„Der orientalische Staat ist daher nur lebendig in seiner Bewegung, welche, – da in ihm nichts stät und, was fest ist, versteinert ist, – nach außen geht, ein elementarisches Toben und Verwüsten wird; die innerliche Ruhe ist ein Privatleben und Versinken in Schwäche und Ermattung.“ (Hegel, Rechtsphilosophie, S. 355) Hier, im Entstehungsprozß der „Welt“, ist der Staat noch (nach innen und nach außen) ein Natur- und Gewaltverhältnis, welches die Griechen dann im projektiven Begriff der Barbaren nach außen projizieren, indem sie das Gewaltverhältnis selber als Vernunft verinnerlichen, sich zu Herren dieses Gewaltverhältnisses machen. Das Gelingen drückt sich im Begriff der Welt aus. Heute, da die Verhältnisse des „äußeren Staatsrechts“, die Hegel zufolge Natur- und Gewaltverhältnisse geblieben sind, über die nicht mehr zu domestizierende Ökonomie im Innern der Staates sich reproduzieren (der Weltbegriff zu Protest geht, Außengewalt und Innenrecht trübe sich vermischen, der Begriff an der dezisionistisch-autoritären Gestalt der Souveränität zerbricht, der „Rechtsstaat“ als Ausnahmezustand sich etabliert – vgl. Carl Schmitt), sind wir zu Akteuren des gleichen Weltuntergangs geworden, gegen den wir zugleich (als bloße Zuschauer) uns selbst verblenden. Rückfall in den orientalischen Staat: in die „inner-liche Ruhe“ der Idiotie des Privatlebens, „Versinken in Schwäche und Ermattung“.
Auch das ist Erbe der Hegelschen Philosophie (oder ihr prophetischer Gehalt): daß im Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus die Nationalismen aufbrechen mit z.T. barbarischer Gewalt. Der Zusammenhang von Marktwirtschaft und Nationalismus läßt sich erkennen an dem Zusammenhang von Geldwertstabilität und Außenhandelsbilanz, an dem gleichen Zusammenhang, der die westliche (insbesondere aber die deutsche) Wirtschaftspolitik bestimmt, und der Hegels Satz, „daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, … dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern“ (Rechtsphilosophie, S. 245), auf die fatalste Weise bewahrheitet: Die Wirtschaftspolitik des Westens begreift deshalb in erster Linie die Steuerung der Armut als ihren Export nach außen (ähnlich wie zur gleichen Zeit der Antisemitismus als Israel- / Palästinenserproblem in den vorderen Orient exportiert wurde).
Hat die Schöpfung etwas mit den Wassern oberhalb und unterhalb des Firmaments zu tun? – Vgl. die biblischen Brunnengeschichten (Rebekka, Rahel, die Samariterin und das „lebendige Wasser“).
Die Christologie hat etwas mit dem Versuch, den Logos zum Verstummen zu bringen, zu tun, ihn in einen Heros umzumünzen (der dem Stern der Erlösung zufolge stumm ist).
Die Eucharistie und das falsche Gedächtnis, oder genauer: als Verhinderung des Gedächtnisses und damit als Gericht. Das ist der Sinn des Satzes „Wer es unwürdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht“.
Zur Sexualmoral: Verworfen ist nicht die sexuelle Lust an sich, sondern die Lust an der Gewalt in der sexuellen Lust, der Sexismus. Die christliche Sexualmoral züchtet den Vergewaltiger. Daran hat sich entzündet, was Nietzsche den Willen zur Macht genannt hat: das stumme Genießen.
Das Angesicht ist immer das Angesicht des Andern, das eigene sieht man nur im Spiegel, und da seitenverkehrt (und d.h.: nicht ohne die Vertauschung von Rechts und Links). Hinter dem Rücken und im Spiegel: das sind die beiden Vertauschungen von Vorn und Hinten und von Rechts und Links. Gibt es in der Schrift einen Hinweis auf den Spiegel (Narziß ist einer der Ursprünge der Philosophie)? Vgl. 1 Kor 1312: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht“, und insbesondere Jak 123: „Wer das Wort nur hört, aber nicht danach handelt, ist wie ein Mensch, der sein Gesicht im Spiegel betrachtet“.
Der Spiegel (oder die Reflexion) gehorcht dem Gesetz des Raumes, er macht alles seitenverkehrt (vgl. die „verandernde Kraft des Seins“). Die Physik sieht alles von hinten und zugleich spiegelverkehrt (Zusammenhang von Stoß und Reflexion).
Wer sich selbst im Angesicht der Andern sieht, d.h. wer sich der Welt anpaßt, sieht sich selbst nicht mehr.
Das Wahrnehmen des Angesichts des Andern ist die Umkehr; insofern ist die Aufmerksamkeit das natürliche Gebet der Seele.
Die Schule als Recyclings-, als Abfallproduktions- und -verwertungsanlage (zum geschichtsphilosophischen Stand des Wissens).
Die Begriffe Natur und Welt enthalten als Totalitätsbegriffe einen terroristischen Anteil.
Es gibt weder eine Geschichtstheologie, noch eine Heilsgeschichte. Wenn die Philosophie innerhalb der Theologie ihren Platz finden soll, dann weder unter dem Begriff der analogia entis, noch als ancilla theologiae, sondern allein unter dem Begriff des Millenariums, der Bindung des Satans. Mit der Kraft zu lösen (mit ihrer Umkehr) könnte die Kirche endlich auch den noch unverbrauchten Gnadenschatz freisetzen.
Die Hauptresultate der Einsteinschen Theorien liegen in ihren Ansätzen, nicht ihren Ergebnissen: im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und dessen Beziehung zum Inertialsystem und im Konzept der Identität von träger und schwerer Masse (Bindung des Trägheitsprinzips an die Gravitation, vergleichbar dem Zusammenhang von Tauschprinzip und Schuldknechtschaft).
Die Bindung des Tauschprinzips an die Schuldknechtschaft ist der Grund, weshalb man die Geschichte des Militärs und der Rüstung an der Geschichte der Banken wird messen können.
Die Israel-Theologie der Marquardt u.a., aber auch die Antizionismus-Darstellung Heinsohns, übersieht, daß wir das Problem produziert haben: Haben wir da nicht auch ein Stück Mitverantwortung für jene, denen wir es aufgeladen haben, für die Palästinenser?
Schmitt
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13.04.92
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10.04.92
In seiner Antisemitismus-Studie übersieht Heinsohn offensichtlich, welche Bedeutung diese gesellschaftlichen Gesteinsverschiebungen, die die Entstehung der Hochkulturen begleiten, für die Geschichte des Bewußtseins haben; hier rächt es sich, daß er beispielsweise den Ursprung der Schrift und die Entwicklung der Sprachen aus seinen Überlegungen ausschließt. Die Darstellung der „Reaktionen der Betroffenen“ auf die „kosmischen Katastrophen“ (S. 31) behandelt diese Reaktionen so, als könnten sie sich auch heute – nach der Ausbildung des Welt- und Naturbegriffs – so abgespielt haben. Daß es eine Geschichte des Bewußtseins gibt, die mit der der Sprachen aufs engste verknüpft ist, scheint außerhalb seines Gesichtskreises zu liegen. Daß es sich hier um vorödipale Zeiten handelt, daß die Bewußtseinsidentität noch nicht vorausgesetzt werden darf, daß das Bewußtsein erst mühsam beginnt, sich aus den mythischen Zwängen zu befreien und welche Rolle dabei die Struktur der Sprachen und die Entwicklung der Schrift, der Ursprung des Privateigentums und des Geldes, die Entstehung des Rechts, aber auch die Institutionen der Religion und der embryonalen politischen Strukturen, insbesondere die Institution des Königtums, spielen, scheint ihn nicht zu interessieren. Daß z.B. erst in den indogermanischen Sprachen über die grammatischen Innovationen, insbesondere die Futurbildungen als Voraussetzung des objektiverenden, hypostasierenden Denkens, ein Weltbewußtsein sich bildet, dessen Vorläufer Mythos, Idolatrie und Opfer sind, die dann – paradigmatisch in der griechischen Philosophie und in deren Konsequenz in der christlichen Theologie – durch Verinnerlichung (durch den ödipalen Prozeß hindurch) zur Grundlage des zivilisatorischen Bewußtseins werden, entgeht ihm. In diesem Zusammenhang – und jedenfalls nicht nur in dem des Interesses an der Voraussage von Naturkatastrophen (vgl. S. 43) – wäre z.B. das Orakelwesen (das in Griechenland ganz erheblich zur Durchbildung der Sprache und zur Entstehung der Philosophie beigetragen hat) zu diskutieren. Velikovsky und seine Adepten lösen keine Rätsel, sondern schürzen neue (oder genauer: machen sie kenntlich). Die monokausale Ableitung des Neuen aus Naturkatastrophen verkennt, daß es auch gesellschaftliche Naturkatastrophen (zu denen Heinsohn selber mit seiner Geldentstehungstheorie entscheidende Hinweise gegeben hat) gibt; und hier scheint mir, stellt sich ernsthaft die Frage: handelt es sich bei dem Zusammentreffen kosmischer und gesellschaftlicher Naturkatastrophen (die formal dem Leibnizschen Begriff der prästabilisierten Harmonie zu entsprechen scheinen) um reinen Zufall, oder gibt es dazwischen auch vermittelnde Agentien?
Wurden die Götter nach Einführung des Privateigentums durch die Statuen um ihre Opfer betrogen (vgl. Heinsohn, Antisemitismus, S.47)?
S. 54: Keine „wissenschaftlich begründete Religionsüberwindung“, sondern eine prophetische. Der Unterschied ist bestimmbar.
Im VIII. Kap., S. 72ff, führt Heinsohn den Antisemitismus allein auf seine theologischen Ursprünge zurück, ohne den Zusammenhang dieser Theologie mit dem Ursprung des Säkularisationsprozesses und des modernen Weltbegriffs zu begreifen. Aber hier wird es erst interessant. Washalb war beispielsweise der real existierende Sozialismus, insbesondere der Stalinismus, antisemitisch?
Es ist schon ein wenig irrsinnig, wie sich bei Heinsohn die Dinge zu einem System zusammenschließen: Die Naturkatastrophen-Theorie ist nur zu halten, wenn er die Befreiung vom Opfer im Atheismus terminieren läßt und diesen Atheismus in Widerspruch setzt zu den altorientalischen, heidnischen Hebräern, verbunden mit der These, daß erst das (erneut opfertheologische) Christentum monotheistisch geworden sei; so wie er auch schon in seiner Geldtheorie das gesellschaftskritische Element herausoperiert hat, so muß er hier den damit notwendig verbundenen szientifischen Antisemitismus der Wellhausen et al. mit rezipieren, und ihn dann in den Sack reinstecken, den er „Hebräer“ nennt. Zugleich muß er den „Juden“ die Schöpfungsidee nehmen, die doch die Prophetie, der die Absage ans Opfer sich verdankt, erst ermöglichte. Und seiner Geldtheorie das erkenntnis- und gesellschaftskritische Element, das zwangsläufig aus seinem Schuldknechtschaftskonzept folgt, und damit das Moment der Barmherzigkeit nehmen, dem doch die Absage ans Opfer sich verdankt. Zusammen damit muß er die Juden in die Nähe der Philosophen rücken (mit Hilfe des einen Theophrast-Zitats): das aber geht nur, indem er den Juden in ihrer eigenen hebräischen Vergangenheit das Barbaren-Äquivalent verschafft. Das Problem bleibt unlösbar, solange Heinsohn das im Begriff des Begriffs (und schließlich in dem der Welt) säkularisierte und zugleich verdrängte Exkulpations- (und Opfer-) Konzept nicht durchschaut. Inzwischen geht der Verdrängungsapparat, der dem Universums-Konzept zugrundeliegt, zu Bruch.
Der Weltbegriff konstituiert sich auf zwei Ebenen:
a. auf der des Ursprungs und der Stabilisierung des Begriffs (des Referenzsystems der Philosophie), und
b. auf der Ebene und im Rahmen der Stabilisierung der Produktions- und Austauschverhältnisse, des Ursprungs des Marktes, d.h. zusammen mit dem Ursprung des Rechtssystems, das das Privateigentum ermöglicht und garantiert.
Ebenso wie die Philosophie ist der Weltbegriff vom Ursprung, vom Bestehen und von der Geschichte des Privateigentums nicht zu trennen. Hinsichtlich eines jeden Sozialismus-Konzepts wäre festzuhalten: Vergesellschaftung ist ein „naturwüchsiger“ Prozeß und durch Verstaatlichung nicht zu humanisieren. Auch das staatliche Eigentum ist Privateigentum, wobei der Staat aus leicht durchschaubaren Gründen der dümmste (und der gemeinste) Privateigentümer ist.
Wodurch unterscheidet sich Moses von Hammurabi und Solon?
Gegen Adorno: Nicht das Eingedenken der Natur, sondern das der Ursprünge wäre als Ziel der Philosophie zu bestimmen. Von Adorno zu Habermas ist es in der Tat nur ein kleiner Schritt, aber einer in die falsche Richtung. Das Konzept des Eingedenkens der Natur ist Adornos säkularisierte Theologie.
Was bedeutet der Raum für das geschichtliche Eingedenken, für die Erinnerungsarbeit?
Zur biblischen Zoologie: Wie ist das mit den Schafen und Wölfen und Schlangen und Tauben?
Der neutestamentliche Begriff der Sünde der Welt bezeichnet das Konzentrat der Ursprungsgeschichte der Welt in Idolatrie, Sternendienst und Opferwesen. Auch das Menschenopfer steckt in den Fundamenten unseres Weltbegriffs. Daran erinnert der Kreuzestod (Problem der Ursprungsgeschichte der subjektiven Form der äußeren Anschauung: welches ungeheuerliche Problem hat Kant in diesem Begriff stillgestellt?).
Einige Bemerkungen zum Problem einer christlichen Theologie nach Auschwitz.
Der moderne Naturbegriff ist eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff.
Begriff und Institution der Diktatur hängt mit der Funktion des Prädikats im Urteil und mit der der Predigt im Christentum zusammen.
Bekenntnis und Dogma stammen aus der Sphäre des Rechts, oder sind Reflexionsbegriffe von Rechtsbegriffen.
Es gibt eingreifende Bedenken gegen die Vorstellung der Möglichkeit, das Recht mit den Mitteln des Rechts zu humanisieren. Vgl. den Zerfallsprozeß des Rechts im Gefolge der beiden Weltkriege, die Systemwidrigkeiten, die nicht mehr zu übersehen sind (fehlender Friedensvertrag, Anwendung des Strafrechts auf zwischenstaatliche Delikte, Verdrängung des Gemeinheitsproblems, Fortleben des „gesunden Rechtsempfindens“, d.h. des Rachemotivs im Rechtsstaat, Frage der Gewalt: Gewaltmonopol und Kampf gegen die Privatisierung der Gewalt; kann es sein, daß die Kritik an Carl Schmitt ihr Ziel erst erreicht, wenn sie das Recht selber trifft, dessen ungeheuerliche Systemlogik Carl Schmitt nur ausgesprochen hat – vgl. Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und die Bemerkungen von Jaques Derrida dazu). -
23.10.91
Nach dem Herrschaftsauftrag an Sonne und Mond sollen diese „herrschen über die Zeiten“: damit aber auch über die Menschen, soweit sie den Zeiten unterworfen sind. Bedeutung der Astronomie und des Sternenkults!
Die Brüder von Braunmühl fragen nach dem Grund, der die „Terroristen“ zum Mord veranlaßt: Liegt er nicht in dieser (durchs Feind- und Frontdenken vermittelten und durch den realen, erfahrenen Feind: durch das Handeln des „Staates“ und seiner Repräsentanten verifizierten) Mechanik, die glaubt, ein Recht zu haben, dem Feind – und sei es prophylaktisch – das anzutun, was einem selbst angetan wurde oder was man erwartet, daß einem angetan werden wird (Real-Paranoia). Wahrnehmung durch die Brille des Kriegszustands (des „Ausnahmenzustands“, nach Carl Schmitt Bedingung der souveränen Entscheidung, des „Politischen“; Äquivalent bei Heidegger: die „Eigentlichkeit“) Konsequenz aus einem historischen Wiederholungszwang.
Richten sich das Bilderverbot und der Kampf gegen die Idolatrie generell gegen die Hypostasierung von Prädikaten (gegen die Ontologie, die genau das leistet und absichert, damit aber das „Verandern“, die Konstituierung des Objekts und die Vernichtung des Namens: und somit den Ursprung und Grund der Gemeinheit, unkritisierbar macht)? -
23.02.91
Transzendentale Bekenntnis-Logik: Das instrumentalisierte Bekenntnis (Bindung durch Komplizenschaft) resultiert aus der Umkehrung der Idee der Versöhnung und gehorcht der Kriegs-Logik (Telos und Ernstfall des Herrendenkens) und stabilisiert sie: es ist ein Bekenntnis gegen einen Feind; die identitätstiftende Funktion des Feindbildes hängt mit der ausgrenzenden Funktion des Bekenntnissyndroms zusammen (von der Abspaltung der Häresien bis zur Verfolgung derer, die mit dem Feind sympathisieren). Das Feindbild hat hierbei Sündenbockfunktion: Es stabilisiert die erforderliche Verdrängung, indem sie das Verdrängte nach außen projiziert und durch den eingebauten Wut-Mechanismus unkenntlich macht. Die Bekenntnis-Logik konstituiert das transzendentale Subjekt und den Idealismus (auch den, der sich materialistisch nennt: erkennbar an der häresienstiftenden Kraft des Marxismus); sie ist deshalb so schwer kritisierbar, weil sie in die Struktur des Ich mit eingebaut ist (das Realitätsprinzips gehorcht der Logik der Empörung).
Die Bekenntnis-Logik verletzt das Gebot der Feindesliebe.
Wo steckt das Bekenntnis in der „Kritik der reinen Vernunft“?
Wer der Bekenntnis-Logik sich unterwirft, wird unbelehrbar (ist potentiell Antisemit). Zusammenhang mit der Säkularisations-Geschichte.
Das „Freilegen der Zukunft“ (Metz in „Welches Christentum hat Zukunft?“, S. 70): nur durch Erinnerungsarbeit, durch Abarbeiten der Last der Vergangenheit (Erkenntnis nicht neutral; es gibt eingreifende Erkenntnis; Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das Prinzip der naturwissenschaftlichen Aufklärung -nichts ist wirklich vergangen: gegen den historischen Kolonialismus), durch Gottesfurcht und Theologie im Angesicht Gottes. Ewigkeit kein Gegensatz zur Zukunft (Übergewicht der Zukunft in der Idee des Ewigen, die die Vergangenheit von sich ausschließt: Verhält sich zum Erkenntnisbegriff der Naturwissenschaften wie deren Umkehrung). – Zwei Kriterien für jede Theologie heute: Auschwitz und die Naturwissenschaften (der Säkularisierungsprozeß; Beispiel: Dornen und Disteln; anklagendes, richtendes Denken; DdA: Distanz zum Objekt); Wiedergewinnung des Begriffs des Heiligen Geistes (parakletisches: tröstendes und verteidigendes Denken, Votum für die Armen, feministische Theologie am nächsten); Auferstehung statt Unsterblichkeit (Name statt Begriff; Kritik und Rettung der Philosophie; Differenz im Begriff der politischen Theologie: Carl Schmitts Bekenntnistheologie). Zentrale Bedeutung des Bekenntnisbegriffs (Dogmenentwicklung, Parusie-Enttäuschung, Anpassung an die Welt; Christentum als Staatsreligion; Staat als säkularisiertes Christentum; Beziehung zum Erkenntnisbegriff, zur Autonomie des Subjekts; Verdrängungsleistung; Ödipuskomplex und Zivilisation; Weltbegriff und Häresie; Feinddenken, Herrendenken; Herrschafts-, Schuld-, Verblendungszusammenhang); nicht ökumene, sondern Entkonfessionalisierung der Kirchen (Kritik des Fundamentalismus: falsche Identität von Gottesfurcht und Theologie hinter dem Rücken Gottes; steht unter dem Bann der Aufklärung, gegen die er zu kämpfen glaubt) -
08.09.90
Leserbrief von Jürgen Schubach in der FR vom 08.09.90: „… und bleibe ich der Meinung, daß sich alle Konflikte durch das Recht lösen lassen.“
* Der im Titel zitierte Satz verrät eine wahrhaft hybride Rechtsauffassung:
. ausgeschlossen werden Lösungen, die unter zivilen Verhältnissen die ersten sein sollten, nämlich Lösungen durch Verständigung und Übereinkunft;
. zugleich wird geleugnet, daß es Konflikte gibt, die sich rechtlich nicht lösen lassen; die Verdrängung dieses Problems führt zwangsläufig zur Gewalt, die er dann prophylaktisch auf jene projiziert, die sich seit je haben fügen müssen (nicht zufällig reizt ihn der Feminismus).
. so schafft er das Gewaltpotential, dessen Auflösung die Justiz heute vor nicht mehr lösbare Aufgaben stellt: erst wenn diese Gesellschaft bereit ist, ihre (nicht immer justifiziable, in jedem Falle aber moralische) Mitschuld an der Gewalt, die sie dann so rigoros zu bekämpfen sich gezwungen fühlt, anzuerkennen, werden die ersten Schritte zum Rechtsfrieden auch in den Dauerkonflikten getan werden können;
* Verräterisch das „bis ihm staatlicherseits nachgewiesen wird“:
. Schuldig macht nicht die Tat, sondern erst der „staatliche Nachweis“; banal gesprochen: das Erwischtwerden (übrigens ein bei Demonstrationen heute auf beiden Seiten, bei der Polizei wie bei den Demonstranten, angewandtes Prinzip, das dann allerdings in der Öffentlichkeit nur auf eine Diskriminierung der letzteren hinausläuft);
. wer Unrecht erlitten hat, es aber nicht nachweisen kann (wer m.a.W. nicht justifiziables Unrecht erlitten hat), muß halt damit fertig werden, daß nicht nachgewiesenes Unrecht rechtlich keines ist, der eigenen Erfahrung somit keine öffentlich verwertbaren Tatsachen entsprechen, sie also irreal sind (rechtliche wie wissenschaftliche Tatsachen sind an die Bedingung der Nachweisbarkeit gebunden; andernfalls können sie nicht als Tatsachen gelten); er läuft in die double-bind-Falle.
. so halten Juristen sich für den Staat (diese Identifikation war der Preis für die Entlastung von dem Gewissensdruck, urteilen zu müssen: für das – dann allerdings pathologische – gute Gewissen), und jede Kritik ist „possenhaft, giftig und abwegig“, eigentlich ein staatsfeindlicher Akt.
. Justiz als Träger/Inhaber des staatlichen Gewaltmonopols? Hier verwechselt er offensichtlich Rechtsfindung und Exekution des Urteils; nur auf dieses darf sich das staatliche Gewaltmonopol beziehen, während die Rechtsfindung (u.a. die Schuldfeststellung) Sache unabhängiger Gerichte ist, und nicht Sache des Staates. Auch bei der Rechtsfindung ist der Staat (in Gestalt des „Staatsanwalts“, der übrigens in zivilisierteren Staaten öffentlicher Ankläger heißt) nur Partei und nicht feststellende Instanz. Daß es heute – insbesondere im sogenannten Staatsschutzbereich – Fälle gibt, in denen Verdacht besteht, daß politischer Druck und vorauseilender Gehorsam (in Verbindung mit einem weder rechtlich noch moralisch begründbaren Staatsbegriff) die Urteilsfindung mit bestimmen, greift die Idee des Rechtsstaats in der Wurzel an. Manches wäre nicht mehr möglich, wenn die moralische und rechtliche Selbstreinigung der Justiz nach dem Kriege gelungen wäre.
+ Eines der wichtigsten Ämter bei den staatlichen Ermittlungs-und Verfolgungsbehörden ist heute der Pressesprecher;
+ Daß der Ankläger hierzulande „Anwalt des Staates“ ist, ist Teil einer blasphemischen Staatsmystik: Symptom der Staatsvergötzung, die zu den Quellen des deutschen Sündenfalls in diesem Jahrhundert gehörten.
+ Isolationshaft, Einschränkung der Verteidigerrechte, Ausschaltung der Öffentlichkeit
+ Hier verbinden sich sexistische Vorurteile mit einem Rechtsdenken, das in der letzten Konsequenz Unschuldsvermutung und Vorverurteilung fein säuberlich nach Macht-, Geschlechts- oder Gesinnungsgrenzen (und vielleicht auch mal wieder nach Konfessions- oder Rassengrenzen) verteilt.
+ Der Identitätszwang, die fehlende Kraft zur Distanz zur eigenen Tätigkeit, der heute die berufliche Existenz immer mehr durchdringt und beherrscht (und die geistige Existenz, die nur in Distanz zur beruflichen zu begründen ist, nicht mehr kennt, nur noch Freizeit, Hobby und Unterhaltung), zerstört die menschliche Würde in der Wurzel, er ist barbarisch und fürdert die Barbarei in gleichem Maße wie er eingreifende Besinnung verhindert.
+ Das Maß, mit dem Gerechtigkeit in einem Gemeinwesen allein sich messen läßt, ist sein Umgang mit den Armen und mit den Fremden (das müßte jedenfalls ein Christ von den Propheten gelernt haben).
– Bezeichnend auch die Argumentationsfigur: Der Hinweis auf andere, die auch Dreck am Stecken haben, soll von den eigenen Schuldgefühlen befreien; noch so festgestellter Unschuld kann er die Schuld auf die Ankläger verschieben (nachdem er seine Kritiker als possenhaft, giftig und abwegig abqualifiziert hat, kann er selbst ungestört possenhaft, giftig und abwegig werden).
– Das IN DUBIO PRO REO als Scheunentor oder Waschanlage.
– bleibt im Bann des pathologisch guten Gewissens, das – nach der mißlungenen Aufarbeitung der eigenen Geschichte und unter dem Wiederholungszwang der zweiten Schuld – zur chronischen Berufskrankheit im deutschen Rechtswesen zu werden droht.
– Beispiel dafür, wie blinde Wut verfolgende Unschuld produziert.
– „Selbst von Rechtslaien darf erwartet werden, …“: Unerträglich der justizübliche belehrende Ton (Korrelat der eigenen Kritik-Empfindlichkeit und Zeichen der immer wieder wahrzunehmenden fehlenden Souveränität)
– J.S. scheint jede Urteilskritik als Angriff zu empfinden -offensichtlich an der schwächsten Stelle getroffen reagiert er mit wütenden Projektionen;
– Man muß nur seinen Gegner in die Ecke treiben; dann wird er schon so reagieren, daß man ihn als Schuldigen präsentieren und sich selbst mittels der dann üblichen Empörung freisprechen kann; ein alter Herrentrick.
– Ich hoffe nur, daß J.Sch. kein Richter ist.
Wie es scheint, ist die Kritik überfällig, jedenfalls sollte sie erfolgen, bevor der Bekenntnisstrick uns die Luft endgültig abschnürt. Bei uns ist immer noch (frei nach Carl Schmitt) nur der Staat souverän, nicht der Richter.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie