Selbstmitleid

  • 22.08.1996

    Enthält der Ausdruck „durch die Blume sprechen“ nicht einen Hinweis auf die Sprache der Pflanzen (und des Unbewußten, des Es)? In welcher Beziehung stehen Gärten (der Garten des Paradieses eingeschlossen) zum Unbewußten? Ist nicht der Garten eine Verkörperung des Metaphorischen (während Tiere das Symbolische verkörpern), und ist der Islam, der das Paradies, mit Quellen, Bäumen und Blumen, ans Ende setzt, ein Opfer der Metaphorik? Sind Metaphern objekt- und naturbezogen, Symbole begriffs- und weltbezogen (und wurde das Opfer Kains deshalb nicht angenommen, das Opfer Abels dagegen doch)? Der Vorwurf des Selbstmitleids, der auf andere grundsätzlich nicht anwendbar ist, dient vor allem dazu, den Blick des Mitleids zu unterdrücken, dem andern die Schuld zuzuschieben. Der Vorwurf des Selbstmitleids ist ein Instrument der Schuldverschiebung. Er macht den andern zum stellvertretenden Opfer, das das verdrängte eigene Mitleid sühnen soll. Er verstopft die Quelle der Barmherzigkeit. Der an andere adressierte Vorwurf des Selbstmitleids gehört zur Logik der Vergewaltigung wie auch der Folter. Der Schuldvorwurf ist prophylaktisch, er rechtfertigt schon im Voraus die Gewalt, die dem Andern dann angetan wird. Indikativ und Imperativ: Auch das imperativische Gesetz steht im Indikativ, als Ausdruck des Seins, dem jeder gehorchen muß, und zwar unabhängig davon, ob es einsichtig und vernünftig ist oder nicht. Zur Legitimation des Gesetzes genügt der Hinweis auf die Macht, die in ihm sich ausdrückt. Der Imperativ der Lehre dagegen gründet in ihrer vollständigen Durchsichtigkeit, der Indikativ der Lehre ist der Ausdruck dieser Durchsichtigkeit, in der ich mich selbst wiedererkenne. Das Dogma verschiebt den imperativen Charakter der Theologie vom Inhalt auf die Form; es trennt den Gehorsam als Glaubensgehorsam vom Hören und vom Tun. Das Dogma war das Instrument der Rehabilitierung der Väter. Wenn die Fähigkeit, sich in den Angeklagten hineinzuversetzen, verdrängt wird und schwindet, wird das Recht zum organisierten Rachetrieb. Das Institut der Strafe verweist darauf, daß es im Recht nicht um die Opfer geht, sondern um die Legitimierung des Rachetriebs. Das „gesunde Rechtsempfinden“ der Nazis hat aus der Abfuhr des Rachetriebs einen hygienischen Akt gemacht (und wie es scheint, ist er das im Verständnis der Deutschen geblieben). Der Staat befriedigt gleichsam stellvertretend den Rachetrieb und die Mordlust seiner Bürger (deshalb waren Hinrichtungen im Mittelalter öffentlich), und er entsühnt ihn zugleich, indem er die Schuld daran auf sich nimmt. Vor diesem Hintergrund wird der deutsche Titel für denm öffentlichen Ankläger, der Titel des Staatsanwalts (der in der Anklage den Staat verteidigt) verständlich. Die Strafe, die an anderen verfolgt, was der zivilisierte Mensch sich selbst verbieten muß, hat ihr Maß an der Gewalt, die diese Verdrängungsleistung erfordert. Was in den Knästen sich zuträgt, nimmt man ebenso nicht wahr, wie man den Blick ins eigene Unbewußtsein sich verbietet. Auch die Gefangenen in den Knästen leiden stellvertretend, und ihr Leiden wird durchaus als entsühnend (allerdings nicht als befreiend) erfahren: Draußen sind die 99 Gerechten, die den Gefangenen, wenn sie sich herausnehmen, ihr Leiden auch zu äußern, Selbstmitleid vorwerfen. Das theologische Konstrukt des stellvertretenden Sühneleidens hat die Erlösten zu Komplizen der Täter (und das Christentum zu einer Religion des Herrendenkens) gemacht. Deshalb wurden die Juden als „Gottesmörder“ verfolgt: Es gibt kein stellvertretendes Sühneleiden ohne Wiederholungszwang.

  • 21.08.1996

    Recht und Moral lassen sich eindeutig anhand ihrer Beziehung zur Gemeinheit unterscheiden: Gemeinheit zerstört die Moral, aber sie ist kein strafrechtlicher Tatbestand. Die Berufung auf das Gewaltmonopol des Staates, die diese Gewalt zum Maß der Wahrheit macht, ist die Leugnung der göttlichen Gewalt (die eins ist mit der sadduzäischen Leugnung der Idee des Auferstehung). Gilt nicht der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand schon für die Orthodoxie (den Dogmatisierungsprozeß) und für den Naturbegriff (die Naturwissenschaften)? Und sind nicht alle drei durch die konstitutive Beziehung der Logik der Verurteilung zum Objektivierungsprozeß verbunden? Die Logik des Inertialsystems (die Logik der Beziehung von Ding und Eigenschaften, die unseren durchs Inertialsystem definierten Naturbegriff beherrscht) ist die Logik der Verurteilung. Physis vs. natura: Im Kontext des Naturbegriffs wird das Ding bestimmt durch seine Eigenschaften; die Frage ist nur, ob die Eigenschaften durch Zeugung oder durch Geburt bestimmt worden sind (Ursprung der Vererbungslehren, des Rassismus). Begründen die beiden Naturbegriffe (physis und natura) nicht zwei verschiedene Raumvorstellungen? Die Differenz liegt im Begriff der Norm, der Orthogonalität; sie läßt am Problem der Norm sich demonstrieren. Die Norm symbolisiert die Zeugung und die Geburt zugleich, sie faßt sie in eine (in sich selbst widersprüchliche, nur für die Anschauung identische) Vorstellung zusammen. In diesem Kontext wäre es wichtig und notwendig, die Transformation genauer zu bestimmen, der die Philosophie (ihre Begriffe und deren Konstellation) unterworfen wurde, als sie aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen wurde: Der Weg führt über die grundlegende Stoa (die Ataraxia, die Lösung des Problems des Selbstbewußtseins unter den Bedingungen des römischen Imperialismus), Tertullian (der die Sprache der lateinischen -postdogmatischen – Theologie geprägt hat) und Boethius (der den Aristoteles übertragen hat) zur Scholastik. Ist nicht der Confessor (dessen Prototyp Tertullian war) ein Produkt der Übertragung und Spiritualisierung des imperativen Charakters des Worts von der Schrift aufs Dogma (insbesondere auf den innertrinitarischen Prozeß, die „Zeugung“ des Sohnes durch den „Vater“)? Hat er nicht das Wort, daß die Auferstandenen wie die Engel sein werden (auf der Basis einer männlichen Engelvorstellung) so verstanden, daß nur Männer in den Himmel kommen (und Frauen, wenn sie denn in den Himmel kommen, zu Männern werden)? Reicht die Unterscheidung männlicher und weiblicher Heiligentypen nicht schon in die Märtyrerzeit zurück? Wann und unter welchen Bedingungen wurden Männer zu Märtyrern, und wann Frauen? Hat sich darin nicht schon die spätere Trennung in (männliche, politische) Confessores und (weibliche, „private“, auf den Kontext der Ehe, der männlichen Gewalt und der Sexualität bezogene) Virgines vorbereitet? Waren es nicht unterschiedliche historische Zeiten (und nicht nur Motive), die das Martyrium von Männern und Frauen unterscheiden? Unterscheiden sich Dornen und Disteln wie Welt und Natur? Stammt nicht das Gewaltmonopol des Staates aus der väterlichen Gewalt, ist nicht das Gewaltmonopol des Staates, das dem Recht zugrundeliegt, ein Monopol der Vergewaltigung (und wird nicht aus diesem Grunde gegen Frauen anders Recht gesprochen als gegen Männer)? Wer das Argument des Selbstmitleids gegen andere richtet, verwendet es wie der Vergewaltiger: Sie soll sich nicht so anstellen! So wird das Argument zur Rechtfertigung der Vergewaltigung, es mobilisiert und verstärkt den zwanghaften Trieb (zur Folter, zur Brutalität, vgl. hierzu die Bemerkungen Goldhagens zu der besonderen Grausamkeit und zum Demütigungstrieb, der die Antisemiten an ihre jüdischen Opfer band). Wer es für entscheidend hält, ob ein Urteil rechtskräftig ist, nicht aber ob es wahr ist, kann Recht und Vergewaltigung nicht mehr unterscheiden; für ihn wird das Gewaltmonopol des Staates zum Mittel der Vergewaltigung. Und wer den Angriff auf einen Staat, der „von der überwältigenden Mehrheit des Volkes“ getragen wird, für besonders unsittlich hält, spricht den Staat und mit ihm seine Diener) von jeder moralischen Verantwortung frei. Erst wenn auch in RAF-Prozessen die Ursachen der Taten frei reflektiert werden können, wenn diese Prozesse nicht mehr als Instrument der Diskriminierung von Staatskritik genutzt werden, darf man mit Recht auf eine befriedende Wirkung des Rechts wieder hoffen. Wird nicht die Anklage in dem Augenblick blasphemisch, in dem sie den Anspruch erhebt, ins Herz der Angeklagten zu sehen. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen. Was der Ankläger dort zu sehen vermeint, ist in Wahrheit das Produkt seiner eigenen Projektion; hier gibt es zum Feindbild keine Alternative mehr, und das rückt den Anspruch in einen paranoiden Zusammenhang (dessen ansteckende Wirkung, wenn überhaupt, dann nur schwer wieder unter Kontrolle zu bekommen sind). Die personalisierenden Entgleisungen in den Plädoyers der Bundesanwälte (die sich gegen die Angeklagte, gegen ihre Verteidigung und auch gegen die Prozeßbesucher richten) sind rechtfertigungslogische Konsequenzen einer apagogischen Beweisführung, der es nicht mehr um die Stichhaltigkeit der Argumente, sondern nur noch um die Wirkung geht (alle dem Zweck der Anklage dienlichen Aussagen kommen von „glaubwürdigen“, alle anderen von „unglaubwürdigen“ Zeugen, die bei Bedarf ebenso hemmungslos diskriminiert werden wie die Angeklagte, ihre VerteidigerInnen und kritische Prozeßbeobachter). Wenn die Deutschen „normal“ werden wollen, wenn sie werden wollen wie die anderen Nationen, begründen sie eine Logik, die dann auch die anderen vergiftet, sie mit in den Bann des Faschismus hereinzieht (unterliegt nicht der selbstrechtfertigende Gebrauch des Philosemitismus einer ähnlichen Gefahr?). Die Deutschen halten sich für gottähnlich, wenn sie Schicksal spielen können: als Vollstrecker des Weltgerichts. Human wäre erst eine Menschheit, in der es keine unabwendbaren Schicksale mehr gibt.

  • 27.3.96

    Beitrag zur Rosenzweig-Kritik: Als Tage des Eingedenkens sind Feiertage Tage der im Bilde der Geschichte als Natur erinnerten Utopie. Weihnachten ist zum Fest des Selbstmitleids geworden, seit die inertiale Gewalt des Tauschprinzips den Fluß der Zeit begradigt, die Staustufen des Eingedenkens beseitigt hat. Seitdem gibt es keine Zukunft mehr.
    Sind nicht die weibliche Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt die letzten Staustufen gegen den ungehinderten Fluß der Zeit?
    Der Staat entwickelt aus zwei Gründen einen eigenen Selbsterhaltungstrieb: der eine gründet in seiner Beziehung zu anderen Staaten, zur Völkerwelt (das Tier aus dem Meere, der Faschismus), der andere bezieht sich auf die Grundlagen der materiellen Selbsterhaltung seiner Institutionen, auf die Ökonomie (das Tier vom Lande; Stichworte: Währungsstabilität, „Standort Deutschland“). Das prophetische Votum für die Armen und die Fremden bezeichnet aufs genaueste den Widerstand gegen das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande.

  • 6.3.96

    Zum Feuer vgl., was im Jakobus-Brief über die Zunge gesagt wird. Hat das paulinische Zungenreden etwas damit zu tun?
    Das Feuer, auf das Jesus sich bezieht (das Feuer vom Himmel, von dem er wollte, es brennte schon), ist das Feuer der Selbsterfahrung im Jüngsten Gericht.
    Hat das apokalyptische Wort vom Himmel, der wie ein Buch sich aufrollt, etwas mit der Buchrolle zu tun, die Johannes essen soll, und sie war im Munde süß und im Magen bitter?
    Der Name Gottes (die Heiligung des Namens) verleiht der Sprache Erkenntniskraft.
    Zu den größten Versuchungen gehört, ähnlich wie das Selbstmitleid, die Verbitterung (ein Folgeeffekt der Verurteilung). Hat nicht das Bittere, das sowohl in der Erbitterung wie auch in der Verbitterung steckt, etwas mit der Bitte zu tun? Die Erbitterung ist im Hinblick auf das Ziel unerbittlich, die Verbitterung im Hinblick aufs Urteil (das Strafrecht ist das Instrument der Verbitterung des Staates). Jesus zufolge ist der Vater nicht unerbittlich (welcher Vater gibt anstelle des Brots einen Stein, anstelle des Fischs eine Schlange?).
    Ds Inertialsystem ist die unerbittliche Verbitterung gegen die Natur.
    Hängt die Sprache (der Schall) nicht sogar physikalisch mit dem Feuer zusammen (bezeichnet das Feuer die Grenze zwischen dem Schall und dem Licht)?
    Hat das Wort von der Buchrolle, die im Munde süß und im Magen bitter sein wird, etwas mit der Eucharistie zu tun?
    Bezieht sich die Versuchung auf den Zinnen des Tempels (die zweite bei Mt, die dritte bei Lk) nicht auch auf einen sprachlichen Sachverhalt? Wer die Dinge von oben (im Lichte des Begriffs) sieht, stürzt in einer Welt, die alles ist, was der Fall ist, mit ihnen herab, ohne daß ein Engel ihn auffängt. Ist es nicht diese Sprache, die Gott versucht; und ist diese Versuchung nicht die des Sehens, ist das Sehen nicht der Blick von der Zinne des Tempels und das Herabstürzen in eins? – Haben nicht alle drei Versuchungen mit der Beziehung von Sehen und Hören zu tun?
    Die drei Versuchungen (Mt 41ff):
    – Als ihn nach vierzig Tagen hungerte, trat der Versucher an ihn heran: Wenn du Gottes Sohn bist, so mache, daß diese Steine Brot werden. – „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein.“
    – Nimmt ihn mit in die heilige Stadt, auf die Zinne des Tempels: Bist du Gottes Sohn, so stürze dich hinab. „Er hat seinen Engeln befohlen, die auf Händen zu tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ – „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“
    – Auf einen sehr hohen Berg, zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. – „Hinweg Satan. Du sollst den Herrn, deinen Gott, allein anbeten und ihm allein dienen.“
    Da verläßt ihn der Teufel; und siehe, Engel traten herzu und dienten ihm.
    (Mk 112f):
    Und er wurde in der Wüste vierzig Tage vom Satan versucht; und er war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm.
    (Lk 41ff):
    Wie Mt, nur Austausch der 2. und 3. Versuchung. „Und nachdem der Teufel alle Versuchungen vollendet hatte, stand er von ihm ab bis zu gelegener Zeit.“

  • 27.1.96

    Horror vacui: In der Vorstellung des leeren Raumes vereinigt sich die Offenheit der Zukunft mit dem Nichtsein des Vergangenen. Oder anders: Der leere Raum ist die gegenständliche Verkörperung der Vorstellung, daß die Zukunft durch Verdrängung der Vergangenheit sich eröffnen läßt. Die Logik dieses in der Raumvorstellung geronnenen Verfahrens ist durchs Dogma, durch die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes Jesu, vorgebildet worden.
    Gibt es eine ökonomische Entsprechung des horror vacui, und wäre er nicht in der Logik und Funktion der Banken zu suchen (oder, in der Vorgeschichte der Banken, in der des Tempels im Bereich der Tempelwirtschaft; hängt hiermit die Funktion des Tempels in der Ursprungsgeschichte der Kosmologie zusammen, der Tempel als Abbild des Kosmos)?
    Was bedeutet es, wenn im zweiten Schöpfungsbericht die Reihenfolge des Geschaffenen umgekehrt wird, wenn das „im Anfang schuf Gott (Elohim) den Himmel und die Erde“ transformiert wird in den Satz „zur Zeit, da Gott der Herr (Elohim JHWH) Erde und Himmel machte“? Zu dieser Transformation gehört im einzelnen
    – die verändert Name des schaffenden Subjekts: die Differenz Elohim/Elohim JHWH,
    – der Fortfall des bestimmten Artikels (bei den geschaffenen Objekten) nach Umkehrung der Objektfolge,
    – die Änderung der Benennung des Tuns von Schaffen ins Machen und
    – die Änderung der Zeitbestimmung vom absoluten „Im Anfang“ zum relativen „Zur Zeit, da …“.
    Im Selbstmitleid, das heute als fast unausweichlich sich erweist, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, manifestiert sich die eigene Ohnmacht; oder genauer: Im eigenen Selbstmitleid manifestiert sich das Selbstmitleid und die Ohnmacht der Andern und darin die eigene Ohnmacht.
    Es gibt einen Atheismus, der mit der Leugnung Gottes die Menschheit verrät.
    Gotteserkenntnis ist ein notwendiges Sinnesimplikat einer Erkenntnis, die die Reflexion auf die Asymmetrie, die unaufhebbare Differenz zwischen mir und dem Andern, in sich mit aufgenommen hat: den Einspruch gegen einen Universalismus, der es sich zu leicht macht, der nur den Weg des geringsten Widerstands wählt und um der Erkenntnis willen die Welt verrät (ist der Habermassche Universalismus – ähnlich dem der Naturwissenschaften, dem er nacheifert – nicht ein auf den Kopf gestellter Fundamentalismus?).
    Die kantische Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung (weshalb sie „gleichwohl objektiv“ sind) schließt die Frage nach dem Grund der Vorstellung mit ein, weshalb es eine Natur gibt, die ohne uns da ist. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Verinnerlichung des Opfers, des Opfers des Selbst an die ohne dieses Opfer nicht bestehende Natur.
    Es gibt einen sehr tiefsinnigen Hinweis auf das Problem Kants in der Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung: die Hegelsche Bemerkung, daß der Begriff der Geschichte sowohl die Geschichtsschreibung als auch die Geschichte als Inbegriff der historischen Ereignisse selber bezeichnet. – Bezeichnet nicht Rosenzweigs Konzept des Sterns der Erlösung genau den Punkt, an dem er den Bann des Historismus bricht (das logische Problem der historischen Gegenständlichkeit in den Blick rückt)?
    Das Moment der Selbsthistorisierung, der Selbstobjektivation, das in der Berufung auf das Urteil der Geschichte steckt, begründet und rechtfertigt die Politik des Nichthandelns, des Aussitzens. Der gleichen Politik, die durch die „Wiedervereinigung“ in den Schein einer historischen Bestätigung gerückt worden ist, die sich selbst dementiert (die „Wiedervereinigung“, die das Ergebnis des verlorenen Krieges revidiert, ist das reallogische Pendant eines Krieges, der nicht mehr durch einen Friedensschluß beendet werden konnte).
    Israel ist die Verkörperung des Baums des Lebens in einer Geschichte, die durch den Baum der Erkenntnis und den Sündenfall determiniert ist.
    Das Wort „Richtet nicht …“ wäre heute zu ersetzen durch das „Verurteilt nicht, auf daß ihr nicht verurteilt werdet“: durch die Kritik des Objektivationsprozesses insgesamt.
    Das „Richtet nicht …“ ist ein Einspruch gegen das Hegelsche Weltgericht.

  • 17.1.96

    Die Kritik der Bewußseinsphilosophie leugnet den Schmerz. Diese Leugnung gründet in der Verdrängung der Empathie durch die Logik der Verurteilung (die Logik der Verurteilung begründet den Rechtfertigungszwang); sie ist der Grund der heute sich ausbreitenden Form des Atheismus.
    Gehört nicht zur Theorie des kommunikativen Handelns die Reflexion darauf, daß sie die Wahrnehmung und Erinnerung des Leidens ausschließt? Und zwar deshalb ausschließt, weil das Handeln, auf das diese Theorie sich bezieht, ein subjektloses Handeln, ein gehandelt Werden, eigentlich ein Erleiden ist (man muß in die Sprache hineinhören, um wahrzunehmen, was es heißt, wenn das immenente telos des kommunikativen Handelns ein „Konsens“ ist, der durch den Diskurs herzustellen ist). Im Kontext des kommunikativen Handelns ist die Stelle des Leidens schon vom Handeln besetzt (was auf den realen Grund des kommunikativen Handelns verweist: aufs Selbstmitleid).
    Hier liegt der (selbstverschuldete) systematische Grund der „Neuen Unübersichtlichkeit“, die Habermas später einmal beklagte.
    Kommunikatives Handeln steht unterm Rechtfertigungszwang und ist ein Instrument des Schuldverschubsystems. Die dem Begriff des kommunikativen Handelns zugrunde liegende Idee der Intersubjektivät ist die der Bekenntnislogik, der subjektiven Formen der Anschauung, des Logik des Geldes. (Im Begriff der „Weltanschauung“ gibt sich die Bekenntnislogik als subjektive Form der Anschauung zu erkennen.)
    Habermas verwechselt die Norm (die zur Logik der Welt gehört) und das Gebot (das von Gott ausgeht).
    In den drei Sprechakten präsentiert sich das eigene Handeln als ein Ausfluß der objektiven Welt, in deren Gesetze es eingebunden ist, deren Norm es unterworfen ist, während Subjektivität im expressiven Sprechakt auf den reinen Ausdruck des Leidens zusammenschrumpft (logischer Grund der Geschichte der Kunst).
    Die Kulturindustrie hat die Expression als Ausdruck des (von jeder Fremderfahrung abgeschnittenen) Selbstmitleids dem Wertgesetz unterworfen und zur Ware gemacht. Mit der Verwerfung der Mimesis, mit der Verwerfung des Eingedenkens der Natur im Subjekt (die Habermas als „Eingedenken der ‚gequälten‘ Natur im Subjekt“ denunziert) wurde die Selbstreflexion des kommunikativen Handelns unterbunden, das Konstrukt dogmatisiert.
    Im Bereich des expressiven Sprechakts (der „subjektiven Welt“) kennt Habermas zwar den Begriff der „Wahrhaftigkeit“ (der „Authentizität“). Den Begriff des „falschen Zeugnisses“, der eine Schlüsselfunktion in einer Philosophie, der die Ethik zur prima philosophia geworden ist, bezeichnet, kennt er nicht (wie er auch – trotz einer Theorie der Argumentation – eine Beweistheorie nicht kennt).
    Die beiden ersten Sprechakte, die sich auf die objektive Welt und auf die Normen beziehen, sind eigentlich nur zwei Seiten ein und derselben Sache. Hier wird aus der asymmetrischen Struktur einer Sache ein Nebeneinander zweier getrennter Dinge (was dem „Nebeneinander“ der empirischen Fakten und der normativen Kraft der mathematischen Theorie <der „Formeln“> in den Naturwissenschaften entspricht: Produkt der Verdrängung des Bewußtseins der konstitutiven Bedeutung des Inertialsystems für die Erscheinungen in ihm). Die Reflexion der Asymmetrie ist aus dem Erkenntnisbegriff ausgeschieden worden, als die Erkenntnistheorie gelernt hat, zwischen primären und sekundären Sinnesqualitäten zu unterscheiden.
    Das Inertialsystem und die mathematischen Naturwissenschaften haben das Seufzen der Kreatur nicht aufgehoben, sondern nur zum Schweigen gebracht (und ins Selbstmitleid des bürgerlichen Subjekts, in den Grund seiner Empfindlichkeit, zusammengezogen: aus diesem Fundus, den am Ende die Kulturindustrie auszubeuten gelernt hat, hat die Kunst geschöpft).
    Die Kunstbewegungen des letzten Dezenniums vor dem ersten Weltkrieg waren Ausbruchsversuche der Kunst aus der Kunst.
    Habermas hat vergessen, was er aus seiner Hegel-Kenntnis hätte wissen müssen: daß große Philosophie nicht widerlegt werden kann. Die These, daß Georg Lukács in den „objektiven Idealismus zurückgefallen“ sei, ist eine Denunziation, die versucht, seine eigenen Voraussetzungen polemisch gegen ihn auszuspielen. Wenn Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt hat, dann hat er ihn berichtigt, nicht widerlegt. Diese Form der Kritik dagegen ist nur hilflos und deshalb aggressiv, sie macht Hegel zum toten Hund und möchte den Lukács gleich mit verscharren (hat nicht Wellmer in einem Seminar bei Adorno einmal die These Georg Lukács‘ vom kontemplativen Charakter der Naturwissenschaften mit dem Hinweis auf die experimentelle „Praxis“ zu widerlegen versucht? Ist es nicht gerade das Experiment, das durch seine Kriterien: Wiederholbarkeit, Unabhängigkeit von Raum und Zeit, Gültigkeit für jeden, die „Praxis“ ins Gefängnis der Kontemplation einsperrt, Modell der repetitiven Tätigkeiten, zu denen die Arbeit in Büro und Fabrik geworden ist?).
    Gehört dieses Verständnis des Experiments nicht zu einer Logik, die die Leute veranlaßt, die Ärmel aufzukrempeln, wenn sie „Praxis“ hören?
    Wird in Tschetschenien nicht die Schraube des Terrorismus, die im jugoslawischen Bürgerkrieg schon angezogen worden ist, um eine weitere Windung weitergedreht?
    Wer Elendsflüchtlinge, die hier, um dem von uns verursachten Elend in ihrer Heimat zu entgehen, um Asyl nachsuchen, „Wirtschaftsflüchtlinge“ nennt, macht die wirklichen Wirtschaftsflüchtlinge unsichtbar: von Jürgen Schneider über Leeson zu Steffi Graf und Boris Becker, oder auch die Kunden der Commerz- und der Dresdner Bank, die über deren luxemburgische Filialen ihre hier erworbenen Vermögen der Steuer entziehen.
    Mit der Orthodoxie, mit dem Dogma und mit der Bekenntnislogik hat sich die Theologie zu einem Instrument der Begründung und Stabilisierung der Welt gemacht, hat sie die Vorarbeit geleistet, die am Ende, in der durchrationalisierten Welt, die subjektiven Formen der Anschauung übernommen haben, die heute helfen, die gesamte Vergangenheit durch Vergegenständlichung zu verdrängen.
    Wie hängt der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, mit der logischen Struktur des Schuldbegriffs zusammen, einer logischen Struktur, die anhand der Konstruktion des Schuldverschubsystems oder auch im Kontext des Satzes, daß nur, wer die Schuld auf sich nimmt, sich von ihr befreit, zu bestimmen wäre. Im Kontext des Weltbegriffs, der in allem dem Angesicht Gottes opponiert, ist das Herz der Menschen nicht nur unsichtbar, es versteinert.
    Die Theologie im Angesicht Gottes öffnet das Herz, während die Welt (in deren Bann die Theologie hinter dem Rücken Gottes steht) es verhärtet und verschließt.
    Der Satz, daß „Bewußtsein aufgrund seiner intentionalen Struktur stets Bewußtsein von etwas (ist)“ (Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, S. 80), ist in dieser Form falsch: Bewußtsein schließt auch die Fähigkeit zur Reflexion seiner eigenen intentionalen Struktur mit ein. „Wo Es ist, soll Ich werden“: Dieser Satz wäre ohne diese Reflexionsfähigkeit nicht zu halten. Wäre er wahr, so wäre der Atheismus unvermeidbar, da der Name Gottes den Einspruch gegen Seine (wie gegen jede) Vergegenständlichung mit einschließt. Gott ist nicht Gegenstand eines intentionalen Akts.

  • 14.11.95

    Kanthers entlarvende Entgleisung: sein Wort von der Hetze (die von Seiten der Hessischen Landesregierung oder des Bundesrates gegen die Asylpolitik des Bundes betrieben werde), über die gestern in der Hessenschau berichtet wurde, wird in der FR von heute nicht erwähnt.
    „Kriegsgräberfürsorge“. Was ist das, was die Deutschen nicht vergessen können; wird nicht mit den „Kriegsgräbern“ nicht etwas ganz anderes gepflegt: ein Rachepotential, das aus einer „Heldenverehrung“ erwächst, aus der Erinnerung an „Opfer“, die eigentlich Täter waren, aber als Opfer erinnert werden, das nicht umsonst gewesen sein darf? Das Selbstmitleid der Täter, die keinen Erfolg hatten, deckt die Schreie der wirklichen Opfer zu, macht sie unhörbar. Und die Erinnerung an die Täter rechtfertigt nachträglich ihre Untaten. Soll es wirklich so weit kommen, daß eines Tages die Täter an den Schreien der Opfer sich rächen?
    Ist der Titel kyrios, Herr, einer, der nur für die Apostel gilt (und für die „apostolische“ Kirche)? Er knüpft an an ein Verständnis der Auferstehung, das der Nachfolge den Weg versperrt.
    Die Verinnerlichung des Opfers und die Spiritualisierung des Martyriums sind zwei Seiten ein und derselben Sache, ihr gemeinsames Produkt ist der Confessor, die Verkörperung der Bekenntnislogik. Zum Confessor gehört die Virgo; beide weisen zurück auf ihren gemeinsamen Ursprung im Martyrium, im Blutzeugnis: Die Virgo ist das Bild des Opfers, das als Opfer, durchs Nichthandeln, unschuldig ist, während der Confessor als Täter zwar in den Schuldzusammenhang sich verstrickt, aber durchs Bekenntnis aus dem Bann der Schuld sich zu lösen vermeint: sich selbst als unschuldig erfährt. Das Bekenntnis des Glaubens (das nicht identisch ist mit dem Bekenntnis des Namens, das zur Nachfolge gehört) ist ein umgekehrtes Schuldbekenntnis, ein bindendes, kein lösendes. Gründet nicht in dieser Konstellation, die am Bild der Unschuld anstatt an der Idee der Befreiung sich orientiert, die Bedeutung und Funktion der Sexualmoral, die als Ersatz für die Reflexion von Herrschaft eintritt, zugleich aber die Reflexion selbst für Herrschaftszwecke instrumentalisiert (das Produkt der für Herrschaftszwecke instrumentalisierten Reflexion ist die transzendentale Ästhetik, sind die „subjektiven Formen der Anschauung“ Kants und deren transzendentallogische Äquivalente: das Geld und die Bekenntnislogik)?
    Der Faschismus ist auch ein sprachlogisches Problem, das nur zu lösen ist im Kontext der Heiligung des Gottesnamens.

  • 3.11.95

    Aufklärung ist die letzte Chance, nachdem der Determinismus, der in der Entfremdungserfahrung des Proletariats den wirksamen Grund der Revolution zu erkennen glaubte, im Faschismus seine raison d’etre und im Stalinismus seine Unschuld verloren hat.
    Wie hängt die Vorstellung, daß Gott die Thora nicht nur selber geschrieben hat, sondern auch weiterhin studiert, mit der Vorstellung vom Buch des Lebens zusammen, in dem die Taten der Menschen aufgezeichnet sind, und in dem sie am Ende sich selbst erkennen?
    Der Kreuzestod hat die Welt nicht entsühnt, sondern ihren Zustand offengelegt.
    Binden und Lösen: Die Orthodoxie hat die Wahrheit einer Zwangslogik unterworfen. Das mathematische Äquivalent dieser Zwangslogik ist die Orthogonalität. Die Griechen haben die Winkelgeometrie erfunden/entdeckt: Der Satz des Thales, der pythagoreische Lehrsatz und schließlich die euklidische Geometrie sind Stufen der Entfaltung der Logik der Orthogonalität.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist ein Teil der physikalischen Lösung des Problems der Orthogonalität.
    Was drückt eigentlich in der Beziehung der Köpfe, Hörner und Kronen sich aus, durch die apokalyptischen Tiere sich unterscheiden? Hat die Beziehung von Köpfen, Hörnern und Kronen etwas mit dem Verhältnis von Herrschaft, Macht und Gewalt oder von Ökonomie, Staat und Religion zu tun? Der Drache unterscheidet sich vom Tier aus dem Wasser dadurch, daß er die Kronen auf seinen Köpfen hat, während das Tier aus dem Wasser sie auf seinen Hörnern hat. Ist der Drache die Ökonomie, das Tier aus dem Wasser der Staat und das Tier vom Lande die Religion?
    Zum Ursprung der Ohrenbeichte (der Priester wird Stellvertreter des Opfers, nimmt ihm die Kompetenz der Vergebung und Versöhnung ab) und zur Geschichte des neuen Sündenbegriffs (der das Bewußtsein und den Willen zu sündigen mit einschließt, die Formalisierung der ezechielischen Eigenverantwortung): Hat die Kirche nicht, als sie die Ohrenbeichte einführte, den Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was zu tun“ in den Indikativ übersetzt (die Bitte generalisiert und als erfüllt angesehen)? Sie hat damit alle, die nicht wissen, was sie tun, für unschuldig erklärt; seitdem aber bleiben alle dumm: die einen angepaßt und „fromm“, die andern rücksichtslos und schlau. Aber sind wirklich, wenn keiner mehr weiß, was er tut, alle unschuldig (ist keiner mehr Täter, verantwortlicher Urheber seiner Handlungen, sind alle nur noch Opfer: Selbstmitleidssyndrom)?
    Wenn die Weltgeschichte das Weltgericht ist, sind alle nur noch Objekt dieses Gerichts, gibt es keinen Ausweg aus der Urteilsmaschine (sind die Pforten der Hölle geschlossen).

  • 21.6.1995

    Ist nicht die Instrumentalisierung des Leidens – nach der Dialektik der Aufklärung die Verinnerlichung des Opfers – eine der Grundlagen der Zivilisation; liegt sie nicht der Logik des Welt- und Naturbegriffs, der Logik der Trennung dieser Begriffe, zugrunde? Die Geschichte des Opfers (und seiner Objekte: Rind und Esel, Lamm und Taube) rührt an diesen Sachverhalt. Aus diesem Grunde ist Habermas‘ Umformulierung des Adornoschen Konzepts des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ in ein „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“ Ausdruck einer logischen Verwirrung des Problems, keine Verständnishilfe. Hier liegt der Sprengsatz, den Habermas unter Verschluß halten möchte, um sein Diskurskonzept, die Kommunikationstheorie und insbesondere einen ihrer zentralen Begriffe, den der Intersubjektivität, zu retten. Beide, das „Eingedenken der Natur im Subjekt“ und der Begriff der Intersubjektivität, können nicht zusammen bestehen. Und hier wird die Metzsche Unterscheidung zwischen dem eigenen und fremden Leid wichtig: die Unterscheidung zwischen Selbstmitleid und Barmherzigkeit, die der Begriff der Intersubjektivität verwischt und, da das nicht gelingen kann, zugunsten des Selbstmitleids (als dessen kollektive Verkörperung z.B. der Nationalismus sich begreifen läßt) vorentscheidet. Adornos Konzept (das der negativen Dialektik insgesamt) setzt diese Unterscheidung voaus, auch wenn es sie nicht thematisiert. Ihre Thematisierung hätte eine Kritik des Naturbegriffs nach sich gezogen, die Habermas geahnt haben mag, als er von der spekulativen Idee, daß die richtige Gesellschaft auch die Natur mit ergreift, unter Verweis auf den Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sich distanzierte. Auch die Objektivität der Natur ist (und ebenso der Begriff der Intersubjektivität, der die These der Objektivität der Natur zur Voraussetzung hat, an sie gebunden ist) nicht unmittelbar gegeben, sie steht unter einem Apriori, dessen Reflexion übrigens vom Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis selber erzwungen wird. Von dieser Reflexion muß Habermas abstrahieren, um sein Konzept zu retten. Das Adjektiv (im Begriff der gequälten Natur), mit dem er Adornos Konzept verfälschte, ist eine Konsequenz aus dieser Abstraktion.
    – Dadurch unterscheidet sich übrigens die Autorität der Leidenden von der naturwissenschaftlichen Objektivität, die in sich selber vermittelt ist, daß sie sehr wohl unmittelbar gegeben ist: Nur weil der Anblick von Leid den spontanen Trieb zu helfen auslöst, ist das Leiden über seine mediale Reproduktion und Vermittlung instrumentalisierbar. Erklärungsbedürftig und in der Tat in sich selber vermittelt ist nicht der Trieb zu helfen, sondern seine Verdrängung, das Wegsehen („Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“).
    Das „Verständigungsapriori“ (in dem Leserbrief in der FR vom 19.6.95) ist die Mauer um ein selbsterrichtetes Ghetto. Es schließt alle, mit denen man nicht kommuniziert, aus. Dazu gehören Rituale, die diesen Ausschluß vollstrecken. Am Leserbrief lassen diese Rituale sich studieren.
    Metz‘ Idee einer Autorität der Leidenden rührt an einen Punkt, der die traditionelle theologische Beziehung von Natur und Übernatur nicht nur präzisiert, sondern im Kern verändert: Sie sprengt den Bann des Naturbegriffs, unter dem nicht nur der „prinzipielle Ideologieverdacht“ des Leserbriefschreibers noch steht, sondern eigentlich die gesamte theologische Tradition, übrigens nicht nur die christliche.
    Die Natur und ihr Begriff stehen unterm Bann des Prinzips der Selbsterhaltung: Darauf bezieht sich das Adornosche Konzept des Eingedenkens, das Habermas zu früh verworfen hat. Der Begriff einer „gequälten Natur“, den Habermas Adorno unterstellt, wäre eine contradictio in adjecto, er bezeichnete in der Tat ein magisches Relikt. Es gibt keine gequälte Natur, weil der Begriff der Natur die Erinnerung ans allein leidensfähige Subjekt apriori ausschließt, aber die Realität des Leidens rührt an den Grund der Natur (wie umgekehrt der Begriff der Natur an den Grund des Leidens).
    „Schiffsbrüchige machen es genau so“ (Rosencof/Huidobro: Wie Efeu an der Mauer, S. 244): Der Satz bezieht sich auf die Geschichte der Menschheit, die in der Katastrophe, als die die „Schöpfung“ sich erweist, ums Überleben kämpft. Nicht die Frage nach den Urhebern der Katastrophe ist wichtig, sondern nur noch die, ob und wie sie sich wenden läßt, ob und wie es möglich ist, ihr zu entrinnen.

  • 16.6.1995

    Sprache der Gewalt: Im Deutschen ist aus dem Geist des Rates der Geheimrat und aus dem Rat der Ratschlag geworden. Die Differenz gründet in einer Staatsmetaphysik, deren Grund nicht mehr die Sprache, sondern die allgegenwärtige Gewalt ist, und in der das Hören zum Gehorsam verkommen ist. – Sind nicht die Bekenntnislogik, die Trinitätslehre und die Opfertheologie Grundlage und Teil dieser Gewaltmetaphysik, und sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung (ist nicht jede Form der Ästhetik) ein Äquivalent der Sprache der Gewalt im Bereich der Erkenntnis?
    „Stell Dich nicht so an!“, Logik der Schuld oder Folgen der Opfertheologie: Empfindlichkeit ist pathologisch, sie gründet in der Logik der Schuld; die „Tiefe“ einer Verletzung wird zum Maß für die Schwere der Schuld, die der Täter durch seine Tat auf sich geladen hat. Aber kann sich der Täter, der Urheber einer Verletzung, darauf berufen? Zur Falle für beide Seiten wird die Instrumentalisierung der Verletzung, die Funktionalisierung der eigenen Opferrolle, die die Täter/Opfer-Beziehung festschreibt, sich weigert, die Opferrolle auch noch zu reflektieren (und damit der Schuldreflexion des Täters den Weg versperrt), weil das Opfer auf den Nutzen, den es aus dem Schuldspruch gegen den Täter zieht, nicht verzichten kann.
    Wasser und Feuer: Gründet die Sinnlichkeit insgesamt (das gesamte Reich der Empfindungen, insbesondere Farbe, Wärme und Klang) in ihrer Beziehung zum Licht (in ihrem Verhältnis zu den subjektiven Formen der Anschauung)?
    Empfindlichkeit, Selbstmitleid, Selbstvergöttlichung: Verinnerlichung der Selbsterhaltung (Pendant der vollständigen Instrumentalisierung der Welt).
    Taumelkelch, Kelch des göttlichen Zorns, Unzuchtsbecher: Zu den infamsten Herrschaftsmitteln gehört die Verwirrung, Beherrschung und Instrumentalisierung der Erinnerung der Anderen, ein Erbe des Christentums, Hinweis auf den genetischen Zusammenhang der subjektiven Formen der Anschauung mit dem Ursprung und der Geschichte des Dogmas, der Orthodoxie, der Bekenntnislogik (das Dogma als Produkt der Verarbeitung des Kreuzestodes im Kontext des Weltbegriffs und der Logik des Herrendenkens).

  • 22.5.1995

    Die „Trennung … zwischen Geschäften einerseits … und jenem Umgang andererseits, der die Privatpersonen als Publikum verbindet“, von der Habermas (Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 248) spricht, ist der euphemistische Ausdruck eines ganz anderen Sachverhalts: Die Tretmühle der lohnabhängigen Arbeit schließt jene Autonomie aus, die die heute übrigens selber bereits ideologische Grundlage von „Geschäften“ ist. Und der „Umgang“, der diese „Privatpersonen als Publikum verbindet“, ist die vollendete Heteronomie: Er gehorcht den Imperativen von Reklame und Kulturindustrie, die auch die traditionellen Kontrollmechanismen der Nachbarschaften, der Stände, der „Volks“- und Religionsgemeinschaften in ihre Regie genommen haben. Ideologie ist nicht mehr nur das falsche Bewußtsein, das durch Aufklärung zu berichtigen wäre, sondern die Verfassung der Öffentlichkeit und der sie konstituierenden Institutionen selber, die die Wahrnehmung und das Denken der Menschen bestimmen.
    Das stumme Innere des gesellschaftlichen Lebensprozesses, an das heute keine Reflexion mehr heranzureichen scheint, bestimmt das Verhalten der Menschen ähnlich wie das stumme Innere der Gattung das Instinktverhalten der Tiere.
    Die Sünde der Welt: Ist nicht die Grenze zwischen mir und den Andern die Grenze zwischen Täter und Opfern? Und das ist die fatale Funktion des Weltbegriffs, unter dessen Herrschaft ich mich als Anderer für Andere erfahre, daß er das Selbstmitleid (das Bewußtsein, Opfer der Verhältnisse zu sein) erzeugt, das heute alle Erfahrung durchtränkt. Der Weltbegriff hat die Liebe von der Barmherzigkeit getrennt, die so zum Selbstmitleid, zur Sentimentalität, verkommen ist.
    Das Prinzip der Selbsterhaltung, das den Weltbegriff begründet, ist zugleich der Grund wie auch eine Rationalisierung des Selbstmitleids.
    Zum Problem der Öffentlichkeit: Öffentlich wird die Wahrheit in der Gestalt des Urteils. Urteile aber sind beweisbedürftig und beweispflichtig. So definiert die Grenze des Beweises die Grenze der Wahrheit, die damit unter Rechtfertigungszwang gestellt wird.
    Der Weltbegriff ist der Inbegriff des Herrendenkens, der Naturbegriff der Inbegriff aller seiner Objekte. Damit hängt das zusammen, was man die christologische Struktur des Naturbegriffs nennen könnte, der unter dem Zwang dieser logischen Konstellation
    – im Objektbegriff das Substrat von Herrschaft: das reine Opfer,
    – im Kausalitätsprinzip den Ursprung von allem: den Schein des Schöpferischen und
    – im Gesetz der Gegenständlichkeit die Totalität dessen, was dem gesellschaftlichen Schuldzusammenhang enthoben zu sein scheint: den Schein der Erlösung,
    bezeichnet.
    Ist nicht die kantische Bemerkung, daß die Begriffe Welt und Natur „gelegentlich ineinander laufen“ ein spätes Echo der homousia?
    Ist die „Feste des Himmels“ die Manifestation der gleichen Gewalt, die uns den Weg in die Vergangenheit versperrt? Und verweist dann nicht das Wort, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, zusammen mit der Aufhebung der Logik der Schrift (mit der Erfüllung des Worts) auf die Befreiung des Vergangenen: die Auferstehung der Toten?
    In welcher Beziehung stehen Benvenistes „indoeuropäische Institutionen“ zur indoeuropäischen Sprachlogik (zu Ursprung und Geshichte der indoeuropäischen Grammatik), und in welcher Beziehung steht diese Sprachlogik zu Ursprung und Geschichte der Logik der Schrift (zu ihrer institutionellen Verankerung in der Gesellschaft)?
    Kann man die indogermanische Sprachlogik von der „hebräischen“ dadurch unterscheiden, daß, während jene der Logik der Schrift gehorcht, ihr in der Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen fortschreitend sich angleicht, diese die Logik der Schrift zugleich in symbolischer Gegenständlichkeit (in den Symbolen der Schlange, des Kelches u.ä.) objektiviert: Der Name der „hebräischen“ Schrift ist hierin (in der Fremdheit gegen ihr eigenes Ursprungsgesetz) begründet. Rührt diese Konstellation nicht an den Grund der Logik der symbolischen Erkenntnis?
    In der Weltanschauung begreift sich die Bekenntnislogik als subjektive Form der Anschauung: als Instrument der Bildung synthetischer Urteile apriori. War nicht die Apologetik eine der Wurzeln der Reklame, die den Übergang von der logischen Konstruktion zur technisch-industriellen Massenproduktion synthetischer Urteile apriori bezeichnet.
    Schrift und Geschmack: Die Fähigkeit zur Reflexion der Schrift hängt zusammen mit der Fähigkeit zur Reflexion des Geschmacks.
    Zum Symbol des Kelchs: Wenn das Kelchsymbol auf die transzendentale Ästhetik: auf die subjektiven Formen der Anschauung sich bezieht, auf den ästhetischen Bedingungszusammenhang der Vergegenständlichung, so läßt sich das auf den einfachen Nenner: Subsumtion unter die Vergangenheit bringen. Stimmen damit nicht die Attribute des Kelchs: Taumelbecher, Kelch des göttlichen Zorns, des Grimms, und Unzuchtsbecher aufs genaueste zusammen? Der Kelch bezeichnet das Medium, in dem (im Sinne des Titels von Julian Jaynes) der „Ursprung des Bewußtseins“ zu suchen ist: der Ursprung des Bewußtseins, das auf eine vergegenständlichte Welt sich bezieht.

  • 24.4.1995

    Materie und Masse unterscheiden sich wie Sache und Ding (wie Handwerk und Industrie). Die Trennung des Dings von der Sache (die ihre Wurzeln in der Opfertheologie hat) gehört zu den Ursprungsbedingungen der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung und wird durch sie stabilisiert. Der sprachgeschichtliche Zusammenhang wird sinnfällig an der Beziehung des Massenbegriffs zum Inertialsystem, durch den er vermittelt ist.
    Ist nicht der deutsche Schöpfungsbegriff (vgl. schaffen, Schaff, Schiff), der an die Beziehung von Kelle und Topf erinnert (und damit an das Kelchsymbol, das hier auch den Begriff der „Schöpfung“ ergreift und verhext), eine Konsequenz aus dieser Konstellation, deren theologische Wurzeln ebenso im Konzept der creatio mundi ex nihilo wie im scholastischen Begriff der Eucharistie, der Transsubstantiation, liegen: Raum und Zeit werden aus dem Schöpfungsbegriff herausgenommen und ihm vorgeordnet (so im Konzept des „Urknalls“); geschaffen ist nur die von ihren sinnlichen Eigenschaften getrennte, und deshalb durch göttlichen Eingriff veränderbare Substanz, die Masse? Aber war nicht umgekehrt die Idee der Transsubstantion die letzte, verdinglichte und entfremdete, Erinnerung an das Gebot der Heiligung des Gottesnamens und seine Beziehung zum Logos und zur Nachfolge (homologein, „Bekenntnis des Namens“)?
    Beton: Die „nichteuklidischen Geometrien“ machen die euklidischen selber zur Materie: zu einem Steinbruch, aus dem sie das Material für die Neukonstruktion entnehmen. Damit wird aber der Begriff und der Charakter des Referenzsystems verändert: instrumentalisiert.
    Die dem Inertialsystem immanente Raumvorstellung ist säkularisierte, neutralisierte Theologie. In der jüdischen Tradition hat sich das in der Vorstellung ausgedrückt, daß die sechs Richtungen des Raums (oben und unten, vorn und hinten, rechts und links) auf sechs Gottesnamen versiegelt sind, während die christliche Tradition den Anspruch enthielt, daß diese Siegel (deren Zahl dann auf sieben erhöht wurde) sich lösen lassen. – Hat das siebte Siegel etwas mit dem Satz, daß der Menschensohn auch Herr des Sabbats ist, zu tun (und ist deshalb der achte Tag zum dies dominica geworden)?
    Der Inertialsraum ist mathematisch invariant gegen Translationen und gegen Drehungen; dynamisch ist er jedoch nur gegen Translationen invariant, während bei Drehungen die Inertialkräfte als Zentrifugalkräfte sich manifestieren. Erst durchs Prinzip der Lichtgeschwindigkeit sind beide Invarianzen in einem Punkt miteinander verknüpft worden: Mit der Lorentz-Transformation (mit der Längenkontraktion, der Zeitdilatation und dem Anwachsen der Trägheit) hat das Relativitätsprinzip ein Moment der Drehung des Inertialsystems in sich selbst in sich aufgenommen. Die Differenz zwischen den beiden Invarianzen (der Translation und der Drehung) war der Grund für Newtons Konzept des absoluten Raumes.
    Memoria passionis: Gehört dazu (zur Frage des eigenen Leidens und zum Problem des Selbstmitleids) nicht auch das Satz, daß Gott niemand über seine Kraft versucht? Dieser Satz läßt sich jedoch nicht auf das Leiden anderer anwenden.
    Der moderne Materiebegriff ist eingeschlossen in das Projekt „Verinnerlichung der Scham“. In diesem Kontext gründet der Begriff der inertia.
    Die augustinische Gnadenlehre und ihre paulinischen Wurzeln, der Ursprung des modernen Massenbegriffs oder die Demoralisierung durch Theologie.
    Theologie deutsch:
    Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
    der wollte keine Knechte.
    Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
    dem Mann in seine Rechte.
    Drum gab er ihm den kühnen Mut,
    den Zorn der freien Rede,
    daß er bestände bis aufs Blut,
    bis in den Tod die Fehde.
    Am Kruzifix im Schlafzimmer läßt sich die Verschiebung verdeutlichen, die dem Ursprung der kirchlichen Sexualmoral (ihrer Trennung von der Herrschaftskritik im Kontext der theologischen Rezeption des Weltbegriffs) zugrunde liegt. Das Kruzifix im Schlafzimmer ist ein Instrument der Verdrängung der memoria passionis durch Instrumentalisierung der ins Bild gebannten Erinnerung. Die Besiegelung dieser Verdrängung ist die sexualmoralische Verdammung der Lust (Reflex des Massenbegriffs in einem Akt, den die kirchliche Lehre seit den Kirchenvätern der Erbschuld zugeordnet hat): Seitdem ist jede Lust „materialistisch“.
    Die Sprache, die dem Objektivationsprozeß, dem Prozeß der Verdinglichung, sich angleicht, hat zugleich die Kompetenz gewonnen, ihn ausdrücken: seitdem ist er analysierbar.
    Läßt nicht das Verhältnis der deutschen zur griechischen Sprache, die beide darin übereinstimmen, daß sie den bestimmten Artikel in das System der Deklinationen mit hereinnehmen (Logik der Substantivierung), an dem projektiven Bild der Barbaren und der Wilden sich demonstrieren? Gegenüber der griechischen hat der Projektionsbedarf der deutschen Sprache sich verstärkt. Nur ist dieser Projektionsbedarf als Teil der inneren Logik der Sprache zugleich ein Teil der Logik der Welt, die darin sich ausdrückt. Ist nicht die Deklination des bestimmten Artikels ein Ausdruck und ein Instrument der Neutralisierung, der Verdinglichung, der Substativierung? Liegt nicht das Verhängnis der deutschen Sprache darin, daß sie als Sprache nicht mehr aus ihrer eigenen Logik durchsichtig zu machen ist, sondern nur durch Reflexion ihrer griechischen und lateinischen Vorgeschichte? Nur durch ihren Fremdwörterbestand ist die deutsche Sprache noch der Humanität verbunden.
    Die Hellenen sprachen griechisch; erst die Deutschen (die auch deutsch reden) haben sie zu Griechen gemacht, nachdem die Römer (die lateinisch sprachen) die griechischen Sklaven, die ihre Kinder unterrichteten, graeculi nannten.
    Begriff und Gegenstand: Im Bann des Objekts wird das Subjekt selber zum Objekt (zum Knecht eines Herrn). Nur in der Reflexion dieser Konstellation ist der Bann des Objekts zu brechen.
    Das Ensemble der Mechanik, die Billardkugeln, an denen die Gesetze und Begriffe der Stoßprozesse demonstriert werden, liegt vor aller Augen: wie die Handlung des modernen Dramas auf der Guckkastenbühne (dem Modell des Inertialsystems). Die Objektwelt, auf die das kopernikanische System und das Gravitationsgesetz sich beziehen, präsentiert sich in einer vergleichbaren Unmittelbarkeit, sofern die Position, aus der sie so erscheint, erst einmal erreicht ist: Sie ist insgesamt durch diesen Prozeß, in dem diese Unmittelbarkeit sich konstituiert, vermittelt. In dieser Unmittelbarkeit wird die der unvermittelten Erfahrung, in der es Tag und Nacht, den Wechsel der Jahreszeiten, die sinnliche Präsenz sinnlicher Objekte gibt, sowohl „erklärt“ als auch zugleich zu bloßem Schein herabgesetzt. Das sinnlose Kreisen der Planeten, zu denen jetzt auch die Erde zählt, um das Zentralgestirn, die Sonne, ist selber sinnlich nicht wahrnehmbar, sondern spielt sich für uns in unserer Vorstellung ab, es ist eine vorgestellte Welt der Erscheinungen, die zwar allen gemeinsam ist, in der aber jeder nur für sich ist: in der alle einsam sind. Das kopernikanische System ist das Produkt einer ästhetischen Rekonstruktion, in der die Welt zum gemeinsamen Objekt einer stummen Gemeinschaft wird, in der alle durch das gemeinsame Anschauen der für alle gleichen Welt (und d.h. durch den Grund ihrer Trennung) verbunden sind. Diese Gemeinschaft gründet darin, daß die Welt eigentlich nur eine Welt für andere ist, und eine Welt für mich nur insoweit, als ich selbst ein anderer für andere bin. Und diese Welt ist meine Welt nur insoweit, als ich Teil einer Gemeinschaft bin, die in dieser Welt als deren Subjekt (als Weltanschauungsgemeinschaft) sich erkennt. Das aber heißt: In dieser Welt erkennt sich die Menschheit als Gattung, nicht als Menschheit.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie