Sartre

  • 19.4.96

    Heißt alles verstehen wirklich alles verzeihen? Käme es nicht darauf an, auch das, was nicht verziehen werden kann, noch zu verstehen? Erst diese Maxime macht der Gemeinheit ein Ende.
    Was nicht vergeben werden kann, ist in der Schrift präzise bezeichnet: Die Sünde wider den Heiligen Geist.
    Faschistisch wird der Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ in der Selbstanwendung; er ist einer der Gründe für des pathologische gute Gewissen: Insbesondere alte Nazis haben unendlich viel Verständnis für sich selbst. Hängt hiermit nicht die Beziehung der Fundamentalontologie zum pathologisch guten Gewissen, die in die Fundamentalontologie eingebaute Exkulpationsautomatik, hiermit zusammen?
    Die Empörung verurteilt und blendet zugleich jedes Verständnis für das, worüber ich mich empöre, aus: Die Empörung gehört zu den Konstituentien des Objektbegriffs, durch den hindurch ihre Logik sich reproduziert. Wird hier nicht die Beziehung des Objektbegriffs zur Opfertheologie, aus der er hervorgegangen ist, erkennbar?
    Die Entsühnung der Welt entsühnt zu viel und zu früh (die wirklich entsühnte Welt wäre die zukünftige Welt).
    Der Kreuzestod war beides: Die Kritik und der Verstärker des Weltbegriffs.
    Der Empörte „weiß nicht, was er tut“; er gehört zu denen, die Jesus gekreuzigt haben.
    Jonas im Bauch des Fisches: Man kann die Philosophie und die Herrschaftsstrukturen, die in ihnen sich widerspiegeln, nicht in dem Sinne „widerlegen“, als wären sie damit entkräftet und ohne Bedeutung; man steckt mitten drin und kann allein durch Reflexion darüber sich selbst Rechenschaft geben, ihrem Bann sich entziehen. Deshalb hilft das Verurteilen nicht, im Gegenteil: es weckt und nährt die magischen Kräfte, die den Urteilenden in den Bann seines Objekts ziehen.
    Sartres Satz: Die Hölle, das sind die Anderen, bedarf nur einer einer kleinen Wendung, um ihn der Wahrheit zuzuführen: Die Hölle, das sind wir für die Anderen.
    Wider das eindeutige Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ hat das Christentum die Verurteilungsautomatik als Exkulpationsautomatik mißverstanden und mißbraucht. Der Begriff der „Entsühnung der Welt“ bezeichnet genau diesen Punkt des Mißbrauchs.
    Es gibt nicht zwei, sondern drei Bekenntnisbegriffe: Das Schuldbekenntnis (vor dem Opfer der Tat und vor Gott), das Glaubensbekenntnis (vor der Gemeinde), aber auch das Bekenntnis der Solidarität mit dem Opfer vor dem Verfolger (Cohens Bekenntnis: Ich bin Jude).
    Gibt es nicht einen Zusammenhang von „Saul unter den Propheten“ mit Paulus als „Hebräer unter Hebräern“? Zitiert nicht das Neue Testament in den Namen fortwährend das Alte, dessen Elemente es in neue Konstellationen rückt? Diese „Verrückung“ ist vorgezeichnet durch den Ursprung und die logische Gewalt des Weltbegriffs.
    Das telos der Beweislogik ist die Verurteilung (der Bestand des Objekts).
    Beim Namen werde ich gerufen, unter den Begriff werde ich subsumiert (unterm Begriff erscheint meine „Natur“). Der Name ist das Element der Auferstehung, der Begriff ist der Kern und der Ursprung der Bekenntnislogik, des Konfessionalismus (er konstituiert die stumme Gemeinde).
    68 ist 4 x 17, 69 ist 3 x 23, 72 ist 2 x 36.
    – 17 ist die Grundzahl der Anzahl Fische, die die Jünger gefangen hatten,
    – 23 ist die Grundzahl der Zahl der beim Schiffbruch vor Malta Geretteten, und
    – 36 ist die Grundzahl der Zahl des Tieres, die die Zahl des Namens eines Menschen ist.
    Kann es sein, daß der Satz vom Binden und Lösen auf die Beziehung des Innen-Außen-Paradigmas zum Im Angesicht-Hinter dem Rücken-Paradigma sich bezieht (Beziehung der Kirche zu Israel und zu den Heiden)?
    Ihr seid das Licht der Welt: Ich meine, es ist zu wenig, wenn wir nur im Binnenraum der Gemeinde das Licht anzünden. Das Licht wird erst dann zum Licht, wenn es die Welt hell macht (wenn wir an die Stelle der Bekehrung die Umkehr setzen).
    Drückt nicht in der merkwürdigen Wahrnehmung, daß „moderne“ Kirchen die Innnenwand wie eine Außenwand behandeln (durch Verwendung von unverputzten Ziegel oder Grobputz), ein entscheidender „kirchenhistorischer“ Sachverhalt sich aus: die Hereinnahme der Außenwelt in den Innenraum der Kirche. Machen wir nicht die Außenwelt zur Innenwelt; ziehen wir die Differenz zwischen Außen und Innen damit nicht ein, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen? (Für die Nachkriegsgeneration gibt es keine Kirche mehr.)
    Theologie im Angesicht Gottes, das wäre eine Theologie, die das Gebet als „Methode“ begreift (und damit erstmals das Gebet begreift).
    Urhäresie: Hat nicht die Gnosis zu einem heute noch offenen Problem nur die falsche Lösung präsentiert? Dann aber wäre daran zu erinnern, daß die Verurteilung der falschen Lösung, auch wenn sie wahr ist, noch nicht die wirkliche Lösung garantiert.

  • 24.12.93

    Ist nicht die ganze Geschichte im Sternenhimmel aufbewahrt, und wird diese Geschichte wie ein Buchrolle sich aufrollen, wenn diese Geschichte sich selber durchsichtig geworden ist?
    Sartres Wort: Die Hölle sind die anderen, läßt sich präzisieren: Die Hölle ist die Welt.
    Das griechische Äquivalent der lateinischen persona war die hypostasis. D.h., wenn das Absolute gedacht wird, kann es nur in drei Hypostasen gedacht werden.
    Die Deutschen assoziieren zur Natur primär den Wald. Hat dieser Wald noch etwas mit den Bäumen zu tun, oder sehen die Deutschen den Wald nur, weil sie die Bäume nicht mehr sehen? Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen: Dieses Wort ist antisemitisch (und Himmler hat es kommentiert). Und ist dieser Wald nicht eine Steigerung der Bäume, unter denen Adam nach dem Sündenfall sich versteckt (ähnlich wie die Grabschändungen der Rechten eine Steigerung der verweigerten Trauerarbeit, der Unfähigkeit zu trauern)?
    Ist das Objekt der Lust, die nach Nietzsche Ewigkeit will, die „Waldeslust“? Was ist die „Waldeslust“?
    Bäume leben von der Beziehung zur Vergangenheit: der Baum der Erkenntnis als Gedächtnisbaum (mit Verdrängung und Wiederholungszwang), der Baum des Lebens als Erinnerungsbaum.
    Hat die Krone über ihre Beziehung zum Kranz etwas mit der Krone der Bäume zu tun? Und zitiert die Dornenkrone Jesu nicht die Jotam-Fabel?
    Wir Deutschen: Ist diese Konstruktion nicht das grammatische Äquivalent des Waldes? – An der „Schutzgemeinschaft deutscher Wald“ stört mich das Adjektiv „deutsch“ (im deutschen Walde schallt das deutsche Lied, zu dem der deutsche Wein und die deutschen Frauen gehören).
    Gibt es eine brauchbare Geschichte der Grammatik oder eine gute vergleichende Grammatik?
    Wann wurde die Uhr erfunden, gab es in der Antike Uhren (Wasser-, Sonnenuhren)? Wie wurde die Zeit gemessen, ab wann war es notwendig, die Zeit zu messen (Zusammenhang mit dem Ursprung des Staates und des Weltbegriffs)?
    Der Schöpfungsbericht verbindet die Wiederkehr von Tag und Nacht mit dem Fortschritt der Schöpfung, der über den Begriff der toledot mit den Genealogien, dem Generationenwechsel gleichgesetzt wird.
    Es gibt Propheten, von denen nur berichtet wird, und zu ihnen gehören, Samuel, Nathan, Jona ben Amittai, auch Elias und Elisa. Daneben (oder danach) gibt es die Schriftpropheten, die sich von den ersten durch ihre Beziehung zur hereinbrechenden Staatenbildung, zur Bildung der Weltreiche, unterscheiden.
    Bezeichnet die Paulus-Stelle, wonach am Ende Gott alles in allem sein wird, und die mit dem Hinweis, daß der Sohn ihm alles unterwerfen wird, beginnt, nicht die Hausaufgabe der Kirche heute?

  • 21.04.93

    Nach Günther Anders haben Nacktheit und „das Gesicht verlieren“ etwas gemeinsam: Wenn Gesichter nackt werden, verwandeln sie sich in einen bloßen „Körperteil …, dessen nacktes und unkontrolliertes Aussehen das von Schulter oder Gesäß an Ebenbildlichkeit um nichts mehr übertrifft“ (S. 86).
    Sind Fälschungen (z.B. im Mittelalter) nicht Begleitphänomene der Instrumentalisierung: Hier kommt es nicht mehr darauf an, ob es stimmt, was behauptet wird, sondern primär darauf, welchen Zwecken es dient. Der Nominalismus sanktioniert die Bindung der Wahrheit an Zwecke. Das Tabu, auch Produkt einer „Fälschung“, ist eine gesellschaftlich instrumentalisierte Schamgrenze: Wie hängen die Fälschungen im Mittelalter mit den „religiösen Bewegungen“ des Mittelalters zusammen? M.a.W. handelt es sich überhaupt um „Fälschungen“, können es nicht auch Begleitphänomene kollektiver, herrschaftsgeschichtlicher Verdrängungen, wie die nachfolgende Geschichte der Hexenverfolgungen und des Antisemitismus, sein? Waren in der Ursprungsgeschichte des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ die Legitimationsbedürfnisse anders zu befriedigen? Welche Legitimationsbedürfnisse werden heute z.B. durch das Konzept der „Tiefenzeit“ befriedigt? Muß man nicht den moralischen Ton aus dem Begriff der Fälschung herausnehmen?
    Die Verwandlung der Anschauungs- in die analytische Geometrie ist der Beginn der Totalisierung und Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Zur Geschichte des Ursprungs der Raumvorstellung, Raum und Scham: Die Raumvorstellung entspringt mit dem „und da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, m.a.W. sie ist ohne Scham nicht zu haben. Jeglicher Mythos beruht auf der Unfähigkeit zur Reflexion der Scham, auf der Verdrängung der Scham.
    Die kausale Verknüpfung von Sünde und Schuld ist auch ein Mittel der Exkulpierung durch Verdrängung, insbesondere wenn in die Definition der Sünde die Vorstellung mit hereingenommen wird, man könne sich durch Nichthandeln von der Sünde freihalten.
    Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae: Dieser Geist konstituiert sich in der Kritik des kopernikanischen Systems. Denn erst das kopernikanische System hat das Antlitz der Erde zerstört und jede Erinnerung daran verdrängt. Das Angesicht und die Umkehr haben nicht nur subjektive, sondern auch objektive Bedeutung; die Richtungen im Raum (vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) sind nicht nur auf den menschlichen Leib bezogen, sondern haben mit den Himmelsrichtungen, dem Himmel und der Scheol zu tun.
    Das Licht ist das erste durchs Wort Erschaffene: Die Finsternis über dem Abgrund bezieht sich auf den Abgrund der Sprache, in dem die Sprache sich nicht wiederfindet, und die Finsternis drückt genau diese Ohnmacht der Sprache aus, die erst mit der Erschaffung des Lichts aufgehoben wird: Auch die Finsternis bestimmt sich aus ihrem Verhältnis zum Licht.
    Die subjektiven Anschauungen bei Kant sind Produkt der Abstraktion vom Gesehenwerden, etwas, wohinter das Subjekt sich vor den Dingen versteckt. Und es ist genau diese Abstraktion, die als Begriff der Welt dann sich konstituiert. In der Welt darf man alles, sich nur nicht erwischen lassen.
    Franz Rosenzweig spricht einmal von der verandernden Kraft des Seins: das Produkt dieser verandernden Kraft des Seins ist die Welt.
    Das Objekt verhält sich zu den Formen der Anschauung wie das Subjekt zum Prädikat im Urteil. Über die Formen der Anschauung wird das Prädikat zum Begriff subjektiviert, wird die Subjektivität in die Objektivität so tief eingesenkt, daß sie fast nicht mehr davon zu unterscheiden ist.
    Ist nicht die Vereinigungsmystik der Unzuchtsaspekt dieser Vermischung von Subjektivität und Objektivität, mit verschiedenen Phasen und Aspekten dieser Unzuchtsgeschichte (Ursprung des Patriarchats: Materiebegriff, griechische Päderastie: noesis noeseos, Rousseaus Inzest: Zurück zur Natur, faschistische Homosexualität: Judenmord, postmoderne Abstreibungsdebatte: Ende der Theologie – Entschlüsselung des evangelischen Rates der Keuschheit)? Die Raumschlinge wird immer enger (die ungeheure metaphorische Bedeutung der Stammheimer Selbstmorddiskussion und der Isolationshaft im Kontext des Problems der Instrumentalisierung des Opfers).
    Ist nicht die Schrift nur verständlich, wenn die Ontologie als prima philosophia ersetzt wird durch die Ethik? Wenn Emanuel Levinas die Ethik als prima philosophia gleichsam als kantische verdammte Pflicht und Schuldigkeit faßt, als Geiselhaft im Angesicht des andern, so steht er noch unterm Bann des postmodernen Primats des Andern. Die Unterscheidung zwischen dem Andern und dem Fremden läßt in der „Geiselhaft“ das Moment der Befreiung aufleuchten. Die französische Postmoderne erinnert nicht zufällig (schon seit Sartre) an Fichte: Das/der Andere ist das Fichtesche Nicht-Ich, es bleibt im System; erst der Name des Fremden sprengt das System.
    Sodom, Jericho und Gibea genau vergleichen: Wer sind die Fremden, wer die Aufnehmenden (wer wird gerettet?), wer die Gewalttätigen (nur in Jericho ist es der König?); welche Rolle spielen die Frauen in diesen Geschichten? Wie enden die Geschichten? Beziehungen zum Stammbaum Jesu (Rahab und Ruth, auch Bethlehem)?
    Hat das Relativitätsprinzip genetisch etwas mit der Entdeckung der Perspektive in der Malerei zu tun, auch mit der Entdeckung des Porträts (nach dem Modell der Totenmaske)? Hinterm Porträt tauchte dann schon bald der Totenkopf auf, eine Entdeckung des Barock, aber seine Vorgeschichte liegt im Reliquienkult. Das Porträt war ein Symbol des aufsteigenden Bürgertums, der Totenkopf das des Absolutismus.
    Bemerkungen zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Zusammenhang der Struktur des Inertialsystems mit der der indogermanischen Sprachen. Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird ein empirisches Moment zu einem Strukturelement des Systems. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn man das strukturelle Moment in der Sache festhalten könnte, aber das empirische Moment daran, der Wert der Lichtgeschwindigkeit, variabel wäre? Wäre es nicht denkbar, daß dieser Wert gekoppelt ist mit der Gravitationskonstanten (oder der Gravitationsbeschleunigung)?
    Erinnern nicht die metaphorischen Elemente der Sprache an die „Sprache als Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung“? Ist nicht das Licht (auch die Schwere, das Spitze, das Stumpfe) ein sprachlicher Sachverhalt, bevor er ein empirischer ist?
    Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt (Kritik des Dogmas und Metaphorik).
    Wie kann man gegen die Abtreibung, aber gleichzeitig für die Genforschung sein?

  • 28.12.90

    Das Bekenntnissyndrom vollendet sich in der Wertphilosophie und im damit verbundenen Personalismus. Nicht zufällig ist Scheler einmal katholisch geworden, hat seine Philosophie in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine bestimmte Form der philosophischen Adaptation des Katholizismus geprägt. Hier wurde die Spitze der Remythisiserung erreicht: der Punkt, an dem die Umkehr hätte erfolgen müssen. Die versäumte Umkehr fand dann ihren präzisesten Ausdruck im fundamentalontologischen Höllensturz, in dem insbesondere der Personalismus sich als nicht haltbar erwies und völlig einbrach (Geworfenheit des Daseins, seine Verfallenheit an das Man).
    Nach Scheler ist der Mensch als Person Gegenstand der Ethik. Seine „aktiv transzendenten Akte (Gesinnung, Wille, Handlung)“ unterliegen dem Werturteil: Deshalb ist die Person „Wertträger“ (vgl. N. Hartmann: Ethik, S. 227ff). Diesen objektiven Zusammenhang (der Werturteile) denunziert Heidegger später als den des Geredes. Als Person begreift das Subjekt sich selbst (und andere) als Objekt des Urteils anderer, es sieht sich selbst durch die Augen der anderen (als Gegenstand des Geredes). Im Zusammenbruch der Wertethik trat die Gemeinheit dann offen zutage, die die Wertethik (als Theorie der Urteile, die hinter dem Rücken der Betroffenen über sie gefällt werden) noch scheinbar harmlos vorbereitet und verbreitet hat. Die Instrumentalisierung der Wertethik ist der Faschismus (Vermeidung des offenen Gesprächs, Denunziation, Informationen und Urteile als Mittel der Intrige etc.: Inbegriff/System der Gemeinheit, in deren Konsequenz der Mord liegt). Person ist das vorbezeichnete Objekt des Rechts und der Verwaltung: bis hin zur Liquidierung.
    Person, Bekenntnis, Antisemitismus: Jedes Bekenntnis bekommt Gewicht erst dadurch, daß sich gleichsam die Person selbst in die Waagschale wirft; mit dem dohenden Hinweis: wer das Bekenntnis angreift, greift mich, die Person, an („Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“). So wird das Bekenntnis unwiderlegbar, aber um den Preis der Unbelehrbarkeit (vgl. Sartres Portrait eines Antisemiten).

  • 22.12.90

    Empörung schneidet jedes weitere Argument ab, gibt zu verstehen, daß der Empörte von diesem Punkt an sich selbst (seine Person) in die Waagschale wirft und nicht mehr mit sich reden läßt (vgl. Sartres Portrait eines Antisemiten). Empörung ist vergeistigtes „Martyrium“, zeigt die verzerrten Züge des „Bekenners“: Diese Empörung steht der Frau nicht zu (wird hier als Hysterie diffamiert); ihr bleibt nur der Ausweg der biologischen Unschuld: die Jungfrauenschaft. Empörung ist das säkularisierte Bekenntnis (und zugleich das aktive Bekenntnis zur Welt). So ist der Antisemit der letzte Nachfahre des Bekenners (und Vorbote des Antichrist: sein Bekenntnis drückt sich aus im apokalyptischen Zeichen des Tieres). Die confessio und die virginitas sind komplementäre Formen der christlichen Selbst- und Weltverleugnung, der mißlungenen Umkehr (in der das Selbst und die Welt aufgehoben, erhalten bleiben). Mißlungen deshalb, weil die Selbst- und Weltverleugnung selber bereits Folgen der Anpassung an die Welt (der Identifikation mit der Welt als selbstlosem Aggressor: Vorlaufen in den Tod) sind.
    Empörung instrumentalisiert die Moral und begründet so den modernen Naturbegriff.
    Bekenntnis und Messianismus: Gegenstand des Bekenntnisses ist der Name des Messias (der dann nur noch als quasi Familienname des Jesus Christus verstanden wurde). Der autoritäre Charakter erträgt es nicht, wenn dieser Name nicht sein Name (in notwendiger Verbindung mit einer der weltlichen Derivate des Messianischen: der Nation oder des Markennamens) ist. (Die Befreiung von dieser Säkularisation des Messianischen oder von der Neid-Beziehung auf das Messianische wäre die Entkonfessionalisierung.) Die tiefe Ambivalenz der Rezeption der Lehre vom mystischen Leib Christi, die ohne den Begriff der Nachfolge direkt in die Barbarei regrediert, in der Ära des Faschismus hängt hiermit zusammen.
    Bekenntnis = confessio, homologia.
    Adornos Bemerkungen „zum Ende“ auf die Heideggersche Philosophie anwenden.
    „Auf dem Gebiet der Malerei und Skulptur lautet heute das Credo der Leute von Welt: […] „Ich glaube an die Natur und glaube einzig an die Natur (und das hat seine guten Gründe). Ich glaube, daß die Kunst nichts anderes ist und sein kann, als die genaue Wiedergabe der Natur (eine furchtsame und abtrünnige Sekte will die Dinge widerwärtiger Natur, so einen Nachttopf oder ein Skelett nicht zugelassen wissen). Und so wäre denn die Industrie, die uns ein mit der Natur identisches Resultat geben würde, die absolute Kunst.“Ein rächerischer Gott hat die Stimmen dieser Menge erhört. Daguerre ward sein Messias. Und nunmehr sagt sie sich: „Da uns also die Photographie alle wünschenswerten Garantien für Genauigkeit gibt (das glauben sie, die Unsinnigen!), ist die Photographie die Kunst.“ (Charles Baudelaire, zit. nach Christina von Braun: Nicht ich, Frankfurt 1993, S. 441)
    „Was die Photographie ermöglichte, war die Verwandlung der alten, dem Untergang geweihten Natur in ein Kunstwerk. Sie diente nicht so sehr der Wahrung des Untergehenden; auf ihre Weise trieb sie diesen Untergang auch voran.“ (Christina von Braun, ebd.)
    Das Fernsehen befreit den Faschismus durch Verinnerlichung und Vergesellschaftlichung vom Bilde des Führers. Auschwitz bleibt in verwandelter Form erhalten und allgegenwärtig.
    Zum Begriff des Charakters: „Der kommende deutsche Mensch wird nicht ein Mensch des Buches, sondern ein Mensch des Charakters sein. Und deshalb tut ihr gut daran, zu dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Das ist eine große, starke und symbolische Handlung …“ (Goebbels anläßlich der Bücherverbrennung am 10.05.1933 auf dem Berliner Opernplatz, zit. nach Christina von Braun, a.a.O. S. 445). Heute ersetzt das Fernsehen die Bücherverbrennung (und bildet den Charakter; Charakter das caput mortuum des Geistes -seine nature mort, sein Stilleben).
    Geschichte des Scheiterhaufens: Ketzer, Hexen, Bücher, die Vergangenheit – Vergeblichkeit des Opfers und Wiederholungszwang (Fernsehen: das materialisierte Totenreich oder das Absterben, die Vergängnis des Sehens) – Hegels Philosophie lt. Baader das Autodafe der bisherigen Philosophie – Vergegenständlichung des universalen Verdrängungsprozesses (Abstraktion und Verdrängung).
    Bekenntnis und Symbol (Credo und symbolum): Absterben, Verwesung und Vergiftung des Symbols durchs Zwangsbekenntnis (säkularisiertes Bekenntnis) – Verwandlung des Symbols ins Bild (Bedeutung des Bilderverbots!) – Reklame und Propaganda – das Zeichen des Tieres.
    Name und Begriff: Während der Begriff Ausdruck der Herrschaft über das Objekt (Befreiung von Angst durch deren Verdrängung durch Depotenzierung, Entmächtigung des Objekts), ist der Name Ausdruck der Anerkennung des Leidens (der passio, des Selbstgefühls): Befreiung von Angst durch deren empathische, parakletische Aufarbeitung. Voraussetzung ist, daß das Tabu über die Angst (die Gottesfurcht) aufgehoben, ihre Verdrängung nicht mehr notwendig ist.
    Das letzte Bekenntnis wird ein Schuldbekenntnis sein.

  • 11.06.90

    Hängt die Gereiztheit D.s gegenüber Rahner und vor allem Metz vielleicht mit dem Konzept der „ubiquitären“ Struktur der j Urgeschichte zusammen, mit der Tilgung ihres historischen Charakters, der Anpassung an den naturwissenschaftlichen Objektivitätsbegriff (letztlich mit der Verdrängung der Schöpfungslehre)?

    „Selten nur wurden Menschen in größerer Zahl in Deutschland …“ (III, S. XVI) – Auschwitz lag nicht in Deutschland. – Diese Selbstmitleidsblockade war der Grund für die unsäglichen Verdrängungsleistungen in den vierziger Jahren.

    „(Die Psa) versteht die Angst nur (?) als einen Reflex äußerer Gefahrensituationen, nicht als etwas, das vom Bewußtsein der Menschen selbst ausgeht.“ (III, S. XX)

    „Nicht was andere aus einem gemacht haben, ist das Entscheidende, sondern zu wem man sich selbst bestimmt hat und wozu man sich in jedem Augenblick auch heute noch weiter bestimmt.“ (III, S. XXIII) – Konkreter: Für das, was andere aus einem gemacht haben (d.h. für sich selbst, für den eigenen Charakter), die Verantwortung übernehmen. Der Sartresche Existenzialismus, auf den D. sich hier offensichtlich bezieht, abstrahiert von der Geschichte und von der versöhnenden Kraft der Erinnerung, wenn er den Vorrang der Existenz vor dem Wesen und die Fähigkeit, das eigene Wesen selbst zu setzen, vertritt.

    „So wird die Objektivität des Erkennens, die den Aufstieg der Wissenschaft ermöglichte, von der ständigen Ichbezogenheit der Angst blockiert.“ (III, S. XXXV) – Nicht nur blockiert, sondern gleichzeitig und ebensosehr blind weitergetrieben (vgl. die DdA).

    „Was ein Neurotiker an seinem Therapeuten lernt, das hat die Menschheit lernen müssen in dem Glauben an den Gott des Volkes Israel, mit dem einen wesentlichen Unterschied …“ (III, S. XXXVI) – Ist das das D.sche Konzept?

    Die Anwendung des Bildes vom brennenden Dornbusch (III, S. XXXVII) liegt nur knapp daneben: Nicht die Menschen, sondern das Werk ihrer Hände (was ihre Bearbeitung des Ackers für sie hervorbringt: die gegenständliche Welt als Substrat der Geschichte und als Gericht) ist das mit dem Bild Gemeinte.

    „Im Umkreis der Mythen wie der Neurosen gibt es keine Geschichtlichkeit (er meint: keine wirkliche Geschichte, H.H.); alles erstarrt darin vielmehr zu einer angsterfüllten Gegenwart (zur Ubiquität, H.H.), die von dem Schrecken und den Mächten der Vergangenheit (vom Mythos, vom Schicksal, H.H.) vollkommen überlagert wird.“ (III, S. XXXIX) Der Umkreis der Mythen wie der Neurosen ist demnach exakt der durch das Erkenntnisgesetz der Wissenschaft (in den Naturwissenschaften durchs Inertialprinzip) bestimmte, und er umfaßt nachweisbar auch das D.sche Konzept (das Inertialsystem stellt jene Zweideutigkeit, jene Ununterscheidbarkeit von Objektivität und Projektion, Paranoia und Selbstmitleid, her, die Medium sowie Grund und Folge der Instrumentalisierung ist und nur durch Schuldreflexion sich auflösen läßt).

    D.’s Versuch, eine theistische Theologie ohne Sündenfall und Auferstehung der Toten zu begründen, führt zwangsläufig in den Mythos zurück. Die Existenz Gottes läßt sich nicht daraus ableiten, daß andernfalls nur Verzweiflung, „das Böse“ und der Wahnsinn bleiben. Auch die therapeutische Instrumentalisierung ist blasphemisch. – Im übrigen würde seine Theologie anders aussehen, wenn er wirklich glauben (und den Glauben wörtlich nehmen) würde anstatt an den Wunsch sich zu klammern, daß es (für wen?) gut wäre, wenn es einen Gott gäbe.

    Gibt es einen trinitarischen Bezug von Angst, Schuld und Scham (Projektionen: Macht, Gericht, Sexismus; Opfer: Juden, Ketzer, Frauen)?

  • 31.05.90

    Zu Heidegger: Das Vorhandene ist das Zuhandene; beide sind nicht unmittelbar gegeben, sondern gesellschaftlich (oder transzendentallogisch, durch Herrschaft) vermittelt (das kantische Ich, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können, ist das Subjekt-Objekt von Herrschaft und der Repräsentant der Welt, des Realitätsprinzips; das Ich bin nicht ich). Beide stehen im Kontext (im Schuldzusammenhang) von Naturbeherrschung.

    Die (mehr den Leser als die Sache) erschöpfende Geschwätzigkeit Drewermanns, die unkonzentrierte Art zu schreiben, das punktuelle Reagieren auf Reize: das alles sind Symptome der Verdrängung oder Verleugnung. Zentral scheint hierbei die Verdrängung der realen Schuld zu sein (soweit sie rechtlich nicht dingfest zu machen ist): der „Schuldgefühle“, die therapeutisch aufzulösen seien. Ist das sein Befreiungsbegriff? Vgl. die Wendung „Erlösung (was immer das bedeuten mag)“ (Kleriker, ca. S. 90-100?). Bezeichnend, daß der Faschismus (ebenso die Vorgeschichte in Ketzerverfolgung, Inquisition, Antisemitismus, Hexenverfolgung) nur als Folie für den Schuldvorwurf gegen die Kirche, den Klerus, erscheint (vgl. u.a. S. 162f), nicht aber als Gegenstand der Reflexion, der „Gewissenserforschung“ (die D. vielleicht auch für veraltet hält). Insgesamt würde das einer Strategie der Befreiung durch Projektion (die Gefahr jeglicher Therapie) entsprechen, der technischen Handhabung eines Schuldverschubsystems, das die eigene Entlastung mit der Belastung der Außenwelt erkauft, gleichsam die Nachfolge Christi auf den Kopf stellt und glaubt, die Umkehr sich ersparen zu können. Diese Strategie wird mit Angst erkauft, für die er als Palliativ dann den lieben Gott braucht (Verwechslung von Schöpfung mit „Erzeugung“ der Materie). Das Resultat dieser Strategie wäre das pathologisch gute Gewissen (der Quellpunkt psychotischer Normalität; Drewermann weiß offensichtlich nicht, wovon er redet, wenn er dem Klerus eine „ontologische Verunsicherung“ nachsagt; er hätte vielleicht doch auch Sartres Beschreibung eines Antisemiten einmal lesen sollen). Auch Drewermann möchte (wie alle Kleriker heute) „normal“ sein (vgl. S. 170: „Die Künstlichkeit und Exemtheit gegenüber der Normalität …“).

    Das Unsystematische läßt sich mit Händen greifen in D.’s Kritik der Opfertheologie: Mit der Opfertheologie verwirft er auch die zentrale Lehre von der Übernahme der Schuld (des Abstiegs zur Hölle), den zentralen Punkt des Nachfolgegebots (auch hier würde er – Gesetz und Gebot verwechselnd, wie die gesamte Theologie, die den Offenbarungsbegriff verdrängt hat – vielleicht nur noch den „moralischen Zwang“ wahrnehmen, nicht aber mehr den theologischen Grund, den Kontext und Zusammenhang des Begriffs der Nachfolge).

    Der missionarische Eifer und die Ketzerverfolgung sind Symptome der Ich-Schwäche (die mit dem Herrendenken wie der Schatten mit dem Licht verbunden ist): Man glaubt seiner eigenen Überzeugung erst, wenn sie kollektiv abgesichert ist (der passive Glaube bedarf der Bestätigung durch den identischen Glauben der anderen, während der aktive Glaube seine eigene Rationalität entfaltet und der kollektiven Absicherung nicht bedarf). Vermittelt wird diese Absicherung durch die instrumentalisierte Orthodoxie des Dogmas, des durch Autorität definierten Bekenntnisses (und durch die Wut, die gegen alle sich richtet, die die Demuts- und Unterwerfungsgeste der Einstimmung ins kollektive Zwangsbekenntnis nicht mitvollziehen).

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