Sexismus

  • 17.04.91

    Das Modell des Kreislaufs ist der Jahreskreislauf: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. An diesen Kreislauf ist das Leben der Pflanzen gebunden, es verselbständigt sich nicht dagegen. Anders das Leben der Tiere, daß sozusagen den Grund dieses Kreislaufs in sich aufgenommen, verinnerlicht hat. Läßt sich so (auf der Grundlage der Korrespondenzen zwischen dem Inneren und der Außenwelt) die Astrologie begründen? Aber auch die dem Menschen verliehene Macht: Adam benennt die Tiere. Gleichzeit werden Sonne und Mond als Herrscher des Tages und der Nacht bestimmt.
    Die Pflanzen überleben (überwintern) durch den Samen (und die Wurzeln?). Die Bäume überleben die Jahre durch Verholzung, Verstockung (Hypertrophie der Wurzeln). Hängt das mit dem gemeinsamen Ursprung der Bäume und der Prähominiden zusammen? Die Säugetiere, deren Leben auch an die Perioden der Jahreszeiten noch gebunden ist (Zeugung, Geburt, z.T. auch Winterschlaf), haben einen gemeinsamen Ursprung mit den blütentragenden Pflanzen (Beziehung der Fortpflanzung zum Licht, Insekten). Ist hier der Punkt, an dem der Ursprung von Behemoth und Leviatan interessant wird?
    Hat es etwas zu bedeuten, daß der Begriff Stamm sowohl die vorstaatlichen (geschlechterbezogene) Sozialeinheit bezeichnet als auch den Stamm der Bäume? Ist – bezogen auf die zwölf Stämme Israels – die Verstockung gleichsam ein Naturqualität?
    Hoffnung gibt es nur, wenn es Hoffnung auch für die Toten gibt.
    Die naturphilosophische Enträtselung des Gesetzes: Der Islam wäre daraufhin zu befragen: Wenn Gott die Welt täglich neu schafft, er gleichsam diese Herkulesarbeit leistet, die Welt täglich vor dem Untergang zu retten, woher kommt dann ihr täglicher Untergang? Wo liegen die Wurzeln des Verhängnisses; sie haben einen politischen Teil, aber sie liegen nicht in der Politik.
    Die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit (und eines unendlichen Raumes) ist der Preis für die Konstitution des transzendentalen Subjekts.
    Aggression ist ein Symptom für nicht geleistete Trauer- und Erinnerungsarbeit.
    Heute trampeln unsere Theologen beim Unkrautausreißen in allen Weizenfeldern herum. Und zwar sowohl die christlichen, als auch die marxistischen Theologen. Alle behaupten, das richtige Unkrautvertilgungsmittel zu haben, aber keiner macht sich Gedanken über die Nebenwirkungen.
    Die Stoßprozesse sind der Keimpunkt, an den sich das ganze System der Physik ankristallisiert. Sie sind sozusagen der zentrale Referenzpunkt für alle naturwissenschaftlichen Begriffe, Objektvorstellungen und Gesetze.
    Die Gemeinheitsautomatik ist eine Funktion des Empörungsmechanismus.
    Zur Bekenntnislogik gehört
    – der Feind: das sind die Juden;
    – der Verräter (die Sympathisanten des Feindes): das sind die Ketzer, die Häretiker;
    und die Bekenntnislogik ist selbst männlich: sie schließt die Frauen aus, die dann nur durch Keuschheit, Erhaltung der Jungfräulichkeit, sich aus ihrer ursprünglichen Verderbtheit (ihrer Unfähigkeit zu bekennen) retten können. Der Rechtfertigungszwang ist männlich.
    Der Bekenntnisbegriff versetzt den (männlichen) Gläubigen in die Lage, gleichsam hinter dem Rücken Gottes (durch Vermännlichung Gottes) Theologie zu treiben (Anbetung der zeugenden Kraft, an der nur die Männer teilhaben: „Ich bin ein eifersüchtiger Gott“). Die damit verbundenen Schuldgefühle, mit denen man nicht leben, die man nur verdrängen kann, werden dann zwangshaft projiziert; und hier stehen die drei Projektionsflächen offen, die aufzuarbeiten sind:
    – der Antijudaismus,
    – die Ketzerverfolgung
    – und die Frauenfeindschaft.
    Hier gibt es eine Systematik, die auf die drei Verleugnungen des Petrus verweist: Die letzte Leugnung geht einher mit der Selbstverfluchung, dann krähte der Hahn, und er ging hinaus und weinte bitterlich. Hier, wenn die Kirche die Angst verliert, sie könne ihr Gesicht verlieren (vor der Welt schuldig erscheinen), in dieser Lösung der Spannung, löst sich die Schuld.
    Das Zwangsbekenntnis ist der Kern, das logische Zentrum einer Struktur, die gegen ihren Inhalt gleichgültig ist; das Entscheidende ist genau diese Gleichgültigkeit gegen den Inhalt. Sie vermittelt die Möglichkeit, den Inhalt zu behaupten, ohne davon berührt zu werden, ihn objektiv zu halten.
    In dem Augenblick, in dem Schuld keine Rechtfertigungszwänge mehr auslöst, d.h. in dem Augenblick, in dem der Bekenntniszwang durchbrochen wird, wird auch der Wiederholungszwang außer Kraft gesetzt, der den Zusammenhang zwischen dem Bekenntniszwang und den scheußlichen Untaten, die im Namen des Christentums im Laufe seiner Geschichte begangen worden sind, einmal herstellte.
    Nicht das Proletariat, sondern die Toten bezeichnen diesen absoluten Objektstatus, auf den als reine Negativität die Erlösung sich bezieht.
    Das Bekenntnis ist die Verstockung, die die Christen dann den Juden zum Vorwurf gemacht haben.
    Die Bekenntnislogik im Christentum hat sehr viel mit der Beziehung des Christentums zur Philosophie zu tun, die dann an einem anderen Objekt, gleichsam durch Verschiebung, Kant auf ihren Begriff gebracht hat. Die Hegelsche Philosophie ist die präparierte Leiche der dogmatischen Theologie. Aber erst Einsteins spezielle Relativitätstheorie, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, hat (mit der Berichtigung des Inertialsystems)
    . dem Bekenntnissyndrom endgültig den Boden entzogen und
    . das Modell für die Berichtigung des Bekenntnisses geliefert (vgl. auch Freud, dessen Psychologie das durchs Bekenntnissyndrom, das dem Ödipuskomplex entspricht und wie dieser die bürgerliche Geschlechterrolle prägt, bestimmte Subjekt zur Grundlage hat: der „Penisneid“ und die Bekenntnis-Unfähigkeit gehören zusammen).
    Ist nicht die spezielle Relativitätstheorie Einsteins eigentlich die allgemeine, und die allgemeine die spezielle?
    Die Lichtgeschwindigkeit ist nur durch „Umkehr“ auf ihren realen Begriff zu bringen. (Das Bekenntnis ohne Umkehr wird zum Zwangsbekenntnis.)
    Die moderne naturwissenschaftliche Aufklärung und der Kapitalismus beruhen beide auf dem gleichen Prinzip: dem der Verinnerlichung des Opfers. Der prophetische Satz: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ ist ein erkenntnis- und herrschaftskritischer Satz.
    Die Mystik, genauer die christliche Mystik, ist der vergebliche Versuch, der Schuld des Objektivationsprozesses durch die Wendung nach innen zu entkommen.

  • 01.04.91

    Würden unsere Theologen, Politiker, Beamten ernsthaft an das ewige Leben, die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung der Toten glauben, oder wäre Gottesfurcht ein Teil des politischen und religiösen Selbstverständnisses in diesem Lande: diese Welt sähe anders aus.
    Der Begriff der Gottesfurcht ist eindeutig, der der Furcht des Herrn zweideutig. Die Gottesfurcht orientiert sich an dem Verhältnis von Schuld und Versöhnung, Schuld und Befreiung, die Furcht des Herrn an dem Verhältnis von Schuld und Strafe.
    Die drei evangelischen Räte:
    – Armut: Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon;
    – Gehorsam: Heute, wenn ihr seine Stimme hört;
    – Keuschheit: Nicht die Sexuallust, sondern die Urteilslust ist der Transporteur der Erbschuld.
    Reflexion des Zusammenhangs von Selbsterhaltung und Realitätsprinzip:
    – Namenlehre vs. begriffliche Erkenntnis;
    – Kritik des richtenden Denkens.
    Das Bekenntnis ist das Medium der Regression ins Gattungswesen: Hinweis auf den Ursprung der Sexualmoral und die Bedeutung der apokalyptischen Tiere.
    Der kirchliche biologische Begriff der Unschuld ist eine der Quellen, aus denen der faschistische Rassenbegriff: die Vorstellung eines biologischen Erbadels (der biologischen Unschuld der Herren, der Existenz einer Herrenrasse) und der damit notwendig verbundene Antisemitismus sich speist. Hier tritt das Gewaltmoment offen zutage, das im kirchlichen Bekenntnisbegriff bereits enthalten ist.
    Die Trennung des Bekenntnisbegriffs vom Namen verletzt das Bilderverbot, begründet den Objektbegriff, der seitdem das christliche Dogma verhext, und ist der Ursprung der Gewalt in der Religion.
    Die Sexualmoral und ihre Metastasen sind der Inbegriff dessen, was in der Geschichte vom Sündenfall dann mit den Dornen und Disteln bezeichnet wird.
    Die finsteren Mysterien des Personbegriffs.
    Urteilslust dreifach stabilisert:
    – durch den Naturbegriff (durchs Trägheitsgesetz),
    – durch den Weltbegriff (durchs Tauschprinzip),
    – durchs Bekenntnis (durch den vergegenständlichten, verdinglichten Glauben, durchs Prinzip der Weltanschauung).
    In der Bosheit des anderen die gemeinsame Dummheit, die des anderen und die eigene, begreifen.
    Das Problem von Genesis und Geltung hängt mit dem von Objektivation und Instrumentalisierung zusammen. Verwechslung von Geltung und Wahrheit: Geltung ist Geltung für jedermann, es gilt auch hinter dem Rücken, und es hat wirklich etwas mit Geld zu tun, und mit dem Bekenntnis: Im Bekenntnis wird die Geltung für jedermann hergestellt und stabilisiert. Konsequenzen für den Personbegriff, der auch die Anerkennung durch die anderen als Konstituens und Sinnesimplikat mit einschließt. Person ist das Subjekt (der Träger) des Bekenntnisses (Bekenntnis als Maske: vgl. Kafkas Oklahoma). Hiernach wird die Tertullianische Vorstellung, daß Frauen, wenn sie denn in den Himmel kommen, zu Männern werden, vielleicht begründbar (aber der theologische Kontext, in dem sie begründbar wird, eo ipso falsch). Die Person ist keine Schöpfungswirklichkeit, sondern Produkt von Vergesellschaftung. Die Person ist Erbe des mythischen Helden. Durch die Anerkennung der anderen hindurch bedarf die Person letztlich der Bestätigung durch den Staat (ohne Pass ist der Mensch kein Mensch). Abgesichert wird die Person durchs Strafrecht. Der Staat ist somit nicht nur das Prinzip der Anklage (sh. Staatsanwalt), sondern auch das der Exkulpierung (durch den Pass). Voraussetzung der Anerkennung und der Exkulpierung ist das Bekenntnis. Hieraus lassen sich zwanglos solche schönen Dinge wie Antisemitismus, Ausländerfeindschaft, Frauenfeindschaft u.ä. ableiten. Im Kontext unserer Staatsmetaphysik sind Ausländer Häretiker, Ketzer. Und die Deutschen sind die Ausländer für alle anderen (das prädestinierte Objekt der Selbstverfluchung).
    Im Kontext des Anerkennungskonstrukts läßt die Begründung der subjektiven Formen der Anschauung im Gewaltmonopol des Staates nachweisen, zusammen mit der Begründung der Gemeinheitsautomatik: Ihr laßt den Armen schuldig werden.
    Mit der Entfaltung der Namenlehre wird zugleich die Lehre von der Auferstehung der Toten begründet (ist der Logos Begriff oder Name?).
    Das „Seid klug wie die Schlangen …“ und das „und führe uns nicht in Versuchung“ gehören zusammen.
    Das Weltgericht ist das Gericht der Welt über die Welt: Dieser Widerspruch ist vom Begriff der Welt nicht abzulösen. Sie ist die gerichtet-richtende Instanz, oder der Preis dafür, daß die richtende Instanz nach dem gleichen Maße gerichtet wird. Genau dieser Widerspruch wird im Relativitätsprinzip, in der Handlung, in der sich das Inertialsystem konstituiert, dingfest gemacht. In welcher Beziehung dazu steht das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit? Hat die Plancksche Strahlungsformel etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun? Wird diese Beziehung durchsichtig, wenn sich die Plancksche Strahlungsformel aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ableiten läßt?
    Am Bekenntnis die gleiche Korrektur vornehmen wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschindigkeit am Inertialsystem.
    Hawking hat recht: Wenn das Schwarze Loch nur schluckt und nichts ausstrahlt, d.h. wenn darin nur Masse und Energie verschwinden, aber keine Gegenreaktion dazu nachweisbar wäre, so würde das alle Erhaltungssätze (die Stabilisatoren des Inertialsystems und der darin begründeten physikalischen Begriffe) verletzen.
    Merkwürdig, daß Begriffe wie das Schwarze Loch und der Schwarze Körper Grenzpositionen der Naturwissenschaften bezeichnet.
    Ist das heute von der Physik angenommene Alter der Welt in der Größenordnung der dritten Potenz des biblischen Alters der Welt (in Jahren gemessen), und der Ursprung der Bäume und der Menschen in der der zweiten Potenz?
    Das „und er ging hinaus und weinte bitterlich“ ist die Antwort auf das höllische Lachen, das darin vergeht. Das Lachen ist der Inbegriff des pathologisch guten Gewissens. Wir sind das Gelächter über die Dritte Welt? – Lachen Frauen anders als Männner?
    Erst mit der Vergesellschaftung des Herrendenkens ist das Umkehrgebot unabweisbar geworden für alle. Verführung hat immer die Gestalt des moralischen Urteils.
    Antisemitismus und Bilderverbot.
    Das Bilderverbot war die Antwort auf die magische Macht, die das Bild über den Abgebildeten und in der Konsequenz daraus das Bild über den, der sich seiner bedient, vermittelt: Konsequenz für die Physik. Objektivierung und Instrumentalisierung gehören zusammen; hierbei fällt das, was die Dinge an sich selber sind, unter den Tisch (das An sich gehört in den Bereich des Namens).
    Die Umkehrbarkeit der räumlichen Dimensionen ist eine Funktion der drei Dimensionen des Raumes und der Irreversibilität der Zeit. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (oder das Plancksche Strahlungsgesetz) vielleicht doch ein Schlüssel für die Bestimmung des Alters der Welt?
    Läßt sich der Streit zwischen Vätern und Söhnen, der das Zeitalter des Antichrist kennzeichnet, auf den Antisemitismus beziehen?
    Der Sozialismus hat den kritischen Gehalt der Marxschen Philosophie in eine affirmative, instrumentalisierte Gestalt der Theorie, in ein Herrschaftmittel, zurückgebogen.
    Die ideologische Bedeutung des Sports liegt in der Einübung der Verknüpfung des Zuschauers mit dem (parteiischen) Richter.
    Über uns werden sowohl die vergangenen Toten als auch unsere Nachfahren, die wir beide heute verraten, richten. Wir stehen auf einem Berg von Leichen und sind Herr einer zerstörten Natur.
    Jede apologetische Haltung führt nur tiefer in die Verstrickung hinein.
    Natur definiert den Anwendungsbereich des Objektivationsprozesses, einen potentiell unendlichen Bereich.
    „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“: Auch die Tränen lösen sich; „und er ging hinaus und weinte bitterlich“.
    In der kapitalistischen Lohnarbeit wird der Arbeiter um seinen Lohn betrogen.
    Lachen ist das letzte Indiz für das Fortleben des Dämonischen. Die Verinnerlichung des Dämons als Ursprung der Philosophie (Sokrates): Die Gewalt des Schicksals war die Gewalt des Lachens (das homerische Gelächter); und mit dem Schicksal ist dieses Lachen verinnerlicht worden, in die Struktur des Begriffs, als Form seiner Objektbeziehung, mit eingegangen. Lachen löscht die Namen aus, konstituiert das verdinglichte Objekt und den Begriff; als Totalität ist das Lachen mit eingegangen in die Form des Raumes (vgl. Büchners „Lenz“). Alle Objekte im Raum sind, als wären sie ausgelacht (angeklagt und, in einem kurzen Prozeß, gerichtet zugleich: der Raum ist dieser kurze Prozeß). Person (die ihr Gesicht nicht verlieren darf) ist die Angst, ausgelacht zu werden: der Zwang der Selbstrechtfertigung, der sich allein im Weinen löst. Besondere Objekte des Lachens sind die Juden und die Frauen. Lachen ist ein Konstituens des Herrendenkens, das als Lachen über die Herren, auch wenn es die Herren nur schwer ertragen, deren Herrschaft noch zu stabilisieren vermag (Lachen, Herrschaft, Gericht). „Der hat nichts mehr zu lachen“; „warte nur, dir wird das Lachen auch noch vergehen“: Über wen das gesagt wird, ist reines Objekt, auf keinen Fall ein Herr: in ihm ist Gott präsent. – Das verdinglichte Bekenntnis macht Gott zum Objekt des Gelächters.

  • 25.03.91

    Das Bild vom Hirten und den Schafen wäre zu beziehen auf die Schafe, die (nach dem Agnus Dei – Joh. 129, Jes. 534ff) die Schuld der Welt auf sich nehmen. Handelt es sich hier um Lämmer, Schafe oder junge Widder (Opfer Abrahams – Gen. 22, islamisches Opferfest)? Ist hierin das Bild des Schafes, das zur Schlachtbank geführt wird, und das vom Sündenbock (Lev. 16) mit enthalten (nur in veränderter Konstellation)? Und sind die Hirten (die Episkopoi) die, die die Schafe zur Schlachtbank führen, oder die, die durch Lehre Hilfe leisten bei der „Nachfolge“? Kritik des christlichen Bildes vom dummen, subjekt- und bewußtlosen Schaf (Agnus ist in der christlichen Tradition ein Frauenname geworden!).
    Katholizismus, Bekenntnis und Sexualmoral: Die Angst und die Wut, die sich einmal (in der Ketzerverfolgung) gegen das abweichende Bekenntnis richteten, wendet die Kirche heute gegen Empfängnisverhütung und Abtreibung; die Aggression wird aus dem Erkenntnisbereich in den moralischen Bereich verschoben. Von der frühkirchlichen (männlichen) Heiligengestalt des Bekenners (deren Pendant die Jungfau als weibliche Heiligengestalt war) ist die Lust am moralischen Urteil Übriggeblieben; zugrunde liegt die Vorstellung, Unschuld sei in dieser Gesellschaft möglich, eine Vorstellung, die nur unter der Voraussetzung funktioniert, daß der gesellschaftliche Schuldzusammenhang (die „Schuld der Welt“, Grundlage und Reflexionsobjekt des Nachfolgegebots) verdrängt, geleugnet wird. Die Lust am moralischen Urteil aber (und nicht ihr Gegenstand) ist im strengen Sinne obszön; sie legitimiert die Gewalt, die sie von sich (vom Urteilenden, der sich durch das Urteil selbst freispricht) auf das Objekt des Urteils ablenkt (er ist schuldig und hat die Strafe verdient); die Lehre der Kirchenväter, daß in der Lust die Erbschuld sich fortpflanzt, trifft auf diese Urteilslust und nicht auf die sexuelle Lust zu. Anmerkungen hierzu:
    – Erstes Objekt des moralischen Urteils ist nicht zufällig die Sexualität; dagegen gilt: „Erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer unrecht.“ (Adorno: Minima Moralia)
    – Ursprung und Geschichte der „Urteilslust“ hängt zusammen mit der materiellen Geschichte der Gesellschaft, mit der Geschichte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur (Exkulpation der Selbsterhaltung, in letzter Konsequenz der Macht: des Gewaltmonopols des Staates, das pauschal der Kritik entzogen wird; Konstituierung der Gemeinheitsautomatik; Ursprung des modernen Naturbegriffs: nur im Bereich der Sexualmoral gibt es den Schein natürlicher Unschuld: die Keuschheit).
    – Anwendung auf die Kirchengeschichte: Der skandalöse Teil der Papstgeschichte (und die mittelalterliche kirchenpolitsche Konsequenz des Zölibats, mit Auswirkungen auf die Eschatologie, die Systematisierung des „Jenseits“, mit deutlichem Vorrang von Hölle und Fegfeuer; Konsequenz der Opfertheologie und der Gnadenlehre) ist eine zwangsläufige Folge aus der Verschiebung der Erbsünde von der Urteilslust auf die sexuelle Lust (erklärbar durch die Mechanismen des Wiederholungszwang). Unter diesem Aspekt die Kirchengeschichte neu schreiben:
    . Urteilslust Folge des Verzichts auf Herrschaftskritik; Kirche Teil der Herrschaftsgeschichte (Funktion der Schöpfungslehre und unkritische Rezeption des Weltbegriffs; Geschichte der Häresien wird durchsichtig und ableitbar).
    . Zusammenhang von Antjudaismus, Ketzerverfolgung und Frauenfeindschaft;
    . Ursprung des Faschismus.
    – „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ (Mt 71):
    . Urteilslust und moralisches Urteil als Selbstverfluchung (Umkehrung des Nachfolgegebots nur durch Umkehr heilbar; die dritte Verleugnung des Petrus: und er ging hinaus und weinte bitterlich – Mt 2634);
    . Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Objektivations- und Erkenntnisprozeß.
    – „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe, seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ (Mt 1016): .Parakletisches (theologisches) Denken unterscheidet sich vom anklagenden und richtenden Denken (vom Herrendenken) nur durch die „Arglosigkeit“ (durch Verzicht auf Personalisierung von Schuld, Verzicht auf Verdrängung und Projektion, Verzicht auf Feinddenken: Ziel ist nicht das Dingfestmachen der Bosheit, das Schuldigsprechen, sondern die Auflösung der Dummheit in der Bosheit);
    . der Verteidiger muß die Fakten und die Gesetze besser kennen als der Ankläger;
    . Konsequenz ist nicht die Enthaltung des Urteils, sondern die Umkehr der Intention (Parteinahme für die Opfer, Votum für die Armen und die Fremden und deren Nachfolger und Erben);
    . Zusammenhang von Herrschafts- und Selbstkritik im Zeitalter der Vergesellschaftung des Herrendenkens (pathologische Auswirkungen nachweisbar in der Vergesellschaftung dessen, was einmal Majestätsbeleidigung hieß: Abwehr von Kritik durch Aggression; psychotische Reaktionen liegen heute der Normalität, dem herrschenden Realitätsprinzip, näher als neurotische: paranoische Verletzbarkeit Grund des autoritären Denkens).
    – „Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. … Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und der Verlorenheit befreit werden zur Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Röm 819ff)
    . Der naturwissenschaftliche Objektbegriff ist Repräsentant der Gewalt, mit der die Natur (ohne Wissen und hinter dem Rücken der Erkennenden) instrumentalisiert und der gesellschaftlichen Herrschaft unterworfen, in den Prozeß der Naturbeherrschung hereingezogen wird. Sprachlicher Ursprung des Objektbegriffs ist der Akkusativ: naturwissenschaftliche Erkenntnis Inbegriff des Systems eines anklagenden, richtenden Denkens (Erbe der Inquisition); dagegen müßte verteidigendes (parakletisches) Denken sich zum Organ der Klage (der Sehnsucht, des Seufzens) der Kreatur machen. Dem …

  • 22.03.91

    Verteidigendes Denken ist kein apologetisches Denken; es ist keine Rechtfertigung (die das Selbstmitleid stabilisiert und fördert), sondern die Verteidigung des Anderen, des Anderen in dem Sinne, in dem beispielweise Levinas diesen Begriff gebraucht.
    Wenn in Bendorf darauf hingewiesen wurde, daß die säkulare Welt so säkular garnicht ist, sondern (aus der Sicht des Islam) zutiefst christlich vorgeprägt und determiniert, so hängt das in der Tat mit den christlichen Ursprüngen des modernen, aufgeklärten, bürgerlichen Subjekts zusammen (Konstitutierung des Subjekts auf der Grundlage der technischen Säkularisierung der Opfertheologie im Kapitalismus: das Geld verdinglicht und verbirgt die realen Schuldbeziehungen – die Beziehungen von Gnade und Macht -, Grundlage der Definition des Realitätsprinzips).
    Der Islam kennt nur das eine Opfer zur Erinnerung an das Opfer Abrahams, die Abgeltung des Menschenopfers. Dieses Opfer ist ein reines Erinnerungsopfer, kein Entsühnungs- oder Versöhnungsopfer. Es scheint, daß der Islam das Prophetenwort „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ auf seine Weise (die abweicht von der jüdischen Tradition) ernst nimmt, während das Christentum durch seine Opfertheologie, durch das verdinglichte Konstrukt des Sühneleidens (Modell des kapitalistischen Wertgesetzes), hinter das Prophetenwort zurückfällt.
    Es scheint, daß die letzte Bastion, die fallen muß, angezeigt wird durch das „er ging hinaus und weinte bitterlich“: Aufhebung des Zwangs, daß Männer nicht weinen, des patriarchalischen Elements in der christlichen Tradition, Grund der sexistischen Praxis und Theorie. Diese Tradition ist allerdings wohl allen drei Buchreligionen gemeinsam (jedoch in keiner mit so fürchterlichen Auswirkungen wie im Christentum).
    In ihrer unreflektiert positiven Bedeutung verletzen die Dogmen das Bilderverbot.
    Kann man die Bitten des Herrengebets in Beziehung setzen zum Dekalog? Das „adveniat regnum tuum“ würde dann dem Sabbat-Gebot, und das „fiat voluntas tua …“ dem Gebot, die Eltern zu ehren („auf daß es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden“), entsprechen.
    Ex 201-21/Mt 69-13:
    Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.
    Pater noster:
    Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.
    Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten und im Wasser unter der Erde.
    Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen.
    Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.
    Qui es in caelis:
    Du sollst den Namen deines Gottes nicht mißbrauchen; denn der Herr läßt den nicht ungestraft, der seinen Namen mißbraucht.
    Sanctificetur nomen tuum:
    Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!
    Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht.
    An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und dein Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat.
    Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde und Meer gemacht und alles, was dazu gehört; am siebten Tage ruhte er.
    Darum hat den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt.
    Fiat voluntas tua:
    Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.
    Sicut in caelo et in terra:
    Du sollst nicht morden.
    Panem nostrum cottidianum da nobis hodie:
    Du sollst nicht die Ehe brechen.
    Et dimitte nobis debita nostra:
    Du sollst nicht stehlen.
    Sicut et nos dimittimus debitoribus nostris:
    Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.
    Et ne nos inducas in tentationem:
    Du sollst nicht nach dem Haus Deines Nächsten verlangen.
    Sed libera nos a malo:
    Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgend etwas, das deinem Nächsten gehört.

  • 02.03.91

    Im Herrengebet kommt der Himmel sowohl im Plural vor („qui es in caelis“), als auch im Singular („fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra“). Kann es sein, daß nur in einem der Himmel sein Wille geschieht? Hängt der Plural zusammen mit dem „Hofstaat“, mit den Herrschaften, Gewalten und Mächten, zu denen auch der „Ankläger“ gehört?
    Es kommt heute mehr darauf an, in der Politik und im politischen Bewußtsein der Mitmenschen die Dummheit zu begreifen, als über die Bosheit, die Verbrechen, sich zu empören. Es genügt nicht mehr das „moralische“ Urteil, das an den Dingen nichts ändert, nur den Urteilenden (scheinbar) exkulpiert. Die Empörung genießt das Sakrament des Büffels: sie will teilhaben an der richtenden Gewalt, aber sie ändert nichts. (Heute hat das Prinzip der richtenden Gewalt das Bewußtsein aller in der westlichen Welt, gleichsam als dessen transzendentale Logik, erfaßt und durchsetzt; es wird abgestützt durch den abstrakten Objektbegriff und durch die Herrschaft der Totalitätsbegriffe Welt und Natur; seine Logik ist die am Feinddenken sich orientierende Bekenntnis-, Kriegs-, Gewaltlogik. Es ist Teil des Realitätsprinzips, eigentlich mit ihm identisch.)
    Gibt es in der jüdischen Tradition ein Äquivalent zum „et ne nos inducas in tentationem“? Das Rätsel, daß Gott uns nicht in Versuchung führen soll, daß die Versuchung von ihm ausgeht, löst sich nur im Hinblick auf die Idee der richtenden Gewalt: Gemeint sein kann nur die Verführung durch die Vorstellung, an der richtenden Gewalt teilhaben zu können. Die Geschichte dieser Versuchung ist der Kirche vorausgesagt in der Erzählung von der dreimaligen Verleugnung des Herrn durch Petrus.
    Woher kommt eigentlich der (neudeutsche?) Zusatz zum Herrengebet „denn Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen“? Wie heißt dieser Text auf Lateinisch? Wann und aus welchem Grunde ist dieser Zusatz in den Text der Messe aufgenommen worden? – Und wann ist das Händewaschen („Lavabo inter innocentes …“) in den Meßkanon mit aufgenommen worden (und vor welchem Hintergrund)? Identifikation mit Pilatus; Hinweis auf die Instrumentalisierung der Opfertheologie? Zusammenhang mit dem kirchlichen Antijudaismus? Drückt sich hier das Bewußtsein aus, daß man sich in der Opfertheologie nicht auf die Seite des Opfers (unter das Gesetz der Nachfolge) sondern auf die Täterseite stellt und deshalb zwangsläufig das Entsühnungsritual des Händewaschens vollziehen muß? – Dann aber braucht man als Projektionsfolie, als Sündenbock einen anderen „Gottesmörder“. (Was bedeutet es, wenn Jesus beim letzten gemeinsamen Paschamahl darauf hinweist, daß der, der die Hand mit ihm in die Schüssel taucht, der Verräter sein wird?)
    Das Meßopfer heute: ein totes, leeres, verwesendes Gebilde, das nur durch Erinnerungsarbeit wieder zum Sprechen (zum Bewußtsein seiner selbst) gebracht werden kann.
    Zusammen mit dem Antijudaismus, der Ketzer- und der Hexenverfolgung bedürfen drei Dinge der Aufarbeitung (durch Erinnerungsarbeit):
    – der Ursprung des Frühkatholizismus und die Entwicklung der kirchlichen Hierarchie (und ihrer Insignien und Symbole),
    – die Geschichte der Dogmenentwicklung (des Bekenntnisses) und
    – der Ursprung und die Geschichte der kirchlichen Liturgie und des Meßopfers.
    Es scheint nicht ohne Bedeutung zu sein, daß die Geschichte des Fronleichnamsfestes (und der Fronleichnamsprozession) im dreizehnten Jahrhundert beginnt und im zwanzigsten endet (mit Auschwitz: hier endet eine Epoche, deren Beginn zur zweiten Leugnung gehört, und deren Ende zur dritten).
    Steht die katholische Kirche nicht in der Tradition des lupus, des Wolfs (der zur Ursprungsgeschichte der Stadt Rom und des römischen Imperiums gehört)? Herrschaftskritik ist heute nur über die Kirchenkritik möglich (allerdings nur über eine Kirchenkritik innerhalb der Kirche, nicht von außen).
    Das Herrendenken scheint heute das allereinfachste (der Weg des geringsten Widerstandes: die erste tentatio) zu sein, nicht zuletzt aufgrund der Absicherungen über die Totalitätsbegriffe Natur und Welt, über das sogenannte naturwissenschaftliche Weltbild, über das Realitätsprinzip und das Gesetz der Selbsterhaltung. Diese Absicherungen haben eine Vorgeschichte, die in die Geschichte der Religionen zurückreicht und heute weitestgehend verdrängt und kaum mehr durch Erinnerungsarbeit zurückzuholen ist. Die einzige Institution, in der diese Vorgeschichte noch präsent ist, ist die katholische Kirche. Ihr Anachronismus ist ihr wichtigstes Erbteil.
    Die paulinische Lehre von Tod und Auferstehung beschreibt in ihrer instrumentalisierten Gestalt genau die Mechanismen des Verdrängungsprozesses, im Kontext der Gottesfurcht hingegen deren Auflösung. Die Subjektivierung des Verdrängungsbegriffs, die Leugnung seines objektiven Anteils (in dem seine Beziehung zur Gottesfurcht begründet ist), ist Reflex eines Objektivitätsbegriffs, der selbst der massivsten Verdrängung sich verdankt.
    Der Protestantismus ist auf den Kern des Bekenntnissyndroms gestoßen: auf die Frage der Rechtfertigung (Bekenntnis, Reklame und Sprachverwirrung; Dogma und Verzweiflung). Damit war die Kraft der Häresienbildung verbraucht.
    Das verdinglichte Dogma enthält die apokalyptische Tradition als Sprengsatz in sich; Aufgabe der Theologie wäre es, diesen Sprengsatz durch Auflösung des Dogmas zu entschärfen, bevor er tatsächlich das Dogma und mit ihm die Welt sprengt. Oder anders: Die verdrängte Apokalypse kehrt heute als Gemeinheit, Aggressivität und Brutalität wieder und bedroht den Bestand der Welt.
    Der Totalitätsbegriff der Natur hat keine Bedeutung außerhalb des Zusammenhangs der Naturbeherrschung, ebenso wie der Weltbegriff keine Bedeutung hat außerhalb der politischen Zusammenhänge, in denen er sich geschichtlich konstituiert. Beide Begriffe reflektieren und stabilisieren die Herrschaftsgeschichte, bezeichnen das Schienensystem, auf dem sich die Lokomotive bewegt, die kaum noch aufzuhalten ist.
    Grundlage des gesamten Konzepts wäre die Rekonstruktion der gegenwärtigen Phase der Herrschaftsgeschichte.
    Die Imitatio Christi wäre heute neu zu schreiben. Zentral wäre hierbei die Kritik jener Identifikation, die Thomas a Kempis hineingebracht hat, die ans Selbstmitleids appelliert. An ihre Stelle wäre die Identifikation mit den Armen, den Fremden, den Unterdrückten zu setzen. Nur so wäre dem Begriff der Nachfolge: d.h. der Idee der Übernahme der Schuld der Welt zu genügen. Das Selbstmitleid gehört zu den tentationes, vor denen das Herrengebet warnt.
    Die Deutschen (das einzige Volk, das sich selbst als anderes, als fremdes Volk: als Barbaren begreift) haben nicht sich, sondern der Welt die Tarnkappe übergeworfen: deshalb sehen sie sie nicht mehr. Sie sehen in gut idealistischer Tradition nur noch das in der Welt, was sie selbst in sie hineinlegen, hineinprojizieren. Sie bleiben an den Grund des Selbstmitleids gefesselt.
    Eine Unsterblichkeitslehre, die nicht die Rettung der Menschheit mit einbegreift, bleibt gefesselt an das Selbsterhaltungsprinzip (die Hypostase des Selbstmitleids); die Idee der Unsterblichkeit aber wird denunziert, wenn man sie an die Selbsterhaltung bindet. Das Selbstmitleid ist der Grund des Selbsterhaltungs- und des Realitätsprinzips. Hierbei sollte nicht verschwiegen werden, daß das Selbstmitleid nicht gegenstandslos, und daß es insoweit unvermeidbar ist, als die Gestalt der Welt die Menschen zur Selbsterhaltung und zur Beachtung des Realitätsprinzips zwingt; es ist nur in Hoffnung aufzuheben: im Kontext der Gottesfurcht.
    Die (mittelalterliche) Lehre von der persönlichen Schuld schließt die Leugnung der Erbsünde mit ein.
    Ich kann ein Bekenntnis nicht fordern, ohne Heuchelei zu provozieren; deshalb hat der Ankläger immer unrecht.
    Die Stelle aus Jer. 3121f, die Radford Ruether ihrem Buch „Frauen für eine neue Gesellschaft“ als Motto voranstellt, enthält die biblische Begründung für den Satz Franz von Baaders über Strenge und Liebe.
    Das physikalische Experiment hat seine Vorgeschichte im Kontext von Inquisition und Folter, in der Geschichte der Ketzer- und Hexenverfolgung, in der Häresienfurcht und -feindschaft der Kirche. Und die wütende Reaktion der Kirche auf die Anfänge der modernen Naturwissenschaft verweist genau auf diesen projektiven Anteil.
    Das Bekenntnis Hermann Cohens ist ein falsches Schuldbekenntnis gegen eine falsche Anklage. Ihr Ziel ist die Kritik der Anklage, der Versuch, der Anklage durch Verweigerung der Komplizenschaft (der falschen „Solidarität“) den kollektiven Grund zu entziehen (Bekenntnis als Gericht über die Anklage).
    Umgekehrt argumentiert die Bekenntnisforderung nach dem Schema „mitgehangen, mitgefangen“; und: beweise, daß du nicht dazugehörst (Umkehr der Beweislast).
    Die Naturwissenschaft kennt keine Häresienbildung, wohl die politische Theorie (Baader-Meinhof-Bande, Familien-Bande, Gottsucher-Bande).
    Zum Begriff des Bekenntnisses
    oder
    über die Rehabilitierung der Gottesfurcht,
    die Notwendigkeit der Selbstbekehrung der Christen und
    die Entkonfessionalisierung der Kiche.
    Kein work in progress, sondern ein work in regress.
    Selbstheilungskräfte wachsen nicht, sondern werden vom Zustand der Verwirrung provoziert.
    „… und weinte bitterlich.“ Erst wenn die Kirche aus ihrer dogmatischen Erstarrung sich befreit, wenn die Tränen sich lösen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört.“ – Dieses Heute tritt dann ein, wenn wir begreifen, daß das Bilderverbot generell, ohne Ausnahme gilt, insbesondere auch für den kantischen Objektbegriff. Oder es tritt ein, wenn der Satz „Männer weinen nicht“ nicht mehr gilt, wenn auch Männer ihr Gesicht verlieren dürfen.
    Rosenzweig und Münchhausen: Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf (des Nichtwissens) ziehen. Aber das wäre eine idealistische Interpretation Rosenzweigs (vor der er selber nicht ganz gefeit war; und nur in dieser idealistischen Version gründet seine Nähe zu Heidegger, der dann die Probe aufs Mißlingen des Münchhausenschen Rezepts gemacht hat).
    Zum Begriff des Bekenntnisses wird man sicher zunächst an die zarteste Anwendung dieses Begriffs erinnern müssen: an die des Schuld- und des Liebesbekenntnisses. Der religiöse Begriff des Bekenntnisses in seiner Ursprungsgestalt wird weit eher in der Richtung des Namenszaubers, der Namensmagie zu suchen sein als in der des weltanschaulichen Apriori und seiner Logik. Zu erinnern wäre hier an die sehr konkrete Bedeutung der „Heiligung des Gottesnamens“ in der jüdischen Tradition, wenn beispielsweise in der Geschichte der jüdischen Mystik von der Einung des Gottesnamens magische Wirkungen erwartet werden. So war das ursprüngliche Bekenntnis das Bekenntnis des Namens (an dessen Stelle dann das Symbolum, der Schuldschein, trat: oder der Vertrag, der Erbschein, der Neue Bund).
    Der Faschismus ist nicht nur irrational. Seine Logik läßt sich ableiten aus der Bekenntnislogik. Erst wenn diese Ableitung gelingt, ist der Bann gebrochen. Zu erinnern wäre hierbei an die Aufspaltung der Heiligenverehrung nach Geschlechtern nach Ende der Märtyrerzeit, im Prozeß der Anpassung des Christentums an die Welt, seiner Umformung zur römischen Staatsreligion, sowie im Zusammenhang mit der Entwicklung des christlichen Dogmas und der frühkatholischen Kirchenorganisation: da erscheinen der männliche Confessor und die weibliche Virgo als neue Heiligengestalten. Bei der Trennung wird nicht zufällig der Bekenntnisbegriff eingeschränkt auf das männliche Geschlecht, während die Frauen „in der Gemeinde schweigen“ (später dann nicht einmal mehr singen durften): nicht mehr bekenntnisfähig sind. In diesem neuen Bekenntnisbegriff sind enthalten:
    – der Antijudaismus (durch den Inhalt der Doxologie: zum Bekenntnis gehören insbesondere das Trinitätsdogma und die Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die die Juden nicht mitvollziehen können),
    – der antihäretische Grundzug (die Abgrenzung der Orthodoxie nach außen)
    – und die Frauenfeindschaft (die Neubestimmung des Subjekts des Bekenntnisses: auch heute können nur Leute wie Saddam Hussein oder George Bush das „Gesicht verlieren“, Frauen dagegen wohl nicht; das Gesicht, das man verlieren kann, ist die Maske; es hängt offensichtlich mit dem mit dem Bekenntnisbegriff ganz wesentlich verbundenen Begriff der Person zusammen; auf dem Schauplatz der Geschichte gibt es eigentlich nur Männer; wer hier sein Gesicht verliert, kann seine Rolle nicht mehr spielen; deshalb dürfen Männer nicht weinen, nur stolz sein).
    Das Bilderverbot wird auf eine ebenso subtile wie verhängnisvolle, kaum fassbare und nur im Kontext einer Kritik der christlichen Theologie im ganzen begreifbaren Weise durch Einführung des Personbegriffs in die Theologie verletzt (Anwendung des Vermummungsverbot auf die Theologie).
    Die Instrumentalisierung der Opfertheologie war unvermeidbar, solange die Theologie es versäumte, durch Erinnerungsarbeit den mythischen Bann des Opfers (oder den Bann des Mythos) aufzulösen, anstatt das Heidentum in einer Form nur zu „überwinden“, die dann auch Bekehrungskriege (und die Kriegslogik des Zwangsbekenntnisses, zuletzt die Vernichtungslogik des faschistischen Weltanschauungskrieges) möglich machte.
    Eine Kreuzestheologie ist möglich, wenn sie
    – die Reflexion auf Auschwitz mit einbezieht und
    – durch Erinnerungsarbeit zum Sprechen gebracht wird (für die beispielsweise Walter Burkerts „Wildes Denken“ einsteht, aber auch die systematische Stellung des Mythos in Rosenzweigs „Stern der Erlösung“).

  • 26.02.91

    Bekenntnis und Naturphilosophie: Das Bekenntnis verhält sich zum Subjekt (zur Person) wie der Raum zu den Dingen, insbesondere im Hinblick auf deren Verhältnis zur Zeit (Subsumtion unter die Vergangenheit) und zur Intersubjektivität (Entfremdung). Gibt es ein Natur-Äquivalent des erlösenden Bekenntnisses (Bekenntnis des Namens)?
    Verhältnis des Bekenntnisses zum Raum: als reine Form der Äußerlichkeit, als Grenze zwischen Innen und Außen (gesellschaftlich-historisch: zwischen Öffentlichkeit und Privatbereich – gemeinsamer Ursprung von Bekenntnis und Privatsphäre? Erst mit der Öffentlichkeit konstituiert sich der Adressat des Bekenntnisses) ist der Raum notwendig dreidimensional; erst die Dreidimensionalität konstituiert das „Wissen“, die Erkenntnis hinter dem Rücken des Objekts (im Zusammenhang mit der Konstituierung der Vorstellung einer homogenen, linaren, irreversiblen Zeit).
    Das Bekenntnis ist die Agentur der induzierten Trägheit: Angleichung ans Trägheitsprinzip. Bekenntnis und objektive Vernunft (der aristotelische intellectus agens: hat seinen Sitz in der Mondsphäre, gleichsam am logischen Ort des Matriarchats; Usurpation durch die Kirche, Zwang zur patriarchalischen Konstruktion der Trinitätslehre, Verhältnis zum Inzesttabu; Maria und das Bekenntnis?).
    Das Bekenntnis ist der Kern des Schuldzusammenhangs und der Umkehr (double-bind: kein Ausweg mehr außer durch Theologie).
    Die Mode ist eine Metastase des Bekenntnisses (oder: der Sexismus ist eine direkte Konsequenz aus dem Bekenntnissyndrom; die geforderte Unterordnung der Frau unter den Mann ist der genaue Reflex der Selbstunterordnung des Mannes im Bekenntnis). Wenn es einen psychosomatischen Ursprung des Carcinoms gibt, wird er im Bereich des Bekenntnissyndroms zu suchen sein.
    Das „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ ist unter Herrschaftsbedingungen grundsätzlich antisemitisch; im Kontext der Nachfolge (und der Umkehr) jedoch der einzige Weg der Versöhnung, der Befreiung (Genesis und Auflösung des kirchlichen Antijudaismus).
    „Im Angesicht des Feindes“: Vor welchem Hintergrund und in welchem Kontext erscheint diese Wendung (Verhältnis zu „Im Angesicht Gottes“ – vgl. Jürgen Ebach)? Bezieht sie sich auf die Tötung des Feindes oder auf die Selbsterkenntnis im Angesicht des Feindes (und hängt nicht das eine mit dem andern zusammen)? Zusammenhang mit der ambivalenten Bekenntnislogik (Versöhnungs- und Kriegslogik). Die Gefahren des Fundamentalismus sind begründet in der historisch-gesellschaftlichen Struktur des Bekenntnisses heute (Bekenntnis und Sündenfall, Subjektivität und Welt, Stellung der Welt im historischen Prozeß: nicht Schauplatz, sondern Subjekt-Objekt der Geschichte).

  • 15.02.91

    Der Rassismus (und der Sexismus) ist ein durch die Totalitätsbegriffe Welt und Natur überdeterminiertes Produkt des Zerfalls der Moral. Die Grenze zwischen „Herrenrasse“ und „Untermenschen“ ist identisch mit der durch den Staat (der institutionalisierten Absicherung der fortschreitenden Natubeherrschung) gezogenen Grenze zwischen Welt und Natur: Zur Natur gehören vor allem die Wilden (und die Frauen); der Sonderstatus des Antisemitismus rührt daher, daß hier ein Volk, das offensichtlich einen vorzivilisatorischen Geschichtsstand repräsentiert, durch Anpassung (Assimilation) den ihm von Natur aus nicht zustehenden Herrenstatus anstrebt.
    Gibt es ein dem Staat korrespondierendes Moment in der Natur? (Grund des Fressens und Gefressenwerdens; Denkmal der Katastrophe, an die lt. Adorno/Horkheimer die Tierwelt erinnert: auch für die Tiere galt der Schrift zufolge im Pradies das vegetarische Nahrungsgebot; Gen. 129ff: „Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf Erden regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung. … Es war sehr gut.“ – Vgl. hierzu J. Ebach: Ursprung und Ziel, S. 22ff).
    Das Bekenntnis stabilisiert die Komplizenschaft; Komplizenschaft gründet im gemeinsamen Blutvergießen (Eucharistie: Ersetzung und Abgeltung des Blutopfers durchs vegetarische Mahl? Wurde beim letzten Abendmahl das Paschalamm – s. Mk. 1414, Lk. 227ff -geschlachtet und gegessen? – s. Ex. 121-136)
    „Jesus schickte Petrus und Johannes in die Stadt …“. (Lk. 228) An welchen Stellen werden welche Apostel (insbesondere Petrus und Johannes, aber auch die anderen) genannt? – (vgl. 851 mit Anm. und Mk. 537 mit Anm.)
    Erst durch seine Dreidimensionalität gewinnt der Raum die totalisierende Gewalt, die der Abtrennung der Zeit (Konstituiereng der Herrschaft der Zeit und Subsumtion aller Dinge unter die Vergangenheitsform) sich verdankt und in der Objektivation der Materie sich ausdrückt. Erst durch diese Konstruktion konstituiert sich das physikalische Objekt, wird es Teil eines Systems. Kein Zufall, daß das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nur als struktur- und dynamikbegründendes Systemelement im Kontext des gesamten Bereichs der elektromagnetischen und der mikrophysikalischen Erscheinungen, nicht aber selbst als „Erscheinung“ im System sich bestimmen läßt. Es ist einzig vergleichbar der Funktion der Trinitätslehre im christlichen Bekenntnis (seiner systematisierenden, „totalisierenden“ Kraft – Einheit, Trennung und gegenseitige Durchdringung von Subjekt, System, Objekt).
    Der Weltbegriff ist ein Reflex der Staatsmetaphysik, der Naturbegriff ein Korrelat der Naturbeherrschung. Der affirmative Weltbegriff schließt die Staatskritik (die Kritik der Gewalt) aus, der affirmative Naturbegriff die Kritik von Herrschaft (Differenz zwischen Gewalt und Herrschaft: Gewalt ist ein Mittel der Herrschaft, gleichsam ihre Naturbasis; das Gewaltmonopol des Staates ist seine Gewalt zu töten, sein Grund die Todesdrohung; versöhnte Herrschaft wäre Herrschaft, die der Gewalt, letztlich der Todesdrohung: der Instrumentalisierung der Angst, nicht mehr bedarf).
    Herrschaft und Gewalt verhalten sich wie das Inertialsystem (der Inbegriff der naturwissenschaftlichen Gesetze) zur Materie (dem Widerstand, Basis – Kristallisationskern und Äquivalenzpunkt -der Gesetzesbildung). Gewalt ist das Medium der Angleichung an Herrschaft: der Identifikation mit dem Aggressor (zur Kritik der Gewalt). Das Gewaltmonopol des Staates: der Staat ist das Gravitationsfeld, in dem sich die schwere/träge Masse der materiellen Existenzen konstitutiert und definiert.

  • 08.01.91

    Vorrangiges Objekt der Physikkritik ist das Inertialsystem: als Grundlage und Referent aller physikalischen Begriffe. Bedeutung der zwei zentralen Entdeckungen Einsteins:
    – spezielle Relativitätstheorie: das System ist gegen gleichförmig-geradlinige Bewegungen invariant (Lichtbewegung keine Trägheitsbewegung; Elektromagnetische Gleichungen nur Form der Objektivation unter den Bedingungen des Inertialsystems, Hinweis auf Differenz zur zugrundeliegenden Realität; Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: das System ist endlich, „nach innen“ begrenzt);
    – allgemeine Relativitätstheorie: träge und schwere Masse sind identisch: Fallbewegung gleich Trägheitsbewegung: Anpassung des Inertialsystems: das System muß auch gegen gleichförmig beschleunigte Bewegungen invariant sein („Krümmung“ falsche Erscheinung im Inertialsystem, selbstreferentielle Beziehung: „nach außen“ begrenzt).
    Das Licht und die Schwerkraft sind dem Inertialsystem transzendent. Ihre Subsumtion unters Inertialsystem (die Schwerkraft am Anfang, das Licht am Ende des naturwissenschaftlichen Objektivationsprozesses): ihre Vergegenständlichung ist Produkt einer Vermittlung, die ihr Resultat nicht unberührt läßt (gibt es hierzu gesellschaftliche Korrelate: die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip begründet den Kapitalismus, die der Privatsphäre, der sinnlichen Qualitäten, der technischen Reproduzierbarkeit der sinnlichen Welt: des Inbegriffs der entfremdeten Subjektivität und der Verinnerlichung der Dialektik von Herr und Knecht, beschließt ihn).
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Identität von träger und schwerer Masse?
    Die Trägheitsbewegung ist ein Derivat der Fallbewegung („die Welt ist alles, was der Fall ist“). Nur das Licht ist dem Fall enthoben? Die Simultaneität des Raumes (des Inertialsystems) ist ein durch den Fall vermitteltes Derivat der Gegenwart (des Lichts), die dem Vergehen – und dem Wissen – ein Objekt verschafft (die Vergangenheit, die nur als eine der Gegenwart entfallene Vergangenheit sich denken läßt: es gibt keine ursprüngliche Vergangenheit).
    Gegenstand des Wissens ist das Vergangene: wie wird es zum Gegenstand des Wissens? In der Physik durchs Inertialsystem, in der Philosophie durch den Begriff (Vernichtung und Aufhebung des Objekts).
    War die Virginitas (das weibliche Korrelat des Bekenntnisses) ein Protest gegen den Warencharakter der Frau (Ehevertrag als Kaufvertrag; Beischlaf als Kauf- und Nutzungsakt)? Steckt darin auch ein Hinweis auf die Bedeutung des Bekenntnisses (Vergeistigung der Zeugung: objektiviert in der Trinitätslehre)? Zusammenhang mit der Geldwirtschaft. Bedeutung der evangelischen Räte (Gehorsam, Armut und Keuschheit): Ihr könnt nicht zugleich Gott dienen und dem Mammon. Die unbefleckte Empfängnis war demnach die vom Tauschprinzip unbefleckte Empfängnis; und Maria ist Jungfrau geblieben heißt: sie ist nicht Eigentum des Mannes geworden. Die Biologisierung des Keuschheitsgebots ist (zusammen mit den damit verbundenen paranoiden Blut- und Reinheitsvorstellungen) Modell und Ursprung des Rassenantisemitismus.
    Das Bekenntnis liegt in der Nachfolge des Martyriums: der Zeugenschaft. Frauen waren nicht bekenntnisfähig, weil sie nicht Zeugen sein konnten (das Martyrium war möglich, das Bekennertum nicht: Folge der Anpassung an die Welt; gleichzeitig Biologisierung der Jungfrauenschaft). Ursprung der Zeugenschaft ist das (Straf- und Zivil-)Recht: der Nachweis eines Verbrechens und der Vertragsstreit, der Streit über ein Schuldverhältnis, der durch zwei Zeugen aufgelöst, befriedigt werden kann (Vgl. hierzu die Bemerkungen von Lyotard zu Auschwitz).
    Die paulinische Kritik des Gesetzes, sein Rechtfertigungs- und Glaubensbegriff, seine Gnadenlehre, seine Christologie, seine Lehre von der Eucharistie, von Tod und Auferstehung, auch seine Frauenfeindlichkeit werden vor diesem Hintergrund verständlich?
    Ödipuskonflikt in der realen Geschichte des Christentums begründet? Inzesttabu und Verletzung des Inzesttabus (Mutterideologie als letzte und gefährlichste Phase des Säkularisationsprozesses: vgl. Drewermanns Kleriker-Buch).

  • 05.01.91

    Zusammenhang des Bekenntnisses mit den Strukturen und Mechanismen, die die Markenzeichen und -namen begründen. Der Markenname ist ein reiner Kollektivname, kein individueller Name; er steht aber auch nicht in der hierarchisch-genealogischen Folge von Gattung und species; er tendiert vielmehr zur reinen Differenz, und zur Tautologie (mit der Nähe zur Blasphemie: Persil bleibt Persil). Er usurpiert die Funktion des Namens, im Gegensatz zum Begriff (die gleiche Struktur und Funktion wie Markennamen haben heute Firmen-, Partei- und Vereinsnamen: auch diese fordern heute das Bekenntnis; und überall reagieren die Anhänger so wie die Kinder, die nur Adidas-Schuhe tragen wollen; jeder Kauf- und Wahlakt ist bereits ein Bekenntnisakt). Genau an dieser Stelle wird etwas vom Problem des Bekenntnisses sichtbar, das ursprünglich das Bekenntnis des Namens war, diesem Bekenntnis befreiende Funktion zusprach. Wenn Christus später dann gleichsam als Familienname (Vorname Jesus) verstanden wurde, nicht mehr als Bezeichnung des Messias, so zeichnet sich hier der Zerfall des Bekenntnisses ab: die Ersetzung des Namens durch die Person, die er bezeichnet, und den Begriff, der dann am Ende wieder zum Namen wird. (Reklame verschweigt den Tod: verweigert und verdrängt wie das Zwangsbekenntnis die Erinnerungsarbeit.)
    Das christliche Bekenntnis tritt die Nachfolge der Magie an, wenn es von der Nachfolge Christi getrennt wird. Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist die Geschichte der Remagisierung des Christentums (Sakramentenlehre). Das Zwangsbekenntnis ist genau so hilf- und wirkungslos wie der Regenzauber. Und die Hexen wurden nur deshalb so wütend vefolgt, weil sie an dieses magische Selbstverständnis des Christentums erinnerten. Die Gewaltbereitschaft der Gläubigen ist der Reflex auf dieses magische Selbstverständnis, an das man selber nicht mehr glaubt: die reale Gewalt soll ersetzen, was die magische nicht mehr leistet.
    Das jüdische Bekenntnis, das „Höre Israel“ ist ein Liebesbekenntnis und ein Schuldbekenntnis zugleich. Das christliche Bekenntnis behält davon nur die formale Hülle zurück: die Verknüpfung eines vergangenen Ereignisses (Repräsentant der Schuld, die zugleich das Projektionsangebot enthält) mit einer zukünftigen Hoffnung, Erwartung (der Begründung der Möglichkeit der Liebe, des rechten Handelns).
    Ist der Neue Bund (das Novum Testamentum) ohne das Nachfolgegebot überhaupt tragfähig?
    Das Christentum ist heute zentral vom Gedächtnisverlust, vom Vergessen, von der Erinnerungslosigkeit geprägt; Ausdruck dessen sind seine erbaulichen Versionen (die es in verschiedenen Gestalten gibt). Es bedarf großer Anstrengung, um durch Erinnerungsarbeit wieder zum eigentlichen Inhalt durchzudringen. Theologie könnte diese Erinnerungsarbeit sein. Voraussetzung wäre, daß die Vorkehrungen außer Kraft gesetzt werden, die durch ihr Gegenstands- und Wahrheitsverständnis diese Erinnerungsarbeit gerade ausschließen. Die dogmatische Theologie leistet durch ihr Erkenntnisgesetz gegenüber ihrem eigenen Inhalt dasselbe wie die Naturwissenschaften gegenüber der Natur. Kann man Theologie treiben ohne Gottesfurcht?
    Der sogenannte Urknall, der Big Bang, war nicht am Anfang, sondern kommt, wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen, am Ende.
    Welt und Natur sind – auch als philophische Begriffe – politischen Ursprungs, in der Theologie nur Gegenstand der Kritik.
    Ist der Turmbau zu Babel ein Typos des hierarchischen Denkens? -Zur Geschichte der Architektur: Vom Turmbau zu Babel zum Haus des Seins.
    Der Personbegriff, der den Träger des Namens bezeichnet, neutralisiert den Namen, macht ihn verwaltungsfähig.
    Die Neutralisierung des Messiasnamens durch das griechische Christus, hat diesen Namen herrschaftsfähig (und in einer fatalen neuen Weise bekenntnisfähig) gemacht: Durch die neue Form des Bekenntnisses wurde das Christentum unter Narkose gesetzt.
    Herrendenken setzt Reflexion voraus und verdrängt sie zugleich (durch listigen Gebrauch). Oder: Herrendenken ist zweite Unmittelbarkeit, die die erste verdrängt.
    Die Ursprünge des Christentum liegen bei Juden, Ketzern und Frauen: Deshalb wurden diese in der Geschichte des Christentums immer wieder verfolgt (Kampf gegen die Erinnerung). Zusammenhang mit der Entwicklung der Kirche, der Einführung des Bischofsamtes, der Entstehung und Festlegung des Schriftkanons und der Entwicklung des Dogmas: Der Kanon ist antijüdisch, das Dogma antihäretisch, das Bischofsamt sexistisch. Oder die Gefahr des Kanons ist die der Leugnung des Vaters, die des Dogmas die der Leugnung des Sohnes und die des Bischofsamtes die der Leugnung des Heiligen Geistes.
    Das Bekenntnis ist das vergeistigte Martyrium, und die Vergeistigung die Identifikation mit dem Aggressor. Zusammenhang mit den evangelischen Räten (Gehorsam, Armut, Keuschheit: Absterben des Eigenwillens, des Eigentums und der Sinnlichkeit): darin ist das Martyrium (durch Formalisierung) im Hegelschen Sinne aufgehoben. Zugleich wird das zentrale Moment der Nachfolge verraten und unkenntlich gemacht.
    In der Auseinandersetzung mit den Häresien hat die Kirche durch Identifikation mit dem Aggressor das häretische Prinzip in sich mit aufgenommen: jeder Sieg über die Häresie war eigentlich eine Niederlage.
    Der Faschismus ist die letzte Verkörperung der Sünde wider den Heiligen Geist; er war aber insofern nur die „Generalprobe“, als der Antichrist am Ende diese Verkörperung in der Verkleidung des Christentums selber darstellen wird.
    Pater noster, qui es in caelis: nicht „in caelo“ (aber: fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra).
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit rührt an die Idee des Ewigen. Wenn es gelingt, diesen Punkt genau herauszuarbeiten, müßte es möglich sein, die Naturwissenschaften von ihrem Bann zu befreien.
    Ist die dogmatische Bindung des Christen an die Trinitätslehre, an die Bekenntnispflicht, Modell der Beziehung des materiellen Objekts zum dreidimensionalen und ein früher Vorgriff darauf?
    Ist das Bekenntnis, das Symbolum ein reales oder ein stellvertretendes Bekenntnis (für die ganze Kreatur)? Nur so wäre das Zwangsmoment in Freiheit umzukehren. Ein Glaube, der nur für sich glaubt, der nicht die Armen und die Fremden, die Leidenden, die Unterdrückten und die Zukurzgekommenen mit einschließt, ist irreal.
    Eine Lehre, die wie ein Besitztum streng gehütet wird, anstatt im Wandel des historischen Prozesses neu gewonnen zu werden, verkommt, stirbt ab.
    Ist die Kirche etwa der Lazarus („Herr, er riecht schon“ – oder auch der, der die Brosamen an den Tischen der Reichen aufliest).
    Wer ist der Adressat des Confiteor (deus omnipotens etc.)? Und in welchem (inhaltlichen und funktionalen) Verhältnis steht das Confiteor zum Credo in der Messe? Konstruktion der Messe: Stellung und Bedeutung des Lavabo?
    Das pathologisch gute Gewissen ist sowohl katholisches Erbe als auch ein Rechtsinstitut (Bedingung des Urteilens): Niemand hat das autoritäre Exkulpationsritual nötiger als Staatsanwälte und Richter.
    Die Derrik- uund Schymanski-Mentalität, die im Vorhinein schon weiß, wer der Schuldige ist, ihn dann nur mit allen Mitteln zur Strecke zu bringen sucht (wobei das Vorauswissen als Rechtfertigung auch brutaler Mittel benötigt wird).
    Wenn man Längenkontraktion und Zeitdilatation zusammennimmt, wie ändern sich dann die Geschwindigkeiten? Die Strecken werden kürzer, die Zeiten dehnen sich: müßte nicht die Geschwindigkeit sich gleich bleiben? Gibt es auch den umgekehrten Effekt der Zeitkontraktion und der Längendilatation? – die umgekehrte Relation des ruhenden zum bewegten System (anhängig von der relativen Richtung von Licht und bewegtem Objekt)? Gibt es eine Beziehung zwischen diesen beiden Beziehungen?
    Verweist das Verhältnis von Körpergröße und Gewicht bei den Dinosauriern auf eine andere Gravitationsstruktur? Und weist das plötzliche Aussterben der Dinosaurier auf eine Änderung in dieser Struktur hin? – Maus/Elefant: Kurz-/Langzeitgedächtnis?
    Die Weltkriege als Phasen des Weltuntergangs begreifen. Wir leben in den Trümmern, die der Wiederaufbau nur verdeckt, nicht wirklich beseitigt hat, und merken es immer noch nicht. Geduld und langer Atem sind notwendig, um in den Bruchstücken die Elemente der neuen Welt zu finden und an ihrer erneuten, veränderten Zusammensetzung mitzuarbeiten.
    Wer der Gewalt der Sprachzerstörung, die in den Begriffen liegt, nicht verfallen will, muß die benennende Kraft der Sprache zurückgewinnen. Das wäre die Aufgabe der Philosophie heute. Insbesondere bedarf es heute der adamitischen Kraft, die beiden Tiere zu benennen. Zentrales Modell für die Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Philosphie wäre heute die Kritik der Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaften sind keine Weltbild-Produzenten, sondern sie bergen in sich die subversive Kraft, die die Weltbilder zerstört.
    Hegel hatte geglaubt, das Bild einer neuen Welt erstellen zu können; das war sein Fehler. – Die kommende Welt – wie immer sie auch sonst beschaffen sein mag -, eines ist gewiß: sie ist bilderlos.
    Die Umkehrung des Trotzes war die Liebe, die des Charakters die geliebte Seele. Nach Rosenzweig ist das Bekenntnis der Seele die Antwort auf die Offenbarung.
    Ist der dreifache Verrat des Petrus auch inhaltlich unterschieden?
    Die Virginitas ist ein Symbolum, kein Biologicum.
    Seit der Phänomenologie ist der theologische Gebrauch des Begriffs der Anschauung obsolet geworden. Die Phänomenologie hat als reine Theorie zugleich dieses zentrale Moment der philosophischen Tradition, die Theoria, liquidiert (Zusammenhang von Anschauung und Bekenntnis!).
    Nicht die Umwertung aller Werte, die vielmehr genau in die Katastrophe hineinführt, zu deren ersten Vorboten gehört, sondern die Kritik des Wertbegriffs selber, genauer: die Kritik jenes Begriffs der Objektivität, in dem der Begriff des Werts entspringt, sich konstituiert, ist der Anfang der neuen Philosophie.
    Der engliche „cant“ war für Max Scheler die Projektions-Müllhalde, auf der er alles abladen konnte, was er in sich selbst verdrängen mußte.
    Man kann sich zu einer Sache bekennen, von der man überzeugt ist.
    Schellings „das Zukünftige wird geahnt“ stellt eine Beziehung zur Zukunft her, die dem des Schicksals entspricht. Die Zukunft ist etwas, was von außen her eintritt, außer jeder Beziehung zum eigenen Handeln, von dem für den, der nur noch „ahnt“, nichts mehr abhängt.
    Eine Zukunft, von der man „überzeugt“ ist, ist entweder Gegenstand einer negativen Prognose (Vorteil: wenn’s eintrifft, behält man recht, wenn nicht, wird die Prognose vergessen) oder aber Gegenstand eines (zwangsweise) geglaubten Bekenntnisses. Das reale Verhältnis zur Zukunft ist das der Gottesfurcht: eben diese wird durch die Überzeugung verdrängt.
    Wer die Zukunft dingfest machen will, erträgt es nicht, in der Gottesfurcht zu bleiben: er verachtet die Weisheit. Er ist zum Verdummen verurteilt.
    Wenn Erkennen etwas mit der Zeugung zu tun hat (Adam erkannte sein Weib …), dann ist das Überzeugen eine Vergewaltigung.
    Verhältnis von chemischem und juristischem Prozeß: Am Ende bleibt die Asche.
    Die Fundamentalontologie ist die in objektloser Angst erstarrende Hypostasierung des Wissens, das dann keines mehr ist.
    Zur philosophischen Bildung heute gehört die Lektüre des „Angehörigen-Info“.

  • 05.12.90

    Materialismus als Errettung des Vergangenen.

    Die Virulenz der Gemeinheit gründet in der ebenso realen wie paranoiden Vorstellung, daß, wer überleben will, mit den Wölfen heulen muß: die projektive Vorstellung, daß die Schlechtigkeit in der Welt überwiegt, wird als Rechtfertigung der eigenen Schlechtigkeit verwandt. Gemeinheit ist ein Selbstläufer: Modell des perpetuum mobile (allerdings mit eigenem Entropiegesetz). Das Bessere zieht die Wut auf sich, weil es die Selbstrechtfertigung (das pathologische gute Gewissen) untergräbt. Nicht zufällig sind die Einrichtungen des staatlichen Gewaltmonopols: der Justiz, der Verbrechens- und Kriminalitätsbekämpfung (einschließlich des Staatsschutzes), der Strafermittlung, des Strafrechts und des Strafvollzugs besonders anfällig für dieses paranoide Syndrom (die paranoide Staatsmetaphysik, die beispielsweise in dem Amtstitel des Staatsanwalts sich ausdrückt); hier ist eine besonders virulente Quelle der Gemeinheit (der verfolgenden Unschuld).

    Der Rechtsbegriff in Begriffen wie Menschen- oder Christenrechte verhält sich zu dem des staatlichen und auch des kirchlichen Rechtsinstituts wie der der Offenbarung zu dem des Mythos, wie Befreiung zu entfremdeter Herrschaft. Die Bekehrung des Rechts steht – wie auch die der Christen – noch aus.

    Vgl. Elaine Pagels Ausführungen über die Ausbildung autoritärer Strukturen in der Kirche in der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Gnosis (Versuchung durch Erkenntnis). Das proton pseudos war, daß dem gnostischen Versuch einer experimentellen Theologie dogmatische und bekenntnishafte Strukturen und Bedeutung (Anspruch auf gegenständliche, gleichsam physikalische Wahrheit) unterstellt wurden. Die Kirche hat seit Beginn an einem Wahrheitsbegriff festgehalten, der automatisch in den Dogmatismus (und in seiner Folge in die naturwissenschaftliche Aufklärung, in den Prozeß der Naturbeherrschung durch Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Natur): m.a.W. ins Herrendenken, in paranoide Zwänge (Kriterien: Antijudaismus, Ausgrenzung und Verfolgung der Häresien, Sexismus) hineinführte.

    Gilt das Abendmahl nur für die autoritär und hierarchisch organisierte Männerkirche (für eine Kirche, die mit Antijudaismus, Ketzerverfolgung und Sexismus leben muß)? – Zusammenhang mit dem Nahrungsgebot nach dem Sündenfall?

    – Brot und Wein

    . Brot, Gen. 319, Joh. 622-66, Lev. 2626, Ps. 10516, Ez. 416, Ex. 121-1316, Joh. 1914, Ps. 7825

    . Brotbitte Mt. 61,

    . Brotbrechen Lk. 2435, Apg. 242,

    . Brotvermehrung, Mt. 1413-21

    . Kana

    – Dornen und Disteln: Gen. 318, Ex. 31ff

    – Abendmahl: Mt. 2617, Mk. 1412, Lk. 227, Joh. 622-66, 657, 131, 151, 1934, Apg. 242, 1 Kor. 1021

    – Melchisedech: Gen. 1418, 2 Sam. 59, Hebr. 71-3

    – Abraham/Isaak: Gen. 221ff

    – Passah/Exodus: Ex. 12

    – Propheten

    – Tempelopfer.

  • 08.09.90

    Leserbrief von Jürgen Schubach in der FR vom 08.09.90: „… und bleibe ich der Meinung, daß sich alle Konflikte durch das Recht lösen lassen.“

    * Der im Titel zitierte Satz verrät eine wahrhaft hybride Rechtsauffassung:

    . ausgeschlossen werden Lösungen, die unter zivilen Verhältnissen die ersten sein sollten, nämlich Lösungen durch Verständigung und Übereinkunft;

    . zugleich wird geleugnet, daß es Konflikte gibt, die sich rechtlich nicht lösen lassen; die Verdrängung dieses Problems führt zwangsläufig zur Gewalt, die er dann prophylaktisch auf jene projiziert, die sich seit je haben fügen müssen (nicht zufällig reizt ihn der Feminismus).

    . so schafft er das Gewaltpotential, dessen Auflösung die Justiz heute vor nicht mehr lösbare Aufgaben stellt: erst wenn diese Gesellschaft bereit ist, ihre (nicht immer justifiziable, in jedem Falle aber moralische) Mitschuld an der Gewalt, die sie dann so rigoros zu bekämpfen sich gezwungen fühlt, anzuerkennen, werden die ersten Schritte zum Rechtsfrieden auch in den Dauerkonflikten getan werden können;

    * Verräterisch das „bis ihm staatlicherseits nachgewiesen wird“:

    . Schuldig macht nicht die Tat, sondern erst der „staatliche Nachweis“; banal gesprochen: das Erwischtwerden (übrigens ein bei Demonstrationen heute auf beiden Seiten, bei der Polizei wie bei den Demonstranten, angewandtes Prinzip, das dann allerdings in der Öffentlichkeit nur auf eine Diskriminierung der letzteren hinausläuft);

    . wer Unrecht erlitten hat, es aber nicht nachweisen kann (wer m.a.W. nicht justifiziables Unrecht erlitten hat), muß halt damit fertig werden, daß nicht nachgewiesenes Unrecht rechtlich keines ist, der eigenen Erfahrung somit keine öffentlich verwertbaren Tatsachen entsprechen, sie also irreal sind (rechtliche wie wissenschaftliche Tatsachen sind an die Bedingung der Nachweisbarkeit gebunden; andernfalls können sie nicht als Tatsachen gelten); er läuft in die double-bind-Falle.

    . so halten Juristen sich für den Staat (diese Identifikation war der Preis für die Entlastung von dem Gewissensdruck, urteilen zu müssen: für das – dann allerdings pathologische – gute Gewissen), und jede Kritik ist „possenhaft, giftig und abwegig“, eigentlich ein staatsfeindlicher Akt.

    . Justiz als Träger/Inhaber des staatlichen Gewaltmonopols? Hier verwechselt er offensichtlich Rechtsfindung und Exekution des Urteils; nur auf dieses darf sich das staatliche Gewaltmonopol beziehen, während die Rechtsfindung (u.a. die Schuldfeststellung) Sache unabhängiger Gerichte ist, und nicht Sache des Staates. Auch bei der Rechtsfindung ist der Staat (in Gestalt des „Staatsanwalts“, der übrigens in zivilisierteren Staaten öffentlicher Ankläger heißt) nur Partei und nicht feststellende Instanz. Daß es heute – insbesondere im sogenannten Staatsschutzbereich – Fälle gibt, in denen Verdacht besteht, daß politischer Druck und vorauseilender Gehorsam (in Verbindung mit einem weder rechtlich noch moralisch begründbaren Staatsbegriff) die Urteilsfindung mit bestimmen, greift die Idee des Rechtsstaats in der Wurzel an. Manches wäre nicht mehr möglich, wenn die moralische und rechtliche Selbstreinigung der Justiz nach dem Kriege gelungen wäre.

    + Eines der wichtigsten Ämter bei den staatlichen Ermittlungs-und Verfolgungsbehörden ist heute der Pressesprecher;

    + Daß der Ankläger hierzulande „Anwalt des Staates“ ist, ist Teil einer blasphemischen Staatsmystik: Symptom der Staatsvergötzung, die zu den Quellen des deutschen Sündenfalls in diesem Jahrhundert gehörten.

    + Isolationshaft, Einschränkung der Verteidigerrechte, Ausschaltung der Öffentlichkeit

    + Hier verbinden sich sexistische Vorurteile mit einem Rechtsdenken, das in der letzten Konsequenz Unschuldsvermutung und Vorverurteilung fein säuberlich nach Macht-, Geschlechts- oder Gesinnungsgrenzen (und vielleicht auch mal wieder nach Konfessions- oder Rassengrenzen) verteilt.

    + Der Identitätszwang, die fehlende Kraft zur Distanz zur eigenen Tätigkeit, der heute die berufliche Existenz immer mehr durchdringt und beherrscht (und die geistige Existenz, die nur in Distanz zur beruflichen zu begründen ist, nicht mehr kennt, nur noch Freizeit, Hobby und Unterhaltung), zerstört die menschliche Würde in der Wurzel, er ist barbarisch und fürdert die Barbarei in gleichem Maße wie er eingreifende Besinnung verhindert.

    + Das Maß, mit dem Gerechtigkeit in einem Gemeinwesen allein sich messen läßt, ist sein Umgang mit den Armen und mit den Fremden (das müßte jedenfalls ein Christ von den Propheten gelernt haben).

    – Bezeichnend auch die Argumentationsfigur: Der Hinweis auf andere, die auch Dreck am Stecken haben, soll von den eigenen Schuldgefühlen befreien; noch so festgestellter Unschuld kann er die Schuld auf die Ankläger verschieben (nachdem er seine Kritiker als possenhaft, giftig und abwegig abqualifiziert hat, kann er selbst ungestört possenhaft, giftig und abwegig werden).

    – Das IN DUBIO PRO REO als Scheunentor oder Waschanlage.

    – bleibt im Bann des pathologisch guten Gewissens, das – nach der mißlungenen Aufarbeitung der eigenen Geschichte und unter dem Wiederholungszwang der zweiten Schuld – zur chronischen Berufskrankheit im deutschen Rechtswesen zu werden droht.

    – Beispiel dafür, wie blinde Wut verfolgende Unschuld produziert.

    – „Selbst von Rechtslaien darf erwartet werden, …“: Unerträglich der justizübliche belehrende Ton (Korrelat der eigenen Kritik-Empfindlichkeit und Zeichen der immer wieder wahrzunehmenden fehlenden Souveränität)

    – J.S. scheint jede Urteilskritik als Angriff zu empfinden -offensichtlich an der schwächsten Stelle getroffen reagiert er mit wütenden Projektionen;

    – Man muß nur seinen Gegner in die Ecke treiben; dann wird er schon so reagieren, daß man ihn als Schuldigen präsentieren und sich selbst mittels der dann üblichen Empörung freisprechen kann; ein alter Herrentrick.

    – Ich hoffe nur, daß J.Sch. kein Richter ist.

    Wie es scheint, ist die Kritik überfällig, jedenfalls sollte sie erfolgen, bevor der Bekenntnisstrick uns die Luft endgültig abschnürt. Bei uns ist immer noch (frei nach Carl Schmitt) nur der Staat souverän, nicht der Richter.

  • 11.06.90

    Hängt die Gereiztheit D.s gegenüber Rahner und vor allem Metz vielleicht mit dem Konzept der „ubiquitären“ Struktur der j Urgeschichte zusammen, mit der Tilgung ihres historischen Charakters, der Anpassung an den naturwissenschaftlichen Objektivitätsbegriff (letztlich mit der Verdrängung der Schöpfungslehre)?

    „Selten nur wurden Menschen in größerer Zahl in Deutschland …“ (III, S. XVI) – Auschwitz lag nicht in Deutschland. – Diese Selbstmitleidsblockade war der Grund für die unsäglichen Verdrängungsleistungen in den vierziger Jahren.

    „(Die Psa) versteht die Angst nur (?) als einen Reflex äußerer Gefahrensituationen, nicht als etwas, das vom Bewußtsein der Menschen selbst ausgeht.“ (III, S. XX)

    „Nicht was andere aus einem gemacht haben, ist das Entscheidende, sondern zu wem man sich selbst bestimmt hat und wozu man sich in jedem Augenblick auch heute noch weiter bestimmt.“ (III, S. XXIII) – Konkreter: Für das, was andere aus einem gemacht haben (d.h. für sich selbst, für den eigenen Charakter), die Verantwortung übernehmen. Der Sartresche Existenzialismus, auf den D. sich hier offensichtlich bezieht, abstrahiert von der Geschichte und von der versöhnenden Kraft der Erinnerung, wenn er den Vorrang der Existenz vor dem Wesen und die Fähigkeit, das eigene Wesen selbst zu setzen, vertritt.

    „So wird die Objektivität des Erkennens, die den Aufstieg der Wissenschaft ermöglichte, von der ständigen Ichbezogenheit der Angst blockiert.“ (III, S. XXXV) – Nicht nur blockiert, sondern gleichzeitig und ebensosehr blind weitergetrieben (vgl. die DdA).

    „Was ein Neurotiker an seinem Therapeuten lernt, das hat die Menschheit lernen müssen in dem Glauben an den Gott des Volkes Israel, mit dem einen wesentlichen Unterschied …“ (III, S. XXXVI) – Ist das das D.sche Konzept?

    Die Anwendung des Bildes vom brennenden Dornbusch (III, S. XXXVII) liegt nur knapp daneben: Nicht die Menschen, sondern das Werk ihrer Hände (was ihre Bearbeitung des Ackers für sie hervorbringt: die gegenständliche Welt als Substrat der Geschichte und als Gericht) ist das mit dem Bild Gemeinte.

    „Im Umkreis der Mythen wie der Neurosen gibt es keine Geschichtlichkeit (er meint: keine wirkliche Geschichte, H.H.); alles erstarrt darin vielmehr zu einer angsterfüllten Gegenwart (zur Ubiquität, H.H.), die von dem Schrecken und den Mächten der Vergangenheit (vom Mythos, vom Schicksal, H.H.) vollkommen überlagert wird.“ (III, S. XXXIX) Der Umkreis der Mythen wie der Neurosen ist demnach exakt der durch das Erkenntnisgesetz der Wissenschaft (in den Naturwissenschaften durchs Inertialprinzip) bestimmte, und er umfaßt nachweisbar auch das D.sche Konzept (das Inertialsystem stellt jene Zweideutigkeit, jene Ununterscheidbarkeit von Objektivität und Projektion, Paranoia und Selbstmitleid, her, die Medium sowie Grund und Folge der Instrumentalisierung ist und nur durch Schuldreflexion sich auflösen läßt).

    D.’s Versuch, eine theistische Theologie ohne Sündenfall und Auferstehung der Toten zu begründen, führt zwangsläufig in den Mythos zurück. Die Existenz Gottes läßt sich nicht daraus ableiten, daß andernfalls nur Verzweiflung, „das Böse“ und der Wahnsinn bleiben. Auch die therapeutische Instrumentalisierung ist blasphemisch. – Im übrigen würde seine Theologie anders aussehen, wenn er wirklich glauben (und den Glauben wörtlich nehmen) würde anstatt an den Wunsch sich zu klammern, daß es (für wen?) gut wäre, wenn es einen Gott gäbe.

    Gibt es einen trinitarischen Bezug von Angst, Schuld und Scham (Projektionen: Macht, Gericht, Sexismus; Opfer: Juden, Ketzer, Frauen)?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie