Theologie

  • 25.12.1996

    Sind Venus und Merkur die „unteren“ (privaten), Jupiter und Mars die „oberen“ (politischen) Planeten? Und ist Saturn der Planet der Indifferenz, während Sonne und Mond die Verkörperung des Oberen und Unteren sind? Haben Freud und Marx etwas mit den unteren Planeten (den unteren Irrwegen) zu tun, und ist Einstein ganz unten?
    Es gibt zwei komplementäre Formen, die Ökonomie mißzuverstehen: die technische und die moralische. Das technische Mißverständnis macht die Ökonomie zur Natur, um deren technische Beherrschung es geht, während das moralische Mißverständnis die Ökonomie auf individuelle Entscheidungen, die der moralischen Bewertung fähig sind, zurückführt.
    Das Präsens ist der sprachlogische Grund der Erscheinungen, der alle Tempora durchdringt und affiziert: Die Sprachform der Vergangenheit bezeichnet vergangenes, die der Zukunft zukünftiges Präsens. Im Reich der Erscheinungen aber wird die Offenbarung (das Gesetz und die Prophetie) zur Apokalypse.
    Ägypten und Babylon: „An jenem Tag, spricht der Herr der Heerscharen, da zerbreche ich das Joch, das ihren Nacken drückt, und zerreiße ihre Bande, und Fremden sollen sie nicht mehr dienen“ (Jer 308). In Ägypten (im Sklavenhaus und Eisenschmelzofen) waren die Israeliten Fremde, während Babylon die Fremdherrschaft (das Joch und die Bande) über Israel ist. Wer den Juden anstelle des Ziels der Befreiung das der Weltherrschaft unterstellt, verwechselt Israel mit Babylon (das ihm so als Feind selber dann zur Norm wird).
    Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung, der Naturbegriff die Auferstehung: Beide gründen in der das Gesetz der Objektivierung insgesamt beherrschenden Logik der vollendeten Vergangenheit (die zu den Konstituentien des kantischen Reichs der Erscheinungen gehört), in der Ersetzung des moralischen durch das zeitliche Perfekt. Sie verschließen die Zukunft, um sie für die Herrschenden offenzuhalten. Ihr realsymbolisches Modell ist das kopernikanische System, ein Himmel, der zum steinernen Herzen der Welt geworden ist. Aber: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen (Mt 1618), die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht (Jak 213).

  • 23.12.1996

    Ist der „Seitenblick“ der Sturz vom Tempel, und wird das telos dieses Sturzes nicht aufs genaueste beschrieben in dem fahrenden Zug, dem frei fallenden Fahrstuhl und in dem Planckschen Hohlraum? Verweist der Sturz von der Zinne des Tempels auf den Bann des Objektbegriffs?
    Haben die drei Versuchungen Jesu etwas mit den drei Leugnungen Petri zu tun? Haben nicht die Kirchenväter Steine in Brot zu verwandeln versucht, ist nicht die Scholastik der Verführung der Weltherrschaft erlegen, und hat nicht die Aufklärung sich von der Zinne des Tempels gestürzt? Und sind die beiden letzten Leugnungen/Versuchungen nicht austauschbar (war nicht der scholastische Universalismus schon der Sturz von der Zinne des Tempels, und hat nicht die Aufklärung den Grund für eine neue Gestalt der Weltherrschaft gelegt?
    Die Naturwissenschaften beantworten nur die Frage nach dem Wie, nicht die Frage nach dem Was.
    Hegel, Hölderlin und Schelling haben sich mit der Parole „Reich Gottes“ in Tübingen getrennt. Sie haben vergessen, daß das Reich Gottes auch das Himmelreich ist.
    Ist das Planetensystem (das System der Wege des Irrtums) die Ursprungsgestalt des Inertialsystems?
    Gibt es einen Zusammenhang der Geschichte der mittelalterlichen Engellehre (der Lehre von den Engelhierarchien) mit der Geschichte der Fälschungen im Mittelalter, sind nicht beide schon durch den Namen des Pseudodionysius mit einander verknüpft?
    Die Einstein’schen Relativitätstheorien sind Konstrukte, die die Naturwissenschaften im Kern angreifen: die spezielle Relativitätstheorie das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum, und damit den Raum selber, und die allgemeine Relativitätstheorie die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, und damit die den Naturwissenschaften zugrunde liegende Zeitvorstellung?
    Zielt nicht der Unschuldstrieb auf die Leugnung des Jüngsten Gerichts? Jedoch: Nicht die Unschuld, sondern die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Unschuldstrieb mobilisiert die Rechtfertigungszwänge, die zu den beschleunigenden Kräften des fallenden Fahrstuhls gehören, während die Barmherzigkeit den Schleier des Verblendungszusammenhangs, dem der Unschuldstrieb verfallen ist, zerreißt. Die Barmherzigkeit ist der Anfang der Erfüllung des Wortes „Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae“.
    Was heißt das: Stephanus sah den Himmel offen, während Paulus, der in den dritten Himmel entrückt war, Kenntnis von den Elementarmächten hatte?
    Von den sieben Hellenisten werden drei später noch in den Schriften genannt: Stephanus, der gesteinigt wurde, und Philippus, der den äthiopischen Kämmerer taufte und später vier prophetische Töchter hatte, in der Apostelgeschichte, und am Ende Nikolaos in der Apokalypse.
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Die Geldwirtschaft rückt die subjektiven Zwecke in ein Kausalitätssystem: Deshalb gibt es für die moderne Aufklärung keine Zweckursachen mehr. In diesem Kontext gibt es zur Gravitation keine Alternative, ist die Vergangenheit nur noch vergangen.
    Die kopernikanische Theorie wird mir immer unheimlicher und Kant, der erste Ansatz der Reflexion dieser Theorie, immer wichtiger.
    Der Gott der Hebräer, ist das nicht der Gott der Fremden, den die Ausländerfeindschaft nicht mehr erträgt?
    Das ist meine Utopie:
    – Wenn der Geist die Erde erfüllt, wie die Wasser den Meeresboden bedecken,
    – wenn keiner mehr den andern belehrt, weil alle Gott erkennen,
    – wenn das steinerne Herz durch das fleischerne ersetzt wird,
    – wenn die Greise Träume träumen, die Jünglinge Gesichte sehen und über die Knechte und Mägde Sein Geist ausgegossen wird, und
    – wenn am Ende die Herzen der Väter zu ihren Kindern bekehrt werden.
    Die großen Seeungeheuer (die die Schlange im ersten Schöpfungsbericht repräsentieren) symbolisieren das Neutrum: Ist der Fisch, in dessen Bauch Jonas saß, und ist der andere Fisch, den Raphael und Tobias im Tigris gefangen haben, dieses Neutrum? – Ist das Christentum der Jonas im Bauch des großen Fisches, und ist das Dogma der Bauch des großen Fisches?
    Ist das Neutrum aus dem Perfekt entstanden, hat es mit ihm eine gemeinsame Wurzel: Gründet das Neutrum in der (staatlichen) Expropriation des Handelns, der Transformation des Handelns in ein objektives, subjektloses, allein am Zeitablauf sich orientierendes „Sein“ und „Geschehen“, in Natur? Der Transformator ist der Mythos, in seinem Kern die Schicksalsidee.
    Zum Begriff des Zuschauers: Sehen ist ein kollektiver Akt, ein Gattungsakt. Wenn ich sehe, sehe ich mit den Augen der Andern, deren Gemeinschaft ich mich zurechne. Deshalb ist Sehen Urteilen (identitäts- und gemeinschaftsstiftend wie das Feindbild).

  • 22.12.1996

    Die Barmherzigkeit, die ins Herz der Menschen sieht, deckt eine Menge Sünden zu: Sie macht sie nicht ungeschehen, und sie vergibt die Sünden nicht, sie „nimmt sie auf sich“, sie erkennt in der Sünde des Andern die eigene Schuld und bekennt sie. Darin liegt die Hoffnung der Bekehrung des Sünders, in der die Rettung der eigenen Seele beschlossen ist. Bezieht sich hierauf das Wort vom Binden und Lösen? Was sind die Wege des Irrtums?
    Wege des Irrtums: Käme es nicht darauf an, die Planetenbahnen als sprachlogische Bahnen zu begreifen? In diesem Zusammenhang bekäme auch der Satz: „Wir haben seinen Stern gesehen“, Sinn.
    Modell des Verurteilten ist das Objekt, und das Objekt ist das Grab der Sprache (die subjektiven Formen der Anschauung sind das Kreuz und der Stein, der das Grab verschließt, und der die Sorge Maria Magdalenas war, als sie zum Grab ging, um den Toten zu salben). Sind nicht die Begriffe Denkmäler der Namen auf dem Grab (oder auch das Reich der armen Seelen der abgestorbenen Sprache)?
    Durch die Opfertheologie ist das Christentum wieder zu einer Naturreligion geworden.
    Die Opfertheologie ist der Kern der Bekenntnislogik und der Grund ihrer Ambivalenz: Sie ist offen für die Identifikation mit dem Opfer als auch für die Identifikation mit den Verfolgern, den Tätern. Sie ist offen für die Barmherzigkeit und für ihre Instrumentalisierung durch die Welt und den Staat.
    Nach der Märtyrerzeit, mit der geschlechtsspezifischen Trennung der Heiligengestalten in Confessor und Virgo, ist die Ambivalenz der Bekenntnislogik durch Anwendung auf die Geschlechtertrennung nur neutralisiert, nicht aufgehoben worden. Die Männer haben die Bekenntnisreligion in Regie genommen, die Frauen sind fromm geworden.
    Wie lautet Apg 139 „Saulus aber, der auch Paulus heißt, blickte ihn an, erfüllt mit dem heiligen Geist, und sprach …“ im Griechischen? – „Saulos de, ho kai Paulos, plästheis pneumatos hagiou atenisas eis auton eipen …“
    Hat die Geschichte von den sieben unreinen Geistern etwas mit der Zahl 666 zu tun? Ist es der gleiche Mensch, den der eine unreine Geist verläßt, um dann mit sieben weiteren unreinen Geistern zurückzukehren: „und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten“, von dem es dann heißt: „… sie ist die Zahl eines Menschen; seine Zahl ist 666“?
    Für die Christen war Rom Babylon, für die Juden Edom (mit der Folge, daß „die Könige, die im Lande Edom regiert haben, ehe ein König regierte in Israel“ aus Gen 3631ff Gegenstand der jüdischen Mystik geworden sind): Was drückt in dieser Differenz sich aus (Herodes war ein Idumäer, Pilatus war der Statthalter Roms; Herodes hat Johannes enthaupten lassen, Pilatus hat die Rebellen, unter ihnen auch Jesus, gekreuzigt – und Paulus war bei der Steinigung des Stephanus anwesend; zu den messianischen Titeln Jesu gehört neben dem des Gottessohns und dem des Menschensohns auch der des Sohnes Davids)?
    Ton Veerkamp weist gelegentlich darauf hin, daß es im Hebräischen das Verb „haben“ nicht gibt. Es wird hier ersetzt durch eine Dativ-Konstruktion, entsprechend dem hessischen „das ist mir“. Hat das „gehören“, das wir an die Stelle des „ist“ setzen würden, etwas mit dem Gehorsam zu tun: Ist der Gehorsam die Tugend dessen, der einem andern „gehört“?
    Haben und Sein: Das „haben“ bezeichnet neben dem Besitz auch das Perfekt, die vollendete Vergangenheit: Ist die Übersetzung ins Perfekt, ins Vergangene, die das Inertialsystem an den Dingen vollzieht (und deren Vorform die indoeuropäische Form des Perfekt ist, die Bindung der Konjugation an die Zeit), ihre Übersetzung in ein potentielles Besitzverhältnis? Und gründet darin die sprachliche Beziehung des Infinitivs „Sein“ zum Possessivpronomen der dritten Person singular männlich (sein)? Ist das Sein ein in die Potentialität zurückgedrängtes Haben?
    Strafrecht: Durch das Urteil und die daraus abgeleitete Strafe gewinnt der Staat ein Besitzrecht an dem Verurteilten. Der Ursprung der Knäste liegt in dem Institut der Schuldknechtschaft, mit der das Geld die ganze Welt überzieht, sie zur Welt macht.

  • 21.12.1996

    Zur Feindbildlogik gehört nicht nur die Enthemmung der Moral, die mit dem Verhalten des Feindes begründet wird, die Wahrnehmung und Legitimierung des Bösen, das in einem selber steckt, am Feind, an dem es zugleich zu bestrafen ist: Der Kampf gegen den Feind ist Teil eines Mechanismus, der mich dem Feind gleich macht. Dafür ist der Feind zu verurteilen und zu bestrafen: So wird meine Bosheit legitimiert und durch die Bestrafung des Feinds zugleich entsühnt (der Judenmord war ein hygienischer Akt). Der Heldentod, zu dem das Martyrium am Ende verkommen ist, legitimiert sich selbst: Die Erinnerung wäre nicht zu ertragen, wenn das umsonst gewesen wäre.
    Der Satz „Soldaten sind Mörder“ ist noch zu harmlos: Sie sind es mit gutem Gewissen, und um das zu schützen, wird dieser Satz unter Strafe gestellt. Das Problem ist nicht die Tat, die nicht rückgängig zu machen ist, sondern das gute Gewissen, mit dem sie verknüpft ist: Es fügt zur Tat den Wiederholungszwang hinzu.
    Heute tun alle ihr Pflicht, aber keiner weiß mehr, was er tut: Ist das nicht der Grund des subjektlosen Lebens?
    Nicht das Opfer Kains, sondern das Abels war dem Herrn wohlgefällig. Welches ist das Opfer Kains, und welches ist das Abels? Hat die RAF das Opfer Kains gebracht?
    Verbirgt sich hinter den „klaren Positionen“ und den „klaren Fronten“ nicht immer ein Stück Gemeinheit, der Versuch, sich der Solidarität der Andern als eines Instruments, als einer moralischen Zwangssolidarität zu bedienen: einer Solidarität durch Komplizenschaft?
    In einem Essay über Ingeborg Bachmann (in Lettre 35, IV/96) erwähnt Dorothea Dieckmann den Angriff einiger Studentinnen auf Adorno, der übrigens nach meiner Erinnerung in einer Vorlesung und nicht im Seminarraum des Instituts stattfand; und Adorno hatte nicht bei diesem Angriff der Studentinnen, sondern schon vorher, anläßlich der Besetzung des Instituts durch Studenten, die Polizei gerufen. Das aber rückt den Vorgang in eine Perspektive, die den daran anschließenden Bemerkungen der Autorin die Grundlage entzieht. Aber wie auch immer: Den Satz „Welche Geste obszöner ist, diese (nämlich Adornos Ruf nach der Polizei, H.H.) oder die der Studentinnen, ist nicht auszumachen – wohl aber, welche intelligenter ist. Die Angreiferinnen haben, wenn auch unfreiwillig, den restriktiven Verteidiger des Besonderen in der Kunst an der ‚richtigen‘, eben der Schwachstelle getroffen“ (Hervorhebung von mir), kann ich nur verstehen, wenn ich den Grad der Intelligenz an dem der Gemeinheit, die den Andern „an der ‚richtigen‘, eben an der Schwachstelle“ trifft, messe. Und hier war Adorno nun wirklich leicht zu übertreffen. Gibt dieser Satz nicht den erschreckend falschen Ansatz des ganzen Essays preis, der auch bei Ingeborg Bachmann Leiden in eben das Feuilleton transformiert, unter dem Ingeborg Bachmann, die sich nicht mehr wehren kann, gelitten hat? Es gibt heute eine Verzweiflung, die verraten und geschändet wird, wenn man sie in die Nähe des Martyriums rückt. Die Märtyrertradition war einmal der Anfang der Heldenverehrung. Leiden ist kein Wahrheitsbeweis.
    Der Kampf gegen die „Weltordnung“, das ist so, wie wenn man einen Kampf gegen die transzendentale Logik führen wollte, die am Ende als der Grund jeder „Weltordnung“ sich erweist. Dieser Kampf wird, wenn er die Reflexion verwirft, zwangsläufig zum Gespensterkampf.
    Die Kollektivscham war die Schiene, über die der Mechanismus installiert worden ist, durch den der Faschismus sich rekonstruieren konnte. Die größte Gefahr für den Faschismus war die Selbstreflexion, die durch die Kollektivscham gebannt und in die Logik der Verurteilung umgeleitet worden ist. Der Verhinderung dieser Selbstreflexion dienen u.a. die Verwirrung der Kritik, die die Selbstreflexion unter Rechtfertigungszwänge setzt, gegen die sie nur als erwachsene, über die Fähigkeit der Reflexion im Andern, sich zu behaupten vermag. Genau das aber verhindert die Scham, die die sich Schämenden infantilisiert.
    Sind nicht durch diese Logik inzwischen die Hardliner der RAF zu Sympathisanten und Unterstützern der BAW geworden? Heute ist jede Front eine verkehrte Front.
    Es vielleicht doch einmal sinnvoll und notwendig, die Geschichte der Naturwissenschaften als eine Geschichte des Frontbegriffs zu beschreiben. An ihr wäre zu zeigen, daß heute jede Front eine verkehrte Front ist. Die Fronten der Naturwissenschaften heute: Mikrophysik, Weltraumforschung, Genforschung?
    Augenlust: Die „nackten Tatsachen“ sind das Alibi der Gemeinheit. Sie bedürfen der Feigenblätter, aber Gott hat ihnen einen Rock aus Fellen gemacht. Wäre es nicht unsere Sache, ihnen das Kleid zu fertigen? Das Wort von der Bedeckung der Sünden bezieht sich auf die nackten Tatsachen. Die Nackten bekleiden, das gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Die nackten Tatsachen korrespondieren dem Begriff der rohen, unbearbeiteten Natur und dem Namen der Wilden. Die nackten Tatsachen korrespondieren der Urteils- und Empörungslust: der Augenlust. Es war Ham, der die Brüder auf die Blöße des Vaters hinwies, und es waren Sem und Japhet, die die Blöße bedeckten. – Die Medien vermarkten die Urteils- und Empörungslust, sie bannen ihre Konsumenten in die Augenlust des Zuschauers.
    Fleischeslust: Die Entdeckung und Unterwerfung Amerikas hat den Zusammenhang der Bekehrungs- mit der Mordlust erstmals vor Augen gestellt. Diese Logik ist am Ende im Holocaust explodiert (synthetisches Urteil apriori: in der „Unbekehrbarkeit“ der Juden, die der Rassismus nur begründen sollte, während in ihr in Wahrheit nur die eigene Unbelehrbarkeit der Antisemiten sich widerspiegelte, war die „Endlösung der Judenfrage“, der Genocid, bereits vorentschieden).
    Hoffahrt des Lebens: Die Anschauung, die vom Gegenblick abstrahiert (und so sich selbst blind macht), macht das Objekt zur Folie der Projektion, des Begriffs.
    Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Barmherzigkeit, nicht schon die Solidarität.
    Es gibt zwei Begriffe des Verstehens, die deutlich unterschieden sind: Das Verstehen, das vor dem Holocaust versagt, ist eines, das auf die Ethik als prima philosophia sich gründet; dagegen wird der Holocaust verständlich, ja ableitbar, im Kontext der Ontologie als prima philosophia. Diese Unterscheidung korrespondiert der kantischen Unterscheidung des reflektierenden und bestimmenden Urteils.
    Ist die Justiz die Verkörperung des nachtragenden Prinzips? Der Beruf des Staatsanwalts schließt jeden Gedanken an eine Vergebung der Schuld aus. Ein Staatsanwalt würde seine Pflicht verletzen, wenn er eine ermittelte Verletzung des Gesetzes nicht einem Verfahren zuleiten würde, das darauf abzielt, die im Gesetz für diese Verletzung vorgesehenen Folgen eintreten zu lassen. Der Staatsanwalt ist der Anwalt eines Staates, der – wie der Rachetrieb, aus dem er sich speist – nicht vergißt, weil er der Erinnerung nicht fähig ist. Dem Nicht-Vergessen entspricht eine Verdrängung, dessen institutionelle Verkörperung der Knast ist. Das Strafrecht ist eine Verdrängungsmaschine.

  • 20.12.1996

    Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, ist identisch mit dem andern, daß er barmherzig ist.
    „Der Sinn ‚Gottes‘ ist die solidarische Gesellschaft“ (Ton Veerkamp, S. 99): Aber schließt das nicht auch die Vergangenheit mit ein: die Solidarität mit den Toten? Gilt nicht Horkheimers Satz immer noch: Wie kann auf diesem riesigen Leichenberg, auf dem wir leben, je eine richtige Gesellschaft errichtet werden?
    Nach Jer 423 entspricht der Erde das tohuwabohu, dem Himmel die Finsternis über dem Abgrund. Licht und Finsternis sind wie Wasser und Feuer Kategorien des Himmels, Kategorien der Reflexion des Himmels im Medium der Sprache. Im Kontext der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gibt es die Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis nicht mehr. „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 514, vgl. Joh 812).
    Erinnert nicht Ton Veerkamps Begriff der Weltordnung an den Habermas’schen „herrschaftsfreien Diskurs“? Es ist nicht nur eine Sache der freien Entscheidung, ob man sich für eine andere Weltordnung oder für den herrschaftsfreien Diskurs einsetzt. Es gibt neben der bestehenden Welt keine andere Weltordnung, die nicht durch die Reflexion dieser bestehenden Welt vermittelt wäre, und ebenso gibt es keinen herrschaftsfreien Diskurs, der nicht der Reflexion von Herrschaft bedürfte, um den Diskurs aus dem Bann der Herrschaft zu lösen.
    Mit der Marx’schen Kritik des deutschen Idealismus ist der Geist nicht erledigt. Marx hat Hegel nicht in dem Sinne widerlegt, daß man sich danach nicht mehr mit ihm zu befassen brauche. Er hat ihn „vom Kopf auf die Füße gestellt“: Seine Kritik war ein Akt der Umkehr.
    Der Weltbegriff ist der Inbegriff einer Eigentumsordnung, die vom individuellen Eigentümer abstrahiert, und deren Urheber der Staat, das Organisationsprinzip einer Gesellschaft von Privateigentümern, ist.
    Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein: Hat das nicht etwas mit der Welt zu tun, mit dem Knoten, den Alexander nur durchschlagen, nicht gelöst hat?
    Die Welt ist der Inbegriff einer apriorischen Logik, die uns die Erfahrung abnimmt.
    Wenn der Ursprung des Weltbegriffs zivilisationsbegründend war, dann war Auschwitz der Zivilisationsbruch, in dem die Welt untergegangen ist.
    Verstand und Einsicht: Während die Einsicht auf die Erkenntnis des Herzens, des Organs der Barmherzigkeit, sich bezieht, bezieht sich der Verstand auf das Auge, das Organ des Urteils, des Gerichts.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Als sie erkannten, daß sie nackt waren, haben sie gelernt, sich in den Augen der Andern wahrzunehmen. Dagegen steht der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht (auch dieser Satz steht im Imperativ, nicht im Indikativ).
    Das „Bedecken der Sünde“ hat etwas mit der Vergangenheit und mit der „Erinnerungsarbeit“ zu tun: mit der öffentlichen Reflexion der Kräfte der Vergangenheit, die so ihre anwachsend nachtragende Macht über uns verlieren, deren Bann über uns nur so gebrochen werden kann. Die Sünde ist dieser Bann, der das Licht der Reflexion nicht aushält, nicht erträgt.
    Läßt der „Zentralbank-Kult“ (Edward Luttwak in Lettre Nr. 35, IV/96, S. 8ff) als ein zwangslogischer Versuch, das kopernikanische System politisch-ökonomisch nachzubilden, sich verstehen? Die Finsternis über dem Abgrund ist das gesellschaftliche Äquivalent des kosmischen tohuwabohu.
    Hegels logische Korrespondenz von Ich und Ding läßt sich näher bestimmen, wenn man das Ding als Ware begreift und das Ich als Reflexionsform der Warenform.

  • 19.12.1996

    Objekte sind ausländisch: Jede Landesgrenze ist eine Verurteilungs- und Schuldgremze.
    Ton Veerkamp: Der erste Johannesbrief (TuK Nr 71/72):
    – „Raffgier“ (S. 45) antisemitisch?
    – Sprache und Inertialsystem: Ist die Sprache Bubers (und in der Folge die Ton Veerkamps) nicht eine Konsequenz aus der Anerkennung der Herrschaftslogik, die vom Inertialsystem nicht zu trennen ist? Folge: Unschuldstrieb (nicht Sünde, sondern Schuld – „Verfehlung“, „sich daneben benehmen“ (S. 65) – als Maßstab)
    . „Huld“/Barmherzigkeit (s.o.); „Bewährung“/Gerechtigkeit; „Weltordnung“/Welt; „Solidarität“/Liebe,
    . 68er Desiderat: affirmativer Gebrauch des Begriffs der Ideologie („falsches Bewußtsein“ nicht reflektiv, sondern nur als Waffe),
    . „klare politische Linie“, „unbedingte Ablehnung“, „kompromißlos“ (S. 66/88),
    . „wie ‚Gott‘ geschieht“ (vgl. „wie Gott funktioniert“ – in: Vernichtung des Baal): Ästhetisierung/Historisierung,
    . Tribut gezollt (nicht „gewährt“, S. 91): Tribut nur im „Ausland“, in unterworfenen Völkern, Einfuhrzoll für das Recht der Existenz unter der Besatzungsmacht,
    . „Bekenntnis zu“ (S. 85), Problem der Bekenntnislogik (dagegen: Bekenntnis des Namens),
    . Opfertheologie: „barbarischer Unsinn“ (S. 75) – reflektieren, nicht verdammen; Verurteilung, Feindbildlogik und Xenophobie („barbarisch“),
    . „Inspiration“/Geist: daß mit der Marx’schen Widerlegung der idealistischen Systeme der Name des Geistes obsolet geworden ist, ist wahr und unwahr zugleich.
    – Problemkreis Antichrist/Apokalypse/Antijudaismus (S. 52)?
    Verweist der Übergang vom hebräischen Satan auf den griechischen diabolos nicht auf einen Fortschritt, liegt dazwischen nicht der Weltbegriff, verweist die logische Figur des diabolos nicht darauf, daß das Satanische, das Prinzip der Anklage (der Verurteilung), in die Struktur der Welt mit eingegangen ist, ja eigentlich sie begründet? Deshalb gibt es im NT (und in der Folge davon in den Weltreligionen) Dämonen. Die Idee der creatio mundi ex nihilo ersetzt die Schöpfung durch einen Abstraktionsprozeß.
    Ton Veerkamps Begriff der „Weltordnung“ macht etwas deutlicher, aber zugleich verwischt es auch etwas. Es ersetzt die im Anblick von Rom notwendige Kraft der Reflexion (des Weltbegriffs) durch ein praktikables Feindbild. Auch diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Wer seinen Hegel kennt, weiß, daß Begriffs- und Herrschaftsgeschichte so mit einander verflochten sind, daß sich das eine vom andern nicht mehr ablösen läßt. Die Größe der Gefahr, die Rom verkörpert, wird erst sichtbar im Licht des Weltbegriffs. Der Begriff der „Weltordnung“, der diese Gefahr zum Feindbild verdichtet, ist schon Produkt einer Verharmlosung.
    Wird nicht, wenn man den Namen der Liebe durch den Begriff der Solidarität ersetzt, das Entscheidende herausdefiniert? Solidarität steht schon unter dem Gesetz der Instrumentalisierung (Liebe ist auch instrumentalisierbar: dagegen richtet sich der Rat der Keuschheit).
    Steckt nicht in der Praxis der Geldschöpfung, der Kreditschöpfung durch die Banken ein astronomiekritisches Potential (Grund der Beziehung des Begriffs der creatio mundi ex nihilo zur Ursprungsgeschichte des Staates, zur Ursprungsgeschichte des Gewaltmonopols des Staates)?
    Die Idee der Barmherzigkeit enthält das Potential einer Kritik der Transzendentalphilosophie, sie vermag insbesondere die Stellung und Bedeutung der transzendentalen Ästhetik in der Transzendentalphilosophie endgültig aufzuklären. Die Sprengung des Begriffs gründet in der Sprengung der ästhetischen Grundlagen des Begriffs (in der Beziehung des Begriffs zu den Formen der Anschauung, der Schaubühne unserer subjektiven Vorstellungen, unserer Vorstellungen von Natur und Geschichte).
    Gründet nicht die politische Theologie in der Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils (in der Vertauschung und Verwechslung von Subjekt und Prädikat), und verbindet das nicht deren gegenwärtige Verkörperungen mit ihrer Ursprungsgestalt in der politischen Theologie Carl Schmitts? Gilt das Freund-Feind-Paradigma nicht auch für die nachfolgenden (nachfaschistischen) Konstrukte? Das Problem der politischen Theologie gleicht dem der naturwissenschaftlichen Astronomie: Sie macht das Ungleichnamige gleichnamig, indem sie die Sphäre der Herrschaft mit der theologischen in eins setzt. Sie rührt an das Problem, das Derrida fast schon denunziatorisch an Benjamins „Kritik der Gewalt“ glaubte gesehen zu haben: an das Problem der Ununterscheidbarkeit des Holocaust von der göttlichen Gewalt.
    DIE BANK GEWINNT IMMER: Es gibt keine Chance, mit politischen Mitteln die Beziehung von oben und unten umzukehren; man kann nur die Personen austauschen, aber nicht die Strukturen ändern: und das hilft nicht viel. Die Beziehung von oben und unten unterscheidet sich von den anderen Richtungsbeziehungen dadurch, daß sie irreversibel ist. Die einzige Chance benennt Jakobus: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Name der Barmherzigkeit aber ist der des Geistes.
    Die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Gerechtigkeit durch den der Bewährung, der ihn in einen autoritären Grund verpflanzt, läßt sich an dem Satz Horkheimers prüfen: Ein Richter, der in einen Angeklagten nicht mehr sich hineinversetzen kann, kann kein gerechtes Urteil mehr fällen. Wer den Begriff der Gerechtigkeit durch den der Bewährung ersetzt, begibt sich der Möglichkeit der Rechtskritik (die zu den zentralen Gegenständen der Prophetie gehört). Er kann Recht und Gerechtigkeit (Links und Rechts) nicht mehr unterscheiden.

  • 17.12.1996

    Wie der Tempel im Anfang das Haus des Namens war (und dann deutlich vom Haus des Herrn und vom Haus Gottes sich unterscheidet), war auch das Bekenntnis zunächst das Bekenntnis des Namens. Darin war die Beziehung zur Anrufung des Namens, eine Sprachbeziehung, enthalten, die durch die Reflexionsbeziehung zur Schuld, zum Schuldbekenntnis, die mit dem Begriff confessio/Bekenntnis mit gesetzt ist, reversibel gemacht wird, damit aber den Namen löscht (die Beziehung, die im Bekenntnis des Namens sich ausdrückt, ist als eine reine Sprachbeziehung irreversibel – diese Irreversibilität wird, nachdem sie durch die Zeit usurpiert worden ist <durch Subsumtion unter die Zeit>, im Begriff, dem dann ein Objekt korrespondieren muß, neutralisiert: Hat nicht die Kirche im Symbolum das Bekenntnis des Namens durch das Glaubensbekenntnis und dann mit der Eucharistieverehrung den Namen durch die dingliche Gegenwart ersetzt?).
    Liegt nicht ein Problem Rosenzweigs im Begriff der Offenbarung im Übergang von der Liebe Gottes zum Schuldbekenntnis der Seele, müßte hier nicht die Gottesfurcht stehen?
    Das Gesetz der Reversibilität (in dem der Schuldbegriff gründet) wird durch die subjektiven Formen der Anschauung in die Sprache hineingebracht. Die subjektiven Formen der Anschauung (der Taumelkelch) haben die Sprache instrumentalisierbar gemacht. Sie verwirren die erkennende Kraft des Namens, ohne sie jedoch löschen zu können; sie sind die „Pforten der Hölle“, die die Kirche (und die in ihr aufbewahrte Kraft des Namens) nicht überwältigen werden.
    Der Name ist das Herz der Sprache. Aber was sind die „Nieren“ der Sprache? (Sind die Nieren nach innen, was das Herz nach außen ist?)
    Jedem Urteil liegt eine Verurteilung zugrunde: Ist diese Verurteilung das Feuer im brennenden Dornbusch?
    Im Hogefeld-Prozeß war das Weltgericht in Aktion zu sehen.
    Wenn Sehen Urteilen ist, dann ist Augenlust Urteilslust (und nicht – so Ton Veerkamp – „Raffgier der Augen“). Sollte nicht der antisemitische Sprachgebrauch, der das jüdische „raffende“ Kapital dem arischen „schaffenden“ Kapital gegenüberstellte, vor dieser Wortwahl schrecken?
    Zur Buberschen „Huld“: Unterscheidet sich nicht die „Huld“ von der Barmherzigkeit sowohl theoretisch wie auch praktisch? Huld ist eine Form der Anerkennung des Knechts durch den „gnädigen Herrn“, die die Herrschaftsbeziehung nicht antastet, sie bleibt eindimensional und im Bann dieser Herrschaftsbeziehung: Der Knecht „huldigt“ seinem Herrn, während der Herr dem Knecht „Huld erweist“, die er ihm sofort entziehen würde, wenn der Knecht versuchen würde, aus dieser Herrschafts- und Huldbeziehung auszubrechen. Huld ist herrschaftsstabilisierend. Von der Barmherzigkeit hingegen heißt es: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater in den Himmeln barmherzig ist“. Barmherzigkeit ist eine im Kern theologische Kategorie, ihre Bedeutung und ihre erkenntnisaufschließende Kraft ist nur in theologischem Zusammenhang zu begründen und zu entfalten; Barmherzigkeit gehört zu den Attributen Gottes, von denen Emanuel Levinas einmal gesagt hat, daß sie im Imperativ, nicht im Indikativ stehen (das Bekenntnis ist die öffentliche Manifestation des Hörens dieses Imperativs). In dem Jakobus-Wort „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ drückt aufs genaueste der subversive, herrschaftskritische Charakter dieses theologischen Begriffs (und in ihm jeder Theologie, die diesen Namen verdient) sich aus. Barmherzigkeit ist das Gegenteil einer Herrentugend: Bis heute gibt es keine Gestalt der Herrschaft, die nicht, um für ihre Aufgaben sich zu qualifizieren, die Barmherzigkeit, die Fähigkeit, in andere sich hineinzuversetzen, in sich unterdrücken und verdrängen muß. Deshalb gibt es bis heute keine Gestalt der Herrschaft, die nicht für das, was sie sich selbst antun muß, für ihre Verhärtung, den Preis zu zahlen hätte: den der Verblendung, der Erfahrungs- und Wahrnehmungsunfähigkeit. Nur bei ihrer Dummheit (und d.h. nur durch den Geist, dessen erkennende Kraft in der Barmherzigkeit oder, was damit identisch ist, in der erkennenden Kraft des Namens gründet) ist Herrschaft angreifbar. Barmherzigkeit als die jedes Herrendenken sprengende Kraft ist der Kern der Solidarität, die einzige Chance, auch unten den Kopf oben zu behalten. – Wenn Gott die Propheten im Mutterschoß berufen hat, hat er sie dann nicht in der Barmherzigkeit, die der Mutterschoß der Sprache ist, berufen?
    Die Barmherzigkeit bringt Licht in den blinden Fleck der Logik, sie sprengt den Begriff durch die erkennende Kraft des Namens.
    Gegen Unbarmherzige ist die Barmherzigkeit unbarmherzig: Das Hegel’sche Weltgericht ist nicht das Jüngste Gericht, vielmehr wäre das Jüngste Gericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.

  • 16.12.1996

    „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“: Die Bekenntnislogik war das Instrument der Auflösung des Naturbegriffs durch eine Zwangsreflexion, die durch die Opfertheologie (und durch die Geschichte des Weltbegriffs, in der diese gründet) vermittelt ist. Die Bekenntnislogik reflektiert einen Bekenntnisbegriff, der seinem Ursprung im Schuldbekenntnis hat, aus ihm durch ihm durch eine systematische logische Umkehrung hervorgegangen ist (sic, B.H.). In der Bekenntnislogik wird das Schuldbekenntnis, das auf die Fähigkeit zur Schuldreflexion als Selbstreflexion sich gründet, zum Fremdbekenntnis, zum Schuldverschubsystem, zu einem systematischen Instrument der Abwehr, Verschiebung und Projektion. Es ist die gleiche Umkehr, die bei Kant das Verhältnis von reflektierendem und bestimmendem Urteil in der Sache bestimmt (das Instrument dieser Umkehr ist die transzendentale Ästhetik, sind die subjektiven Formen der Anschauung und in ihnen die durch Orthogonalität und Reversibilität definierten Beziehungen der Richtungen im Raum, die das Ungleichnamige gleichnamig machen). Zu den Wirkungen der Bekenntnislogik (aus denen ihre Ursprungsgeschichte sich ablesen läßt) gehört die Selbstzerstörung der an die Sprache gebundenen Sensibilität, die sie durch Empfindlichkeit ersetzt. Die Empfindlichkeit (die insgesamt pathologisch ist) gründet im Rechtfertigungszwang, der selber als Umkehrung der Fähigkeit zur Schuldreflexion, als Produkt der Verdrängung und Unterdrückung dieser Fähigkeit, sich begreifen läßt. Im Kontext dieses Rechtfertigungszwangs gründet eine Logik, unter deren Bann die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen sich verwischt, unkenntlich wird: die Logik der Verurteilung (die dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrundeliegt). So bleibt Auschwitz unter moralischem Apriori „unverständlich“, während das, was hier geschehen ist, ohne daß das an dem Urteil über das Grauenhafte etwas ändert, unter den Prämissen der Schuldreflexion (die durch den Weltbegriff außer Kraft gesetzt werden) sehr wohl sich verstehen läßt.
    (Hierzu:
    – Verurteilung des Nationalsozialismus ohne Reflexion des Schreckens nicht möglich;
    – Reflexion des Schreckens und Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung;
    – Schuldverschubsystem, „Entsühnung der Welt“, Entlastung und Enthemmung, das Problem des Strafrechts und die Ohrenbeichte, Kirche und Staat als Produkte der Vergesellschaftung des Opfers und der Rache;
    – das Dogma, die Orthodoxie, das Geld, das Inertialsystem und die Logik der Verurteilung, des Schuldverschubsystems;
    – das Gebot der Feindesliebe und der imperativische Gehalt der Attribute Gottes;
    – die Astronomie und der Name des Himmels.)
    Das Problem der Bekenntnislogik ist ein lateinisches (und in der Folge dann ein deutsches) Problem. Die confessio ist ein halbiertes homologein. Sie unterscheidet sich wie das Bekenntnis vom homologein durch die Abstraktion von der Nachfolge (dem christlichen Äquivalent der Umkehr). Augustinus‘ Confessiones stellen dann die Beziehung zum „Sündenbekenntnis“, zur Schuld, her. Das homologein ist als Name der Umkehr aufs zukünftige Handeln bezogen, die confessio aufs vergangene, auf die „Bekehrung“, deren Geschichte Augustinus in seinen Confessiones erzählt, am Ende nur noch auf den Taufakt. Die confessio hat das homologein der Herrschaftslogik unterworfen. Erst als Bekenntnis wird das Bekenntnis endgültig und unentrinnbar zu einem Instrument der Herrschaftslogik: Durch die Umkehr des Schuldbekenntnis im Glaubensbekenntnis bekenne ich die Schuld der Andern, die ich weder bekennen kann noch darf. Durchs Glaubensbekenntnis wird das Christentum zum Christentum für Andere, hat es sich selbst instrumentalisiert. Diese Logik der Instrumentalisierung, die in der Theologie sich entfaltet hat, ist dann zum Modell der naturwissenschaftlichen Aufklärung geworden.
    Die Bekenntnislogik reprodziert und stabilisiert die Gewalt des Begriffs, während die Nachfolge den Begriff zurückübersetzt in den Namen (die Blätter des Feigenbaums zurückübersetzt in die Frucht).
    Gewinnt die Tatsache, daß nach dem Ende der Märtyrerzeit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in (männliche) Bekenner und (weibliche) Jungfrauen erfolgt, im Kontext dieser Logik nicht eine ungeheure symbolische Bedeutung?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne das projektive (feindbildlogische) Moment, das in dem Namen der Barbaren erstmals sich ausdrückt. Dieses projektive Moment ist in der Bekenntnislogik zur logischen Automatik geronnen: Deshalb gehört zur Bekenntnislogik ein eliminatorischer Wahrheitsbegriff: das Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter (der Häresien) und die Frauenverachtung.
    Sind nicht die Christen reflektierte Barbaren, und gehörte zur Rehellenisierung des Christentums nicht die erneute projektive Ableitung dieses Syndroms im Namen der Wilden (auch im Begriff der „rohen Natur“, die nur durch Bearbeitung zu humanisieren ist)?
    Wer mit dem Verurteilen das Verstehen tabuisiert, die Fähigkeit, auch ins Verurteilte noch sich hineinzuversetzen, unterdrückt, fördert die Barbarei, die aus dem Vorurteil folgt. Und diese Geschichte (die Geschichte des Vorurteils) hat angefangen in der Geschichte der Dogmas, im Kampf gegen die Häresien, die auch nur verurteilt, aber nie verstanden wurden. Wer heute eine transzendentale Logik schreiben wollte, müßte sie als Reflexion der Bekenntnislogik schreiben, ihr Ziel wäre eine Theorie des Antisemitismus, der Xenophobie und des Sexismus. Diese Reflexion könnte dann allerdings vor dem Naturbegriff nicht halt machen, sie würde ihn sprengen.
    Im Bekenntnisbegriff ist das Pharisäische zu einem Teil des logischen Systems und damit instrumentalisiert worden. Und die kirchliche Rezeption Pharisäer-Kritik, der Verurteilung der Pharisäer, gehörte zu den Grundlagen des Bekenntnisbegriffs. Das Symbol dieser Geschichte ist das biblische Symbol des Feigenbaums.
    Zur Logik der Verurteilung gehört Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts, und es ist nun wirklich ungeheuerlich, daß es – soweit ich sehe – zu Derridas „Gesetzeskraft“, zu seinen Reflexionen zu Benjamins Kritik der Gewalt, aus dem Bereich der Frankfurter Schule keine Erwiderung gibt.
    Das Problem, die Geschichte der RAF zu verstehen, gehört in den Umkreis der Reflexion der Logik der Verurteilung (und der Bekenntnislogik). Die RAF ist in extremer und signifikanter Weise (für sich selbst wie für die staatliche Verfolgung) zum Opfer der Logik der Verurteilung geworden. An den RAF-Prozessen wäre nachzuweisen, daß das Problem RAF auf diesem Wege nicht zu lösen ist, es sei den über die Selbstzerstörung der Gesellschaft.
    Die Reflexion der Bekenntnislogik schließt die Revision der Geschichte der Aufklärung, die mit der Dialektik der Aufklärung begonnen wurde, mit ein.
    Die Bekenntnislogik und das Dogma sind Stabilisatoren der Rechtfertigungszwänge, die durch Reflexion aufzulösen wären.
    Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ widerlegt die Bekenntnislogik, entzieht ihr die Grundlage.
    Die Logik der Verurteilung ist ein Sinnesimplikat der Geschichte des Begriffs. Deshalb ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Und deshalb konnte Hegel diesen Schiller’schen Satz als Schlußstein seines Systems verwenden. – Aber dagegen steeht der Satz aus dem Jakobus-Brief: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
    Aufgabe einer Theologie heute wäre es, das Dogma zurückzuübersetzen in eine Theologie der Erfahrung, in eine Logik-Kritik, die eins wäre mit dem Konzept, die Theologie hinter dem Rücken Gottes zurückzuübersetzen in eine Theologie im Angesicht Gottes. Das wäre zunächst ein sprachlogisches Problem, in dem ein reales Problem sich verbirgt: das der Apokalypse. Hierzu hat Franz Rosenzweig die ersten Stichworte geliefert: der Name ist nicht Schall und Rauch, und das Problem des Gottesnamens ist gründet in dem logischen Problem des Namens überhaupt. Das logische Problem der Verurteilung ist in der Logik des Begriffs selber präsent in der Frage der Konstituierung des Objekts, in der die Identität des Begriffs gründet. Oder anders: Das Problem des Gottesnamens, das Ton Veerkamp zu Recht ins Zentrum seiner „Autonomie und Egalität“ gerückt hat, ist das Problem der Selbstreflexion des Nominalismus, das in der Philosophie als das Problem der Rettung Kants durch seine Hegel’sche Widerlegung hindurch sich beschreiben läßt. Die Logik selber verändert sich, sie wird mit der Reflexion der Logik der Verurteilung, ihres blinden Flecks (des blinden Flecks, in den allein die Prophetie Licht zu bringen vermag), selber zum Medium der Reflexion. Ein sprachlogisches Hilfskonstrukt der Logik der Verurteilung, das zur Ursprungsgeschichte der Philosophie (und zur Konstituierung des Naturbegriffs) gehört, war der Name der Barbaren. Durch ihn ist der Objektbegriff als Repräsentant des Verurteilten, in dem der Begriff des Begriffs gründet, vermittelt.
    Die Reflexion der Verurteilung ist ohne die Reflexion des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, in dem der Objektbegriff im Kontext seiner Konstituentien sich entfaltet, nicht mehr möglich. Deshalb ist das Kant-Studium immer noch unerläßlich.
    Die Fundamentalontologie ist der Statthalter des Fundamentalismus in der Philosophie. Merkwürdig, daß dieser Fundamentalismus, der einmal als weit folgenreicher sich erwiesen hat, weniger Widerstand hervorruft als der religiöse.
    Hat nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun? Ist nicht die Klugheit der Schlangen der Traum des Nebukadnezar? Oder anders: Ist nicht die Hegel’sche Philosophie einer der Verkörperungen sowohl der Klugheit der Schlangen als auch des Traums des Nebukadnezar, und war nicht Hegel ein halbierter Daniel, dem nur die Arglosigkeit der Tauben fehlte, um als ganzer Daniel den Traum seiner Philosophie auch deuten zu können?
    Die Instrumente der Subjektivierung (der Sinnesqualitäten, der Kritik und der Schuld) wird innerhalb der Gersamtzusammenhangs der transzendentalen Logiken repräsentiert durch die Form des Raumes, durch das Geld und durch die Bekenntnislogik, die das Subjekt in die Rechtfertigungszwänge und deren projektive Verarbeitung hineintreiben.
    Die Feindbildlogik transformiert die transzendentale Logik in die Urteilsmoral, sie verwandelt die Moral in eine Herrschaftsinstrument (in die Universalität einer Moral für andere).
    Das verteidigende Denken ist nicht nur auf Gesellschaftliches bezogen: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Die Logik der Naturwissenschaften ist als reine Objektlogik die Logik der Verurteilung, einer Verurteilung, die heute dahin tendiert, das verteidigende Denken schon vom Grund her auszuschließen.
    Die Logik der Verurteilung ist die Logik des Vorteils, sie lebt von der Gewalt des Feindbildes.
    Der Staat reproduziert sich durch die Sanktionierung und Ausbeutung des Rachetriebs in der Institution des Rechts, während die Kirche sich über die Sanktionierung und Ausbeutung Unschuldtriebs reproduziert.
    Gab es in Israel Knäste (und waren die Schuldknechtschafts-Regelungen wie Sabbatjahr und Jubeljahr Institute zur Knastvermeidung)? Haben die Brunnen, in die Joseph und Jeremias geworfen wurden, etwas mit den Knästen zu tun?
    Die Landesgrenze ist wie jede Abstraktionsgrenze eine Verurteilungs- und Schuldgrenze.

  • 15.12.1996

    Verhalten sich nicht das Sklavenhaus und der Eisenschmelzofen wie Raum und Hohlraum?
    Heldenverehrung ist säkularisierte Opfertheologie. Gibt es nicht eine Beziehung des Begriffs „Verrat der eigenen Geschichte“ zur postfaschistischen Heldenverehrung, über die nachträglich der Krieg, der nicht zu rechtfertigen war, noch gerechtfertigt werden sollte? Der „Heldentod“ – so wird suggeriert – kann doch nicht umsonst gewesen sein!
    Wer glaubt, sein Verhältnis zur Außenwelt über die Feindbildlogik klären zu können, gleicht sich damit eben dieser durchs Feindbild determinierten Außenwelt an. Der Betonwelt entsprechen die Hardliner.
    Verzeihen kann ich nur, was mir angetan wurde, nicht, was andern angetan worden ist. Darin gründet die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen. Der Sündenfall der Kirche war es, als sie (über das mißverstandene Wort vom Binden und Lösen) sich zum Stellvertreter aller Opfer erklärte, diese damit ihres Rechts auf Vergebung beraubte (sie zu enteignen und auszubeuten). So hat sie der Staatsgewalt (die den freigesetzten objektlosen Rachetrieb sich aneignete und rechtsstaatlich kanalisierte) den Weg freigemacht. – „Und die letzten Dinge werden ärger sein als die ersten.“
    Unsre Beziehung zur Vergangenheit ist durchsetzt von Verurteilungsmechanismen, deren eigentliche Aufgabe darin zu bestehen scheint, die Vergangenheit den Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen, damit aber die Selbstreflexion, die ohne Erinnerung (ohne die Reflexion der Fremdheit des Vergangenen) nicht möglich ist, zu unterbinden. Deshalb rückt uns heute die „Sünde Adams“ auf den Leib.
    Ist nicht die Ezechiel-Stelle über Noah, Daniel und Hiob ein Hinweis auf die Konstellation, in der insbesondere die Bücher Daniel und Hiob (die später sind als die Prophetie Ezechiels) überhaupt erst verständlich werden? Hängt die Konstellation dieser drei Namen nicht mit dem Problem der Geschichte der Völkerwelt zusammen, die mit der Völkertafel nach der Sintflut beginnt und in Gestalten wie Nebukadnezar und Hiob endet?
    Der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ ist der Zeugungsakt, über den der innere Schweinehund sich fortpflanzt. Der Name des „Schweinehunds“ gehört zur Feindbildlogik (das Schwein wälzt sich im Schmutz, der Hund kopuliert öffentlich). Im Namen des Schweinehunds vermischen sich Vorstellungen aus den sexuellen und politischen Tabubereichen mit solchen der Arbeitsmoral (der Pflichtvergessenheit, der Trägheit).
    Tritt nicht die Armbanduhr (die einem sagt, ob man hungrig oder müde ist) an die Stelle der Selbstregulierung des vegetativen Systems? Über die Zeit sind wir in den Apparat, der uns beherrscht und unterhält, eingebunden.

  • 14.12.1996

    Ist nicht der erste Satz aus den Weltaltern, darin das „die Zukunft wird geahndet“, der Schlüssel zur Schelling’schen Naturphilosophilosophie? Hat nicht Habermas, der dann später die Idee einer Reflexion der Natur wie eine heiße Kartoffel hat fallen lassen, über Schelling promoviert?
    Sind nicht die kantischen Totalitätsbegriffe, Wissen, Natur und Welt, die Stützpunkte, an denen der mathematische Imperialismus seine Herrschaft über die Sprache in der Sprache selbst begründet und absichert? Und die subjektiven Formen der Anschauung sind sowohl das Sklavenhaus und der Eisenschmelzofen Ägypten als auch der Ort der babylonischen Gefangenschaft der Sprache.
    Als die Evangelien griechisch verfaßt wurden, als das Christentum seine eigene Schrift nachlieferte, ist das Wort, daß das Lamm die Sünde der Welt auf sich genommen hat, auf eine sehr ironische Weise wahrgemacht worden.
    Hat nicht die Verbalisierung des Tetragrammaton, gegen die der Name des Namens als außerordentlich keusch sich erweist, einen hämischen Klang? Ist vielleicht die gegenwärtige Gestalt des Atheismus in Deutschland eine Zuspitzung und Radikalisierung des „eliminatorischen“ Antisemitismus?
    Hegels Geschichte des Begriffs ist die Geschichte des Schuldverschubsystems, die Geschichte von Entlastung durch Projektion, deren logisches Zentrum der Staat ist. Die Begriffe Natur und Welt bezeichnen den Installationsapparat des Schuldverschubsystems; wer „die Sünde der Welt auf sich nimmt“, entzieht dem Naturbegriff den Grund (während die Idee der Entsühnung der Welt, die Vorstellung, die Sünde der Welt sei schon „hinweggenommen“, die Logik des Naturbegriffs stabilisiert).
    Wer den Exodus historisiert, in die Vergangenheit bannt, leugnet ihn. Wir leben immer noch im Sklavenhaus, im Eisenschmelzofen Mizrajim. Hat nicht die Eucharistie etwas mit den Fleischtöpfen Ägyptens zu tun? Erst vor diesem Hintergrund wird die Geschichte der ägyptischen Plagen und der Verhärtung des Herzens Pharaos aktuell und wichtig (einschließlich des Motivs, daß das Opfer, das das Volk Israel in der Wüste darbringen will, den Ägyptern ein Greuel ist).
    In der ganzen Schrift steckt etwas immer noch Unabgegoltenes. Nur mit dieser Einschränkung wird man sagen dürfen, daß in Geschichte Jesu die Prophetie sich erfüllt habe: Auch in dieser Erfüllung steckt noch etwas Unabgegoltenes.
    Es gibt nicht eine Vergangenheit, sondern es gibt Stufen der Vergangenheit: Der Hierarchiebegriff gilt allein für die Vergangenheit. War nicht die Astrologie das Bild, in dem diese Stufend der Vergangenheit erstmals wahrgenommen worden sind? Ebenso ist der Tod nicht ein einfacher Tatbestand, sondern auch er verkörpert sich in verschiedenen Gestalten. Und sind nicht die Grenzen der Astrologie Todesgrenzen? Das Ungeheuerliche der speziellen Relativitätstheorien liegt darin, daß sie die Richtungsabhängigkeit der Zeit, ihre innere Differenzierung erstmals aufs deutlichste kenntlich gemacht und der Vorstellung einer einheitlichen Zeit, die gleichwohl besteht, den logischen Grund entzogen haben: Die Vergangenheit ist nicht nur vergangen. Hier ist die Zeit erstmals reflexionsfähig geworden. Die Vorstellung des Zeitkontinuums, der Einheit der Zeit, ist der Grund der Orthogonalität des Raumes, des Grundes der Abstraktion. Ist vielleicht hierin (in dieser Beziehung zu den kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“) die Lösung des Rätsels der Zahl 666 beschlossen?
    Das Inertialsystem ist das zerstörte Antlitz, der zerstörte Name und die Ursprungsgestalt des Feuers. Die Naturwissenschaften haben das Feuer vom Himmel geholt (darauf weist die Apokalyps schon hin).
    Das Christentum hat mit der dies dominica den Begriff der Ruhe vom Saturn auf die Sonne verschoben. Hat nicht Tarschisch, woher Salomo das Gold für den Tempel holte, etwas mit der Sonne zu tun? Beide repräsentieren das „Ende der Welt“.
    Hat die Entrückung des Paulus (in den dritten Himmel) etwas mit der Verschiebung des Sabbat auf die dies dominica zu tun?
    Der Geist muß heute durch die Engführung der Erinnerung hindurch. Die Welt wird unverständlich, wenn man glaubt, man könne die Vergangenheit (auch die Vergangenheit anderer) auf sich beruhen lassen und so, als wäre heute der erste Tag, jeden Tag neu beginnen. Dieser erste Tag: Das wäre in der Tat der letzte.
    Aber hat nicht das Inertialsystem genau diese Funktion, ist es nicht der Turm von Babel, der bis an den Himmel reicht, und der zum Grund der Verwirrung der Sprachen geworden ist.
    Was bedeuten die Namen von Euphrat und Tigris, und wie unterscheiden sie sich? Der Euphrat findet sich in der Apokalypse wieder, der Tigris im Buch Tobit (Tobias und Rafael haben aus ihm den Fisch gefangen, aus dem sie die Mittel nehmen, mit deren Hilfe Sara vom Dämonen Asmodai und Tobit von seiner Blindheit befreit werden); beide entspringen im Paradies.
    Bezeichnen nicht der fahrende Zug, der fallende Fahrstuhl und der Hohlraum Plancks drei Aspekte ein und derselben Sache (das Plancksche Strahlungsgesetz ist so etwas wie das Gravitationsgesetz zur speziellen Relativitätstheorie Einsteins)?
    Die Bekenntnislogik ist eigentlich eine Rechtfertigungslogik, und diese Logik konvergiert mit der transzendentalen Logik Kants, die sowohl auf die Naturwissenschaften wie auf die ökonomische Struktur der Gesellschaft sich bezieht.
    Was hat es mit der Frucht des Feigenbaums auf sich? Aus Weizen wird Brot, aus der Frucht des Weinstocks wird Wein und aus der Frucht des Ölbaums das Öl hergestellt, mit dem der Messias gesalbt wird. Als Produktionsstätten kommen in der Schrift nur die Kelter vor (bei den Propheten und in der Apokalypse) und der Backofen und der Backtrog (bei den ägyptischen Plagen: die Frösche, die die Backöfen und die Backtröge heimsuchen, gehen auch ins Schlafgemach und aufs Lager). Die Ölpresse scheint nicht vorzukommen, während es zu den Friedensbilder gehört, daß einer unter dem Feigenbaum sitzt (oder wie Nathanael, der „wahre Israelit“, unter dem Feigenbaum steht).
    War es nicht eine entsetzliche fundamentalistische Umkehrung, wenn die Kirche die Eucharistie als Transsubstantiation verstanden hat, die auch durch die reformatorische Korrektur nicht besser geworden ist? Was die Kirchen mit dem kannibalistischen Syndrom in die Köpfe und ins Unterbewußte der Gläubigen eingesenkt haben, ist fast nicht mehr reflexionsfähig zu machen.

  • 13.12.1996

    Sensibilität ist das Wahrnehmungsorgan der Barmherzigkeit, Empfindlichkeit das des strengen Gerichts.
    Den Kosmos im Licht der Barmherzigkeit erkennen heißt, ihn – anstatt ihn aus der Sicht der Sonne zu sehen – aus der Sicht des Saturn zu begreifen. Ebenso wie es zwei deutlich unterschiedene Begriffe der Reinheit gibt (chemisch reines Wasser, reiner Wein), gibt es auch unterschiedene Begriffe der Ruhe: den relativistischen Begriff der Ruhe (der „Ruhe“ in einem fahrenden Zug oder dem fallenden Fahrstuhl) und den der Sabbatruhe, der erfüllten Ruhe. – Hat nicht Augustinus schon die Sabbatruhe mit der andern, der Ruhe der Trägheit, verwechselt?
    Wird nicht allzuleicht die Melancholie mit dem Phlegma verwechselt (und der Sanguiniker mit dem Choleriker)?
    Die Gnosis hat als Urhäresie zum Ursprung der Bekenntnislogik einen entscheidenden Beitrag geleistet: nämlich als Feind der „Orthodoxie“ und als ihr Modell zugleich. Neben dem Feindbild und der Ausgrenzung der Verräter aber gehört zur Bekenntnislogik das Moment der Frauenfeindschaft. Ist nicht bis heute die Gnosis, wenn man von der einen Elena Pagels absieht, ausschließlich aus männlicher Sicht gesehen und beschrieben worden, einer Sicht, die insoweit begründet und berechtigt ist, als die Gnosis, mit der das Christentum sich auseinandergesetzt hat, bereits eine von Männern in Regie genommene Gnosis war. Hat nicht Elena Pagels erstmals auf eine Tendenz innerhalb der gnostischen Bewegung hingewiesen, die bisher nur unterdrückt und verdrängt worden ist? Kann es sein, daß die neue Heiligengestalt der virgo, die zusammen mit dem (männlichen) confessor die ursprüngliche Heiligengestalt des Märtyrers abgelöst hat, ein antignostischer Typos war. Haben die Märtyrinnen, die sich geweigert haben, dem Ehebefehl ihrer Väter zu folgen, das nicht aus anderen als sexualmoralischen Gründen getan? Gehört nicht diese Verschiebung von der christlichen Befreiung der Frauen aus der potestas patri in die den männlichen Blick widerspiegelnde und ihn verinnerlichende Zwangslogik der Sexualmoral zu den Folgen der antignostischen Bewegung (die nicht auf das Christentum beschränkt war)? War nicht die Verwerfung der Gnosis überhaupt konstitutiv für die Ursprungsgeschichte der Sexualmoral und des Herrendenkens in den „Weltreligionen“?
    Gleitet nicht der Historismus heute in eine Konstellation ab, in der von der Geschichte nur noch die Verwerfung der Vergangenheit bleibt? „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“: Die Leugnung der Auferstehung, die dem Historismus zugrunde liegt, ist das Gericht der Welt über die Welt.
    Hat die Sünde wider den Heiligen Geist (die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird) etwas mit den Zeitbestimmungen der apokalyptischen Tiere zu tun?
    In der Apokalypse gibt es drei Reflexionsgestalten der Zeit:
    – Gott ist der, „der ist, der war und der kommt“,
    – er ist „das A und das O, ist der Anfang und das Ende“,
    – das Tier aber „war und ist nicht und wird heraufkommen aus der Unterwelt und geht ins Verderben“.
    Zu der Zusammenstellung „Stämme, Völker, Sprachen und Nationen“:
    – im Buch Daniel fehlen die Stämme (im Buch Esther werden die Sprachen den Völkern, die Schrift hingegen den Juden zugeordnet),
    – die Begriffe erscheinen erstmals in den Stammbäumen der Söhne Noes (die Namen der Söhne der Söhne Noes sind die Namen der Sprachen),
    – sie weisen zurück auf den Turmbau zu Babel, auf die Verwirrung der Sprache (und auf die Völkertafel und die siebzig Völker).
    Hat die Völkertafel (die Zahl siebzig) etwas mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern des Drachen und des Tieres aus dem Meere zu tun?
    Haben der Drache und die apokalyptischen Tiere etwas mit der Beziehung des Neutrum zum Ursprung des Natur- und des Weltbegriffs zu tun?
    Der Satz, daß die Sünde wider den Heiligen Geist weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird, enthält keine Drohung, die an eine bestimmte Tat geknüpft wird, sondern beschreibt die innere Logik dieser Tat selber. Ist diese Sünde die des einen Sünders, über dessen Bekehrung große Freude im Himmel herrscht, und ist dieser Sünder der, an dessen Bekehrung die Verheißung der Rettung der eigenen Seele gebunden ist?
    Kann es sein, daß die Gematria nur auf die hebräische Schrift anwendbar ist, daß das Problem der symbolischen Zahlenbedeutungen im Kontext der griechischen Sprache auf einer anderen Ebene liegt? Die Zahlensymbolik des Neuen Testamentes läge dann auf dieser Ebene.
    Summenzahlen: 10, 36, 153, 276, 666.
    Träume sind die nächtlichen Schatten des Herrendenkens. Und es gibt Träume, die man beim Erwachen vergißt. Käme es nicht heute darauf an, diese Träume zu rekonstruieren und dann zu deuten?

  • 11.12.1996

    Wenn der Satz stimmt, daß der Klügere nachgibt, sind dann nicht die Richter die Dummen?
    Wenn die Attribute Gottes im Imperativ stehen, dann ist der Satz, daß etwas „nicht geht“ (weil es unmöglich ist), als Ausrede nicht mehr brauchbar: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
    Ist nicht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, nur ein anderer Ausdruck dafür, daß die erste Philosophie die Ethik ist?
    Es gehört zu den Aprioris der RAF-Prozesse, daß die Lücken der Beweislogik zu Lasten der Angeklagten ausgenutzt werden.
    Barmherzigkeit und Erkenntnis: Nicht die (passive) Hoffnung, sondern die (aktive) Barmherzigkeit löst die Probleme der Beweislogik.
    Heute ist die Konstruktion des Lebens selber herzzerreißend. Der Zustand der Welt nimmt alle in Geiselhaft.
    Hat nicht Heidegger die Hegel’sche Idee des Absoluten auf die kürzeste Formel gebracht: auf das „Vorlaufen in den Tod“? Nur: Hegel war noch verzweifelt über das Resultat seiner Philosophie, er wußte sich „von Gott verdammt, ein Philosoph zu sein“; Heidegger hingegen ist ein begeisterter Sympathisant des Seins.
    Der Bann, unter dem die Natur steht, der Bann des Naturbegriffs selber, hat seine Wurzel in dem gesellschaftlichen Primat der Selbsterhaltung; er hat mit der Instrumentalisierung der Vernunft einen gemeinsamen Ursprung. Gegen diese Instrumentalisierung der Vernunft stehen die drei evangelischen Räte (die von der Kirche durch Instrumentalisierung nochmals verraten worden sind).
    Zu den Einsichten, die der Sprachreflexion sich verdanken, gehört, daß Gott nicht stumm ist. Das Wort Gottes drückt aufs deutlichste in dem imperativischen Charakter der göttlichen Attribute sich aus.
    Wenn wir den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft wirklich begreifen würden, würde es uns dann nicht „wie Schuppen von den Augen fallen“? Stammt das Wort, daß einem etwas wie Schuppen von den Augen fällt, nicht aus dem Buch Tobit? Die Salbe, mit deren Hilfe die Schuppen von den Augen des Tobit lösten, wurde aus der Galle des Fisches gewonnen, den Tobias und Rafael, als der Fisch den Tobias verschlingen wollte, aus dem Fluß Tigris gefangen hatten.
    Als Jesus zur Samariterin vom Quell des lebendigen Wassers sprach, hat er da nicht Jesaias zitiert?
    Zum Zug, der in den Abgrund rast: Die Schienen dieses Zuges sind die subjektiven Formen der Anschauung (und mit ihnen das Geld und die Bekenntnislogik). Jürgen Habermas hat, als er den kritischen Naturbegriff der kantischen Tradition verwarf und die Natur aus dem Bereich der Reflexion ausschied, dazu beigetragen, den Zug auf diese Schiene zu setzen. Damit hat er dem reflektierenden Urteil die Erkenntniskraft abgesprochen.
    Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae. Dieser Geist, der das Antlitz der Erde erneuern wird, ist der Geist der Barmherzigkeit, der Geist, der über das Gericht triumphiert, in dessen Bann das Antlitz der Erde steht, dessen Bann dieses Antlitz entstellt. – Ist nicht das kopernikanische System (als Säkularisationsprodukt des Pantheons) das entstellte Antlitz der Erde?
    Haben nicht die subjektiven Formen der Anschauung Kants etwas mit den paulinischen Elementargeistern zu tun?
    Im Feindbild-Clinch betreibt jede Seite, auch wenn keine es weiß, das Geschäft des Feindes. Und die Staatsschutzsenate sind nur noch Institute des Feindbild-Clinchs. Der Satz Jutta Ditfurths, daß der Staat seine Terroristen braucht, ist heute dahin zu ergänzen, daß ebenso die Terroristen, nachdem sie aus ihren Rechtfertigungszwängen nicht mehr sich lösen können, den Staat brauchen. Für den Zug, der in den Abgrund rast, war die RAF ein Energie-Lieferant.
    Wenn die Begriffe der Pflicht und der Verantwortung den Gesetzen der Selbsterhaltung untergordnet werden, dann weiß keiner mehr, was er tut. Die Vorstellung, daß der Markt es schon richten werde, ist gemeingefährlich und am Ende selbstmörderisch.
    Heute wird die Religion von denen verraten, die in ihr Trost suchen.
    Die Frage nach falsch oder richtig, die heute im Allgemeinen mit der Frage nach der Wahrheit verwechselt wird, wird grundsätzlich im Nachhinein (nicht beantwortet, sondern) entschieden: sie gilt (wie der Begriff des Wissens) nur für Vergangenes, und für Zukünftiges nur in dem Maße, in dem seine Vergangenheit sich antizipieren läßt. Es ist dieser Begriff des Richtigen, der Begriffen wie Orthodoxie, Orthogonalität ihre Schlüssigkeit und ihre objektive Bedeutung verleiht. Der Begriff des Richtigen ersetzt das Was durch das Wie; das Referenzsystem, auf das er sich bezieht, ist das Inertialsystem (der Inbegriff des Richtigen). Im Kontext des Richtigen lassen sich Rechts und Links nicht mehr unterscheiden. Hat hiermit das „Sitzen zur Rechten des Vaters“ (die Rechte ist die Seite der Barmherzigkeit, die Seite des Heiligen Geistes, die der Begriff des Richtigen ins Gegenstandslose verflüchtigt) etwas zu tun?

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