Seit ich begriffen habe, daß ich als Christ auch mit dem Martyrium rechnen muß, habe ich die Theodizee nicht mehr verstanden. Ist nicht die Theodizee ein Thema der Täter, die aus den Verstrickungen ihres Selbstmitleids nicht mehr herauskommen, während sie gegen die Leiden ihrer Opfer empfindungslos geworden sind?
Ochs und Esel: Die Verschiebung des Leids ist die Kehrseite der Schuldverschiebung.
Hängt die Beziehung der einen Kirche zu den sieben Kirchen in der Apokalypse (Off 2/3) mit der Beziehung des einen unreinen Geistes, der in die Wüste geht, mit den sieben unreinen Geistern, mit denen er in sein Haus zurückkehrt (Mt 1243f, vgl. 2 Pt 220), zusammen? Und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten: Ist dies der Mensch, auf den sich die Zahl 666 (Off 1318) bezieht?
Heißt Evangelium „gute“ oder „frohe Botschaft“? Und sind nicht beide Bedeutungen ambivalent? Die gute Botschaft ist auf das partikulare Eigeninteresse der Einzelnen bezogen, die frohe Botschaft auf das einer Gemeinschaft, der einer angehört (auf das Kollektiv der Lacher). Gibt es nicht gute Botschaften, die von dem Schmerz und der Verzweiflung der Beraubten leben, und gibt es nicht frohe Botschaften, die die Barmherzigkeit durch Lachen über das Schicksal der Unterlegenen revozieren?
Ist nicht der Stern der Erlösung schon ein christliches Buch, auch wenn die Christen bis heute darin sich nicht wiedererkannt haben?
Rosenzweig
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29.3.96
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27.3.96
Beitrag zur Rosenzweig-Kritik: Als Tage des Eingedenkens sind Feiertage Tage der im Bilde der Geschichte als Natur erinnerten Utopie. Weihnachten ist zum Fest des Selbstmitleids geworden, seit die inertiale Gewalt des Tauschprinzips den Fluß der Zeit begradigt, die Staustufen des Eingedenkens beseitigt hat. Seitdem gibt es keine Zukunft mehr.
Sind nicht die weibliche Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt die letzten Staustufen gegen den ungehinderten Fluß der Zeit?
Der Staat entwickelt aus zwei Gründen einen eigenen Selbsterhaltungstrieb: der eine gründet in seiner Beziehung zu anderen Staaten, zur Völkerwelt (das Tier aus dem Meere, der Faschismus), der andere bezieht sich auf die Grundlagen der materiellen Selbsterhaltung seiner Institutionen, auf die Ökonomie (das Tier vom Lande; Stichworte: Währungsstabilität, „Standort Deutschland“). Das prophetische Votum für die Armen und die Fremden bezeichnet aufs genaueste den Widerstand gegen das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande. -
16.3.96
Der „erbauliche Ton“ macht es sich in der Bibel gemütlich.
Der Raum, die Welt und die Logik der Säkularisation.
Definition der Ökonomie: Die, die oben sind, werden von denen, die unten sind, getragen, aber sie sind verblendet von dem Schein, daß die die unten sind, von ihrer Gnade leben. Das Geld stellt die realen Verhältnisse auf den Kopf.
Projektive Natur: Bei Rosenzweig gibt es den Begriff der Natur nur im Kontext der „Vorwelt“. Hier ist sie der logische Grund der Objekte des Nicht-Wissens, der aber in der Umkehr (im Kraftfeld der Schöpfung, Offenbarung, Erlösung) sich auflöst. Der Begriff der Umkehr bei Rosenzweig wäre ohne den Naturbegriff gegenstandslos.
Die ezechielische Individualisierung der Schuld ist nicht identisch mit der juristischen, mit dem Begriff der Person; sie schränkt den Begriff der Schuld nicht ein, sondern erweitert ihn: sie ist die messianische. Nach Ezechiel hat jeder die Verantwortung nicht nur für sein eigenes Tun und Lassen, sondern für das Ganze.
Erinnert nicht der Begriff der Zunge bei Jakobus an die Feuerzungen des Pfingsttages?
Ist nicht der Name des Petrus griechischen und der des Paulus lateinischen Ursprungs?
Die Nichtobjektivierbarkeit des Antlitzes des andern ist die Widerlegung der subjektiven Formen der Anschauung.
Haben Rechnen und Linken etwas mit rechts und links zu tun?
Heidegger, das war der katastrophische Einsturz der Philosophie, die Wahrheit des Urknalls, der am Ende sein wird und eigentlich eine Implosion beschreibt. Heidegger hat den Weg freigemacht zu jenem Mißbrauch der Naturwissenschaften, in dem die Theologie verbrannt ist. Ist die Fundamentalontologie nicht das Feuer, das Jesus vom Himmel holen wollte, und er wollte, es brennte schon; nur daß es zu diesem Feuer erst wird, sobald es das Bewußtsein seiner selbst gewinnt.
Das Angesicht, der Name und das Feuer: Beziehen sie sich nicht auf die Rettung des Sinnlichen, der Kritik und der Erlösung (Sündenvergebung und Befreiung durchs Auf-sich-Nehmen der Schuld)?
Ist das Angesicht Repräsentant der Kritik der Ästhetik (der Kritik der Urteilskraft), der Name Repräsentant der Kritik der Logik (der Kritik der reinen Vernunft) und das Feuer Repräsentant der Kritik der Ethik (der Kritik der praktischen Vernunft)?
Es gibt nicht nur eine transzendentale Logik, sondern es gibt drei Logiken, die in einander wie die drei Dimensionen des Raumes sich reflektieren. Zentren der drei Logiken sind der Raum, das Geld und das Bekenntnis (die „Weltanschauung“).
Wie hängen die drei Dimensionen des Raumes, das Vorne-Hinten, Rechts-Links, Oben-Unten, mit den drei Modi der Zeit: mit Dauer, Folge und Zugleichsein, und wie hängen beide mit den drei Totalitätsbegriffen der kantischen Philosophie, mit dem Wissen, der Natur und der Welt, zusammen? -
2.3.96
Der Positivismus, der nicht nur eine „Richtung“ in der Philosophie, sondern die herrschende Tendenz des Wissenschaftsbetriebs heute insgesamt bezeichnet, ist das Instrument der Rückbildung der organisierten Erkenntnis ins Anorganische. Schlimm ist nicht diese Rückbildung, sondern die Unfähigkeit ihrer Reflexion. Genau dadurch aber unterscheidet sich beispielsweise Mach (und auch wiederum Wittgenstein) vom Wiener Kreis, daß sie ernsthaft daran sich abgearbeitet haben, den Vorgang bewußt zu machen, während der Wiener Kreis sich offensichtlich gern als Kommandoebene des Positivismus etabliert hätte. Gleicht er darin nicht der Intention und der Funktion des Neoliberalismus in der Ökonomie? Hier liegt nicht die Wurzel des „Kausalitätsproblems“: Als Apologet des kapitalistisch organisierten Eigeninteresses, in dessen eingeschränktem Wahrnehmungsfeld er selbstverständlich von der Geltung des Kausalprinzips ausgehen muß, muß er, um das hypostasierte Eigeninteresse irritationsfrei zu halten, zugleich versuchen, die Anwendung des Kausalprinzips auf die Erkenntnis der objektiven, gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge und Folgen des Handelns zu unterbinden, was am einfachsten durch Verschiebung von der Ökonomie auf die Physik, die ohnehin zur Metaphysik der Ökonomie geworden ist, möglich ist (die Vernebelung der ersten Natur macht auch die zweite unsichtbar, wobei als sicherstes Mittel der Vernebelung immer noch die Verdinglichung logischer Sachverhalte sich erweist).
Verwaltung gründet in der Umformung von Exkulpationsmechanismen in Handlungsmechanismen. Sie liefert das Modell subjektlosen Handelns: Man tut seine Pflicht, weiß aber nicht mehr, was man tut.
Definition der Verwaltung: Der Bock als Gärtner.
„Leistung muß sich wieder lohnen“: Die Kehrseite des staatlichen Sparzwangs, der neben dem Sozialbereich insbesondere die Verwaltung trifft, ist der unaufhaltsame Verschwendungstrieb derer, die davon profitieren. Dort, wo die Leistung nur noch am Verdienst gemessen wird, sind die Besserverdienenden eo ipso auch die Leistungsträger (auch ein Problem der Beweislogik).
Das unterscheidet den Gehorsamen vom Hörenden, daß der Gehorsame die Verantwortung an den Herrn abgegeben hat: an das blinde Gesetz, das die Welt beherrscht, während der Hörende sein Handeln in die eigene Verantwortung übernimmt.
Das Schuldverschubsystem ist das Resultat des widersinnigen Versuchs, Barmherzigkeit zu delegieren. Barmherzigkeit ist die Substanz der Autonomie, sie ist grundsätzlich nicht delegierbar.
Der Beleidigte bleibt in die Infantilität gebannt: Er glaubt an die Kraft des Liebensentzugs.
Das kopernikanische System ist der kosmische Reflex (und die kosmische Legitimation) des Selbsterhaltungsprinzips und der staatlich organisierten Gesellschaft von Privateigentümern (aus der das Proletariat definitionsgemäß herausfällt).
„Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße“: Den ersten Teil dieses Satze zitiert auch Jesus (Mt 2322) in einem gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten gerichteten Text über das Schwören (das Schwören beim Tempel, beim Altar, beim Himmel).
Kant hat den Raum als subjektive Form der äußeren Anschauung definiert, Hegel hat diesen Begriff zugespitzt zur Form der Äußerlichkeit. Darin drückt sich der logische Sachverhalt aus, daß alles Räumliche dem Gesetz des Seins für Andere(s) unterworfen ist. Der räumliche Punkt ist das Bild des Objekts: Indem ich eine Sache objektiviere, mache ich sie zu einem Sein für Andere.
Adjektiv (that’s the question): Habermas hat in dem falsch zitierten Adorno-Wort „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“, das vom Original nur durch das Adjektiv „gequält“ sich unterscheidet, das Wort insgesamt verfälscht. Das Adjektiv, indem es dem Objekt eine Eigenschaft beilegt, objektiviert und verdinglicht das Objekt. Erst durch ihre (in den indoeuropäischen Sprachen entfaltete) Steigerungsfähigkeit wird das Adjektiv zum Adjektiv, gewinnt es seine grammatische, die Sprachlogik verändernde Funktion. (Vgl. das tob meod im Hebräischen, das „gut, gar sehr“, und die Rosenzweigsche Bemerkung hierzu, aber auch die merkwürdige Tatsache, daß die Steigerung des Adjektivs „gut“ (und welcher anderen in welchen Sprachen?) in den indoeuropäischen Sprachen von der allgemeinen Steigerungs-Regel abweicht, für die Steigerungsformen neue Stammformen (gut, besser, am besten) genommen werden; vgl. hierzu auch das Problem des Neutrums, seinen Ursprung im Fragepronomen <das keine geschlechtliche Unterscheidung, nur die von Person und Sache kennt, eine Unterscheidung, die im Hebräischen auf den Namen des Himmels verweist> und die hethitische, an die Logik des Fragepronomens anschließende Zwischenstufe der grammatischen Genus-Regelung, die ebenfalls nur die Unterscheidung von Person und Sache kennt (ohne Trennung von Männlichem und Weiblichem): gibt es Steigerungsformen im Hethitischen; wie verhält es sich mit den Personalpronomina – auch im Hebräischen? Wo entspringt das „Wie“, der mit der Steigerung sprachlogisch verbundene Vergleich, der im Deutschen an die weibliche Form des bestimmten Artikels <an das „die“, so wie Wer an „der“ und Was an „das“> erinnert? – Vgl. hierzu die Hypostasierung der Frage im Begriff der Judenfrage, der Seinsfrage, schließlich der Frage überhaupt, die bei Heidegger gleichsam durch Redundanz zum Grund der Eigentlichkeit metaphysisch aufgeladen wird: Ist „die Frage“ die letzte Gestalt des Wassers, mit dem die Philosophie einmal begonnen hat? Sind die Seinsfrage, die Judenfrage, die Frauenfrage u.ä. die schwarzen Löcher der Grammatik?).
Wie verhält sich die Frage zu den sprachlogischen Formen der Konjugation (zu den Dimensionen der Zeit, zur Abtrennung des Handelns vom Subjekt)? Wie verhalten sich Frage und Problem? Was bedeutet der Ursprung des Wissens für die Geschichte des Begriffs der Frage? In welche Engführung bringt der Weltbegriff den Begriff der Frage? Wodurch unterscheiden sich Frage und Problem (Antwort und Lösung), und wie verhalten sich das Binden und Lösen zu Frage und Problem? -
16.2.96
Franz Rosenzweig hat einmal die Frage nach dem, was der modernen Technik in der antiken Welt entspricht, mit dem Hinweis auf die Rhetorik beantwortet. Der Instrumentalisierung der Dinge (der Natur) in der modernen Welt entspricht demnach die Instrumentalisierung der Sprachen in der alten: der Ursprung des Neutrum und Bindung der Konjugation der Verben an die Zeit. Hat nicht der Weltbegriff diese Instrumentalisierung der Sprachen (ihre grammatische Organisation und Entfaltung und ihre Reflexion) vollendet und besiegelt?
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11.2.96
Kants Kritik des apagogischen Beweises ist ein Versuch, die Gemeinheitslücke zu schließen. Diese Lücke ist heute zum offenen Scheunentor, zum Schlund, zum Abgrund geworden.
„Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“: Ist das nicht das Lied der Bekenntnislogik? Kommen in der Schrift Fahnen vor, und seit wann gibt es Fahnen (lt. Meyers Taschenlexikon, Bd. 6, S. 315, „als Kampf- und Siegeszeichen und als Herrschaftssymbol schon den altorientalischen Völkern, den Römern, Germanen und Arabern bekannt“)? Sind Fahnen nicht Einheitssymbole, und gehört dazu nicht der Satz, daß die Wasser am Ort Eins sich sammeln, und neutestamentliche Beelzebub-Geschichte, wonach die Einheit ein Indiz des Reichs des Beelzebub ist (das „zerfällt, wenn es mit sich uneins wird“, während das Himmelreich verschiedene Wohnungen in sich enthält)?
Der Topos „zur Rechten Gottes/des Vaters“: Wer sitzt wem zur Rechten? Sind die Formulierungen gleichlautend, welche Unterschiede gibt es, in welchen Konstellationen?
„Meine Rechte möge verdorren, wenn ich Dein vergesse, Jerusalem“ (Ps 1375): Ist die Kirche die verdorrte Rechte (Barmherzigkeit, Feigenbaum?), und der Staat der einarmige Bandit (der linkshändige Benjaminite)?
Rätselhafter Hebräerbrief, seine ungeheuerliche ambivalente Symbolik: Hat er nicht das Christentum durch Rejudaisierung antijudaistisch gemacht? Hier taucht zum erstenmal der Begriff des (alten und neuen) Testaments auf, der den des Bundes ersetzt; und das mit dem Hinweis, daß ein Testament Rechtskraft erst mit dem Tod des Erblassers erlangt (und daß das alte mit dem neuen „veraltet“ ist). Heißt das nicht in letzter Konsequenz, daß Israel am Kreuz gestorben ist? Ist nicht der Hebräerbrief, und sind nicht in seinem Licht erst die Paulus-Briefe die Grundlage der Väter-Theologie (und trennt nicht der Hebräerbrief die Paulus-Briefe von den Pastoralbriefen)? Das Neue Testament ist nicht der neue Bund.
Ist nicht der Hebräerbrief das Paradigma der Verinnerlichung des Opfers, und ist er nicht das Paradigma der Ursprungsgeschichte des Symbolons?
Gehört nicht der Hebräerbrief zum Verständnis der Wendung „zur Rechten“ (hier heißt es „zur Rechten der Majestät <megalosyne>“)? Aber ändert sich nicht der Sinn des Hebräerbriefes, und mit ihm der Sinn der gesamten christlichen Theologie, im Lichte des Rosenzweigschen Satzes, wonach Gott „nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen“ hat. -
3.2.96
Das Cliché von der „postmodernen Beliebigkeit“ trägt aufs deutlichste projektive Züge: Die Informationsgesellschaft zementiert das Bestehende und macht jede Kritik zur Meinung, zu etwas Subjektivem, Beliebigem. Objektiv ist nur das, was ist, worüber man andere (wertneutral) informieren kann. Ist nicht das Konstrukt des „kommunikativen Handelns“ ein Haus der Beliebigkeit? Fehlt nicht im Begriff des „herrschaftsfreien Diskurses“ die Reflexion auf die Außenbeziehungen der Gründe und auf die Außenwirkung seines Ergebnisses, müßte nicht die Herrschaftsfreiheit des herrschaftsfreien Diskurses auch diese Außenbeziehungen mit einbeziehen? Jeder reale Diskurs (jedes Gespräch am Bankschalter, im Büro des Chefs, im Amtszimmer einer Verwaltung) bezieht sich auf Sachverhalte, die bis in die innerste Struktur hinein durch Herrschaftsbeziehungen bestimmt sind, und in der Regel sind es diese Herrschaftsbeziehungen, die das Ergebnis des Diskurses bestimmen. Aber auch der herrschaftsfreie Diskurs am Stammtisch kann durchaus diskriminierende Außenwirkungen, etwa eine Ausländerhatz, zur Folge haben. Die Logik des herrschaftsfreien Diskurses schließt das Vorurteil nicht aus.
Die subjektive Form der äußeren Anschauung verwandelt die Natur in Ausland (die der inneren Anschauung transformiert ihre Objekte ins Vergangene).
Enthält nicht der Satz aus Hegels Rechtsphilosophie, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, um der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, die Begründung der Notwendigkeit des Strafrechts und der Knäste, ist er nicht ein Produkt der Säkularisation der Höllenvorstellung?
Die positivistische Subjektivierung der Kritik ist die letzte, sprachlogische Konsequenz aus der Subjektivierung der „Sinnesqualitäten“, der „Empfindungen“.
Seid vollkommen, wie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist: Hängt die Bedeutung dieses Satzes nicht vom Verständnis des perfectum ab, davon, ob das perfectum als vergangenes Sein oder als vollendete Handlung verstanden wird? Müßte es nicht heißen: Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen sein wird?
Wer das perfectum ins Vergangene transformiert, muß dann auch das perfectum wiederum als Vergangenes reflektieren, und zwar sowohl als Plusquamperfekt, als Vorvergangenheit, wie auch als Futur II, als zukünftige Vergangenheit. Ist der Schritt vom Plusquamperfekt zum Futur II der Schritt von der griechischen zur lateinischen (von der dogmatischen zur postdogmatischen) Sprachlogik?
Apokalyptische Sprachlogik: Wenn der Drache (die Schlange) das Neutrum ist (das Präsens der vollendeten Vergangenheit: Kristallisationskeim der verdinglichten, instrumentalisierten Welt), ist dann das Tier aus dem Meer das Plusquamperfekt und das Tier vom Lande (der falsche Prophet) das Futur II?
Mein ist die Rache, spricht der Herr: Im Licht des Ewigen ist die Justiz das Verbrechen, das zu verfolgen sie vorgibt.
Der Knast ist das Produkt der Identifizierung des Plusquamperfekt mit dem Futur II, das Inertialsystem das logische Abbild des Knasts: Die Vorstellung des leeren Raumes verbindet die Offenheit der Zukunft mit dem Nichtsein des Vergangenen.
Ist der leere Raum das Realsymbol des Rosenzweigschen Nichtwissens, und sind die Gegenstände des Nichtwissens (Gott, Welt, Mensch) die Namen des Nichtobjektivierbaren, des nicht unter die Vergangenheit Subsumierbaren? -
27.1.96
Horror vacui: In der Vorstellung des leeren Raumes vereinigt sich die Offenheit der Zukunft mit dem Nichtsein des Vergangenen. Oder anders: Der leere Raum ist die gegenständliche Verkörperung der Vorstellung, daß die Zukunft durch Verdrängung der Vergangenheit sich eröffnen läßt. Die Logik dieses in der Raumvorstellung geronnenen Verfahrens ist durchs Dogma, durch die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes Jesu, vorgebildet worden.
Gibt es eine ökonomische Entsprechung des horror vacui, und wäre er nicht in der Logik und Funktion der Banken zu suchen (oder, in der Vorgeschichte der Banken, in der des Tempels im Bereich der Tempelwirtschaft; hängt hiermit die Funktion des Tempels in der Ursprungsgeschichte der Kosmologie zusammen, der Tempel als Abbild des Kosmos)?
Was bedeutet es, wenn im zweiten Schöpfungsbericht die Reihenfolge des Geschaffenen umgekehrt wird, wenn das „im Anfang schuf Gott (Elohim) den Himmel und die Erde“ transformiert wird in den Satz „zur Zeit, da Gott der Herr (Elohim JHWH) Erde und Himmel machte“? Zu dieser Transformation gehört im einzelnen
– die verändert Name des schaffenden Subjekts: die Differenz Elohim/Elohim JHWH,
– der Fortfall des bestimmten Artikels (bei den geschaffenen Objekten) nach Umkehrung der Objektfolge,
– die Änderung der Benennung des Tuns von Schaffen ins Machen und
– die Änderung der Zeitbestimmung vom absoluten „Im Anfang“ zum relativen „Zur Zeit, da …“.
Im Selbstmitleid, das heute als fast unausweichlich sich erweist, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, manifestiert sich die eigene Ohnmacht; oder genauer: Im eigenen Selbstmitleid manifestiert sich das Selbstmitleid und die Ohnmacht der Andern und darin die eigene Ohnmacht.
Es gibt einen Atheismus, der mit der Leugnung Gottes die Menschheit verrät.
Gotteserkenntnis ist ein notwendiges Sinnesimplikat einer Erkenntnis, die die Reflexion auf die Asymmetrie, die unaufhebbare Differenz zwischen mir und dem Andern, in sich mit aufgenommen hat: den Einspruch gegen einen Universalismus, der es sich zu leicht macht, der nur den Weg des geringsten Widerstands wählt und um der Erkenntnis willen die Welt verrät (ist der Habermassche Universalismus – ähnlich dem der Naturwissenschaften, dem er nacheifert – nicht ein auf den Kopf gestellter Fundamentalismus?).
Die kantische Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung (weshalb sie „gleichwohl objektiv“ sind) schließt die Frage nach dem Grund der Vorstellung mit ein, weshalb es eine Natur gibt, die ohne uns da ist. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Verinnerlichung des Opfers, des Opfers des Selbst an die ohne dieses Opfer nicht bestehende Natur.
Es gibt einen sehr tiefsinnigen Hinweis auf das Problem Kants in der Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung: die Hegelsche Bemerkung, daß der Begriff der Geschichte sowohl die Geschichtsschreibung als auch die Geschichte als Inbegriff der historischen Ereignisse selber bezeichnet. – Bezeichnet nicht Rosenzweigs Konzept des Sterns der Erlösung genau den Punkt, an dem er den Bann des Historismus bricht (das logische Problem der historischen Gegenständlichkeit in den Blick rückt)?
Das Moment der Selbsthistorisierung, der Selbstobjektivation, das in der Berufung auf das Urteil der Geschichte steckt, begründet und rechtfertigt die Politik des Nichthandelns, des Aussitzens. Der gleichen Politik, die durch die „Wiedervereinigung“ in den Schein einer historischen Bestätigung gerückt worden ist, die sich selbst dementiert (die „Wiedervereinigung“, die das Ergebnis des verlorenen Krieges revidiert, ist das reallogische Pendant eines Krieges, der nicht mehr durch einen Friedensschluß beendet werden konnte).
Israel ist die Verkörperung des Baums des Lebens in einer Geschichte, die durch den Baum der Erkenntnis und den Sündenfall determiniert ist.
Das Wort „Richtet nicht …“ wäre heute zu ersetzen durch das „Verurteilt nicht, auf daß ihr nicht verurteilt werdet“: durch die Kritik des Objektivationsprozesses insgesamt.
Das „Richtet nicht …“ ist ein Einspruch gegen das Hegelsche Weltgericht. -
24.1.96
Wenn die Welt schlecht ist, ist alles erlaubt, was nicht durch Gesetz verboten ist. Die Unlösbarkeit des Beweisproblems begründet den Satz, daß man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen. Bestraft wird das Erwischtwerden (die Nachweisbarkeit), nicht die Tat. Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand (weil sie aus beweistheoretischen Gründen rechtlich nicht fassbar ist: sie liegt außerhalb der Grenzen des Erwischtwerdenkönnens). In diesem Kontext, nämlich auf der Grundlage der Instrumentalisierung der Grenzen der Beweisbarkeit, ist die Logik, die in Staatsschutzprozessen den Angeklagten zum Feind, die Verteidiger zu Parteigängern des Feindes und die Besucher zu Sympathisanten macht, rekonstruierbar.
Bei Habermas findet sich ein sonst nur in den Medien gebräuchlicher Genitiv nach „gemäß“: „Diese (sc. Systemdifferenzierung, H.H.) wiederum legt er sich gemäß seines Vierfunktionenschemas zurecht, …“ (Bd. 2, S. 426). Dieser Genitiv ist ein Symptom der Objektsprache, der Verdrängung des Freiheitsraums, den die Sprache eröffnet, der Zernichtung der benennenden Kraft der Sprache, der Trennung von objektiver Welt und subjektiver Meinung (von Realität und kommentierendem Raisonnement). Zerstört ist die Kraft des Namens: Hier wird der Atheismus zum Prinzip der Selbstzerstörung der Erkenntnis.
Wenn irgend etwas, so beweist die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns die Notwendigkeit kritischer Selbstreflexion der Wissenschaft. Hierbei wäre zu demonstrieren, daß und auf welche Weise der vergegenständlichende Blick (die subjektiven Formen der Anschauung) idealisierend wirkt, d.h. die Theorie von ihren realen Wurzeln trennt. Gründet nicht darin die Notwendigkeit der Theologie, und zielt nicht die Rosenzweigsche Darstellung der wechselseitigen Begründung von Philosophie und Theologie, sein Nachweis, daß die Philosophie um des Objekts willen der Theologie bedarf, auf diesen Sachverhalt?
Wissenschaftskritik: Die Habermassche Theorie bezieht ihre Namenskraft nicht aus den Objekten, auf die sie sich bezieht, sondern aus dem Verfahren und aus der Vorgeschichte, in denen diese Objekte sich konstituieren. Es gehört zu Habermas‘ Instinkt, an die allerdings seine Einsicht nicht ganz heranreicht, wenn er in der Konstruktion seiner Theorie eigentlich sehr deutlich zu erkennen gibt, daß das politische Subjekt dieser Theorie die amerikanische Weltmacht ist. So war es ihm möglich, den Anschluß an die bundesrepublikanische Wirklichkeit über sein Konstrukt des „Verfassungspatriotismus“ ins Bekenntnishafte zu transformieren. Es war die Bekenntnislogik, die zwar „klare Verhältnisse“ in der Theorie geschaffen, dafür aber die „Neue Unübersichtlichkeit“ der Wirklichkeit begründet, die den Erkenntnisanspruch der Theorie verwirrt hat.
Ist das Grundgesetz nicht in der Geschichte seiner Änderungen immer realitätsferner, immer bekenntnishafter geworden, bis hin zum Asylrecht, in dem die in den Artikel 16 neu eingefügten Bestimmungen dessen ersten Satz außer Kraft gesetzt haben. (Interessant und wichtig wäre eine Geschichte der Grundgesetzänderungen, in der im einzelnen die Anlässe und die Gründe der Änderungen chronologisch und im Kontext einer kritischen Geschichte der Bundesrepublik entfaltet würden.) Inzwischen hat die bundesrepublikanische Realität das (nicht zuletzt durch den Begriff des „Verfassungspatriotismus“) zum bloßen Bekenntnis depotenzierte Grundgesetz längst besiegt.
Ein anderes Paradigma für die politische Wendung der Bekenntnislogik in der Bundesrepublik ist die fatale Geschichte der „Wiedervereinigung“, ein Beispiel dafür, wie aus einem Lippenbekenntnis, an dessen Realität bis unmittelbar vor dem Eintritt des Ereignisses, niemand, am wenigsten die, die dieses Bekenntnis immer im Munde führten, geglaubt hat, „wie durch ein Wunder“ (ein Stichwort dafür war „Wahnsinn“) Realität geworden ist.
Es gibt eine Theologie hinter dem Rücken Gottes, aber gibt es auch eine Theologie im Angesicht Gottes, würde diese nicht aufhören, Theologie zu sein? In einer Theologie im Angesicht Gottes wäre Gott kein Objekt mehr, diese Theologie wäre der Anfang der Heiligung des Gottesnamens. Das Problem gleicht dem der Naturphilosophie, die erst sich erschließt, wenn die Natur nicht mehr als Natur, wenn sie nicht mehr als Objekt begriffen wird.
Ist der Objektbegriff, der sich der objektiven Erkenntnis in den Weg stellt, die „Pforte der Hölle“, von der es heißt, daß sie sie (die „Kirche“) nicht überwältigen werde?
Zu Rosenzweigs Kritik des All: Verweist der Begriff des Allgemeinen nicht auf das All als die Wurzel des Gemeinen?
Bezieht sich nicht die kopernikanische Geldtheorie auf ein Problem der Inflation: auf die Frage, wie es möglich ist, Realwert und Nominalwert der Münze (ähnlich wie die Maße der Entfernungen in unterschiedenen Dimensionen des Raumes) dauerhaft zur Deckung zu bringen? Und hängt dieses Problem nicht in der Tat zusammen mit der astronomischen Lösung des Problems der Planetenbewegung durch Substitution eines einheitlichen Raumes im heliozentrischen System?
Was ist der Unterschied zwischen den biblischen Namen für Erde und Land? Das „Trockene“ ist die logische Opposition zum Wasser. Steckt nicht im Namen der Erde die Beziehung zum Himmel, in dem des Landes (des Namens für das Trockene) hingegen die zu anderen Ländern? Das Trockene ist das, was dann „sichtbar“ wird. Für wen wurde es sichtbar, nachdem Tiere und Menschen erst am fünften und sechsten Tage erschaffen wurden? Begleitet nicht das Sehen Gottes die ganze Schöpfungsgeschichte („und Gott sah, daß es gut war“, ein Satz nur am zweiten Tag fehlt, als Gott die Feste schuf, die er Himmel nannte). Aber Gott sah nicht „in dem“ Licht, das er am ersten Tag geschaffen hat, sondern er sah „das“ Licht. Gehört in dieses Sehen Gottes nicht auch der Begriff des Ebenbildes: Sieht Er sich in diesem Ebenbild nicht selbst? Zum Sehen aber gehört auch das Werk des ersten Tages, das Licht und seine Unterscheidung von der Finsternis, die nur fürs Sehen gilt.
Mit dem Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand hängt es zusammen, wenn Verbrechen (strafrechtliche Tatbestände) in letzter Instanz keine tatbezogenen, sondern beweisbezogene Tatbestände sind. Die Nachweisbarkeit ist rechtssystemisch ein Konstituens des Verbrechens. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Konstruktion synthetischer Urteile apriori im Recht (vgl. Lyotards Bemerkung zum Zeugenproblem im Kontext des „vollkommenen Verbrechens“, das kein Verbrechen mehr ist, weil es mit den Opfern auch die Zeugen „aus der Welt schafft“: Gehört nicht die Vorstellung einer Natur, die unabhängig von den Menschen da ist, zu dieser Vorstellung eines vollkommenen Verbrechens, ist nicht der Weltbegriff selber die Verkörperung des vollkommenen Verbrechens?). -
20.1.96
Die Formalisierung der Logik ist der Versuch, auch die Logik noch zum Gegenstand der transzendentalen Logik zu machen und logische Zusammenhänge durch (subjektunabhängige) Kausalzusammenhänge zu ersetzen (bezieht sich hierauf die habermassche Kritik der „Bewußtseinsphilosophie“?). So wird die transzendentale Logik zu einer Naturkraft, die als gegeben hinzunehmen ist, wobei die Kausalität abgespalten und aus einem erkenntnisbegründenden logischen in einen objektiven empirischen Sachverhalt transformiert wird (so auch Habermas, Bd. 2, S. 2??). Dem entspricht die Gegenprojektion (S. 234), die mythisches Denken reproduziert, indem sie die mythische Naturmetaphorik durch eine technologische (informationstheoretische) Metaphorik ersetzt, informationstheoretische Kategorien zur Darstellung stammesgesellschaftlicher Strukturen verwendet. Anstatt gesellschaftliche Verhältnisse in Naturkategorien zu begreifen, werden technologische Kategorien, die im Zusammenhang der Instrumentalisierung von Naturverhältnissen gewonnen worden sind, zur Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse herangezogen.
Merkwürdige Umkehrung: Habermas‘ „Kritik der funktionalistischen Vernunft“ macht funktionalistische (technologische) Kategorien zum Modell von Rationalität. Die Kategorien, durch die hindurch man die Dinge sieht, werden selbst nicht mehr gesehen, sie werden in den blinden Fleck gerückt.
Das Beweisproblem ist mit der Mathematik (und mit dem Weltbegriff) entstanden, es hat sich entfaltet im Ursprung und in der Ausgestaltung des Rechts (Zeugenregelung).
Unterm Primat des Seitenblicks (des Blicks „von außen“) wird das Angesicht zum Objekt, das nur noch gesehen wird, selber aber nicht mehr sieht. Die Hereinnahme des Seitenblicks (des Blicks des andern, des Zeugen) in das eigene Sehen begründet die subjektiven Formen der Anschauung, das Instrument der Selbstbegründung der intentio recta. Die subjektiven Formen der Anschauen und die intentio recta sind ein Produkt der Vergesellschaftung des Sehens.
Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Entfaltung der Mathematik sich entfaltet haben, sind die Grundlage des mathematischen Beweises, des redundanten, sich selbst begründenden Beweises. Das Grundproblem der Mathematik und der subjektiven Formen der Anschauung ist die Orthogonalität, die Form der Beziehungen der Dimensionen im Raum, die als getrennte Dimensionen durch ihre orthogonalen Beziehungen hindurch sich konstituieren. Ist die Orthogonalität das Instrument der Veranderung, Produkt der Hereinnahme des objektivierenden Seitenblicks?
Der Abstraktionsprozeß, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich herausgebildet haben, wurzelt in der Bekenntnislogik; sie sind das Produkt der Neutralisierung der Bekenntnislogik, der Objektivierung der Verdrängung (Feigenblatt, Umkehrung des Schuldbekenntnisses, Verdrängung der Schuld, Konstituierung des Weltbegriffs). Im Kern der subjektiven Formen der Anschauung steckt die Opfertheologie (Joh 129; die „Entsühnung der Welt“, Teil der Neutralisierung der Reflexion von Herrschaft, gehört zu den Bedingungen der Selbstbegründung des Weltbegriffs).
Habermas hat in den Abgrund geschaut und ist zurückgeschreckt; die Entwicklung seiner Philosophie beschreibt eine Bahn, die als Fluchtbahn vor diesem Abgrund sich bestimmen läßt. Wobei er vergißt, daß es genau diese Flucht vor dem Abgrund ist, die in den Abgrund hineinführt.
Der ungeheuerliche Gedanke Levinas‘, daß das Problem der unendlichen Ausdehnung des Raumes sich im Angesicht des andern löst, ist vorgebildet in der Gesamtkonstruktion des Stern der Erlösung, die nichts anderes ist als die Entfaltung und Durchführung dieses Gedankens.
Kopernikus hat das Wasser und das Feuer im Namen des Himmels, realsymbolischer Inbegriff der Fragepronomina Was und Wer, durch die Beantwortung der Frage nach dem Wie ersetzt. Das heliozentrische System ist der Inbegriff (die erscheinende Totalität) des kontrafaktischen Urteils (der Antwort auf das Wie), das den Himmel erinnerungslos zum Verschwinden gebracht hat.
Was hat die Naturwissenschaft (das kontrafaktische Urteil als Totalität) mit dem Unzuchtsbecher zu tun? Liegt diese Frage nicht schon der Kritik der reinen Vernunft zugrunde (in der im Begriff der Erscheinung die Totalisierung der Frage nach dem Wie und im Ausschluß der Erkenntnis der Dinge an sich der Ausschluß der Frage nach dem Was und Wer sich manifestiert)?
Der Satz Roman Herzogs „Wir wollen das Entsetzen nicht konservieren“ distanziert sich von allen, denen die Schrecken des Faschismus in die Glieder gefahren sind, die das Entsetzen nicht loswerden. Und er macht gemeinsame Sache mit allen, die dieses Entsetzen nie erfahren haben und glauben, es durch Verurteilung des Geschehenen sich vom Leibe halten zu können. Er konserviert die universale Verdrängung, die die falsche Normalität nach dem Kriege ermöglichte. So steht er in der präsidialen Tradition des Begriffs der Kollektivscham. Seit Theodor Heuss diesen Begriff unters Volk brachte, haben die Deutschen gelernt, sich im Blick der andern zu sehen, sind sie von der Frage, was die andern über sie wohl denken mögen, nicht mehr losgekommen. – Welche neue Wendung drückt sich in dem Satz Roman Herzogs aus (der auf die exkulpierende Kraft der Verurteilung, auf das Abwerfen der Scham, auf die neue „Unverkrampftheit“, abzuzielen scheint)?
Wer die „Konservierung des Entsetzens“ (um die es nicht geht, der Ausdruck denunziert nur die Erinnerung) vermeiden will, konserviert das Entsetzen vor dem Entsetzen: die verdrängte Schuldreflexion, die dabei ist, in eine neue Qualität der Wut umzuschlagen.
Die Übertragung der transzendentalen Logik aus dem Medium der Naturerkenntnis in das des Rechts läßt sie nicht unverändert. Die Apriorisierung des Objektbegriffs macht den Angeklagten zum Feind; die transzendentale Ästhetik wird zurückübersetzt in die Bekenntnislogik (der das Feindbild sich verdankt); die synthetischen Urteile apriori werden singularisiert und zurückgeführt auf die reine Verurteilung, ein reines Subsumtionsurteil: unendlich schuldig (die Schwere der Schuld wird unermeßlich). Der Grund der Singularisierung des synthetischen Urteils apriori liegt in der Einheit von Projektion und Schuldverschiebung, die die Apriorisierung des Objekts im Feindbild erst ermöglicht. Die Schwere der Schuld des Angeklagten hat ihr Maß am Gewicht der verdrängten (im Urteil durch Projektion nach außen abgeleiteten) Schuld des Staats, die ihr eigenes Maß an dem sich kontrahierenden Gewaltmonopol des Staates hat. -
16.1.96
Die Schicksalsidee war die erste gegenständliche Verkörperung des Rechtfertigungszwangs. Damit aber gehört der Rechtfertigungszwang auch zu den Voraussetzungen des Begriffs, die in der Folge dann den Begriff zu einem Instrument der Exkulpation durch Schuldverschiebung gemacht hat. Darin gründet die Logik.
Die Idee der Entsühnung der Welt (der Kern des Logozentrismus) ist der Angelpunkt der Zivilisation: Was zuvor das trinitarische Dogma geleistet hat, leisten heute die subjektiven Formen der Anschauung.
Die Bekenntnislogik ist ein Produkt der Vergesellschaftung der Selbsterhaltung (daraus wären die Komponenten der Bekenntnislogik: das Feindbild, das Verrätersyndrom und die Frauenverachtung, abzuleiten).
Schlüsselbegriffe:
– der Weltbegriff und die subjektiven Formen der Anschauung,
– Objektivation und Instrumentalisierung,
– die Bekenntnislogik,
– das Dogma als die Wahrheit des Inertialsystems,
– der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, die Reflexion von Herrschaft,
– die Logik der Schrift,
– die Geschichte der drei Leugnungen, der Kelch (Getsemane),
– die Attribute Gottes (Indikativ und Imperativ),
– das Angesicht, der Name und das Feuer (über das Feuer hängt der Name mit dem Licht zusammen: im Kontext des Begriffs ist der Name ebenso gegenstandslos wie das Licht im Kontext des Inertialsystems – das Hören Seiner Stimme ist das Leuchten Seines Angesichts),
Wichtig der Stellenwert des Naturbegriffs in der Rosenzweigschen Konstruktion der Vorwelt: Er konstituiert sich an der Grenze des Nichtwissens, als die Bejahung dessen, was nicht Gegenstand des Wissens ist (Gott Welt Mensch), während der Weltbegriff in der Verneinung, in der Begrenzung dieses Gegenstands, gründet. Insofern gehört die Welt, die aus dem Nichtwissen hervorgeht, zu den Konstituentien des Wissens. Das aber heißt, daß alles Wissen unter dem Bann des Weltbegriffs steht und erst die Reflexion des Nichtwissens den Blick in die Vorwelt eröffnet.
In welcher Beziehung steht die innere Differenzierung des Naturbegriffs bei Eriugena (die Unterscheidung von schaffender, geschaffener und ungeschaffener Natur) zur Rosenzweigschen Konstruktion?
Adornos Eingedenken der Natur im Subjekt ist die Vorstufe zur Reflexion des („trinitarischen“) Naturbegriffs.
Die merkwürdige Konstruktion im Stern der Erlösung, in dem die Kritik der Geschichtsphilosophie geschichtsphilosophisch begründet wird (wie die Kritik des Systems systemisch).
Eucharistieverehrung: Der Dingbegriff ist der entfremdete, entstellte Statthalter der Barmherzigkeit (das steinerne Herz, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird). Wandert nicht der Objektbegriff im historischen Objektivationsprozeß in ähnlicher Weise durchs System wie die Gebärmutter nach der traditionellen Hysteriekonstruktion durch den Körper der Frau? – Vgl. hierzu die Zitate aus Geschichte und Klassenbewußtsein bei Habermas (im letzten Kapitel des 1. Bandes der Theorie des kommunikativen Handelns).
War nicht der Marxsche Begriff des Proletariats (und die Entfaltung dieses Begriffs bei Lukács) ein Versuch, dem Objektbegriff Subjektqualität zu verleihen?
Ist nicht die Beziehung von Objektivation und Instrumentalisierung ein Hinweis auf die verborgene Beziehung des Objektbegriffs zur Idee der Barmherzigkeit?
Der Objektbegriff ist ein Produkt der projektiven Verarbeitung des Selbstmitleids (und die subjektiven Formen der Anschauung sind die geronnenen Formen dieser Verarbeitung im Subjekt).
Die Differenz zwischen dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ und der „Theorie des kommunikativen Handelns“ läßt sich an der Differenz der beiden zentralen Kategorien festmachen: an der des Raisonnierens und der Rationalisierung. Wie das Raisonnement (die Meinungen und der Stammtisch) zur Information, so verhält sich die Rationalisierung zur „objektiven Welt“ (von der Habermas nicht mehr weiß, ob es die der Natur oder die der Ökonomie ist). Der Fortschritt von seinem Begriff der Öffentlichkeit zum Begriff des kommunikativen Handelns (vom Raisonnement zur Rationalisierung) ist ein Indiz für die überwältigende Macht des Rechtfertigungszwangs, er ist determiniert durch den Zwang, um jeden Preis die Idee einer eingreifenden Erkenntnis auszuschließen (die Idee einer Erkenntnis, die die Objektivität der Lehre gewinnt).
Hat nicht Habermas an der kritischen Theorie sich die Zähne ausgebissen, und jetzt steht er zahnlos da?
Hat die Geschichte von Stephanus und Saulus/Paulus etwas mit der Geschichte von Kain und Abel zu tun? Stephanus sah den Himmel offen und den Sohn zur Rechten des Vaters stehen, Paulus hingegen hatte eine Erscheinung und wurde später (in den dritten Himmel) entrückt (eine Allegorie der Theologie hinter dem Rücken Gottes, die in ihrem Ursprung an dem Tötung dessen, der den Himmel offen sah, teilhat). Ist die Entrückung eine Entrückung aus dem den Himmel öffnenden Angesicht?
Kopernikus oder das heliozentrische System als Reflex der ökonomischen Neutralisierung und Säkularisierung der Astrologie (erst der beginnende Kapitalismus hat die immanente Logik des heliozentrischen Systems begründet und stabiliert).
Wer sich dem Schuldverschubsystem (der Grundlage des Konkretismus, der Verdinglichung und der Personalisierung) überläßt, wird lernunfähig.
Im Begriff der Natur (Produkt der projektiven Leugnung der Barmherzigkeit) hat sich der Begriff des Wissens seine eigene gegenständliche und zugleich apriorische Grundlage geschaffen.
Mit dem Namen des Mutterleibs wird die Berufung des Propheten einem Ort zugewiesen, den der Begriff der Natur (und damit die Philosophie, die mit der Konstruktion dieses Begriffs beginnt) systematisch ausgeblendet, zum Nicht-Ort, zur Utopie, gemacht hat. Die gegenwärtige Abtreibungsdebatte gehorcht den Imperativen des Schuldverschubsystems; sie trifft, wenn man sie beim Wort nimmt, den Naturbegriff und die Philosophie. -
11.1.96
Habermas hat mit dem Begriff der „objektiven Welt“, in dem er Natur und Ökonomie nicht mehr unterscheidet, und nachdem er die Naturwissenschaft aus dem Bereich der philosophischen Kritik herausgenommen hat, auch die Ökonomie der Kritik entzogen. Damit scheint es zusammenzuhängen, wenn er zwar eine Theorie der Argumentation zu etablieren versucht, hierbei jedoch hinter den Stand der hegelschen Reflexion der Dialektik des Grundes zurückfällt und insbesondere das Problem der Beweislogik nicht sieht, nicht erkennt. Die Entfaltung und Bestimmung des Problems der Beweislogik wäre die Basis einer Theorie der Argumentation (der Begründung).
Hier verstellt Habermas sich selbst den Weg zur Erkenntnis der systematischen Bedeutung des Begriffs des Scheins in der hegelschen Logik (aber hätte nicht die Reflexion des Scheins seiner Theorie des kommunikativen Handelns die Grundlage entzogen?).
Die Theorie des kommunikativen Handelns ließe als die letzte Gestalt der Säkularisation des Dogmas sich begreifen. Damit scheint die Wahlverwandtschaft, die insbesondere katholische Theologen zu Habermas zu verspüren scheinen, zusammenzuhängen.
Kann es sein, daß Habermas‘ Begriff der Rationalisierung, der sprachlich auf eine produktive, das Objekt verändernde, nicht auf eine erkennende Tätigkeit verweist, seinen systematischen Grund in Adornos Begriff der Säkularisierung hat. Auch Adorno hatte, als er von der restlosen Säkularisierung aller theologischen Gehalte sprach, deren Selbstaufklärung gemeint, nicht jene Gestalt der Säkularisierung, als welche (im Kontext von Objektivierung und Instrumentalisierung) das Dogma sich begreifen läßt. Ähnlich scheint Habermas seinen Begriff der Rationalisierung verstehen zu wollen, wobei er von den Konnotationen absehen muß, die diesem Begriff z.B. durch die Psychoanalyse zugewachsen sind: Hier bezeichnet er die Rechtfertigung im Kontext von Abwehr und Verdrängung, das genaue Gegenteil der Selbstaufklärung. Verwischen sich in Habermas‘ Theorie nicht in der Tat die Grenzen zwischen Rechtfertigung und Begründung?
Durch die universale Herrschaft des Kausalitätsprinzips, Pendant der Apriorisierung des Objektbegriffs, ist die Logik der Begründung, die Grundlage der Argumentation, vom Objekt getrennt worden, ist sie zu einem Instrument der Rechtfertigung geworden (Propaganda und Reklame sind Anwendungen der transzendentalen Logik der Rechtfertigung). Grund ist die Vertauschung des ex ante mit dem ex post: Die nachträgliche Begründung einer Handlung dient ihrer Rechtfertigung; die Antizipation dieser Rechtfertigung, die das eigene Tun in ein subjektunabhängiges, objektives und neutrales Geschehen verwandelt, gibt sich nur noch den Schein der Begründung, der darüber hinwegtäuscht, daß es in der verwalteten, durchrationalisierten Welt wirkliches Handeln nicht mehr gibt.
Eine Begründung, die mehr sein will als eine antizipierte Rechtfertigung, setzt die Kritik einer Logik voraus, die insbesondere in den modernen Naturwissenschaften sich verkörpert, sie zielt auf eine Rationalität, die dem Bann der Rationalisierung entronnen ist.
Zum Begriff der Herrschaft: Die Idee, daß Gerechtigkeit und Friede herrschen, unterscheidet sich von jedem Begriff einer Weltbeherrschung. Die erste Idee wird in die zweite transformiert, wenn Gerechtigkeit und Friede als Elemente einer Rechtsordnung sich bestimmen.
Habermas verlegt den Ort der Differenz zwischen Wahrheit und Richtigkeit in die Grenze zwischen objektiver Erkenntnis und normativer Geltung. Er vergißt nur, daß Erkenntnis und Geltung sich nicht real so trennen lassen, sondern durch einander vermittelt sind, sich wechselseitig definieren. Jede objektive Erkenntnis erhebt den Anspruch der Geltung für andere, ist durch diesen Anspruch (der in der Kopula des Urteils sich ausdrückt) vermittelt.
Tatsachen, res factae, sind durch Handeln geschaffene Sachen, deren Urheber die Welt, der Inbegriff der Intersubjektivität, ist. Das logisch-reale Organisationsprinzip der Welt aber ist der Staat.
Nur Herrschaftskritik vermag die Theologie aus dem Bann einer Tradition zu befreien, in den sie durch ihre Verstrickung in den historischen Objektivationsprozeß geraten ist. Deshalb gehört zur Herrschaftskritik konstituv Erinnerungarbeit dazu. Mit dieser Erinnerungarbeit hat die Dialektik der Aufklärung den Anfang gemacht.
Hätte Habermas in seine Theorie der Begründung eine Theorie der Kritik mit aufgenommen, so hätte er die hegelsche Logik, nach der, was aus dem Grunde hergeht, auch zugrunde geht, rezipieren müssen. Das aber hätte die Konstituierung einer autonomen Handlungstheorie unmöglich gemacht. Kritik ist Kritik der Ästhetik und der ästhetisch begründeten (transzendentalen) Logik. Kritik heißt, das Bewußtsein der Asymmetrie (die Sprengung der subjektiven Formen der Anschauung) in die Logik hineintreiben. Das setzt die Kritik des Weltbegriffs voraus.
Grundmotive sind Joh 129 (die Sünde der Welt) und die Dt-Stelle über Rind und Esel (Joch und Last).
Mit der säkularen Herrschaftsgeschichte verschiebt sich die Idee der göttlichen Gerechtigkeit in die der Barmherzigkeit. Diese Verschiebung drückt sich trinitarisch in der Idee des Heiligen Geistes (des Parakleten) aus.
Als Hegel glaubte, die Antinomie der reinen Vernunft zum Motor der dialektischen Arbeit des Begriffs instrumentalisieren zu können, hat er die Logik ästhetisiert (und dem Schein das Tor zum Eintritt in die Logik eröffnet).
Ist nicht Herbert Schnädelbach dem Grund dieser Transformation (der Instrumentalisierung der Antinomie der reinen Vernunft) einmal sehr nahe gekommen, als er das Konstruktionsgesetz der hegelschen Dialektik herausgearbeitet hat: die herrschaftslogische Beziehung von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Das erkennende Bewußtsein, dessen Gegenstand das An sich ist, ist selber Gegenstand für ein anderes Bewußtsein, für das, was für das erste Bewußtsein an Sein an sich ist, ein Sein für ein anderes Bewußtsein ist. Diese Struktur wird insgesamt instrumentalisiert (und neutralisiert) durch die Form des Raumes, durch die Form der Beziehungen der Dimensionen (die Form der orthogonalen Beziehungen der Richtungen) im Raum. Die Mathematisierung des Raumes ist das Produkt der Abstraktion von der Selbstbegründung des Raumes.
Es ist das ungeheure Resultat der kantischen Vernunftkritik, daß sie die Form des Raumes als vermittelt durch die subjektive Form der inneren Anschauung, durch die Vorstellung des Zeitkontinuums, begreift. Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ richtet sich gegen die Totalisierung der Totalitätsbegriffe als Folge der Hypostasierung der Zeit (in der Theologie entspricht dem die Verwechslung der Idee des Ewigen mit dem Überzeitlichen: überzeitlich ist die Zeit, das Ewige ist innerzeitlich; deshalb hat die Wahrheit einen Zeitkern).
Die „leeren Blätter“ der Weltgeschichte sind die Blätter des Buches, das im Jnngsten Gericht aufgeschlagen wird (Erinnerungsarbeit versucht, diese „leeren Blätter“ zu entziffern).
Mit dem Begriff der concupiscentia, der Begierde, hat die Theologie von der Vermittlung abstrahiert, der die concupiscentia sich verdankt, zugleich dem einzelnen Subjekt aufgebnrdet, was ebensosehr dem Weltzustand sich aufbürden läßt. Nicht die Begierde ist der Grund des Bösen, sondern die Instrumentalisierung des Triebs, die dem Weltbegriff, der in ihm verkörperten Logik, sich verdankt: der Herrschaftslogik.
Habermas Versuch, die Philosophie durch Konservierung eines Begriffs der objektiven Erkenntnis zu retten, mußte mißlingen, es sei denn, er hätte zur Begründung dieser Objektivität – worauf Franz Rosenzweig erstmals hingewiesen hat – die Theologie zur Hilfe genommen, er hätte Herrschaftsreflexion und Reflexion der Sprachlogik zum Organ der Philosophie gemacht. Die logische Konsequenz wäre die Neubegründung der Namenslogik (die Logik der „Heiligung des Gottesnamens“) und die Kritik der erkennenden Kraft des Begriffs gewesen. Die Idee der Heiligung des Gottesnamens ist das Feuer, das die eherne Zwangslogik des Begriffs schmilzt (vgl. den Eisenschmelzofen Ägypten) und das Licht der erkennenden Kraft des Namens befreit.
Im Kontext der Kritik des Begriffs als Herrschaftskritik gewinnt die realsymbolische Erkenntnis ihre Kraft.
Was bedeutet „triftig“ und welche Sprachwurzel hat dieses Wort (abgeleitet von „treffen“)?
Wolfgang Pohrt: Theorie des Gebrauchswerts. Erster Eindruck: Triumph des Besserwissens. Er genießt die Genugtuung darüber, daß, wenn sich schon nichts ändern läßt, er es wenigstens im voraus gewußt hat. Er weiß, daß alle als Marionetten des gleichen Systems figurieren, dessen Urheber sie zugleich sind, und er weiß zugleich, daß dieses Wissen unwiderlegbar ist (so wird die negative Dialektik zu einer Spezialität der transzendentalen Logik, eines Systems apriorischer Urteile, die er wie ein Hagelgewitter auf die apriorischen Objekte dieser Logik herunterprasseln läßt. Der Prophet als Richter ist ein eitler Prophet. – Kann es sein, daß diese Konstruktion in der Logik seines Themas begründet ist: Eine Theorie des Gebrauchswerts, die nachweist, daß die politische Ökonomie heute einen Zustand erreicht, in dem sie ihre eigen Basis, den Gebrauchswert, aufzehrt und vernichtet, ist ein Produkt der Verzweiflung darüber, daß der Trieb zu helfen kein Objekt mehr findet; aber er findet nicht deshalb kein Objekt mehr, weil keins mehr da ist, sondern weil er’s systembedingt nicht mehr sieht. Das „no pity for the poor“ gesellt sich zu den Grundsätzen einer Kapitalismuskritik, die unterm Begriff des Profits nicht mehr dessen gesamtgesellschaftliche Folgen begreift, sondern nur noch den Reichtum der andern verurteilt, und die am Ende nur noch die eigene Empörung genießt. Nachdem die Waren ihren Gebrauchswert verloren haben, soll wenigstens die Kritik noch ihren Gebrauchswert behalten. So implodiert das System.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie