Die Bergpredigt war für mich einmal der erste Hinweis auf die moralische Asymmetrie zwischen mir und den Andern sowie auf den Ursprung der Gemeinheit (die in der Verletzung dieser moralischen Asymmetrie gründet).
Unterscheidet sich nicht die Laientheologie von der Theologen(Priester)-Theologie vor allem dadurch, daß sie nicht unter dem Zwang steht, Theologie für andere zu sein? Deshalb war seit je die monarchische Theologie der Laientheologie näher als die Theologentheologie, die seit je in einem sehr genauen Sinne „weltliche“ Theologie war. Laientheologie heute gründet in der kritischen Reflexion des Weltbegriffs.
Laientheologie unterscheidet sich von der Theologentheologie dadurch, daß sie zwar auf die Lehre abzielt, aber nicht mehr belehren will und kann: durch den Verzicht auf den autoritären („väterlichen“) Gestus: Laientheologie ist das Resultat der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern (Lk 117).
Der Weltbegriff ist die genaue Umkehrung der Levinasschen Beziehung von Indikativ und Imperativ.
Nach Klaus Heinrich muß ich, wenn ich Dinge vergleichen will, sie an einen gemeinsamen Ort bringen. Es gibt zwei gemeinsame Orte, deren Beziehung das Zentralproblem der gegenwärtigen Theologie ist: das Inertialsystem und der Name Gottes (der Ort, der durch das Licht des Angesichtes Gottes erhellt wird).
Das Johannes-Evangelium ist nicht antisemitisch, es wird antisemitisch, wenn man den Namen der Juden anstatt typologisch rassistisch versteht (dem entspricht es, wenn die unsägliche Diskussion um Daniel Jonah Goldhagen eigentlich nur auf der Basis eines immer noch rassistischen Selbstverständnisses der Deutschen sich verstehen läßt – und niemand merkt’s). Der Rassismus steht in der Tradition des Begriffsrealismus: Er macht Kollektivbegriffe zu Subsumtionsbegriffen.
„Wir Deutschen“: Ist das nicht das aktuelle Äquivalent des Namens der Hebräer (das dann projektiv über den eliminatorischen Antisemitismus abgeleitet werden muß)? Sich als das erfahren, was man glaubt für andere zu sein (die Identifizierung des Subjekt-Plural „Wir Deutsche“ mit dem Objekt-Plural „Die Deutschen“). – Kann es sein, daß die Wendung „Wir Deutschen“ insbesondere dann gebraucht wird, wenn der Redende unter Rechtfertigungszwang gerät (und das Kollektiv-Subjekt hinter dem Kollektiv-Objekt sich versteckt, die Kollektivschuld durch die Kollektivscham, die beide der Sache nicht angemessen sind, ersetzt)?
Wir Deutschen: Erkennt man die Deutschen heute nicht am ehesten daran, daß sie vom Ausland geliebt werden wollen?
In den Neonazis, die aus Trotz das Kollektiv-Objekt zum Kollektiv-Subjekt zu machen versuchen, implodiert die Kollektivscham: und in ihr die Rechtfertigungslogik, die glaubt, der Objektzone der Veurteilung entrinnen zu können, indem sie sich zum Subjekt der Verurteilung macht. Der Faschismus ist das Produkt der Metamorphose der noesis noeseos, des Denkens des Denkens, zur Verurteilung der Verurteilenden (der Vernichtung all dessen, was als Bedrohung der eigenen Identität erfahren wird). Deshalb hat der Hinweis aufs Ausland (was „das Ausland“ wohl denken wird) die Ausländerfeindschaft eher verstärkt als eingedämmt.
Die Grenze zwischen Begriff und Objekt ist die Innen-Außen-Grenze: die politische Grenze ebenso wie die Grenze, die die Anschauung vom angeschauten Objekt trennt. Deshalb gehören die subjektiven Formen der Anschauung zu den Konstituentien des Begriffs und des Nationalismus zugleich. Und deshalb gehört zur Entwicklung des Urteils und der Urteilsform das projektive Konstrukt der Barbaren (der Juden, der Heiden, der Ausländer, der Fremden) und der Naturbegriff.
Ist nicht das Werk Bubers die erste Verkörperung einer Theologie, die weder warm noch kalt, sondern nur noch lau ist?
Hat nicht das (theologische wie auch das nationale) Votum für den Staat Israel in Deutschland etwas mit der Erleichterung darüber zu tun, daß jetzt die Juden auch nicht mehr anders sind? Findet Hermann Cohens Bemerkung über die Zionisten nicht erst seine wirkliche Erfüllung in diesem Votum („die Schufte wollen genießen“)?
Es gibt heute Dinge, die sowohl unmöglich als auch notwendig sind, und es sind offensichtlich die wichtigsten Dinge. Die Sätze der Bergpredigt werden dadurch nicht widerlegt, daß sie nicht mehr „anwendbar“ sind.
Staatsanwalt: Liegt einer der Unterschiede zwischen England und Deutschland nicht darin, daß, während in England die Staatskirche durch die Königin repräsentiert wird, sie in Deutschland von allen verinnerlicht wurde.
Hegels Weltgericht ist die Rache des Objekts, die dann seine Philosophie ebenso ereilte wie die Substanz, von der sie lebt.
Ich habe getan, ich bin gewesen: In welchen Fällen wird das Perfekt mit haben und in welchen Fällen mit sein ausgedrückt? Ist das Sein substantiell, das Haben akzidentiell? Das Tun qualifiziert das Subjekt, es wird substantiell durch Dauer: als Beruf, als Nationalität, als Bekenntnis, aber auch im Falle des „Mörders“.
Ich bin, ich habe, ich werde, ich wurde, ich würde, ich möchte. Du sollst.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind Formen der Selbsterpressung des Denkens.
Der Raum (oder die subjektiven Formen der Anschauung) legitimiert den Blick von außen; er gründet in der Übermacht des Gerichts über die Barmherzigkeit, des Hinterhalts und der Gemeinheit über den offenen Konflikt, der Niedertracht über die Ohnmacht. Verkörpert nicht die Mechanik den Blick von hinten, die Gravitationstheorie den Blick von unten und die Elektrodynamik den Seitenblick?
Das Schreien der Steine: In Lk 1940 (im Zusammenhang mit dem Einzug in Jerusalem) zitiert Jesus Hab 211 („Ja, der Stein in der Mauer schreit, und der Balken im Holzwerk antwortet ihm. Wehe dem, der eine Stadt auf Blut baut …“).
Sprache
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07.09.1996
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04.09.1996
Das Militär ist die Produktionsstätte der Nation (die einzige Produktionsstätte, die nach dem Prinzip der Selbstproduktion arbeitet: in der die Produzenten selber auch die Produkte sind). In einer militaristisch organisierten Gesellschaft sind auch Staatsbetriebe, von der Verwaltung über die Eisenbahn bis zur Post, militärisch-hierarchisch durchorganisiert (der Faschismus hat alle in Uniformen gesteckt und in paramilitärischen Organisationen erfaßt). Hat die Tatsache, daß Mysterien-Religionen, deren Struktur im Christentum dann sich reproduzierte, vorrangig Miltär-Religionen waren, hiermit etwas zu tun? Die Kirchenbildung begann dann auch mit der hierarchischen Durchorganisation der christlichen Gemeinden (gewinnen hier nicht die Beelzebub-Geschichte und die Geschichte vom Hauptmann und seinem erkrankten Knecht eine höchst ambivalente Bedeutung? Vgl. auch die anderen in den Evangelien auftretenden Soldaten, z.B. den Hauptmann unterm Kreuz; wird nicht in der Geschichte vom Dämon, der sich Legion nennt, das Dämonische und das Militärische aufeinander bezogen?). Hierarchische Organisationen lassen durch die Verschmelzung von logischen und Herrschaftsstrukturen (als organisches System eines vollständig durchinstrumentalisierten Herrschaftskörpers) sich begreifen.
Ist nicht das Präfix be-, das im Englischen als Infinitiv des Hilfsverbs „sein“ erscheint und die Sprachlogik beherrscht, das Schlüsselwort des Positivismus? Der Besitzer einer Sache besitzt nur, was einem anderen gehört, das Eigentum eines andern ist (hängt Gehorsam mit gehören zusammen, ist Gehorsam eine Eigentumskategorie?).
In den modernen Sprachen (am konsequentesten in der deutschen Sprache) haben die Präfixe eine neue Funktion bekommen, während die Funktion der Suffixe sich verlagert hat: von der sprachlogischen Ebene der Deklination und Konjugation auf die der Bildung der Abstrakta (der Substantivierung von Adjektiven, Verben). Die Bildung der bestimmten Artikel (und ihre Einbeziehung ins Deklinationssystem im Deutschen) und die Einführung der Hilfsverben und der Personalpronomina gründet in dieser Verlagerung. Die Präfixe hingegen sind der Sprache durch ihre Subsumtion unters Inertialsystem aufgezwungen worden: sie sind die Spuren des Inertialsystems in der Sprache.
War es nicht die gemeinsame Aufgabe der Naturerkenntnis und der Geschichtsschreibung, Natur und Geschichte, die in diesem Prozeß erst sich konstituierten, vor Augen zu führen, um sie (durch Objektivation) der Erinnerung zu entziehen? Opfer dieses Objektivationsprozesses waren die Juden, mit Beginn der Moderne auch die Ketzer (die nicht mehr nur verurteilt, sondern erstmals systematisch verfolgt wurden) und die „Hexen“ (in welchen die Sexualmoral eliminatorische Qualität gewann: bezieht sich nicht das apokalyptsiche Symbol des „Unzuchtsbechers“ auf diesen Vorgang: auf die projektive Anwendung der Sexualmoral?).
Die Naturwissenschaften (und ebenso der Kapitalismus, die Geldwirtschaft, das Rentabilitätsprinzip) haben die hierarchischen Strukturen nicht abgebaut, sondern sie (durch Hypostasierung der intentio recta, durch Verdrängung des Bewußtseins der Vermittlung) nur der Reflexion entzogen. Die Hypostasierung der intentio recta, die erstmals im Prozeß der Dogmenbildung ihre logische Gewalt entfaltete, ist eine Funktion der Orthogonalität: Deshalb gehören die „subjektiven Formen der Anschauung“, die die intentio recta determinieren, zu den Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs.
Die sieben unreinen Geister: Ist die Theologie heute nicht dabei, alle Ecksteine zu verwerfen?
Die Duden-Grammatik (1984), die an Sprachlogik nicht interessiert ist, hat inzwischen bereits eine Konstruktion aus der Medien-Sprache notiert: Zum Genitiv des maskulinen Demonstrativpronomen („dieses“) bemerkt er in einer Anmerkung: „Gelegentlich schon mit -en wie ein Adjektiv (Man verzeichnet gern, daß dank diesen Besuches die Atmosphäre sich aufgehellt hat. [FAZ 1967])“ In Zeitungen und Nachrichten scheint die Wendung diesen Jahres die grammatisch korrekte dieses Jahres inzwischen vollständig verdrängt zu haben. Drückt in dieser Adjektivierung des Demonstrativpronomens (die das deiktische „dieses“ zu einer Eigenschaft der Sache, auf die es hinweist, macht) nicht ein beunruhigender Sachverhalt sich aus? Einerseits verliert die Sache ihre Substantialität, wird sie zu einer Funktion der Information, die ihr überhaupt erst Realität verleiht (nur was im Fernsehen erscheint, ist real). Andererseit aber wird die Information der Sache zugeschlagen, von der sie nicht mehr sich trennen läßt: So wird der Berichtende entlastet; sein Hinweis auf die Sache (die Information über die Sache) wird zu einem Teil der Sache, für die er nicht verantwortlich ist („Objektivität“ legitimiert jede Gemeinheit). Das Omnipotenz-Bewußtsein der Medien, die die Realität konstituieren, korrespondiert ihre Verantwortungslosigkeit: Sie berichten ja nur über das, was ist. Steckt diese demiurgische Selbstverleugnung nicht auch in den anderen Genitiv-/Dativ-Problemen der Medien-Sprache? Und ist sie nicht insbesondere der Grund des Wegsehens von allem, was an die moralische Gemeinschaft des Berichtenden und des Lesers, Hörers, Zuschauers erinnert: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“; heiß aber ist nur, was die Leser, Hörer und Zuschauer heiß macht, was die Empörung weckt, die sie manipulierbar macht, nicht was an sich heiß ist. Keine Meldung, in die nicht die Reflexion auf die Reaktion des ohnmächtigen und verantwortungslosen Konsumenten der Information als konstitutives Moment mit eingeht. -
03.09.1996
Ursprung des Dingbegriffs: Jede Verdinglichung ist ein Versuch, durch Verurteilung den Schrecken von sich abzuhalten, ihn aus dem Blickfeld zu verbannen, den Schrecken zu verdrängen. Ist die Weisheit wirklich der Erstling der Schöpfung; war das Erste nicht der Himmel und die Erde? Aber die Erde war „wüst und leer“ und „Finsternis über dem Abgrund“ (dem „Abgrund“ des Himmels?). Erst dann kommt der Geist, „brütend über den Wassern“. Zur Ontologie und zur modernen Perfektbildung: Ist das Sein ein depersonalisiertes Haben, ein Reflex der durch den Staat begründeten Eigentumsordnung? Entspringt die Ontologie im Prozeß der Verdrängung der politischen Reflexion (in der Theologie hinter dem Rücken Gottes)? Im Griechischen trennen sich „Hilfsverben“ erstmals im Konjunktiv und Optativ des Perfekt von den Suffixbildungen und dringen ins Konjugationsystem ein, im Lateinischen in den Passivbildungen des Perfekts (zusammen mit der Bildung des Supinum). Erst in den modernen Sprachen breiten sie sich über das gesamte Perfekt (einschließlich des Plusquamperfekt und des Futur II) und über das Futur aus, am Ende auch über die Formen des Konjunktivs (beachte die Doppelbedeutung des Futur II).
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31.08.1996
Sprachlogik: Die griechische Sprache hat links und rechts vertauscht (und die Barmherzigkeit verdrängt), die lateinische oben und unten (den Namen gegenstanslos gemacht), die deutsche vorn und hinten (das Angesicht durchs Inertialsystem ersetzt). Die griechische Sprache begründet den Dogmatisierungsprozeß (die Politisierung der Religion), die lateinische die Instrumentalisierung des Dogmas (die Privatisierung der Religion), die deutsche die Bekenntnislogik als Rechtfertigungslogik (der verdorrte Feigenbaum).
Die Orthogonalität (das Korrelat der Projektion in der Mathematik, das im Inertialsystem als Schuldverschubsystem sich konstituiert) neutralisiert die Qualitäten der Richtungen im Raum; sie begründet eine Logik, die die Zivilisation mit der gleichen Barbarei (und ihren modernen Ableitungen und Denominationen) verbindet, die sie mit dem Instrumentarium des Schuldverschubsystems (der Verurteilung, der Verdinglichung, der Feindbildlogik und des Rassismus) zugleich nach draußen projiziert.
Die Orthogonalität (die Norm) begründet das Maß als Maß für andere: sie macht die Last zum Joch.
Die griechische Sprache ist die Sprache des Nomens und der (Winkel-)Geometrie (wobei die orthos-begründende, den Namen in den Begriff transformierende Abstraktion projektiv abgeleitet wurde im Namen der Barbaren); die lateinische Sprache ist die des Rechts (und der Kreuzigung Jesu); die deutsche Sprache (die durchs Christentum nur „bekehrt“ wurde und auf ihre Umkehr noch wartet) ist die Substantivs: des Rechtfertigungszwangs, der Bekenntnislogik und des Inertialsystems (mit der dreifachen Abfuhr in den Namen der Fremden, der Wilden und der Juden). Die christliche Unterscheidung der Heiden von den Völkern ist biblisch nicht zu begründen.
Der eliminatorische Antisemitismus ist ein Produkt der Bekenntnislogik.
Wenn Buber die Namen der Armen, der Fremden und der Barmherzigkeit beschweigt und zugleich Mizrajim mit Ägypten übersetzt, waren das nicht Kompromißbildungen, die an eine herrschaftstheologische Tradition im Christentum erinnern, die die Theologie von ihrer prophetischen Wurzeln getrennt hat? In den gleichen Zusammenhang gehört die Bubersche Zuordnung der Bücher Josue und Richter, sowie Samuel und Könige zu den historischen anstatt zu den prophetischen Büchern.
Ein beschnittenes Christentum (das sich dann gern auf Buber beruft) ist noch nicht jüdisch (allerdings auch nicht mehr christlich).
Es geht nicht um die „Konservierung des Entsetzens“, sondern darum, den Schrecken an sich heranzulassen, es geht um die Fähigkeit, den Schrecken zu reflektieren anstatt sich dem Kollektiv derer anzuschließen, die, indem sie das Entsetzliche bloß verurteilen, den Schrecken verdrängen und damit den Boden für seine Wiederkehr bereiten.
Ist das nicht auch ein Teil der Eucharistie-Tradition, daß in dem Brot sein Schmerz und in dem Wein sein Tod erinnert werden?
Joseph und Moses (und vor ihnen auch Sara) waren am Hofe (im Hause) Pharaos, Daniel und seine Genossen am Hofe des babylonischen Herrschers, Esther am Hofe des Ahaschweros. Der Pharao bedrohte das Volk Israel, der Herrscher Babylons Daniel und seine Genossen, und Haman (am Hofe des Ahaschweros) das jüdische Volk.
Ist nicht Hegels Weltgeist der ins Fleisch übersetzte Geist?
Die RAF war ein schrecklicher Irrtum; aber war dieser Irrtum in einem Land, das seine eigene schreckliche Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet hat, nicht hoch determiniert?
Hätte ein „Heide“ den Stern der Erlösung geschrieben, er wäre, weil er die Umkehr nicht kennt, in der Vorwelt stecken geblieben. Und hätte er nicht Heidegger geheißen? Wenn ein Christ den Stern der Erlösung schreiben würde, so würde es ein apokalyptisches Buch. Den Stern ins Christliche übersetzen: Das wäre der Hahnenschrei.
Levinas‘ Satz, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, trennt die Theologie vom Fundamentalismus, ohne sie zu verraten.
Vor der ersten Brotvermehrung hatte Jesus Mitleid mit dem Volk, bei der zweiten erbarmte er sich des Volkes (Mt 1414 und 1532). Beim Tod des Lazarus war er erschüttert (Joh 133ff).
Im Körper der Sprache ist die Barmherzigkeit die Gebärmutter, sind die Juden der Augapfel.
Das Lamm löst die Erstgeburt des Esels aus, die Taube die der Armen. Das Lamm ist das Symbol des Gottesknechts, die Taube das des Heiligen Geistes.
Die Betriebswirtschaftslehre frißt die Nationalökonomie (und den Staat, ohne dessen Ordnung es keine rentabilitätsorientierte Ökonomie gäbe). Das hat die Bahn freigemacht für den Globalisierungsprozeß, der eigentlich ein Prozeß der Verwüstung ist. Ist der real existierende Sozialismus nicht an der Übermacht der betriebswirtschaftlichen Gesetze (der Rentabilitätsgesetze) gescheitert? Der Neoliberalismus ist der genaueste Ausdruck für die wachsende Ohnmacht der Nationalökonomie und für die fortschreitende Verrottung des Staates. -
24.08.1996
Der postdogmatische Charakter der lateinischen Sprache gründet in ihrer instrumentalisierenden Sprachlogik. Die lateinische Sprache ist die Sprache des Römischen Imperiums, dessen Herrschaftslogik sie widerspiegelt. Hegel hat schon die römische Religion als Religion der Zweckmäßigkeit bezeichnet (vgl. Philosophie der Weltgeschichte, Dritter Band: Die griechische und die römische Welt, Meiner 1944, S. 677); dieser Charakter hat sich im lateinischen Christentum erhalten. Ist das Futur II eine lateinische Erfindung, oder findet es sich schon im Griechischen (mit Hilfsverb-Konstruktion, in Anlehnung an den Perfekt Konjunktiv/Optativ)? Perpetuum mobile: Der eliminatorische Charakter des deutschen Antisemitismus gründet in einem Mechanismus, der darauf hinausläuft, daß man die Opfer für das bestraft, was sie den Tätern antun, wenn sie sie zwingen, sie zu verfolgen und zu töten. Und strafen kann sie man nur, wenn man sie, bevor man sie tötet, quält und demütigt. Dieser Mechanismus, dessen naturwüchsige Form der Antisemitismus ist, wurde in der Folter zu einem technischen Verfahren, zu dem eine spezielle Ausbildung und Konditionierung der Folterer gehört, instrumentalisiert. Steht nicht die Frage Heideggers: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts, unter dem Bann des theologischen Konstrukts der creatio mundi ex nihilo? Hat Heidegger damit nicht den Abgrund eröffnet, der hinter diesem Konstrukt sich auftut, den Abgrund nicht zuletzt einer Politik, die den Problemen, die sich ihr stellen, nicht mehr gewachsen ist, und deshalb den Verdrängungsraum des nihil eröffnet? Einer Wirtschaftspolitik, für die Arbeit nur ein Kostenfaktor ist, werden die Arbeitenden zum nihil. Steckt nicht in der Diskriminierung der Slawen, die Erinnerung an die Sklaven, die in ihrem Namen mit enthalten ist? Und sind die Sklaven nicht das logische Verbindungsstück zwischen Arbeitern und den unterworfenen, zur Sklaverei gezwungenen Fremden? Für die (antisemitische) Logik des Es waren die Slawen, der Bolschewismus und das Judentum eine einzige graue Masse, in der sich nichts mehr unterscheiden ließ. Ist es wirklich reiner Zufall, daß gleichzeitig im naturwissenschaftlichen Begriff der Masse die Akzente sich verschoben haben, in Richtung der Zerstörungskräfte, die der Masse innewohnen (und deren Beherrschung zum Testfall der gesellschaftlichen Naturbeherrschung geworden ist)? Sklaven und Arbeiter: Fremdarbeiter und Gastarbeiter erinnern an den Ursprung der Arbeit in der Sklaverei; Kriegsgefangene und Angehörige unterworfener Völker waren (als Sklaven) die ersten Arbeiter, die durch ihre Tätigkeit im Dienst fremder Herren sich definierten. Nur die Herren verstanden sich als Menschen, während die Sklaven, die nicht über sich selbst verfügen konnten, der Natur zugerechnet wurden, die sie bearbeiteten; Menschsein war (ebenso wie eine ökonomische) auch eine nationale Kategorie. Die wirre Ausländer-Diskussion (das „Das kann doch nicht wahr sein“, mit dem einer seine Wahrnehmung kommentierte, daß man „fast keine Deutschen mehr“ sieht) gründet in dieser Unterscheidung von Mensch und Sklave, die der Unterscheidung von Deutschen und Ausländern zugrunde liegt. Der Wahrheitsbegriff, der in dem „Das kann doch nicht wahr sein“ zitiert wird, ist der der „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“; in seinen identitätstiftenden logischen Grundlagen steckt real ein nationalistisches Element (deshalb war die Logik so wirksam, wonach nur Deutsche Menschen und zur Weltherrschaft berufen waren; Juden waren keine Menschen). Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, entfaltet heute seine unheilvolle Logik: In der positivistischen Beharrung auf der intentio recta steckt die ganze Herrschaftsmaschinerie, die Ausblendung der Arbeiter, der Haß auf die Fremden und die Verachtung der Ausländer. Im Kern dieser Logik, sie gleichsam stabilisierend, steckt ihr ästhetischer Grund, stecken die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere die Raumvorstellung. Ist nicht der Name des Gottesknechts der Kern der Nachfolgelogik? Und müßte die Xenophobie nicht eigentlich Gastfeindschaft heißen (die Bekenntnislogik hat der Gastfreundschaft den Boden entzogen)? Habermas braucht die Theologie nicht mehr: die Naturwissenschaften liefern ihm einen entsühnten Weltbegriff ohne den Umweg der Opfertheologie. Gehört nicht zur Kritik der Moderne die Reflexion der Geschichte ihres Begriffs? Ist er nicht zuerst im Namen der devotio moderna aufgetreten, und gehort zur devotio moderna nicht die Ersetzung der Nachfolge durch die imitatio (Thomas a Kempis)? Die Vernichtungsphantasien, die die Bilder der Masse auslösen, sind das Produkt einer projektiven Verschiebung des Bewußtseins der Ich-Vernichtung, der Selbst-Aufgabe, die das „Aufgehen in der Masse“ impliziert. Darin gründet die Brisanz, das – weiß Gott – nicht Ungefährliche des Slogans „Wir sind das Volk“. Wer sich selbst als Volk, und d.h. als Teil einer Schicksalsgemeinschaft begreift, ist auf dem Sprunge, zum Schicksal für andere zu werden. Die Nazis haben den Judenmord als präventive Notwehr verstanden. Die Katstrophe wird absehbar, wenn es zu der Logik, die den Faschismus beherrschte, keine Alternative mehr geben wird: wenn die Theologie aufgibt. Wenn der Atheismus siegt, und es gibt auch einen Atheismus in der Theologie, hat Hitler gesiegt. Es gibt eine Situation, in der die Theologie auf den einfachen Satz sich reduziert, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Dem selbstreferentiellen, projektiven und paranoiden Blick der Welt ist dieses Herz verschlossen. In den gleichen Zusammenhang gehört der Satz, daß das Jüngste Gericht nicht das Hegelsche Weltgericht ist, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Hegels Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen“, ist der Schlüssel für diesen ganzen Bereich. Das Andere ist das Andere für mich (und für alle Anderen); die Logik des Andersseins ist die Logik des Reichs der Erscheinungen, das beherrscht wird von den Totalitätsbegriffen Natur und Welt. Die Differenz zwischen den Kosmogonien und den Kosmologien, die die Grenzscheide markiert zwischen Mythos und Philosophie, kehrt in den Kosmologien, im Bereich der Philosophie, wieder als Differenz von Natur und Welt. Alle Naturbegriffe sind durch den Weltbegriff domestizierte kosmogonische Begriffe, während alle Weltbegriffe im Naturbegriff reflektierte kosmologische Begriffe sind. Alle Weltentstehungslehren sind Mythologien, nicht zuletzt auch die Theorie vom Urknall, die die aus dem Entropiebegriff entwickelten Endtheorien in eine Anfangstheorie umgekehrt hat.
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22.08.1996
Enthält der Ausdruck „durch die Blume sprechen“ nicht einen Hinweis auf die Sprache der Pflanzen (und des Unbewußten, des Es)? In welcher Beziehung stehen Gärten (der Garten des Paradieses eingeschlossen) zum Unbewußten? Ist nicht der Garten eine Verkörperung des Metaphorischen (während Tiere das Symbolische verkörpern), und ist der Islam, der das Paradies, mit Quellen, Bäumen und Blumen, ans Ende setzt, ein Opfer der Metaphorik? Sind Metaphern objekt- und naturbezogen, Symbole begriffs- und weltbezogen (und wurde das Opfer Kains deshalb nicht angenommen, das Opfer Abels dagegen doch)? Der Vorwurf des Selbstmitleids, der auf andere grundsätzlich nicht anwendbar ist, dient vor allem dazu, den Blick des Mitleids zu unterdrücken, dem andern die Schuld zuzuschieben. Der Vorwurf des Selbstmitleids ist ein Instrument der Schuldverschiebung. Er macht den andern zum stellvertretenden Opfer, das das verdrängte eigene Mitleid sühnen soll. Er verstopft die Quelle der Barmherzigkeit. Der an andere adressierte Vorwurf des Selbstmitleids gehört zur Logik der Vergewaltigung wie auch der Folter. Der Schuldvorwurf ist prophylaktisch, er rechtfertigt schon im Voraus die Gewalt, die dem Andern dann angetan wird. Indikativ und Imperativ: Auch das imperativische Gesetz steht im Indikativ, als Ausdruck des Seins, dem jeder gehorchen muß, und zwar unabhängig davon, ob es einsichtig und vernünftig ist oder nicht. Zur Legitimation des Gesetzes genügt der Hinweis auf die Macht, die in ihm sich ausdrückt. Der Imperativ der Lehre dagegen gründet in ihrer vollständigen Durchsichtigkeit, der Indikativ der Lehre ist der Ausdruck dieser Durchsichtigkeit, in der ich mich selbst wiedererkenne. Das Dogma verschiebt den imperativen Charakter der Theologie vom Inhalt auf die Form; es trennt den Gehorsam als Glaubensgehorsam vom Hören und vom Tun. Das Dogma war das Instrument der Rehabilitierung der Väter. Wenn die Fähigkeit, sich in den Angeklagten hineinzuversetzen, verdrängt wird und schwindet, wird das Recht zum organisierten Rachetrieb. Das Institut der Strafe verweist darauf, daß es im Recht nicht um die Opfer geht, sondern um die Legitimierung des Rachetriebs. Das „gesunde Rechtsempfinden“ der Nazis hat aus der Abfuhr des Rachetriebs einen hygienischen Akt gemacht (und wie es scheint, ist er das im Verständnis der Deutschen geblieben). Der Staat befriedigt gleichsam stellvertretend den Rachetrieb und die Mordlust seiner Bürger (deshalb waren Hinrichtungen im Mittelalter öffentlich), und er entsühnt ihn zugleich, indem er die Schuld daran auf sich nimmt. Vor diesem Hintergrund wird der deutsche Titel für denm öffentlichen Ankläger, der Titel des Staatsanwalts (der in der Anklage den Staat verteidigt) verständlich. Die Strafe, die an anderen verfolgt, was der zivilisierte Mensch sich selbst verbieten muß, hat ihr Maß an der Gewalt, die diese Verdrängungsleistung erfordert. Was in den Knästen sich zuträgt, nimmt man ebenso nicht wahr, wie man den Blick ins eigene Unbewußtsein sich verbietet. Auch die Gefangenen in den Knästen leiden stellvertretend, und ihr Leiden wird durchaus als entsühnend (allerdings nicht als befreiend) erfahren: Draußen sind die 99 Gerechten, die den Gefangenen, wenn sie sich herausnehmen, ihr Leiden auch zu äußern, Selbstmitleid vorwerfen. Das theologische Konstrukt des stellvertretenden Sühneleidens hat die Erlösten zu Komplizen der Täter (und das Christentum zu einer Religion des Herrendenkens) gemacht. Deshalb wurden die Juden als „Gottesmörder“ verfolgt: Es gibt kein stellvertretendes Sühneleiden ohne Wiederholungszwang.
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19.08.1996
19.08.1996
kabod: die „Herrlichkeit“ (Gottes), die Buber gelegentlich mit „Wucht“ übersetzt, hängt der Wortbedeutung nach mit der Schwere (dem Belastenden, der Last?) zusammen. Steckt darin nicht ein Hinweis auf den Satz vom Rind und Esel, die nicht zusammen vor einen Pflug gespannt werden sollen: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr? Du sollst die Herrlichkeit Gottes nicht zum Joch (zur Last für andere) machen, die Attribute Gottes (die Elemente seiner Herrlichkeit) stehen im Imperativ, nicht im Indikativ. – Wer ist der Dominus Deus Sabaoth?
Wenn der Stier, das Rind, (und mit ihm das Tieropfer überhaupt) in der christlichen Symbolik entfällt, hängt das nicht damit zusammen, daß, wäre das Christentum realisiert, es kein Joch (keine Aufbürdung der Last auf andere) mehr geben dürfte? Aber sind nicht das Inertialsystem, die Geldwirtschaft und die Bekenntnislogik (die Verkörperungen der transzendentalen Ästhetik, die den kantischen Totalitätsbegriffen zugrunde liegen) Reflexionsformen des Selbsterhaltungsprinzips und Formen der Entlastung durch Schuldverschiebung? Hat der Naturbegriff das Symbol des Rindes absorbiert, aus dem Blickfeld gerückt?
Hängen die Hörner der apokalyptischen Tiere (die Attribute, durch die der Drache und das Tier aus dem Meere sich unterscheiden) mit dem Joch zusammen?
– Der Drache hat sieben Köpfe und zehn Kronen, und auf seinen Köpfen sieben Kronen (Off 123),
– das Tier aus dem Meere hatte zehn Hörner und sieben Köpfe und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Köpfen gotteslästerliche Namen (ebd. 131), während
– das Tier vom Lande (der falsche Prophet) zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie ein Drache (1311).
Machen wir heute nicht zu leichtfertig unseren Geschmack (anstelle des Worts) zu einem Kriterium unseres Religionsverständnisses, in dem „Gott“ dann nur noch als ein dekoratives Element vorkommt? Hier bleibt eigentlich nur noch übrig, allen Theologen die Lektüre der Kritik der Urteilskraft (insbesondere die logische Ableitung des Geschmacks) ans Herz zu legen. -
18.08.1996
Natur ist ein Exkulpationsbegriff, der von der „Last“ des richtigen Lebens (der Barmherzigkeit) befreit. Mit dem Begriff der Natur (und hinter seinem Rücken: dem Bewußtsein nur durch Reflexion zugänglich) konstituieren und entfalten sich die im Weltbegriff zusammengefaßten Herrschaftsstrukturen. Deshalb ist die Geschichte der Naturerkenntnis ein Teil der Herrschaftsgeschichte, deren Erkenntnis sie zugleich ausblendet.
Jede historische Gestalt der Naturerkenntnis war ein Mittel der Rechtfertigung des jeweils Bestehenden; mit dessen Änderung veraltet auch die ihm jeweils korrespondierende Gestalt der Naturerkenntnis. Der große Fisch und das Vieh im Buch Jona: sind das Leviatan und Behemot? Mit dem Begriff der Buße wurde das herrschaftskritische Element im Begriff der Umkehr ins Autoritäre zurückgebogen. Symbol und Typos konstituieren sich als Erkenntnisbegriffe nur durch die Kritik von Natur und Welt (durch die Kritik der historisierenden Vergegenständlichung) hindurch. Exemplarisch für diese kritische Beziehung zur Objektivität ist die symbolische Beziehung der Schlange zum Neutrum und die logische Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren. Verhält sich der Stier zum Naturbegriff wie die Schlange zum Neutrum?
Indogermanisches: Die christianisierten Neutrum-Sprachen sind Sprachen im Bauch des Fisches (Jonas bekennt sich, bevor er ins Meer geworfen und vom Fisch verschlungen wird, als Hebräer). Haben die Christen den Namen der Hebräer nicht seit je als eine spezielle Anwendung (und antijüdische Radikalisierung) des Namens der Barbaren mißbraucht? Der Symbolbegriff bezieht sich auf die Natur, der des Typos auf Welt und Geschichte, und zwar beide als Mittel der kritischen Reflexion. Der Bekennende gibt sich zu erkennen, dieses Bekenntnis (dessen Paradigma das Schuldbekenntnis ist: Ausdruck der Wehrlosigkeit) wird durch die Bekenntnislogik ins Gegenteil verkehrt: die Bekenntnislogik macht das Bekenntnis zur Maske, den Bekennenden zur Person: sie macht die Welt zum Subjekt des Bekenntnisses (und wird so zu einem Instrument der Welt- und Objekt-Erkenntnis). Jesus hat die Bekenntnislogik in der Gestalt des Pharisäers zum Objekt der Kritik gemacht. Durch Historisierung der Pharisäer (wie auch der Propheten) hat das Christentum diese Kritik externalisiert und zu einem Instrument des Antijudaismus gemacht. Für die Christen waren die biblischen Pharisäer gleichsam Pharisäer von Natur, ihr Pharisäertum eine Natureigenschaft (hier liegt eine der Wurzeln des Rassismus), die Christen sind durch diese projektive Verschiebung nicht mehr nur zu Pharisäern, sondern zu Rassisten geworden. Die Logik des Satzes „Rich-tet nicht …“ läßt an dieser Konstellation sich demonstrieren; die Bekenntnislogik ist die Logik der Verurteilung. Sind die Wolken der Zeugen die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn kommen wird? Das Herrengebet hat die Christen ins Leere, in die Wüste geschickt: Wie können sie den Namen heiligen, wenn sie ihn nicht kennen? So wurde aus der Heiligung des Gottesnamens das Verbot des Fluchens (das wahr wird, wenn man es moralisch, als Norm des Handelns, und nicht verbal versteht: als Herrschaftskritik und nicht als Verbot der Majestätsbeleidigung, der „Verunglimpfung“ von Herrschaftssymbolen). Jedes Verurteilen ist ein Fluchen; und dieses Fluchen konstituiert die Wege des Irrtums (den bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist). Hat die Erfindung der Schrift etwas mit dem Versuch der Rekonstruktion der Planetenbewegungen zu tun? Und verweist nicht das Planetensystem (wie auch der hebräische Name des Himmels) auf die Beziehung von Schrift und Wort? Am Ende wird sich der Himmel wie eine Buchrolle aufrollen. Die folgenreichste Wirkung der kopernikanischen Wende war, daß sie die Schrift dieses Buches gelöscht hat. Kohelet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Deshalb ist des Bücherschreibens kein Ende. Ist nicht Kants Wort über den Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir der Beweis, daß er mehr wußte als er sagen konnte? Kant = Jona: Die Kritik der reinen Vernunft ist der Bauch des Fisches, die Kritik der praktischen Vernunft das Gebet im Bauch des Fisches, und mit der Kritik der Urteilskraft hat der Fisch Jona an Land gespien (dort aber reichte sein Sprachvermögen nur bis zu dem Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört). Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe. Dazu eine Warnung: Der Messias wird in der gleichen Gestalt wiederkommen, nicht aber der Antichrist. Verhalten sich die hebräischen und die griechischen (indoeuropäischen) Deklinations- und Konjugationsformen zueinander wie die Wasser über und die Wasser unterhalb der Feste des Himmels (wie Name und Begriff, Wort und Schrift)? Ist nicht der Himmel das erste Geschöpf, dazu das einzige, das dann als Name Verwendung findet? Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte: Heißt das, daß, wer Joseph nicht mehr kennt, wie Pharao wird? Wenn der Herr sich als Urheber der Verstockung bekennt, ist das nicht der Herr, den Pharao nicht kennt (und ist das die Ursache der Verstockung)? Auch wenn Gott das Herz des Pharao verhärtet, verstockt Pharao sich selbst. Und ist nicht das Gottsuchen der einzige Weg, der aus der Verstockung herausführt? Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: In der objektivierenden Anschauung des Andern erkenne ich meine eigene Nacktheit. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
Der „eliminatorische Antisemitismus“ war die Einübung ins Herrendenken, das nach dem Krieg (auf der Grundlage der kollektiven Verdrängung und im Prozeß der Metamorphosen des Feindbilds) als ausgesprochen karrierefördend sich erwiesen hat. Auschwitz steckt in den Fundamenten der Nachkriegsgesellschaft (nicht nur in Deutschland), diese Vergangenheit ist nicht nur vergangen.
Adornos Bemerkung, daß heute jeder Katholik schon so schlau sei wie früher nur ein Kardinal, gehört in den gleichen Zusammenhang. Dem Antisemiten (ähnlich wie dem Folterer) beweist jede Lebensäußerung des Opfers (jeder Ausdruck der Qual, die der Folterer ihm zufügt) das Recht und die Notwendigkeit, es zu quälen. Das verleiht dem Antisemitismus (aber auch seinen Nachfolgekonstrukten) eine Beharrungskraft, eine inertiale Gewalt, die inzwischen die gesellschaftliche Bewegung insgesamt durchdringt, sie dem mechanischen Prozeß, mit dessen Logik sie seit ihrem Ursprung aufs engste verbunden ist, endgültig angleicht. Der apagogische Beweis (dessen Analyse noch aussteht) ist der Beweis durch Verdrängung. Und die Vorstellung des unendlichen Raumes, die keine ist (der unendliche Raum läßt sich nicht „vorstellen“), gewinnt ihre Überzeugungskraft und ihre logische Gewalt allein aus den Verdrängungsprozessen, die die Anpassung an die Welt (das Selbsterhaltungsprinzip) heute erzwingt. Hegels Kritik des apagogischen Beweises (Logik I, Ausgabe Meiner 1951, S. 231ff, insbesondere S. 236), die ihn nicht auflöst, sondern instrumentalisiert, ergreift (obwohl sein Text das Gegenteil suggerieren will) die Partei der Welt gegen das Subjekt. Verweisen nicht die Aporien des kopernikanischen Systems, in dem bei gleichmäßiger Verteilung der Materie im Universum nicht sich erklären läßt, – weshalb es nachts dunkel ist und – weshalb die Gravitationskräfte, die sich eigentlich akkumulieren müßten, nicht unendlich und chaotisch sind, auf einen inneren Zusammenhang von Gravitation und Licht, und ist es nicht in der Tat merkwürdig, daß Newton, der das allgemeine Gravitationsgesetz entdeckt hat, auch die Grundlagen für die physikalische Optik gelegt hat, und daß Einsteins Relativitätstheorien durch ihre Beziehung zum Licht und zur Gravitation sich unterscheiden? Ist das Inertialsystem die Feste des Himmels, die im Namen des Himmels die Einheit von Wasser und Feuer repräsentiert, und hat nicht Einsteins spezielle Relativitätstheorie den Zusammenhang beider erstmals notiert: das Wasser im Relativitätsprinzip und das Feuer im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (das konkret nur auf thermische <oder allgemein: mikrophysikalische>, nicht auf makrophysikalische Objekte und Prozesse sich bezieht; die Beziehung der speziellen Relativitätstheorie (des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) zur Planckschen Strahlungsformel ist nicht nur eine zufällige, historische, sondern beide beziehen sich, in unterschiedlicher Perspektive, auf den gleichen logischen und empirischen Sachverhalt: auf die Wechselwirkung kinetischer und elektrodynamischer Prozesse)? Sintflut: War der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“, der die Geschichte der Philosophie eröffnete, die erste Formulierung des Relativitätsprinzips? -
16.08.1996
Zum Milgram-Experiment verweist Goldhagen auf eine Studie, die nachweist, daß es in diesem Experiment nicht um Gehorsam, sondern um „Vertrauen“ ging (Hitlers willige Vollstrecker, S. 665, Anm. 19). Heißt das gleiche Vertrauen in der christlichen Tradition nicht „Glaube“?
Gründet die Logik dieses Glaubens nicht in der gleichen Konstellation, zu der auch der individualisierende Akt des Ursprungs des Charakters gehört (vgl. hierzu Rosenzweigs „Stern der Erlösung“), und verweist diese Konstellation nicht auf die Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs? Korrespondiert der Charakter nicht dem Gattungsbegriff im Tierreich und dessen Beziehung zum Weltbegriff, und ist er nicht (wie auch der Glaube) eine der Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt? Gibt es noch andere (wie es scheint, genau bestimmbare und abzählbare) Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt, und ist der Kern dieser Reflexbildungen in den subjektiven Formen der Anschauung verborgen, die durch ihre neutralisierende Gewalt zugleich als Instrument der Verblendung in ihnen sich erweisen? Gründet hierin das Problem der sieben unreinen Geister, von denen Maria Magdalena befreit wurde?
Ist nicht jeder Götzendienst Sternendienst?
Sh. die ungeheure Geschichte im Buch Jonas: Erst das Volk, dann der König, und der König ruft mit dem Volk dann auch das Vieh, „Rinder und Schafe“, zur Buße auf. Rinder und Schafe sind Opfertiere; Esel wurden nicht aufgerufen.
Ist es nicht ein gemeinsamer Hang zum Populismus, der, indem er in vorauseilendem Gehorsam den kollektiven Rechtfertigungszwängen folgt, taz und Publik Forum immer mehr aus ihren kritischen Anfängen heraus- und in immer gefährlichere Zonen hineintreibt? Symbolfigur dieses Trends in Publik Forum ist mittlerweile wohl Eugen Drewermann, der sich seinen Mut an der heute ohnehin ohnmächtigen Kirche beweist, während er zugleich jede wirkliche Herrschaftskritik denunziert.
In den dreißiger Jahren gab es eine Schallplatten-Reklame, die mit einem Bild warb, auf dem ein Hund aufmerksam einer Schallplatte lauscht; dazu der Slogan „die Stimme seines Herrn“. So hat das ganze Volk bei „Führer-Reden“ vorm Lautsprecher gesessen.
Hat der Nationalsozialismus nicht das Instrumentarium gleich mitgeliefert, das den kollektiven Verdrängungsakt am Ende des Kriege ermöglichte? Die Verbrechen der Nazis waren mit ihrer „Weltanschauung“ nicht rational (durch Begründung), sondern nur durch die Bekenntnislogik (durch ein Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) verbunden, die es ermöglichte, die Verbrechen durch den kollektiven Bekenntniswechsel (durch ein anderes Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) gleich mit zu verdrängen. Seitdem hat – bis in die Theologie hinein – das Bewußtsein sich ausgebreitet, daß es auf den Inhalt einer Religion (eines „Bekenntnisses“) garnicht so sehr ankommt, sondern nur darauf, eine zu haben. Die Instrumentalisierung der Bekenntnislogik durch Nazis, die der Kern des „eliminatorischen Antisemitismus“ war, ist offensichtlich nicht mehr rückgängig zu machen.
Naturwissenschaft: Selbstverblendung durch Erkenntnis.
Gründen die drei evangelischen Räte in ihrer Beziehung zu den drei transzendentalen Formen der Logik:
– die Armut in der Beziehung auf die durchs Tauschprinzip (durchs Geld) beherrschte Welt,
– das Hören in der Beziehung auf die durchs Inertialsystem (durch die „subjektiven Formen der Anschauung“) beherrschte Natur und
– die Keuschheit auf die Beziehung zu den durch die Bekenntnislogik von Selbstreflexion und Herrschaftskritik „befreiten“ Formen der Erkenntnis und des Wissens? – Ist die Bekenntnislogik der „Unzuchtsbecher“?
Hat der „Dieb in der Nacht“ etwas mit der Tötung der Erstgeburt, die um Mitternacht erfolgte, zu tun?
Jesus wußte sich zu den verlorenen Kindern Israels gesandt; Paulus hat begriffen, daß die Rettung Israels nur über die Völker (die „Heiden“) möglich ist; die Kirche hat daraus die Verwerfung Israels abgeleitet, anstatt in der Rettung Israels die eigene zu begreifen. Auschwitz ist der Greuel am heiligen Ort.
Die Ängste, die während des Krieges insbesondere in der katholischen Kirche verbreitet waren: Heute die Juden, morgen sind wir dran, waren nur insoweit unbegründet, als sie nach der Niederlage der Nazis ihren Urheber verloren zu haben schienen. Aber hatten sie ihn wirklich verloren, hatte die Kirche, als sie vergaß, daß sie selbst mit zur Ursprungsgeschichte dieser „Urheberschaft“ gehörte, diese nicht schon so sehr verinnerlicht, daß sie für sie nur nicht mehr sichtbar (dafür aber umso gefährlicher geworden) war? Mit dem Verrat der Juden, deren Leiden sie nicht wahrzunehmen fähig war, hat die Kirche sich selbst verraten. Ausdruck dieses Verrats ist nicht zuletzt der Zustand der Theologie heute.
Die Deutschen mögen Hitlers willige Vollstrecker gewesen sein (und sie waren es), aber war Hitler nicht der „willige Vollstrecker“ des Selbstverrats der Kirche? Der Antisemitismus hat kirchliche Wurzeln, Deutschland war nur das Treibhaus, in dem diese Pflanze zu ihrer vollen Pracht sich entfalten konnte.
Kann es sein, daß das Hethitische, in dem das Neutrum durch den Verzicht auf die grammatische Geschlechtertrennung erkauft war, zur Ursprungsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen gehört? Ist der Ursprung des Neutrum durch die sprachliche Verdrängung des Weiblichen vermittelt (das in der Folge dann nur in dritten Person wieder erscheint, während im Hebräischen die Geschlechtertrennung auch in der zweiten Person noch gilt)?
Wenn Hitler in der „Masse“ eine weibliche Komponente erkannte, steckt darin nicht die merkwürdige sprachlogische Beziehung des Feminimum zum Plural im Deutschen? Beim bestimmten Artikel, wo das Femininum zur Grundlage des Plural geworden ist, erscheint im Genitiv und Dativ des femininen Artikels die Nominativform, beim Plural im Genitiv die Nominativ-, im Dativ die Akkusativform (!) des singularen maskulinen Artikels, in beiden Fällen sind Eigentum und Herrschaft sowie das Geben, Gewähren, auf einen männlichen Adressaten bezogen. Es ist davon auszugehen, daß diese sprachlichen Beziehungen nicht zufällig sind, daß es sich nicht nur um äquivoke Beziehungen handelt, sondern (wie auch im „Sein“, das sowohl den Infinitiv des Hilfsverbs wie auch das Possessivpronomen der dritten Person singular bezeichnet) sprachlogische Beziehung, die zu entschlüsseln wäre. Nicht auszuschließen, daß die Ontologisierung einer männlichen Possessivbeziehung im Namen des Seins den Schlüssel hierzu liefert.
Der Rassismus blendet die Herrschaftskritik aus, er erspart sich die Reflexion dadurch, daß er einem sprachgeschichtlichen Sachverhalt einen biologischen substituiert. Die Logik dieser Substitution ist im Weltbegriff vorgebildet, durch den Weltbegriff determiniert. Im Grunde ist jede Sprachforschung, die die Geschichte der Sprache vom herrschaftsgeschichtlichen Prozeß trennt und an die Geschichte von Völkern und Stämmen bindet, immer noch rassistisch.
Hat nicht die lateinische Sprache, und zwar unter einem großen sprachlogischen Zwang, das Evangelium durchs Dogma ersetzt?
Der Satz, daß der Menschensohn Herr des Sabbath ist, hat etwas mit der Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern (die ebenso wie der Sabbath auf das antike moralisch-kosmologische Verständnis des Planetensystems, auf die Astrologie, verweist) zu tun.
Wachet und betet: Ist das nicht die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit? Der Nazi-Slogan „Deutschland erwache“, der eigentlich auf das vollständige Vergessen, auf die Unterdrückung des Eingedenkens, zielte, ist das Produkt einer schrecklichen Verschiebung. Dieses „Deutschland“, das seiner nicht spotten läßt, ist der Kern und der Inbegriff einer pathologischen Empfindlichkeit, der Energielieferant der antisemitischen Wut und Aggression. Im Kern dieses Namens steckt eine, wie es scheint, unheilbare Paranoia.
Mit der Begründung seiner Entscheidung, Jude zu bleiben, hat Franz Rosenwzeig gleichzeitig Vorkehrungen getroffen gegen ein Mißverständnis des Sterns der Erlösung. Er hat jedes missionarische Verständnis dieses Buches im Vorhinein ausgeschlossen, er hat der Proselytenmacherei, aber auch einem etwaigen Wunsch eines Christen, nach der Lektüre dieses Buches zum Judentum zu konvertieren, einen Riegel vorgesetzt, der nicht mehr zu lösen ist. Aber war der Preis dieser Abgrenzung, die Bindung des Jüdischen ans Blut, nicht zu hoch?
Das griechische physis ist männlich, das lateinische natura (wie die daraus abgeleitete Natur) feminin; darin spiegelt sich die unterschiedliche Sprachwurzel, die im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist. kosmos und mundus sind beide männlich, die deutsche Welt ist feminin. Kann es sein (und hängt das hiermit zusammen), daß die Namen der Nationen im Deutschen (wie der Name mizrajim im Hebräischen – heißt deshalb der ägyptische König Pharao?) Kollektivnamen sind, während sie in den alten (und in den anderen europäischen) Sprachen sonst durch ein grammatisches Geschlecht bestimmte individuelle Begriffe sind? Liegt nicht die Schwierigkeit (und der Wendepunkt) darin, daß der logische Status der Namen der Nationen zusammen mit dem mittelalterlichen „Realismus“, der den Begriffen objektive Realität zuerkannte, in der Ursprungsgeschichte des den Nominalismus begründenden Inertialsystems obsolet geworden und untergegangen ist?
Im Deutschen sind die Namen der Nationen Kollektivbegriffe und Totalitätsbegriffe zugleich, die wie die Gattungsnamen durch Gebrauch des (bestimmten oder unbestimmten) Artikels auf die „Exemplare“ der Nation (oder der Gattung) sich beziehen. Sie sind eigentlich hypostasierte Adjektive: sie drücken eine gemeinsame Eigenschaft unterschiedlicher Individuen aus. Nationen stehen wie Gattungen in Konkurrenz zum Weltbegriff …
In welcher Beziehung stehen Nationennamen zu den Abstrakta, zur Hypostasierung von Eigenschaften, die in der Regel mit Suffixen wie -heit oder -keit gebildet werden? Welche sprachlogische Bedeutung haben die Bildungen auf -tum (wie Deutschtum, Judentum, Heidentum, aber auch Reichtum, Eigentum u.ä.)?
Sind nicht das Gerundium, auch das Supinum (die nicht auf Ei-genschaften, sondern auf Tätigkeiten sich beziehen), lateinische Vorläufer dieser Abstrakta? In imperialen Zusammenhang werden die Abstrakta durch ihre Beziehung auf Eigenschaften (die zusammen mit dem Dingbegriff sich konstituieren) gerückt, die die Dinge beherrschbar machen (Zusammenhang mit dem Ursprung des Trägheitsprinzips).
Sind die philosophischen Akzidentien nicht die ersten hypostasierten Adjektive?
Der Unterschied zwischen physis und natura drückt in der Frage sich aus, ob Eigenschaften durch Zeugung oder durch Geburt vererbt werden. (Hat nicht die Trinitätslehre diese beiden Aspekte getrennt: der innertrinitarischen Zeugung ohne Geburt entsprach die homousia, der irdischen Geburt ohne Zeugung die Inkarnation, die Menschlichkeit des Gottessohns. Und wenn Paulus „Römer von Geburt“ war, war er dann nicht Römer „von Natur“, und konnte die Geburt nicht durch eine Adoption ersetzt werden?)
Die Ware, die nur noch Exemplar eines Kollektivs ist, so daß die Exemplare nicht mehr von einander sich unterscheiden lassen (eines Kollektivs von Dingen mit identischen Eigenschaften, in denen das Wesen und die Qualität der Ware begründet ist), ist weiblich! Waren nicht Sklavinnen die ersten Waren? – Wie hängt der Name einer Nation mit dem eines Markenartikels zusammen, der ihn heute zu beerben scheint?
Hängt die Ware mit dem Imperfekt von Sein („war“) zusammen wie das Possessivpronomen der dritten Person männlich mit dem Infinitiv Sein?
War nicht der Name Edom („Roter“) der erste auf eine Eigenschaft gegründete Name (und Edom war der Name der ersten Königtümer, später der Deckname für Rom)? Im Lateinischen entspricht ihm der Name Rufus! (Simon von Cyrene war der Vater des Alexander und des Rufus: Klingen darin der Hellenismus und das Römische Reich an? – Paulus hatte mit Rufus eine gemeinsame Mutter?)
Gehören das Symbol und der Typos zum Begriff einer Erkenntnis, die an der Idee der Auferstehung sich orientiert (die Idee der Auferstehung verändert die Erfahrung von Natur und Geschichte)? Die Idee der Auferstehung gilt nur den Andern, niemals dem, der sie hegt: Sie ist Teil der Hoffnung, die uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben ist.
Das Harmloseste, das man von den Angriff auf Adorno, den Schmid-Noerr mit völlig unzureichenden Kategorien beschreibt, sagen kann, ist, daß hier zwei Welten auf einander geprallt sind. Aber sind nicht auch in Auschwitz zwei Welten auf einander geprallt? Ich befürchte, daß man nicht ausschließen kann, daß das Bewußtsein, daß Adorno Jude war, mit hereingespielt hat. Ich würde gerne wissen, was aus den jungen Frauen geworden ist.
Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war ein Mittel, historische Prozesse reflexionsfähig zu machen; es hat dann allerdings zugleich die so reflektierte Geschichte wieder historisiert (und zwar dadurch, daß man, nach dem gleichen Prinzip, das bereits den mythischen Kosmologien zugrundelag, einem Prozeß der zweiten Natur einen der ersten substituiert hat).
Kann es sein, daß das Wort der drei Weisen aus dem Morgenland: Wir haben seinen Stern gesehen, auf ein politisches und nicht auf ein astronomisches Ereignis sich bezog? -
15.08.1996
Unter den neutestamentlichen Namen kommen Abraham und Isaak, Moses und Aaron, David und die Namen der Propheten nicht vor (mit zwei Ausnahmen: Zacharias ist Sacharja, und Simon Petrus wird einmal als Barjona, Sohn des Jonas, bezeichnet). Die am häufigsten vorkommenden Namen sind: Simon und Judas, Jakobus und Johannes, Joseph; auffällig sind der jüdische Gebrauch griechischer (und römischer) Namen: Andreas, Philippus, Alexander (Petrus, Paulus, Rufus). Bei den Frauen ist Maria fast ein Standard-Name, dazu Elisabeth, Hannah, Martha, Salome, Susanna.
Unterstellt nicht dieses falsche Adorno-Zitat von Habermas „Eingedenken der gequälten Natur“, daß Adorno nur mit dem Negativen sich befaßt habe (nur mit der gequälten Natur, nicht mit der anderen Natur, was immer das sein mag)? Wer der Natur-Kritik glaubt enthoben zu sein, verdrängt die Wahrnehmung des Schreckens und verliert die Fähigkeit zur Kritik des Bestehen.
Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Hinweis darauf, was mit dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, gemeint ist? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird. Steckt nicht hinter dieser Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz ein politisches und ein sprachlogisches Problem zugleich (und sind nicht die zentralen politischen Probleme zugleich auch sprachlogische Probleme)?
Der Symbolbegriff schließt den affirmativen Gebrauch aus; es gibt keine ein für allemal gültigen Zuordnungen der Symbole zu ihren Bedeutungen. Das Symbol ist ein Reflexionsmedium, das gegen die verdinglichende Gewalt des Urteils sich richtet, diese Gewalt gegenstandslos macht. Es ist der Vorschein der Erfüllung des Worts, die nicht mehr nur im Medium der Sprache sich vollzieht.
Beziehen sich nicht die drei Verdrängungsakte, die die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis als ihr Schatten begleiten:
– die Verdrängung der Sinnlichkeit (die in den Objekten keinen Halt mehr findet),
– die Verdrängung der Kritik (deren Subjektivierung zur bloßen Meinung) und am Ende
– die Verdrängung der Schuld (die zu einem pathologischen Gefühl wird, von dem das aufgeklärte Subjekt sich freizumachen hat -hierher gehört der ungeheure Verdrängungsakt, der nach dem Krieg die Schrecken des Faschismus durch Objektivierung der Erfahrung entzogen hat),
auf die drei theologischen Themen, die am Angesicht, am Feuer und am Namen sich entzünden? Ist nicht das Angesicht der Schlüssel zur sinnlichen Erfahrung, das Feuer das Symbol der Beziehung der Kritik zur Idee der Wahrheit, und ist es nicht der Name, der die Fähigkeit der Erinnerung und Reflexion der Schuld begründet? Schuld wird zu einem pathologischen Gefühl, wenn der Name (wie der Gottesname in der Trinitätslehre) zu Schall und Rauch wird.
Verhalten sich nicht Angesicht und Name wie Nähe und Ferne, und sind nicht beide durch das Feuer auf einander bezogen? Ist nicht der Name das unendlich Ferne, das Gesicht das unendlich Nahe, bezeichnen sie nicht die beiden Grenzen der räumlichen Unendlichkeit (die des unendlich Großen und des unendlich Kleinen), die durch die Orthogonalität auf einander bezogen sind?
Wenn das Angesicht und der Name etwas mit der Form des Raumes zu tun haben, dann hat die Reflexion und Kritik der Form des Raumes etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun: mit der Idee des Leuchtens Seines Angesichts.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Plancksche Strahlungsformel rühren gemeinsam an das im Orthogonalitäts-Problem verborgene Problem des Feuers.
Die Sinnfrage (die John L. Berger zufolge die Grundfrage der Religion ist) leugnet die Auferstehung. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, ontologisiert den Habitus des „neutralen Zuschauers“, der weder neutral noch bloß Zuschauer ist, er ontologisiert den Habitus des Herrenblicks (den heute das Fernsehen kultiviert); er leugnet die moralische Gemeinschaft mit der Welt und zerstört das moralische Selbstverständnis der Menschen. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, möchte die Last der moralischen Pflichten, die darin gründet, daß das Sein keinen von ihrem moralischen Verständnis (von der Sensibilität, von der Fähigkeit zur Wahrnehmung des Leidens) unabhängigen Sinn hat, loswerden. Das Bedürfnis nach Sinn ist eine Konsequenz aus dem objektivierenden Verständnis des Seins.
Die Frage nach dem Sinn von Sein ist antisemitisch (eine Ursprungsgestalt des eliminatorischen Antisemitismus im Sinne Daniel Goldhagens).
Gibt es außer dem Blut des Abel und dem Leiden der Israeliten im Sklavenhaus Ägypten noch andere Dinge, die „zu Gott, zum Himmel schreien“? Ist der Schrei die Ursprungsgestalt des Gottesnamens?
Der Hinweis, daß es nicht nur die eine, allen gemeinsame Welt (die eine Projektion unseres menschlichen, am Selbsterhaltungsprinzip geschulten Verstandes ist), sondern verschiedene, nach Gattungen getrennte Welten gibt, daß zu jeder Nation, zu jeder Sprache, zu jedem Beruf, insbesondere aber zu jeder Tiergattung (und diese Zuordnung ist die exemplarische) eine eigene Welt gehört, ist nicht metaphorisch, sondern in der Logik des Weltbegriffs selber begründet.
Vgl. hierzu:
– Kants Definition der Begriffe Natur und Welt sowie Hegels Begründung für seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, weil es dann nämlich keine verschiedenen Gattungen und Arten der Tiere geben dürfe: zur einen Welt gibt es nur ein Tier;
– aber auch die Geschichte der Benennung der Tiere durch Adam, an die die kantische Definition des Weltbegriffs rührt, und das apokalyptische Symbol des Tieres, das in Hegels Bemerkung über die logische Beziehung von Tier und Welt sich entschlüsselt: das Symbol des Tieres ist ein sprachlogisches Symbol;
– und schließlich die Geschichte der Tieropfer, die ihr apokalyptisches telos im Opfer des Tieres und des falschen Propheten finden wird.
Hat das Tier aus dem Meere etwas mit der griechischen (der prädogmatischen), das Tier vom Lande etwas mit der lateinischen (der postdogmatischen) Sprache zu tun?
Wie hängt das Feuer mit dem Dingbegriff, und wie hängen beide mit der Geschichte der Instrumentalisierung zusammen? -
14.08.1996
Erst durch Historisierung (durch deren musealisierende, verfremdende Wirkung) wird Religion zur Religion: zum Götzendienst.
Historisierung und die ausgrenzende Beziehung zu Fremden (die in den Namen der „Barbaren“ oder „Heiden“ sich ausdrückt) gründen in einer gemeinsamen Logik, die der ethnologische Blick (dessen apriorisches Objekt im Namen der „Wilden“ sich anzeigt) dann radikalisiert.
Ist diese Historisierung nicht der Motor der Dynamik, die die Geschichte der Philosophie beherrscht? Erst als vergangener wird der philosophische Gedanke, der in seinem Ursprung einer unmittelbaren Einsicht sich verdankt, gegenständlich, wird er zum Gegenstand der Reflexion eines andern. Ist es nicht die gleiche Vergegenständlichung, die das Licht zu einer elektromagnetischen Wellenbewegung macht, die mit Lichtgeschwindigkeit sich fortpflanzt? Wird diese Beziehung zu Vergangenem nicht durch den Raum (als Form der Äußerlichkeit) zu einer präsentischen Gewalt (zum indoeurpäischen Präsens), und ist diese Gewalt nicht die Grundlage der naturwissenschaftlichen Erkenntnis?
Feuer und Wasser, die im hebräischen Namen des Himmels eins werden, bezeichnen die beiden Seiten der einen Grenze, die die Zukunft von der Vergangenheit trennt: das Wasser aus der Sicht der Vergangenheit, das Feuer aus der der Zukunft.
Überschätzt Goldhagen nicht doch das Gewicht von „Anschauungen“, die Bedeutung ideologischer Schulung? Der Antisemitismus wird durch die Praxis gelernt, als deren Rechtfertigung er dann dient. Der Antisemitismus kommt gleichsam post festum; es gibt eine vorausgehende Grundentscheidung zur Gemeinheit, die dann des Antisemitismus, an dessen Wahrheit ohnehin niemand glaubt, zur eigenen Entlastung und Rechtfertigung sich bedient. Adressat dieser Entlastung und Rechtfertigung sind die Anderen, ist die Öffentlichkeit, deren Zustimmung das Wissen um die Unwahrheit der Ideologie verdrängen hilft. Die Verdrängung nährt und steigert die Wut, die in den Handlungen der Antisemiten sich entlädt. Und das Vorurteil hilft dann, die letzten Hemmungen zu beseitigen. Damit hängt es zusammen, wenn der Antisemit (wie auch der Sexist) von seinem Objekt nicht mehr loskommt. Es wäre eine interessante Aufgabe zu untersuchen, was es ist, was Angehörige der Polizei so anfällig fürs Vorurteil macht, ob und auf welche Weise diese Anfälligkeit mit ihrem „Auftrag“, mit den Zwängen, in die ihre beruflichen Pflichten und ihre Tätigkeit sie verstricken, zusammenhängt.
Es ist eine gemeinsame Logik, die die kirchliche Folterpraxis im Mittelalter mit der Brutalität und Gemeinheit der Nazis verbindet. Schon die mittelalterlichen Pogrome, Ketzer- und Hexenverfolgungen waren „Säuberungsaktionen“, deren Ziel es war, die Reinheit der Lehre und die Einheit der christlichen Welt wiederherzustellen und zu erhalten. Die Logik, die dem zugrundelag, war die Bekenntnislogik, zu deren Konstituentien seit je das einheitsstiftende Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehörten.
Auf S. 624 (Anm 68) bemerkt Goldhagen, daß hinsichtlich der subjektiven Reaktionen der an den Mordaktionen Beteiligten nur „von ‚Ekel‘ … die Rede sein (kann), nicht aber von ‚Scham’“. Vgl. hierzu Kants urteilslogische Bemerkung zum „Ekel“ in seiner Kritik der Urteilskraft (ist nicht Kants Bemerkung über den Ekel in der Kritik der Urteilskraft eine notwendige Konsequenz aus seinem Begriff der Lust und des Geschmacks?).
Waren die insbesondere bei Aktionen gegen Juden auftretenden Grausamkeiten und Brutalitäten (die spezifische Gemeinheit) nicht Mittel zur Gewöhnung an das Unfaßbare? So machte man die Taten auch für sich selbst, vor dem eigenen Bewußtsein, irreversibel. Das, was man ihnen antat, war der Beweis, daß es zu Recht geschah.
Akten konstituieren das Inertialsystem der gesellschaftlichen Welt; zu ihrer Erstellung und Bearbeitung bedarf es der Verwaltung, deren Handeln an das gleiche Recht gebunden ist, das den Akten praktische Relevanz verleiht.
Die Urteilsmagie gründet im Strafrecht, das das Urteil über die Strafe zu einem Instrument staatlicher Gewalt macht, seine Folgen aber zugleich ins gesellschaftliche Unbewußtsein der Knäste verdrängt (die Gefängnismauern sind Hilfsmittel der gesellschaftlichen Verdrängung), in denen die Gemeinheit herrscht, die kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Das Urteil löst den Schrecken nicht auf, es verdrängt und reproduziert ihn.
Entspringt nicht das „Restrisiko“ der Atomkraftwerke, das jederzeit zur Katastrophe sich ausweiten kann, dem gleichen Sicherheitsdenken, das auch dem Strafrecht und dem militärischen Kalkül zugrunde liegt? Zu diesem Sicherheitsdenken gehört seit je das Wegsehen, die selektive Wahrnehmung der Realität, das dem Handeln der Polizeibattaillone im letzten Krieg, auch den Exzessen der Judenverfolgung, zugrunde lag.
Von der Verurteilung der Häresien, die dem Prozeß der Dogmenbildung zugrunde lag, ist nach ihrer vollständigen Säkularisierung die Urteilsmagie zurückgeblieben. Das Urteil ist von der Bekenntnislogik (von den „subjektiven Formen der Anschauung“) nicht abzulösen. Hier liegt die christliche Wurzel des Faschismus sowie jeder Art von Staatsterrorismus. Die Globalisierung des technischen und ökonomischen Instrumentariums der europäischen Zivilisation ist durch die Einforderung der Menschenrechte allein nicht zu humanisieren, notwendig wäre, diesen Prozeß durch Erinnerungsarbeit reflexionsfähig zu machen. Das Medium dieser Erinnerungsarbeit aber ist die Theologie.
Zum „Scheusal Ägypten“: Ist nicht das gesellschaftliche Subjekt, dem das Opfer der Israeliten ein Greuel ist, das „Scheusal“? Und das Wort des Moses: „Den Ägyptern ist ein Greuel, was wir dem Herrn, unserm Gott opfern, wie es der Herr befohlen hat; wenn wir vor den Augen der Ägypter opfern, was ihnen ein Greuel ist, so steinigen sie uns“ (Ex 826), ist das nicht der zentrale, das Verständnis der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos insgesamt eröffnende Satz?
Steckt nicht das methodische Problem des symbolischen Schriftverständnisses im Problem der Beziehung der hebräischen zur griechischen (indoeuropäischen) Sprachlogik: im Problem des Ursprungs und der sprachlogischen Entfaltung des Neutrums? Hier geht es nicht darum, welches die „wahre Sprache“ ist. Vielleicht könnte man den Sachverhalt so umschreiben: Sind nicht die „Symbole“ der Schrift (wie die Schlange, die Dornen und Disteln oder der Kelch) Ausdruck eben jener sprachlogischen Elemente, durch die indoeuropäischen Sprachen von der hebräischen sich unterscheiden (wie das Neutrum, die grammatischen Grundlagen der Vergegenständlichung und Verdinglichung, schließlich die in den indoeuropäischen Formen der Konjugation vorgebildeten „subjektiven Formen der Anschauung“)? Paradigma dieser Symbolik ist der Name der Hebräer selbst: die bis in die Struktur der Sprache hineinreichende Selbstwahrnehmung als Fremde für andere; ein Name, dem im Griechischen der Name der Barbaren (die projektive Vergegenständlichung der Fremden als Grundlage des eigenen „hellenistischen“ Selbstverständnisses) gegenüber steht.
Ist nicht die Herrlichkeit Gottes das Leuchten Seines Angesichts? Und wenn es heißt, daß der Menschensohn „auf den Wolken des Himmels“, „in großer Macht und Herrlichkeit“ wiederkommen wird, hat das nicht etwas mit diesem Leuchten Seines Angesichts zu tun?
Haben nicht die gleichen Dinge, die Paulus ausblendet, während die Evangelien davon berichtetn, auch sprachlogische Bedeutung. Liegt nicht in den Wundergeschichten eine sprachlogische Sprengkraft, die nur dem Fundamentalismus und der selbstzufriedenen Erbaulichkeit verborgen bleibt? Oder auch: Wie verhalten sich die „symbolischen“ Wundergeschichten zu den „typologischen“ Personengeschichten (Maria Magdalen und die sieben unreinen Geister; die gesamte Petrus-Geschichte, vom Messias-Bekenntnis über das „Weiche von mir, Satan“ bis zu den drei Leugnungen; die Petrus/Jakobus/Johannes-Geschichten; die beiden Lazarus-Geschichten)?
Hat die Bitte der Zebedäus-Söhne: „Verleihe uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen dürfen in deiner Herrlichkeit“ (Mk 1037, bei Mt 2020ff ist es die Mutter der Zebedäus-Söhne, die ihn für ihre Söhne fragt) etwas mit dem andern Satz zu tun: „Und mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken“ (1527, vgl. Mt 2738, Lk 2332ff, Joh 1918)?
Ist das Wort Jesu am Kreuz an seine Mutter und an Johannes nicht auch ein Adoptionsakt (wie die Gottessohnschaft bei der Johannes-Taufe und auf dem Berg der Verklärung, oder auch die Saulus-Paulus-Geschichte, der möglicherweise eine Alexander-Saulus-Geschichte vorausgeht)? Ist nicht die Adoption das Modell der „Wiedergeburt“ (die auch das Paulus-Wort, er sei „Römer von Geburt“ anders verständlich machen könnte)?
Ist Joseph von Arimathäa der Adoptivvater des gekreuzigten Jesus?
Was bedeutet es, wenn es heißt, daß Simon von Cyrene „vom Felde“ kam (Mk 1521, Lk 2326, vgl. Mt 2732; nach Joh 1917 trug Jesus sein Kreuz selber)? Ist hier ein Feld im agrarischen Sinne gemeint (das Feld von Bauern oder Hirten), gab es in der Nähe Jerusalems solche Felder? War Simon ein Tagelöhner?
Mit der Rezeption des Weltbegriffs werden auch Theologie und Religion dem Gesetz der Instrumentalisierung unterworfen, das sich dann in der Bekenntnislogik ausdrückt. Ist nicht die Bekenntnislogik die Gewalt, die beide, die Theologie und die Religion, von innen her angreift und aufzehrt (ein Prozeß, den sie im Innern beider gegen beide anstrengt und führt), sie, ohne daß die Betroffenen es merken, in ihr Anderssein transformiert: sie bewußtlos säkularisiert? Notwendig wäre es, diesen Prozeß endlich zu begreifen (durch Erinnerungsarbeit und Reflexion).
Liegt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ nicht an der Schwelle des Umschlags zur Prophetie, auf den Joh 129 sich bezieht: des Auf-sich-Nehmens der Sünde der Welt; ist nicht das Eingedenken der Natur im Subjekt selber schon das „Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt“? Adorno zitiert in diesem Satz die Kritik der Urteilskraft, in der Kant mit dem Begriff einer „Natur im Subjekt“ die ästhetische Produktivkraft des „Genies“ bezeichnet; der Adornosche Satz erinnert zugleich an die Intention Georg Lukacs‘, der erstmals die Kunst anstatt aus der Sicht des Konsumenten aus der des Produzenten zu begreifen unternommen hatte.
Haben die drei Weisen aus dem Morgenland etwas mit den „Zauberern“ in der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu tun?
„… der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis“: Das Erste ist nicht das Bessere. Ist das nicht die biblische Grundlage der Kritik des Ersten (und der Väter)?
Neuer Kannibalismus: Sind wir nicht dabei, im Leib der Sprache die Gebärmutter durch den Bauch zu ersetzen: die Barmherzigkeit durchs Fressen (die Schlange frißt den Staub, den Adam produziert)?
Das eine verlorene Schaf und die verlorene Drachme (Lk 154ff): Der eine Sünder, über den, wenn er umkehrt, im Himmel mehr Freude sein wird als über 99 Gerechte, sind das der Staat (das verlorene Schaf) und die Kirche (die verlorene Drachme)? -
11.8.1996
Ist nicht die Nachkriegsgeneration in der verqueren Situation, daß sie eine Reflexion, die wir versäumt haben, nachholen müßte und es nicht kann, – weil sie den Gegenstand der Reflexion nicht kennt, und – weil wir sie zugleich der Mittel beraubt haben, mit deren Hilfe es vielleicht möglich gewesen wäre? Die Bedeutung von Sätzen hängt nicht nur von der Bedeutung der Worte ab, aus denen sie gebildet sind, sondern ebenso sehr auch von der Situation, zu der die Sätze gehören. Deshalb gibt keine Dogmen, und deshalb gibt es keine in Urteilen ausdrückbare Wahrheit. Zum Angesicht: Der Blick ist ein Teil der Kommunikation. Blick ein Kind an, und achte darauf, wie es zurückblickt: Dieser Blick spricht. (Gibt es nicht Situationen, in denen die Sprache zu einer unzulängnlichen Ausdrucksform wird?) Resurrectio naturae: Die Natur ist kein Objekt der Barmherzigkeit; sie ist kein Subjekt, darin gleicht sie den Toten. Das Eingedenken der Natur im Subjekt gilt dem Toten, das zum Leben zu erwecken wäre (und nicht der „gequälten Natur“). „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen“, und „Wer euch angreift, greift meinen Augapfel an“: Sind diese beiden Sätze nicht durch den Antisemitismus, der mit der Vernichtung der Juden dem Angesicht Gottes sich entziehen zu können glaubt, bewiesen? Wenn der Antisemitismus darauf abzielt, den Augapfel Gottes zu vernichten, dann war Auschwitz der Versuch eines absoluten Verbrechens (vgl. Lyotard). Sind nicht die Planeten zu Planeten geworden, als sie sich die Sonne zum Feind machten? Sind die Planeten Feinde der Sonne, ist der Mond der Erde Feind, und wie steht es mit Erde und Sonne, wer kreist hier um wen (wo ist die Sonne still gestanden)? Zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: Nach Kopernikus war die Erde Feind der Sonne (so hat das heliozentrische System zur Begründung und Legitimierung des Absolutismus beigetragen). Kopernikus war (als Astronom) Monarchist. Müßte die Demokratie nicht wieder davon ausgehen, daß die Sonne um die Erde kreist? Oder müßte sie, wenn sie endlich sich selbst begreift, nicht dieses Feindsystem ingesamt auflösen: die Klassengesellschaft? Steht der Tod der Erstgeburt unterm Zeichen des Saturn, die Finsternis und das Blut unter denen der Sonne und des Mondes? Sind die ägyptischen Plagen die Negative der Sefirot? Feindbindung und Sucht: Wie der Sexist so kommt auch der Antisemit von seinem Feind nicht mehr los. Wer in den Menschen Feindbilder erzeugt, macht sie zu Objekten der Mechanik (des Seitenblicks, der der Kommunikation ausweicht und sich entzieht) und damit beherrschbar. Die sublimste Art der Feindbild-Erzeugung ist es, sie zu anschauenden und urteilenden Wesen zu machen. Deshalb ist die kantische Unterscheidung zwischen bestimmenden und reflektierenden Urteilen so wichtig. Der Glaube, man könne den Faschismus durch Verurteilung unschädlich machen, hat seine Wurzel in dem ungeheuren Verdrängungsakt, mit dem die Deutschen am Ende des Krieges ihr Wissen von den Verbrechen der Nazis und ihre Beteiligung an ihnen glaubten loswerden zu können. Die Verurteilung als Instrument der Selbstexkulpation gehört zur Bekenntnislogik, die hier erst endgültig von ihren christlichen Ursprüngen sich abgelöst (und sie zugleich instrumentalisiert) hat. So fanden sich Täter und Opfer in der Gemeinschaft der Verurteilenden wieder. Was (im Hinblick auf Filbinger) einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt worden ist, gründet in dieser Verurteilungsstrategie. Aber war diese Problemlösungsstrategie nicht doch nur auf der high-brow-Ebene (vor allem in der Politik und an den Universitäten) anwendbar, während unten der Antisemitismus teils im Anblick von Auschwitz wirklich sich aufgelöst hat, teils allerdings nur in die Potentialität zurückgedrängt wurde (und das insbesondere bei denen, die aktiven Anteil an den Verbrechen, die sie nie als Verbrechen wahrgenommen haben, gehabt hatten, bei denen die Verdrängung ein Teil, mehr noch: die Voraussetzung der Tat war)? Diese Problemlösungsstrategie aber hat die Probleme nicht wirklich gelöst, sondern nur auf die folgenden Generationen verschoben. Ich hätte mir gewünscht, daß dieser Sachverhalt, zumal Birgit Hogefeld ihn selbst angesprochen hat, in dem Bändchen „Versuche, die RAF zu verstehen“ thematisiert worden wäre. Die wütenden Reaktionen auf die Untersuchungen von Daniel Goldhagen sind ein weiteres Indiz für die Unwirksamkeit aller Problemlösungsstrategien, die, auf der Grundlage und unter dem Bann der Bekenntnislogik, sich allein des Instruments der Verurteilung bedienen. Die dritte Leugung oder der verdorrte Feigenbaum: Ist nicht der kollektive Verdrängungsakt am Ende des Krieges in Deutschland durch eine Logik (durch die „pharisäische“ Logik der kollektiven Verurteilung) abgesichert worden, die die Bekenntnislogik von der Theologie getrennt, damit der Theologie endgültig den Boden entzogen und den Nachgeborenen jede Chance genommen hat, an die Sache überhaupt noch heranzukommen (die die Bekenntnislogik zum Instrument der Selbstverfluchung gemacht hat)? Als Heidegger die Angst (zur Unterscheidung von der Furcht) als objektlos definierte, hat er ihrer Reflexion (und damit der Reflexion der Schuld und der Herrschaft, die den Zeitkern der Wahrheit ins Licht rückt) den Weg verstellt. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung Produkt und Instrument der Abstraktion von dieser dreifachen Reflexion? Stammheim oder das Haus des Seins: Die „Fundamentalontologie“ ist die Selbstreflexion der Isolationshaft des Denkens im Hochsicherheitstrakt der subjektiven Formen der Anschauung (die Kritik der reinen Vernunft war der erste Ausbruchsversuch).
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