Schmitt

  • 20.12.1994

    War die mittelalterliche Eucharistie-Verehrung nicht ein Stück Geldmystik, wie die Hostie nicht zufällig die Form der Münze hat?
    Das Problem des Objekts (des räumlichen Punktes und der Orthogonalität) löst sich am Leib des Menschen.
    Im Bilde des Punktes vereinigen sich die Taubheit und Blindheit, der Aussatz und die Besessenheit, und deren Verdrängungung zugleich. Beginnt nicht die Verdrängung mit der Entdeckung der „Tiefe“?
    Die Dämonen sprechen Jesus als Sohn Gottes, der Blinde als Sohn Davids an (während Jesus zum Lahmen sagt: Deine Sünden sind dir vergeben).
    Steht nicht die politische Theologie Carl Schmitts in der Tradition der Dämonen, die IHN als Sohn Gottes erkannten?
    Hat der Tierkreis etwas mit dem Weltbegriff, die Planetenordnung etwas mit dem politischen Subjektbegriff zu tun?
    Wie hängen die Benennung der Tiere durch Adam, die Beziehung von Tier, Urteilsform und Welt, das Tieropfer und die Idee des Menschensohns mit einander zusammen? Verweist der Titel des Menschensohns nicht auf den Satz: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer?
    Der Ursprung der Sexualmoral hängt mit dem des Weltbegriffs zusammen. Mit der „Entsühnung“ der Welt wurde die Urteilslust freigesprochen, dafür die Sexuallust diskriminiert.
    Ist nicht der Islam die Verkörperung der Unreflektierbarkeit der Welt (und des männlichen Sexualtriebs)? Und liegt hier nicht die Wurzel des Zusammenhangs von repressiver Sexualmoral und Fundamentalismus?
    Hat nicht Eric Voegelin, als er die radikaldemokratischen Bewegungen in der Geschichte auf die Gnosis zurückführte, ein wichtiges Moment erkannt, zugleich aber aufs gefährlichste ideologisiert?
    Rind und Esel: Man soll die Last auf sich nehmen; nur so befreit man sich nach Rosenzweig von ihr. Wer sie als Joch den anderen auferlegt, vermehrt noch die eigene Last.
    Durch die falsche Übersetzung von Joh 129 sind die Gottesfurcht und das Nachfolgegebot neutralisiert und der Weg der Befreiung verstellt worden. Bezieht sich darauf nicht das Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet?
    Zu J.B.Metz: In seinem Konzept einer Kultur der Empfindlichkeit wäre die Empfindlichkeit durch Sensibilität zu ersetzen. Der Begriff der Empfindlichkeit verwechselt Rind und Esel. Die Empfindlichkeit ist pathologisch, die Befreiung beginnt erst mit der Sensibilität.
    War nicht schon die devotio moderna – im Kontext jener Kirchenreform, zu der auch die Einführung des Zölibats und der Ohrenbeichte gehörte – Ausdruck der Rückkoppelung der Sensibilität in der Empfindlichkeit?
    Als der Hahn krähte, erkannte Petrus in der dritten Leugnung die Wiederholung der Sünde Adams. Läßt sich die Geschichte der drei Leugnungen an der Geschichte der Gnosis, des Islam und der Aufklärung festmachen (die übrigens auch auf Änderungen im Begriff der Häresie verweisen; mit dem Protestantismus war die häresienbildende Kraft des Christentums erschöpft: mit der Unfähigkeit, in der Aufklärung sich selbst, das eigene Erzeugnis, wiederzuerkennen)?
    Die Vergöttlichung des Wortes gehorcht der Zwangslogik der Schrift (während der Name JHWHs die Anwesenheit Gottes in der Schrift bezeugte).
    Ist die griechische Sprache Ausdruck und Produkt der Objektivation der hebräischen (ihrer Projektion in die Vergangenheit), verhalten sie sich wie Schrift und Wort?
    Gilt nicht der Satz „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ auch für das Dogma, für die kirchliche Orthodoxie: die Isolationshaft der Wahrheit?
    Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls setzt das Gravitationsfeld voraus; geht nicht in ihren Wert der Wert der Schwerebeschleunigung mit ein? Liefert dieser Sachverhalt nicht (über die Beziehung zur Planckschen Strahlungsformel) einen Hinweis auf die Beziehung der Lichtgeschwindigkeit zur Gravitation?

  • 9.10.1994

    „Das Wesen der Sprache wäre demnach Verantwortung“ (Levinas, Vier Talmud-Lesungen, S. 40). Was heißt „Verantwortung“? Die beiden Bücher der Chronik gehören – wie Rut und Ester, Daniel, Esra und Nehmias – zu den „Schriftwerken“, während die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige zu den „Büchern der Geschichte“ gehören.
    Die Medien sind zu Riten der Vereinigung mit der Welt geworden (insbesondere das Fernsehen; Computerspiele: Initiationsriten des Apparats). War nicht die unio mystica seit je ein Instrument der Säkularisation?
    Rekonstruktion der Sprache aus ihrer Beziehung zum gesellschaftlichen Schuldzusammenhang? Ist es nicht die Sprache, die von der Last befreit, indem sie sie auf sich nimmt?
    Die Verschiebung vom Nomen zum Substantiv, vom Namen zum „Hauptwort“, ist die letzte Konsequenz der Unterwerfung der Sprache unter die Logik der Schrift. Läßt sich hierauf nicht das „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz bedeckt mit Hohn“ beziehen: Reflex der Verwandlung des Verbs ins Prädikat, in den Begriff? Und ist der bestimmte Artikel, der das Nomen zum Hauptwort macht, die Dornenkron‘, die das Substantiv zum Substantiv gemacht hat?
    Pilatus: Die Ontologie ist der Statthalter des Inertialsystems in der Sprache.
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes macht nicht nur Ihn zum Autisten, sondern – durch das Gesetz, wonach alle Attribute Gottes Imperative sind – auch die Gläubigen. War das nicht der eigentliche Zweck der Sache?
    Unter diesem Aspekt – daß die Attribute Gottes Imperative und keine harmlosen Indikative sind – die Trinitätslehre und die Opfertheologie untersuchen: Problem der Anwendung der Objektivationslogik auf Gott und ihrer Wirkungen. Hier bleibt einem das Wort von der „Rede von Gott“ (bei der Theologen wohl nur an die Predigt denken) nicht im Halse stecken?
    Ist nicht der Weltbegriff, der zwangsläufig die Idee des Absoluten nach sich zieht, in sich selbst blasphemisch?
    „Fremdwörter“: Ich vermute es gibt Leute, die Religion für ein deutsches Wort und Theologie für ein Fremdwort halten. (Aber ist nicht in der Tat Theologie nur innerhalb des Christentums, in der Religion des Logos, erlaubt und möglich?)
    Ist nicht die Differenz zwischen der griechischen und lateinischen Theologie u.a. darin begründet, daß der Logos maskulin und das Verbum neutrum ist? Und spielt dieses Differenz nicht in die Beziehung von physis und natura, kosmos und mundus, mit herein? Das neutrale Verbum ist bereits Ausdruck der Einbeziehung des Logos ins imperiale Herrendenken. Der byzantinische Pomp ist eine Ersatzbildung für das fehlende logische Äquivalent des Herrendenkens in der Sprache, das erst im Lateinischen sich bildet.
    Autonomie ist das Ziel, aber sie ist nur durch das Votum für die Armen und die Fremden hindurch zu gewinnen.
    Bezeichnet nicht die List der Vernunft bei Hegel die Stelle, an der bei Carl Schmitt der dezisionistische Souveränitätsbegriff und bei Heidegger die Entschlossenheit und das Vorlaufen in den Tod steht? Ist nicht Hegels List der Vernunft ein Produkt der Instrumentalisierung der Umkehr? Die Unterscheidung von Begriff, Urteil und Schluß hat die drei Dimensionen des Raumes (ihre Anwendung auf die Sprache) zur Grundlage und gehört zu den Konstituentien des Objektbegriffs.
    Schließt nicht die adamitische Benennung der Tiere die des Tierkreises mit ein? Und gehört die Geschichte der Astrologie zur Geschichte des Ursprungs der Schrift (und hängt sie zusammen mit der Bildung des Neutrum und dem Ursprung der indogermanischen Sprachen?
    Was bedeutet es eigentlich für die logische Struktur des Staates, wenn es keine Alternative mehr gibt zur strafrechtlich abgesicherten Beschneidung der „Freiheit der Rede“ (Leugnung von Auschwitz)? Kann es überhaupt noch einen Staat geben, zu dessen Vergangenheit ein Verbrechen wie Auschwitz gehört? Welche Nachwirkungen hat dieses Verbrechen:
    – für eine Justiz, die nicht fähig war, ihren eigenen Anteil daran aufzuarbeiten, die sich selbst zum Apparat: und damit für unzurechnungsfähig und im Entscheidenden für schuldunfähig erklärt hat,
    – für eine Politik, die durch ihre eigenen Rechtfertigungszwänge sich gezwungen sieht, Entscheidungen, die sie nicht mehr zu fällen in der Lage ist, an die Justiz, die für ihre Entscheidungen nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, zu delegieren?
    Gibt es eine Beziehung (oder sogar eine funktionale Abhängigkeit) zwischen dem Wert der Lichtgeschwindigkeit und der Gravitationskonstanten? Und kann es sein, daß diese Beziehung zu den Gründen der Bewegungen des Himmels und der Sterne gehört?
    Hinweis zur Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft: Der kopernikanischen Wende in den Naturwissenschaften ist die konstantinische Wende in der Theologie (der Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie mit der Folge der trüben Vermischung von Gotteserkenntnis und Herrschaftsmetaphorik, insbesondere im Begriff des Absoluten) vorausgegangen. Die aufklärerische Bedeutung der Naturwissenschaften liegt darin, daß sie, indem sie die Herrschaftsmetaphorik in sich aufgesaugt hat, diese für theologische Zwecke unbrauchbar gemacht hat.

  • 3.10.1994

    Theologie beginnt, wenn endlich einmal nicht mehr die Substantive großgeschrieben werden, sondern allein der Gottesname: wenn Erkenntnis aus dem Bann der Verdinglichung heraustritt.
    Das Substantiv ist eine Steigerung des Nominativ und setzt die Trennung des Nominativ vom Akkusativ voraus (wie sie im Deutschen nur dem Maskulinum, nicht jedoch dem Femininum, eignet, während die griechische und lateinische Sprache die Grenze zwischen Person und Sache legt (nur das Neutrum kennt die Identität von Akkusativ und Nominativ), in den anderen modernen Sprachen erstreckt sich die Neutralisierung des Nominativ, seine Angleichung an den Akkusativ, auf die gesamte Deklination.
    Müßte man nicht in Anlehnung an die „Haupt- und Staatsaktionen“ (im barocken Trauerspiel) die Substantive (die ebenfalls dem Barock sich verdanken) Haupt- und Staatswörter nennen? Die Substantive sind Ausdruck einer Staatsmetaphysik, zu der auch der Titel des Staatsanwalts (dessen sprachlogischer Grund eine eigene Untersuchung verdiente) gehört.
    Die „Schamlosigkeit der Glaubensbekenntnisse“ (Levinas: Schwierige Freiheit, S. 70) ist eine Konsequenz aus der Logik der Schrift – wie auch die Verinnerlichung der Scham, die zum Kontext des Ursprungs der modernen Naturwissenschaften gehört und den Konfessionalismus begründete: Sie ist Teil einer Phase der Geschichte der Logik der Schrift und gehört (wie der Kreuzestod und wie die Ärgernisse, die kommen müssen) zur „Erfüllung der Schrift“. Das letzte Produkt der Verinnerlichung der Scham (und der darin gründenden Schamlosigkeit) ist der Skinhead. Hier hat die verinnerlichte Scham das Subjekt ausgebrannt; dafür rächt es sich an den andern. Das Angeblicktwerden erinnert an die verdrängte Scham und ist deshalb unerträglich und Auslöser der Aggression.
    „Herr der Himmelsheere“: Ist das nicht der Herr und Adressat der Engelschöre? Sind die Engelschöre die Himmelsheere?
    Rührt der Name des Himmels nicht an das gleiche Problem, das im Deutschen im Verhältnis des Femininum zum Plural steckt: Die Deklination des bestimmten Artikels im Femininum singular ist identisch mit der allgemeinen Plural-Deklination. Ist hier nicht die Grenze, an der das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem aus dem starren Subsumtionsverhältnis des Begriffs sich löst und in ein Umkehrverhältnis transformiert wird? Der Begriff der Materie verdankt sich der Abstraktion von diesem Umkehrverhältnis, dessen gegenständliches Korrelat die Feste des Himmels ist (deren Ausdruck ist das Gravitationsgesetz): Die Materie ist das gleichnamig gemachte Ungleichnamige.
    Grenzen der Beweislogik, Zeuge und Zeugnis: Selbst die Gestalt des Märtyrers ist vor Mißbrauch nicht geschützt: Die „Heldenfriedhöfe“ machen von diesem Konstrukt Gebrauch, wenn sie den „Heldentod“ zum Zeugnis für die Wahrheit des Bekenntnisses zur Nation instrumentalisieren. Das war der Hintergrund und die Basis der faschistischen Parole „Blut und Boden“. Mit Hilfe dieses Konstruktus schirmt der Nationalismus gegen jede Kritik sich ab, wenn er auf den Tod und das Blut der Helden sich beruft. Das Blut der Helden heiligt den Boden, auf dem es vergossen wurde.
    Vgl. hierzu
    – den biblischen Satz von der Erde, die „der Schemel Seiner Füße“ ist,
    – die Zerstörung dieses Satzes durch das Institut des Privateigentums, die den Boden zur Ware vergegenständlicht (Staat, Eroberung und Handel),
    – die logische Sanktionierung dieses Vorgangs durch die naturwissenschaftliche Vergegenständlichung der Welt, durchs Inertialsystem.
    Die Kopernikanische Wende hat durch Identifikation von Last und Joch im Begriff der Materie Gottes Thron und den Schemel Seiner Füße zerstört.
    Grundsätzlich obliegt im Rechtsstreit die Beweispflicht der Anklage und nicht der Verteidigung; der Verteidigung obliegt sie nur aufgrund der gleichen Lücke in der Beweislogik, der auch das Faktum, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, sich verdankt. Auf dieser Grundlage wäre (gegen Carl Schmitt) nachzuweisen, daß wirkliche Souveränität im Gnadenrecht, nicht im Exekutionsrecht sich manifestiert.
    „Ich werde euch den Beistand senden“: nicht zur Selbstverteidung, sondern zur Verteidigung der Barmherzigkeit, zur Verteidigung des Glücks, das der Erfüllung des tiefsten Wunschs der Menschen sich verdankt, endlich uneingeschränkt gut sein zu dürfen.
    Wenn die Theologie hinter dem Rücken Gottes Gott autistisch macht, und wenn es stimmt, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, dann liegt die eigentliche Wirkung dieser Theologie darin, daß sie nicht Gott, sondern die Gläubigen zum Autismus verführt. Bezieht sich der Satz vom Binden und Lösen auf diesen Sachverhalt?
    Die Philosophie wird zur monologischen Theorie dadurch, daß sie nur das Denken des Andern ins eigene Denken mit aufnimmt (durch die noesis noeseos, die sich bei Kant zur Erkenntniskritik entfaltet), nicht aber die Barmherzigkeit, das Votum für die Armen und die Fremden, die „Witwen und Waisen“. Das Denken des Denkens konstituiert sich im Verhältnis zur Natur, es verkörpert, vergegenständlicht, materialisiert sich im Weltbegriff (der die Barmherzigkeit a limine aus dem Begriff der Erkenntnis ausschließt). Es schlägt seine Wurzeln im Subjekt in den subjektiven Formen der Anschauung. Diese Wurzeln sind die Wurzeln des Baumes der Erkenntnis und das Instrument der Vergesellschaftung zugleich.
    Emmanuel Levinas hat die These Hermann Cohens, wonach die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern des Handelns sind, verschärft: Ihm zufolge stehen die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ (Schwierige Freiheit).

  • 26.9.1994

    Die Logik der Schrift ist die Basis der Logik der Projektion. Die beiden Aspekte des Christentums (Menschenfreundlichkeit und politische Barbarei) gründen in diesem Sachverhalt.
    In dem projektiven Charakter der Logik der Schrift gründet der katastrophische Aspekt der Schrift. Die Hölle ist ein Produkt der projektiven Verarbeitung der Gottesfurcht (die Hölle war immer die Hölle für andere, man selbst war nur als Anderer für Andere betroffen: heute ist jeder Teufel und arme Seele zugleich).
    Sind nicht die Präpositionen, die Raum-Beziehungen bezeichnen (vor, über, hinter, von, zu) alle neutralisierte Angesichts-Beziehungen: Subjekt-Objekt-Beziehungen, die in der Abstraktion vom Angesicht gründen: in der Schicksals-Idee?
    Eine Sprache, die die bestimmten Artikel ins System der Deklinationen mit hereinnimmt, ist eine Sprache, die vorm Angesicht flieht (die aber zugleich auch fähig ist, diese Flucht vor dem Angesicht ausdrücken). Der deklinierbare bestimmte Artikel ist das Grauen um und um (oder das Korrelat der subjektiven Form der äußeren Anschauung: die Form des Raumes, in der Rechts und Links nicht mehr sich unterscheiden lassen).
    Die Sprachlogik ist der Inbegriff und das Ensemble der in die Sprache eingebauten synthetischen Urteile apriori.
    Zum Verhältnis der beiden Schöpfungsberichte: Der erste stellt die Schöpfung als Abfolge von Katastrophe und Rettung vor Augen (jedem bara folgt eine Katastrophe), der zweite beginnt mit der Rettung (dem Paradies) und macht die Katastrophe (die entgleitenden Folgen der Schöpfungstat Gottes) zur Folge des Handelns der Menschen.
    Schöpfung als Katastrophe: Hat das Tier aus dem Meer etwas mit dem „großen Seeungeheuer“, auf das das bara des fünften Tages sich bezieht, etwas zu tun? Zu seinen Mitgeschaffenen gehörten die Fische und die Vögel des Himmels. Und verweist das Tier vom Lande (es hat zwei Hörner wie das Lamm und redet wie ein Drache) auf das dreifache bara bei der Erschaffung des Menschen (ist das Tier vom Lande die Kirche, die Kelch getrunken hat: der Petrus der dritten Leugnung)?
    Liegt der Fehler Hegels nicht darin, daß er die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik (aus den Formen der Anschauung in den Begriff) verschiebt?
    Durch ihre Vergegenständlichung im Inertialsystem (eine Folge der Anwendung der subjektiven Formen der Anschauung auf sich selbst) haben die subjektiven Formen der Anschauung den Schein der Unkritisierbarkeit, der Nicht-Hinterfragbarkeit, der fraglosen Grundlage aller Erkenntnis, angenommen. Der Systemgrund dieses Vorgangs liegt im Werk des zweiten Tages: in der Feste, die die unteren von den oberen Wassern trennt (die Formen der Anschauung und die durch sie geprägten Sprache des Begriffs von der benennenden Kraft der Sprache). Und diese Feste hat Gott dann Himmel genannt: mit dem Namen, den er im Anfang (und als erstes, noch vor der Erde) „geschaffen“ hat. Mit den oberen und unteren Wassern wurden das Gericht und die Barmherzigkeit, die Philosophie und die Prophetie, die Kraft des Begriffs von der Kraft des Namens, getrennt (Hinweis zur Kritik der politischen Theologie Carl Schmitts).
    Wie hängt die Logik der Schrift mit den subjektiven Formen der Anschauung zusammen (mit dem Gesetz, dem die Sprache mit ihrer Vergegenständlichung unterworfen wird)? Die transzendentalen Logiken sind ein Teil des Schuldverschubsystems, das die Schöpfung insgesamt verhext. Dieses Schuldverschubsystem (und der Objektivationsprozeß, in dem es sich entfaltet) gründet den Boden, auf dem wir glauben, fest stehen zu können („Blut und Boden“: den Blutacker!).

  • 22.9.1994

    Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Verfahren gegen den 38-jährigen Siegfried Nonne „mit Rücksicht auf die Kronzeugenregelung“ eingestellt. Siegfried Nonne hatte Anfang 1992 ein „Geständnis“ über eine angebliche Beteiligung an dem Mord an Alfred Herrhausen abgelegt, und hierbei Namen von Leuten genannt, die die Tat begangen haben sollen. Später hat er dieses „Geständnis“ öffentlich (u.a. in der ARD-Sendung „Brennpunkt“) mit dem Hinweis widerrufen, er sei „von hessischen Verfassungsschützern gezwungen“ worden. Das Oberlandesgericht unterstellt, daß das erste Geständnis stimmte. Wer wurde damit freigesprochen: Siegfried Nonne, der Generalbundesanwalt oder der hessische Verfassungsschutz? Und außerdem: Liegt diese Entscheidung nicht in der Linie der Konsequenz aus dem dezisionischen Souveränitäts-Begriff Carl Schmitts, der immer mehr und immer deutlicher aus dem politischen in die juristische Ebene sich verlagert? Souverän ist nicht mehr das Staatsoberhaupt („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“), sondern die Justiz, die im Verfassungs- und im Staatsschutzbereich immer mehr politische Kompetenzen übernimmt. Grund ist ein Rechtsstaatsverständnis, das die Lücke im Recht durch eine gnadenlose und in ihrer Konsequenz selbstmörderische Staatsmetaphysik zu schließen versucht (hier liegt der systemische Grund für den Titel Staatsanwalt).
    Liegt in den Sätzen des Hiob und des Jeremias, in denen sie wünschen, schon vor ihrer Geburt gestorben zu sein, nicht die Geburt der modernen Naturwissenschaft: der Ursprung der der Vorstellung einer homogenen Zeit, die, indem sie die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, den Tod vor die Geburt verlegt (Zusammenhang mit der Reichsidee und dem babylonischen Caesarismus)?
    Wie hängen die Hiob- und die Jeremias-Stelle mit der anderen Stelle bei Jeremias (15: Noch ehe ich dich bildete im Mutterleib, habe ich dich erwählt) zusammen? Und hat diese Konstellation etwas mit dem Ursprung des Weltbegriffs (und seiner Vorankündigung bei Jeremias) zu tun? Die Verfluchung der eigenen Geburt und das Motiv des Schreckens um und um sind die Innenansicht der Verzeitlichung der Konjugation und des Ursprungs des Neutrum, beide sind durch die Geschichte der Reichsbildung vermittelt. Herrschafts- und sprachgeschichtlich gehört das zusammen wie Nebukadnezar und der Turmbau von Babel. Die babylonische Sprachverwirrung gehört zur Ursprungsgeschichte der Zivilisation: die Bibel hält die Erinnerung an die Schreckenserfahrung fest, die die Zivilisationsgeschichte (unterm Vorzeichen der Philosophie) in der Sprache selber (durch ihr ihre eingeschriebene Logik und Struktur) verdrängt. Diese Erfahrung wird durch den Weltbegriff neutralisiert.
    Bezieht sich Deut 2210 „Du sollst nicht Ochse und Esel zusammen vor den Pflug spannen“ (wie auch die damit zusammenhängenden Gebote der Vermischung) auf die „Vermischung“ von Vergangenheit und Zukunft in der Vorstellung einer homogenen Zeit (auf die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit)? Hat diese Stelle (das Verbot, Joch und Last gleichzusetzen: die Diskriminierung des mechanischen Materiebegriffs) etwas mit dem gordischen Knoten (der Joch und und Deichsel verbindet) zu tun?
    Gibt es in der Bibel das Gebot: Du sollst nicht lügen? Vgl. Lev 1911: „Ihr sollt nicht stehlen und nicht ableugnen und nicht einer den andern betrügen“ (Zürcher Bibel)/ „Ihr sollt nicht stehlen, nicht täuschen und einander nicht betrügen“ (Einheitsübersetzung).
    Nicht aufs Ansehen (auf den Ruf), sondern aufs Tun kommt’s an.
    Ist der Katholizismus heute nicht endgültig zur Weltreligion geworden (und geht er daran nicht zugrunde)?
    Die Zukunft aus der Herrschaft der Vergangenheit befreien (die Zukunft freischaufeln), das kann niemand allein. Deshalb kann niemand alleine Christ sein.
    Die Personalisierung des Teufels hat (wie jede Verteufelung seitdem) nur zur Stabilisierung von Herrschaft beigetragen (Verteufelung als Blitzableiter der Herrschaftskritik). Besser als hinter seiner Personalisierung konnte sich der Teufel nicht verstecken. Aber das funktionierte nur solange, wie das Bild des Teufels aus der Sexualmoral sich nährte. Die Schrecken der Hölle waren nur solange wirksam, wie es möglich war, die Schrecken der Herrschaft in der Phantasie noch zu steigern.
    Die Opfertheologie ist das Produkt der Theologisierung der Logik der Ausbeutung.
    Hegels Philosophie heult mit den Wölfen (und das Weltgericht ist das Heulen der Wölfe). – Wie hängt die Klugheit der Schlange mit dem Heulen der Wölfe zusammen?
    Hat das Gebot, den hebräischen Sklaven nach dem sechsten Jahr freizulassen, etwas mit der Geschichte der hebräischen Schrift (mit der Geschichte der Logik der Schrift als Grund und Spiegel der Herrschaftsgeschichte) zu tun?
    Mit der kopernikanischen Wende ist die Erde ein zur kapitalistischen Aneignung freigegebenes „herrenloses Gut“ geworden. Darin liegt die theologische Bedeutung des Konzepts eines unendlichen Raumes. Insofern gehören Kopernikus und die „Entdeckung Amerikas“ (als Paradigma der Kolonialisierung der Welt) zusammen.
    „Spruch des Herrn“: Ist das nicht der Versuch, die Logik der Schrift von ihrem Fluch, an die Adresse des Allgemeinen gefesselt zu sein, zu befreien? Rosenzweigs Kritik des „All“ wäre durch die Kritik der Gemeinheit (die Kritik der Logik der Schrift) zu ergänzen (und als Kritik des Allgemeinen, des Weltbegriffs zu entfalten).
    Die Allgemeinheit des schriftlich fixierten Rechts hat zum Grund die Souveränität dessen, der das Gesetz erlassen hat (nach Heinsohn des gleichen, der auch als erster in seinem Namen Geld geprägt hat: Hammurabi = Darius).
    Hat der Rekurs der Heinsohn-Gruppe auf eine Naturkatastrophe (die Venus-Katastrophe) nicht seine eigene Logik in der Konsequenz, die ihn mit seinem historistischen Ansatz verbindet? Hier wird gleichsam ein zweitesmal die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert.
    Handelt nicht der „Sündenfall“ von der Geschichte, in der die Sprache (auf dem Wege von Jerusalem nach Jericho) unter die Räuber (unter die Logik der Schrift) gefallen ist („die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen“)? Der Priester und der Levit sahen ihn und gingen vorüber.
    Der Weltbegriff ist der Ursprung, das Instrument und das Produkt der Identifikation mit dem Aggressor.
    Die kopernikanische Wende hat die Verinnerlichung der Schicksalsidee zur Verinnerlichung der Scham weitergetrieben, ein Prozeß, in dem die Scham gegen das Subjekt selber sich wendet, es tendentiell auslöscht.
    Nur die deutsche Sprache hat die kopernikanische Wende in ihre Sprachlogik mit aufgenommen, während die anderen modernen Sprachen, insbesondere die romanischen Sprachen, in der Logik der Islamisierung der Sprache steckengeblieben sind. (Ist nicht die gesamte osteuropäische Orthodoxie insofern ein Archaismus, als sie die Lehre in einem vorislamischen Stand konserviert?).
    Sünde wider den Heiligen Geist: Das Inertialsystem hat mit der Natur gemacht, was die Schrift mit der Sprache (und die Bekenntnislogik mit der Theologie) gemacht hat.
    Gott und Teufel, Feindbild und Opfertheologie: Zur Bekenntnislogik gehört das Feindbild wie das Idol zum Götzendienst; über die Bekenntnislogik gleicht deren Subjekt dem Bild seines Feindes ebenso sich an wie umgekehrt das Feindbild auch als Projektion dessen, was das Subjekt in sich selber verdrängen muß, begriffen werden muß. Über das Feindbild stellt eine Reflexionsbeziehung sich her, die den Inhalt des Bekenntnisses mit bestimmt. In seiner entfalteten Form leistet die Bekenntnislogik
    – die Sicherung der Verdrängungsleistung (durch Projektion des Verdrängten auf den Feind),
    – den Schein der Schuldfreiheit (Befreiung durch Bestrafung des Feindes als Sündenbock) und
    – die Abfuhr der Aggression, deren Ursprung ins Objekt verlegt wird, die dem Täter gleichsam nur objektiv und schicksalshaft widerfährt: Schuldig ist das Opfer, dessen stellvertretendes Leiden den Täter von der Schuld befreit.
    Dieser Mechanismus hat über die Opfertheologie (den transzendentallogischen Kern der Bekenntnislogik) den Weltbegriff nicht nur begründet, sondern zugleich „entsühnt“, den herrschaftslogischen Kern des Weltbegriffs (die poltische Theologie der Staatsmetaphysik) unsichtbar und unangreifbar gemacht.
    Die Tatsache, daß Jesus ein Jude war, wird sich erst dann produktiv in der Reflexion und Auflösung des Antijudaismus verwenden lassen, wenn sie als Teil der Kritik der Bekenntnislogik (und als Grundlage der Rekonstruktion eines prophetischen Erkenntnisbegriffs) begriffen wird.

  • 19.9.1994

    Das Lachen ist die Finsternis über dem Abgrund wie auch die dem Feind zugewandte Seite der Bekenntnislogik, die mit dem Feindbild zugleich den Inhalt des Bekenntnisses stabilisiert (Beziehung zur Opfertheologie). Das Lachen gehört ebenso wie die hierarchische Grundordnung, zu der es gehört, zu den Konstituentien einer durch Gewalt bestimmten Welt. Das Lachen steht in einem Systemzusammenhang mit dem Problem der Souveränität (Carl Schmitt); es definiert die Grenze zwischen dem Eigentlichen und dem Uneigentlichen, die Bei Heidegger als Produkt einer reinen Dezision („Entschlossenheit“) sich erweist. Das Stück Irrationalität, die Lücke, die das Lachen (der Dezisionismus) überbrücken soll, ist die systemische Lücke der Beweislogik. Nicht zwar überbrückt, wohl aber ausgelotet wird diese Lücke durch die theologische Idee der Barmherzigkeit, ohne die es eine Schöpfungslehre und die Lehre von die Lehre von der Auferstehung nicht gibt: sie sprengt den Natur- und Weltbegriff, indem sie die Trennung beider, die der eigentliche Grund des Lachens ist, aus dem Bann des Absoluten erlöst. Während im Schrecken (im „Grauen um und um“) die Schrift sich erfüllt, erfüllt sich das Wort in der Erlösung von diesem Bann. Die gesamte christliche Tradition hat die Erfüllung des Wortes mit der Erfüllung der Schrift verwechselt: Diese Verwechslung war der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen.
    Man kann Carl Schmitt nicht widerlegen, wenn man die Lücke, die er mit seinem Begriff der Souveränität zu schließen versucht, bloß leugnet (vgl. Krockow).
    Der Paulinismus hat mit dem Namen des Gesetzes (der in der Logik der Schrift gründet), die Erinnerung an die Lehre (die Voraussetzung der Erfüllung des Worts) gelöscht und nur deren Leichnam, das Dogma und die Eucharistie, übrigbehalten.
    Hat Joachim Ritter nicht recht, wenn er das Lachen als ein Ingrediens des Weltbegriffs begreift? Das Lachen ist das Instrument der Trennung von Welt und Natur: Mit dem Lachen hält die Welt sich die Natur vom Leibe. Die Sprache bewegt sich nur noch in der zweiten Natur der Subjektivität, sie reicht an die erste nicht mehr heran (wie in Habermas‘ Kommunikationstheorie).
    Aber Ritters Begriff der Subjektivität ist das Zeichen der Kapitulation vor der sprachfremden Objektivität, des Verzichts darauf, diese Objektivität mit der Vernunft zu durchdringen.
    Joachim Ritter übersieht den blutigen Ernst des Lachens, seine doppelte Beziehung zum Mord, in dem es sowohl gründet als auch endet.
    War nicht das homerische Lachen der Götter Ausdruck der Auseinandersetzung mit dem Schicksal: die Subjektivierung des Lachens war ein Nebeneffekt der Verinnerlichung des Schicksals (und des Ursprungs einer Gottesidee, zu der die Vorstellung gehört, daß Gott seiner nicht spotten läßt: Modell des heute vergesellschafteten Instituts der „Majestätsbeleidung“).
    Ist der Mond die astronomische Verkörperung des Lachens? Das würde begründen, weshalb Hunde den Mond anbellen. (Und der Zyklus der Frauen hängt mit dem Mondzyklus zusammen.)
    Gibt es innersprachliches Äquivalent jener Engel-Kosmologie, die die Paulus-Briefe auszeichnet (und u.a. in der kirchlichen Liturgie, in der Präfation, erscheint)? Ist das kreisende Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses die Verkörperung des Lachens (JHWH thront auf den Kerubim)?
    Wenn Jesus nicht gelacht, dafür aber die Dämonen ausgetrieben hat, so ist das das genaueste Symbol der Erfüllung des Wortes.
    In ihrer mystischen Tradition haben die Juden versucht, das Wort aus seiner Verstrickung in die Logik der Schrift zu befreien, während die christliche Tradition das Wort erneut der Logik der Schrift unterworfen hat.
    Ist nicht das Deutsche die vollendete Entfaltung der Logik der Schrift? Und sind davon nicht die deutsche Klassik, die deutsche Musik und die deutsche Philosophie der vollendetste Ausdruck? Daß bei Schelling die Zukunft „geahndet“ wird (und nicht, wie es nach der Entfaltung des Weltbegriffs allein noch möglich ist, erinnert), ist hierzu ein Schlüsselwort: Spökenkieker mögen die Zukunft „ahnen“, geahndet wird nur die Schuld, in deren Zusammenhang die Zukunft mit dem entfalteten Weltbegriff irreversibel sich verstrickt.
    Vgl. die Vermutung Gunnar Heinsohns, daß Darius (der Erfinder des gemünzten Geldes) der biblische Hammurabi ist (der erste, der das Recht der Logik der Schrift subsumiert, es zum Gesetz gemacht hat). Gegen das persischen Reich waren in der Tat das assyrische und das babylonische nur Vorstufen.
    Hat der Ursprung und die Geschichte der Beichte etwas mit dem Ursprung und der Geschichte des Geldes (Heinsohn) zu tun? Auch hier wurde die Schuld in kleine Münze umgeformt, die am Ende als ganze eingefordert werden wird (Ursprung und Geschichte der Schuldknechtschaft, Geschichte der Banken).
    (Liegt „meiner“ Interpretation der Geschichte der drei Leugnungen die matthäische Version zugrunde?)
    Das typologische Schriftverständnis müßte im Kontext einer Kritik der Philosophie (einer Kritik der Geschichte der Logik der Schrift) sich sprachlogisch begründen lassen.
    Nur die Schriftreligionen sind Weltreligionen.
    Heute machen sich die Bücher mit dem Weltgericht gemein (mit wenigen Ausnahmen). Der Hegelsche Weltgeist ist das durch die Logik der Schrift gekreuzigte, gestorbene und begrabene Wort.
    Mit dem Übergang vom Märtyrer zum Confessor, der dann die Geschlechtertrennung der Heiligen (den Ursprung der „Virgo“) nach sich gezogen hat, ist das Zeugnis der Wahrheit, das vorher das des Martyriums war, vergeistigt worden zur confessio: Hierdurch ist die Wahrheit in die Logik der Schrift zurückgenommen, in ein Herrschaftsmittelt umgeformt (und patriarchalisiert) worden. Die Logik der Schrift ist die Logik der Instrumentalisierung (oder auch die Logik der Vergegenständlichung, des Weltbegriffs).
    Reflektieren nicht die Grammatiken allesamt den Punkt, an dem die Sprachen zu Schriftsprachen geworden sind?
    Das Substantiv ist der Verdunkelungspunkt der Grammatik, das schwarze Loch, das alle Erkenntniskraft der Sprache in sich aufsaugt und nicht mehr herausläßt.
    Wie kommt es, daß in den modernen romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) tendentiell das Neutrum wieder entfällt?
    Gründet das Neutrum in der Angleichung von Ja und Nein (Ursprung der Reflexionsbegriffe).
    Gehört nicht zur Bekenntnislogik als ihr Kern das Opfer der Vernunft? Der Ausgleich ist das Feindbild (Ursprung des Weltbegriffs).
    Korruption und Verschwendung der Regierenden steigen mit der Not des Volkes.
    Ist nicht jeder Staatskapitalismus zum Untergang verurteilt, sobald er beginnt, die agrarische Produktion zu vergesellschaften; liegt nicht hier die Quelle der Paranoia aller „sozialistischen“ Diktaturen, und gründet nicht hier der Mechanismus, der sie zwingt, am Ende von der eigenen Substanz zu leben? Und sind das nicht zugleich drastische Beispiele für die Folgen der Bekenntnislogik, die unvermeidbar waren, nachdem Kritik in ein Herrschaftsmittel verwandelt (der historische Materialismus zur Ideologie) wurde: für die Folgen Instrumentalisierung der Sprache, der Trennung einer sprachfreien Realität von der subjektivierten Sprache?
    Der Wohlgesonnene ist für den Nationalgesinnten ein Sympathisant.
    Der Staat gründet im Urteil, und das Gewaltmonopol des Staates ist das Prinzip der Selbstzerstörung der Sprache.
    Der Grund, aus dem jede Ästhetik erwächst, ist die Reflexion. Auf diesem Boden von „realer Gegenwart“ zu sprechen (George Steiner) heißt: den Schein hypostasieren.
    Der Satz „Das Eine ist das Andere des Andern“ fixiert mit der Konsequenz, die Hegel daraus zieht, den Blick des Anklägers und treibt die Barmherzigkeit aus (die jeder Ankläger mit den Dämonen verwechselt). Die Welt ist der Inbegriff der verandernden Kraft, und deren Repräsentanten im Subjekt sind die subjektiven Formen der Anschauung (und deren objektiver Grund wiederum ist die Logik der Schrift).
    Zu Begriff der Spekulation: Das Subjekt, das sich in der entfalteten Reflexion zu verlieren droht, bedarf des Absoluten als eines Spiegels, in dem es sein Selbst entdeckt und wiedergewinnt. Dieses Absolute ist Subjekt, Gegenstand und Produkt der Spekulation. Der Grund, aus dem es hervorgeht und erwächst, ist der Schein. Bezieht sich hierauf nicht das Bild von der Konstellation Schlange, Adam und Staub (die Schlange frißt den Staub, den Adam produziert)? Der Dezisionismus, der nicht zufällig in der Lehre von der Souveränität gründet, ist das unfreiwillige Schuldeingeständnis des Absoluten. Und die Idee des Absoluten ist das Denkmals des philosophischen Erbes der Theologie. Durch die Idee des Absoluten ist die Theologie auf eine höchst ironische Weise zur Magd der Philosophie geworden.
    Kopernikanisches System und Fernsehen: Das Inertialsystem ist die Schaubühne, auf der wir Autor, Regisseur und Schauspieler in einem sind, nur daß wir es am Ende als Zuschauer nicht mehr merken.
    Verkehrte Welt: Der Weltbegriff ist die Einheit der Gegenständlichkeit des Wissens mit der Subjektivität der Natur.

  • 17.9.1994

    Die Spuren der zukünftigen Welt liegen in der Vergangenheit, und hier liegt die Kraft zu lösen. Und wenn es von der Sünde wider den Heiligen Geist heißt, daß sie „weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben“ wird, so bezieht sich dieses Vergeben auf die Sünde Adams als die Sünde der Welt: auf das Problem der vergangenen Zukunft.
    Liegen nicht die Fehler der bisherigen Kritik des Werkes von Carl Schmitt darin, daß die Erkenntnisses Carl Schmitts als Bekenntnisse auffaßt: daß sie dieses Werk verharmlost.
    Hat Carl Schmitt nicht recht: Schließt nicht jedes Urteil ein dezisionistisches Moment mit ein, das die Lücke schließen soll, die die Beweislogik nicht schließen kann, und gründet nicht alle gesellschaftliche Ordnung in der Kraft der Urteilslogik (und bezieht das Urteil diese Kraft nicht aus dem Gewaltmonopol des Staates)? Deshalb gehört zum Dogma – ebenso wie eine Opfertheologie – das Dogma der Unfehlbarkeit (das theologisch-kirchliche Pendant der Souveränität).
    Liegt nicht ein Grundfehler der kirchlichen Schriftauslegung in der fehlenden Problematisierung der neutestamentlichen Gemeinschafts-Bezeichnungen Kirche und Synagoge, die eher auf Strukturen der Vergesellschaftung der Religion verweisen als auf die Unterscheidung von Christen und Juden. Kann es nicht sein, daß die dem neutestamentlichen Bild der Synagoge zugrundeliegenden Strukturen heute eher die christlichen Gemeinschaften treffen als die jüdischen, auch wenn diese noch den gleichen Namen tragen?
    Liegen nicht die Gefahrenpunkte des Weltprozesses überall dort, wo die caesarische Tradition mit hereinspielt: das gilt außer für Deutschland auch für die Schah-Tradition im Iran und für die Zaren-Tradition in Rußland und deren politische Folge-Strukturen. NB: Hat die islamische Tradition nicht schon in ihren Anfängen mit dem Weltbegriff und dem Konzept der Bekehrung durch Eroberung (das dann vom westlichen europäischen Christentum fortgeführt und in die Fundamente der westlichen Zivilisation mit hereingenommen worden ist) dieses caesarische Erbe als religiöses Erbe übernommen? Sind nicht alle „Welt-Religionen“ caesarisch? Ist nicht die Bekenntnislogik die Logik des Caesarismus?
    Daß man in Deutschland keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selber zu glauben, hängt mit der caesarischen Tradition (mit der caesarisch instrumentierten Sprachlogik des Deutschen) zusammen.
    Nicht-Ich: Die Struktur der Welt selber erzwingt einen Begriff der Religion, der Religion nur noch als „Religion für andere“ (das wäre übrigens die präziseste Definition der „Weltreligion“) zuläßt, in der aber jeder von den Forderungen der Religion sich dispensiert weiß.
    Was bedeutet der Begriff des „Samen“ („Nachkommen“) in der Sündenfall-Geschichte?
    In welchen Sprachen gibt es ein Neutrum? Wie ist es im Russischen oder im Persischen?
    Sind nicht alle Kosmologien Produkte des Exkulpationstriebs, des Rechtfertigungszwangs, des Schuldverschubsystems (und dessen Ursprungsgeschichte die Geschichte vom Sündenfall)?
    „Das mußt du mir büßen!“ Ist nicht dieser Satz Ausdruck einer blasphemischen Hybris, die die Umkehrforderung auf sich anstatt auf Gott bezieht; aber steht er nicht in der Tradition der christlichen Opfertheologie? Und ist nicht das Geld die säkularisierte Gestalt dieses instrumentalisierten, blasphemischen Opferverständnisses? Vgl. den Titel „Büßerin“ für Maria Magdalena.
    „Herr“ ist, wer sich das Recht erworben hat, Opfer zu fordern und Bußen aufzuerlegen.
    Wie hängt die Bekenntnislogik mit der Logik der Schrift zusammen, und wie verhalten sich beide zum Weltbegriff und zur caesarischen Tradition?
    Zum letzten Stück der „Minima Moralia“: Es ist wahr, „Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint“ (S. 480). Aber ist die Quelle dieses Lichts nicht in Joh 129 bezeichnet, und käme es nicht endlich darauf an, dieses Licht unter dem Scheffel, unter den die Kirche es gestellt hat, hervorzuholen?

  • 16.9.1994

    Der Markt transformiert (über die Schuldknechtschaft, die Lohnarbeit) die Unterscheidung von rechts und links in die von oben und unten. Die Trennung verläuft zwischen positivem und negativem Eigentum: zwischen Besitz und Schulden (Armut: Schulden als Stand). Im Hinblick auf die Sprache erweist sich der Markt als Bedeutungsvernichter und Machtgenerator (Zusammenhang mit dem System der Deklination, Ursprung des Nominalismus). Carl Schmitt: „Die Maschine läuft von selbst“ (Pol.Theol., S. 52).
    Ist es eigentlich so schwer zu begreifen, daß Recht und Religion (Staat und Gewissen) nicht kompatibel sind?
    Die subjektive Form der äußeren Anschauung, der Raum, stabilisiert und konserviert die Bedingungen seiner Genesis: die Geschichte der drei Leugnungen. Der Raum ist das Produkt eines Systems von Abstraktionen, die insgesamt sich herleiten lassen aus der Geschichte der realen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur, der Geschichte der gesellschaftlichen und individuellen Selbsterhaltung im Kampf gegen die Mächte der Natur, des Mythos und schließlich der realen politischen und ökonomischen Gewalten. Zu den Konstituentien der Raumvorstellung gehört ebenso das Geld und das Privateigentum wie auch die Schrift, das Recht und das Gewaltmonopol des Staates. Der letzte Schritt der Bildung der Raumvorstellung, deren Geschichte mit der des Ursprungs und der Entfaltung des Tauschprinzips (auch mit der Geschichte der Religion und des Opfers) zusammenfällt, wurde vorbereitet in der Geschichte der Instrumentalisierung des Opfers und vollendet mit der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, mit dem Institut der Lohnarbeit. Systemgrund war das Institut der Schuldknechtschaft (das zum Tauschprinzip ähnlich sich verhält wie die Gravitation zum Inertialsystem).
    Ist nicht die Schrift in der Geschichte der Kirche zum Buch mit sieben Siegeln geworden?
    „Jede Grundordnung ist eine Raumordnung“ (Carl Schmitt, Land und Meer, S. 71). Hatte Carl Schmitt nicht in der „Politischen Theologie“ die „Grundordnung“ vom Recht getrennt und zum eigentlichen Produkt der Souveränität, deren Aufgabe es ist, „über den Ausnahmezustand zu entscheiden“, erklärt?
    Für die europäischen Völker waren nach Carl Schmitt die „nicht-europäischen und nicht-christlichen Länder und Völker … herrenloses Gut“ (Land und Meer, S. 72).
    „Innere Kämpfe, Bruderkriege und Bürgerkriege, sind bekanntlich die grausamsten aller Kriege.“ (S. 73) Die „Weltkriege“ dieses Jahrhunderts waren Welt-Bürgerkriege, und „Weltanschauungskriege“ sind zu Vernichtungskriege geworden, weil die der „Weltanschauung zugrunde liegende Bekenntnislogik alle äußeren Verhältnisse in „innere“ Verhältnisse transformiert, zu Objekten der eigenen imperialistischen Ansprüche macht. Tendentiell sind sie dazu geworden, als mit der Vorstellung des unendlichen Raumes auch das Herrendenken grenzenlos und irreversibel geworden ist (die innere Differenzierung des Herrendenkens in der äußeren Welt keine Entsprechung mehr vorfand).

  • 15.9.1994

    Carl Schmitt, der Weltbegriff, die Bekenntnislogik und der Begriff der politischen Theologie.
    Die politische Theologie ist das Objekt der vorletzten Bitte des Herrengebets: et ne nos inducas in tentationem.
    Der Caesarismus ist die logische Konsequenz der Philosophie (des Weltbegriffs). Er gründet im Problem der Souveränität: er ist ein Versuch, das Problem des politischen Handelns unter den Bedingungen der Ontologie zu lösen; dieser Versuch mündet zwangsläufig im Dezisionismus.
    Ist nicht das, was wir heute den Rechtsstaat nennen, die Verlagerung des Problems der Souveränität in die Verwaltung, in die Person des Richters (vgl. die Entwicklung zur Politisierung des Bundesverfassungsgerichts) und in die Institutionen staatlicher Gewalt (Milität und Polizei)? Insgesamt scheint es nur noch um die Destruktion der Verantwortung zu gehen. So läßt sich der heutige Stand des Problems der Souveränität am Anwachsen der Verwaltung, an der wachsenden Stummheit der Politik und an der generellen Tendenzen zu Militärdiktatur und Polizeistaat ablesen. Vgl. hierzu Carl Schmitt, Politische Theologie, S. 37: „Daß es die zuständige Stelle war, die eine Entscheidung fällt, macht die Entscheidung relativ, unter Umständen auch absolut, unabhängig von der Richtigkeit ihres Inhalts und schneidet die weitere Diskussion darüber, ob noch Zweifel bestehen können, ab.“
    Carl Schmitt zieht die politischen Konsequenzen daraus, daß die Kirche spätestens seit der Privatisierung der Sexualmoral die Erbsünde unter das Schuldverschubsystem subsumiert hat.
    Joh 1915: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“ Dieser Satz der Hohepriester vor Pilatus ist ein Schlüsselsatz zum Verständnis des Johannes-Evangeliums; außer dem „Antijudaismus“ des Johannes-Evangeliums begründet er, weshalb die Sadduzäer nicht an die Auferstehung glaubten. Im unmittelbaren Anschluß an diesen Satz heißt es: „Darauf lieferte er (Pilatus) ihn an sie aus, damit er gekreuzigt würde.“

  • 8.9.1994

    Ist der demagogische Trick Kohls nicht vorgebildet in der Geschichte der Physik: Die Kopenhagener Schule, die selber nach Einstein die Physik wieder ins Paradigma der Naturbeherrschung zurückgebogen hat, hat sich zugleich in der Öffentlichkeit immer als „Überwindung“ der klassischen Physik, zu der sie dann insbesondere Einstein hinzugerechnet hat, präsentiert, und den Preis der Rückkoppelung (die Unbestimmtheitsrelation und den Korpuskel-Welle-Dualismus als Komplementaritätsprinzip) als besonderen Gewinn sich selbst und den anderen eingeredet. Das wirklich Neue bei Einstein wurde damit der Reflexion entzogen. War nicht die Kopenhagener Schule, insbesondere ihr deutscher Teil, auf eine subtilere Weise antisemitisch als die ominöse „Deutsche Physik“?
    Gibt es eine (nationale oder weltanschauliche) Identität ohne Bekenntnislogik, und d.h. ohne eingebautes Feindbild? Ist nicht die politische Theologie Carl Schmitts (mit der Grundlage des Freund-Feind-Denkens) die genaueste Entfaltung der Bekenntnislogik? Und sind nicht Skinheads und Hooligans die letzten Confessoren?
    Hat Jesus nicht tatsächlich den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben, und zwar genau mit der gleichen Logik, mit deren Hilfe er den Vorwurf zu widerlegen versucht (ein Reich, das in sich uneins ist, …)?
    Die Bekenntnislogik ist der Kelch von Getsemane.
    Der Begriff der „zeitlosen Wahrheit“, Grundlage der Trennung von Natur und Welt, setzt voraus, daß es zur Vergangenheit des Vergangenen keine Alternative gibt.
    Zu Weigels Satz (in einem Brief an den WDR zur Lotto-Satire), daß er zwar Humor verstehe, aber …, fehlt die Ergängzung, die man wird hinzudenken müssen: Das Verständnis endet, wenn er selbst zum Objekt des „Humors“ wird. Dann ist er nur noch beleidigt. Hat nicht der Humor überhaupt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Duftmarken-Setzen der Hunde. Mit Humor werden Herrschaftsbezirke abgesteckt. Opfer des Humors sind in der Regel die, die aus der Gemeinschaft der Lachenden ausgeschlossen (oder zur Identifikation mit dem Aggressor gezwungen) werden sollen (Frauen, Juden, Ausländer). Der Humor hat die gleiche logische Struktur wie das Vorurteil und die Bekenntnislogik, wie er auch die gleiche Funktion hat: Gemeinschaftsstiftung durch gemeinsames Lachen: durch Identifikation des gemeinsamen Objekts. Auch der Antisemitismus ist eine Variante des Humors. Deshalb ist Humor nur erträglich, wenn er die Reflexion auf diese Struktur in sich mit hereinnimmt: als schwarzer Humor.
    Kein Bekenntnis ohne eingebautes Feindbild, wobei die logische Leistung des Lachens in seiner identitätsstiftenden Kraft liegt: Die Identität des Feindes wird durchs Lachen konstituiert. Repräsentant dieses Lachens im Subjekt ist die, die Objektvorstellung begründende, subjektive Form der äußeren Anschauung: der Raum.
    Hängt es nicht mit der inneren Logik des Gebots der Feindesliebe zusammen, wenn Jesus nicht gelacht hat?
    Weshalb wird das Lächeln der Babys als süß empfunden? Ist es nicht eigentlich etwas Schreckliches: Das Lächeln ist nicht freundlich. Beim Lächeln (auch dem archaischen Lächeln frühgriechischer Statuen, dem Seligkeits-Lächeln mittelalterlicher Skulpturen, dem Lächeln der Mona Lisa) ist der Schrecken nicht zu übersehen, der im instrumentalisierten keep smiling, im Lächeln der Verkäuferin, im cheese-Grinsen, als Raubtier-Lächeln erkennbar wird. Ist nicht das Lächeln der Babys das erste Zeichen der Selbstinstrumentalisierung, Folge der Erfahrung, daß diese Geste von den „Bezugspersonen“ honoriert wird? Wieviel objektive Ohnmachts- und Gewalterfahrung steckt schon in diesem Lächeln? Und ist das Süße an diesem Lächeln nicht die Süße der eigenen Macht- und Gewalterfahrung, die durchs Kind so bestätigt wird (Zusammenhang mit der Logik der Scham)?
    Kann es sein, daß der Adressat des archaischen Lächelns das sich zur objektiven Gewalt kontrahierende Schicksal des mythischen Zeitalters, der Adressat des mittelalterlichen Lächelns der Seligen die Gottes- und Subjektvorstellung war, die der Verinnerlichung der Scham sich verdankt. Ist das Lächeln nicht der früheste Ausdruck der paranoischen Ansteckung, die zu den Grundlagen der zivilisierten Welt gehört? Aufgetragen ist dieses Lächeln auf die Folie des verzweifelten Weinens.
    Haben die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn erscheinen wird, etwas mit den Wolken, die die ausziehenden Israeliten durch Wüste geführt haben, mit den Wolken am Berge Sinai, dann mit den Wolken der Herrlichkeit Gottes über der Lade im Allerheiligsten des Tempels, zu tun: mit der Schechina?
    Gegenstand der modernen Entzauberung der Welt war der katholische Mythos, der selber schon ein Produkt des gleichen Inertialsystems war, dem er dann zum Opfer gefallen ist.
    Jesu Wort an den Schächer am Kreuz: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein, ist noch unerfüllt. Dieses Heute ist noch nicht eingetreten.
    Der Sprach- und Symbolgrund der Barmherzigkeit ist die Gebärmutter. Aus welchem Sprachgrund stammt die Gerechtigkeit?
    Hat nicht die Anthropomorphismus-Kritik das weibliche Element (die Barmherzigkeit) aus Gott ausgetrieben?
    Die Philosophie hat die Sinnlichkeit aus dem Himmel (aus Wasser und Feuer) ausgetrieben, die Naturwissenschaften haben sie aus der Erde ausgetrieben. Das erste war die Folge der Verinnerlichung der Schicksalsidee, das zweite die der Verinnerlichung der Scham.
    Wenn die Grenze zwischen Innen und Außen eine transzendentallogische Grenze ist, die begründet ist in der Grenze zur Vergangenheit, ist es dann nicht notwendig, das Schicksal der Geschichte des Klassenkampfes, die nicht nur in der Außenwelt sich abspielt, im Innern der Menschen zu untersuchen, die Fortsetzung dieser Geschichte in der Geschichte seiner Verinnerlichung weiter zu verfolgen? Vermittelndes Glied ist der Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor; zur Geschichte der Verinnerlichung des Klassenkampfes gehört die Geschichte seiner Verdrängung. Diesem Aspekt kommt ein anderer entgegen: die Einsicht, daß der Begriff der Verdrängung nicht mehr auf die Psychologie sich einschränken läßt, daß er durch einen objektiven, historisch-gesellschaftlichen Begriff der Verdrängung, zu dem die Geschichte des Mythos und der Aufklärung gehört, zu ergänzen ist.
    Werbung und Propaganda, als Formen der technischen Anwendung der Psychoanalyse, haben diesen objektiven Begriff der Verdrängung (den sie ausbeuten und verstärken) zur Grundlage (Zusammenhang mit der Bekenntnislogik).
    Dignum et justum est: Hat das dignum, das dann mit würdig übersetzt wurde, etwas mit der Barmherzigkeit zu tun? Und wie verhält sich das dignum et justum (würdig und gerecht) zum juristischen billig und recht (wie verhalten sich dignum, würdig und billig zueinander)?

  • 3.6.1994

    Wie tief die Hegelsche Staatsmetaphysik verwurzelt ist, mag man daran erkennen, daß das Carl Schmittsche Konstrukt von Souveränität, Notstand und Führerprinzip sein Modell in der Hegelschen Rechtsphilosophie (278) hat. Genau diese Stelle ist der Beweis dafür, daß auch die Dialektik die Asymmetrie der Beziehung des Ich zu den Andern nicht aufhebt, sondern zugunsten der Andern (der Welt) neutralisiert.
    Die Welt ist für jeden die Welt für die Anderen; das Anderssein der Andern (nicht zu verwechseln mit dem Fremdsein) begründet die Objektivität der Welt.
    Zur logischen Äquivalenz von Individuellem und Allgemeinem (oder Problem einer Geisterlehre): Kann es nicht sein, daß, was hier ein Individuelles, dort ein Allgemeines, und das, was hier ein Allgemeines, dort ein Individuelles ist: daß die Einzelsterne Gattungen sind, und die Gattungen Geister? Liegt hier der logische Grund für die Konzeption des Tierkreises und der frühchristlichen Engellehre (auch der biblischen Himmelsheere und des göttlichen Hofstaates)? Dann wären die subjektiven Formen der Anschauung der genaue Reflex der christlich-mythischen Gestalten des Satan und des Teufels. Und was bedeutet dann die Entdeckung des Begriffs: war sie nicht der Anfang der Vertreibung der Engel? Oder anders: Greift hier nicht eine Art Umkehrung des Verhältnisses von Natur und Welt (Objekt und Begriff), so daß wir in der Tat nur durch unseren Beitrag zur Rettung der Welt hindurch gerettet werden können? Wirft das nicht ein neues Licht auf die paulinischen Archonten und auf den Namen des Fürsten dieser Welt?
    War nicht der Kreuzestod die antizipierte Strafe für eine Untat, die erst folgte, oder ist er dazu erst durch die christliche Opferthologie geworden? Bezieht sich darauf nicht das jesuanische Kelchsymbol (in der Antwort an die Zebedäussöhne, in Gethsemane und in dem Hinweis an Petrus)?
    Die Bemerkung, daß die Theologie heute „bekanntlich klein und häßlich“ sei, ist noch zu harmlos: Sie ist zur Stätte des Greuels der Verwüstung geworden.
    Kann es sein, daß es deshalb keine Aktualisierung der Marxschen Kapitalismus-Kritik mehr gibt, weil niemand mehr fähig ist, in diesen Abgrund zu schauen?
    War nicht die Vertreibung der Händler und Wechsler aus dem Tempel der letzte Akt des Kampfes gegen Kanaan, und enthält sie nicht den Hinweis, daß zur Theologie heute eine Geschichtstheologie der Banken gehören müßte? Die Befürchtung scheint nicht unbegründet, daß eine Kritik der Banken davon ausgehen müßte, daß es eine technische Lösung des Problems nicht gibt: Es gibt keine Alternative zu den bestehenden Institutionen, gleichwohl muß man dem, was ist, ins Auge sehen, – und es dann auch aussprechen: Ninive wird in 40 Tagen zerstört.
    Der Sündenfall hat sehr viel mehr mit der Organisation und Entfaltung der Sprachen (Grammatik, Beziehung der Sprachen zur Mathematik und Ursprungsgeschichte des Neutrums) zu tun als mit der Sexualmoral.
    Die besondere theologische Qualität der deutschen Sprache, die nicht zu leugnen ist, kann man an Begriffen wie „Fall“, an der Unterscheidung von Zorn und Wut (sowie Ding und Sache), auch an Begriffen wie Urteil und Empörung ermessen.
    Zusammenhang der Urteilsform mit den subjektiven Formen der Anschauung: Ihr gemeinsamer Ursprung liegt in der Halbierung des Lichts. Das erste Urteil gründete in der Abstraktion vom Gesehenwerden. Insofern ist die Scham in die Konstruktion des Urteils mit eingegangen. Das Objekt ist ein Produkt der projektiven Verarbeitung der Scham; es ist die Scham vor vor dem leeren Blick des Allgemeinen, vor dem subjektlosen „Gesehenwerden“ durch den Begriff, die das Objekt gegen den Begriff zusammenschließt, durch die es gegen den Begriff sich vergegenständlicht (Genesis der Urteilsform). – Deshalb war der Heußsche Begriff der „Kollektivscham“ so verhängnisvoll: Er hat die Deutschen an den Blick „des Auslands“ gefesselt, in dem sie sich seitdem „spiegeln“. Die Fremdenfeindschaft heute ist ein ebenso ohnmächtiger wie vergeblicher Ausbruchsversuch.
    Mit dieser Beziehung des Urteils zur Scham (der Verwechslung der Wahrheit mit der aufgedeckten Blöße) hängt der Ursprung der Sexualmoral zusammen.
    Creatio mundi ex nihilo: Das Nichts, aus dem Gott die Welt erschaffen hat, ist das durch die Verdrängung der Scham erzeugte Nichts. Hier liegt der Ursprung des Idealismus. Und vor diesem Hintergrund gewinnt Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ ihre ungeheuerliche Bedeutung.
    Das Keuschheitsgebot, das sich auf diese Geschichte der Scham und des Urteils bezieht, gehört wirklich zu den Fundamenten der Theologie. Und der Greuel der Verwüstung ist das Produkt der vollständigen Entblößung (Philosophie heute wäre Reflexion des Ekels).
    Wodurch unterscheiden sich Kohl, Hintze, Rühe, Seiters, Schäuble und Kanter von Kinkel, Frau Schwätzer, Rexrodt? Nur durch die Reflexion des Ekels hindurch, so scheint mir, läßt sich der Abgrund dieser Koalition noch ausmessen. Koalition der aussitzenden Gnade der späten Geburt mit den gnadenlosen Leistungsträgern: Und daneben eine SPD, die den Eindruck erweckt, daß ihr das imponiert.
    In der Anmerkung zu 279 seiner Rechtsphilosophie gibt Hegel einen bedeutenden Hinweis auf den Zusammenhang des Begriffs mit der Schicksalsidee (Hinweis auf den Dämon des Sokrates) und auf den Hintergrund, auf den sich die Untersuchung von Marie Theres Fögen über die „Enteignung der Wahrsager“ bezieht. Hier übrigens auch das Wort von der „wüsten Vorstellung des Volkes“ (die „formlose Masse, die kein Staat mehr ist“). In Hegels Staatslehre steht der Monarch an der Stelle, an der in der Theologie das Opfer steht: als Verhinderer des Chaos.
    Ist nicht der Zerfall der europäischen Agrarmarktordnung in den 70er, 80er Jahren (ähnlich wie die sogenannte Schuldenkrise der Dritten Welt) ein Menetekel für das Schicksal der Geldwirtschaft insgesamt: die Schrift an der Wand?
    Ist die Hegelsche Philosophie nicht der Beweis für die Wahrheit der biblischen Überlieferung, daß außer Petrus nur die Dämonen den Gottessohn erkennen?
    Wenn die Philosophie der Leib Christi ist, dann wäre heute die descensio ad inferos an der Zeit. Nicht auszuschließen, daß sie dort auf die Propheten trifft.
    Gründet nicht die Erbaulichkeit im Selbstmitleid (in der Anwendung des Schuldverschubsystems aufs Opfersein, oder in der Verschiebung der Armut von der Realität draußen ins Selbstgefühl drinnen): In der Ersetzung der Nachfolge durch die Imitatio?
    Daß der Terrorismus-Paragraph im Strafrecht nur ein Instrument zur Bekämpfung und Diskriminierung der Linken war, ist daran erkennbar, daß er bei den Nachfahren der größten terroristischen Vereinigung, die es in diesem Lande je gegeben hat, nicht greift.
    In Westfalen sagt man statt „es ist egal“: et is een Dohn, es ist ein Tun. Das heißt: das eine Tun unterscheidet sich nicht von dem anderen, beide sind in ihren Folgen gleich.

  • 11.12.92

    „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ (Frankfurt):
    – Linda Reisch erinnert an Historikerstreit (FAZ) und Bitburg,
    – die Sprecherin des S. Fischer Verlags daran, daß in den Medien die Opfer von Mölln namenlos gemacht werden.
    – Dan Diner: Wiederholung der zwanziger Jahre (Zerfall der Imperien und Ursprung des Nationalismus; Vergleich: Deutsches Reich und Sowjet-Imperium); erinnert an Hannah Arendts Hinweis darauf, daß Staatsbürgerschaft und Menschenrecht untrennbar (Zitat Carl Schmitt); „multikulturelles“ Konzept diskriminiert die Minderheiten, die es schützen will (jüdische Erfahrung); Trennung der Staatsbürgerschaft von ethnischen Voraussetzungen. Erinnerung an die Bedeutung der Friehofschändungen.
    – Metz hat die Konterbande in seinem Thema nicht bemerkt (verwechselte deshalb das „Die Blinden sehend Machen“ mit dem „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: das aufgedeckte Antlitz mit dem Aufdecken der Blöße; sowie die Empfindlichkeit mit der Sensibilität). Und zu dem Satz „theologus taceat in societas“ bliebe zu fragen: Liegt das nur an der societas?
    Im übrigen war das Symposium insgesamt durch die falsche Fragestellung behindert (durch den Vorrang der Frage nach praktischen, und d.h. in diesem Zusammenhang: rechtlichen und verwaltungsmäßigen Lösungen, wodurch die mangelnde Sensibilität gegenüber dem Phänomen selber, wie schon im Zusammenhang des sogenannten Asylanten-Problems, nur verschärft wurde: das Xenophobie-Problem ist primär ein Erkenntnisproblem; und dieser Satz ist nicht zynisch, eher der Anfang vom Ende des Zynismus: der Anfang vom Ende der kollektiven Verblendung, ohne die es die Xenophobie nicht geben würde. Zu Adornos Einsichten in die Struktur des autoritären Charakters: der Igel, der vorgibt, das sei längst überholt, hat es nicht einmal eingeholt, er hat sich nämlich nicht von der Stelle bewegt. So glaubt Kohl, die Probleme aussitzen zu können – und die ganze politische Bagage bewundert seine politische Begabung.)

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie