Rosenzweig

  • 20.12.1994

    War die mittelalterliche Eucharistie-Verehrung nicht ein Stück Geldmystik, wie die Hostie nicht zufällig die Form der Münze hat?
    Das Problem des Objekts (des räumlichen Punktes und der Orthogonalität) löst sich am Leib des Menschen.
    Im Bilde des Punktes vereinigen sich die Taubheit und Blindheit, der Aussatz und die Besessenheit, und deren Verdrängungung zugleich. Beginnt nicht die Verdrängung mit der Entdeckung der „Tiefe“?
    Die Dämonen sprechen Jesus als Sohn Gottes, der Blinde als Sohn Davids an (während Jesus zum Lahmen sagt: Deine Sünden sind dir vergeben).
    Steht nicht die politische Theologie Carl Schmitts in der Tradition der Dämonen, die IHN als Sohn Gottes erkannten?
    Hat der Tierkreis etwas mit dem Weltbegriff, die Planetenordnung etwas mit dem politischen Subjektbegriff zu tun?
    Wie hängen die Benennung der Tiere durch Adam, die Beziehung von Tier, Urteilsform und Welt, das Tieropfer und die Idee des Menschensohns mit einander zusammen? Verweist der Titel des Menschensohns nicht auf den Satz: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer?
    Der Ursprung der Sexualmoral hängt mit dem des Weltbegriffs zusammen. Mit der „Entsühnung“ der Welt wurde die Urteilslust freigesprochen, dafür die Sexuallust diskriminiert.
    Ist nicht der Islam die Verkörperung der Unreflektierbarkeit der Welt (und des männlichen Sexualtriebs)? Und liegt hier nicht die Wurzel des Zusammenhangs von repressiver Sexualmoral und Fundamentalismus?
    Hat nicht Eric Voegelin, als er die radikaldemokratischen Bewegungen in der Geschichte auf die Gnosis zurückführte, ein wichtiges Moment erkannt, zugleich aber aufs gefährlichste ideologisiert?
    Rind und Esel: Man soll die Last auf sich nehmen; nur so befreit man sich nach Rosenzweig von ihr. Wer sie als Joch den anderen auferlegt, vermehrt noch die eigene Last.
    Durch die falsche Übersetzung von Joh 129 sind die Gottesfurcht und das Nachfolgegebot neutralisiert und der Weg der Befreiung verstellt worden. Bezieht sich darauf nicht das Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet?
    Zu J.B.Metz: In seinem Konzept einer Kultur der Empfindlichkeit wäre die Empfindlichkeit durch Sensibilität zu ersetzen. Der Begriff der Empfindlichkeit verwechselt Rind und Esel. Die Empfindlichkeit ist pathologisch, die Befreiung beginnt erst mit der Sensibilität.
    War nicht schon die devotio moderna – im Kontext jener Kirchenreform, zu der auch die Einführung des Zölibats und der Ohrenbeichte gehörte – Ausdruck der Rückkoppelung der Sensibilität in der Empfindlichkeit?
    Als der Hahn krähte, erkannte Petrus in der dritten Leugnung die Wiederholung der Sünde Adams. Läßt sich die Geschichte der drei Leugnungen an der Geschichte der Gnosis, des Islam und der Aufklärung festmachen (die übrigens auch auf Änderungen im Begriff der Häresie verweisen; mit dem Protestantismus war die häresienbildende Kraft des Christentums erschöpft: mit der Unfähigkeit, in der Aufklärung sich selbst, das eigene Erzeugnis, wiederzuerkennen)?
    Die Vergöttlichung des Wortes gehorcht der Zwangslogik der Schrift (während der Name JHWHs die Anwesenheit Gottes in der Schrift bezeugte).
    Ist die griechische Sprache Ausdruck und Produkt der Objektivation der hebräischen (ihrer Projektion in die Vergangenheit), verhalten sie sich wie Schrift und Wort?
    Gilt nicht der Satz „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ auch für das Dogma, für die kirchliche Orthodoxie: die Isolationshaft der Wahrheit?
    Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls setzt das Gravitationsfeld voraus; geht nicht in ihren Wert der Wert der Schwerebeschleunigung mit ein? Liefert dieser Sachverhalt nicht (über die Beziehung zur Planckschen Strahlungsformel) einen Hinweis auf die Beziehung der Lichtgeschwindigkeit zur Gravitation?

  • 7.12.1994

    Das Geld (der Marktautomatismus) läßt die Armen schuldig werden (die Begründung findet sich dann schon). Das war der Grund, weshalb seit den Kirchenvätern die concuspicentia als Träger der Erbschuld begriffen wurde: Opfertheologie und Vergöttlichung Jesu, Folgen der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, gehorchten gleichsam in vorauseilendem Gehorsam immer schon der Logik des Kapitals; so haben sie ihr vorgearbeitet. Eine wichtige Rolle in diesem Prozeß spielte die neudefinierte Funktion der Sexualmoral, der die Kirche verfallen ist, weil sie den Mechanismus nicht durchschauen konnte. (Vgl. hierzu Hinkelammert, Kritik, S. 269ff, insbesondere auch die Anm. S. 271, sowie den transzendentallogischen Zusammenhang des Marktautomatismus mit dem Inertialsystem.)
    Der „persönliche Gott“ ist der magische Helfer der Einsamen, der Gott der Sexualmoral.
    Läßt sich die Beziehung von Barbaren und Hebräern aus der unterschiedlichen Stellung zur Schuldknechtschaft, und d.h. zur Logik des Kapitals, herleiten?
    Der Erkenntnisbegriff reicht weiter als der des Wissens. Es war der Grundfehler des deutschen Idealismus, daß er beide in eins gesetzt hat. (Hängt nicht auch das mit dem Wort vom Rind und Esel zusammen: das Rind ist ein Opfertier, während die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm ausgelöst wird?)
    Die prophetische, die messianische und die parakletische Erkenntnis sind drei Stufen der Erkenntnis, die auf die Trinitätslehre zurückweisen (auf die Gründe des Antijudaismus, der Ketzerverfolgung und der Frauenfeindschaft). Hat die dritte Leugnung etwas mit der Sünde wider den Heiligen Geist zu tun, die Selbstverfluchung Petri mit der Leugnung der parakletischen Form der Erkenntnis?
    Das Urteil ist das Instrument der Veranderung oder der Verweltlichung des Denkens.
    Joch und Last: Wird mit dem Jesaia-Wort nicht die Sünde der Opfertheologie bezeichnet, die das Auf-sich-Nehmen der Last, der Sünde der Welt, zum Joch (zur Last für andere) gemacht, es zur Rechtfertigung der Unterdrückung benutzt hat? Die Last nehme ich auf mich, das Joch lege ich anderen auf. Und das ist die Verführung des Inertialsystems wie auch des Tauschprinzips (insgesamt des Schuldverschubsystems), daß sie Last und Joch identifiziert. Adornos Kritik des Identitätsprinzips zielt genau auf diesen Sachverhalt. Der Satz über Rind und Esel enthält die Kritik des Weltbegriffs, der die Identifizierung von Joch und Last zur Grundlage hat. Vgl. hierzu Rosenzweigs Satz: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, oder auch das Jesus-Wort: Mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht (Mt 1130).
    Die Philosophie, und nach ihrer Hellenisierung auch die Theologie, hat seit je das Herrendenken frei- und seine Opfer schuldiggesprochen.
    Erwarten sich die Menschen heute nicht von der Religion und von der sie beherrschenden Gottesvorstellung einen Schutz gegen Gott? Die Idee des Absoluten ist nicht nur ein grandioses philosophisches Konstrukt, sondern das Produkt der Instrumentalisierung Gottes, das die Religion heute beherrscht. Mit der Instrumentalisierung Gottes wird das Aggressionspotential, das in uns steckt: die unaufgearbeitete Schuld, auf die Außenwelt abgeleitet; vergessen wird, daß die Sündenvergebung ans Sündenvergeben gebunden ist.
    Drückt sich beim Hinkelammert (in den Partien, in denen er über Popper nur schimpft) nicht noch ein Stück Hilflosigkeit aus?
    Dieser ungeheuerliche Mechanismus: Wir haben die Armut in die Dritte exportiert, und nutzen sie nun als Hebel, um sie über den Lohndruck, den sie heute erzeugt, wieder zu reimportieren.
    Massen sind nur durch ihr „Gewicht“ in einem Gravitationsfeld (auf einer Waage) meßbar. Ist diese Logik auf den Ursprung des Gravitationsfeldes (beim fallenden Apfel auf die Erde, beim Planetensystem auf die Sonne) überhaupt anwendbar, übertragbar? Können die Sonne, die Erde, der Mond oder die Planeten gewogen werden?
    Merkwürdige Vermischung von Empirie und Logik: „Den entscheidenden Erkenntnisfortschritt über den Anfang unseres Universums hat 1929 der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble bewirkt. Er stellte bei seinen Beobachtungen im Weltall fest, daß je weiter die Galaxien von uns entfernt sind, sie umso schneller von uns wegfliegen.“ (Amand Fäßler, Direktor des Instituts für theoretische Physik und Dekan der Fakultät für Physik der Universität Tübingen, in Publik Forum vom 02.12.94, S. 50). Hubble hat die Rotverschiebung der Spektrallinien der Sterne in Abhängigkeit von ihrer Entfernung entdeckt. Die Vorstellung der Expansion des Weltalls beruht auf einer Interpration dieses Sachverhalts auf der Basis des Doppler-Effekts. (Auf S. 52 fordert Fäßler: „Wir müssen gegenüber allen Ideologie sehr skeptisch sein …“)
    Was das kopernikanische System so nützlich gemacht hat, war, daß man sich dieses Planetensystem so schön vorstellen konnte, daß man es auf eine Bildebene projizieren (es der Logik der Schrift unterwerfen) konnte. Die Vermittlung dieses Bildes durch die Logik der Schrift blieb unreflektiert. So wurde die Unterscheidung zwischen dem Im Angesicht und dem Hinter dem Rücken gegenstandslos: Es gab nur noch ein Hinter dem Rücken. Dieser Schritt hat die „Wirklichkeit“ zur Erscheinung gemacht. Nicht zufällig hat Kant sein Konstrukt der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, aus denen die transzendentale Logik abgeleitet ist, als eine Konsequenz aus der „kopernikanischen Wende“ verstanden.
    War nicht die machsche Kritik der Atomistik ein Versuch der Rekonstruktion des Objekts aus Empfindung und Logik, der sehr kantisch ist, zugleich ein Reflex der Probleme der damaligen Äthertheorien? Die Auflösung dieses Problems (u.a. durch die spezielle Relativitätstheorie Einsteins, durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) war einer der Gründe des Ursrpungs des Neopositivismus, des logischen Empirismus, für den die Rekonstruktion des Objekts aus dem Chaos der Empfindungen nicht gelöst, nur obsolet geworden ist. Die veränderte Logik der neuen Naturwissenschaften (die mit der veränderten Logik der Ökonomie aufs merkwürdigste konvergierte) drückte dann in veränderten Positionen sich aus (Problem der Kausalität, der Anschauung, des „Beobachters“). Das ist das Problem der Beziehung der Naturwissenschaften zum „kulturellen Milieu“. Aus dem Konstitutionsproblem wurde ein innerlogisches Problem, dessen Gegenstandsbedeutung ungeklärt geblieben ist (vgl. Poppers „Falsifikations“-Theorem).
    Wer an der Atomvorstellung festhält und weiterhin nach den letzten Bestandteilen der Materie sucht, wird sich damit abfinden müssen, daß er auf immer neue Zwiebelschalen stößt.
    Wer die Postmoderne für ein weltanschauliches Problem, gleichsam für ein Bekenntnisproblem, hält, verharmlost das Problem; die Postmoderne spiegelt in Wahrheit die innerlogischen Probleme des derzeitigen Standes der Aufklärung wider.
    Sind die flektierenden Sprachen nicht Fortbildungen der agglutinierenden Sprachen, die Affixbildungen Weiterbildungen der Determinanten, die selber schon als erste Spuren der Logik der Schrift in der Sprache zu begreifen sind? Spiegelt die Trennung der Sprachen nicht verschiedene Phasen der Verschriftlichung der Sprache wider, und war vielleicht das Bilderverbot gegen den „Fortschritt“ der indogermanischen Sprachlogik gerichtet?
    Kann es sein, daß das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande sich auf die Geschichte der christlichen-jüdischen Beziehung seit dem Urschisma bezieht?
    Der Begriff des „vollkommenen Wissens“ wäre anwendbar nur auf eine tote Welt, auf eine endgültig abgeschlossene Vergangenheit. Die Allwissenheit als Attribut Gottes unterscheidet sich von der Erkenntnis, die Gott allein zugesprochen werden kann, durch eine qualitative Differenz: durch die Abwesenheit der Barmherzigkeit. Wissen ist gnadenlos, ihrem eigenen Objekt, auf das es sich von nur außen bezieht, fremd; die göttliche Erkenntnis wäre das Gegenteil davon: das Angesicht Gottes als eine Erkenntnis, in der seine Objekte sich selbst ohne Angst wiedererkennen.
    Das Wissen ist (wie die Begriffe Natur und Welt) ein Produkt der Logik der Schrift; auf ein „All“, das vorauszusetzen wäre, wenn es so etwas wie ein vollkommenes Wissen geben sollte, läßt es ohne Selbstwiderspruch nicht sich beziehen (die Entfaltung dieses Selbstwiderspruchs ist die Hegelsche Logik, in der die Stelle des „vollkomenen Wissens“ von der Idee des Absoluten, der Spiegelung des Subjekts im Unendlichen, besetzt wird).
    Die Geschichte ist ebensowendig das Weltgericht, wie Gott der Herr der Geschichte ist. Nach Hegel bezeichnet der Begriff der Geschichte sowohl die vergangenen Begebenheiten als auch ihre Darstellung, die erinnernde Vergegenwärtigung des Vergangenen; verweist das nicht auf einen logischen und sachlichen Zusammenhang beider? Wird nicht das Vergangene erst durch seine Erinnerung zum Vergangenen? Vollzieht die historische Erinnerung und Vergegenwärtigung des Vergangenen (seine Vergegenständlichung im Kontext der Fundierung der Institution des Privateigentums und der Begründung des Begriffs) erst die Taufe der Vergangenheit am Vergangenen? In welcher Beziehung steht dieser Begriff der Geschichte zum Weltbegriff (zum Wertgesetz und zum Inertialsystem)? Gibt es einen Weltbegriff ohne die Abtrennung (und Vergegenständlichung) der Vergangenheit als Geschichte? Gehört diese Abtrennung nicht als ein konstitutives Moment zum Begriff der Geschichte und zur Konstituierung ihres Objekts, der Gegenwart, die nur so zu einem Teil der Geschichte wird (zur Konstituierung sowohl der Geschichte als auch der Welt, die erst durch ihre Beziehung zur eigenen Geschichte als Welt sich konstituiert)? Aber bedeutet das nicht auch, daß sowohl der Bann der Natur als auch der der Geschichte beide in einen Schuldzusammenhang rückt, der ihre Beziehung zur Wahrheit verhext? (Epos, Gegenständlichkeit, Logik der Schrift: nicht nur die Naturwissenschaft, auch die Geschichte ist ein Verdrängungsinstrument; vgl. die Funktion kontrafaktischer Urteile in der Geschichte; Prophetie und Apokalyptik; Fälschungen in der Geschichte).
    Durch ihre historische Vergegenständlichung ist die Geschichte zu einer Kolonie der Gegenwart geworden. Die Gegenständlichkeit der Geschichte ist eine ästhetische, keine reale: Grund des Objektbegriffs und des Begriffs des Wissens, der ohne das Moment des Scheins nicht zu begründen ist.
    Ohne den Weltbegriff kein „persönlicher Gott“; beide stützen sich gegenseitig. Atheistisch ist erst die zur kritischen Masse zusammenschießende verweltliche Welt (der Faschismus, der zum Staatskapitalismus gewordene „real existierende Sozialismus“).
    Ist das Präsens Produkt der erinnernden Vergegenwärtigung des Vergangenen, die versperrte Gegenwart (durch die zeitlichen Formen des Konjugationssystems – durch Präteritum, Plusquamperfekt, Futur II – vermittelt wie der Nominativ durch die Kasus, durch Akkusativ, Genitiv und Dativ)?
    Zur Ableitung und Kritik des Gehorsams: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ. Ihre Erkenntnis ist prophetische Erkenntnis, die nicht den Gehorsam begründet, sondern das autonome Tun als Erfüllung des Worts. Der Gehorsam verwandelt den Imperativ in einen Indikativ, das Gebot ins Gesetz: er steht unter dem Bann der Logik der Schrift (Folge der Objektivierung des Attribute Gottes).

  • 30.11.1994

    Das Tier ist der Fürst dieser Welt.
    Die aristotelische Prämisse: „Alle Menschen streben nach dem Glück“ wäre durch die Definition des Glücks zu ergänzen: Glücklich ist, wer die Möglichkeit hat, gut sein zu können. Nur so gewinnt die daraus abgeleitete christliche Idee des seligen Lebens Inhalt.
    Der Weltbegriff ist der Quellpunkt und der Inbegriff der Staatslogik, deren Ursprungsgeschichte die mythischen Kosmologien und Kosmogonien zu beschreiben suchten.
    Taucht der Naturbegriff bei Rosenzweig in systematischem Zusammenhang nur in der „Metaphysik“, bei der Konstruktion des mythischen Gottes auf? Interessant wäre die Rekonstruktion der Stellung und des Schicksals der drei kantischen Totalitätsbegriffe, Wissen, Natur und Welt.
    – Das Wissen erscheint in der Gestalt des Nichtwissens (zu dessen Konstituentien die Todesangst gehört),
    – die Natur erscheint im Kontext der Konstruktion des mythischen Gottes, und
    – nur die Welt ist (als eines der Objekte des Nichtwissens) eines der drei „Elemente“, in die das All mit der Reflexion der Todesangst zerspringt.
    Wenn die Philosophie (die Selbstreflexion der Herrschaftsgeschichte) der mystische Leib Christi ist, wirft das nicht ein neues Licht auf das Bild der Pieta?
    Der Kelch: Nachdem die Kirche mit der Opfertheologie sich auf die Seite der Täter der Ermordung Jesu gestellt hat, wiederholt sie zwangshaft dieses Tätersyndrom im Säkularisationsprozeß. Ist nicht dieses Tätersyndrom der Grund einer Gnadenlehre, die die Christen zur Ohnmacht (und die Attribute Gottes, die nach Hermann Cohen Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, zum spurlosen Verschwinden) verurteilt? Und war diese Gnadenlehre nicht die christliche Transformation des Islam (das Handeln eine Form der Ergebung)? Aber hatte Jesus nicht seine „Vollmacht“ auf die Jünger und Apostel übertragen, und bezieht sich diese Vollmacht nicht auf die Taten, mit denen Jesus die Frage des Täufers beantwortete, ob er es sei, der da kommen soll?
    Hätte Jesus länger gelebt, wenn er seinen Vater, der nach seiner Kindheit aus der Geschichte Jesu spurlos verschwindet, und seine Mutter, die er mit dem „was habe ich mit dir zu schaffen“ abfertigt, geehrt hätte?
    Das Christentum ist der Verführung durch die Sexualmoral erlegen: einer Verführung, die in dem Glauben sich ausdrückte, es gebe so etwas wie Unschuld in dieser Welt. Indem nur die Frauen an der Idee der Virginitas gemessen wurden, wurden zwei Effekte erzielt:
    – Die Politik wurde aus dem Bereich der Idee der Keuschheit ausgegrenzt, und
    – die (an das Organ der Gebärmutter gebundene) Idee der Barmherzigkeit wurde theologisch gegenstandslos (um dann im projektiven Konstrukt der Hysterie wiederzukehren).
    Bezieht sich der apokalyptische Unzuchtsbecher auf diesen Sachverhalt?
    Ist die Beziehung des Femininum zum Plural (beim bestimmten Artikel im Deutschen) nicht im Begriff der Materie vorgebildet (dem Begriff der Materie einbeschrieben)? Und ist dieser Gedanke nicht der Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Planckschen Strahlungstheorie (des Planckschen Wirkungsquantums)? (Hatte Hitlers Instinkt nicht die Masse als Weib erkannt?)
    In welcher Beziehung stehen im Planckschen Strahlungsgesetz die zeitbezogenen Energiequantelungen (der Korpuskelt-Welle-Dualismus) und die raumbezogenen Materiequantelungen (die Atome)? Drückt nicht das Plancksche Strahlungsgesetz die Beziehung der mechanischen Bewegung zur Lichtgeschwindigkeit (der kinetischen Wärmeenergie zur Strahlungsenergie) nach dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aus? Und sind nicht die Gleichungen der Lorentz-Transformation nur ein anderer Ausdruck der Form dieser Beziehung?

  • 16.11.1994

    Als Alexander den gordischen Knoten durchschlug, begründete er die Weltherrschaft: als Herrschaft der Welt über die Welt. Genau hier, in dieser Konstellation, entspringt der Weltbegriff.
    War nicht der Faschismus – ähnlich wie in der politischen Ökonomie – auch im Bereich der Wissenschaften ein Modernisierungsschub?
    Wenn man von den Kirchen absieht, ist die Aufarbeitung der Vergangenheit in zwei Bereichen bis heute nicht gelungen: in der Justiz und an den Universitäten, wobei das Problem in beiden Fällen nicht in den Personen, sondern in den objektiven Strukturen liegt, und in den Personen nur insoweit, als sie über die Rechtfertigungszwänge, unter denen sie stehen, diese Strukturen wesentlich bestimmt haben und noch bestimmen. Notwendig wäre die Reflexion des Ursprungs und der Wirkungsweise dieser Rechtfertigungszwänge. Diese Reflexion aber führt mitten in die Theologie hinein.
    Die Idee des Absoluten: Das ist der brennende Dornbusch, der vom mosaischen nur dadurch sich unterscheidet, daß in ihm Gott zum Verstummen gebracht wird. In ihm ist das Feuer aufgespalten in Trunkenheit und Unzucht.
    Ist nicht der Weinstock der Baum des Noach? Wessen Baum ist dann der Feigenbaum? Vor dem Feigenbaum und dem Weinstock wird in der Jotam-Fabel dem Ölbaum die Königswürde angetragen, danach dem Dornbusch (Reihenfolge: Ölbaum, Feigenbaum, Weinstock, Dornbusch).
    Wenn die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, bedeutet das nicht, daß die Gotteserkenntnis über die Erkenntnis der Imperative (des Einen, das nottut) läuft: nicht über die Ontologie, sondern über die Ethik als prima philosophia? Das aber heißt, daß wir lernen, auf die Stimmen zu hören, die „zum Himmel schreien“. (Gott ist kein Schlafmittel, sondern ein Erwecker.)
    Die Umkehr (Rosenzweigs Bild von dem Koffer): Ist das nicht die Beziehung von Indikativ und Imperativ?
    Ableitung des Charismas: Ohnmacht exkulpiert; der Ohnmächtige kann nicht eingreifen, deshalb ist er entschuldigt. Das aber geht nur, wenn er alle Last auf den vergöttlichten Heros abwälzt (der die „Sünde der Welt hinwegnimmt“), in seiner Folge auf den König, und schließlich auf jeglichen Führer. Besteht sein Charisma nicht darin, daß er das Funktionieren des Exkulpationsmechanismus garantieren, daß er allen Ohnmächtigen die Last abnehmen soll? Die Sündenböcke werden in den Knästen, den Anstalten des Strafvollzugs, geopfert. Das gesellschaftliche Strafbedürfnis ist ein Maß für das Nichtfunktionieren der Exkulpationsmechanismen.
    Zum Begriff der Sinnlichkeit: Hat die Identität von träger und schwerer Masse etwas mit der von Masse und Energie zu tun (sind Äquivalenz und Identität identisch)? Und wie hängt der physikalische Materiebegriff mit dem ökonomischen, das Trägheitsgesetz mit dem Tauschprinzip, zusammen (und wie mit dem sonstigen Gebrauch des Materiebegriffs, mit dem Begriff des „Materialismus“: Ist die Materie ein Produkt der Urteilslust)? Steckt im Ursprung des Materiebegriffs (des Stoffs, aus dem die Dinge gemacht sind) nicht auch das Geld, und seit dem Ursprung der Lohnarbeit das Kapital? Ist nicht im Materiebegriff teleologisch der Begriff des Kapitals angelegt und vorgebildet?

  • 10.11.1994

    Ist nicht die Redundanz, die Einstein mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aufdeckt, der Grund der Gravitationstheorie, der Grund der Kraft des Systems, das Ungleichnamige gleichnamig zu machen?
    Das Buch Hiob ist ein Beleg dafür, daß Alexander den gordischen Knoten nur durchschlagen, nicht gelöst hat. Behemoth und Leviathan (das Tier vom Lande und das Tier aus dem Meer) symbolisieren das Ergebnis der Durchschlagung des Knotens: das symbolische Äquivalent der Begriffe Welt und Natur.
    Hegels Logik als die bewußtlose Beschreibung der Geschichte einer Katastrophe lesen, sie aus dem Schlaf erwecken: das wäre die Aufgabe des Hahns. Aufgabe der Theologie wäre es, das Feuer in diesem brennenden Dornbusch (das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht) begreifen.
    Ist nicht der „real existierende Sozialismus“ als Resultat des Konzepts vom Sozialismus in einem Land durch die Rückwirkung seiner außenpolitischen Naturbeziehungen zwangsläufig zum Staatskapitalismus entartet? Und lag darin nicht die Reflexionsbarriere und Erkenntnishemmung begründet, die es ihm verwehrt hat, die Kapitalismuskritik auf ihren jeweils aktuellen Stand zu bringen, insbesondere das Desiderat einer Theorie des Finanzkapitals, mit der Theorie der Banken im Kern, endlich zu erfüllen?
    Die Vertreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel (Konkretisierung des Wortes „Barmherzigkeit, nicht Opfer“) verweist genau auf diesen Punkt.
    Ist nicht Eli Wiesel der Martin Buber zu einem Franz Rosenzweig, der heute Primo Levi heißt?
    Zum Turmbau zu Babel: Wenn die Architektur etwas mit der Geschichte der Philosophie (mit der Geschichte der Logik der Schrift) zu tun hat, dann bezieht sich der Turmbau zu Babel auf ein Ereignis, das mit dem Ursprung der Grammatik (dem Eindringen der Logik der Schrift in die Sprache) zu tun hat.
    Dialektik ist die instrumentalisierte Umkehr; sie steht unterm Bann des Inertialsystems.

  • 4.11.1994

    Wie hängt das Konzept der Gewaltenteilung mit dem Inertialsystem zusammen, mit der Beziehung von Begriff, Erscheinung und Gesetz?
    Nimmt nicht bei Hegel der Begriff der Aufhebung die Stelle ein, die bei Rosenzweig (der Sache nach) der der Umkehr innehat? Das Bindeglied zwischen beiden, oder das, was die Hegelsche Aufhebung von der Umkehr unterscheidet, ist das Moment des Scheins – und die List der Vernunft, die im übrigen heute längst zu einem Teil der Sprache selbst geworden ist, die „Verwirrung“, die die Sprache im Kern ergriffen hat, begründet: sie nimmt den Schein für die Wahrheit. Der Schein wird zu einem Teil der „Wahrheit“, wenn das herrschaftskritische Moment verdrängt, suspendiert wird.
    Bezeichnen nicht der Begriff des Scheins und die List der Vernunft das Moment der Verführung in Hegels Philosophie (und sind nicht schon bei Hegel die politische Ökonomie und die technische Nutzung der Naturwissenschaften durch die List der Vernunft auf einander bezogen)?
    Hegel hat die kantischen Antinomien durch Radikalisierung entschärft. So hat Hegel die kantische Idee der Freiheit (das „Wunder in der Erscheinungswelt“) durch Subsumtion unter den Weltbegriff zum bloßen „Bewußtsein der Freiheit“ idealisiert und verhext (Zusammenhang der „Wahlfreiheit“, des liberum arbitrium, mit der Raumvorstellung: mit den „Freiheitsgraden“ des Raumes). Das Bewußtsein der Freiheit ist mit der Raumvorstellung gegeben, es gewinnt Realität durchs Geld (Grund des Existenzbegriffs). Das liberum arbitrium bezeichnet die Freiheit der Herrschenden; es entfaltet sich mit der Ausbreitung der Geldwirtschaft und des Marktes (und mit der Entfaltung der Raumvorstellung), seine Geschichte ist Teil der Herrschaftsgeschichte (der Geschichte der Verinnerlichung von Herrschaft). Reale Freiheit setzt das Bewußtsein der Freiheit (das liberum arbitrium) voraus, zugleich aber auch die Fähigkeit zur Reflexion seiner herrschaftsgeschichtlichen Voraussetzungen und Implikationen: die Fähigkeit zur Reflexion der „Sünde der Welt“.
    Ist die Auseinandersetzung zwischen Idealismus und Materialismus nicht eine Folge der Differenz im Naturbegriff (der Differenz zwischen Zeugung und Geburt, physis und natura)? Der griechischen Naturphilosophie korrespondiert systemlogisch das Römische Recht.
    Wie hängt der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, mit der Feststellung zusammen, daß, wenn traditionsgebundene katholische Theologen von der Natur des Menschen reden, in der Regel eine Gemeinheit dabei herauskommt?
    Gründet nicht die logische Figur einer messianischen Berufung und Kraft des Proletariats (insbesondere bei Georg Lukacs) in der Verwechslung des Armen mit dem Fremden?
    Das Neutrum ist der Sprachgrund des Mythos, sein Fehlen und seine symbolische Repräsentation durch die Schlange hingegen die Konstellation, in der die Idee der Offenbarung entspringt.
    Gibt es das Schlangensymbol im Islam (und in seiner Folge eine Apokalypse), oder treten an seine Stelle die Dämonen? Und verdankt sich diese Transformation dem Ursprung und der Rezeption des Weltbegriffs (ist die creatio mundi ex nihilo ein islamisches Konstrukt)?

  • 30.9.1994

    In welcher Beziehung steht die Scham zur Erkenntnis: Ist die Scham die Finsternis über dem Abgrund, und ist sie die Nacht, die die Schöpfungstage von einander trennt (Zusammenhang mit den sieben unreinen Geistern und mit Maria Madalena)? Ist es die Scham, die die Schrift von der Sprache trennt und die Logik der Schrift begründet? Ist es die Scham, die Objekt und Begriff (Natur- und Weltbegriff) von einander trennt (und in beiden getrennt sich manifestiert: als Spur der Trennung in den Getrennten, als die Dunkelheit in den Dingen)? Wie hängt die Scham mit der Herrschaftslogik zusammen?
    Die Erkenntnis der Nacktheit ist die Selbsterkenntnis als Objekt. Pornographie ist ausgestellte, reflexionslose Nacktheit, die sich so als Objekt der Gewalt präsentiert. Der Gewalttätige erblickt in der Freundlichkeit außer der Schwäche nur den Schuldvorwurf, auf den er präventiv mit Gewalt (mit der Vergewaltigung des Objekts) antwortet. Vergewaltigung ist das objektive (wenn auch unbewußte) Ziel der Aufklärung.
    Die Wahrheit hat einen Zeitkern. Das heißt auch, daß es nur möglich ist, Lösungen für die eigene Gegenwart zu finden; überzeitliche Lösungen (auch die des Rechtsstaats) sind Instrumente der Katastrophe.
    Zu den wichtigsten Einsichten des Sterns der Erlösung gehört die Verwerfung der unio mystica. Damit hängt es zusammen, wenn der Stern der Erlösung die Erfüllung nicht im Buch, sondern im Leben findet, wenn er aus dem Bann der Logik der Schrift herausführt.
    Die Philosophie (die Logik der Schrift) hat sich durch die Schöpfungslehre, die Trinititätslehre, durch die Vergöttlichung Jesu und durch die Opfertheologie zum Herrn der Theologie gemacht. Ist nicht die unio mystica eine Konsequenz aus dem homousia?
    Die Logik der Schrift steht unterm Exkulpationszwang, sie begründet das Schuldverschubsystem; sie ist der Grund der Logik der Welt. Hiermit hängt es zusammen, daß die Erfüllung der Schrift von der des Wortes wie der Kreuzestod von der endgültigen Erlösung sich unterscheidet. Im Kreuzestod hat sich nur die Schrift, nicht das Wort erfüllt.
    Der Sozialdarwinismus (die Rückspiegelung der Evolutionslehre in den Entwicklungsprozeß der Gesellschaft, aus dem sie gewonnen wurde) ist einer der ersten Hinweise auf die realsymbolische Bedeutung des apokalyptischen Tieres, seine Beziehung zur Herrschaftsgeschichte. Kritik der Evolutionstheorie: Kritik der Heiligung des Selbsterhaltungsprinzips. Das prophetische Bild des Tierfriedens und das Echo, das dieses Bild in der Dialektik der Aufklärung gefunden hat, gewinnt vor diesem Hintergrund eine unendliche Bedeutung. Aber genau hier hat Habermas die Nabelschnur zur Kritischen Theorie durchschnitten.
    Wäre es denkbar, daß das Bild vom Weltuntergang nur das Ende der instrumentalisierenden Gewalt bezeichnet (das Ende der Trennung von Natur und Welt, oder die Erfüllung des Worts – nicht der Schrift)?
    Liegt nicht die ungeheure Bedeutung der Transzendentalphilosophie darin, daß sie das innere Konstruktionsprinzip des Kelches ans Licht hebt?
    Beim zweiten Schöpfungstag (als Er die Feste machte, die die oberen von den unteren Wassern trennt, und die er dann Himmel nannte) fehlt der Satz, daß „Gott sah, daß es gut war“.
    Ist Rosenzweigs Konzept der Beziehung von Judentum und Christentum eine Anwendung des Satzes, daß man Ochs und Esel nicht gemeinsam vor den Pflug spannen darf (daß man das Joch und die Last nicht in eins setzen und nicht verwechseln darf – vgl. Dt 2210)?
    Petrus: der Weizen, der auf steinigen Grund fällt (Paulus: der Weizen, der unter die Dornen fiel?). Petrus und die Dämonen haben Jesus als Sohn Gottes erkannt, und nur zu Petrus hat er gesagt: Weiche von mir, Satan.
    Dein Vater war ein Amoriter, den Mutter eine Hethiterin: War Batseba, die Frau des Hethiters Urias und später die Mutter Salomos, eine Hethiterin?
    Am Markt bildet sich der Preis aus Angebot und Nachfrage. Liegt hier der Quellpunkt des ökonomischen wie auch des philosophischen Begriffs der Spekulation; und ist der Begriff der Spekulation nicht die ökonomische und kosmologische Entsprechung des Begriffs der Gemeinheit im Recht? Welche Objekte sind spekulationsfähig und -trächtig (in der Ökonomie, in den Naturwissenschaften und in der Philosophie)?
    Die ersten Gestalten des Privateigentums waren der Acker und das Haus. Hat nicht die Geschichte der christlichen Architektur seit dem Mittelalter (Romanik, Gotik, Barock) die Kategorien der Naturerkenntnis abgearbeitet: die Schwere, das Licht und die Erscheinung? Im Barock wächst die Last in einem Maße, daß sie an den Seiten hervorquillt, während im Bild der Blick sich ins Unendliche zu öffnen scheint. Barock-Säulen sind unendlich schwer und unendlich leicht zugleich: Verkörperungen des Scheins (Ursprung der Erscheinung). Zugleich dringen laszive Züge ins Bild der mystischen Ekstase (werden Buße und Busen assoziiert).
    Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße.
    Ist nicht Adornos Vorstellung, daß Musik sich vollendet, wenn es der konzertanten Realisierung nicht mehr bedarf, sondern alle schweigend im Konzertsaal sitzen und gemeinsam die Partitur lesen, das musikalische Pendant zu Jer 3134?
    Symbol der Logik der Schrift ist das Feigenblatt (und der Feigenbaum ein Symbol Israels).
    Eines der Resultate einer Kritik des Inertialsystems wäre der Nachweis, daß die Wahrheit (wie auch die Idee des Ewigen) einen Zeitkern (einen Aktualitätskern) hat, über den die Vergangenheit mit der Zukunft kommuniziert.
    Symbolische Erkenntnis unterscheidet sich von begrifflicher dadurch, daß sie nicht an die Urteilsform gebunden ist (daß sie nicht ontologisch ist). Sie setzt die Kritik des Absoluten voraus und schließt sie mit ein.
    Das Wort hat seine Erfüllung außer sich: Der Logos wird am Ende seine Herrschaft dem Vater zurückgeben, und dann wird Gott alles in allem sein. Die Erfüllung des Wortes ist keine unio mystica, sondern die Rettung, Befreiung, Erlösung der Welt, die Gestalt einer Welt, in der es keinen Hunger und keine Gewalt mehr gibt.

  • 22.9.1994

    Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Verfahren gegen den 38-jährigen Siegfried Nonne „mit Rücksicht auf die Kronzeugenregelung“ eingestellt. Siegfried Nonne hatte Anfang 1992 ein „Geständnis“ über eine angebliche Beteiligung an dem Mord an Alfred Herrhausen abgelegt, und hierbei Namen von Leuten genannt, die die Tat begangen haben sollen. Später hat er dieses „Geständnis“ öffentlich (u.a. in der ARD-Sendung „Brennpunkt“) mit dem Hinweis widerrufen, er sei „von hessischen Verfassungsschützern gezwungen“ worden. Das Oberlandesgericht unterstellt, daß das erste Geständnis stimmte. Wer wurde damit freigesprochen: Siegfried Nonne, der Generalbundesanwalt oder der hessische Verfassungsschutz? Und außerdem: Liegt diese Entscheidung nicht in der Linie der Konsequenz aus dem dezisionischen Souveränitäts-Begriff Carl Schmitts, der immer mehr und immer deutlicher aus dem politischen in die juristische Ebene sich verlagert? Souverän ist nicht mehr das Staatsoberhaupt („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“), sondern die Justiz, die im Verfassungs- und im Staatsschutzbereich immer mehr politische Kompetenzen übernimmt. Grund ist ein Rechtsstaatsverständnis, das die Lücke im Recht durch eine gnadenlose und in ihrer Konsequenz selbstmörderische Staatsmetaphysik zu schließen versucht (hier liegt der systemische Grund für den Titel Staatsanwalt).
    Liegt in den Sätzen des Hiob und des Jeremias, in denen sie wünschen, schon vor ihrer Geburt gestorben zu sein, nicht die Geburt der modernen Naturwissenschaft: der Ursprung der der Vorstellung einer homogenen Zeit, die, indem sie die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, den Tod vor die Geburt verlegt (Zusammenhang mit der Reichsidee und dem babylonischen Caesarismus)?
    Wie hängen die Hiob- und die Jeremias-Stelle mit der anderen Stelle bei Jeremias (15: Noch ehe ich dich bildete im Mutterleib, habe ich dich erwählt) zusammen? Und hat diese Konstellation etwas mit dem Ursprung des Weltbegriffs (und seiner Vorankündigung bei Jeremias) zu tun? Die Verfluchung der eigenen Geburt und das Motiv des Schreckens um und um sind die Innenansicht der Verzeitlichung der Konjugation und des Ursprungs des Neutrum, beide sind durch die Geschichte der Reichsbildung vermittelt. Herrschafts- und sprachgeschichtlich gehört das zusammen wie Nebukadnezar und der Turmbau von Babel. Die babylonische Sprachverwirrung gehört zur Ursprungsgeschichte der Zivilisation: die Bibel hält die Erinnerung an die Schreckenserfahrung fest, die die Zivilisationsgeschichte (unterm Vorzeichen der Philosophie) in der Sprache selber (durch ihr ihre eingeschriebene Logik und Struktur) verdrängt. Diese Erfahrung wird durch den Weltbegriff neutralisiert.
    Bezieht sich Deut 2210 „Du sollst nicht Ochse und Esel zusammen vor den Pflug spannen“ (wie auch die damit zusammenhängenden Gebote der Vermischung) auf die „Vermischung“ von Vergangenheit und Zukunft in der Vorstellung einer homogenen Zeit (auf die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit)? Hat diese Stelle (das Verbot, Joch und Last gleichzusetzen: die Diskriminierung des mechanischen Materiebegriffs) etwas mit dem gordischen Knoten (der Joch und und Deichsel verbindet) zu tun?
    Gibt es in der Bibel das Gebot: Du sollst nicht lügen? Vgl. Lev 1911: „Ihr sollt nicht stehlen und nicht ableugnen und nicht einer den andern betrügen“ (Zürcher Bibel)/ „Ihr sollt nicht stehlen, nicht täuschen und einander nicht betrügen“ (Einheitsübersetzung).
    Nicht aufs Ansehen (auf den Ruf), sondern aufs Tun kommt’s an.
    Ist der Katholizismus heute nicht endgültig zur Weltreligion geworden (und geht er daran nicht zugrunde)?
    Die Zukunft aus der Herrschaft der Vergangenheit befreien (die Zukunft freischaufeln), das kann niemand allein. Deshalb kann niemand alleine Christ sein.
    Die Personalisierung des Teufels hat (wie jede Verteufelung seitdem) nur zur Stabilisierung von Herrschaft beigetragen (Verteufelung als Blitzableiter der Herrschaftskritik). Besser als hinter seiner Personalisierung konnte sich der Teufel nicht verstecken. Aber das funktionierte nur solange, wie das Bild des Teufels aus der Sexualmoral sich nährte. Die Schrecken der Hölle waren nur solange wirksam, wie es möglich war, die Schrecken der Herrschaft in der Phantasie noch zu steigern.
    Die Opfertheologie ist das Produkt der Theologisierung der Logik der Ausbeutung.
    Hegels Philosophie heult mit den Wölfen (und das Weltgericht ist das Heulen der Wölfe). – Wie hängt die Klugheit der Schlange mit dem Heulen der Wölfe zusammen?
    Hat das Gebot, den hebräischen Sklaven nach dem sechsten Jahr freizulassen, etwas mit der Geschichte der hebräischen Schrift (mit der Geschichte der Logik der Schrift als Grund und Spiegel der Herrschaftsgeschichte) zu tun?
    Mit der kopernikanischen Wende ist die Erde ein zur kapitalistischen Aneignung freigegebenes „herrenloses Gut“ geworden. Darin liegt die theologische Bedeutung des Konzepts eines unendlichen Raumes. Insofern gehören Kopernikus und die „Entdeckung Amerikas“ (als Paradigma der Kolonialisierung der Welt) zusammen.
    „Spruch des Herrn“: Ist das nicht der Versuch, die Logik der Schrift von ihrem Fluch, an die Adresse des Allgemeinen gefesselt zu sein, zu befreien? Rosenzweigs Kritik des „All“ wäre durch die Kritik der Gemeinheit (die Kritik der Logik der Schrift) zu ergänzen (und als Kritik des Allgemeinen, des Weltbegriffs zu entfalten).
    Die Allgemeinheit des schriftlich fixierten Rechts hat zum Grund die Souveränität dessen, der das Gesetz erlassen hat (nach Heinsohn des gleichen, der auch als erster in seinem Namen Geld geprägt hat: Hammurabi = Darius).
    Hat der Rekurs der Heinsohn-Gruppe auf eine Naturkatastrophe (die Venus-Katastrophe) nicht seine eigene Logik in der Konsequenz, die ihn mit seinem historistischen Ansatz verbindet? Hier wird gleichsam ein zweitesmal die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert.
    Handelt nicht der „Sündenfall“ von der Geschichte, in der die Sprache (auf dem Wege von Jerusalem nach Jericho) unter die Räuber (unter die Logik der Schrift) gefallen ist („die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen“)? Der Priester und der Levit sahen ihn und gingen vorüber.
    Der Weltbegriff ist der Ursprung, das Instrument und das Produkt der Identifikation mit dem Aggressor.
    Die kopernikanische Wende hat die Verinnerlichung der Schicksalsidee zur Verinnerlichung der Scham weitergetrieben, ein Prozeß, in dem die Scham gegen das Subjekt selber sich wendet, es tendentiell auslöscht.
    Nur die deutsche Sprache hat die kopernikanische Wende in ihre Sprachlogik mit aufgenommen, während die anderen modernen Sprachen, insbesondere die romanischen Sprachen, in der Logik der Islamisierung der Sprache steckengeblieben sind. (Ist nicht die gesamte osteuropäische Orthodoxie insofern ein Archaismus, als sie die Lehre in einem vorislamischen Stand konserviert?).
    Sünde wider den Heiligen Geist: Das Inertialsystem hat mit der Natur gemacht, was die Schrift mit der Sprache (und die Bekenntnislogik mit der Theologie) gemacht hat.
    Gott und Teufel, Feindbild und Opfertheologie: Zur Bekenntnislogik gehört das Feindbild wie das Idol zum Götzendienst; über die Bekenntnislogik gleicht deren Subjekt dem Bild seines Feindes ebenso sich an wie umgekehrt das Feindbild auch als Projektion dessen, was das Subjekt in sich selber verdrängen muß, begriffen werden muß. Über das Feindbild stellt eine Reflexionsbeziehung sich her, die den Inhalt des Bekenntnisses mit bestimmt. In seiner entfalteten Form leistet die Bekenntnislogik
    – die Sicherung der Verdrängungsleistung (durch Projektion des Verdrängten auf den Feind),
    – den Schein der Schuldfreiheit (Befreiung durch Bestrafung des Feindes als Sündenbock) und
    – die Abfuhr der Aggression, deren Ursprung ins Objekt verlegt wird, die dem Täter gleichsam nur objektiv und schicksalshaft widerfährt: Schuldig ist das Opfer, dessen stellvertretendes Leiden den Täter von der Schuld befreit.
    Dieser Mechanismus hat über die Opfertheologie (den transzendentallogischen Kern der Bekenntnislogik) den Weltbegriff nicht nur begründet, sondern zugleich „entsühnt“, den herrschaftslogischen Kern des Weltbegriffs (die poltische Theologie der Staatsmetaphysik) unsichtbar und unangreifbar gemacht.
    Die Tatsache, daß Jesus ein Jude war, wird sich erst dann produktiv in der Reflexion und Auflösung des Antijudaismus verwenden lassen, wenn sie als Teil der Kritik der Bekenntnislogik (und als Grundlage der Rekonstruktion eines prophetischen Erkenntnisbegriffs) begriffen wird.

  • 20.9.1994

    Drückt in den Wendungen, mit denen heute nicht selten Reflexionen eingeleitet werden, wie „ich denke“ oder „ich würde sagen“ nicht eine Konsequenz aus der Logik der Schrift sich aus, die heute zu einer Gestalt der Selbstausbeutung geworden ist? Als Erbschaft der Logik der Schrift findet jeder im eigenen Innern eine Autorität vor, der niemand mehr entweichen kann, und vor der jede Äußerung durch den Vorbehalt des „ich denke“ oder „ich würde sagen“ vorsorglich sich exkulpiert. Während die Philosophie, und später auch mit dem Dogma die Theologie, dieser Autorität sich unterwirft, sie als Maß des eigenen Denkens akzeptiert, ist es die Prophetie, die im „Spruch des Herrn“ die Wolken der Logik der Schrift als Blitz durchschlägt. Erhob nicht der Logos, das „Wort Gottes“, den Anspruch, die Verkörperung dieses „Spruchs des Herrn“ zu sein?
    Wann und in welchem Kontext ist das kreisende Schwert des Kerubs zum zweischneidigen Schwert geworden? Hat das etwas mit dem Ursprung der Weltreiche (und mit dem Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat) zu tun?
    Im Begriff der Spekulation steckt ein dezisionistisches Element (wie in seiner Anwendung aufs Geldgeschäft ein schicksalhaftes): das Abbrechen der Reflexion. Es käme darauf an, auch die Spekulation (und ihr Produkt, das Absolute) der Reflexion zu unterwerfen.
    Das Absolute ist der Korken auf der Flasche, in der der Geist gefangen ist.
    Wie sind Deklination und Konjugation auf einander bezogen, verhalten sie sich nicht invers zu einander? Diese inverse Beziehung begründet das projektive Element (das Moment der logischen Selbstbegründung) der Sprache: die Deklination lähmt die Sprache, die Konjugation macht sie blind. Die „verandernde Kraft“ des Wortes „ist“, der Kopula, gründet darin, daß sie das verbale Element (den Ausdruck der Tätigkeit) in ein begriffliches umformt, es zu einer dinglichen Eigenschaft des Subjekts macht. Das Sein verwandelt das Handeln in ein Geschehen (macht die Ethik zur Ontologie).
    Drückt nicht die Beziehung der beiden Dreiecke im Bild des Sterns der Erlösung, der am Ende als Antlitz sich enthüllt, die Beziehung von Deklination und Konjugation aus (läßt die Beziehung von Deklination und Konjugation am Angesicht sich ablesen)?
    Eine der wichtigsten Funktionen der Logik der Schrift (der Urteilslogik) ist die ihr einbeschriebene Exkulpationsautomatik (Zusammenhang der Grenze der Beweislogik mit dem Schuldverschubsystem).
    Die Urteilslogik ist der Kern der Logik der Schrift; in der Objektivität hat sie sich mit den subjektiven Formen der Anschauung verankert.
    Die christliche Theologie hat die Kritik der Logik der Schrift selber wieder der Logik der Schrift unterworfen.
    Der Zusammenhang der Offenbarung mit der Kritik der Logik der Schrift manifestiert sich im Namen der „hebräischen“ (Schrift)-Sprache. Zum Kontext der Kritik der Logik der Schrift gehören insbesondere die Symbole der Schlange, des Kelches und später auch des Kreuzes (bezieht sich nicht das Kreuzessymbol auf das Deklinationssystem?).
    Liegt das Konstruktionsprinzip des Turmbaus zu Babel in der Logik der Schrift?
    Die Naziparole „Blut und Boden“ hat ihren Grund in der mythisierten (heroisierten) Opfertheologie, sie ist eine Konsequenz aus der Subsumtion der Opfertheologie unter die Logik der Schrift.
    Das „Praestet fides supplementum, sensuum defectui“ ist der genaueste Ausdruck der Rezeption des Dingbegriffs in der Theologie. Das Ding ist kein Gegenstand der Sinne, sondern Produkt der projektiven Kraft der transzendentalen Logik. Die katholische Theologie hat sich bis heute aus diesem Bann nicht befreien können.
    Sprache und Gestik: Deutsch wird mit der Hand in der Hosentasche gesprochen (sie ist gefangen in ihrer reinen Sprachlogik); das wäre in keiner der romanischen Sprachen möglich (die ohne ihre sinnliche Realisation stumm wären). Der Ursprung des Deutschen liegt in der Kanzleisprache, die Luther zur Sprache der Bibel gemacht hat. Der Versuch, in der deutschen Sprache aus der Sprachlogik auszubrechen, führt direkt in den Kannibalismus (Hitler), während er in der italienischen Sprache in die Operette führt (Mussolini).
    Die deutsche Sprache ist die Sprache des „Grauens um und um“, erkennbar an der Funktion und grammatischen Ausgestaltung des bestimmten Artikels.

  • 11.9.1994

    „Männer beten für das Ende der Sünder; Frauen für das der Sünde – nur so geschieht die Umkehr der Sünder.“ (b Ber 10a, zit. nach L. Schottroff, S.170, Anm. 269) – Ist das Patriarchat der genaueste Ausdruck der Logik der Schrift?
    Die Schrift ist das Medium des Denkens anderer; darin aber gründet die Logik des Urteils, die mit der Schrift entspringt und im Weltbegriff sich entfaltet. Kern der Logik der Schrift ist die Urteilsform. Die Unfähigkeit zu kritischer Kommunikation gründet in der autoritären Beziehung zur Schrift, in der die Schrift (und mit ihr die Welt) anstatt zum Feld der Suche nach der Wahrheit, zum Urteil über den Lesenden/Hörenden („Gehorchenden“) wird. Die erste vergegenständlichte Gestalt der autoritären Beziehung zur Schrift (die erste Objektivierung der Urteilsform) war die Schicksalsidee, während die Prophetie die Kritik der Logik der Schrift in der Schrift gegen die Schrift entfaltet („Spruch des Herrn“). Die zweite Gestalt war der Dingbegriff: Die Objektvorstellung gründet in der Logik der Schrift.
    Kreuzweg: Grundlage der Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie war die Ausblendung des politisch-ökonomischen Hintergrunds und die Fixierung auf das physischen Ereignis.
    Die Philosophie ist die Protokollführung der Herrschaftsgeschichte.
    Wäre nicht das prophetische Votum für die Armen und die Fremden heute zu ergänzen durch das Votum für die Frauen? Nur: Während das Votum für die Armen und die Fremden gleichsam ein allgemein-menschliches Votum ist, ist das Votum für die Frauen in erster Linie die eigene Sache der Frauen. Gibt es hier einen Zusammenhang mit dem Becher der Unzucht der Hure Babylon?
    Mit dem Staub, aus dem Adam geworden ist, und zu dem er wieder werden wird, nährt sich die Schlange: Sie nährt damit ihre Klugheit (sie war das klügste aller Tiere des Feldes)?
    Ist nicht der Inhalt des Spekulativen bei Hegel das Selbst: Ist das Absolute nicht der an der Logik der Welt sich spiegelnde Narziss, der autistische Gott?
    Haben die Hegelschen Volksgeister nicht eine Affinität zu den Arten der Tiere, die nach Hegel ein Beweis dafür sind daß die Natur „den Begriff nicht halten“ kann?
    1 Kön 13: Eine hochsymbolische Geschichte (von den beiden Propheten). Beziehungen zum Buch Jonas?
    Ist die Flexion (Deklination und Konjugation) der Gegenstand der Reflexion?
    Durch das System der Deklinationen wird das Wort unter die Herrschaft des Inertialsystems gebeugt (wird die Welt zu „alle(m), was der Fall ist“).
    Zum bestimmten Artikel: Ist der bestimmte Artikel (die demonstrative Beziehung des Begriffs auf sein Objekt) nicht überhaupt der Katalysator der Deklination? Und gehört nicht zu dem et haschamajim w’et ha’arez im ersten Satz der Genesis das tohu wa bohu im zweiten Satz?
    Sprache und Schrift: Verdankt sich nicht die grammatische Durchbildung und Artikulation der Sprache der Schrift? So ist die hochdeutsche Sprache durch die Bibelübersetzung Luthers entstanden (und in unvergleichlicher Weise theologisch instrumentiert worden).
    Die res der lateinischen Sprache ist die res publica. Erst mit der lateinischen Sprache hat die griechische Naturphilosophie ihr Objekt verloren, das sie dann als Theologie wiedergefunden zu haben glaubte. Unterm Zwang der Logik des Weltbegriffs und der Bekenntnislogik ist sie zur Quelle der modernen Naturwissenschaften geworden.
    Erinnert Hegels Begriff des Prozesses nicht sowohl an das procedere, den Fortschritt, als auch an das juristische Verfahren der Urteilsfindung (mit Ankläger, Angeklagtem, Verteidiger, Zeugen und Richter)? Der juristische und der szientifische Beweis haben nicht zufällig den gleichen Namen.
    Hegels Hinweis auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte begründet seine Prämisse, daß es Geschichte erst seit der Geschichtsschreibung gibt. Was als Geschichte vergegenständlicht wird, ist durch die Schrift „ursprünglich“ objektiviert worden: Die Schrift ist der erste Zeuge der historischen Taten und Ereignisse (dem später erst die anderen, dinglichen Zeugnisse der Architektur, der Kunst und der Archäologie zur Seite gestellt werden).
    Bezeichnen die Objekte der Schöpfung: die Himmel und die Erde, die großen Seetiere und am Ende die Menschen, nicht drei Stufen einer Schöpfung, die insgesamt als Abfolge von Katastrophen und Rettungen zu begreifen wäre (und nicht als souveräne Tat eines gewaltigen, allmächtigen Schöpfers)?
    Die drei Leugnungen sind Stufen der Identifikation mit dem Aggressor (die drei Katastrophen, die der Menschwerdung: der Erscheinung des Menschensohns, vorausgehen): Insofern haben sie etwas mit der Beziehung von Lachen und Weinen (er ging hinaus und weinte bitterlich) zu tun.
    Hat Behemoth etwas mit der Geschichte der Hysterie (Christina von Braun: Nicht-Ich) zu tun (das vom Pharao gejagte Chaos-Tier mit im Sklavenhaus heimatloser Barmherzigkeit)?
    Das Gebot der Barmherzigkeit reinigt die Liebe von ihrer Ohnmacht gegen die Verführung durchs Selbstmitleid (im Wunsch geliebt zu werden erstickt die Fähigkeit zu lieben).
    Greuel am heiligen Ort: Die homousia ist die Nadel, mit der der zarte Schmetterling der Gotteserkenntnis aufgespießt, hinter Glas gesetzt und (als verdinglichte Trinitätslehre) dem blinden Anschauen preisgegeben worden ist.
    Sind die subjektiven Formen der Anschauung nicht Produkte der Potenzierung der Verstockung: das eiserne anstelle des hölzernen Jochs (Jeremias und Hananja)? Vgl. das Stichwort „eisern“ in der Stuttgarter Wortkonkordanz, Bibel von A – Z.
    Das Joch symbolisiert sowohl die Last der Herrschaft als auch die des Begriffs: vgl. im NT auch das Kreuz und die Sünde der Welt (Mt 1129.30, Mt 1038 und 1624, Joh 129). Der Weltbegriff „befreit“ von der Last des Joches durchs Schuldverschubsystem (der Weltbegriff ist der Inbegriff der vergesellschafteten Welt). Dagegen richtet sich das Wort von der Sünde der Welt, das zum Nachfolgegebot gehört. Für diese Last gilt das Wort: Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. Vgl. Rosenzweig: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr.
    Herrschaftskritik eröffnet die Erinnerungsfähigkeit und sensibilisiert zugleich (erlöst die Moral vom Bann der Moral).
    Gerichtssprache und Hoffnungssprache sind ineinander verschlungen: Die Hoffnung für die einen ist das Gericht über die andern. Hierzu gehört eine Vorstellung des Jüngsten Gerichts, in der es als Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht zu begreifen wäre. (Vgl. Schottroff, S. 230)
    Die Kopenhagener Schule ist die apokalyptische Weiterbildung der Einsteinschen Prophetie.
    Das Buch des Lebens: Heißt das nicht, daß wir am Ende in der Natur das entschlüsselte Buch der Geschichte lesen werden?
    Der Weltbegriff, Korrelat des Selbsterhaltungsprinzips und Produkt seiner Logik, rückt die Armen, die Fremden und die Frauen ins Dunkel, er ästhetisiert die Geschichte, transponiert sie in den Kontext des Inertialsystems, dem er durchs Relativitätsprinzip verbunden ist, durch das der logische Rahmen der Gegenwart zum Existenzrahmen der so ästhetisierten Geschichte (die Geschichte selbst zu einem Gegenstand der Vorstellung) wird. Der Weltbegriff immunisiert die Geschichte gegen die Erinnerung.

  • 15.8.1994

    Ohne das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das ins Nebeneinander ein Nacheinander hineinbringt, würde es kein räumliches Maß geben.
    Ist nicht die aristotelische Logik eine geometrische (flächenbezogene) Logik, die Hegelsche Logik hingegen eine Logik des Raums, des Inertialsystems?
    Die indogermanischen Sprachen, das indogermanische System der Konjugationen, setzen die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Zeit voraus.
    Hat nicht das Rosenzweigsche Bild der Umkehr, die Aufschließung der verschlossenen Elemente des Mythos, etwas mit dem Versuch, das Zeitkontinuum zu sprengen, zu tun? Vor diesem Hintergrund erweist sich die Sprache als Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung.
    Aus den Neuen Testament wird ein Neuer Bund, wenn wir die Vergangenheit nicht mehr als tot und uns als die Erben dieser toten Vergangenheiten begreifen. Fürs Neue Testament gilt das Wort: Laßt die Toten ihre Toten begraben (Lk 960). – Worauf bezieht sich das „Zurückblicken“ in Lk 962 („Niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes“)?
    Auch die Idee des Absoluten ist – wie die Begriffe des Ganzen und der Teile, der Kraft und ihrer Äußerungen, des Innen und des Außen – ein Reflexionsbegriff: er ist vom Begriff des Relativen nicht zu trennen. Es gibt keine absolute Wahrheit; das heißt aber nicht, daß es keine Wahrheit gibt, sondern nur, daß es in dem Bereich, in dem man von Absolutem sprechen kann, im Bereich des Urteils, keine Wahrheit gibt. Zur Idee der Wahrheit gehört die Reflexion der Urteilsform, die Reflexion des Schuldzusammenhangs dazu, aus dessen Verstrickung die Idee der Wahrheit, die die Idee der Versöhnung mit einschließt, zu befreien ist.
    Das Absolute ist zwar nicht der Gordische Knoten, wohl aber das Resultat des Durchschlagens des Gordischen Knotens. Die erste objektive Gestalt des Absoluten war Newtons absoluter Raum.
    Zu den drei evangelischen Räten:
    – der Gehorsam, der eigentlich das Hören meint, ist die Befreiung vom Bann des Sehens, der Anschauung;
    – die Keuschheit die Befreiung vom Bann der Herrschaft, der Bekenntnislogik;
    – die Armut die Befreiung vom Bann des Geldes.
    Die „Versöhnung über den Gräbern“ ist eine, die die Gräber endgültig schließen und zugleich die Gespenster bannen möchte.
    Das tode ti ist die Sammlung der Stecknadeln, mit denen die Schmetterlinge aufgespießt werden (die Orthodoxie als Schmetterlingssammlung).
    Für die Prophetie waren nur der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns assoziierte Symbole; die Johannes-Apokalypse hat den Becher der Unzucht, der Hurerei hinzugefügt. Liegt hier die Ermächtigung zur materialistischen Bibel-Lektüre?
    Fundamentalismus: Unfähigkeit zur Reflexion der Logik der Schrift. (Die Logik der Schrift transformiert das Verhältnis von vorn und hinten in das von links und rechts, die Unittelbarkeit in das der Reflexion.) Ist der Fundamentalismus das Tier vom Lande (es hat zwei Hörner wie das Lamm und redet wie der Drache)?

  • 27.6.1994

    Gründet der sprachlogische Unterschied zwischen den indogermanischen und den semitischen Sprachen (der Ursprung des Neutrum, der in der biblischen Tradition im Bild der Schlange vorgestellt wird) in der Logik der Schrift? Und wie hängt die „Erfindung der Schrift“ mit dem Turmbau zu Babel zusammen? Hat die babylonische Sprachverwirrung – etwas mit dem Namen des Teufels (des diabolos, des Verwirrers) zu tun und – bezeichnet sie nicht eher eine neue logische Struktur der Sprache als die Ablösung der Sprachen von einer gemeinsamen Ursprache und ihre endgültige Trennung in verschiedene Sprachen? Bezieht sie sich damit nicht auf den Ursprungsakt des Indogermanischen: den Ursprung des Neutrum? Und ist die „Verwirrung“ nicht der Ursprungsort des Schuldverschubsystems im Kern der Srpachlogik: symbolisiert im Kelchsymbol, in der Trunkenheit, im Taumelbecher (Geld, Bekenntnis, Inertialsystem)? Der Staat, die Familie und das Privateigentum gründen in der Logik der Schrift (und darauf beziehen sich die drei evangelischen Räte). Hat der Satz, daß die Gotteserkenntnis am Ende die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken, etwas mit dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ zu tun? Auch beim Exodus aus dem Sklavenhaus des Begriffs werden die Erstgeburten der Ägypter getötet und die Schätze der Ägypter geraubt. Die Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft ist der Grund, aus dem die drei Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt hervorgehen. Repräsentiert nicht das Präfix be- das „hinter dem Rücken“ (bekehren, bekennen, bearbeiten), und gehört es damit nicht zur Ursprungsgeschichte des Neutrums? Und liegt hier nicht der Grund für seine Verwendung als Infinitiv von Sein im Englischen (vgl. Rosenzweigs Hinweis auf die „verandernde Kraft“ des Seins)? Das Hinter dem Rücken ist eine Emanation der Finsternis. Dieser Satz hängt zusammen mit der Objektdefinition (Inbegriff der Nächte, der Finsternisse, die die Schöpfungstage von einander trennen). Was bedeutet im Judas-Brief (wer ist sein Verfasser?) die merkwürdige Stelle, wonach Michael und Luzifer sich um den Leichnam des Moses streiten, und ist diese Stelle eigentlich wirklich damit erledigt, daß man ihre Herkunft angeben kann (nach Origenes aus dem apokryphen Buch „Die Himmelfahrt des Mose“)? Werden nicht durch die Judas-Zitate auch diese „Himmelfahrt des Mose“ und die Henoch-Apokalypse wichtig? Vor allem: Wen repräsentieren hier Michael und Luzifer? Die Dogmengeschichte ist die Geschichte der fortschreitenden Abstraktion vom Zeitkern der Wahrheit (ihrer fortschreitenden „Ent-Prophetisierung“). Diese Geschichte fällt unter das Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“. Das im wörtlichen Sinne „Verrückte“ an der Hegelschen Philosophie liegt darin, daß er in dieser Geschichte der Abstraktion vom Zeitkern der Wahrheit selber wiederum einen Zeitkern entdeckt hat. Das Fernsehen als Säkularisation von Platos Höhlengleichnis. Zu den Summenzahlen: 153 liegt 3×6-1 zugrunde, 276: 4×6-1, und 666: 6×6. Sind Merkur und Venus Sonnenplaneten, Mars, Jupiter und Saturn Mondplaneten? Philosophie als „Eingedenken der Natur“: Läuft das nicht auf den Versuch hinaus, den Wahnsinn, dem die Bewußtseinsgeschichte zusteuert, von innen aufzusprengen? Die Anwendung des Wortes vom Binden und Lösen auf die kirchliche Bußpraxis, auf das Sakrament der Beichte, hat die Logik des Rechts zur Grundlage der Sündenvergebung gemacht, wobei das Grundproblem des Rechts (Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: das Problem der Heuchelei, das Beweisbarkeitsproblem in jeder Urteilslogik) das theologische Verständnis des Bußsakraments nicht unberührt gelassen hat. Hier liegt der Grund für die Probleme, die heute so viele Katholiken mit der Beichte haben (daß das Schuldproblem, das im Namen von Auschwitz sich anzeigt, im Bußsakrament nicht faßbar ist und nicht gelöst wird).

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