gefängnis der apologetischen Selbstbezogenheit und des theologischen Autismus ausbrechen (nach Rosenzweig hat Gott nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen): Das geht nur unter dem Signum des Parakleten, des verteidigenden Denkens.
Im letzten Wahlkampf wurde man insbesondere aus Kreisen der christlichen Partei mit dem unverschämten Ansinnen behelligt, daß man von einer bestimmten Einkommenshöhe an eigentlich nur noch diese „christliche“ Partei wählen dürfe. Dieser Appell ans unmittelbare Eigeninteresse (an die Solidarität des Klassenkampfs von oben), der im übrigen im deutschen Recht seine Stütze findet, ist er nicht die reale Verführung zur Sünde wider den heiligen Geist: Das verteidigende Denken wird als Verrat an den Zielen dieser Partei erfahren?
Droht nicht die Apologetik zum Greuel am heiligen Ort zu werden? Unterm Rechtfertigungszwang wird das Verteidigen vom Objekt aufs Subjekt (und auf die Gemeinschaft, durch die das Subjekt sich definiert) umgelenkt.
No pity for the poor: So heißt ein Kapitel in Adornos Untersuchung über die autoritäre Persönlichkeit. Gewinnt dieser Satz im Zeitalter der Schuldenkrise in der Dritten Welt nicht kosmischen Dimensionen?
Die mathematischen Naturwissenschaften sind die Erben des Dogmas geworden. Ihre legitimatorische Funktion für das Bestehende hat ihre Wurzeln im Dogmatisierungsprozeß, mit dem die Säkularisation in der Theologie begonnen hat (mit der opfertheologischen Objektivation und Instrumentalisierung des Kreuzestodes). Steht nicht dagegen das Wort: Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu holen, und ich wollte, es brennte schon?
Wie hängt die Kritik der Naturwissenschaften, der politischen Ökonomie und der Bekenntnislogik mit den drei evangelischen Räten zusammen? Ist nicht die Abstraktionsgeschichte, der die Raumvorstellung sich verdankt, die Wurzel von allem; die Raumvorstellung als Verletzung des von Jesaia übermittelten Gebots zu Rind und Esel?
Schwachsinnige Frage, ob die Tiere in den Himmel kommen (so der Titel einer Sendung im Fernsehen gestern): Sie sind schon im Tierkreis und in den Sternbildern am Himmel.
Kann es sein, daß die Arche, mit der auch die Tiere vor der Sintflut gerettet wurden, etwas mit dem Tierkreis zu tun hat? Ist die Arche Noahs der symbolische Inbegriff der „Häuser“ des Tierkreises?
Welche Sternzeichennamen gibt es, und welche Tiere sind darunter enthalten (Stier und Widder, die Schlange, die Fische, der Löwe, der große und der kleine Bär)? Gibt es nicht eine Beziehung zwischen den Heroen des Mythos (die an den Sternenhimmel versetzt wurden) und den Tieren der Sternzeichen? Hat das heroische Zeitalter nicht etwas mit dem apokalyptischen (und geschichtsphilosophischen) Tierbegriff zu tun? „Das steinerne Herz des Unendlichen erweichen“: Bezieht sich darauf nicht das Wort vom Lösen (vom Orion über den gordischen Knoten bis zum Wort an Petrus und die Kirche)?
Ist das Verhältnis des Autors zum Leser, dieses asymmetrische Verhältnis von Nähe und Fremdheit (ein Strukturelement der Logik der Schrift), nicht ein realsymbolischer Hinweis auf die Astronomie? -
26.2.1995
Falsch an der Astrologie ist nicht ihr Widerspruch gegen die Naturwissenschaften, gegen das kopernikanische System, sondern falsch ist ihre Zuordnung zum individuellen Schicksal der Menschen. Aber ist sie nicht genau dadurch, durch ihre Anbindung ans Prinzip der Selbsterhaltung, zur Vorstufe der wissenschaftlichen Naturerkenntnis, die aus dem Prinzip der Selbsterhaltung sich herleitet, geworden?
Nicht die Seelen, sondern die Namen der Verstorbenen sind im Himmel, der am Ende als Buch des Lebens sich enthüllt, aufbewahrt.
Das Substantiv ist der Repräsentant der namenlos gewordenen Toten in einer Grammatik, in der die Kraft des Namens erloschen (der Himmel gegenstandslos geworden) ist. Eine Vorstufe dieses Sprachverständnisses war der Ursprung des Weltbegriffs und dessen theologische Rezeption in der Lehre der creatio mundi ex nihilo. Vgl. hierzu den katholischen „Weltkatechismus“, der glaubt, den ersten Satz der Genesis durch den Hinweis, daß Himmel und Erde nur ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, erklären zu können.
Daß der Himmel aufgespannt ist: Ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß diese fast unerträgliche Spannung des Symbolischen zum Wörtlichen (im realhistorischen Sinne) auszuhalten ist, wenn die Idee des Himmels nicht ganz verloren gehen soll?
Der Fundamentalismus nimmt die Schrift wörtlich, nachdem er das Wort vergessen (gelöscht) hat; er ist die Rache der Opfertheologie an der Schrift (dessen erste Manifestation war der Islam, der der Opfertheologie nicht mehr bedurfte, weil er sie schon im „Islam“, im Opfer der Vernunft, verinnerlicht hatte).
Das Dogma hat den Knoten durchschlagen, nicht gelöst (und die Kirche hat seitdem nur gebunden, nicht gelöst). Das Schwert, mit dem der Knoten durchschlagen worden ist, läßt sich genaue bezeichnen: es steckt im Begriff der homousia, einem Vorboten des Inertialsystems. – Bezieht sich der gordische Knoten nicht auch auf das Verhältnis von Rind und Esel (von Joch und Last), und löst nicht das Wort des Jesaia das gordische Rätsel?
Die Sünde der Theologie: Das Dogma ist das vergrabene Talent.
Der Rosenzweig-Benjaminsche Begriff des Mythos, der ihn in Widerspruch zu Offenbarung anstatt zur Auklärung setzt, findet deshalb so schwer Eingang in die christliche Theologie, weil deren Tradition selber in die Geschichte der Aufklärung verstrickt ist. Und diese Verstrickung reicht bis in den Kern der theologischen Inhalte hinein. Die christliche Theologie ist in den Säkularisationsprozeß verstrickt; so sie ist zur Theologie hinter dem Rücken Gottes geworden.
Zum Ursprung des Neutrum: Gibt es nicht für den Tod den Ausdruck „ire ad plures“? Und verweist dieser Ausdruck nicht sowohl auf den Ursprung des Objektivationprozesses wie auch auf den des Begriffs der Materie (sowie der Begriffe Welt und Natur)? Heidegger hat dieses „ire ad plures“ in seinem „Vorlaufen in den Tod“, das dann in der völkischen Fundamentalontologie sich wiederfindet, wörtlich genommen. In Getsemane erscheint dieses „ire ad plures“ unter dem Symbol des Kelches.
Gibt es nicht eine ganze Gruppe frühchristlicher Häresien, die sich alle um das Verständnis des Kreuzestodes gruppieren, an der die Ursprünge des Projekts der opfertheologischen Instrumentalisierung des Kreuzestodes sich ablesen und demonstrieren lassen? Lassen nicht alle diese Häresien daraus sich ableiten, daß das Ereignis in einer vom Neutrum beherrschten Sprache in der Tat unverständlich ist (dem inneren Objektivationstrieb dieser Sprache sich widersetzt)?
Zum Säkularisationskonzept von Johann Baptist Metz (zu seinem affirmativen Verständnis der „Verweltlichung der Welt“) wäre differenzierend auf die „Dornen und Disteln“ (und deren Interpretation durch Eleazar von Worms) sowie auf Walter Benjamins Bemerkung über die Beziehung des Messianischen zum Profanen hinzuweisen. Die Verweltlichung der Welt ist eins mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, deren Reflexion die Theologie vom Bann der Herrschaft befreien könnte.
Haben wir nicht längst vor dem Problem, das Verhältnis der drei Dimensionen im Raum zu begreifen, kapituliert? Und ist nicht alles weitere eine Folge dieser Kapitulation?
Ist nicht der Begriff der „Rede“ (in der „Rede von Gott“) ein im schlechten Sinne politischer (die säkularisierte Gestalt der ebenfalls schon monologischen Predigt)? Dieser Begriff der Rede hat in Hitler seine apokalyptische Dimension offenbart. Ist er danach (als „Rede von Gott“) auf den Begriff der Theologie noch anwendbar? Er hat mehr mit der propaganda fidei und dessen göbbelsschen Ausläufern zu tun, als der Theologie lieb sein darf. „Rede von Gott“: Das ist der „Schrecken um und um“ der Theologie. Theologie würde sich in einer Sprache erfüllen, die die Kraft des Namens wieder erweckt, und in der der Name – als Sprache der Erkenntnis – wieder theophore Züge annimmt: in der Heiligung des Gottesnamens. Das „Heute, wenn ihr seine Stimme hört“ ist das Heute, an dem wir unsern Namen hören (deshalb gehört das „Ich, mit Vor und Zunamen“, „Ich, Franz Rosenzweig“, zu den objektiven Gründen des Sterns der Erlösung). -
22.2.1995
Zum Hinweis auf den Antisemitismus Freges in der FR vom 22.2.95 paßt die handschriftlichen Bemerkungen Heinrich Scholz‘ in seinem (Rezensions-)Exemplar von Ernst Bloch „Geist der Utopie“: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um dieses Zeug zu verstehen“. Erschreckend auch eine Notiz eines sicherlich sonst unverdächtigen Intimfeinds der Nazis, Theodor Haecker, am 28.3.1940 („Tag- und Nachtbücher“, S. 50f): Nachdem er feststellt, daß in den Evangelien niemals das Äußere eines Menschen beschrieben wird, verweist er auf die „einzige Ausnahme“, die „Christus selber (macht), da er einen seiner Jünger, ganz allgemein freilich, als echten Hebräer (!) anspricht, im Äußeren (!) schon. Das setzt aber doch voraus, daß man sich über den Typus eines echten Hebräers (!) durchaus im klaren war.“ Hierzu bleibt nur zu bemerken, daß Jesus an keiner Stelle von einem „echten Hebräer“ spricht, wohl aber, bei der Berufung Nathanaels im Johannes-Evangelium, von einem „echten Israeliten, einem Mann ohne Falschheit“ (Joh 147). Und der Zusammenhang läßt keinen Zweifel daran, daß es hier nicht um das „Äußere“ eines „echten Hebräers“ geht.
Die „Historische Grammatik des Griechischen“ von Helmut Rix (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 19922) ist ein paradigmatisches Beispiel dafür, wie die Wissenschaft in Angst vor ihrem Objekt erstarrt und verstummt.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Grund der metaethischen Konstruktion im Stern der Erlösung, des B = B. Die Gestalt des Allgemeinen, die sie begründen, ist eine partikulare: Symbol der Katastrophe, des Untergangs. Sie ist ein Ausfluß der Logik der Schrift, ihr terminus ad quem der Fall.
Laß dich nicht ablenken: Lebt die Inspiration nicht von der Ablenkung, lebt sie nicht davon, daß sie dem Objekt sich überläßt, auch wo sie Gefahr läuft, daß sie sich verläuft? Wird nicht, wer sich nicht ablenken läßt, unsensibel, hart und stur, lebt nicht die Aufmerksamkeit von der Ablenkung, die vom Objekt ausgeht? – Ist nicht die Aufforderung: Laß dich nicht ablenken, selbst die Ablenkung, vor der sie vorgibt zu warnen?
Empörung ist das Alibi der Sensibilitätsverweigerung. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung die instrumentalisierten Formen der Empörung (des Gelächters)?
Erste Phase der Aufklärung: Verinnerlichung des Schicksals; die zweite Phase: Verinnerlichung und Verdrängung der Scham (das Subjekt ist selbst der Adressat der Scham geworden).
Der „Bogen in den Wolken“ ist die Widerlegung des Inertialsystems.
Tohu wa bohu: Sind das nicht die Reflexe des Natur- und des Weltbegriffs, des B = B im Objekt?
Blinder Gehorsam: Käme es nicht darauf an, den Gehorsam endlich sehend zu machen? Aber das geht nur über das Hören (mit den Ohren denken).
An sieben Stellen gibt es das Wort tebel, in Ps 99, Spr 826, Hi 3413, 3712, Jer 1012, 5115, Kl 412. Vgl. auch Sohar (Ausgabe Diederichs), S. 113. (Wie den „Erdkreis“-Begriff auch den Weltbegriff aufschlüsseln.)
Die Kluft der Orthogonalität: Nach der speziellen Relaitivitätstheorie sind die Sterne, die uns vom Himmel her leuchten, sowohl zeitlich präsent (gleichzeitig) als auch über Lichtjahre vergangen. Das eine gilt fürs Sehen, das andere für die Abstraktion des Seitenblicks. Ist das nicht ein Grund, sich doch einmal wieder die alte Lehre von den Elementarmächten, den Thronen, Herrschaften, Mächten und Gewalten, von den Engelhierarchien, anzusehen?
Haben die Namen Alphäus und Thaddäus etwas mit der Jericho-Geshichte zu tun, in der die Wiedererrichtung Jerichos an das Opfer der Erstgeburt und des Jüngsten (des Ersten und des Letzten, das A und O) gebunden wird (Jos 626 und 1 Kön 1634)?
Zur Verwandschaft Jesu: Sind nicht Verwandschaftsbeziehungen (ähnlich wie später die Engelhierarchien) Bilder der Logik? Und gehören nicht Jakobus (der Sohn des Alphäus) und Juda (Thaddäus und der Bruder des Jakobus) zu den „Brüdern Jesu“?
Mit dem Opfer des Lamms wird die Erstgeburt des Esels ausgelöst. Hat diese Auslösung etwas mit der erb- und eherechtlichen Regelung der Auslösung (Schwagerehe beim Tod des Mannes, vgl. z.B. die Geschichte der Ruth und die von Juda und Tamar) zu tun? Hängt nicht generell das Verschwinden Josefs aus der Jesus-Geschichte hiermit zusammen (wie auch die Geschichten der Frauen im Stammbaum Jesu und in den Evangelien: neben der Mutter Jesu die Frauen, die ihn begleiten, insbesondere Maria Magdalena, Martha und Maria, die Mutter des Jünglings von Naim, die „große Sünderin“, die Frau, die an Blutfluß leidet, die Ehebrecherin, die Samariterin)?
Falle und Fall; Garn, Grube (Jeremias) und Kelch: Symbole des Inertialsystems, des Geldes und der Bekenntnislogik? -
6.2.1995
Der Satz, daß das Wort eintrifft, muß unterschieden werden von dem, wonach das Wort sich erfüllt. Diese Unterscheidung konvergiert mit der von „Unheils-“ und „Heilsprophetie“.
Das Christentum hat durch den projektiven Gebrauch der „Unheilsprophetie“ sich selbst zu deren Objekt gemacht.
Das Christentum: ein erloschener Vulkan, Hegelkritik: aus der Asche das Licht rekonstruieren.
In der Schrift wird unterschieden zwischen dem „offenen Himmel“ und der „Entrückung“. Stephanus sah den Himmel offen (und Jesus zur Rechten Gottes sitzen), Paulus wurde in den dritten Himmel entrückt. Ezechiel sah in seiner Anfangsvision (in der er die Merkaba, den Thron Gottes, sah) den Himmel offen, später wurde er aus der Verbannung nach Jerusalem, in den Tempel, entrückt.
Die Geduld, und zwar die aktive Geduld, gehört zur Barmherzigkeit, während die passive Geduld, die bloß zuschauende Erwartung (die Physik und das Fernsehen) zum strengen Gericht gehört.
„Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ und „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“: Ist die in diesen Sätzen (zu denen auch das Wort Marias an die Diener gehört: „Was er euch sagt, das tut“) angesprochene Mutter Jesu nicht das Symbol der Kirche, ähnlich auch die Familie (seine Mutter und seine Brüder und Schwestern), die ihn für irre hält und ihn aus dem Verkehr ziehen möchte? In diesem Zusammenhang kommt der Vater nicht mehr vor (er wird nur noch einmal, beim Besuch Jesu in Nazareth, erwähnt: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“).
Erscheint nicht die Vater-Imago (anstelle des realen Vaters) erstmals beim Besuch des Tempels in Jerusalem: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein mußte, was meines Vaters ist?“
Ist das zölibatäre Verständnis der Keuschheit (und die ihm zugrunde liegende Form der Mutterbindung) nicht die Institutionalisierung der Weigerung, den Vater zu ehren?
Die kopernikanische Wende ist der Beleg für die Wahrheit des Satzes: „Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein“. Hat nicht die Rechtfertigungslehre Luthers hierzu die Begründung und den Schlüssel geliefert?
Als das Symbolum zum Bekenntnis (und die Kirche zur Konfession) wurde, ist durch Abstraktion vom Gegenblick (und durch Verinnerlichung der Scham) das Inertialsystem begründet worden. In dieser Konstellation gründet der Begriff der Erscheinung (wie in der Scham die gesamte Geschichte der Ästhetik, des Mythos und der Kunst). Hier ist das Bekenntnis zu der Waffe geworden, die auch den trifft, der von ihr Gebrauch macht. Die Bekenntnislogik hat das Symbol gelöscht; geblieben ist das verdinglichte Dogma.
Die Unterscheidung zwischen Symbolum und Bekenntnis hängt zusammen mit der zwischen Umkehr und Bekehrung. War die Bekehrung eine Erfindung der iro-schottischen Mönche?
Die Bekehrung ersetzt ebensowenig die Umkehr wie die Befreiung die Freiheit (und das Bekenntnis die Gotteserkenntnis).
Zur Stimme der Neurosen: Hat nicht Hegel an der Stimme katholischer Priester deren Heiserkeit bemerkt?
Das parakletische Denken ist die Umkehr des apologetischen Denkens; das apologetische Denken steht unterm Bann des Rechtfertigungszwangs (Rosenzweig: Gott hat nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen).
Ideologie ist Rechtfertigung. An diesem Satz aus den Soziologischen Exkursen von Horkheimer und Adorno läßt sich demonstrieren, was mit dem Konzept einer „Säkularisation aller theologischen Gehalte“ gemeint ist. Dieser Satz rückt Johannes 129 in die Perspektive des Nachfolgegebots.
Die Verkörperung der Sünde der Welt ist das Tier. Ist nicht das Absolute der Drache, und das Tier aus dem Meere, dem der Drache seinen Thron, seine Macht und große Gewalt gab, die Verkörperung der politischen Herrschaft? Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande (das „zwei Hörner hat wie ein Lamm und redet wie ein Drache“): Ist das nicht die Parodie der Trinitätslehre, zu der sie heute aus objektiven Gründen zu werden droht?
Das Tier aus dem Meer ist der Fisch, der den Jonas verschlungen hat; und das Zeichen des Jonas, ist das nicht die dreifache Leugnung (die Distanz zwischen Kreuz und Auferstehung)? -
5.2.1995
Der Unterschied zwischen prego und quaero verweist darauf, daß es schon im Lateinischen einen Unterschied zwischen der verbalen Frage und der Erforschung eines Sachverhalts gab: das quaero schloß die Anwendung technischer Mittel bei der Wahrheitsermittlung mit ein (u.a. die Folter, vgl. Benveniste, S. 413ff). Kann es sein, daß die gleiche Unterscheidung auch auf Gebet und Opfer sich anwenden läßt, daß das Opfer eine Folter Gottes ist?
Ist nicht das Amt des Quästors das Indiz für den gemeinsamen Ursprung von Geldwirtschaft, Steuern, Straf- und Zivilrecht?
Hat das quaero (wie auch das aqua, auch hydor, majim: das Wasser) etymologisch etwas mit dem Relativpronomen zu tun (gibt es im Hebräischen Relativsätze, und werden diese im Griechischen nicht in weitem Umfange noch durch Partizipialkonstruktionen gebildet)? Hängen nicht die „Nebensätze“ (insbesondere deren Hauptformen: die Konditional- und die Relativsätze) mit dem Ursprung und der Geschichte des Neutrum zusammen, sind sie nicht Teil des Bedingungszusammenhangs, in dem das Subjekt zum Objekt und der Name zum Begriff neutralisiert worden ist? Steckt nicht die ganze Natur in den Nebensätzen (und werden mit der Hypostasierung der Natur die Beziehungen der Neben- zu den Hauptsätzen neutralisiert: wer Neben- zu Hauptsätzen macht, treibt Physik)? Die kantische Kategorienlehre beschreibt das Schicksal der Grammatik unterm Bann des Inertialsystems.
Hat das Tier aus dem Wasser (das Objekt des quaero) sein Vorbild im Leviatan, und verweist nicht auch die Hure Rahab, die zum Stammbaum Davids und Jesu gehört, auf diesen Bereich? Beschreibt nicht Franz Rosenzweig, wenn er von den Wenns und den Vielleicht spricht, diesen Bereich des quaero, des Wassers; und ist nicht das Problem der kontrafaktischen Urteile eine logische Folge der Geschichtsforschung? Heideggers Begriff der Frage: das Versinken in dieser Sintflut, und die Fundamentalontologie: eine Wasserleiche.
Ist nicht das Inertialsystem der Inbegriff des Notwendigen: die Redundanz des Möglichen.
Das Vergangene ist nicht nur vergangen; in der Sprache, der Gestalt der objektiven Erinnerung, ist es gegenwärtig; mit der Objektivation des Vergangenen wird diese Erinnerung verdrängt (Ursprung des Problems der kontrafaktischen Urteile, auch des Problems der „Fälschungen“ in der Geschichte). So gehört die Objektivation des Vergangenen (der Geschichte und der Natur) zu den Konstituentien der Welt.
Hat die Kirche nicht ihren Beitrag mit zur Entstehung einer Welt geleistet, in der die Barmherzigkeit zur Hysterie geworden ist (Sünde wider den Heiligen Geist)?
Die Mathematik, die Geldwirtschaft und die Bekenntnislogik sind die logischen Instrumente der kollektiven Einsamkeit.
Das nihil absolutum ist keine Kategorie des Seins, sondern eine des Handelns: der totalisierte Vernichtungstrieb.
Karl Thieme hat einmal die Geschichte vom Schiffbruch des Paulus vor Malta auf die Kirche bezogen: Am Ende wird die Kirche zwar untergehen, aber alle, die in ihr sind, werden gerettet. Ist das nicht auf den Punkt: Entkonfessionalisierung der Kirchen zu beziehen? Untergehen wird die Bekenntnislogik (gleichzeitig mit der Verwandlung des steinernen in ein fleischernes Herz). War nicht der Faschismus der Sturm vor Malta?
Durch ihre Entzauberung ist die Welt in den Bann des Herrendenkens geraten.
Hängt die Individualisierung der Schuld bei Ezechiel mit dem Titel Menschensohn zusammen und mit dem Hintergrund, auf den das „dixi et salvavi animam meam“ sich bezieht?
Der katholische Mythos ist ein Mythos der Weltflucht: Der Himmel bezeichnet einen Ort außerhalb der Welt. Damit hängt es zusammen, daß in der Kirche die Vorstellung einer Veränderung der Welt nur noch apokalyptisch, als Weltuntergang, gedacht wird. Aber dieses Außerhalb der Welt ist mit Kopernikus im wahrsten Sinne utopisch geworden; es gibt keinen „Ort“ des Himmels mehr. Hat die Tatsache, daß der Himmel „im Raum“ nicht gedacht werden kann, nicht eher eine logische als wiederum eine „räumliche“ Bedeutung? Der Himmel kann nicht als Inhalt des Kelches gedacht werden. Durch die kopernikanische Wende ist der katholische Mythos aus dem Raum in die Sprache transponiert worden; nur hat bis heute niemand die Konsequenzen daraus gezogen (Kelchsymbol).
Zorn und Grimm: Ist nicht der Zorn das Korrelat der subjektiven Form der äußeren und der Grimm das der Form der inneren Anschauung? Und ist die Unzucht die Verbindung beider: der Begriff der Materie?
Ist nicht die Linguistik heute zu einer Entsorgungswissenschaft geworden? -
4.2.1995
Gethsemane: Die Rechtfertigungslogik und die Verdrängung des Todes machen den Kelch zum Kelch: sie gehören zu den Konstituentien der subjektiven Formen der Anschauung. Der Tod begründet die subjektiven Formen der Anschauung, die die Vergangenheit abschließen; so schließt er den Kelch, macht ihn „inhalts“-fähig. Deshalb gehört die Reflexion des Todes (bis hin zu seinen objektiven Manifestationen und Verzweigungen in den Formen der begrifflichen, der „intentionalen“ Erkenntnis) zu den Bedingungen der Rekonstituierung des Angesichts. Theologie im Angesicht Gottes hat Gethsemane als Ausgangspunkt. Rabbi Akiba, „von dem der Talmud sagt, daß er das Paradies der mystischen Spekulation heil betrat und heil verließ“ (Scholem, Hauptströmungen, S. 20), bezeugt damit die Todesgrenze, die nach biblischer Tradition überschreitet, wer Gott von Angesicht zu Angesicht sieht. Darauf bezieht sich der Satz: Stark wie der Tod ist die Liebe, der Rosenzweig zufolge die Offenbarung begründet. Deshalb gibt es (vgl. Büchners „Lenz“) keine Theologie ohne Kritik der Naturwissenschaften. Die Versuche, Theologie und Naturwissenschaft zu harmonisieren, zerstören beide.
Heute sind die Naturwissenchaften zum Opfer ihrer eigenen Prämissen geworden.
Die Verdrängung des Todes, seine Objektivierung und Instrumentalisierung, und die Logik projektiver Erkenntnis gehören zu den Grundlagen des Herrendenkens; deshalb gehören Magie und Mythos zur Geschichte der Äufklärung.
Das altchristliche Symbolum war noch Mysterium, ein Sakrament. Erst als Confessio, als Bekenntnis ist es (als Korrelat der Verinnerlichung des Opfers) öffentlich geworden, wurde es vergegenständlicht und instrumentalisiert: der Logik der Schrift unterworfen. Als Bekenntnis wurde es zum Instrument der Verinnerlichung von Herrschaft.
Kennt Hegel den Begriff der Hysterie? Im Register der Suhrkampschen Werkausgabe kommt der Begriff nicht vor.
In den „Hauptströmungen der jüdischen Mystik“ verweist Scholem auf den männlichen Charakter der jüdischen Mystik, die „von Männern für Männer gemacht ist“ (S. 40). Er bemerkt dazu u.a., daß so einerseits die jüdische Mystik „von der gefährlichen Neigung zu hysterischen Extravaganzen verhältnismäßig frei geblieben“ sei, während auf der andern Seite der „Verzicht auf das Weibliche teuer bezahlt“ worden sei, nämlich „mit einer besonders stark hervortretenden Dämonisierung gerade des weiblichen Elements im Kosmos“ (ebd.). Im kabbalistischen Symbolismus bedeutet „das Weibliche nicht, wie man erwarten möchte, das Zarte …, sondern das Strenge und Richtende“ (S. 41). Läßt sich hieraus nicht der Stellenwert und die Grenze der Kabbala (ihre Beziehung zur Geschichte des Weltbegriffs und zur Herrschaftsgeschichte) herleiten? -
3.2.1995
Das Präsens bezieht sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf die erinnerte Vergangenheit. Diese erinnerte Vergangenheit ist der Boden, aus dem das Neutrum erwächst. Das tode ti ist das philosophische Äquivalent des Präsens: der Vorhang vor der Erkenntnis der Gegenwart.
Die Geistverlassenheit der Kirche läßt sich an der wachsenden Konfliktunfähigkeit in der Kirche demonstrieren und nachweisen. Damit hängt es zusammen, wenn es – von einem bestimmbaren Zeitpunkt an – keine erkennbare Freiheitsperspektive in der Kirche mehr gibt.
Die Welt ist der institutionalisierte Rechtfertigungszwang, als deren Subjekt der Staat sich begreift. Nur durch die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt kann man sich daraus befreien.
Der naturwissenschaftliche Massenbegriff steht in einer dreifachen Reflexions- und Äquivalenzbeziehung:
– als träge Masse (bezogen auf den mechanischen Stoß),
– als schwere Masse (in der Beziehung äußerlich getrennter, wechselseitig sich attrahierender Massen, im Bereich des Gravitationsgesetzes) und
– als Energie (durch die relativistische Äquivalenz von Masse und Energie).
Verweist nicht die Äquivalenzbeziehung von Masse und Energie auf den gesellschaftlichen Zusammenhang von Reichtum und Armut („Energie“-Erzeugung durch Proletarisierung) und deren Institutionalisierung in der Geschichte der Banken (der Arbeitsstätte des Geldes)?
Hat Hegels „Arbeit des Begriffs“ etwas mit der Geschichte der Banken zu tun?
War nicht der „ungerechte Verwalter“ aus dem jesuanischen Gleichnis ein frühes Modell des späteren Managers, spätkapitalistisches Realsymbol der vergesellschafteten (und proletarisierten) Herrschaft? Auch der Manager ist heute ein proletarisierter Lohnabhängiger. Herrschaft gründet heute nicht mehr in gleichsam substantiellen Eigentumsverhältnissen, sondern in funktionalisierten Organisations- und Verwaltungsstrukturen, denen zwar immer noch Eigentumsverhältnisse zugrunde liegen, die aber weitestgehend polarisierten und atomisierten Eigentumsverhältnissen geworden sind (zusammengehalten nur durchs Finanzsystem der Banken).
Krankt der Vulgärmaterialismus (neben dem es einen andern nicht mehr zu geben scheint) nicht daran, daß er immer noch von einem längst obsolet gewordenen Eigentumsbegriff ausgeht (und von einem personalistischen Begriff des Klassenkampfs)?
Erst wer im Problem des Eigentums das Problem der Materie wiedererkennt, wird den Zusammenhang von Ökonomie und Physik begreifen. Im Materiebegriff der traditionellen Metaphysik spiegelt sich deren Abhängigkeit von den Strukturen der Eigentumsgesellschaft. Die Durchdringung der Objektivität mit dem Tauschprinzip (oder die Entfaltung der Herrschaft des Tauschprinzips) hängt mit der Durchdringung der Objektivität mit dem Trägheitsgesetz (mit der Entfaltung der Herrschaft des Inertialsystems) zusammen.
Arbeiten nicht die Förderung der Weltraumforschung und der Kernforschung (der kapitalintensivsten Forschungsbereiche) nur gleichsam aus Alibigründen an sachlichen, inhaltlichen Problemen, während ihr Hauptaufgabe die der Legitimation des Bestehenden ist?
Enthält nicht die Bibel selber den Hinweis, daß die Frage, weshalb Jesus sterben mußte, erst beantwortet werden wird, wenn die Bedeutung der Austreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel begriffen wird (was erst möglich ist im Kontext der Erkenntnis der Bedeutung der Geschichte der Banken)?
Die Befreiung des Erkennens vom Bann des Wissens: Gründen nicht die prophetischen und die apokalyptischen Visionen darin, daß sie den Zusammenhang von Sehen, Wissen und Erkennen aufsprengen (das Wort: da gingen ihnen die Augen auf, rückgängig machen)? Bleibt von den drei eschatologischen Motiven (Unsterblichkeit der Seele, selige Anschauung Gottes und Auferstehung der Toten) am Ende nicht doch nur die Auferstehung der Toten? Die selige Anschauung Gottes liegt jenseits (in der „Gegenrichtung“) dessen, was sonst Anschauung heißt: nach dem Lösen der sieben Siegel.
Läßt sich aus der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern schließen, daß sie die einzige gewesen ist, die Jesus von Angesicht zu Angesicht gesehen hat, während der Kirche die dreifache Leugnung, und mit der dritten Leugnung die Selbstverfluchung, vorhergesagt ist? Die Idee der Erfüllung der Schrift ist von der der Erfüllung des Wortes in der Tat durch eine Todesgrenze getrennt (so wie das Angesicht vom Angesicht.
Beschreibt nicht der Satz vom Stein, den die Bauleute verworfen haben (und der dann zum Eckstein geworden ist), im Nachhinein einen objektiven, gegen jedes moralische Urteil abgeschirmten Sachverhalt?
Die memoria passionis gewinnt ihre theologische Bedeutung durch ihre das Herrendenken auflösende Kraft. Aber hat nicht die Theologie auch die memoria passionis noch im Interesse der Selbstlegitimation von Herrschaft instrumentalisiert: als Opfertheologie, die dann ihre logische Begründung in der Bekenntnislogik gefunden hat? Die Opfertheologie war in der Zeit vor der Bekenntnislogik, diese jedoch logisch vor der Opfertheologie. Die Opfertheologie war gleichsam der Quellpunkt der Bekenntnislogik, und diese der Quellpunkt der modernen Naturwissenschaften. Der naturwissenschaftliche Objektbegriff gründet in der Opfertheologie; für beide gilt: Barmherzigkeit, nicht Opfer.
Ist nicht das Inertialsystem der „Witwenschleier der Natur“, der Materie, die die Mutter von allem ist?
Die Sexualmoral ist die Unzucht, deren Bewußtsein sie durch projektive Verarbeitung zu verdrängen, zu tilgen versucht. Deshalb ist sie zum Generator des Fundamentalismus (den es nur in den drei Buchreligionen gibt) geworden.
Die Rosenzweigsche Sprengung des All läßt sich daran demonstrieren, daß in der Moral zwischen der Richtschnur des Handelns und des Maßstab des Urteils unterschieden werden muß. Beide lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Das hat seinen Grund in der Nichtobjektivierbarkeit des Subjekts, in der Asymmetrie von Ich und Du. Die Leugnung (oder Verkennung) dieser Asymmetrie macht das befreiende Gebot zum verknechtenden Gesetz.
Ist nicht das Nichtwissen, das dann als das Nichtwissen der drei getrennten Elemente Gott Mensch Welt sich erweist, selber noch begründbar und ableitbar? Und zwar ableitbar aus einer Logik, die zugleich als die Logik eines der drei Elemente sich erweist: als Logik der Welt?
Sind nicht die drei kantischen Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt durch die subjektive Form der inneren Anschauung, durch die Zeit, an die Vergangenheit gebunden? Ist das nicht die Fessel, von der unser Erkenntnisvermögen sich nicht befreien kann? Und ist der Ursprungspunkt dieser Fessel nicht aufs genaueste bezeichnet in dem biblischen Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren?
Wer die Moral nur aufs Handeln, und nicht schon aufs Erkennen bezieht, wer an einem neutralen Erkenntnisbegriff glaubt festhalten zu können, wird den Ursprungspunkt der Moral nie begreifen. Die Ontologie ist eine Moralvernichtungsmaschine.
Haben die vier Grundfarben etwas mit den vier Himmelrichtungen zu tun: Weiß (Gelb) und Schwarz (Blau), Rot und Grün? Und ist nicht der Bogen in den Wolken die Bestandsgarantie der Welt?
Hat die Finsternis über dem Abgrund etwas mit der Tier aus dem Abgrund zu tun?
Ist nicht das Blau die Rückseite des Lichts, und sind Rot und Grün das Innen und Außen der Dinge? Gibt es eine biblische Farbenlehre?
Hängt die Farbenblindheit, die Unfähigkeit, Rot und Grün zu unterscheiden, mit der Unfähgigkeit, das Innere und Äußere der Dinge zu unterscheiden, zusammen? -
2.2.1995
Ursprung der transzendentalen Ästhetik: Wissen ist der Modellfall präterito-präsentischer Verben, d.h. von Verben, deren Präsens aus dem Präteritum eines andern Verbs gebildet worden ist: Ich weiß hieß ursprünglich ich sah. Das vergangene Sehen wird präsent in den subjektiven Formen der Anschauung.
Jeder Fundamentalismus ist sexistisch. Bilden nicht das Herrendenken, die Todesfurcht, der Sexismus und das Problem des Angesichts eine Konstellation? Der Sexismus oder die Unfähigkeit, Sexualität zu reflektieren, steht unterm Bann von Herrschaft, schließt ein autoritäres Politikverständnis: die Unfähigkeit, Politik zu reflektieren, und damit den Rechtfertigungszwang: den Mißbrauch religiöser Texte als Feigenblatt (die Verwechslung von Gebot und Gesetz), mit ein. Kern der Fähigkeit, Sexualität und Politik zu reflektieren, ist die Fähigkeit, die Todesfurcht zu reflektieren: Hierin gründet die Beziehung des Angesichts zur Todesfurcht (aber auch der Schleier, die Pflicht der Frauen, ihr Gesicht zu verbergen, in bestimmten Formen islamischer Tradition).
Die Existenz Israels ist die Widerlegung des Sterns der Erlösung, der aber damit nicht „erledigt“ ist.
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