Im Kontext ihrer Beziehung zum Licht ist die Scham ein sprachliches, dialogisches Phänomen. Sie gehört zur Logik der Rechtfertigung (und hat die Abstraktion von der Intention auf Änderung zur Grundlage). Scham ist herrschaftsbegründend und -stabilisierend.
Die Gravitationstheorie hat den Himmel zum Verschwinden gebracht, die Elektrodynamik das Licht.
Wenn der Ort die äußere Begrenzung eines Körpers ist, dann ist die spezielle Relativitätstheorie Einsteins der Ort des Lichts.
Die Äquivalenz von Masse und Energie ist der Reflex des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in der Materie.
Horror vacui: Das Vakuum ist die Parodie des Lichts.
Hodie, si vocem eius audieritis. Liegt darin nicht die Erinnerung an den Satz: Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor …? Wie hier die Erde „Seine Stimme hört“, so sollen wir es heute (deshalb ist der Mensch aus Erde geformt: Adam). Der Himmel und die Meere, die nichts selber hervorbringen, sondern nur als Medien begriffen werden, in die hinein Gott die großen Seetiere, die Fische und die Vögel des Himmels erschafft, sind nicht fähig (würdig?), „Seine Stimme zu hören“. Die Sterne hat Er gemacht und an die Feste des Himmels geheftet.
Die Eliminierung des teleologischen Moments aus dem Begriff der Erkenntnis hat ihren Ursprung in der Enttäuschung der Parusie-Erwartung, in der Hellenisierung der Theologie, in der Geschichte des Ursprungs des Dogmas. Sie war in ihrem Ursprung ein Reflex des Caesarismus in der Theologie.
Was bedeutet es für das Verhältnis der Sprache zur Welt, wenn heute „rein sachliche“ Erörterungen auf Empfindlichkeiten treffen und als Beleidigung erfahren werden können? Ist hier nicht ein Problem angezeigt, das nur noch durch die Hereinnahme von Joh 129 ins Nachfolgegebot sich lösen läßt? Es ist der Zustand der Welt selber, der die Rechtfertigungszwänge begründet, unter denen die Menschen heute stehen, Folge der Unfähigkeit, das anklagende Prinzip, das die Welt durchherrscht, zu begreifen. „Wenn die Welt euch haßt“: Das bezieht sich nicht mehr nur auf die Lieblosigkeit einzelner, sondern auf die innere, durch den Zustand der Welt selber determinierte Verfassung der Sprache heute.
Die Bekenntnislogik ist eine Scham-Bedeckungs-Logik (die Logik des Feigenblatts).
Ist nicht die Kollektivscham der Kern und das Prinzip des Tiers? (Ist nicht die Tiergattung ein Produkt einer „ursprünglichen“ Kollektivscham? Und sind die Tiere nicht durch eine Art Scham in die Gattung gebannt? Diese Gattungsscham, die auf eine genetische Beziehung des Tiers zum Licht verweist, ist der Grund der Unfähigkeit, die Welt zu reflektieren, aus ihrem Bann herauszutreten.)
Auch der Ausdruck „Etwas mit gleicher Münze heimzahlen“ gehört zu den Konnotationen des Tauschprinzips.
Kanthers Vorschläge zur Reform des öffentlichen Dienstes:
– Leistungszulagen setzen ein Beurteilungswesen (mit entsprechenden Ermessensfreiräumen) voraus, das den ohnehin paranoischen Zustand der Verwaltungen weiter fördern wird. Keiner der von der Gewährung der Zulagen Ausgeschlossenen (und das dürfte die Mehrheit sein), der nicht anfällig wäre für den Verdacht, hier würden andere Dinge honoriert als Leistung. Angeheizt werden Konkurrenzdruck, Neid, Gerede, Mobbing, insgesamt ein Betriebsklima, das alles mögliche fördern mag, nur nicht Leistung. Leistungszulagen, die nicht an objektive, nachprüfbare Kriterien gebunden sind, sind Öl ins Feuer der Paranoia. Und ausbaden muß es das Gemeinwesen, das möglicherweise diese innere moralische Korruption der Verwaltung für die Lösung der Probleme hält, die sie eben damit hervorbringt und verschärft.
– Das Instrumentarium, das Kanther vorschlägt, scheint eher eines der Disziplinierung als eines zur Förderung der Leistung zu sein (es paßt in den Zusammenhang des Konzepts der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen wie die Faust aufs Auge). Es befördert die Radfahrermentalität, mit absehbaren Folgen nach innen wie nach außen. Aber war von einem Mann wie Kanther etwas anderes zu erwarten? Geht es ihm nicht ohnehin mehr um die Außenwirkung, um den Eindruck, den er damit bei seinen Anhängern macht, als um eine produktive und konstruktive Veränderung? Hier scheint der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr darum geht, ob eine Maßnahme dem angestrebten Ziel angemessen ist und greift, sondern nur noch darum, daß sie bei denen, die ohnehin glauben, Beamte seien Faulenzer, sie lebten von „unsern Steuergeldern“ und ließen sich nur ungern in ihrem Büroschlaf stören, den Eindruck erweckt: Hier greift einer durch.
Andreas und Philippus: Die Bedeutung des Namens Philippus liegt offen: Sie liegt in der Tradition des Makedoniers Philippos, der der Vater des großen Alexander war, dessen Taten vorbereitet hatte. Aber worauf bezieht sich der Name Andreas (Bruder des Simon Petrus)?
Wirft es nicht ein Licht auf die Bedeutung sowohl der Musik als auch der Dreidimensionalität des Raumes, wenn Edgar Morin zufolge die Musik im Film primär die Aufgabe hat, das flächenhafte bewegte Bild zu verräumlichen, ihm den Schein der Tiefe und des Gewichts: des Plastischen, Dreidimensionalen, Körperlichen, der Materialität zu geben? Ebenso wichtig ist eine zweite Wahrnehmung Edgar Morins: Der Schein der Realtität wird im Zuschauer fundiert und verstärkt durch das Arrangement des Zuschauens, die ihn in eine Situation bringt, die den Trieb, in die Handlung einzugreifen, schon im Keim erstickt. Mit seiner Ohnmacht aber werden die Quellen des Selbstmitleids (des Sentiments) und der Identifikation eröffnet und gefördert. Durch die Reduzierung seiner Handlungsfähigkeit aufs Weinen und Lachen wird er – wie der Rohstoff in den Prozeß der industriellen Produktion – als passives Objekt (als träge Masse) in die Handlung mit hereingezogen, die ihn, ohne daß er eine Chance hätte, sich dessen bewußt zu werden, verändert, für den Zustand der Welt, in dem es das Kino gibt, konditioniert.
Durch die Verinnerlichung der Scham und durchs Selbstmitleid – die beide auf die Ursprungsgeschichte der modernen Naturwissenschaften zurückweisen – ist das moderne Drama (und in seiner Folge der Film) zum Liebesdrama geworden, während die antike Tragödie an die Sphäre des Gerichts gebunden war. Aber ist nicht das Liebesdrama das Produkt der Subsumtion der Liebe (der Barmherzigkeit) unters Gericht (bedingt durch das Verhältnis des Gerichts zur Form der Anschauung)? Und rührt nicht daher seine Affinität zur Hysterie?
Schuldig wird man durchs Urteil der Andern, die man im Schuldgefühl als Richter anerkennt: schuldig wird man im Anblick der Welt. Sündig wird man durch die Tat: durch die Verletzung des göttlichen Gebots; sündig wird man im Angesicht Gottes. Im Anfang der Sünde steht die Tat. Und die „Sünde der Welt“ bezeichnet die weltbegründende Tat Adams, in deren Bann wir so lange stehen, wie wir unfähig sind, sie auf uns zu nehmen.
Die Fichtesche Tathandlung begründet den Ursprung der modernen Ontologie.
Im Ursprung der Welt steht die Tat, aber das Wort entspringt dort, wo „das Lamm“ (und in seiner Nachfolge die Menschen) diese „Sünde der Welt“ auf sich nimmt. Dieses Lamm ist „würdig, die sieben Siegel zu lösen“ (und hatte die Kraft, Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern zu befreien).
Selbstmitleid
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13.4.1995
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25.2.1995
Das indoeuropäische Präsens bezeichnet nicht die Gegenwart, sondern die Gleichzeitigkeit, so wie die Tempora der indoeuropäischen Konjugationsformen insgesamt relative Tempora sind, auf Vergleichszeiten bezogen. Hiermit hängt es zusammen, daß im sprachlogischen Kontext dieser Sprachen das Angesicht nur als Maske: als Person erscheint. Hier ist die List und die Verstellung (Ursprung des „Bewußtseins“) schon eingebaut. Auch die kantische Erscheinung hat hier ihren sprachlogischen Grund: Die Erscheinung ist die Reflexion der Sache (die selbst ins Unfaßbare zurücksinkt) in ihrem Anderssein. Diese Sprachlogik ist der Grund des Weltbegriffs, des Korrelats des kantischen Begriffs der Erscheinung. Die Begriffe Erscheinung, Welt, Natur, Person bilden (zusammen mit den Begriffen der Hegelschen Logik) ein System, in dem sie sich wechselseitig definieren und jeder Begriff nur innerhalb dieses Systems wechselseitiger Definition Bedeutung gewinnt. Die Philosophie, ihr Ursprung, ihr Erkenntnisbegriff und ihre Geschichte, ist auch ein sprachlogisches und sprachgeschichtliches Problem, das seinen Grund in der indoeuropäischen Grammatik findet.
Das Hegelsche Absolute ist der Swinegel: „Ick bün all do“.
Die Liebe unterscheidet sich von der Barmherzigkeit durch ihre Instrumentalisierbarkeit. Ein paradigmatisches Beispiel hierfür ist die Nutzung des Liebesentzugs als Erziehungsmittel. Das Unverständliche der kirchlichen Gnadenlehre hängt mit dieser Instrumentalisierung (der Liebe und der Gnade) zusammen (Folge der Konstituierung der Theologie als priesterliche Verwaltungswissenschaft).
Die Instrumentalisierung der Liebe, der Liebesentzug und die damit verbundenen pathologischen Formen der Verletzlichkeit, des Beleidigtseins, der Empfindlichkeit (nicht Sensibilität, die durch Empfindlichkeit neutralisiert wird), gründen im Selbstmitleid.
Die Person ist das neutralisierte und idolatrisierte Angesicht, wie das Neutrum (als grammatisch instrumentalisierte Verletzung des Bilderverbots) gründet es in der Herrschaftslogik.
War nicht das Bilderverbot ein Schutz vor dem Neutrum?
Das realsymbolische Objekt der Sintflut sind die indeoeuropäischen Sprachen.
Der ungeheure Sinn des Satzes: „Hodie, sie vocem eius audieritis“. Sein Hintergrund ist die Erschaffung der Welt durchs Wort: Das erlösende Wort ist die Erfüllung des schaffenden Wortes, das, wenn es endlich gehört wird, erlöst.
Aqua: Hängt das quaerere mit dem qua zusammen?
Ist nicht die Identität von träger und schwerer Masse, die Einstein seiner Allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde gelegt hat, eine logische Konsequenz aus den Erhaltungssätzen (der Masse und der Energie)? Hat diese Identität nicht einen ähnlichen logischen Stellenwert wie die Äquivalenz von Masse und Energie in der speziellen Relativitätstheorie, im Kontext des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit? Gibt es hier nicht eine Stufenfolge der dreifachen Reflexion, von der trägen Masse über die schwere Masse zur Äquivalenz von Masse und Energie?
Der Raum als subjektive Form der äußeren Anschauung ist der durchschlagene Knoten, den es zu lösen gilt.
Zum Begriff der Unzucht: Der Dingbegriff ist das Telos des Gattungsbegriffs.
Wenn im Namen des Himmels auch das Wer enthalten ist (der verborgene Name Gottes), ist dann nicht der Antisemitismus eine Folge der Himmelsverfinsterung.
Ursprung des Positivismus: Der kritische Impuls in der Geschichte der modernen Erkenntniskritik ist auf eine merkwürdige Weise punktuell und folgenlos geblieben. Auf die reale Wissenschaftsentwicklung hat er keinen nachhaltigen Einfluß genommen. Bezeichnend, daß die kantische Vernunftkritik ihre Wirkung eher als Begründung und Legitimierung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisanspruchs denn als dessen Kritik gehabt hat. Auch die Hegelsche Kritik der kantischen Antinomien (ihre Transformierung aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, die so zur dialektischen Logik geworden ist) hat legitimierend gewirkt.
Die Ontologie (die Hegel gegen Kant wieder rehabilitiert hat) bindet das Erkenntnisinteresse ans Wissen; das ist der Grund, weshalb sie in Heideggers Fundamentalontologie im Harakiri geendet hat. -
4.1.1995
Gibt es nicht ein Präteritum, das eigentlich die Zukunft meint? Gehört dazu nicht das Präteritum im Anfang des Johannes-Evangeliums? Ist die archä, in der der Logos war, eine archä, die noch nicht ist (ein Stück vergangener Zukunft)?
Die Plancksche Strahlungsformel ergibt sich aus der Beziehung der kinetischen zur Strahlungsenergie: Die Anzahl der Atome (oder auch der Freiheitsgrade) in einem Volumen bleibt vorgegeben und konstant, während die Anzahl der Oszillatoren der elektromagnetischen Strahlung abhängig ist von der Frequenz und Wellenlänge der Strahlung: mit der Energie gleichsam rückgekoppelt ist. Damit ändert sich die Grundlage der statistischen Beziehungen der beiden Energieformen.
Zum philein (Benveniste): Es hat mehr mit dem Possessivverhältnis zu tun, als Benveniste zugeben will. Zum unmittelbaren Possessivverhältnis kommt ein reflexives hinzu. Der Besitzende ist selbst vom Besitz besessen. Das, was im Besitzverhältnis dem Objekt widerfährt, reflektiert sich im Subjekt: im Selbstmitleid, in der „affektiven Beziehung zum Selbst“, im Geliebt-werden-Wollen. Die gesamte Philosophie steht unter dem Bann dieses Gesetzes.
„Wenn die Welt euch haßt, …“ Der Begriff der Welt in diesem Satz bezieht sich sowohl auf die Allgemeinheit „alle Menschen“ wie auch auf den unbestimmbaren Grund der Objektivität des Weltbegriffs (das Geld). In der vom Tauschprinzip bestimmten Gesellschaft ist das Geld der Inbegriff des Anderen, der Feind aller, den es durch eigene Anstrengung zu besiegen gilt. Der Sieger fühlt sich vom Geld geliebt, der Verlierer (und jeder ist ein potentieller Verlierer) fühlt sich gehaßt (schuldig, verurteilt). Und das Christentum als die Religion der Liebe, nachdem es als Siegesreligion im Selbstmitleid versunken ist, schließt die Armen aus.
Die Sexualmoral hat der Liebe in ihrem eigenen Zentrum eine Haßquelle eröffnet (der Begriff der Unzucht bezeichnet eine Qualität des sexualmoralischen Urteils und nicht ihres Objekts).
Sind nicht die drei evangelischen Räte: Gehorsam, Armut und Keuschheit auf die drei transzendentalen Ästhetiken bezogen: auf die subjektiven Formen der Anschauung, aufs Geld und auf die Bekenntnislogik (die Korrelate des theoretischen, des praktischen und des sexualmoralischen Urteils)? -
3.1.1995
Ist nicht die „Bruderschaft“, als Form der Allgemeinheit, die in der gemeinsamen Beziehung zum „Vater“ gründet, das Medium, in dem die Logik der Schrift (und mit ihr der Begriff des Wissens) sich entfaltet: das Medium der Vergesellschaftung, des Objektivierungsprozesses und der Verweltlichung (Ursprung des Neutrum, Bekenntnislogik)?
Fantastisch die Ableitung des Begriffs „frei“ (und der „Liebe“) aus dem Selbstmitleid, dem Bedürfnis geliebt zu werden (Benveniste, S. 257ff): Folge des Opfers der Vernunft, das die Bedingung der Aufnahme in die Brüderhorde ist: deren späterer Repräsentant ist das Bekenntnis, dessen Logik hier entspringt.
Der Begriff des Tieres und der der Selbsterhaltung sind korrelative Begriffe; deshalb gehört der Weltbegriff, der Inbegriff der gegenständlichen Korrelate der Selbsterhaltung, zu dem des Tieres. Die Menschwerdung beginnt mit der Fähigkeit, das Selbsterhaltungsprinzip zu reflektieren.
Ist nicht mit der „affektiven Beziehung zum Selbst“, die dem indoeuropäischen Begriff der Freiheit zugrundeliegt, der Grund dafür gelegt worden, daß im Deutschen das Sein sowohl das allgemeine Possessivpronomen als auch den Infinitiv des Hilfsverbs „Sein“ bezeichnet (vgl. S. 257 und S. 260)? Diese affektive Beziehung zum Selbst ist Teil eines Schuldzusammenhangs, den das Christentum theologisch verankert hat: Sie konstituiert sich in einer Gestalt der Selbst-Exkulpierung (der „Sündenvergebung“), die über das theologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ (der Opfertheologie und ihrer theologischen Konnotationen) vermittelt ist (und dem Verweltlichungsprozeß seine Schubkraft verleiht).
Raub der Sabinerinnen: Der Funktion der „angeheirateten Verwandschaft“ im Kontext der indoeuropäischen Institutionen liegt eine im Eigentumsprinzip gründende Rechtsbeziehung zugrunde. Ihr Ursprungsmodell ist der Frauenraub, der der ersten Gestalt der Ehe in der Männerhorde ähnlich zugrunde liegt wie der Diebstahl dem Handel. Gründet das Institut des Privateigentums (sowie der Ehe und des Staates) nicht doch generell in der gewaltsamen Aneignung der Beute durch nomadisierende Männerhorden (das erste rechtsfähige Eigentum waren Sklaven und Frauen)?
Benveniste hat nur bedingt recht, wenn er versucht, den Begriff des philein, des Liebens, aus der Possessivbeziehung herauszulösen. Selbstverständlich ist er nicht auf die positive, dingliche Eigentumsbeziehung eingeschränkt; aber konstituiert er sich nicht in einer Eigentumsordnung, die auch das Subjekt, den Eigentümer, in ihren Bann zieht und verändert (im Kontext des Ursprungs des Staates, dessen Vorläufer die Brüderhorde ist, und der die Eigentumsordnung, in der es dann Eigentum als Privateigentum überhaupt erst gibt, konstituiert). Wer die Idee des richtigen Handelns, und wer Schuld und Verantwortung an den König und die durch ihn gesetzte Rechtsordnung delegiert, wer sie von der Barmherzigkeit trennt, bleibt unversöhnt, anfällig fürs Selbstmitleid, süchtig danach geliebt zu werden.
Das Geliebt-werden-Wollen ist ein apriorischer Tatbestand im Herrschaftsbereich der Ontologie und diese eine Emanation des Staates.
Das Christentum ist dem Liebessyndrom verfallen, als es die Prophetie vor dem Hintergrund des Theologumenons seiner Erfüllung im Christentum als erledigt und abgetan, wie in der vorchristlichen Vergangenheit, so auch heute nur für die Juden zuständig, definierte. Dieses Konstrukt gehört in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus. Der Antisemitismus war immer schon ein Rädchen im Exkulpationsmechanismus.
Die logischen Strukturen, in die (Glaubens-)Bekenntnis und Sündenvergebung heute geraten sind, werden durchsichtig in der Reklame (die Adorno zufolge den Tod verschweigt).
Der Fundamentalismus ist der Greuel am heiligen Ort: Er ist nicht mehr durch bloße Verurteilung zu bekämpfen, sondern allein durch Reflexion und Auflösung des Schuldzusamenhangs, zu dessen Konstituentien die Verurteilung und zu dessen Folgen der Fundamentalismus gehören.
Die Schlange, die das klügste aller Tiere war, hat das Wissen erfunden. Welche Beziehung besteht zwischen der Schlange (dem saraph) und den Seraphim? Nicht die Seraphim, sondern die Cherubim mit dem „kreisenden Flammenschwert“ stehen vor dem Eingang des Paradieses.
Wut ist ein unkeuscher Zorn. Die Empörung hat ihn zur kleinen Münze gemacht, für den täglichen Gebrauch (im Tratsch) umgeformt. Wessen Bild trägt diese Münze?
In welcher Beziehung stehen die kantischen Antinomien der reinen Vernunft zur Logik des Beweises, was bedeuten sie für die Logik des Beweises? Im Zusammenhang des Rechts gibt es drei Beweisverfahren: den Zeugenbeweis (hierzu gehören das Martyrium und die Folter), den Indizienbeweis (ausgebildet in der Geschichte der Hexenvefolgung) und das Geständnis (das Judesein war einmal das absolute, vom Juden nicht mehr widerrufbare Geständnis). Als „sicherstes“ Verfahren gilt das Geständnis, in dem der Angeklagte die Schuld auf sich nimmt („gesteht“): Dieses Verfahren spricht den Richter frei, während der Zeugen- und der Indizienbeweis der Würdigung durch den Richter unterliegen, ihn in die Verantwortung mit hereinnehmen. – Im Recht führt das Bekenntnis der Schuld, die Übernahme der Verantwortung, nicht zur Befreiung, sondern zum Urteil und zu der als Strafe neutralisierten Rache; der Zeugenbeweis unterliegt dem Verdacht des falschen Zeugnisses, während der Indizienbeweis die Möglichkeit des Fehlurteils (der Täuschung oder des Irrtums) nicht ausschließt.
Verweist nicht das Phänomen der Fälschungen in der Geschichte auf ein herrschaftsgeschichtliches Problem? Die Fälschung gehört ebenso zur Herrschaftsgeschichte wie Mord und Raub; sie gehört zur Herrschaftsgeschichte als Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der projektiven Erkenntnis: als Schatten des dem Erkenntnistriebs innewohnenden Exkulpationstriebs. Hegels List der Vernunft gehört in diesen Zusammenhang. Die Geschichte der Fälschung vollendet sich in der Vorstellung des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit: in der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (der Objekte der kantischen Antinomien).
Das hängt zusammen mit der eigentumsbegründenden Kraft und Funktion des Staates, dem Nationalismus als Manifestation der Gewalt gegen die konkurrierenden Eigentumsansprüche anderer Nationen.
Es wäre zu untersuchen, ob und wie die anwachsenden Einbruchs- und Diebstahlsphantasien in den Medien und in der Gesellschaft logisch mit der anwachsenden Xenophobie zusammenhängen.
Sind nicht die Stämme und Völker, Sprachen und Nationen Denkmäler der Geschichte der Konstituierung der Raumvorstellung? -
30.12.1994
In der Zivilisation (mit dem Ursprung der „Nation“, des Staates) wird der Gast zum Feind (vgl. Benveniste, S. 78). Damit hängt die Beziehung des Begriffs der Barbaren zum Namen der Hebräer zusammen.
Die Sexualmoral appelliert an einen Trieb, der mit der Zivilisation (als Reflex des Ursprungs des Weltbegriffs und des Staates) im Innern der Menschen bildet: sie bezeichnet genau die „Unkeuschheit“, die sie zu bekämpfen vorgibt (Unzuchtsbecher).
Die Analyse des Begriffs des Glaubens macht verständlich, wie sehr das etablierte Christentum in der indoeuropäischen Sprachlogik (Ursprung des Neutrum, Logik der flexierenden Grammatik, Inertialsystem und Bekenntnislogik) verwurzelt ist, durch sie zu einer Herrschafts-, Kampf- und Siegesreligion geworden ist (Benveniste, S. 135ff). Die Naturwissenschaft: der Kampf an der Naturfront.
Liefert Benveniste mit seiner Analyse der indoeuropäischen Institutionen nicht den Schlüssel für die Erkenntnis des Zusammenhangs der christlichen Tradition und seiner Verwurzelung in der indoeuropäischen Sprachgeschichte mit dem Faschismus?
Hat das Verhältnis der beiden apokalyptischen Tiere (aus dem Meere und vom Lande) etwas mit der Beziehung von Neutrum und Bekenntnislogik (Realität und Reklame) zu tun? Das „es war, ist nicht und wird wieder sein“ bezeichnet nicht eine historische Abfolge, sondern einen logischen, systemischen, strukturellen Sachverhalt.
Die Vergangenheit ist die Hölle, deren Pforten die Kirche nicht überwältigen werden (ist die Natur die Hölle, und die Welt die Pforte dazu?).
Ist nicht die Hysterie ein Teil der Geschichte der Beziehung der Philosophie zur Prophetie?
Theologie kann erst dann wieder neu zum Leben erweckt werden, wenn es gelingt, die Erkenntnis aus dem Bann des Wissens zu lösen (vgl. die Differenz im kantischen Erkenntnisbegriff: die/das Erkenntnis). An die Stelle des Wissens wäre das Vertrauen in die erkennende Kraft der Sprache zu setzen.
Ist die „Kultur der Empfindlichkeit“ nicht die Versuchung, der Eugen Drewermann erlegen ist, und für die er den Preis hat zahlen müssen: seine Konfliktunfähigkeit? Im Bannkreis der Empfindung kann man auf Konflikte nur mit Projektionen (nur mit dem Instrumentarium des Schuldverschubsystems) reagieren. Grundlage der Kultur der Empfindlichkeit ist die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die Logik des Rechtfertigungszwangs (die Bekenntnislogik). Der Begriff der Empfindung stammt aus dem Konstrukt der „sekundären Sinnesqualitäten“: er setzt die Unreflektierbarkeit der mathematischen Naturwissenschaften (und der Geldwirtschaft, des Kapitalismus, der politischen Ökonomie) voraus. Gegen die Überflutung durch die chaotische Mannigfaltigkeit der Empfindungen hat Kant den Wall seiner transzendentalen Logik errichtet, der aber auch nicht standgehalten hat.
In dem Prophetenwort, daß am Ende die Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, „wie die Wasser den Meeresboden bedecken“, bezeichnet das „wie“ nicht einen Vergleich, sondern das Objekt einer Substitution: Die Wasser werden durch die Gotteserkenntnis ersetzt. Dieses Ende beendet die Geschichte der Sintflut. Hierauf verweist das apokalyptische Bild von der Hure Babylon, die an den großen Wassern sitzt, wobei die Erklärung dieser Wasser, die in der Johannes-Apokalypse gegeben wird, in dieses Bild mit hereinzunehmen ist.
Ist nicht die Ökonomie das Tier aus dem Meer; gehört dazu nicht der Seehandel (die Kaufleute und die Schiffsführer, die Spediteure)? Das Tier vom Lande (der falsche Prophet) würde dann den Weltbegriff, das Produkt der Selbstlegitimation des Bestehenden durch den Prozeß der Aufklärung, bezeichnen (die Philosophie, die Theologie und die Wissenschaften).
Kopf und Hand (die Träger des Zeichens des ersten Tieres, des Tieres aus dem Meere), bezeichnen sie nicht die subjektiven Formen der Anschauung (mit der Bekenntnislogik) und den Begriff oder das Geld?
Die Bekenntnislogik vertauscht Oben und Unten, das Geld (die politische Ökonomie) Rechts und Links und der Raum (die Naturwissenschaften) Vorn und Hinten.
… Deshalb war der Confessor ein männlicher Heiligentyp und sein Pendant die Virgo (die im Kontext der Sexualmoral zur Imago der Frauenfeindschaft geworden ist).
Edgar Morin hat einmal, in einer Untersuchung über das Kino, die Situation im Kino, das Eingesperrt- und Gefesseltsein in der Sitzreihe und an den „bequemen“ Kinostuhl (eine Situation, die das Fernsehen vergesellschaftet und privatisiert hat), mit der Situation des SS-Täters nach seiner Gefangennahme verglichen: abgesperrt vom Handeln, eingeschlossen in die „kontemplative“ Situation in der Gefängniszelle, zerfließt er in Selbstmitleid. Dieses Selbstmitleid ist der Boden, auf dem die Bilder des Films zu leben beginnen, die identifikatorischen Bedürfnisse des Zuschauers an sich binden (den Zuschauer „in ihren Bann ziehen“). Wäre die Erlösung nicht die Erlösung von der Erlösungsbedürftigkeit, die im Selbstmitleid gründet, und die der Ursprungsquell jener verhängnisvollen Religiosität ist, die heute um sich greift.
Unterscheiden sich nicht Schrift und Wort wie Wasser und Feuer (die nur im Namen des Himmels eins sind)?
Der Kreuzestod hat die Welt erschüttert, den Vorhang im Tempel (vor der Gegenwart des göttlichen Namens) zerrissen und den Himmel verdunkelt: Er hat die Welt in den Anklagezustand versetzt: in den Akkusativ. Das war der Anfang des Objektivationsprozesses.
Nicht die Dummheit gilt es in der Vergangenheit zu begreifen, sondern den Erkenntnistrieb, der auch in dem befremdenden Erscheinungen sich manifestiert, und seine Behinderungen. -
26.12.1994
Mit der Objektivation und Instrumentalisierung der Welt wird auch die Sprache instrumentalisiert, verliert sie ihre benennende Kraft, ihre Beziehung zur Wahrheit.
Mit der creatio mundi ex nihilo hat die Hybris Einzug gehalten in die Theologie. Sie war Caesarentheologie wie die homousia. Das nihil war das Denkmal der Abstraktion, des Verdrängten: Voraussetzung der Neutralisierung von Himmel und Erde. Mit der creatio ex nihilo ist die Schöpfung in eine Herrschafts- und Eigentumsbeziehung umgeformt, die Offenbarung zur Befehlsgewalt des Absoluten gemacht und die Erlösung spiritualisiert worden.
Heute enthüllt sich der Antisemitismus als theologischer Selbsthaß. Unter den Nazis gab es noch das Bewußtsein: Nach den Juden sind wir (die Christen) an der Reihe. Dem folgte die Identifikation mit dem Aggressor.
Der Satz, daß heute jeder Katholik so schlau ist wie früher bloß ein Kardinal, wäre zu ergänzen: und jeder so dumm wie früher die Herrschergestalten des Absolutismus.
Wer Hegel nicht versteht, versteht sich selbst nicht.
Die Schrift setzt an die Stelle des Hörens das Sehen; beim Übergang von der hebräischen zur griechischen Schrift hat sie Rechts und Links vertauscht.
Wenn die Bibel außer zwischen Stämmen und Völkern („Heiden“) auch noch zwischen Sprachen und Nationen unterscheidet, verweist diese Differenzierung dann nicht auf den Unterschied der politisch-gesellschaftlichen Bedeutung von Schrift und Geld? Definiert sich die Nation durch die Einheit der Währung (und ist das den modernen Antisemitismus beunruhigende Problem einer „jüdischen Nation“ nicht im Hinblick auf die Propheten anachronistisch, ein reales Problem dagegen erst mit den Makkabäern – nach dem Ende der Prophetie)?
Zur Geschichte der drei Leugnungen: War nicht die Geschichte der christlichen Theologie eine Geschichte der Erinnerung und Verdrängung zugleich; und verweist nicht die Geschichte von den drei Leugnungen auf den „Fortschritt“ in der Geschichte der Verdrängung?
Der Bann, der auf den Tieren liegt, gründet in dem Namen, mit dem Adam sie benannt hat.
Weihnachten erzeugt „Stimmung“, indem es den Boden des Selbstmitleids kultiviert; zu Silvester werden Stimmungskanonen benötigt, um eine Bombenstimmung zu erzeugen. -
13.12.1994
Der projektive Erkenntnisbegriff gewinnt seine Überzeugungskraft vor allem daraus, daß er die die Schuld des andern zur Rechtfertigung seiner eigenen gebraucht. Dem Rechtfertigungszwang liegt die Selbstverteidigung (und das Selbstmitleid) zugrunde.
Erst wenn es gelingt, die Marxsche Kapitalismuskritik aus den Zwängen ihrer personalisierenden Anwendung zu befreien, wird sie selber zu einer befreienden Kraft.
Die Person ist eine Emanation des Staates; beide definieren sich (wie auch die Begriffe Natur und Welt, zu deren Kontext sie gehören) durch ihr Verhältnis zum Eigentumsbegriff. Ebenso gibt es den Wissensbegriff nur im Kontext des Staates: Wissen ist das in Eigentum verwandelte Erkenntnisprodukt; es hat sein fundamentum in re in der projektiven Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung (vgl. die dem Begriff der Meinung zugrunde liegende Beziehung der Anschauung zum Eigentumsbegriff).
Taumelkelch: Was die Propheten Trunkenheit nennen, wird durch Empörung erzeugt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind Mechanismen der automatisierten Empörung (der Urteilslogik). Die Urteilslust (die Selbstentlastung durch das Urteil über andere) ist Ausdruck dessen, was die Apokalypse Unzucht nennt (Zusammenhang mit der „Mordlust“).
Wenn Lukas im Zusammenhang mit der Kindheitsgeschichte Jesu auf Augustus und Matthäus auf Herodes sich bezieht, worauf beziehen sich Markus und Johannes? Kann es sein, daß Markus sich auf die polis bezieht, Johannes auf die Welt („Sünde der Welt“)?
Hängt die Grenze, die die Geschichte von der Gegenwart (die Zivilisation von der Vorgeschichte, das Präteritum vom Präsens) trennt, mit der Grenze des Himmels zusammen; und erscheint diese Grenze (die Grenze zum Mythos) im Symbol des Wassers (Thales), das in Wahrheit Feuer ist? War es dieses Feuer, das Jesus meinte, als er sagte, er sei gekommen Feuer vom Himmel zu bringen, und er wollte, es brennte schon?
Das Symbol des Rades ist das Äquivalent der Fläche (so wie die atomare Struktur der Materie eine Konsequenz aus dem Feldbegriff der Maxwellschen Gleichungen ist).
Ist nicht der Satz „Gott ist ewig“ (der Ausschluß der Vergangenheit von der Idee Gottes) eine notwendige Folge aus dem Cohenschen Satz, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind?
Wie hängt das Inertialsystem mit dem System der Deklinationen und der Konjugation (oder Raum und Zeit mit Objekt und Begriff) zusammen?
Bezieht sich der Satz „Mein Joch ist sanft, meine Bürde leicht“ auf das Wort vom Rind und Esel? -
8.11.1994
Die christliche Orthodoxie, die dogmatische Theologie, hat mit Rind und Esel gemeinsam gepflügt. So hat sie der modernen Aufklärung den Boden bereitet.
Haben Rind und Esel etwas mit dem Verhältnis von Schrift und Wort zu tun?
Mit Einstein und Planck war die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis grundsätzlich beendet. Was danach folgte war die Rache der Mechanik: Ein Kampf zwischen Kopf und Wand, wobei übersehen wird, daß diese Wand ein Produkt des eigenen Kopfes ist.
Der Raum ist der Taumelbecher, das Geld der Kelch des göttlichen Zorns und die Bekenntnislogik der Unzuchtsbecher. Das Bekenntnis war der Anfang der Verinnerlichung der Scham. Deshalb war der Confessor ein männlicher Heiligentyp und sein weibliches Pendant die Virgo (Jeremias war der einzige unverheiratete Prophet, und Rom war der legitime Erbe Babylons).
Die Bekenntnislogik hat die Frau zu einem mä on gemacht.
Gehört nicht die Verknüpfung von Virginitas und Unschuld zur Exkulpationsautomatik: Folge der Verschiebung der Erbsünde von der Urteilslust in die Sexuallust?
Zur Theologie gehört auch das Studium der invisible hand (u.a. wegen ihrer Beziehung zum ausgereckten Arm und zur starken Hand).
Sollte nicht einmal Schluß sein mit der projektiven Anwendung der apokalyptischen Symbole, nach dem Motto: Da wir ja gerettet sind, kann es sich nur auf die andern beziehen?
Hat das Paulus-Wort, wonach die Frau durch Gebären sühnt, etwas mit dem Naturbegriff zu tun?
Metapher, Allegorie, Symbol: leer, gereinigt und geschmückt.
Der Begriff der Unzucht hat mit etwas mit der Affirmation der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit zu tun: mit der Instrumentalisierung des Kreuzestodes und dem Ursprung der Opfertheologie.
Seit dem Konzept der Opfertheologie, seit die Kirche sich zum Nutznießer des Kreuzestodes gemacht, sich auf die Seite der Täter gestellt hat, weiß sie nicht mehr was sie tut. Seitdem gehört das Sakrament der Beichte in die Tradition des Satzes „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.
Die negative Dialektik ist der Versuch, unter den Bedingungen der Logik der Schrift dieser Logik nicht zu verfallen.
Auch für die Wundergeschichte gilt, daß es mit dem stupenden Anschauen nicht getan ist: Das Entscheidende an den Wundergeschichten ist ihr imperativischer Gehalt. Auch die Wunder sind aus dem Bann des Indikativs zu lösen. Und hat Er’s nicht selbst gesagt, daß seine Jünger die gleichen Taten vollbringen werden, wenn nicht größere?
Edgar Morins Bemerkungen über die Wirkung der Identifikationsmechanismen im Kino (mit dem Hinweis auf die im Gefängnis dem Selbstmitleid ausgelieferten SS-Täter) wäre anzuwenden aufs Fernsehen: Die Ohnmacht derer, die in die Handlung nicht eingreifen, dem Wort nicht antworten können, verstärkt die Exkulpationsmechanismen, die das Fernsehen bedient (Fernsehen als Parodie auf den imperativen Charakter der Attribute Gottes).
Durch Reklame wird Konsum zur Buße (Teil der Exkulpationsautomatik und Folge des gemeinsamen Pflügens mit Rind und Esel). -
10.10.1994
Die Diskussion über den falschen Propheten gilt nicht dem Adressaten der Prophetie, sondern dem Propheten, der prophetischen Erkenntnis.
Nach Levinas ist die Versuchung der Versuchung das Wissen (die Philosophie). Alles Wissen gründet im Raum, und der Raum ist der Grund alles Versuchungen.
In der Unterscheidung zwischen vorn und hinten, im Angesicht und hinter dem Rücken, steckt der ganze Raum. Zu den Konstituentien des Hinter dem Rücken gehören sowohl die Rechts-Links- als auch die Oben-Unten-Beziehung. Deshalb ist die Umkehr mehr als nur die (räumliche) Umkehr, und deshalb hat der Begriff des Angesichts diese ungeheure Bedeutung. Mit der Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken hat das biblische Motiv der Lahmen und Blinden etwas zu tun, und das Wort vom Binden und Lösen.
„Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt“: Ich seh’s ein.
Ist nicht die gesamte Physik eine logische Entfaltung des Inertialsystems, mit zwei empirischen Elementen: Der Gravitation und dem Licht. Die Idee einer allgemeinen Feldtheorie ist logisch unmöglich, weil die Felder die sie zu vereinigen sucht, inkompatibel sind (wie die Oben-Unten- und die Rechts-Links-Beziehung: auf die erste bezieht sich das Gravitationsfeld, auf das zweite das elektromagnetische Feld; und beide, die Gravitations- und die Lichttheorie, dienen eigentlich nur der Absicherung des Inertialsystems: des Herrschaftssystems, beide sind Veranstaltungen zur Verhinderung der Einsicht, die das System auflösen/sprengen würde).
Zu einer Theorie des Lichts gehört das Wort aus dem Lied der Lieder: Stark wie der Tod ist die Liebe.
Kommt nicht der Titel „Lied der Lieder“ der Sache näher als „Hohelied der Liebe“: Das Lied der Lieder wäre in Beziehung zu setzen zur noesis noeseos; ließe sich daraus nicht eine Theorie der Musik entwickeln? Und verweist nicht das „Stark wie der Tod …“ auf die Erfüllung des Wortes?
Das Verhältnis von Liebe und Barmherzigkeit entspricht dem von Erotik und tätiger Hilfe. Läßt sich das Votum für die Armen und die Fremden in Kategorien der Erotik fassen, und stehen die Kategorien der Liebe nicht in der Gefahr, in den Bannkreis des Selbstmitleids, des Wunsches, geliebt zu werden, hineinzugeraten? In diesem Bankreis wird Herrschaftskritik zur Sexualmoral, Barmherzigkeit zur spiritualisierten Gnade. Angesichts des Meeres von Schuld ist es fast unmöglich, nicht dem Rechtfertigungszwang zu verfallen, aus dem das Selbstmitleid stammt, und der die Sensibilität, die Wahrnehmungsfähigkeit, von innen zerstört: der blind macht.
Ist nicht der gelegentliche Hinweis im Talmud, daß die Frucht des Baumes der Erkenntnis nicht der Apfel, sondern der Weizen sei, ein Anlaß, das Urschisma nochmals zu reflektieren: Steckt darin vielleicht ein Stück Gnosis-Kritik, und hat die christliche Tradition mit der Verwerfung der Gnosis nicht etwas zu viel verworfen? Wäre aus diesem Anlaß nicht überhaupt die gesamte Geschichte der Häresien einmal auf ihre Beziehung zum Schuldverschubsystem zu überprüfen?
Die erneute Reflexion der Häresien wäre der Versuch, die ungeheure Last der der Verdrängungen ins Bewußtsein zu heben, die zu den Ursprungsbedingungen des Objektbegriffs gehören (die Schwerkraft des Objektbegriffs begreifen).
Zum Verhältnis von Welt und Sprache: Der welthistorische Prozeß ist auch ein sprachgeschichtlicher Prozeß (ein Prozeß im Medium der Logik der Schrift).
Ist nicht auch das Buch Hiob ein Text der Selbstreflexion der Logik der Schrift? Das Theodizee-Problem löst sich nur mit der Auflösung dieses Problems: mit der Einsicht, daß es (wie die Judenfrage, die Seinsfrage u.ä.) gegenstandslos ist. Es löst sich mit dem radikalen Verzicht auf apologetisches Denken (nur die Hybris der Freunde Hiobs maßte sich an, Gott zu verteidigen).
Die Schrift trennt den Namen von der Person. -
25.8.1994
Hat die Sintflut etwas mit dem Ursprung und der Ausbreitung des Selbstmitleids, das, wenn es einen überfällt, auch die ganze Objektwelt überschwemmt, zu tun?
Feminismus: Die Rache der Virgo am Confessor.
Muß man eigentlich wirklich den Gedanken abwehren, daß Maria Magdalena die „große Sünderin“ war?
Es gibt zwei Gestalten des Bekenntnisses: das Bekenntnis des Namens und das projektive Bekenntnis, das „Glaubensbekenntnis“. Zum projektiven Bekenntnis gehört insbesondere das Feindbild.
Die Bekenntnislogik (die Logik des projektiven Bekenntnisses) hängt zusammen mit der Logik der Philosophie, des projektiven Erkenntnisbegriffes, der mit der Philosophie entsprungen ist und in den Naturwissenschaften sich vollendet. Nicht zufällig ist der Konfessionalismus in der gleichen Phase entstanden, in der auch die modernen Naturwissenschaften entstanden sind.
Verweist nicht der Name Joseph (des Vaters Jesu) eher auf ephraimitische Herkunft als auf davidische? Und haben die Träume des Joseph (bei der Schwangerschaft Mariens, vor der Flucht nach Ägypten) nicht auch einen systemischen Hintergrund? Erscheint nicht Joseph, ohne mit Namen genannt zu werden, letztmals bei der Wallfahrt nach Jerusalem, und verweist hier nicht Jesus erstmals auf seinen „Vater im Himmel“ (vgl. auch den Namenswechsel Saulus/Paulus nach dem Besuch bei dem Römer Paulus in Zypern), während die Distanzierung von der Mutter und den Geschwistern später erfolgt? Heißt es nicht auch hier: Und Maria bewahrte alles in ihrem Herzen?
Hat Jesus mit der Bar Mizwa den realen durch den himmlischen Vater ersetzt?
Ist nicht der Satz, daß die Deutschen heute vom Christentum Abschied nehmen, ohne Trauerarbeit zu leisten, konkreter zu fassen: Die Kirche nimmt Abschied von ihrer Tradition, ohne Trauerarbeit zu leisten? Daher die Polarisierung in Fundamentalisten und Liberale. Aufgrund der nicht geleisteten Trauerarbeit ist die Liturgische Bewegung zu einem Bastelkurs verkommen (nach dem Prinzip „Do it yourself“). Die Denaturierung der Tradition zu beliebig verfügbarem und verwertbarem Material bleibt unreflektiert.
Staats- und Herrschaftskritik ist heute ohne die Kritik der Naturwissenschaften, insbesondere ohne eine Kritik ihrer Ursprungsgestalt: der Astronomie, nicht mehr möglich.
In welcher Beziehung stehen das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande zum Drachen?
– Das Tier vom Meere hat wie der Drache zehn Hörner und sieben Köpfe, aber die Kronen sind beim Drachen auf den Köpfen, beim Tier vom Meere auf den Hörnern.
– Das Tier vom Lande hingegen redet wie ein Drache.
Das Tier vom Lande ist der falsche Prophet, das Tier vom Meere eine Verkörperung der Herrschaft (eine Folge von Königen).
Haben das Tier aus dem Meer und das Tier vom Land auch etwas mit der Symbolik von Brot und Wein zu tun (mit dem strengen Gericht und der Barmherzigkeit: mit ihrer Trennung)?
Ist es nicht ein Unterschied, ob die Schrift sich erfüllt, oder ob das Wort sich erfüllt? Im Christentum hat sich die Schrift erfüllt, nicht das Wort. Das Zeichen der Trennung von Schrift und Wort steckt in Joh 129. Zur Geschichte der Erfüllung der Schrift gehört der Kreuzestod und das Kelchsymbol, zur Erfüllung des Worts Joh 129 und die Auferstehung. Im Hinblick auf die Auferstehung trifft die Übersetzung mit „hinweggenommen“ zu, aber wurde diese Last nicht damit zur Rechten des Vaters deponiert?
Jede Gestalt der Verdinglichung, der Konkretismus und die Personalisierung sowie das Schuldverschubsystem insgesamt, steht unterm Symbol des Kelches.
Ist der Heilige Geist nicht nur im Rahmen der Logik des Adornoschen Satzes, wonach nur der Liebende sich geliebt weiß, zu verstehen: Nur der Tröstende wird getröstet, nur der Verteidigende wird verteidigt.
Es gibt ein deutsches Sprichwort, das in der Selbstanwendung zutrifft, während es in der Anwendung auf andere infam ist: Wer sich selbst verteidigt, klagt sich an. (Wie hängt dieser Satz mit dem andern zusammen: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr?)
Man kann Kant nur noch durch Hegel hindurch verstehen, wobei nur der wissenschaftskritische Teil der kantischen Philosophie (genauer der naturwissenchaftskritische Teil) durch Hegel nicht erledigt war und über Hegel hinausweist. Als Joachim Ritter vor etwa 40 Jahren in Münster glaubte, seinen neuen Kollegen Alfred Petzelt, der ein Schüler Hönigwalds war, gegen den „Vorwurf“, er sei Neukantianer, verteidigen zu müssen, ist mir zum erstenmal aufgegangen, daß in diesem Vorwurf eine möglicherweise antisemitische Tradition nachklang. Ich habe das damals schon mit der Wirkung und dem Einfluß Heideggers zusammengebracht. -
20.8.1994
Gnadenlose Theologie: Nachdem die Welt durch den Kreuzestod entsühnt wurde, ist auch die Anwendung der der weltlichen Logik auf die Gegenstände der Theologie ohne Schuldbewußtsein möglich geworden.
Hegels Logik enthüllt sich unter dem Titel „Leben“ als Bild des apokalyptischen Tieres. Der „Kern des logischen Lebens“ (Logik II, S. 415) ist die Schicksalsidee oder, nach dessen Benjaminschen Definition, der Schuldzusammenhang des Lebendigen.
Gehört nicht zur Genesis des Gefühls (für das es in der antiken Welt kein Äquivalent gibt) das Selbstmitleid, ein Produkt der gleichen historisch-gesellschaftlichen Konstellation, der auch die Philosophie sich verdankt? Das Gefühl ist im strengen Sinne pathologisch.
Das Kelch-Symbol bezieht sich auf den Ursprung und die Geschichte der Raumvorstellung, es gehört zum Kontext der Herrschaftsgeschichte.
Die Logik der Schrift ist die Logik des Denkens der anderen. Es gehört zum fundamentalistischen Schriftverständnis, daß der Inbegriff der Anderen (der Weltbegriff) mit Gott verwechselt wird; deshalb darf die Schrift nicht problematisiert werden; deshalb ist jeder Fundamentalismus konfliktunfähig (und gewaltbereit); und deshalb gibt es keine Freiheit in der Gesellschaft, wenn nicht die Kritik der Logik der Schrift (der freie Umgang mit Geschriebenem) in den Grundbestand der Bildung mit aufgenommen wird.
Der Repräsentant des Denkens der Anderen (der Logik der Schrift) im Subjekt sind die subjektiven Formen der Anschauung. -
30.7.1994
Wäre die Natur ein Subjekt (und empfindungsfähig), sie würde sich absolut mißverstanden fühlen, sie wäre längst autistisch geworden. Aber ist sie es nicht schon?
Ist es nicht das Selbstmitleid, und sind es nicht die damit verbundenen Projektionsmechanismen, die uns in die Identifikation mit den Herrschenden hineinführen (in die Anhängigkeit von denen, von denen wir geliebt werden möchten)? Diese Identifikation mit gleichzeitigem Dementi (mit gleichzeitiger Leugnung) ist faschistisch (der leere Grund des autoritären Charakters).
Die Ontologie ist die Philosophie des Selbstmitleids.
Ist der Raum nicht ein Instrument der Verwerfung und der Gnade zugleich?
Das Dogma (die Orthodoxie) ist die Wahrheit, aber die Wahrheit in den Fesseln der Urteilslogik: die Wahrheit in der Gestalt des steinernen Herzens.
Ist nicht die Beschneidung ein antipatriarchalischer Akt, und gilt das nicht auch für die „Beschneidung des Herzens“, der die Kirche sich bis heute nicht unterworfen hat.
Das Geheimnis des Paulus hat etwas mit dem mysterium iniquitatis zu tun. Kann es sein, daß Paulus etwas mit dem Judas Iskarioth zu tun hat?
Gibt es nicht Judaisten, die aus der Judaistik eine Folklore-Wissenschaft (eine Brauchtums-Wissenschaft) gemacht haben?
Heute müssen wir durch die sieben Nächte der Gottverlassenheit hindurch.
Gebote sind Richtschnuren des Handelns, keine Maßstäbe des Urteils. Dazu werden sie, wenn sie zu Gesetzen werden. Das Gebot gilt für mich, während das Gesetz für die Anderen gilt, und für mich nur insoweit, wie ich ein Anderer für Andere bin.
Verweist nicht das Wort „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, dem das Wort „Sie waren nackt, aber sie schämten sich nicht“ vorausgeht, darauf, daß Paradies und Sündenfall auch als sprachliche Sachverhalte begriffen werden müssen („die Welt ist alles, was der Fall ist“)? Und es war einer der folgenreichsten Fehler des frühen Christentums, daß es den evangelischen Rat des Hörens zu einem des Gehorsams gemacht hat.
Hängen hiermit Ursprung und Gestalt des Benediktiner-Ordens zusammen? War nicht die Benediktiner-Regel die Einübung ins autoritäre Verhalten? Und gewinnt vor diesem Hintergrund nicht die These, daß Benedikt selber und seine Regel eine nachträgliche Erfindung sind, ein Stück Plausibilität? – Repräsentiert der Benediktiner-Orden das mykenische Zeitalter im Christentum? Auch die Benediktiner errichteten ihre Klöster in den Bergen.
Polemik ist die verzweifelte Verkörperung der Beweislogik.
Ezechiel (1414/20) nennt Noah, Daniel und Hiob als als Namen dreier Gerechter, die gerettet werden, wenn auch alle anderen wilden Tieren, dem Schwert oder der Pest zum Opfer fallen.
Welche Pseudepigraphen gibt es (neben Jona, Daniel, Esther, Tobit, Judith, Hiob) im kanonischen Bestand der Bibel?
Wie wird Johannes im Johannes-Evangelium sonst noch genannt (der andere Jünger; der Jünger, den der Herr liebhatte)?
Hat der „hebräische Knecht“ (Dt und Jer) etwas mit dem Gottesknecht (Jes) zu tun; ist JHWH der Gott der Hebräer?
Kann es sein, daß die Trinitätslehre das Ergebnis eines Versuches ist, die Prophetie in einer mathematischen Formel einzufangen?
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