Objekte sind ausländisch: Jede Landesgrenze ist eine Verurteilungs- und Schuldgremze.
Ton Veerkamp: Der erste Johannesbrief (TuK Nr 71/72):
– „Raffgier“ (S. 45) antisemitisch?
– Sprache und Inertialsystem: Ist die Sprache Bubers (und in der Folge die Ton Veerkamps) nicht eine Konsequenz aus der Anerkennung der Herrschaftslogik, die vom Inertialsystem nicht zu trennen ist? Folge: Unschuldstrieb (nicht Sünde, sondern Schuld – „Verfehlung“, „sich daneben benehmen“ (S. 65) – als Maßstab)
. „Huld“/Barmherzigkeit (s.o.); „Bewährung“/Gerechtigkeit; „Weltordnung“/Welt; „Solidarität“/Liebe,
. 68er Desiderat: affirmativer Gebrauch des Begriffs der Ideologie („falsches Bewußtsein“ nicht reflektiv, sondern nur als Waffe),
. „klare politische Linie“, „unbedingte Ablehnung“, „kompromißlos“ (S. 66/88),
. „wie ‚Gott‘ geschieht“ (vgl. „wie Gott funktioniert“ – in: Vernichtung des Baal): Ästhetisierung/Historisierung,
. Tribut gezollt (nicht „gewährt“, S. 91): Tribut nur im „Ausland“, in unterworfenen Völkern, Einfuhrzoll für das Recht der Existenz unter der Besatzungsmacht,
. „Bekenntnis zu“ (S. 85), Problem der Bekenntnislogik (dagegen: Bekenntnis des Namens),
. Opfertheologie: „barbarischer Unsinn“ (S. 75) – reflektieren, nicht verdammen; Verurteilung, Feindbildlogik und Xenophobie („barbarisch“),
. „Inspiration“/Geist: daß mit der Marx’schen Widerlegung der idealistischen Systeme der Name des Geistes obsolet geworden ist, ist wahr und unwahr zugleich.
– Problemkreis Antichrist/Apokalypse/Antijudaismus (S. 52)?
Verweist der Übergang vom hebräischen Satan auf den griechischen diabolos nicht auf einen Fortschritt, liegt dazwischen nicht der Weltbegriff, verweist die logische Figur des diabolos nicht darauf, daß das Satanische, das Prinzip der Anklage (der Verurteilung), in die Struktur der Welt mit eingegangen ist, ja eigentlich sie begründet? Deshalb gibt es im NT (und in der Folge davon in den Weltreligionen) Dämonen. Die Idee der creatio mundi ex nihilo ersetzt die Schöpfung durch einen Abstraktionsprozeß.
Ton Veerkamps Begriff der „Weltordnung“ macht etwas deutlicher, aber zugleich verwischt es auch etwas. Es ersetzt die im Anblick von Rom notwendige Kraft der Reflexion (des Weltbegriffs) durch ein praktikables Feindbild. Auch diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Wer seinen Hegel kennt, weiß, daß Begriffs- und Herrschaftsgeschichte so mit einander verflochten sind, daß sich das eine vom andern nicht mehr ablösen läßt. Die Größe der Gefahr, die Rom verkörpert, wird erst sichtbar im Licht des Weltbegriffs. Der Begriff der „Weltordnung“, der diese Gefahr zum Feindbild verdichtet, ist schon Produkt einer Verharmlosung.
Wird nicht, wenn man den Namen der Liebe durch den Begriff der Solidarität ersetzt, das Entscheidende herausdefiniert? Solidarität steht schon unter dem Gesetz der Instrumentalisierung (Liebe ist auch instrumentalisierbar: dagegen richtet sich der Rat der Keuschheit).
Steckt nicht in der Praxis der Geldschöpfung, der Kreditschöpfung durch die Banken ein astronomiekritisches Potential (Grund der Beziehung des Begriffs der creatio mundi ex nihilo zur Ursprungsgeschichte des Staates, zur Ursprungsgeschichte des Gewaltmonopols des Staates)?
Die Idee der Barmherzigkeit enthält das Potential einer Kritik der Transzendentalphilosophie, sie vermag insbesondere die Stellung und Bedeutung der transzendentalen Ästhetik in der Transzendentalphilosophie endgültig aufzuklären. Die Sprengung des Begriffs gründet in der Sprengung der ästhetischen Grundlagen des Begriffs (in der Beziehung des Begriffs zu den Formen der Anschauung, der Schaubühne unserer subjektiven Vorstellungen, unserer Vorstellungen von Natur und Geschichte).
Gründet nicht die politische Theologie in der Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils (in der Vertauschung und Verwechslung von Subjekt und Prädikat), und verbindet das nicht deren gegenwärtige Verkörperungen mit ihrer Ursprungsgestalt in der politischen Theologie Carl Schmitts? Gilt das Freund-Feind-Paradigma nicht auch für die nachfolgenden (nachfaschistischen) Konstrukte? Das Problem der politischen Theologie gleicht dem der naturwissenschaftlichen Astronomie: Sie macht das Ungleichnamige gleichnamig, indem sie die Sphäre der Herrschaft mit der theologischen in eins setzt. Sie rührt an das Problem, das Derrida fast schon denunziatorisch an Benjamins „Kritik der Gewalt“ glaubte gesehen zu haben: an das Problem der Ununterscheidbarkeit des Holocaust von der göttlichen Gewalt.
DIE BANK GEWINNT IMMER: Es gibt keine Chance, mit politischen Mitteln die Beziehung von oben und unten umzukehren; man kann nur die Personen austauschen, aber nicht die Strukturen ändern: und das hilft nicht viel. Die Beziehung von oben und unten unterscheidet sich von den anderen Richtungsbeziehungen dadurch, daß sie irreversibel ist. Die einzige Chance benennt Jakobus: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Name der Barmherzigkeit aber ist der des Geistes.
Die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Gerechtigkeit durch den der Bewährung, der ihn in einen autoritären Grund verpflanzt, läßt sich an dem Satz Horkheimers prüfen: Ein Richter, der in einen Angeklagten nicht mehr sich hineinversetzen kann, kann kein gerechtes Urteil mehr fällen. Wer den Begriff der Gerechtigkeit durch den der Bewährung ersetzt, begibt sich der Möglichkeit der Rechtskritik (die zu den zentralen Gegenständen der Prophetie gehört). Er kann Recht und Gerechtigkeit (Links und Rechts) nicht mehr unterscheiden.
Schmitt
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19.12.1996
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29.10.1996
Zur Beziehung der Raumvorstellung zum Eigentum vgl. Carl Schmitt: Land und Meer, 13. Kapitel. Durch die Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes ist die Welt insgesamt säkularisiert: dem Privateigentumsprinzip subsumiert worden, dessen gesellschaftliche Organisationsform der Staat ist. Die Gegenständlichkeit der Welt ist die Gegenständlichkeit fremden, von allen als fremdes anzuerkennenden Eigentums. Nach Carl Schmitt ist durch die Änderung der Raumvorstellung seit Kopernikus die gesamte außereuropäische Welt zum „herrenlosen Gut“ geworden, dessen koloniale Aneignung damit vorbereitet wurde. Hängt hiermit nicht der in dieser Zeit promovierte Begriff der „Wilden“ zusammen (Wilde sind Menschen, die nicht eigentumsfähig sind und deshalb unberechenbar; eigentumsfähig und zivilisiert sind nur Christen, die die Wilden wie Tiere behandelten)?
Nach Carl Schmitt kommt nomos von nemein, das nach ihm mit dem dem deutschen Nehmen, der (Land-)Nahme, zusammenhängt.
Heilig ist, was Gott gehört; die Naturwissenschaften haben durch ihr eigenes Erkenntnisprinzip (durchs Inertialsystem) alles in potentielles Privateigentum verwandelt und so „säkularisiert“.
Ist nicht auch die Öffentlichkeit ein Gericht, eine Appellationsinstanz außerhalb der rechtlichen Instanzenwege? Und läßt sich die Logik des Handelns der Bundesanwaltschaft (und ebenso die neuere Rechtsstaatsideologie) nicht aus dem Trieb ableiten, das Recht, vertreten durch die BAW, zum Herrn der Öffentlichkeit zu machen? Und wäre das nicht der endgültige Sieg über die Gottesfurcht? -
27.10.1996
Die Grenzen der Asymmetrie sind die Grenzen der Barmherzigkeit: Für die Barmherzigkeit bin ich niemals Objekt, ist der Andere (für mich) niemals Subjekt. Barmherzigkeit schließt Selbstmitleid prinzipiell aus.
Die Welt lernt nur verstehen, wer in andere sich hineinversetzen kann: Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Unterscheidet sich das Christentum nicht dadurch von der Prophetie, daß es – außer den Armen und den Fremden – auch die Herrschenden in die Intention der Barmherzigkeit mit einschließt, allerdings im Sinne des Jakobus-Worts: des Triumphs der Barmherzigkeit über das Gericht?
In der Schrift ist der Name des Geistes der Name der Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Zu diesem Namen gehören die drei Sätze: von der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz, von einer Zeit, in der keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen, und vom Geist, der die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
Die Idee der Barmherzigkeit gründet in der Idee des Ewigen und trennt sie vom Überzeitlichen. Gegen die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen richtet sich Levinas‘ Begriff der Asymmetrie, auch der Satz vom Rind und vom Esel.
Zur Herauslösung von Joh 129 aus der Opferthologie und zu seiner Einbeziehung ins Nachfolgegebot gibt es keine Alternative mehr.
Hat nicht auch die Jesaias-Stelle über den Leviatan und die Schlange etwas mit dem Neutrum zu tun? – Ist das Neutrum der Turm, der bis an den Himmel reicht, die sprachlogische Gewalt, die den Namen des Himmels (schamajim) sprengt und die Sprachen verwirrt? Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Beziehung des deutschen Namens des Himmels zu dem des Hammers (Nietzsche hat „mit dem Hammer philosophiert“). In welcher Beziehung steht die Geschichte vom Turmbau zu Babel zur Sintflut, und hat der Bogen in den Wolken (an der Stelle, an der einmal der Menschensohn erscheinen wird) etwas mit dem Feuer im hebräischen Namen des Himmels zu tun?
Hängt der erkenntnistheoretische Begriff des Gegebenen mit dem Dativ zusammen, verweist nicht der Ursprung beider auf die Geschichte des Staates (ist die Verwechslung von Genitiv und Dativ in der Sprachlogik der Medien nicht ein Indiz für zunehmende Privatisierung staatlicher Aufgaben, für die fortschreitende verwüstende Gewalt der Marktkräfte)? Haben Genitiv und Dativ etwas mit der Unterscheidung von Land und Meer im Sinne des § 257 der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts zu tun?
Was sind das für Sträucher, unter denen Adam sich versteckte, unter den Hagar sich legte, auch Elias legte sich unter einen Strauch sowie Jona; haben die etwas dem Gleichnis vom Senfkorn zu tun (sowie mit der Jotam-Fabel und dem Baum im Buch Daniel)?
Nach dem Register zur Hegel-Ausgabe von Suhrkamp kommt der Begriff der Anklage in der Hegelschen Philosophie nicht vor. – Vgl. aber die Anmerkung zu § 225 der Rechtsphilosophie, in der Hegel auf die „Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität (ob z.B. ein Mord oder Tötung) … im englischen Rechtsverfahren“ verweist, in dem sie „der Einsicht und Willkür des Anklägers überlassen“ sei, während er sonst etwas unserer Strafprozeßordnung Vergleichbares nicht zu kennen und insbesondere die Konstellation Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter, nicht für erwähnenswert zu halten scheint (wie zu vermuten ist, aus Gründen, die mit der Konstellation, die seinem Begriff der Dialektik zugrundeliegt, zusammenhängen: nicht nur, daß diese Konstellation mit der prozessualen nicht kompatibel ist, ein Vergleich würde das Moment der Gewalt in Hegels Konstrukt kenntlich machen).
Ist nicht der Titel Staatsanwalt das Produkt eines logischen Kurzschlusses, ein Stück verhängnisvoll automatisierter Staats- und Rechtslogik (ein systemwidriger Hegelianismus im logisch aus anderen Gründen determinierten Strafrecht)? Der Titel Staatsanwalt instrumentalisiert (und neutralisiert) beide: den öffentlichen Ankläger und den Staat.
Zu Off 13: „Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende Element, das Meer.“ (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 247; Hervorhebungen geändert, H.H.) Vgl. hierzu Carl Schmitt: Land und Meer, Stuttgart 19933, in der er in einer Nachbemerkung von 1981 auf diese Hegel-Stelle hinweist.
Das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird: Liegt die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt nicht darin, daß er der Schmach und der Schande, die die Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen erzeugt und deren Objekt er wurde, sich nicht widersetzt, sie widerstandslos auf sich nimmt und eben damit reflexionsfähig macht, ihrer endgültigen Instrumentalisierung die Grundlage entzog? So begründete er den Akt der Befreiung.
Wer das Opfer instrumentalisiert, landet bei der Heldenverehrung, im Bann des Mythos. So gehört die deutsche Einrichtung der „Kriegsgräberfürsorge“ zur Logik einer Staatsmetaphysik, die immer noch versucht, dem Krieg einen höheren Sinn zu verleihen, indem sie unterstellt, daß diese Opfer nicht umsonst waren, und so die Toten nochmal schändet und verhöhnt.
Seit wann gibt es Krieger- und Heldendenkmäler? Stammt diese Tradition nicht aus der Geschichte der „Befreiungskriege“, die nur so hießen und keine waren: Befreit wurde nur der Nationalismus als Ideologie, in deren Folge dann der christliche Antijudaismus endgültig zum Rassen-Antisemitismus geworden ist, seine eliminatorische Qualität gewonnen hat.
Heute gibt es für die Philosophie nur noch die eine Möglichkeit: die der Selbstreflexion, des Übergangs in Prophetie.
Der Staat wird zum Insektenstaat in dem Augenblick, in dem er glaubt, seine Aufgabe darin zu erkennen, zum Ungeziefer-Vernichtungs-Staat werden zu müssen. Oder: Es gibt kein besseres Mittel, den Staat zum Insektenstaat und Gemeinschaften zu Heuschreckenschwärmen zu machen, als wenn man ihnen die Aufgabe der Ungeziefer-Bekämpfung gibt. Das Böse konstituiert sich in der Pflicht, das Böse zu vernichten.
Definiert nicht der Satz aus dem Jakobusbrief, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, die Idee der Unsterblichkeit der Seele neu (und erstmals in einem vernünftig nachvollziehbaren Sinn)?
Wie hängt das Ahnden mit dem Ahnen zusammen? Nach dem Eingangssatz von Schellings Weltalter wird die Zukunft „geahndet“ (nicht geahnt). Hängt das Ahnden sprachlich mit Begriffen wie Gemeinde, Behörde zusammen (durch das gleiche abschließende, perfektische -de), damit aber in der Sache mit dem Logik und Bedeutung des Naturbegriffs (als es Inbegriffs aller Objekte von Urteile)? Ist die Konstituierung des Objekts (und damit des Naturbegriffs) nicht in der Tat Produkt einer Konstruktion, in der „die Zukunft geahndet“ wird, und das in einem dem strafrechtlichen Gebrauch des Wortes Ahnden durchaus angemessenen Sinne? Ist nicht der Objektbegriff, und mit ihm der Naturbegriff, der ihn absichert, Produkt einer Konstruktion, in der die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, zur Vergangenheit verurteilt wird? Im Objekt- und damit im Naturbegriff wird in der Tat „die Zukunft geahndet“. Die Logik des Objektbegriffs ist die Logik des Anklägers (des „Staatsanwalts“). – Wie hängen die RAF-Prozesse mit Schelling zusammen?
Der „blinde Fleck der Logik“ gründet in ihrem apriorischen Objektbezug, und es gibt keinen Begriff, der diesen blinden Fleck genauer bezeichnet als der der Natur.
Haben nicht der Ursprung und die Logik der historischen Bibel-Kritik etwas mit der Ursprungsgeschichte des modernen Nationalismus zu tun, zu deren Vorgeschichte auch Spinozas „Pantheismus“ gehört? Jeder Nationalismus ist ein Pantheismus, und der spinozasche dessen allgemeine logische Form.
Als die Amsterdamer Synagoge den Bann über Spinoza verhängte, hatte sie zwar formal Recht, zugleich aber hatte sie die wirkliche Intention des Denkens Spinozas gröblich verkannt, die nicht mehr durch einen Bann zu verurteilen, sondern allein durch Reflexion aufzulösen gewesen wäre. Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Korrespondenz zwischen dieser Spinoza-Geschichte und der Geschichte Sabbatai Zwis?
Ist nicht Lessings Ring-Fabel insofern unvollständig, als es sich nicht um drei getrennte Ringe handelt, sondern um die ineinander kreisenden Räder der ezechielischen Vision?
Die Beziehung der Elektrodynamik zum Licht hat etwas mit der Beziehung des Dogmas zum Zentrum der christlichen Tradition, das erst im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes sich enthüllt, zu tun.
Bezeichnet nicht der Name der Barbaren den Rohstoff, aus dem die ersten Waren genommen worden sind: Sind nicht die Barbaren potentielle Sklaven, der menschliche Rohstoff der ersten Handelsware? Und gehört nicht der Name der Name der Barbaren zur Ursprungsgeschichte des heutigen Weltzustandes, in dem die „dritte Welt“ immer noch in erster Linie Rohstofflieferant ist?
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein Instrument, das mit der Ursprungsgeschichte der Warenform und mit der des Dingbegriffs zusammenhängt, in dieser Ursprungsgeschichte mit seiner eigenen, die es doch zugleich verdrängt, konfrontiert wird? Sie sind damit ein Instrument der Verdrängung der eigenen Ursprungsgeschichte. So aber sind die Naturwissenschaften zu automatisierten Instrumenten der Selbstlegitimation des Bestehenden und der kollektiven Selbstverblendung zugleich geworden.
Der Faschismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus insbesondere dadurch, daß der Antisemitismus in ihm nie die Funktion und Bedeutung gehabt hat, die er im Nationalsozialismus hatte. Kann es sein, daß die Verwechslung beider Begriffe auf Seiten der Linken etwas damit zu tun hatte, daß der Marxismus als Herrschaftsinstrument (als Ideologie, wie er dann selbst sich nannte) den Gebrauch des Antisemitismus nicht mehr grundsätzlich auszuschließen vermochte? Wer den Nationalsozialismus als Faschismus bekämpft, blendet damit genau den Grund aus, aus dem er antisemitisch war: das Feindbilddenken als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft. Die Unterscheidung von Nationalsozialismus und Faschismus rechtfertigt nicht den Faschismus, aber sie vermeidet die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die in der Gleichsetzung beider liegt.
Ist nicht diese Verwechslung des Nationalsozialismus mit dem Faschismus ein Indiz dafür, daß die 68er Linke von der Gefahr eines undialektischen Materialismus, des Konkretismus, des Feindbilddenkens, der Unfähigkeit zu Reflexion (der Verdrängung des Problems des „falschen Bewußtseins“), nie sich hat freimachen können? Genau dieses Apriori, diese Vorentscheidung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte, hat diese Linke dazu verleitet, im Recht nur ein Machtinstrument (und in der Macht ein neutrales Instrument) zu sehen, mit der Folge, daß sie das Gemeinsame der nationalsozialistischen Konzentrationsläger mit dem Archipel Gulag oder des Volksgerichtshofs mit den stalinistischen Prozessen nicht mehr wahrzunehmen vermochte; sie hat sie unfähig gemacht zur Rechtskritik (zur Kritik des Staates von innen).
Es sollte heute nicht mehr zulässig sein, die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Idee mit ihrer befreienden Kraft zu verwechseln. Identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft gewinnt eine Idee nur, wenn sie die Wahrheit verrät, sie gegen ein stabiles Feindbild eintauscht und auf die Kraft der Reflexion verzichtet. Zentrum der Reflexion ist die des Objektbegriffs, von dem es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Der Objektbegriff ist von den Herrschaftsstrukturen in der Gesellschaft nicht zu trennen. Herrschaftskritik, die diese Reflexion nicht leistet, sie ausspart, reproduziert die gleichen Herrschaftsstrukturen, die sie zu kritisieren glaubt, wird selber zum Instrument von Herrschaft.
Der Objektbegriff ist ein Denkmal und ein Repräsentant der Überwindung und Versklavung des Feindes und zugleich des Ursprungs der Geschichte der Zivilisation. Diese Wunde im Kern der Zivilisation gilt es reflexionsfähig zu halten, anstatt sie über Feindbilder immer wieder zu verdrängen.
Das Ganze reicht zurück in die subjektiven Formen der Anschauung, deren Funktion und Bedeutung anhand der unterschiedlichen Folgen des Anschauens für den Anschauenden und den Angeschauten sich demonstrieren läßt. Zu diesen Folgen gehört es, daß sie, indem sie das Angeschaute zum Objekt machen, seine Wahrnehmung, die sie doch begründen sollen, gerade verhindern, sich als Wahrnehmungsverhinderungsapparat etablieren. Sie liefern die Farbe und den Pinsel, mit denen die Fenster in dem Zug, der in den Abgrund rast, bemalt werden.
In der RAF bestrafen die Staatsschutzsenate ihr eigenes Prinzip.
In einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der RAF wird man nicht davon abstrahieren können, daß die RAF der Reaktion den Vorwand geliefert hat, mit dessen Hilfe sie sich rekonstruieren und reetablieren konnte. -
14.09.1996
Die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik begründen drei getrennte Reiche der Erscheinungen.
Rosemary Radford Ruether und Erich Fromm kommen in der Untersuchung von Reinhart Staats über das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel nicht vor.
Doppelte Konsequenzen:
– Unmöglichkeit der Harmonisierung der Theologie mit Auschwitz und mit den Naturwissenschaften;
– Franz Rosenzweig: Konversion zum Judentum nach Auschwitz nicht möglich; seine Theologie vermag die Idee der Auferstehung zu begründen, nicht aber die Unsterblichkeit der Seele;
– Karl Thieme: Hitler war nicht der Antichrist, nur die Generalprobe; Rosenzweig wichtiger als Buber.
Läßt sich die These, daß Auschwitz, je mehr es in die Vergangenheit zurücksinkt, umso mehr uns auf den Leib rückt, nicht aus der logischen Beziehung von Bekehrung und Umkehr (Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister) begründen?
Zu den Bedingungen des Holocaust gehört ganz wesentlich die Rolle des Staates. Nur die im Staat installierten Exkulpationskräfte haben den Tätern das gute, zugleich mit Rachsucht und Infamie aufgeladene Gewissen gegeben (die Befreiung von Schuldgefühlen durch die Erniedrigung, das Quälen und das Töten der Juden), ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre. Spielt hier nicht in der Tat eine sehr protestantische Tradition mit herein, die über die Rechtfertigungslehre den Staat zur Quelle des Gewissens gemacht (und dem Gewissen die Möglichkeit der Orientierung an der Idee der Barmherzigkeit genommen) hat?
Die Trinitätslehre, deren dogmatische Entfaltung zusammenfällt mit der konstantinischen Wende, hat die Logik dieses Exkulpationsmechanismus begründet. Durch die lutherische Neudefinition des Glaubens ist sie (und mit ihr die damit verbundene Staatsmetaphysik) ins einzelne Subjekt übertragen worden. Die „Rechtfertigung durch den Glauben“ gründet in dieser Konstellation.
Die konstantinische Wende hat die Tradition der Barmherzigkeit aus der theologischen Spekulation verdrängt; die Rechtfertigungslehre hat die Tradition der Barmherzigkeit (den theologischen Grund der Herrschaftskritik) aus dem Handeln verdrängt und durch die Gnadenlehre ersetzt.
Das Symbolum bezieht sich weniger auf das Zeichen, an dem die Christen sich erkennen, als vielmehr auf einen Sachverhalt, der in dem Satz Jesu sich ausdrückt: Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor dem Vater bekennen. Und ist das nicht in der Tat der logische Kern des Symbolbegriffs? Dieses Bekennen ist eigentlich ein Bezeugen, und hierauf bezieht sich der Satz: Das Zeugnis Jesu ist der Geist der Weissagung. Und hierzu gehört auch der andere Satz, daß keiner zum Vater kommt außer durch den Sohn.
Die blasphemische Wendung der Orthodoxie beginnt mit jenem Akt, mit dem Theodosius die Glaubensformel zur Grundlage des römischen Bürgerrechts gemacht hat.
Verschweigt Reinhart Staats nicht den Grund des Konflikts zwischen Ambrosius und Theodosius, in dem Ambrosius gegen den Kaiser die Rechtmäßigkeit eines Pogroms, einer antisemitischen Aktion der Gläubigen, behauptet und durchsetzt? Das endet in Carl Schmitts Rechtfertigung der Nacht der langen Messer durch Berufung auf die Souveränität des Führers. Carl Schmitt war der Autor einer politischen Theologie, die das Freund-Feind-Verhältnis als Grundlage sich erwählte.
War es nicht Reinhart Staats (Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel), der an einer Stelle anstatt vom Geist vom Gerhirn sprach?
Der logische Grund des Staates ist in der Tat das Feinddenken, für das der Staat die Verantwortung übernimmt. Nur der Staat hat das Recht zu töten, das er an seine Bürger delegieren kann, ohne daß diese „schuldig“ werden. So richtet sich auch die strafrechtliche Verfolgung des Mörders nicht gegen die Tat, sondern allein gegen den Täter, in dem der Staat seinen Widersacher erkennt: einen, der für sich ein Recht in Anspruch nimmt, das nur dem Staat zukommt. Deshalb sind Soldaten keine Mörder. Und der Mörder im Sinne des Strafrechts zieht die Rachsucht aller auf sich, weil er die Exkulpationsgewalt des Staates, die den, der in seinem Auftrag tötet, rechtfertigt, und damit ein zentrales Element der Ich-Bildung in Frage stellt.
Daß die Philosophie den Tod verdrängt, hängt mit ihrer logischen Beziehung zum Staat, zur Herrschaftslogik, zusammen. Diese Beziehung des Staats zum Tod drückt in dem jesuanischen Gebrauch des Kelch-Symbols (in dem „Karriere“-Dialog mit den Zebedäus-Söhnen und in Getsemane) sich aus, der genau dadurch von dem vorhergehenden prophetischen Gebrauch sich unterscheidet. So wird
– die Bekenntnislogik (das Produkt der Rezeption der Philosophie und des Weltbegriffs in der Theologie) zur Bekenntnislogik durch die Opfertheologie (durch die Lehre vom Opfertod Jesu),
– das Inertialsystem zum Inertialsystem durch die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (durch die Säkularisation der eucharistischen Vergegenwärtigung des Kreuzestodes, durch die Konstituierung des Totenreichs): es bezieht sich essentiell auf tote (anorganische) Materie,
– das Geld zum Geld durch seine Beziehung zum Opfer.
Hängt mit dieser Geschichte und mit dieser Logik nicht das merkwürdige Verhältnis der Evangelien zu den Vätern („laßt die Toten ihre Toten begraben“) zusammen? -
1.3.96
Haben die Könige von Edom (Gen 36) etwas mit den zehn Hörnern des Drachens und des Tieres aus dem Meer zu tun?
Das Substantiv wird die Selbstzerstörung der Sprache besiegeln.
Kann es sein, daß die Deklinationen einmal Grundlage astrologischer Spekulationen waren? Wären dann nicht Ablativ und Instrumentalis sprachlogische Repräsentanten der Sonne und des Mondes (so wie Jupiter und Mars dem Nominativ und Akkusativ, Venus und Merkur dem Genitiv und Dativ und der Saturn dem Vokativ entsprechen)? Hat die Geschlechtsumwidmung von Sonne und Mond im Deutschen etwas mit dem Unzuchtsbecher zu tun?
Die heute üblichen Grammatiken verhalten sich zur Sprache wie die katholische Liturgiewissenschaft zum Ritus: Beide verhalten sich zu ihren Objekten wie zu einem Stück Natur; sie abstrahieren von der Ursprungsgeschichte ihrer Objekte und verwischen deren Spuren.
Die griechische Sprache ist eine präimperiale und eine prädogmatische Sprache, während die lateinische imperial und dogmatisch ist (griechisch ist die heilige Sprache der Evangelien, lateinisch die des Dogmas). War nicht Cicero ein Augur, bevor er Rhetor und Philosoph wurde, und gehört seine Biographie nicht in die Vorgeschichte der „Enteignung der Wahrsager“ (M. Th. Fögen), der caesarischen Aufklärung? Es ist sprachlogisch und sprachgeschichtlich nicht unerheblich, daß auch Caesar die lateinische Sprache geformt hat, daß Marc Aurel ein Philosoph auf dem Kaiserthron war, und daß Konstantin den dogmatischen Prozeß durch das homousia besiegelt hat (wenn dagegen der Kaiser Wilhelm, der Gröfaz und der Kanzler Kohl die reinen Popanze sind, so verweist das auf ökonomische Selbstdestruktion des Politischen; es hatte objektive Gründe, daß Carl Schmitt den Begriff der Souveränität nicht zu retten vermochte: der Gott seiner politischen Theologie war die Ökonomie; eigentlich war schon der Absolutismus des Barock ein letzter Versuch, die verlorene Souveränität dezisionistisch zu retten).
Die Ich-Schwäche, die die Medien (und als deren Gehilfen die Philosophen heute) durch Ausbeutung verstärken, läßt nur durch Reflexion sich lösen. Reflexion von Herrschaft, heißt das nicht, Empörung, anstatt sie als Ventil zu mißbrauchen, zu einem Organ der Erkenntnis zu machen? -
22.1.96
Ist nicht die Scham der Kinder für das Verhalten ihrer Eltern das Modell der Konstellation, aus der die 68er Bewegung hervorgegangen ist?
In der Theorie des kommunikativen Handelns, die an dieser Konstellation teilhat, wird Wissenschaft in einer Weise selbstreferentiell, die jeden Zugang von außen zu versperren scheint. Nur wer in den Zirkel hineingesprungen ist, versteht ihn, findet vielleicht einen Schlüssel, der die Realität zu erschließen vermag. Bezeichnend eine Stelle bei Habermas, an der er den Begriff der Willkür als einen Fachterminus aus dem Bereich der idealistischen Systeme denunziert.
Musterschüler: Nach der Verdrängung der Vergangenheit mit Hilfe der Kollektivscham ist die Neigung verbreitet, sich in die hineinzuversetzen, vor denen man sich schämt, und deren Urteil durch Unterschiebung anderer Objekte (durch Schuldverschiebung) von sich selbst abzulenken. Aber steckt in dieser Neigung nicht immer schon ein Stück Rachetrieb, enthielt sie nicht immer schon den Trieb zum Verrat? Das Gefühl, daß man mit der Verurteilung der Nazis (z.B. mit der Verurteilung von Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger) insgeheim sich selbst verurteilte, was dann die Urteile nur rigoroser machte, war auf diesem Wege nicht wegzubringen, es ließ sich nur verdrängen.
Hegels Warnung, den Gegner nicht dort zu widerlegen, wo er nicht ist, wurde in den Wind geschlagen.
Die Kollektivscham hat die Schuld nicht aufgehoben, sondern nur verhärtet, unreflektierbar gemacht.
Setzt nicht Günther Anders‘ Begriff einer „prometheischen Scham“ ein anderes Schamproblem schon voraus, die doppelte Bewegung, in der die Scham vor anderen durch die Scham für andere (vor einem Dritten) schon in sich enthält: Ist nicht die propmetheische Scham diese Scham vor einem Dritten, die fast nicht mehr zu durchschauen ist?
Ist nicht das begriffliche Denken (die Konstituierung des Begriffs) ein Produkt dieser Bewegung der Scham: Die Instrumentalisierung der Schamumkehr, in deren Ursprungsgeschichte der Objektbegriff (und der Naturbegriff) sich bildet?
Fremdenfeindschaft gründet in der Abwehr der Selbsterkenntnis, die des Fremden bedarf, weil nur über die Realität des Fremden die Reflexion der Scham möglich ist.
Hat nicht die Beschneidung weniger hygienische Gründe, als vielmehr Gründe, die mit dem Problem der Scham (der Konstituierung des Objektbegriffs) zusammenhängen? Die Beschneidung ist eine Beschneidung des Ich (Zusammenhang mit dem Namen der Hebräer, seiner inversen Beziehung zu dem der Barbaren).
Als Freud den Frauen den Kastrationskomplex andichtete, hatte er da nicht den in der Beschneidung gründenden eigenen Kastrationskomplex auf die Frauen verschoben?
Stand der Kreuzestod in der Tradition der Geschichte der Beschneidung, und mußte er deshalb mit Hilfe der Opfertheologie verdrängt werden? Hängt die Beschneidung selber nicht schon mit der Geschichte des (Tier-)Opfers (das durch Barmherzigkeit aufgehoben werden sollte) zusammen, mit der Ablösung der Erstgeburt, der menschlichen Erstgeburt wie auch der des Esels durch das Lamm? – Trug nicht der Esel bei der Opferung Isaaks die Opfermaterialien?
Wie/die: Die Feminisierung des Verfahrens der Objektivierung und Instrumentalisierung ist der deutlichste Hinweis auf die Bedeutung des apokalyptischen Unzuchtsbechers.
Die Welt ist alles, was der Fall ist: Das heißt, sie ist alles, was unter Begriffe fällt. Heißt das nicht, daß in der Gravitation ein konstitutives Moment des Begriffs sich widerspiegelt? Mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes ist das Objekt zum Begriff und der Begriff selbstreferentiell geworden.
Kopernikus hat die Planetenbewegung vorstellbar gemacht, er hat die Planetenwelt in den einen Raum der Anschauung transformiert, Newton hat mit dem Gravitationsgesetz die „dynamische Begründung“ dazu geliefert.
Aufschlußreich wäre eine physikalische Geschichte des Objektbegriffs, dessen „Identität“ allein aus seiner Beziehung zum Subjekt, nicht jedoch aus der Abfolge der Bestimmungen, die er im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß durchläuft, sich ableiten läßt. Seit der kopernikanischen Wende enthält jede „Lösung“ schon die Problemkonstellation in sich, die den Erkenntnisprozeß weitergetrieben hat. Und keines der Probleme, die im Prozeß der naturwissenschaftlichen Objektivierung hervorgetreten sind, ist wirklich gelöst worden. Eine Kulmination des Objektproblems war zweifellos das damals so genannte „Ätherproblem“, der vergebliche Versuch, das Objekt der Maxwellschen Gleichungen im Anschauungsraum sich „vorzustellen“. Die genaueste Fassung dieses Problems (nicht schon seine Lösung) war zweifellos die spezielle Relativitätstheorie Einsteins (das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Problem von der Objektvorstellung in die Struktur des Systems verschoben hat), während die durchs Plancksche Strahlungsgesetz eröffnete Welt der Mikrophysik, die moderne Atomphysik (und ihre ideologische Abschirmung durch die Interpretation der Kopenhagener Schule), die Unlösbarkeit des Problems als seine Lösung propagiert. Beschreiben nicht das Plancksche Strahlungsgesetz und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf den gleichen Sachverhalt, wobei ihre Differenz in der unterschiedlichen Stellung zum Inertialsystem, in der Beziehung von Objekt und System, gründet? Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit berichtigt das Inertialsystem derart, daß es als gegenständliches Objekt vom System sich abspaltet und verselbständigt: als von Strahlung durchsetzter Hohlraum durch ein mathematisches Gesetz sich bestimmen läßt. -
5.1.96
Wie verhält sich die Kommunikationstheorie zur Bekenntnislogik, zur Logik des Weltbegriffs, wieweit ist sie zum Opfer eines selbstbezüglichen, das Subjekt unter dem Diktat der Intersubjektivität von sich selbst ausschließenden Säkularisationskonzepts geworden?
Habermas macht den absoluten Schnitt zwischen Natur und Kultur, so macht er die Natur zum absoluten Gegensatz des Geistes: macht er sie unerkennbar, er streicht die kantischen Noumena einfach durch. So wird ihm auch die Kultur zu einem Stück anorganischer Natur.
Wenn die Ökonomie die anorganische Natur der Staatenwelt ist, ist Deutschland dann nicht der Friedhof der Welt?
Gibt es nicht neben (und als Voraussetzung) der „Kolonialisierung der Lebenswelt“ eine „Kolonialisierung der Vergangenheit“, die nur durch Erinnerungsarbeit aus dieser Verstrickung zu lösen ist?
Ist nicht der Universalismus das Bonbon, das Habermas seiner akademischen Umwelt in den Mund steckt, mit dem er seine Gemeinschaft beteuert und versichert: Ich bin doch einer von euch; ihr seht, ich nehme euch ernst, nun akzeptiert mich doch endlich.
Seit 68 reicht der durch den Faschismus erzeugte Rechtfertigungszwang so tief, daß selbst das Handeln sich darin verstrickt. Seitdem gibt es ein Handeln, das zwar nichts ändert, dafür aber als Alibi gebraucht werden kann; man kann sich selbst und andern sagen: Wir tun was. Hieraus läßt sich die raf ableiten.
Staatsanwalt: Der Satz „Der Teufel steckt im Detail“ ist zu ergänzen: Der Satan (der Ankläger) ist eine Verkörperung des Systems.
Seit der kopernikanischen Wende ist das falsche Zeugnis ein systemimmanentes Moment.
Das Prinzip der Delegation von Verantwortung, das nach dem Krieg als Herrschaftsinstrument Karriere gemacht hat, war eigentlich ein Exkulpations-, ein Schuldverschiebungsinstrument. Nicht die Verantwortung, sondern ihre Last wurde delegiert. Genau das ist das Prinzip des Verwaltungshandelns, und dieses Verwaltungshandeln ist das Modell dessen, was Habermas kommunikatives Handeln nennt. Ist nicht die Kommunikationstheorie (die ein Ableger der Linguistik ist) Indiz und Gradmesser des Eindringens der Logik des Verwaltungshandelns in die Praxis und ins Selbstverständnis des Rechts und der Wissenschaften?
Ausländerhaß ist eine Form von Selbsthaß in einer Welt, in der „wir alle“ Ausländer sind, die Deutschen (infolge des verlorenen, durch keinen Friedensschluß mehr zum Abschluß gebrachten Krieges) aber in besonderem Maße. Carl Schmitts Begriff und Verständnis der Souveränität (und jeder Nationalismus seitdem) war ein letztes verzweifeltes Aufbegehren dagegen. Das Problem der Souveränität ist kein Gesinnungsproblem, sondern ein geschichtslogisches Problem. -
17.12.95
Die Barmherzigkeit ist der Mutterschoß der zukünftigen Welt. Hängt nicht die Rosenzweigsche Übersetzung von Gen 12a: „Geist Gottes brütend über den Wassern“ (Stern der Erlösung, Frankfurt 1988, S. 170), hiermit zusammen? Und wenn die Propheten „im Mutterschoß“ berufen wurden, heißt das nicht, daß sie im Namen der Barmherzigkeit berufen wurden?
War nicht die 68er Bewegung ein Ausbruchsversuch aus der gleichen Lähmung, die mich in den 60er Jahren am Schreiben gehindert hat? Aber ein Ausbruchsversuch, der die Voraussetzungen seines möglichen Gelingens zugleich verdrängt hat? Meinen Hoffnungen, mit denen ich die 68er begleitet habe, war eigentlich von Anfang an das Bewußtsein, daß es so nicht möglich war, beigemischt. Die 68er waren einer Logik verfallen, die aus ihrer Beziehung zum Faschismus, aus den daraus erwachsenen Rechtfertigungszwängen, sich herleiten läßt: Die Verurteilung des vergangenen Faschismus, die jedes Verständnis ausschloß, umschrieb die ganze Spannweite der philosophischen Bewegung von Spionoza bis Hegel: das Urteil über den Faschismus war im Anfang der „index veri et falsi“, es erwies sich dann als der „bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist“. Die Verurteilung des Faschismus war ein „historisches“ synthetisches Urteil apriori, es kehrte sich als juristisches „synthetisches Urteil apriori“ in den „Staatsschutzprozessen“ gegen die, die im Licht dieses Urteils die Gegenwart zu zu begreifen versucht hatten. Der Grundfehler lag in dem unausweichlichen logischen Zwang, der mit dem doch so evidenten Schuldspruch über den Faschismus die gesamte Vergangenheit neutralisierte, die Erinnerung gegenstandslos machte.
Welche rechtslogische Bedeutung hat die Umwandlung des Angeklagten in einen Feind: Gewinnt nicht das juristische Urteil erst durchs Feindbild sein apriorisches Objekt (so wie die transzendentale Logik durch die subjektiven Formen der Anschauung)?
Die juristische Adaptation des Feindbildes (deren Logik der Carl Schmittsche Rechtsphilosophie zugrundeliegt) ist der Kern der Notstandslogik, die in den Staatsschutzverfahren den Rechtsstaat dekonstruiert.
Wenn der Rechtfertigungszwang zum Gerüst der transzendentalen Logik des Rechts wird, wird der Strafvollzug zur Grundlage des „Reichs der Erscheinungen“, die selber kein Teil des Reichs der Erscheinungen ist, wird der Strafvollzug zu dem hinter den Erscheinungen verborgenen Ding an sich. -
15.12.95
Der Definitionsmacht des Staates, die eine männliche Logik ist, sich entziehen, das heißt vor allem: die Logik dieser Definitionsmacht, die Logik des Herrendenkens, reflektieren, um ihr nicht selber zu verfallen. Nicht trotzig das Urteil der Bundesanwaltschaft sich zu eigen machen und nur das Vorzeichen umkehren (und das Unmögliche zu versuchen: den Mord, der nicht zu rechtfertigen ist, zu rechtfertigen): So betreibt man gleichsam präventiv und zugleich in vorauseilendem Gehorsam das Geschäft des Feindes. So macht man die Kronzeugen überflüssig, wird man zum Kronzeugen gegen die eigenen Genossen, fügt sich dem synthetischen Urteil apriori, dessen williges Opfer man so wird. In einem der ersten Versuche über die Folgen der KZ-Haft ist der Freudsche Begriff der „Identifikation mit dem Aggressor“ verwendet worden. Er bezeichnete das merkwürdige Phänomen, daß Häftlinge der Verführung, die Logik und die Urteile ihrer Peiniger sich zu eigen zu machen, nur schwer sich entziehen konnten; diese „Identifikation“ war ein Teil ihrer Überlebensstrategie (sind nicht die Rituale der Staatsschutzprozesse, und sind nicht insbesondere die Haftbedingungen nur als Teil des Versuchs, diesen Mechanismus zu instrumentalisieren, zu verstehen?).
Die wechselseitige Durchdringung von Justiz und Verwaltung, die der Exkulpationslogik (der Ersetzung der gerechten durch die rechtfertigende Verantwortung) manifestiert sich insbesondere in den Staatsschutzverfahren, in denen es um die Rechtfertigung der rechtfertigenden Instanz (des Staates) geht, an der Beziehung der Fertigung synthetischer Urteile apriori (Überleitung der Rechtsprechung in ein Subsumtionsverfahren) zur Vorherrschaft des Feinddenkens (der Feind ist das gesellschaftliche Äquivalent des Objekts, des Gegenstands der Subsumtion).
In den Texten der InfoAG gibt es Argumente, die den Eindruck erwecken, daß sie der Logik der Bundesanwaltschaft – nur gleichsam seitenverkehrt – aufs genaueste entsprechen. Für einen Augenblick erweckten sie den Verdacht, daß sie von einem Provokateur stammen könnten. Gehört nicht diese Argumentation zum Objektbild der Bundesanwaltschaft, das sie braucht, um die Verfahren in dieser Form durchzuziehen?
Anstatt in offene Fallen hineinzurennen, wäre es sicher wichtiger, die Konstruktion dieser Fallen zu studieren. Nur so ließe sich ihre Wirksamkeit dekonstruieren.
Wenn Anklagevertreter und Gericht die Angeklagte und ihre Verteidiger als Feinde und die Prozeßbesucher als Sympathisanten ansieht, so ist das deren Problem, nicht unser Problem. Es ist nur ein Hinweis auf mangelnde Differenzierungsfähigkeit. Wer sich davon nicht düpieren läßt, wird in der Lage sein zu bemerken, in welche Fallen sie hineinrennen.
Sind die merkwürdigen Reaktionen auf die „Kirchenleute“ eigentlich so weit entfernt von der Logik des Senatsbeschlusses, mit dem er das beantragte seelsorgliche Gespräch ablehnte?
Daß man Dinge verstehen kann, ohne sie gutzuheißen (und daß „alles verstehen“ nicht „alles verzeihen“ heißt), ist der wichtigste Grundsatz jeder Aufarbeitung der Vergangenheit. Aber haben die 68er nicht genau diesen Grundsatz verworfen? Es war einfacher, alles zu verurteilen, und in diese Verurteilung die ganze Generation derer, die den Faschismus miterlebt hatten, mit einzubeziehen. Daß der Faschismus vergangen war, daß er für die nachgeborene Generation nur noch gegenständlich war, hat ihr Urteil so gnadenlos gemacht. Es war so einfach: Über Schuld oder Unschuld entschied allein das Datum der Geburt, und dieser Generation kam es weniger darauf an, daß das nicht wieder passierte, als vielmehr darauf, daß, wenn es wieder passierte, sie jedenfalls zu denen gehörte, die daran nicht schuld waren. Nicht um Gerechtigkeit, sondern um Unschuld war es zu tun: Das aber führte mitten in die Logik der Rechtfertigungszwänge hinein, die die feindlichen Parteien seitdem gemeinsam hatten. Heute wird der Kampf gegen den Rassismus fast allein unter den Bedingungen einer Logik geführt, die zu den Wurzeln des Rassismus gehört: unter den Bedingungen der Bekenntnislogik, die den Rassismus zu einer Gesinnung, einer Weltanschauung macht, aber seine Funktion im Vernunfthaushalt, nämlich die Entlastung vom Anspruch und von der Last der Mündigkeit, den Zusammenhang der Exkulpationsstrategien, in denen er sich konstituiert, nicht begreift. Zu den Grundmotiven der inneren Begründung des Rassismus gehört insbesondere die Entlastung vom Tötungsverbot (die zugleich seine Nähe zum Sexismus begründet). Der Rassismus ist ein logischer Teil der Staatsmetaphysik, in der er in einer bestimmten Phase der Herrschaftsgeschichte sich konstituiert; er entspringt in der gemeinsamen Geschichte mit dem Ursprung des Gewaltmonopols des Staates und zusammen mit der Unfähigkeit zur Reflexion dieser Ursprungsgeschichte. Das rassistische Syndrom ist im Ernst nur aufzulösen im Kontext der Fähigkeit zur herrschaftskritischen Reflexion.
Hängt nicht die Abschaffung der Todesstrafe nach dem Krieg, die eine unmittelbare Reaktion auf den exzessiven Gebrauch, den die Nazis davon gemacht hatten, war, auf eine höchst vertrackte Weise auch damit zusammen, daß nach dem Krieg die Neubegründung des Staates nicht gelungen ist (und nicht gelingen konnte). Der Staat gründet in der Todesdrohung (in dem „Recht“ zu töten), und wenn der Mord im Strafrecht das einzige Täterdelikt ist (alle anderen Straftatbestände sind Tatdelikte), so verweist das darauf, daß der Staat im Mörder einen erkennt, der ihm das Recht zu töten durch die Tat streitig macht: Der Mord ist ein Angriff auf die Souveränität des Staates. Umgekehrt aber, wenn der Staat sich selbst des Rechts zu töten begibt (indem er die Todesstrafe abschafft), kann er dies nur unter zwei einander ausschließenden Bedingungen: entweder er schafft – mit der Begründung einer befreiten Gesellschaft – sich selbst ab (so mag Marx sich das Absterben des Staates vorgestellt haben), oder aber er verzichtet auf die Ausübung dieses Rechts (und damit auf eine der Rechtsquellen seiner Macht), weil es von den Gewalten usurpiert wurde, aus denen es einmal hervorgegangen ist und auf die damit auch die Macht wieder übergegangen ist: Ökonomie und Militär. Heute gibt es andere Formen der Todesdrohung, und diese stehen aller Welt vor Augen: in den Elendsgebieten, in den Auswirkungen der Schuldenkrisen, in der Bedrohung durch eine Armut, zu der es weithin keine Alternativen, und aus der es – nachdem die Marktgesetze universal geworden sind – keine Auswege mehr gibt, und die nur mit direkter Gewalt unter Kontrolle zu halten ist: durch Militärdiktaturen, Folterregime vor Ort und durch ein militärisches Vernichtungspotential, mit dem der Reichtum der Industrienationen gegen die Armut, die er produziert, sich abzuschirmen versucht.
Jede Verurteilung zieht den Urteilenden in den Bann der Logik der Taten hinein, auf die das Urteil sich bezieht. Hilflos, und in der letzten Konsequenz selbstmörderisch, ist jeder Antifaschismus, der den Schrecken nur durch Verurteilung zu bannen versucht, anstatt ihn zu reflektieren. Nicht daß der Staat „sein wahres Gesicht zeigt“, hilft aus der Gefahr, sondern nur eine Erkenntnis, die ihm den Spiegel der Erinnerung vorhält, in dem er sich selbst erkennt. Im Faschismus hat der Staat sein wahres Gesicht gezeigt, und wer die Wiederholung heraufbeschwören möchte, weiß nicht wovon er redet.
Scheitert nicht die Kritik Carl Schmitts bis heute daran, daß sie ein logisches Problem mit einem ideologischen verwechselt, daß sie eine verzweifelte Einsicht in die Fundamente des Staates, der Welt und der Zivilisation zu einer bloßen Gesinnung verharmlost und neutralisiert.
Die Notstandsgesetzgebung hat versucht, den Schmittschen „Ausnahmezustand“ beherrschbar zu machen; sie hat damit an eine Tradition angeknüpft, die einmal Hitler den Weg frei gemacht hat.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Tötung des GSG-9-Beamten in Bad Kleinen nicht durch Wolfgang Grams erfolgte, daß die Schüsse von Wolfgang Grams, die möglicherweise niemanden getroffen haben, in Notwehr erfolgten, und daß umgekehrt Wolfgang Grams selber von durchgedrehten Beamten, die damit den einzigen Zeugen beseitigen wollten, hingerichtet worden ist. Kann es sein, daß dagegen ein „rechtskräftiges“ (damit aber nicht notwendig wahres) Urteil gesetzt werden soll, das der Erforschung der Wahrheit eine juristische Hürde in den Weg stellen soll, auch um den Preis, daß eine nachweislich Unschuldige stellvertretend verurteilt und bestraft werden soll. Kann die Bundesrepublik vor diesem Hintergrund sich einen Prozeß wie den gegen Birgit Hogefeld überhaupt leisten? -
17.11.95
Der Weltbegriff hat die Schicksalsidee durch Identifikation mit dem Aggressor besiegt und konserviert zugleich.
Ist nicht der gesamte Mythos „Sprachphilosophie“ im Bann der Herrschaft?
Die klassischen Sprachen des Altertums lassen als in sich konsistente Ausgestaltungen der Logik der Schrift sich begreifen. Das heißt jedoch nicht, daß sie Folgen der Erfindung der Schrift sind, es wäre ebenso plausibel anzunehmen, daß in diesen Sprachen die sich entfaltende Herrschaftslogik der Logik der Schrift soweit entgegengearbeitet hat, daß ein bruchloser Übergang dann möglich war.
Die Schicksalsidee war der genaueste Ausdruck des Zusammenhangs von Sprachentfaltung und Herrschaftslogik. Der Islam hat diese Schicksalsidee nur personalisiert, damit ihrer Reflexion aber den Weg verstellt.
Prophetie und Apokalypse unterscheiden sich durch das Dazwischentreten des Weltbegriffs: Erst die Apokalypse thematisiert die theologische Relevanz der Weltreiche.
War nicht das Winterhilfswerk der Nazis der erste (gelungene) Versuch der Instrumentalisierung der Hilfsbereitschaft der Menschen? Daß die Sammlungen dann anderen Zwecken zugeführt wurden, verdeutlicht nur die Problematik des Spendenwesens seitdem. Stehen die Hilfsorganisationen heute nicht auch in dieser Tradition? Das aber heißt: Sind sie nicht in erster Linie ein Ausdruck der wachsenden Ohnmacht, in die Verhältnisse ändernd einzugreifen? Befestigen sie nicht diese Ohnmacht, indem sie sie instrumentalisieren und nur abschöpfen?
Der Druck, unter dem der Positivismus sich konstituiert (und der ihn zugleich zu legitimieren scheint), gründet in den Problemen, die der kritischen Reflexion der intentio recta im Wege stehen. Es gibt so etwas wie eine Selbstlegitimation der intentio recta im Kontext ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte: Die intentio recta ist selber eine Funktion der Herrschaftsgeschichte und nur durch Reflexion der Herrschaftslogik, die sie begründet, aufzulösen. (Im privaten Bereich entspricht dem das Gerede, das unterm Bann der Rechtfertigungszwänge steht und unfähig ist, sich in den, über den geredet wird, hineinzuversetzen.)
Merkwürdige Tradition, die den Kreis oder die Kugel als Bilder der Vollkommenheit auffaßt, während sie in Wahrheit Symbole des Schicksals und dessen, was Jeremias das „Grauen um und um“ genannt hat, sind.
Bosnien-Konflikt: Die Untaten des andern mögen vielleicht die eigenen Untaten erklären, aber sie entschuldigen sie nicht.
War nicht schon das Benennen der Tiere die Sünde Adams?
Jesus hat dreimal benannt: Zunächst die Pharisäer (als Heuchler), dann die Händler und Geldwechsler im Tempel, dann aber auch den Petrus. Hierbei ist der Kontext zu beachten: Nur die Pharisäer und Schriftgelehrten benennt er direkt (ihr seid …), die Händler und Wechsler indirekt, durch die Vertreibung aus dem Tempel, mit der er ihr Tun benennt, während er Petrus von sich weist (weiche von mir …).
Hängt es nicht mit der Geschichte des Opfers zusammen, wenn das Fleischessen auf die hierarchische Organisation der Gesellschaft, auf die Ursprungsgeschichte des Staates, verweist? Und wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Opfertiere verständlich (Stier, Widder/Bock/Lamm, Taube)?
Heldenfriedhof/Hakeldama: Der Mythos von Blut und Boden scheint mit der Vorstellung zusammenzuhängen, daß das Blut der Helden den Eigentumsanspruch auf den Boden, für den es geflossen ist, begründet. Ist diese Vorstellung nicht durch das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, durch die Niederlage der Nazis, widerlegt worden? Oder ist dadurch das Bewußtsein in Deutschland auf das Paradigma Sieg oder Niederlage fixiert worden, ein Paradigma, das sowohl die Ökonomie des Wirtschaftswunders als auch die Bedeutung des Sports in der Nachkriegsgesellschaft (der Ersatz der Filmstars durch die Sieger-Idole des Sports von der Nationalmannschaft beim Fußball – die es wahrscheinlich war, als sie mit der „Weltmeisterschaft“ 1954 den Anfang machte – bis hin zu Boris Becker und Steffi Graf) erklären würde? Sind nicht Siegerehrungen bei internationalen Sportwettkämpfen und Länderspiele beim Fußball die einzigen Veranstaltungen, bei denen heute noch die Nationalhymne gespielt wird?
Was ist das für ein Bewußtsein, daß zur eigenen Stabilisierung insbesondere des Sports und der Krimis bedarf? Gibt es einen Zusammenhang mit der Verlagerung des imperialistischen Grundtriebs aus der Politik in die Ökonomie (Wirtschaftswunder, Standort Deutschland, Stabilität der DM)? Und wird nicht die Logik dieses Vorgangs gründlich verkannt, wenn in diesen Imperialismus noch eine politische Intention hineinprojiziert wird? Dieser Imperialismus hat jeden Schein von Souveränität (den Carl Schmitt noch an Hitler zu erkennen glaubte) endgültig abgeworfen.
Steht nicht der Terrorismus unter dem gleichen symbolischen Zwang wie der Sport: als Versuch, die Niederlage ungeschehen zu machen? Das würde u.a. auch die Bedeutung, die der Identitätsbegriff in diesem Bereich gewonnen hat, erklären. Steht dieser Identitätsbegriff nicht an der Stelle, an der im Christentum nach der Enttäuschung der Parusie-Erwartung das Dogma sich gebildet hat?
Die kopernikanische Wende fällt zusammen mit der Umformung von Boden, Arbeit und Geld in Handelsware in der Ursprungsgeschichte des modernen Kapitalismus. Kann es sein, daß, während (schon in der Astrologie) das Planentensystem, in das Kopernikus die Erde mit aufgenommen hat, die Organisation der Arbeit abbildet, der Fixsternhimmel (der Tierkreis), der seine Bedeutung als Grenze des Kosmos mit der Öffnung des Raumes ins Unendliche verliert, auf die Konstellation der Elemente, die den Naturgrund der Herrschaft (und damit die Sphäre des Geldes) abbilden, verweist? Ist vielleicht die Bedeutung und die Funktion der „schwarzen Löcher“ nur noch im Kontext einer Theorie der Banken aufzuklären? -
20.1.1995
Werden die Rekonstruktionen von Gott Mensch Welt im ersten Teil des Stern der Erlösung durchsichtig, wenn man sie auf den Raum, das Geld und das Bekenntnis bezieht? Es gibt nicht die Welt, sondern die Welt ist ein plurale tantum. Und es gibt auch nicht „die beste aller Welten“, sondern hier gilt: Was dem eenen sin Uhl, ist dem annern sin Nachtigall. Der Singular Welt (das Universum) ist Produkt einer Dezision. Und der Dezisionismus, den Christian Graf Krockow an Heidegger, Schmitt und Jünger wahrgenommen hat, hängt damit zusammen. Dieser Dezisionismus ist ebensowenig durch den Hinweis auf den Satz des Widerspruchs aufzulösen wie der Schmittsche Souveränitätsbegriff durch den Hinweis auf seine Folgen: die Begründung der Diktatur. Im Kern des Weltbegriffs steckt die Hegelsche List der Vernunft, ein Stück Betrug. Die Entfaltung dieses Betrugs zur Totalität: das wäre der Greuel am heiligen Ort. Ist nicht die Existenz unterschiedlicher Tiergattungen (nach Hegel Hinweis darauf, daß „die Natur den Begriff nicht halten kann“) der Beweis dafür, daß es die eine Welt nicht gibt? Was Rosenzweig im Stern der Erlösung so gelassen beschreibt, ist in Wahrheit ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Zu Illigs Fälschungstheorie: Ist die Phase, die dieses Bild der Vergangenheit produziert hat, sie zur Selbstlegitimation erfunden hat, nicht die gleiche Phase, die in die Kirchengeschichte als die pornokratische Phase eingegangen ist, und hängt nicht beides mit einander zusammen, ähnlich wie die pornographische Phase der kirchlichen Moraltheologie mit dem Ursprung des politischen Absolutismus (und mit dem Barock) zusammenhängt? Liegt nicht der Fehler Illigs – wie überhaupt der Heinsohn-Gruppe – darin, daß sie glauben, post festum feststellen zu können, es hätte auch anders laufen können? Sie unterschätzen die Gewalt der Schuldängste und der Rechtfertigungszwänge, denen auch der historische Erkenntnisprozeß unterworfen ist. Liefern Heinsohn und Illig nicht Reflexionsmaterial zum Problem des kontrafaktischen Urteils? Kommt Karl der Große eigentlich bei Thomas von Aquin vor? Theologie im Angesicht Gottes, das heißt: Aus dem Bann der Logik der Schrift heraustreten.
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29.12.1994
Damnare heißt jemanden mit einem damnum belegen, ihm etwas von seinem Vermögen nehmen (Benveniste, S. 64). Damnare = verurteilen verweist auf das Eigentumsproblem und seine Konnotationen. Ist das Urteil nicht die Enteignung, die Ausbeutung, die Einbeziehung in den kollektiven Schuldzusammenhang?
Ist nicht die Vater-Imago der Spiegel und der Katalysator des göttlichen Zorns (Vater und Kelch)? Als Gott den Menschen männlich und weiblich schuf, schuf er ihn im Bilde seiner Attribute (Gericht und Barmherzigkeit)?
Was ist der Unterschied zwischen Haupt und Angesicht? Haben behaupten und enthaupten etwas mit einander zu tun? Ist nicht das Haupt das Angesicht von allen Seiten, das verdinglichte Angesicht? Zu den Häuptern gehören Kronen, zum Angesicht der Blick und das Wort. Welchen Kranz trugen die Caesaren (sh. die Dornenkrone Jesu)?
Bereschit, im Anfang: Das be- bezeichnet das In, das reschit den Anfang? Hat das reschit ähnliche Konnotationen wie das griechische arche (Anfang, Ursprung, Ursache, Schuld)?
Zur Rekonstruktion des Strafrechts: Diskriminiert der Staat nicht in den Strafrechtstatbeständen seine eigenen Taten an den Opfern? Ist nicht das Strafrecht ein Stück projektiver Verarbeitung der eigenen Wurzeln?
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: wäre sie’s, würde sie dazu zwingen, das Strafrecht auf sich selber anzuwenden, nämlich als eine projektive Verfolgung der eigenen Verbrechen an anderen (Schuldverschubsystem). Das hat Carl Schmitt gesehen, und daraus die faschistische Konsequenz gezogen.
Als Jesus die Sünde der Welt auf sich nahm, hat er dem Staat die Grundlage entzogen. Das war die causa prima seiner Verurteilung.
Jesus ist in Bethlehem (im Haus des Brotes) geboren, er war ein Nazoräer (und hat in Nazareth gelebt), und in Kana (bei der Hochzeit von Kana, bei der man vom Brautpaar fast nichts hört, wohl von den Dienern und vom Kellermeister) hat er Wasser in Wein verwandelt.
Zweck der Universitäten war seit ihrem Ursprung die Selbstlegitimation des Bestehenden. Das gilt auch für die Geschichte der Theologie seit dem Ursprung der Scholastik. Seit Kant, der an die Stelle der „Schulphilosophie“ die „Weltphilosophie“ gesetzt hat („kopernikanische Wende“), leistet die Welt (der Weltbegriff) diese Selbstlegitimation.
Zum Begriff der Vergangenheit vgl. Benjamins Engel der Geschichte, zu dessen Füßen die Trümmer der Vergangenheit sich häufen, und Horkheimers Frage, ob sich auf einem solchen Leichenberg überhaupt noch die richtige Gesellschaft errichten lasse. Reinhold Schneider wollte als toter Hund am Fuße des Kreuzes begraben sein.
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