„Es gibt nichts tierischeres als ein reines Gewissen“: Dieser Satz (der die Bekenntnislogik in ihrer Wurzel trifft) rechtfertigt nicht nur den Nobel-Preis: Er bezeugt die Sensibilität und Aktualität, die prophetische Erkenntniskraft, seiner Trägerin. Er ist ein Schlüsselsatz zur Erkenntnis jeder Art von Faschismus.
Die Logik des apagogischen Beweises ist der Stachel im Herzen des Objekts (Grund des kontrafaktischen Urteils, der Urteilsethik, der Wertethik).
Die Bekenntnislogik versucht die Lücke zu schließen, die der apagogische Beweis aufreißt. Dazu bedarf sie der Idee des Absoluten (der gegenstandslosen Spiegelung des Subjekts im Unendlichen). Die Confessiones des Augustinus enden mit dem Selbst-Bekenntnis.
Sind nicht die Confessiones des Augustinus die Urgestalt der erbaulichen Literatur, die lateinischen Ursprungs ist? Zur erbaulichen Literatur gehört die „fromme Lüge“: Religion als Mittel der Verführung anderer? Die Idiosynkrasie gegen das Theater verweist auf eine Dramaturgie, dessen Bühne eine Sprache ist, die die Namenskraft der Sprache aus dem prosaischen Indikativ, an den sie gefesselt ist, nicht mehr zu entwickeln vermag (wodurch unterscheidet sich der lateinische vom griechischen Indikativ?). Die „Wörtlichkeit“ des Genesis-Kommentars des Augustinus (de genesi ad litteram) drückt das aufs genaueste aus. Es ist die Wörtlichkeit eines Indikativs, der im Bann der imperialen Logik der lateinischen Sprache die Herrschaftsreflexion verlernt hat. Der Bann der imperialen Logik ist der Bann der Objektivierung.
Zu den Elementen der erbaulichen Literatur gehören:
– die Legende (die, nachdem sie von der Herrschaft in den Dienst genommen wurde, zur Fälschung sich entwickelt hat),
– die Privatisierung der Idee der Vorsehung (und deren Erkennbarkeit durch den Frommen), die die stoische Ataraxia als Gleichgültigkeit gegen die Welt ins Objektive wendet: in die Dinge projiziert,
– die zentrale Funktion der Sexualmoral (und der zölibatären Lebensweise), in die die verdrängte Herrschaftskritik projiziert wird,
– daraus abgeleitet die merkwürdige Beziehung zu Frauen (die heilige Mutter und die namenlose und dann verstoßene Geliebte).
Die subjektiven Formen der Anschauung (zur Logik der Natur- und Geschichtserkenntnis): Der mitleidlose Blick strahlt als Kälte der Welt zurück.
Der Bruch zwischen E- und U-Musik (und die zunehmende Verrottung beider) ist ein Reflex der Entstehungs- und Vollendungsgeschichte der Beton-Welt: Die Rockmusik lehrt die Menschen, nach der Pfeife dieser Betonwelt zu tanzen, während die Schlager (und die Pop-Musik) ihnen helfen, vor dieser Welt die Augen zu verschließen, sich aus dieser Welt herauszuträumen. Nicht mehr die Musik, sondern die avancierteste Gestalt ihrer Reflexion erschüttert die Fundamente der Welt.
Die Beton-Welt ist ein ebenso realer wie sprachlicher Sachverhalt: An der Zeit wäre die Entfaltung einer politischen Grammatik (Ursprung des Neutrum, Geschichte der Deklination und Konjugation, Beziehung der Sprache zur Mathematik, zum Inertialsystem).
Die Apokalypse unterscheidet zwischen den Gebeten der Heiligen (Rauchopfer) und den Taten der Heiligen (weiße Kleider).
Sind Satan und Teufel Verkörperungen der imperialen Macht, symbolisieren sie den Caesar? Gibt es hierzu Hinweise in der Geschichte der Versuchungen Jesu (die in der konstantinischen Wende real werden: Teilhabe an der Macht, Steine statt Brot, Sturz von der Zinne des Tempels)?
Szymborska
-
04.10.1996
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie