Sloterdijk

  • 12.1.96

    Wie der Mensch das Ebenbild Gottes, so ist die Ware (das Objekt als Subjekt) das des Staates. Der Begriff der Zerstörung des Gebrauchswerts ist als ökonomische zugleich eine politische Kategorie: Mit der Ware verliert auch der Staat seinen Gebrauchswert.
    In dem Zitat aus Hans-Jürgen Krahl „Konstitution und Klassenkampf“ (in Wolfgang Pohrt „Theorie des Gebrauchswerts“, S. 53) sind einige Kategorien auf offensichtlich signifikante Weise unverständlich:
    – Was ist gemeint, wenn es bei Krahl heißt, daß „Entfremdung und Verdinglichung heute Kategorien sind, deren Gültigkeit für den Kapitalismus zweifelhaft wird“, oder
    – „das Stadium der immanenten Selbstzersetzung der Warenform zugunsten des totalitären Tauschs ist erreicht“?
    Zur Verdinglichung: Diese Kategorie wird nicht „zweifelhaft“, sondern ungegenständlich, sie ist in den blinden Fleck der Erkenntnis gerückt. (Es hängt mit der logischen Beziehung von Ware und Staat zusammen, wenn der Dingbegriff als der Kern der hegelschen Logik sich erweist – als Quellbegriff des Absoluten.)
    Zum Tausch: Der Begriff des Tauschs wird nicht totalitär, sondern universal, Kristallisationskern der Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur, Welt), deren Kritik auf der Tagesordnung steht. Die Unterstellung eines totalitären Tauschbegriffs steht schon unterm Systemzwang der entgegenständlichten Verdinglichung; zu ihren Konsequenzen gehört die personalisierende Umformulierung der Marxschen Theorie, die in die Verwirrungen des Terrorismus geführt hat.
    In dem gleichen Maße, in dem die Produktion den Gebrauchswert der Waren zerstört, wächst ihr eigener Gebrauchswert für den Staat.
    Gebrauchswert und Tauschwert sind Reflexionskategorien, das Modell der Beziehung des Dings zu seinen Eigenschaften. Die verdinglichende Kraft des Tauschprinzips reduziert die Dinge auf ihre (vergleichbaren) Eigenschaften, durch die sie in den Prozeß von Arbeit, Produktion und Konsum hineingezogen werden.
    Der formale Charakter des Begriffs Gebrauchswert läßt an den Objekten seiner Anwendung sich demonstrieren: Dem Geld, dem Staat, der Lohnarbeit, dem Kreuzestod Jesu, dem Militär, auch der Philosophie wächst unter definierbaren Bedingungen Gebrauchswert zu. Gebrauchswert ist ein Aspekt der Instrumentalisierung, in deren Geschichte verflochten, keine Natureigenschaft eines Objekts. Das, was Pohrt die Selbstzerstörung des Gebrauchswerts nennt, ist keine Selbstzerstörung, sondern eine Verschiebung des Gebrauchswert, der im gesamten Objektbereich wandert.
    Der letzte Gebrauchswert des Staates ist der faschistische: der Nationalismus, das Gefühl, dazuzugehören, auch wenn man selbst davon nichts hat.
    Der Terrorismus, der den Staat zwingen will, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat schon vergessen, daß der Staat gesichtslos ist; er gleicht sich selber dem an, was er für das „wahre Gesicht des Staates“ hält. Wer glaubt, dem Staat den Spiegel vorhalten zu können, vergißt, daß der Staat blind ist.
    Kann es sein, daß das Modell für die astrophysikalische Theorie des „schwarzen Lochs“ in dem zu suchen ist, was die analsadistische Sprache ein „Arschloch“ nennt?
    Gehören nicht die Theorien vom Urknall wie vom schwarzen Loch zu den Legitimationskonstrukten der Naturwissenschaften, die von den Ursprungs- und Zielphantasien, die sie zugleich zu neutralisieren gezwungen ist, sich nicht lösen können?
    Zieht sich nicht heute das Opfer der Vernunft, welches Adorno im Ursprung der Zivilisationsgeschichte erkennt, auf den einen Punkt der Verwerfung der Theologie zusammen? Das fast Irrsinnige daran ist, daß die Verwerfung der Theologie selber aus einer theologischen Tradition sich speist, die auf den Kern der christlichen Tradition zurückweist. Der Ursprung des Säkularisationsprozesses liegt in der Ursprungsgeschichte der Orthodoxie, der Bekenntnislogik. Er liegt an genau dem Punkt, als die Theologie einen Gebrauchswert bekam (für den Staat, aber auch für die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Herrendenkens, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Der Gebrauchswert der Theologie ist der Quellpunkt ihrer Instrumentalisierung, die ihren Grund in der Opfertheologie hat.
    Paradigmatisch für den Gesamtumfang des Problems des Gebrauchswerts ist der Jugoslawienkonflikt (wahnsinnige Vorstellung, daß dieser Konflikt auf eine frühe bundesrepublikanische Intervention, auf ein Projekt der Destabilisierung Jugoslawiens durch den BND unter der Leitung von Klaus Kinkel, des heutigen Außenministers der BRD, sich zurückfnhren läßt).
    Hätte nicht Sloterdijk, der Autor der Kritik der zynischen Vernunft, diesen Vorgang erkennen mnssen? Ja, wenn er nicht selber seine Kritik am Ende ins Affirmative umgebogen, als Ausweg den Kynismus empfohlen hätte. So wurde aus der Kritik der zynischen Vernunft ein Stück Schwabinger Philosophie.
    Nach kabbalistischer Tradition sind die sechs Richtungen des Raumes auf sechs göttliche Namen versiegelt. Die Vermutung, daß diese Siegel unter Einschluß des siebten Siegels (des Sabbats, als dessen Herr der Menschensohn sich zu erkennen gegeben hat) in den sieben unreinen Geistern (in der Gestalt der Maria Magdalena) und in den sieben Siegeln der Apokalypse sich wiederfinden, mag vielleicht ein Licht nach beiden Seiten werfen.
    Zur Astrologie: In welcher Beziehung stehen die Venus zum Mond, der Mars zum Jupiter und der Merkur zur Sonne?

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