Thales

  • 10.12.1996

    Gemeinde, Behörde, ahnden: Was bedeutet und welche sprachlogische Funktion hat das Suffix -de?
    Herrlichkeit, Persönlichkeit: Was drückt in dem doppelten Suffix -lichkeit sich aus?
    Dirk Baecker, S. 98: Wenn Unternehmen, anstatt die Dienste der Banken in Anspruch zu nehmen, „auf direkte Kreditmärkte ausweichen“, wird das Geschehen für die Banken intransparent, verlieren sie die „Aufsicht“, die sie kraft ihrer Marktfunktion innehaben. Hat diese „Aufsicht“ funktionslogisch etwas mit dem Titel und der Aufgabe des episkopos zu tun?
    Zur Rezension von Titeln zum Thema RAF (von Norbert Seitz) in der FR von heute: das „gigantische Integrationsbemühen zur Dressur von inneren Schweinehunden“ erinnert an den „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ in der Nazizeit, der die deutsche Bevölkerung durch Befreiung vom Gewissen, durch moralische Enthemmung in die nationale Gemeinschaft integrieren sollte, in eine „Schicksalsgemeinschaft“, in der jeder seine Pflicht tut und keiner mehr weiß, was er tut; dieser Kampf hat die Menschen auf die „großen nationalen Aufgaben“ vorbereitet, er hat sie für den Krieg und die Endlösung der Judenfrage verfügbar gemacht. Eines der wichtigsten Instrumente dieses Kampfes war in der Tat der Antisemitismus, die Feindbildpflege, die seit je ein Mittel der moralischen Enthemmung gewesen ist. Zählt Norbert Seitz auch die RAF-Prozesse zu den Dressurmitteln, die man um der „gigantischen Integrationsbemühen“ willen hinnehmen muß? Und läßt diese „Dressur“, zu der die Feindbildpflege gehört, noch von den wahrhaft apokalyptischen Mechanismen des Feindbild-Clinchs, der wechselseitigen Angleichung der Feinde, wie sie heute auf beiden Seiten der „Front“ immer deutlicher sich abzeichnet, sich ablösen? Ist es nicht die „Dressur von inneren Schweinehunden“, die am Ende die Schweinehunde züchtet? Schweinehunde gehören zu einer Tiergattung, die jedenfalls nicht dressurfähig ist.
    Ein ganzes Volk zieht sich in den Winkel (in die Ecke der Scham) zurück in der Hoffnung, daß das Unwetter, das es selbst verursacht hat, vorüberzieht.
    Es gibt eine Freiheit von Scham, die weder unverschämt, noch schamlos ist. Gibt es zu diesem Satz nicht auch eine astronomische Anwendung?
    Nach dem Thales’schen „Alles ist Wasser“ ist die Person eigentlich nur noch juristisch faßbar: als eine, die zur Verantwortung gezogen werden kann. Ist die Person nackt und unverschämt, und das Subjekt schamlos? Das Subjekt ist der blinde Fleck der Sensibilität, die Person ist empfindlich (im Sinne des grammatischen, nicht des biologischen Geschlechts sind Männer Subjekte, Frauen Personen; der Anschauende ist nackt und unverschämt, das der Anschauung sich darbietende Objekt ist schamlos).
    Die Persönlichkeit gründet im Ansehen einer Person (die im Licht der Gerechtigkeit niemals Grundlage des Urteils sein darf), mit der doppelten Konsequenz: daß nämlich die Persönlichkeit mit dem Anspruch auftritt, dem Recht enthoben zu sein, wie umgekehrt im Kontext eines gerechten Prozesses die Persönlichkeit gegenstandslos ist.
    Herrlichkeit ist der Inbegriff des Ansehens des Herrn. kabod, der hebräische Name der Herrlichkeit, verweist auf das Gewicht: Auch die Persönlichkeit kann ihr „Gewicht in die Waagschale werfen“. (Der Ort der Zärtlichkeit ist der Blick. Verbindlichkeiten sind öffentlich geltend zu machen.)
    Wollte man den Begriff der „niedrigen Gesinnung“, die den Mörder charakterisiert, definieren, seinen Anwendungsbereich beschreiben, käme man zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Niedrige Beweggründe sind im einzelnen bestimmbar und es gibt nur eine begrenzte Anzahl, sie sind abzählbar: Es sind
    – politische,
    – religiöse,
    – sexuelle und
    – aus einem Eigentumsstreit ableitbare
    Beweggründe. Verweist diese Aufzählung nicht auf die Astrologie, auf die den vier „Himmelsrichtungen“ zugeordneten Planeten, und kann es sein, daß die Astrologie einmal als ein Konstrukt zur Rechtfertigung des staatsbegründenden Mords sich erweisen wird? Worauf bezieht sich dann das christlich-mythische Sohnesopfer und der freudsche Gegenmythos: der Vatermord? Sind nicht die Planeten insgesamt Verkörperungen der Gewalt (zu denen auch die paulinischen Elementarmächte und ihre Entfaltung in den mittelalterlichen Engelhierarchien zu gehören scheinen)?
    Voyeur: Aus dem sprachlogischen Sinn des Begriffs der Tatsache (vgl. Dirk Baecker, S. 109) läßt sich ableiten, weshalb Tatsachen nackt sind: Der Begriff der Tatsache verhält sich zur Welt wie das Opfer zum Verfolger, wie das Entblößte zum Unverschämten (zum Begriff der Tatsache gehört der der Beobachtung).
    Theologie im Angesicht Gottes: Das ist auch der Ausbruch aus dem Gefängnis der Mathematik (aus der Stummheit der subjektiven Formen der Anschauung).

  • 22.11.1996

    Wer immer nur ein gutes Gewissen hat, klinkt sich aus der Solidarität aus.
    Der schärfste Einwand gegen den Unschuldtrieb, gegen den Zwang des guten Gewissens, liegt darin, daß die Freiheit von Schuldgefühlen das Gericht definiert (frei von Schuldgefühlen ist der Ankläger, der Satan).
    Die apokalyptischen Tiere: sind das nicht Verkörperungen des Verfolgers?
    Der Punkt ist die vollständig zusammengeschrumpfte Kugel, die kein Inneres mehr hat, die nur nach nach außen blickt, für die das Innere der anderen ebenso wenig existiert wie das eigene Innere, und die dieses Innere nicht nur nicht erkennt, sondern als inexistent setzt. Die Kugel ist Ausdruck der Gewalt der Rückseite über das Angesicht, der Linken über die Rechte und der unteren über die obere Welt. Der Punkt ist die Basis der Zahlen.
    Haben nicht die Babylonier die Arithmetik und die Ägypter die Geometrie entdeckt? Die Griechen haben Arithmetik und Geometrie mit einander verbunden (nicht versöhnt), und zwar durch die Entdeckung des Winkels.
    Die Entdeckung des Punktes ist eine Folge der Entdeckung des Inertialsystems: Der reine Punkt ist der Schwerpunkt. Die „Definition“ des Punktes ist durch das Bild des „ruhenden Inertialsystems“ vermittelt; der Versuch, dieses „ruhende Inertialsystem“ zu bestimmen, führt in die Paradoxien, deren Ausdruck die beiden Relativitätstheorien Einsteins sind, er führt zu den hochsymbolischen Bildern des fahrenden Zugs und des frei fallenden Fahrstuhls.
    Im Bild des Punktes vollendet sich die Abstraktion, deren Wurzel die Winkelgeometrie ist (der Punkt ist der Eckpunkt eines Winkels, auch im Inertialsystem).
    Daß der Punkt ohne dieses Referenzsystem (das „ruhende Inertialsystem“) nicht sich definieren läßt, drückt im Korpuskel-Welle-Dualismus der Mikrophysik sich aus, einer Konsequenz aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die das Inertialsystem selber dynamisiert. Hier werden beide, der Punkt und das ihn definierende Referenzsystem, in eine gemeinsame, wechselseitig sich reflektierende Bewegung hineingezogen. Hier erscheint das Referenzsystem in dreifacher Gestalt: als doppeltes Referenzsystem: nämlich sowohl der Korpuskel- als auch der Wellenbewegung, und in dieser Wellenbewegung zugleich als Objekt, als Erscheinung im System. Diese selbstreferentielle Konstruktion, deren systemische Wurzel das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, ist der Inhalt der mikrophysikalischen Strukturen, die in dieser Vermittlung überhaupt erst sich konstituieren.
    In den Dingen ist die Beziehung von Verfolgern und Verfolgtem auf die abstrakteste Form zusammengeschnurrt: auf ihre Beziehung zur Zeit. Die Zukunft des einen ist die Vergangenheit des andern. Die Begriffe Natur und Welt sind logische Zwillinge, die wie Zukunft und Vergangenheit als getrennte auf einander sich beziehen. Die Ontologie ist die Hypostasierung dieses Akts der Trennung (sh. Rosenzweigs „verandernde Kraft des ‚ist’“).
    Ist nicht die Pharao (in der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen und der Verhärtung seines Herzens) der verfolgte Verfolger, und drückt das nicht in den Pyramiden aufs genaueste sich aus?
    Wie hängt der Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen …“ zusammen mit dem andern „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“?
    War das nicht einer der fatalen Effekte des Historikerstreits, daß mit dem Bestehen auf der „Einmaligkeit“ von Auschwitz es danach eigentlich nichts Einmaliges mehr geben kann? Und ist das nicht gerade die Voraussetzung der Metastasen von Auschwitz? Manifestation des Einmaligen ist der Name, und indem dieses Einmalige in die Vergangenheit versetzt wird, wird auch der Name ins Perfektum, in die vollendete Vergangenheit versetzt: Kein Ruf, der ihn noch erreicht. So hängt Auschwitz mit der Theologie zusammen.
    Der Begriff instrumentalisiert den Tod, dem er das Objekt, auf das er sich bezieht, überantwortet. Dagegen steht der Name und die Idee der Auferstehung, ohne die es den Namen nicht geben würde. Wenn einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, so drückt genau darin (in der Beziehung der Dinge zum Raum) die Beziehung der Dinge zum Namen sich aus.
    Von der Idee der Auferstehung kennen wir nur das sprachlogische Symbol, das am Namen haftet (und vom Begriff geleugnet wird).
    Ist nicht Jer 3134, wonach am Ende keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen, ein Hinweis darauf, daß die direkte Belehrung (das „Überzeugen“) in der Tat unfruchtbar ist? Es bleibt allein noch die reine Erkenntnis Gottes und die Hoffnung, daß sie die Kraft hat, sich mitzuteilen, die Erkenntnis des Namens, in dem die Kraft der Erweckung der Toten beschlossen ist.
    Wäre nicht die Kritik der Ästhetik eine zentrale Aufgabe der Philosophie, die an der Kritik der reinen Vernunft anzusetzen hätte (was hat die „transzendentale Ästhetik“, was haben die subjektiven Formen der Anschauung mit der Kunst zu tun)? Die Ästhetik ist das Feuer im brennenden Dornbusch: Es brennt, aber es verbrennt den Dornbusch nicht. Und dieses Feuer ist nicht Gott, sondern Gott spricht aus diesem Feuer.
    Zu den Grenzen gehören: die Grenzen der Nation (die die „Völker“ und das Ausland ausschließen); das Schaufenster (und die Reklame), das den Käufer von der Ware trennt; die subjektiven Formen der Anschauung, die das Anschauen vom Angeschauten trennen, die Sprachgemeinschaft mit dem Angeschauten neutralisieren. Die Wurzeln dieser Grenzen sind die Grenze zum Himmel und die Grenze zur Vergangenheit, zum Hades.
    Zu Kanther fällt mir nur noch ein: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Selbstreferentielle Asymmetrie: Wenn wir heute, in unserer politischen Selbstverständnis, das Handeln des „Auslandes“ zur Norm unseres eigenen Handelns machen, dabei merkwürdigerweise das „Urteil des Auslandes“ (als „Heuchelei“: sie treiben es ja auch nicht anders) ausblenden, weil wir es als Angriff erfahren, holen wir dann nicht über die Metastasen von Auschwitz Auschwitz wieder in unser Handeln zurück? Das Feindbild Ausland bleibt uns so auf jeden Fall erhalten.
    Feindbilder haben seit je auch die Funktion, das, was als Handeln des Feindes erfahren wird, zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen und damit zur Norm des eigenen Handelns zu machen: die gleiche logische Konstruktion liegt dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zugrunde, sie begründet die Logik der „Naturgesetze“ wie auch die Gesetze des Rechts. Diese Logik wird durchbrochen durchs Gebot der Feindesliebe, das sie aus der Starrheit erlöst und reflexionsfähig macht.
    Die Feindbildlogik ist in sich selber atheistisch, und die einzige Gestalt der Theologie, die heute noch möglich ist, wäre die, die dieses Feindbildlogik sprengt (und die Religion aus dem Bann des Fundamentalismus befreit ohne sie zu verraten). In die Feindbildlogik (und seine religiöse Variante, den Fundamentalismus) gerät zwangsläufig hinein, wer zum Herrendenken keine Alternative mehr kennt.
    Wer Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft als Angriff erfährt, ist ihr bereits verfallen.
    Wie verhält sich der Satz Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen … und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ zu den Reflexionen René Girards über das Heilige und die Gewalt? Ist nicht der Säkularisationsprozeß (der Prozeß der „Verweltlichung der Welt“) Teil einer Geschichte, die diese Forderung eines „geheiligten Lebens“ nachgerade erzwingt? Wie verändert sich der Begriff des Heiligen im Säkularisationsprozeß? Der Säkularisationsprozeß, die Geschichte der Aufklärung, ist ein Prozeß, der, indem er die Idee des Heiligen aus der Objektivität vertreibt, sie ins Subjekt zurücknimmt. Jeder Versuch, das Heilige in der Welt zu erhalten, ist fundamentalistisch, und damit ein Produzent von Gewalt. In diesem Kontext löst sich das Problem der Derridaschen Anfrage an Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und den Begriff der göttlichen Gewalt, die in keinem Punkt mit irgend einer Form der staatlichen Gewalt sich berührt, es sei denn als Element ihrer Auflösung.
    Johann Baptist Metz‘ Konzept der Verweltlichung der Welt, führt in die Irre, wenn sie nicht die Kritik der Gewalt in sich aufnimmt. Die Kritik der Gewalt ist nicht zu verwechseln mit der Forderung nach Gewaltfreiheit: Während die Forderung nach Gewaltfreiheit sich unter das Gewaltmonopol des Staates stellt, zielt die Kritik der Gewalt auf die Auflösung des Gewaltmonopols des Staates: auf die Manifestation der göttlichen Gewalt. Die göttliche Gewalt leitet sich her aus dem Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, sie manifestiert sich im „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“, im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Dieser Akt ist der einzige Inhalt der Apokalypse.
    Wer glaubt, das Gewaltmonopol des Staates sei verfügbar im Interesse der Verwirklichung der richtigen Gesellschaft, verkennt u.a. auch den Marxschen Hinweis, daß in der richtigen Gesellschaft der Staat sein Ende findet, sich auflöst. Deshalb sind Staatsschutzsenate und ist der Titel Staatsanwalt schon vom Grunde her reaktionär.
    Wenn es dem Staatsschutz wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus ginge, müßte er sein Ziel, nachdem die RAF dem Terrorismus abgesagt hat, im wesentlichen erreicht haben. Was er aber jetzt tut, beweist, daß es ihm garnicht um das Ende des Terrorismus, sondern um Rache geht. Verfolgt wird nicht der Terrorismus, sondern verfolgt wird die Reflexion, die schon der Terrorismus selber verraten hatte. Deshalb war dieser Staatsschutzsenat nicht einmal fähig, die Erklärungen Birgit Hogefelds auch nur sich anzuhören; das Urteil lautet so, als hätte es diese Erlärungen überhaupt nicht gegeben.
    Hegels Reflexion über das Problem des Anfangs in der Philosophie läßt an ersten Sätzen in der Philosophie sich demonstrieren, angefangen mit dem ersten Satz der Philosophie überhaupt (Thales: Alles ist Wasser) über den ersten Satz der Dissertation Thomas von Aquins: Parvus error in principio magnum est in fine, bis hin zum Anfang von Schellings Weltalter: … die Zukunft wird geahndet. Auch die ersten Sätze im Stern der Erlösung und in Wittgensteins Logisch-philosophischem Traktat gehören hierher. Außerdem: Seit wann (und aus welchem Grunde) werden zu philosophischen (und wissenschaftlichen) Werken Einleitungen geschrieben (und im Falle der Phänomenologie des Geistes zur Einleitung noch eine Vorrede)? Ist die Furcht, die Werke könnten mißverstanden werden, und damit der Versuch, diese möglichen Mißverständnisse schon im vorhinein durch eine Vorrede oder Einleitung zu zerstreuen, so unbegründet (haben nicht Rosenzweig und Wittgenstein auf eine Einleitung verzichtet)?
    Sind nicht eigentlich alle naturwissenschaftlichen Bücher Einleitungen zu Texten, die keine mehr sind: zu den Formeln, die die Texte dann nur unzulänglich zu erläutern vermögen? Wer vermöchte wirklich Das Gravitationsgesetz, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die These von der Identität von träger und schwerer Masse in Sprache zu übersetzen?
    Die drei zivilisationskritischen Großprojekte der Aufklärung, Marx, Freud und Einstein, beschreiben sie nicht die Brennpunkte des Aufklärungsprozesses aus der Opferperspektive, Marx aus der des Proletariats, Freud aus der des Unbewußten, und Einstein aus der des materiellen Objekts? Und gehören hierzu nicht die Objekte der Kritik: das Tauschprinzip, das Realitäts- und Lustprinzip und das Trägheitsprinzip?
    Der Unschuldstrieb (das „reine Gewissen“) wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins symbolisiert und widerlegt.
    Kommt bei René Girard die Geschichte des Stephanus (und des Saulus) vor, und was bedeutet sie für sein Sündenbockkonzept? Ist nicht die Bekehrung des Paulus (die eine Bekehrung und keine Umkehr war) die eines Verfolgers, dessen Opfer „den Himmel offen“ sah?

  • 14.11.1996

    Die Beziehung des Inertialsystems zum Dogma liegt nicht in seiner Form – das Äquivalent dieser Form ist die Bekenntnislogik -, zur Stabilisierung der subjektiven Formen der Anschauung (und der Bekenntnislogik) bedarf es eines inhaltlichen Dogmas, und dessen Rolle hat das kopernikanische, das heliozentrische System übernommen. An dessen Stabilität, die mit der Opferung des Himmels (oder, was dem gleichbedeutend ist: mit der Verinnerlichung des Opfers) erkauft ist, hängt die der gesamten Naturwissenschaft.
    Roland Barthes‘ Rekonstruktion des Mythos („Mythen des Alltags“), in dem er der Logik der Beziehung von Herrschaft, Natur und Mythos auf die Spur kommt. Zu rekonstruieren wäre ergänzend dazu der ökonomische Grund dieser Logik.
    Gilt nicht der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“, für den Mythos insgesamt (durch Reflexion den Bann des Urteils, der in den Sternen sich verkörpert, brechen). Ist nicht der Mythos Ausdruck der urteilsproduzierenden Gewalt?
    Israel ist sein erwähltes Volk, nicht sein auserwähltes: In diesem „aus-“ drückt die neiderfüllte Selbstausgrenzung der „Völker“ sich aus, die den Antisemitismus erzeugt.
    Im Objektbegriff steckt ein politisches Moment: ein Stück feindliches Ausland. Sind nicht die Form des Raumes und die Logik des Geldes Denkmäler der Eroberungs- und Unterwerfungsgeschichte, in der der Staat sich konstituiert und entfaltet hat?
    Ist der Himmel die sinnliche Entsprechung der Grenze zum Ausland schlechthin, und deshalb das providentielle Korrelat der Herrschaftslogik? Durch die kopernikanische Wende ist die ganze Welt zum herrenlosen Gut für eroberungssüchtige Staaten geworden.
    Versicherungsprobleme, Bemerkung zum Vertrauensproblem in der Ökonomie (vgl. die Dokumentation in der FR von heute): Werden nicht durch die gleiche Logik, die die Realität heute versteinern macht und dem ökonomischen Begriff des Vertrauens seine raison d’etre entzieht (was in der ökonomischen Theorie in der Ersetzung der Nationalökonomie durch die BWL sich widerspiegelt), die „Risiken“ von der Unternehmensseite nach unten verlagert und zum Bodensatz der verschwindenden Kraft der Reflexion; ist das Ganze nicht ein Teil der Sozialgeschichte des Urteils?
    Brennender Dornbusch: Ist der Name des Himmels, der nach kabbalistischer Tradition die Namen des Wassers und des Feuers in sich enthält, die erste Manifestation der Urteilsform, und zugleich die einzige, die deren Formgesetz von innen enthüllt? Sind Wasser und Feuer die Angesichte, die Subjekt und Prädikat, das Wer und das Was, Objekt und Begriff, einander zukehren: Ist das Wasser das Antlitz des Begriffs, das Feuer das des Objekts? Gründet das Relativitätsprinzip im Namen des Wassers, und verweisen das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das der Identität von schwerer und träger Masse aufs Feuer?
    Der erste Satz der Philosophie ist von Thales überliefert: Alles ist Wasser.
    Worauf bezieht sich der „Bogen in den Wolken“ nach der Sintflut (und das daran geknüpfte Versprechen)? Und in welcher Beziehung stehen die Wolken des Himmels und der Menschensohn), die Sterne des Himmels (das Himmelsheer und der Dominus Deus Sabaoth) und die Vögel des Himmels?
    Der Himmel ist Sein Thron: In welcher Beziehung steht der Himmel (die Urteilslogik) zum Eigentum (zum Staat als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern)? Und was hat das Privateigentum (und die in ihm gründende „Privatsphäre“) mit dem Grenzbegriff der Identität von träger und schwerer Masse zu tun?
    Ist der hebräische wie auch der deutsche Name des Wassers nicht der Plural von Was? Auf welche sprachlichen Wurzeln verweisen die Namen ouranos, caelum, sky und heaven? Und was hat der Himmel mit dem Hammer zu tun (vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch)?
    Das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren, …“) ist das alttestamentliche Korrelat des neutestamentlichen Gebots der Feindesliebe.
    Wer heute gegen Mauern anrennt, härtet die Mauern und rennt sich selbst den Kopf ein: Zu den Mitteln, die die Mauern härten, gehört auch die Feindbildlogik (die im übrigen ein Kollektivum ist, der logische Kern des Weltbegriffs, zu dem, wenn man ihn als Kopf begreift, als Mauer die Natur gehört).

  • 18.08.1996

    Natur ist ein Exkulpationsbegriff, der von der „Last“ des richtigen Lebens (der Barmherzigkeit) befreit. Mit dem Begriff der Natur (und hinter seinem Rücken: dem Bewußtsein nur durch Reflexion zugänglich) konstituieren und entfalten sich die im Weltbegriff zusammengefaßten Herrschaftsstrukturen. Deshalb ist die Geschichte der Naturerkenntnis ein Teil der Herrschaftsgeschichte, deren Erkenntnis sie zugleich ausblendet.
    Jede historische Gestalt der Naturerkenntnis war ein Mittel der Rechtfertigung des jeweils Bestehenden; mit dessen Änderung veraltet auch die ihm jeweils korrespondierende Gestalt der Naturerkenntnis. Der große Fisch und das Vieh im Buch Jona: sind das Leviatan und Behemot? Mit dem Begriff der Buße wurde das herrschaftskritische Element im Begriff der Umkehr ins Autoritäre zurückgebogen. Symbol und Typos konstituieren sich als Erkenntnisbegriffe nur durch die Kritik von Natur und Welt (durch die Kritik der historisierenden Vergegenständlichung) hindurch. Exemplarisch für diese kritische Beziehung zur Objektivität ist die symbolische Beziehung der Schlange zum Neutrum und die logische Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren. Verhält sich der Stier zum Naturbegriff wie die Schlange zum Neutrum?
    Indogermanisches: Die christianisierten Neutrum-Sprachen sind Sprachen im Bauch des Fisches (Jonas bekennt sich, bevor er ins Meer geworfen und vom Fisch verschlungen wird, als Hebräer). Haben die Christen den Namen der Hebräer nicht seit je als eine spezielle Anwendung (und antijüdische Radikalisierung) des Namens der Barbaren mißbraucht? Der Symbolbegriff bezieht sich auf die Natur, der des Typos auf Welt und Geschichte, und zwar beide als Mittel der kritischen Reflexion. Der Bekennende gibt sich zu erkennen, dieses Bekenntnis (dessen Paradigma das Schuldbekenntnis ist: Ausdruck der Wehrlosigkeit) wird durch die Bekenntnislogik ins Gegenteil verkehrt: die Bekenntnislogik macht das Bekenntnis zur Maske, den Bekennenden zur Person: sie macht die Welt zum Subjekt des Bekenntnisses (und wird so zu einem Instrument der Welt- und Objekt-Erkenntnis). Jesus hat die Bekenntnislogik in der Gestalt des Pharisäers zum Objekt der Kritik gemacht. Durch Historisierung der Pharisäer (wie auch der Propheten) hat das Christentum diese Kritik externalisiert und zu einem Instrument des Antijudaismus gemacht. Für die Christen waren die biblischen Pharisäer gleichsam Pharisäer von Natur, ihr Pharisäertum eine Natureigenschaft (hier liegt eine der Wurzeln des Rassismus), die Christen sind durch diese projektive Verschiebung nicht mehr nur zu Pharisäern, sondern zu Rassisten geworden. Die Logik des Satzes „Rich-tet nicht …“ läßt an dieser Konstellation sich demonstrieren; die Bekenntnislogik ist die Logik der Verurteilung. Sind die Wolken der Zeugen die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn kommen wird? Das Herrengebet hat die Christen ins Leere, in die Wüste geschickt: Wie können sie den Namen heiligen, wenn sie ihn nicht kennen? So wurde aus der Heiligung des Gottesnamens das Verbot des Fluchens (das wahr wird, wenn man es moralisch, als Norm des Handelns, und nicht verbal versteht: als Herrschaftskritik und nicht als Verbot der Majestätsbeleidigung, der „Verunglimpfung“ von Herrschaftssymbolen). Jedes Verurteilen ist ein Fluchen; und dieses Fluchen konstituiert die Wege des Irrtums (den bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist). Hat die Erfindung der Schrift etwas mit dem Versuch der Rekonstruktion der Planetenbewegungen zu tun? Und verweist nicht das Planetensystem (wie auch der hebräische Name des Himmels) auf die Beziehung von Schrift und Wort? Am Ende wird sich der Himmel wie eine Buchrolle aufrollen. Die folgenreichste Wirkung der kopernikanischen Wende war, daß sie die Schrift dieses Buches gelöscht hat. Kohelet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Deshalb ist des Bücherschreibens kein Ende. Ist nicht Kants Wort über den Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir der Beweis, daß er mehr wußte als er sagen konnte? Kant = Jona: Die Kritik der reinen Vernunft ist der Bauch des Fisches, die Kritik der praktischen Vernunft das Gebet im Bauch des Fisches, und mit der Kritik der Urteilskraft hat der Fisch Jona an Land gespien (dort aber reichte sein Sprachvermögen nur bis zu dem Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört). Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe. Dazu eine Warnung: Der Messias wird in der gleichen Gestalt wiederkommen, nicht aber der Antichrist. Verhalten sich die hebräischen und die griechischen (indoeuropäischen) Deklinations- und Konjugationsformen zueinander wie die Wasser über und die Wasser unterhalb der Feste des Himmels (wie Name und Begriff, Wort und Schrift)? Ist nicht der Himmel das erste Geschöpf, dazu das einzige, das dann als Name Verwendung findet? Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte: Heißt das, daß, wer Joseph nicht mehr kennt, wie Pharao wird? Wenn der Herr sich als Urheber der Verstockung bekennt, ist das nicht der Herr, den Pharao nicht kennt (und ist das die Ursache der Verstockung)? Auch wenn Gott das Herz des Pharao verhärtet, verstockt Pharao sich selbst. Und ist nicht das Gottsuchen der einzige Weg, der aus der Verstockung herausführt? Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: In der objektivierenden Anschauung des Andern erkenne ich meine eigene Nacktheit. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
    Der „eliminatorische Antisemitismus“ war die Einübung ins Herrendenken, das nach dem Krieg (auf der Grundlage der kollektiven Verdrängung und im Prozeß der Metamorphosen des Feindbilds) als ausgesprochen karrierefördend sich erwiesen hat. Auschwitz steckt in den Fundamenten der Nachkriegsgesellschaft (nicht nur in Deutschland), diese Vergangenheit ist nicht nur vergangen.
    Adornos Bemerkung, daß heute jeder Katholik schon so schlau sei wie früher nur ein Kardinal, gehört in den gleichen Zusammenhang. Dem Antisemiten (ähnlich wie dem Folterer) beweist jede Lebensäußerung des Opfers (jeder Ausdruck der Qual, die der Folterer ihm zufügt) das Recht und die Notwendigkeit, es zu quälen. Das verleiht dem Antisemitismus (aber auch seinen Nachfolgekonstrukten) eine Beharrungskraft, eine inertiale Gewalt, die inzwischen die gesellschaftliche Bewegung insgesamt durchdringt, sie dem mechanischen Prozeß, mit dessen Logik sie seit ihrem Ursprung aufs engste verbunden ist, endgültig angleicht. Der apagogische Beweis (dessen Analyse noch aussteht) ist der Beweis durch Verdrängung. Und die Vorstellung des unendlichen Raumes, die keine ist (der unendliche Raum läßt sich nicht „vorstellen“), gewinnt ihre Überzeugungskraft und ihre logische Gewalt allein aus den Verdrängungsprozessen, die die Anpassung an die Welt (das Selbsterhaltungsprinzip) heute erzwingt. Hegels Kritik des apagogischen Beweises (Logik I, Ausgabe Meiner 1951, S. 231ff, insbesondere S. 236), die ihn nicht auflöst, sondern instrumentalisiert, ergreift (obwohl sein Text das Gegenteil suggerieren will) die Partei der Welt gegen das Subjekt. Verweisen nicht die Aporien des kopernikanischen Systems, in dem bei gleichmäßiger Verteilung der Materie im Universum nicht sich erklären läßt, – weshalb es nachts dunkel ist und – weshalb die Gravitationskräfte, die sich eigentlich akkumulieren müßten, nicht unendlich und chaotisch sind, auf einen inneren Zusammenhang von Gravitation und Licht, und ist es nicht in der Tat merkwürdig, daß Newton, der das allgemeine Gravitationsgesetz entdeckt hat, auch die Grundlagen für die physikalische Optik gelegt hat, und daß Einsteins Relativitätstheorien durch ihre Beziehung zum Licht und zur Gravitation sich unterscheiden? Ist das Inertialsystem die Feste des Himmels, die im Namen des Himmels die Einheit von Wasser und Feuer repräsentiert, und hat nicht Einsteins spezielle Relativitätstheorie den Zusammenhang beider erstmals notiert: das Wasser im Relativitätsprinzip und das Feuer im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (das konkret nur auf thermische <oder allgemein: mikrophysikalische>, nicht auf makrophysikalische Objekte und Prozesse sich bezieht; die Beziehung der speziellen Relativitätstheorie (des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) zur Planckschen Strahlungsformel ist nicht nur eine zufällige, historische, sondern beide beziehen sich, in unterschiedlicher Perspektive, auf den gleichen logischen und empirischen Sachverhalt: auf die Wechselwirkung kinetischer und elektrodynamischer Prozesse)? Sintflut: War der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“, der die Geschichte der Philosophie eröffnete, die erste Formulierung des Relativitätsprinzips?

  • 24.5.96

    Hatte Thales, als er den Satz formulierte „Alles ist Wasser“, etwa schon Heidegger gelesen? (Ist Wasser das Element, aus dem die Frage <die Seinsfrage, die Judenfrage> auftaucht?)
    Haben Aufspannen und Gründen, die Tätigkeiten Gottes, aus denen die Himmel und die Erde hervorgehen, etwas mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (mit der Konstituierung der Zeit) zu tun?
    „Das Vergangene ist nicht mehr“: Ist nicht die Aufhebung der Vergangenheit des Vergangenen das Jüngste Gericht (während das irdische Gericht in der Magie des Urteils gründet: es verurteilt zur Vergangenheit, sperrt den Verurteilten in seine eigene Vergangenheit ein)? Im Jüngsten Gericht sind die Opfer die Ankläger, ist Gott der Richter (Mein ist die Rache, spricht der Herr). Freigesprochen wird nur, wer vorher schon Verteidiger (Paraklet) war.
    Das Gewaltmonopol des Staates ist der Quell der Dummheit, die die Polizei den Bürgern einbläut.
    Die Sünde der Welt auf sich nehmen: Ist das Ich die Sünde der Welt?
    Verweist der Anfang des Schöpfungsberichts (wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist brütend über den Wassern) auf die messianischen Wehen, und bezeichnet er nicht den Mutterschoß (den Ort der Barmherzigkeit), aus dem Gott seine Propheten beruft? Erblickt der Prophet (wie das Kind) nicht auch im wörtlichen Sinne des Schöpfungsberichts das „Licht der Welt“? Und hängen nicht die Verhärtungen des Herzens Pharaos (im Kontext der zehn „ägyptischen Plagen“), wie auch ihre Vorgeschichte in den zehn Königen von Edom (Gen 36) real mit den zehn Worten der Schöpfung und der Offenbarung zusammen?
    Der deutsche Name der Barmherzigkeit wurde analog zu den Begriffen Gerechtigkeit und Seligkeit gebildet. Gibt es noch andere Begriffe, die auf „-igkeit“ enden, und was ist das Gemeinsame, das in dieser Bildung sich ausdrückt? (Das -ig ist Ausdruck der Adjektivierung, das -keit der der Bildung eines Abstraktums. Wodurch unterscheiden sich -lich und -ig oder -heit und -keit?)
    Als Martin Buber die Bibel übersetzte, hat er diese Abstrakta vermeiden wollen, damit aber den sprachgeschichtlichen Prozeß, in den die theologische Sprache im Deutschen verstrickt ist, bloß verdrängt, während es darauf ankäme, ihn zu reflektieren. Nur: Weshalb hat er auch die Namen des Armen und des Fremden beschwiegen (vgl. die Bemerkungen Walter Benjamins zu dem zugrunde liegenden Sprachproblem in der Einleitung zum Ursprung des deutschen Trauerspiels)?
    Zum Begriff des Rassismus: Gehört nicht die Sprache der gleichen logischen Sphäre an, zu der auch die Gattung (die Instinktbindung der Tiere) gehört (und ist nicht die Verwaltung das logische und gesellschaftliche Äquivalent der Gattung)? Sind die Menschen nur deshalb „frei“, weil sie sprechen, und d.h. ihre „Instinktbindungen“ reflektieren können? Was bedeutete es, wenn Adam im Paradies die Tiere benannte? Fällt der Rassismus nicht in dieses benannte Tierwesen (in die Entlastung von Schuld, die in der „natürlichen“ Instinktbindung der Tiere vorgestellt wird) zurück? Hängt nicht der Wunsch nach „religiösen Bindungen“ ebenso wie die astrologische Mode mit dem schrecklichen Wunsch zusammen, als Tier benannt und von der Last der Freiheit befreit zu werden?

  • 8.5.96

    „Wenn die Götter schweigen“ (Miskotte): Schweigen denn die Götter wirklich, erteilt nicht der Markt allen seine Kommandos (deren Nichtbefolgung die Strafe auf dem Fuße folgt), und hat nicht Ludwig Erhard schon von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen? Potenziert nicht das „Schweigen der Götter“ ihre Macht, weil keiner sie mehr wahrnimmt?
    Das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben wird, hat auch den ganz einfachen Sinn, daß die Sünde wider den Heiligen Geist die künftige Welt dieser Welt gleichsetzt, und daß das dann eine Welt ist, die keine Vergebung mehr kennt. Das ist die Welt des steinernen Herzens. Vgl. hierzu die Verhärtungen des Herzens des Pharao: Er selbst verhärtete sein Herz (2., 4. und 7. Plage), sein Herz blieb verhärtet (1., 3., 5. Plage) und JHWH verhärtete sein Herz (6., 8. und 9. Plage).
    Ist nicht die Verstockung des Pharao ein Hinweis darauf, daß die Reduzierung der Moral auf die Gesinnung zu kurz greift: die Gesinnung ist die Moral des verhärteten Herzens.
    Das Wesen des Tieres wird nicht nur durch den Trieb und die Sexualität, sondern ebensosehr durch das, was Max Horkheimer die instrumentelle Vernunft genannt hat, bezeichnet. Die instrumentelle Vernunft steht unter dem Bann des Weltbegriffs, deren Logik sie blind (weil reflexionslos) gehorcht. Die gleiche Logik rückt die zukünftige Welt in den blinden Fleck, macht sie unsichtbar (mit dem Neutrum ist das perfectum zur Form der abgeschlossenen Vergangenheit geworden; vollendet ist nur noch das Tote: die Ware).
    Wenn der Indikativ das Gericht und der Imperativ die Barmherzigkeit bezeichnet, ist dann nicht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht der Inbegriff der Lehre?
    Oder anders: Ist nicht das Weltgericht die „Erfüllung der Schrift“, die „Erfüllung des Wortes“ dagegen das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht?
    Goethes Farbenlehre enthält noch die Erinnerung an Licht und Finsternis, die in der naturwissenschaftlichen Farbenlehre verdrängt wird und erinnerungslos verschwindet. Ein ergreifendes Wort: Die Nacht bricht herein! Ist das nicht die Finsternis, die am Tage hinter dem azurblauen Himmel ruht und mit der Nacht „hereinbricht“?
    Die Farben (die sinnlichen Qualitäten insgesamt) wurden verdrängt mit der Konstruktion des dreidimensionalen Raumes, die die Senkrechte zur Norm der Fläche gemacht hat. Der sinnliche Raum ist der Ort von Licht und Finsternis, die im mathematischen Raum nicht mehr sich unterscheiden lassen (die Finsternis ist die letzte der ägyptischen Plagen vor der Tötung der Erstgeburt).
    Das Licht ist die Erinnerung des ersten Schöpfungstags. Der Herrentag, die dies dominica, die auf diesen Tag sich bezieht, ist der Tag der Erinnerung des Schöpfungswerks, nicht der Verdrängung des Sabbats. Die dies dominica sollte nicht mit dem Sabbat verwechselt werden; der Sonntag erinnert an das Gebot: Ihr seid das Licht der Welt.
    Das Sklavenhaus der Sprache: Die subjektiven Formen der Anschauung, das sind die schwarzen Löcher, die mit der Kraft des Namens auch das Licht aus der Sprache heraussaugen, sie entmetaphorisieren, sie zu einem Herrschaftsinstrument entmächtigen.
    Insektenforscher: Im Inertialsystem, dem Referenzsystem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, hat sich die theologische Tradition verpuppt.
    Die Phänomenologie setzt den gleichen transzendentalen Apparat voraus, dessen Reflexion sie ausblendet. Das gilt schon für die Phänomenologie des Geistes.
    Die Mikrophysik ist eine Theorie des verdinglichten, geronnenen Feuers. Hat die europäische Aufklärung damit nicht den ganzen Himmel vermessen: Im Anfang Wasser (Thales), am Ende Feuer?
    Die Metaphorik rührt an das sprachliche Wesen der Natur, das nur durch die Kritik ihrer Beziehung zur Zeit hindurch zurückzugewinnen ist.
    Steckt im Herrengebet der Dekalog, haben Vater und Mutter etwas mit Himmel und Erde zu tun?
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes gehorcht der Logik des Weltbegriffs, die auf den Verrat der Vergangenheit, den Verrat der realen Welt und auf den Verrat der Menschheit hinausläuft. Horkheimers Frage: Wie kann man auf diesem Riesenleichenberg die richtige Gesellschaft errichten, läßt sich als Erinnerung daran verstehen, daß die richtige Gesellschaft nicht gegen die Toten errichtet werden kann.
    Als die Sowjetunion das Lenin-Mausoleum errichtete, hat sie das Proletariat verraten.

  • 21.3.96

    Schließen sich das „geisteswissenschaftliche“, objektivierende, vergleichende Lesen und das interlineare Lesen (z.B. die Lektüre von Adornos „Philosphie der Neuen Musik“ als „Philosophie der modernen Naturwissenschaften“) nicht aus: die „Philosophie der Neuen Musik“ geht über Schönberg und Strawinsky und nicht über Einstein und die Kopenhagener Schule? Aber ist das interlineare Lesen nicht das eigentliche lernende Lesen?
    In der Natur gibt es keinen Kreis und keine Kugel; das aber heißt: die Orthogonalität ist eine Unterstellung, ein Instrument der projektiven Erkenntnis.
    Die Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes ist eine durch die Logik der Orthogonalität erzeugte Zwangsvorstellung.
    Hängt nicht Joachim Ritters Bemerkung (in seinem Essay über die Subjektivität), daß das Subjekt im Kontext der Vergegenständlichung der Natur (und d.h. zusammen mit dem Ursprung des Naturbegriffs) sich konstituiert, mit dem Glauben an die magische Kraft des Urteils zusammen? Und wird die Rittersche Bemerkung nicht durch den Satz widerlegt, daß die Verurteilung des Faschismus den Bann nicht sprengt, sondern ihn verstärkt? Ritter hat übersehen, daß die Gegenständlichkeit der Natur im herrschaftsgeschichtlichen Prozeß, im Kontext der Klassenscheidung, sich konstituiert. Gegenständlich wird die Natur im Prozeß der gesellschaftlichen Naturbeherrschung, die auch die Herrschaft in der Gesellschaft (die Scheidung von oben und unten) unter sich begreift und mit einschließt. Erkenntnistheoretisches Pendant der Klassenscheidung sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist insbesondere die Form des Raumes, die die Abstraktionsleistung gleichsam automatisch vollbringt, zugleich die Abstraktion selber verdrängt, ihr Produkt, das „Objekt“, als ein Stück Natur anschaut.
    Die objektivierte Natur erzeugt nur den Schein der Freiheit. Die Freiheit selbst gründet in der Fähigkeit, den zugrunde liegenden Objektivationsprozeß als einen Herrschaftsprozeß zu reflektieren.
    Der Rittersche Freiheitsbegriff gehört zu einer Geschichte, in der es Freiheit nur für die gibt, die oben sind.
    Das göttliche Gebot ist nur eine Richtschnur des Handelns, kein Maßstab für das Urteil über das Handeln der andern. Vor diesem Urteil steht die Frage: „Hättest du anders gehandelt, wenn du in seiner Lage gewesen wärest?“ Hierzu gehört der Satz vom Ochs und Esel, die man nicht gemeinsam vor den Pflug spannen soll, Grund des Levinasschen Konzepts der Asymmetrie. Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, nicht wer sie andern als Joch auferlegt. Genau das unterscheidet das Gebot vom Gesetz. Die Universalisierung, die aus dem an mich gerichteten Gebot ein Gesetz für alle macht, leugnet das Gebot. Das ist der utopische Grund von Jer 3134.
    Das Bekenntnis „Du bist der Sohn Gottes“ ist das Bekenntnis Petri und zugleich der Dämonen. Kann, wer heute dieses Bekenntnis fordert, die Frage beantworten: Was hat er davon, wenn ich bekenne, daß er der Sohn Gottes ist? Die Unbeantwortbarkeit dieser Frage macht das Bekenntnis zum Opfer der Vernunft. Die Bekenntnislogik ist das Produkt der Verinnerlichung des Opfers, die der Dialektik der Aufklärung zufolge die Geschichte der Zivilisation begleitet. Und diese Verinnerlichung des Opfers ist der Preis für den historischen Objektivationsprozeß: für den Prozeß, in dem Vergegenständlichung und Instrumentalisierung zusammenfallen, und in dem die instrumentelle Vernunft sich gebildet hat.
    Religion als Blasphemie, das ist die Religion unterm Bann der instrumentellen Vernunft; das ist die Religion, an die man selbst nicht mehr glaubt, die man braucht als Religion für andere: für die Kindererziehung, aber auch um die Gesellschaft in Schach zu halten; diese Religion ist Ausdruck der Angst, daß die Dämme brechen, das Chaos ausbricht, alles überflutet wird (Männerphantasien). – Bezeichnet nicht der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“ den Ursprung der Männerphantasien und den Anteil der Männerphantasien am Ursprung und an der Geschichte der Philosophie, die nicht zufällig die Herrschaftsgeschichte aufs genaueste widerspiegelt?
    Ist Andreas ein beschnittener Alexander (und gibt es den Namen Andreas auch außerhalb der Evangelien), und verkörpert der Name des Philippus die Erinnerung an den Vater des Alexander (der seinen Vater ermordet hat)?

  • 16.12.95

    Pilatus als Kirchenvater: Hat er nicht mit der Freigabe des Barabas die kirchliche Trinitätslehre begründet? Der Name Barabas bezeichnet die vergegenständlichte Selbsterfahrung Jesu, rückt diese in den Bannkreis des Herrendenkens. Als Jesus mit einer Gegenfrage sich weigerte, die Vollmacht, mit der er spricht, vor den Pharisäern und Schriftgelehrten zu benennen, hat er diese Vollmacht gegen ihre Vergegenständlichung verteidigt. Die Nicht-Antwort war die schärfste Kritik der Theologie. Diese Nicht-Antwort präludiert sein Schweigen vor dem Hohen Rat und dann vor Pilatus. Ist nicht die Theologie heute die Produktion dieses Schweigens? Vertritt nicht die Theologie die Pharisäer und Schriftgelehrten, den Hohen Rat und Pilatus gegen ihr eigenes Objekt, das sie zum Schweigen verurteilt (weil sein Wort ihr Angst macht)? Deshalb ist es zu einer der Hauptaufgaben der Theologie geworden zu beweisen, daß die Schrift das, was sie sagt, nicht so meint.
    Ist nicht die Geschichte vom Steuergroschen eine Belegstelle für das Wort vom Greuel am heiligen Ort?
    Theologie-Kritik: Die apologetische Suche nach einer Legitimation der Theologie beweist nur, daß niemand an die der Theologie immanente, sie überhaupt erst begründende Kraft der Selbstlegitimation mehr glaubt.
    Begründung des Rechts: In den Verbrechern erkennt die staatlich organisierte Gesellschaft das projektive Bild ihres eigenen Tuns; das Rechtsurteil und die Strafe sollen die eigene Schuld und das Erschrecken davor durch projektive Bearbeitung aufheben.
    Vgl. Hegels Satz „Das Wahre ist der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“ mit Spinozas Definition der Wahrheit: Verum est index sui et falsi. Liegt die Differenz zwischen den beiden Sätzen nicht im Problem der Beweislogik? Die Spinoza Wahrheit liegt in der Einsicht, sie unterliegt nicht der Beweislogik, während das Wahre Hegels das Wahre für andere ist, das bewiesen werden muß: die durch die Beweislogik vermittelte Wahrheit. Ist die Differenz nicht ein Beleg für das, was Levinas einmal die Asymmetrie zwischen Ich und Du (zwischen mir und dem Andern) genannt hat? Ist nicht Spinozas Definition eine theologische, Hegels Definition hingegen eine juristische?
    Wenn der Apokalypse zufolge das Meer am Ende nicht mehr sein wird, muß man da nicht das Werk des dritten Schöpfungstags zur Erklärung mit hinzuziehen? „Und Gott sprach: Das Wasser unter dem Himmel sammle sich an einen Ort, daß das Trockene sichtbar werde! Und es geschah also. Und Gott nannte das Trockene Land, und die Ansammlung der Wasser nannte er Meer. …“ (Gen 19f). Hinweis: In Texten der Kabbala wird die Stelle, an der es heißt: … sammle sich an einen Ort, übersetzt: sammle sich am Ort der Eins. Bezieht sich das Nicht-mehr-Sein des Meeres auf das Ende des Identitätsbegriffs, auf einen Zustand, in dem es der Identität nicht mehr bedarf? – Vgl. auch die kabbalistische Unterscheidung im Namen des Himmels (schamajim), in dem die Namen von Wasser und Feuer enthalten sind, und das „Alles ist Wasser“ des Thales, mit dem die Philosophie, die Herrschaft des Identitätsbegriffs, beginnt, sowie das Jesus-Wort: „Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“.

  • 3.11.95

    Aufklärung ist die letzte Chance, nachdem der Determinismus, der in der Entfremdungserfahrung des Proletariats den wirksamen Grund der Revolution zu erkennen glaubte, im Faschismus seine raison d’etre und im Stalinismus seine Unschuld verloren hat.
    Wie hängt die Vorstellung, daß Gott die Thora nicht nur selber geschrieben hat, sondern auch weiterhin studiert, mit der Vorstellung vom Buch des Lebens zusammen, in dem die Taten der Menschen aufgezeichnet sind, und in dem sie am Ende sich selbst erkennen?
    Der Kreuzestod hat die Welt nicht entsühnt, sondern ihren Zustand offengelegt.
    Binden und Lösen: Die Orthodoxie hat die Wahrheit einer Zwangslogik unterworfen. Das mathematische Äquivalent dieser Zwangslogik ist die Orthogonalität. Die Griechen haben die Winkelgeometrie erfunden/entdeckt: Der Satz des Thales, der pythagoreische Lehrsatz und schließlich die euklidische Geometrie sind Stufen der Entfaltung der Logik der Orthogonalität.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist ein Teil der physikalischen Lösung des Problems der Orthogonalität.
    Was drückt eigentlich in der Beziehung der Köpfe, Hörner und Kronen sich aus, durch die apokalyptischen Tiere sich unterscheiden? Hat die Beziehung von Köpfen, Hörnern und Kronen etwas mit dem Verhältnis von Herrschaft, Macht und Gewalt oder von Ökonomie, Staat und Religion zu tun? Der Drache unterscheidet sich vom Tier aus dem Wasser dadurch, daß er die Kronen auf seinen Köpfen hat, während das Tier aus dem Wasser sie auf seinen Hörnern hat. Ist der Drache die Ökonomie, das Tier aus dem Wasser der Staat und das Tier vom Lande die Religion?
    Zum Ursprung der Ohrenbeichte (der Priester wird Stellvertreter des Opfers, nimmt ihm die Kompetenz der Vergebung und Versöhnung ab) und zur Geschichte des neuen Sündenbegriffs (der das Bewußtsein und den Willen zu sündigen mit einschließt, die Formalisierung der ezechielischen Eigenverantwortung): Hat die Kirche nicht, als sie die Ohrenbeichte einführte, den Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was zu tun“ in den Indikativ übersetzt (die Bitte generalisiert und als erfüllt angesehen)? Sie hat damit alle, die nicht wissen, was sie tun, für unschuldig erklärt; seitdem aber bleiben alle dumm: die einen angepaßt und „fromm“, die andern rücksichtslos und schlau. Aber sind wirklich, wenn keiner mehr weiß, was er tut, alle unschuldig (ist keiner mehr Täter, verantwortlicher Urheber seiner Handlungen, sind alle nur noch Opfer: Selbstmitleidssyndrom)?
    Wenn die Weltgeschichte das Weltgericht ist, sind alle nur noch Objekt dieses Gerichts, gibt es keinen Ausweg aus der Urteilsmaschine (sind die Pforten der Hölle geschlossen).

  • 31.7.1995

    Bendorf (23.-30.7.):
    sch’ma: lt. Goodman-Thau „den Namen sehen“. Wie hängt das Hören (sch’ma) mit dem Himmel (schamajim) zusammen? Ist dieser Himmel der sichtbarer Inbegriff (ein sichtbares Kollektiv-Abstraktum) des Hörens? – Das Sehen ist ein kommunikativer Akt (es bezieht sich auf den Gegenblick: das Angesicht); davon abstrahiert die Anschauung.
    Die Anschauung zerstört das Sehen wie der Gehorsam das Hören (beide, Sehen und Hören, sind kommunikative Tätigkeiten).
    In der Beziehung der ofanim (der Räder) zu panim (Ez) erweisen sich die Räder als Gesicht, aber in der Einheit von vorn und hinten (der „Felgen“, die eigentlich der Rücken sind, die voller Augen sind).
    Mirjam = mar-jam: bitteres Meer. Vgl. das Magnificat.
    Zu Ez 49ff: Verweist das Bild von dem Brot das auf Menschenkot (und dann auf Rinderkot) gebacken werden soll (und das „Zerbrechen des Stabes des Brotes in Jerusalem“), nicht auf den Ursprung der Marktwirtschaft, ein wesentliches Moment der Geschichte der politischen Ökonomie in Babylon (und auf das „panem nostrum cottidianum da nobis hodie“)? Vgl. Freuds Interpretation des Kot-Symbols (als Geldsymbol), die Ersetzung des Menschen- durch Rinderkot (Erinnerung an die Opfergeschichte: Auslösung der Erstgeburt des Menschen durch Rind). Das Backen des Brots auf Kot als Symbol der Ersetzung der Eigenproduktion durch die Produktion für den Markt (Grund des Ursprungs des Staates; Substitution des Hungers durchs Geld, ein Produkt der Ausscheidung). – Brot als Symbol der Barmherzigkeit (der oberste Bäcker im Gefängnis des Pharao wird hingerichtet: Ursprung des Sklavenhauses).
    Jakob, Esau und das „Erstgeburtsrecht“: Der (das) Erstgeborene ist fürs Opfer bestimmt. Wie hängt die „Erstgeburt“ mit der Beziehung des Raumes zur Umkehr zusammen?
    Ps 1379: Tu es Petrus?
    Der Indikativ (Prinzip jeder Dogmatik) begründet das Schuldverschubsystem und verhindert die Schuldreflexion (begründet den Schein der Entbindung von der Pflicht zur Schuldreflexion). Der Indikativ (und sein Produkt der Staat) ist eine Exkulpationsmaschine. Vgl. den Sühnedeckel in Lev 16.
    Die Erfindung des Indikativ (des „ist“) gründet in der Logik der Schrift. (Das Sein und die Ontologie gehören zu den Fundamenten des Nationalismus.)
    Der Fundamentalismus steht unterm Vorzeichen des Indikativs; durch ihn ist er an den Weltbegriff und an den Nationalismus gebunden (an die Begründung der Sprache durch Gewalt und Hierarchie). Der Fundamentalismus macht die Texte stumm, ersetzt das Wort durch die Gewalt.
    Die homousia ist das Siegel des Kaisers, des Imperiums, im Dogma: ein Produkt des Indikativs, unter dessen Gesetz das Dogma steht. Sie verletzt das Verbot, Rind und Esel vor einen Pflug zu spannen.
    Der Antisemitismus, die Herrschaftstheologie und die Frauenfeindschaft schließen sich nicht nur nicht aus, sie bilden eine Konstellation. Ihr Ursprungsgeschichte beginnt mit dem Urschisma.
    Der Weltbegriff leugnet und verdrängt die asymmetrische Verantwortung: er gründet in den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Verdrängung gleichsam apriori für ihn leisten.
    Verhalten sich Sünde und Schuld wie Objekt und Begriff (Natur und Welt)?
    Rettendes Licht: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 514). Die Finsternis wird nicht am Licht, sondern das Licht an der Finsternis gemessen. „Der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe“ (Jes 457; Vgl. 4518: „der die Himmel geschaffen, … die Erde gebildet … hat“). Nur der Fundamentalismus dekretiert alles als Finsternis, was außerhalb des durch ihn definierten „Lichts“, des Dogmas, des „Bekenntnisses“, ist. Vgl. Lk 1135: Sieh nun zu, ob das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis sei! (Ist nicht der Indikativ der Grund dieser Finsternis?)
    War nicht der scholastische Begriff der Analogie ein Instrument der Übersetzung des Symbolischen in den Indikativ?
    Das Gesicht läßt Ezechiel aufs Antlitz fallen; um hören zu können, muß der Geist ihn wieder auf die Füße stellen.
    Wie hängt das Sehen mit dem Wasser und dem Ich zusammen: Vgl. Ez 11, das „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, Noe, Ham und Kanaan (das Aufecken der Blöße und die Knechtschaft) und den Ursprung der Philosophie (Thales: Alles ist Wasser; Verinnerlichung der Schicksalsidee, Ursprung des Begriffs, Logik der Schrift als Subsumtion des Hörens unter die Logik des Sehens).
    Die Trinitätslehre und die Opfertheologie lassen sich aus einem Prinzip ableiten, dessen Rekonstruktion das Christentum vom Bann, der auf ihm lastet, befreien wird.
    Das „bara“, diese eigentliche Tätigkeit des göttlichen Erschaffens, bezieht sich in der Genesis außer auf die Himmel und die Erde am fünften Tag auf drei Objekte (die großen Seetiere, die Fische und die Vögel des Himmels) und am sechsten Tag auf ein dreifaches Tun an einem Geschöpf: am Menschen (als Sein Bild, als Gottes Ebenbild, als Mann und Weib schuf er ihn). Spiegelt sich darin nicht eine ähnliche Konstellation in den Werken der ersten beiden Tage, an denen er (das Licht von der Finsternis bzw. die oberen von den unteren Wassern) scheidet, wobei er jedoch am ersten Tag die geschiedenen Objekte (Licht und Finsternis als Tag und Nacht), am zweiten Tag das Instrument der Scheidung (die Feste als Himmel) benennt?
    Das Licht im blinden Fleck der Philosophie ist das Angesicht, der Name und das Feuer: der prophetische, der messianische und der apokalyptische (parakletische) Kern der Philosophie.
    Die phonetischen Grundlagen der alphabetischen Schrift sind nicht bedeutungsneutral. Das wird deutlich hervortreten, wenn begriffen wird, wie der Name der Deutschen und der des Feuers mit dem Bedeutungsgehalt der deutschen Ausprache des Diphtongs „eu“ zusammenhängen.

  • 9.5.1995

    Steckt nicht in dem Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“ (Neupublikation 1969, S. 19), die ganze Kritik des Inertialsystems und der Raumvorstellung? Die Distanz zum Objekt und die Beziehung des Herrn zum Beherrschten gründen in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Ist nicht, was bei Kant Erinnerung heißt, eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Planung?
    Sind die Planeten Instrumente zur Austarierung des Zeitkontinuums (und damit auch des Inertialsystems: des dreidimensionalen Raumes)?
    Das Menetekel: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden, ist ein frühes Symbol des Inertialsystems (und jeder Ästhetik): der Abstraktion von der Schwerkraft.
    Was haben Rind und Esel mit der Gravitation zu tun? Gibt es nicht auch eine astronomische Anwendung des Satzes vom Rind und Esel (auch ihrer Beziehung zum Opfer, zur Auslösung der Erstgeburt)? Sind nicht Sünde und Schuld die moralischen Äquivalente der Gravitation (und Objekt und Begriff Reflexe der Abstraktion von der Gravitation)?
    Ist die Technik der Esel und die Ökonomie das Rind? Und ist nicht die Beziehung von Technik und Ökonomie (von äußerer und innergesellschaftlicher Naturbeherrschung) ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Beziehung von Astronomie und Banken? Verweist nicht die Unterscheidung der Zentralbanken von den Geschäftsbanken und innerhalb der Geschäftsbanken die Unterscheidung von Depositen- und Kreditbanken auf den Grund der Dreidimensionalität des Raumes?
    Was bedeutet eigentlich der Spruch „quod licet Jovi non licet bovi“?
    War nicht die Astrologie so etwas wie das frühe Modell einer Regierung: mit Jupiter (Baal?) als Regierungschef, Mars (Nebu?) als Verteidigungsminister, Venus (Ischtar?) als Familienminister und Merkur als Handels- und Wirtschaftsminister; Saturn wäre dann der Finanzminister? Von den klassischen Ressorts fehlen (aus rekonstruierbaren Gründen) insbesondere der Außen- und der Justizminister.
    Und ist nicht die Musik das Echo des Seufzens der Kreatur, das am Ende seinen Wiederhall in den Posaunen des Gerichts und den sieben Donnern finden wird? (Haben die sieben Donner etwas mit dem Brüllen JHWHs zu tun, oder auch damit, daß der Himmel am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollen wird, und hängt es damit zusammen, daß ihre Botschaft nicht niedergeschrieben werden durfte?)
    Der übermächtige Rachetrieb im Nachkriegsdeutschland, der die Politik, das Recht, aber auch die privaten Verhältnisse durchsetzt, gründet in den Racheängsten nach Auschwitz. Die Kollektivscham hat die Kollektivschuld nicht aufgelöst, sondern stabilisiert und zugleich verdrängt. Durch Transformation in die Kollektivscham ist die Kollektivschuld unauflösbar geworden.
    Läßt sich nicht an dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ die Beziehung von Selbstreflektion und Vergegenständlichung sich demonstrieren. Was bei Aristoteles aus diesem Satz geworden ist, ist bereits ein Produkt der Veranderung der Thalesschen Intention.
    Den Positivismus aus dem Gesetz der doppelten Negation ableiten.
    Im Begriff des Notwendigen bezeichnet die Not eher das Subjekt als das Objekt des Wendens.
    Drückt nicht das Moment der Abwehr in der Habermasschen Philosophie aufs deutlichste in der Irrationalisierung der Mimesis (im Nachwort zur Neupublikation der Dialektik der Aufklärung) sich aus (hier prallt der Habermassche Gedanke von der Härte des unreflektierbar gewordenen Raumes ab)?
    Newtons Theorie des absoluten Raumes war darin begründet, daß die Drehung des Raumes um eine seiner Achsen zwar die Form des Raumes, nicht aber die Bewegungen in ihm, unberührt läßt. Das Relativitätsprinzip gilt nur für Translationsbewegungen (für geradlinig gleichförmige Bewegungen), nicht für Rotationen. Ein ruhender Körper in einem um eine seiner Achse rotierenden Raum läßt sich von der Kreisbewegung eines Objekts in einem ruhenden Raum durch das Auftreten von Zentrifugalkräften (in denen die Inertialkräfte sich manifestieren) unterscheiden. Reale kreisförmige Bewegung (wie die Planetenbewegungen im kopernikanischen System) sind in einem Inertialsystem nur möglich, wenn die Zentrifugalkräfte durch Gegenkräfte aufgehoben werden, die nicht auf Inertialkräfte sich zurückführen lassen (wie z.B. die Gravitationskräfte). Noch verwickelter werden die Probleme im Falle der Anwendung des Inertialsystems auf das Licht: Die Erscheinung der Fortpflanzung des Lichts im Raume zieht zwangsläufig (und keineswegs nur empirisch) den ganzen Formalismus der Elektrodynamik und der Mikrophysik (einschließlich des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Paradoxien der Mikrophysik) nach sich: Das Inertialsystem verwandelt die Welt in die Totalität dessen, was der Fall ist.

  • 29.4.1995

    Thales hat recht: Alles ist ist Wasser; aber wurden diese Wasser nicht durch die Feste (die Gott dann Himmel nannte) in die oberen und unteren Wasser geschieden? Die Wasser oben und die Wasser unten: Sind das Prophetie und Philosophie, oder (unterm Bann der Philosophie) deren Spiegelung in den Begriffen Welt und Natur (die infolge dieser Spiegelung: nämlich aufgrund der damit verbundenen Seitenvertauschung, Rechts und Links nicht mehr zu unterscheiden fähig sind)?
    Hitler war nicht der Antichrist, aber die Generalprobe (Karl Thieme): Mit der Verweltlichung der Welt ist in der Theologie eine Scheidung eingeleitet worden, die bis heute nicht begriffen worden ist, nämlich die Scheidung der theologischen Gehalte von der Herrschaftsmetaphorik, mit der sie durch die Tradition verschmolzen sind. Im Faschismus hat die religiöse Herrschaftsmetaphorik (die heute in den großen Buch-Religionen selber im Fundamentalismus sich zu reetablieren sucht) von ihrem theologischen Grunde sich gelöst und sich verselbständigt. Ist es nicht selber wiederum erschreckend, daß die Kirchen bis heute nicht fähig waren, im Faschismus das Spiegelbild ihrer eigenen Herrschaftsverstrickung zu erkennen (weil sie dem Schrecken davor nicht glaubten standhalten zu können)?
    War nicht Adam Urheber und Zeuge jenes Teils der Schöpfung, der unter dem Namen des Sündenfalls überliefert worden ist?
    Nirgends drücken die Rechtfertigungszwänge drastischer sich aus, als in dem Satz: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Dieser Satz gehört in den gleichen Zusammenhang wie der Wunsch der Kinder, nicht so zu werden wie ihre Eltern (oder auch wie das Argument: wenn mich meine Kinder einmal fragen: warum hast du nichts getan, dann will ich darauf antworten können). Das „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“ gehört zu einer Logik, der zufolge nicht die Tat, sondern das Erwischtwerden (durch die Außenstehenden: das „Ausland“, oder durch die Nachgeborenen: die Kinder oder die „Geschichte“) das Schlimmste ist.
    Die List der Vernunft, das mögliche Urteil über das Handeln (die Rücksicht auf die Wahrnehmung der Anderen) zur Richtschnur des Handelns zu machen und durch die Antizipation dieses Urteils sich unangreifbar zu machen, steht unter dem Gesetz der Logik der Scham. (Hat diese Scham nicht etwas mit dem Schatten zu tun, den z.B. in den Naturwissenschaften das Inertialsystem auf die Dinge wirft?)
    Zu den logischen Partikeln gehören auch das Und, das Oder, das Entweder/oder, das Aber, das Sowohl-als-auch, aber auch die Relativpronomen (als Derivate des bestimmten Artikels). Eines der verhängnisvollsten logischen Partikel ist das Ja, aber („Ich habe ja nichts gegen die Ausländer, aber …“).
    Hat das Unkraut in den Evangelien die gleiche Bedeutung wie die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (und in den Anspielungen darauf in der ganzen hebräischen Bibel)? Stammen nicht die Unkrautvernichtungsmittel von dem gleichen Hersteller, der auch das Gas für Auschwitz geliefert hat?
    Ist nicht der private Atombunker, den C.F. von Weizsäcker sich vor Jahren gebaut hat, fast schon der Beweis dafür, daß das Wort von der zivilen Nutzung der Atomkraft eine Rechtfertigungslegende der deutschen Atomphysiker nach dem Kriege war (der dann gelungene Versuch, von ihrer Beteiligung an der Entwicklung der Bombe in Deutschland abzulenken: vgl. die unterschiedlichen Versionen des Heisenberg-Besuchs bei Nils Bohr während des Krieges und die Folgen dieses Besuchs)? Aber hat dieser moralische Rechtfertigungslegende dann nicht auch ganz wesentlich zur Legitimation der „zivilen Nutzung“ der Atomkraft (deren Probleme doch eigentlich von Anfang an offen zutage lagen) beigetragen? Sind nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtfertigungszwangs die AKW’s mit Stammheim, Bad Kleinen (Hogefeld-Prozeß), Startbahn 18 West (und Startbahn-Prozeß) und schließlich mit der Entwicklung im Vatikan unter Johannes Paul II und Ratzinger vergleichbar?
    War nicht schon die Weizsäckersche Formel der Sonnenenergie ein technischer Beitrag zur Entwicklung der Bombe?
    Die Entwicklung der AKW’s (der „zivilen Nutzung“ der Kernenergie), die Ereignisse in Stammheim, an der Startbahn, in Bad Kleinen u.ä. sind Belege dafür, daß am Ende die Version als historische Wahrheit sich durchsetzt, die im Interesse der Herrschenden liegt. Und ist die „historische Wahrheit“, wenn man von ihrem Rechtfertigungszweck absieht, nicht fast schon gleichgültig: Werden diese Dinge nicht in jeder Version zu Belegen für die Wirksamkeit der geradezu irren und selbstzerstörerischen Logik des Rechtfertigungszwangs auf beiden Seiten und zu Instrumenten der Verhinderung einer Erinnerungsarbeit, die den freien Blick auf die Dinge überhaupt erst ermöglicht?

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