Theologie

  • 3.11.1996

    Wie hängt das Problem des apagogischen Beweises mit der Logik der Instrumentalisierung (des „Seitenblicks“ und der Fähigkeit, rechts und links zu unterscheiden) zusammen? Gründen die Probleme, in deren Zusammenhang für Kant der apagogische Beweis zum Problem wird, in der doppelten Instrumentalisierung (der Instrumentalisierung der instrumentalisierenden Gewalt durch die subjektiven Formen der Anschauung), und hängen sie nicht mit der Konstituierung der drei Totalitätsbegriffe (der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt, die in der kantischen Vernunftkritik erstmals rein hervortreten), mit deren Hilfe sie gegen die Reflexion sich abschirmen, zusammen? Und ist nicht die Reversibilität aller Richtungen im Raum (derzufolge jede Richtung in die gleiche schlechte Unendlichkeit, ins gleiche nihil, führt) das Modell, an dem der apagogische Beweis (und durch ihn hindurch der Hegelsche Begriff der Dialektik) sich orientiert? – In diesem Zusammenhang gewinnt die kantische innere Differenzierung des nihil, des Begriffs des Nichts (in der Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe, Kr.d.r.V., Insel-Ausgabe, S. 267ff), eine hochsignifikante Bedeutung.
    Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum erzeugt den Schein der Gleichheit von Anklage und Verteidigung im Rechtsstreit und verdrängt das Herrschaftsmoment, an das der deutsche Titel Staatsanwalt so deutlich erinnert, und das in Staatsschutzprozessen zu der Situation führt, die Birgit Hogefeld mit dem Satz „die Bank gewinnt immer“ aufs genaueste bezeichnet hat. Aber wird dieser Schein nicht schon durch die Beziehung des Begriffs zum Objekt, in der die herrschaftsmetaphorische Zuordnung von Oben und Unten eindeutig festgelegt ist, widerlegt, während doch zugleich der Materialismus oder das Postulat vom Vorrang des Objekts von der Hoffnung lebt, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert? Und ist nicht das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum (und damit die subjektive Form der äußeren Anschauung selber, die darin sich ausdrückt) der Grund, aus dem die Feindbildlogik hervorgeht, und das Konstrukt, in dem sie zugleich sich vollendet, sowie die Verkörperung der logischen Struktur, die die Herrschaftsbeziehung von Begriff und Objekt begründet und sie zugleich verstellt, als Herrschaftsbeziehung unkenntlich macht? Löst sich nicht in dieser Konstellation das Problem der kantischen Antinomien und des apagogischen Beweises, damit aber das Problem der Beweislogik überhaupt? Diesen Knoten aufzulösen wäre eine der Hauptaufgaben der Philosphie, die dann aber sich nicht wundern darf, wenn sie in der Theologie sich wiederfindet.
    Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum leugnet den Tod und macht ihn irreversibel zugleich (darin gründet die Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit). Schließt nicht die Idee der Unsterblichkeit der Seele, die in diesem Prinzip gründet, die Vorstellung mit ein, daß sie für die Toten nicht gilt, und liegt nicht ihr Haupteffekt in der Leugnung der Idee der Auferstehung, die sie nach außen zugleich dementiert? Hier liegt die fast unüberwindbare Hemmung, die der Lösung des Problems der Raumvorstellung sich entgegenstemmt. Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum ist der fast nicht mehr aufzuhebende Grund der Irreversibilität der Zeit, und die Außengrenze, die der Raum für mich definiert, ist eine Grenze zur Vergangenheit, die nur ich nie überschreiten werde, während alle andern sie bereits überschritten haben, für mich schon tot sind (sic, B.H.). In dieser Konstellation gründet das Problem des apagogischen Beweises und seine Lösung (vgl. hierzu die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, auch die Gestalt der Maria Magdalena und die Geschichte von ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern).
    Das Canettische Bild vom Sieger, der als letzter Überlebender auf einem Riesenleichenberg steht, ist das genaueste Symbol der Logik der subjektiven Formen der Anschauung. Die Form der äußeren Anschauung ratifiziert an den Dingen, was in der Form der inneren Anschauung, in der Vorstellung des Zeitkontinuums, vorgebildet ist: die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Konstituierung des Totenreichs, über das der Anschauende starr, sprach- und empfindungslos als einziger sich erhebt. Durch die Subsumtion der gesamten Zukunft unter die Vergangenheit (die den Begriff des Wissens begründet) mache ich mich selbst zum Sieger, der alle überlebt; und das ist die der Idee der Unsterblichkeit der Seele zugrunde liegende Vorstellung, die als eine ihrer Konstituentien den Widerspruch gegen die Idee der Auferstehung der Toten in sich enthält. Heideggers Hinweis, daß wir den Tod nur als den Tod der anderen erfahren, nie als den eigenen, gründet in dieser Logik, deren Bann allein durch den Levinas’schen Hinweis auf die Asymmetrie, die den Anderen als Medium der Selbsterkenntnis ins Blickfeld rückt, sich auflösen läßt.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, in denen die richtende Gewalt, die sie für die gesamte Objektwelt repräsentieren, zugleich gegen das richtende Subjekt sich erstreckt, sind der Beweis des Satzes „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind der blinde Fleck in der Ursprungs-, Entfaltugns- und Durchsetzungegeschichte der Marktgesetze.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Der richtende Blick erfährt sich selbst im richtenden Blick des Andern, und d.h. als nackt.
    Gehört nicht zu dieser Problem-Konstellation aus Logik der Gemeinheit, Beweislogik, Feindbildlogik auch das der Beziehung des Rechts zum Staat, daß insbesondere ein Recht, das sich zum Organ des Staates macht, indem es die Selbstreflexion des Staates, in dessen Logik seine eigene Ursprungsgeschichte beschlossen ist, grundsätzlich ausschließt, damit die Idee der Gerechtigkeit selber tangiert? Die Instrumentalisierung des Rechts, die im Hogefeld-Prozeß am gesamten Beweisverfahren, insbesondere aber an der (Nicht-)Behandlung des Gesamtkomplexes Bad Kleinen sich demonstrieren läßt, läßt keine andere Wahl.
    Wenn die RAF zum Symbol für das grundsätzliche und generelle Verbot, in den Angeklagten sich hineinzuversetzen und damit die Selbstreflexion des Staates in den Prozeß der Urteilsfindung mit hereinzunehmen, wird, dann kann sie nur noch unter der Bedingung zum Objekt des Rechts gemacht werden, daß das Recht auf die Idee der Gerechtigkeit keine Rücksicht mehr nehmen darf, daß es aus dem Bereich, in dem Gerechtigkeit allein möglich wäre, sich verabschiedet. Wenn das Recht, wie im Bereich der „Staatsschutz-Verfahren“, dem Staatsinteresse sich unterordnet (wenn der „Staatsanwalt“ nicht mehr Partei ist, sondern Herr des Verfahrens wird), dann wird es zu einem reinen Machtinstrument, und das ist in RAF-Verfahren geradezu sinnlich wahrnehmbar. Die besonderen Haftbedingungen derer, die Objekte solcher Verfahren sind, – und zu diesen Haftbedingungen gehören nicht nur die physischen Haftbedingungen, die Isolationshaft und die rigorose Einschränkung aller Beziehungen zur Außenwelt, zu Angehörigen und Freunden, sondern auch die damit zusammenhängenden Einschränkungen der Möglichkeiten der Verteidigung und der Verteidigerrechte (Beispiele: der vorenthaltene Text einer Rede Carlchristian von Braunmühls – Begründung: sie sei nicht wegen des Mordes an von Braunmühl angeklagt, der Zusammenhang mit der Anklage wegen Mitglieschaft in der RAF, der in anderem Zusammenhang als Beweismittel mit verwandt wurde, wurde schlicht verdrängt; dazu gehört die Ausgrenzung des Gesamtkomplesxes Bad Kleinen, die Ablehnung unabhängiger Gutachter sowie die – durch den Tenor des Senatsbeschlusses offen diskriminierende und beleidigende – Ablehnung des Antrags eines katholischen Pfarrers auf Genehmigung eines von der Angeklagten gewünschten seelsorglichen Gesprächs; zum Gesamteindruck dieses Prozesses gehört es, daß alles, was nicht in die vorprogrammierte Beweisführung <in das Verfahren der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori> hineinpaßte und zur Entlastung der Angeklagten hätte beitragen können, rigoros ausgegrenzt wurde; der geradezu wütende Verurteilungswille beherrschte den ganzen Verlauf des Verfahrens). Auch wenn vor dem endgültigen, rechtskräftigen Urteil grundsätzlich die generelle Unschuldsvermutung gilt, die realen Folgen, die der Verdacht für den Angeklagten hat, haben die massive und irreversible Qualität einer Vorverurteilung und einer präventiven, das offenbar schon feststehende Urteil vorwegnehmenden Strafe.
    Wie es scheint, waren für die Ablehnung von Anträge der Verteigung drei Gesichtspunkte maßgebend:
    – der ungestörte Ablauf der vorprogrammierten Beweisführung,
    – die Ausgrenzung jeder Reflexion des Selbstverständnisses der Angeklagten und
    – die Eingrenzung des Verfahrens auf das einen reinen Kriminalprozesses.
    Im Hogefeld-Prozeß, in dem jedem, der die Dinge verfolgt hatte, klar war, daß ernsthafte Störungen des Prozesses nicht zu erwarten waren, liefen die Begleitumstände gleichwohl nach den üblichen, ebenso massiven wie diskriminierenden Methoden ab, vom Transport der Gefangenen mit Blaulicht und Martinshorn bis zu den Eingangskontrollen der ProzeßbesucherInnen. Und das nicht nur aufgrund der behördenüblichen Trägheitsgesetze, sondern, wie vermutet werden darf, auch wegen der durchaus beabsichtigten Öffentlichkeitswirkung dieser Verfahrensweisen. Das hat zur Stabilisierung des Klimas beigetragen, in dem dieser Prozeß und sein Verlauf allein möglich war.
    RAF-Prozesse dienen nur noch der Herrschaftssicherung; dazu braucht man zwar Angeklagte, die aber sollten tunlichst nicht durch Reflexion den Zweck des Verfahrens, in dem sie nur Geisel sind, stören. Hier geht es um Wichtigeres: Hier werden Instrumente auf ihre Brauchbarkeit getestet, die eines Tages auch zur Erledigung anderer Aufgaben, die man offensichtlich auf sich zukommen sieht, brauchen wird; dann nämlich, wenn das Umverteilungsprojekt auf die Hilfe der Justiz angewiesen sein wird.
    Nach Hegel ist die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug, der Armut und der Entstehung des Pöbels zu steuern. Nachdem der Westen bisher die Armut in die Dritte Welt hat exportieren können, scheint dieser Markt jetzt gesättigt, und der Reimport der Armut, der mit der weltweiten Ausdehnung der Marktgesetze, dem Zerfall und der Verrottung der politischen (staatlichen) Souveränität, der fortschreitenden Ersetzung politischer Entscheidungskräfte durch Verwaltungseinrichtungen einhergeht, beginnt. War es bisher notwendig, den Reichtum mit dem militärischen Droh- und Vernichtungspotential nach außen zu schützen, wird es möglicherweise schon bald sich als notwendig erweisen, ihn gegen die fehlende Einsichtsfähigkeit der eigenen Bevölkerungen auch nach innen zu verteidigen. Hierzu bedarf es anderer Einrichtungen, deren Brauchbarkeit und Effizienz bisher vor allem in den Auseinandersetzungen um wirtschaftliche und militärische Großprojekte, die gegen den Willen der betroffenen Bevölkerungen durchgesetzt werden mußten, aber auch in der Terrorismus-Bekämpfung, in der die RAF als nützliches Testobjekt sich erwiesen hat, erprobt werden konnten. Jetzt gibt es ein erprobtes und schlagkräftiges Instrument, das man sich durch eine Angeklagte, auch wenn man ihr die Taten, deretwegen sie verurteilt werden soll, partout nicht nachweisen kann, nicht kaputtmachen läßt. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
    Zur Ersetzung der Regierung durch Verwaltung, die mit dem ökonomischen Privatisierungsprojekt (mit der Ersetzung nationalökonomischer Prinzipien und Kriterien durch betriebwirtschaftliche) zusammengeht, gehört auch ein Strukturwandel in der Justiz, der dahin tendiert, dem Verwaltungsrecht, das ein Subsumtionsrecht, ein Recht des bestimmenden, nicht des reflektierenden Urteils ist, sich anzugleichen. Es ist dieses Subsumtionsrecht, für das dort, wo das gerechte Urteilen sich hineinzuversetzen hätte, nichts mehr ist. Hier ist der Staatsschutz ein Vorreiter, der das Selbstverständnis des Angeklagten vom Grunde her ausgrenzen zu müssen glaubt, mit der Folge, daß diese Prozesse unter dem Zwang, als reine Kriminalprozesse geführt zu werden, zu politischen Prozessen werden: Sie sind Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses, der in der Ökonomie wie in der Politik selber auf eine fortschreitende Entpolitisierung, auf eine schleichende Erosion der politischen Logik hinausläuft, auf ein Ausblenden dessen, was als Reflexionsfähigkeit einmal als Grundlage der politischen Freiheit begriffen worden ist.
    Das Faszinierende am Hogefeld-Prozeß war die Wahrnehmung, daß es hier der Angeklagten erstmals gelungen ist, durch eine Reflexion, die auch das Verfahren mit einbezog, aus dem Bann der Logik, die dieses Verfahren beherrscht, auszubrechen, ihn für sich selber zu brechen. Daß dieser Akt auf Seiten des Gerichts nur Abwehrmechanismen wachruft, war zu erwarten, und es ist zu befürchten, daß das auch aufs Urteil sich auswirken wird. Aber könnte es nicht sein, daß dieses Gericht genau dadurch, daß es die Dehnbarkeit der Grenzen des Rechststaats nicht mehr einzuschätzen vermag, den Bogen überspannt, damit aber diesen ganzen Bereich in ein Licht rückt, in dem er nackt dastehen wird, in dem erstmals erkennbar wird, was hier passiert?
    Die RAF hat bisher auf die Probleme, vor die sie sich gestellt sah, nur mechanisch reagiert. So hat sie, ohne es zu wissen oder gar zu wollen, ihrem Widersacher in Hände gearbeitet. Grund war die Feindbildlogik, in deren Netze sie seit ihren Anfängen sich verstrickt hat. Diese Feindbildlogik ist Teil einer Logik, in deren Herrschaftsbereich – nach einer wie ein Blitz einschlagenden Formulierung Birgit Hogefelds – die Bank immer gewinnt. Es wäre nicht nur im ureigensten Interesse der RAF, wenn sie endlich die Reflexionsfähigkeit gewinnen würde, deren erstaunliche Anfänge hier, bei Birgit Hogefeld, wahrzunehmen sind.
    Diese Reflexionsfähigkeit ist im Falle Birgit Hogefelds der Beweis, daß das Urteil, wie es auch ausfallen wird, nur ein Fehlurteil sein kann, daß nicht sein Objekt, das vom Urteil nicht getroffen wird, verurteilt wird, sondern das Gericht, das – wie so viele in diesem Lande – nur seine ihm von den Verhältnissen auferlegte Pflicht tut, dabei aber nicht mehr weiß was es tut, mit diesem Urteil sich selbst verurteilt. Nur wenn es selber reflexionsfähig gewesen wäre, hätte dieses Gericht sich selber durch das einzig gerechte Urteil, das möglich war, freisprechen können.
    Hegels Philosophie beschreibt nicht nur die Stationen auf dem Wege des Weltgeistes, sondern auch das Ende des Weges, an dem der Weltgeist sein Ziel erreicht hat. Was danach kam, läßt sich eigentlich nur noch unter dem Stichwort des Endes des Weltgeistes, seiner Selbstzerstörung, beschreiben. Das Ende des Weltgeistes ist das Ende der Geschichte, die das Weltgericht ist, das hiernach nicht mehr über die Geschichte, sondern erstmals über den Richtenden selber ergeht. Das Ende des Weltgeistes ist das Ende der richtenden Gewalt, die er verkörpert.
    Wer Billardkugeln, die Objekte der Mikrophysik und die Sternenwelt unter ein gemeinsames Gesetz bringt, ist ein Agent Beelzebubs, dessen Reich nur besteht, wenn es nicht mit sich selbst uneins ist. Die Angst vor dem Zerfall der Identität ist die Angst Beelzebus, des Herrn der Fliegen, eine Angst, die zu den Konstituentien des Insektenstaats gehört. Die Einheit des gemeinsamen Gesetzes, das die drei Sphären mit einander verbindet, wäre auf zwei Wegen zu sprengen: durch die Reflexion des Falls und durch die Reflexion des Feuers. Die Ansätze hierzu liegen vor in den beiden Relativitätstheorien Einsteins, in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse und im Prinzip der Konstanz der Lichgeschwindigkeit. Aber werden die Probleme, die den beiden Reflexionen zugrundeliegen, durch sie zu lösen wären, nicht aufs merkwürdigste rerpäsentiert durch die beiden Seiten, die in den RAF-Prozessen sich gegenüberstehen: durch die Seite der Anklage und des Gerichts, und durch die der Angeklagten und RAF?
    Der Fortschritt gegenüber den Hexenprozessen, mit dem RAF-Prozesse sich durchaus vergleichen lassen, scheint mir, liegt darin, daß die Beziehung sich umgekehrt hat: In den Hexenprozessen bezeichnet der Fall (der Sturz in den Fundamentalismus) den Ausgangspunkt und das Brennen (die Scheiterhaufen) die Folge, RAF-Prozesse spielen mit dem Feuer und eröffnen in ihm den Abgrund, in den sie selber dann hineinstürzen. Das Feuer, in dem das Gericht glaubt, die Angeklagten verbrennen zu können, bevor es sie verurteilt, wird es selbst ergreifen, wenn die Urteile zu Fehlurteilen werden.
    Die erste und die zentrale Manifestation des Feuers, in dem „die Welt untergehen“ wird, war der Antisemitismus. Auch die Juden sind in Deutschland unter der Herrschaft der Judengesetze schon verbrannt worden, bevor man sie dem Abgrund überantwortet hat, dessen Verkörperung Deutschland war.
    Der Urknall steht am Anfang, das schwarze Loch am Ende: Die Realsymbolik dieser Begriffe wird erkennbar, wenn man sie auf die Selbstzerstörung der Moral durchs Urteil bezieht (der verdorrte Feigenbaum).
    Ist nicht der Antisemitismus „genial“ in dem Sinne, in dem Kant diesen Begriff definiert, nämlich als das Handeln der Natur im Subjekt? Wer das begreift, weiß, worauf Adornos Konzept des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ abzielte: durchs Eingedenken den Naturzwang zu brechen. Adorno meinte nicht das Mitleid mit den Tieren, das Habermas im Sinn zu haben schien, als er das Wort Adornos abänderte ins „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“.
    Hat die kantische Unterscheidung von bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht etwas mit der von Wasser und Feuer (oder auch mit der Beziehung des Was zum Wer) im Namen des Himmels zu tun? Und verweist nicht das bestimmende Urteil, auf das die transzendentale Logik sich bezieht, auf die Sintflut, die die Welt überschwemmt hat, das reflektierende Urteil, die Manifestation der Urteilskraft, hingegen auf das reinigende und verwandelnde Feuer, in dem die Welt am Ende vergehen wird?
    Wer den Versuch einer physiognomischen Beschreibung der Vertreter der Anklage und der Mitglieder des Senats unternehmen wollte, hätte mit Sicherheit einige Beleidigungsprozesse zu erwarten.
    Das Zeichen des Jona: Kann es sein, daß die Flucht des Jona nach Tarschisch in der Angst vor den Folgen seines prophetischen Auftrags begründet ist, und ist nicht die ganze Geschichte des Christentums die Geschichte dieser Flucht?
    Grundwerte und Prinzipien: Rückt nicht der Verfassungspatriotismus die Verfassung selber in die Logik des Feindbilddenkens (in die Bekenntnislogik, deren Symbol der Feigenbaum ist, der nur noch Blätter, keine Früchte mehr hervorbringt und am Ende verdorrt)?

  • 1.11.1996

    Hat die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel nicht nur auslegen, sondern zuvor selber erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn vergessen hat, nicht etwas mit den versteinerten Verhältnissen (in denen das subjektive „Gewinnstreben“ vom objektiven Rentabilitätsprinzip abgelöst worden ist) zu tun?
    Das Hebräische kennt zwar keinen Dativ, und d.h. kein Absolutes (und nur in dessen Kontext gibt es das „Gegebene“, auch einen Gott, den „es gibt“) wohl aber einen Stamm, ein Land und Menschen mit dem Namen Juda, von dem die „Juden“ ihren Namen haben. Juda aber heißt Dank. Israel kennt keinen Gott, der gibt, auch keinen Gott, den es gibt, nur den einen Gott, der fordert. Israel kennt keinen „lieben Gott“ und auch keinen „Herrgott“.
    Dativ: Sind das transzendentale Subjekt, die Idee des Absoluten und der Staat durch den Dativ vermittelt? Hat der Dativ den Genitiv reversibel gemacht (und so das Neutrum begründet)? War der Dativ der Kristallisationskorn der veränderten Konjugationsformen (der Repräsentant des Seitenblicks und der Katalysator der Vergegenständlichung der Zeit)? Bezeichnet der Dativ die Grenze zwischen Welt und Natur (nach ihrer Trennung durch die Urteilsform)? Ist der Dativ der Kern der hypostasierenden und verdinglichenden Gewalt in der Sprache (Ursprung des Substantivs, Denkmal und Spur des verschwundenen Namens)?
    Sind die Wege des Irrtums (auf die der Jakobusbrief verweist) nicht vorgezeichnet im Staat (in der Idee des Absoluten, die im Staat sich verkörpert: der Staatsanwalt ist der Anwalt dieses Absoluten, das nicht Gott ist, sondern der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft)?
    Wenn Pferde scheuen, wenn sie durch eine Pfütze gehen sollen, hat das vielleicht etwas mit der Erinnerung an das Schilfmeer zu tun?
    Feuer und Rasse: Sind Pferde das säkularisierte Feuer aus dem Namen des Himmels (das Modell jedes Rassismus), rührt daher nicht ihre Stellung in den Apokalypsen? Ist Reiten der Versuch, das Feuer zu domestizieren? War in St. Peter die Figut eines reitenden Papstes? Es gab sehr wohl (und das mehrfach) Pferde, die dem Wasser sich entrangen, aus ihm emporstiegen (ein, wie mir scheint, in dieser Gestalt sehr barockes und zugleich päpstlich-kirchliches Symbol). Die Griechen kannten Zentauren und den Pegasus. Mohammed ist zu Pferd gen Himmel aufgefahren, aber wie war es mit dem Elias?
    Das Rind, dem das Joch auferlegt wird, frißt Gras (ebenso Behemoth und Nebukadnezar). Auch Hitler war Vegetarier, und Kain opferte die Früchte des Feldes.
    Liegt nicht der schärfste Einwand gegen die habermas’sche Kommunikationstheorie in der Frage, ob ein herrschaftsfreier Diskurs überhaupt möglich ist? Wenn er möglich ist, dann nur im Zusammenhang der Reflexion von Herrschaft (der Auflösung der verblendenden Gewalt des Herrendenkens). Auch hier gilt der Satz, daß, wer nicht in den Angeklagten (ins Objekt, in die, die unten sind: in die Armen und die Fremden) sich hineinzuversetzen vermag, nicht mehr fähig sei, gerecht zu urteilen. Ein gerechtes Urteil wäre eins, in dem der Angeklagte (das durch den Akkusativ vermittelte Objekt) sich wiederzuerkennen vermag. Dem hat das positivistische Rechtsverständnis, eine Art zu richten, die den kantischen Unterschied zwischen bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht mehr kennt, den Boden entzogen. Diese Konstellation ist vorgebildet und beim Namen genannt im deutschen Titel des Staatsanwalts.
    Der Verfassungspatriotismus macht die Verfassung zu dem, was sie ihrer eigenen Intention zufolge nicht sein darf: zu einem puren Bekenntnis. Man könnte sagen: Seit es den Verfassungpatriotismus gibt (den Radikalen-Erlaß und das Bekenntnis zur FdGO), ist die Verfassung zu einem Schutz der Verfassung vor sich selber, zu einer Waffe gegen ihre eigenen Grundsätze, geworden. Das Bekenntnis zu einer Sache destruiert ihren imperativen Gehalt. Seitdem gibt es die ebenso folgenlosen wie verhängnisvollen „Werte“, das Ferment der Selbstzersetzung der Moral.
    Es gibt nur einen Fall, in dem ein Jahrzente überdauerndes folgenloses Bekennen dann doch zu einer Art Realisierung führte: den der Deutschen Einheit, die sich einmal als Fall erweisen wird. Seitdem gilt Kohl, der seit je alle Probleme durch Aussitzen erledigte, als großer Staatsmann. Und seitdem beginnt eine ganze Nation, ihre Probleme nur noch auszusitzen. Dieser Arsch mag Ohren haben (mit denen er gleichwohl nichts mehr hört), er hat keine Augen mehr. Er ist nur noch auf sein Inneres gerichtet, und was er da wahrnimmt, ist Sch…
    Beitrag zur politischen Logik heute: Ist nicht die Logik des folgenlosen Bekennens und des dazugehörigen Aussitzens auch eine Gefahr für die politische Kritik, die von der Reflexion sich verabschiedet hat; gehören in den gleichen logischen Kontext nicht auch die Sitzblockaden (die dann ebenso akausal und aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß genommen haben, zu einem „Ergebnis“ geführt haben wie die „Wiedervereinigungspolitik“)? Waren diese Sitzblockaden nicht der genaueste Reflex des Aussitzens, dessen Logik auch keiner begriffen hat? Und gibt es schließlich nicht eine gesellschaftslogische Beziehung des Aussitzens und der Sitzblockaden zu den Formen der juristischen Bekämpfung des Terrorismus, die ebenso phantasie- und reflexionslos sind, insbesondere zur Logik der „Isolationshaft“ (zusammen mit den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, die, außer in einem antinomischen, in keinem rationalen Verhältnis zu dem juristisch an sich geforderten individuellen Nachweis der Beteiligung an den terroristischen Taten stehen)? Steht nicht die „Wiedervereinigungspolitik“ in der gleichen antinomischen Beziehung zu ihrem „Ergebnis“, das anderen Ursachen sich verdankt, wie die Sitzblockaden zum Abzug der Raketen und die Strafen in RAF-Prozessen zu den Beweisverfahren, auf deren Grundlage sie verhängt werden? Sind nicht die Demonstrationen und Sitzblockaden und die polizeilichen und juristischen Reaktionen darauf, die Isolationshaft und die mehrfachen lebenslänglichen Freiheitsstrafen, mit denen in diesem Lande der Terrorismus bekäpft wird, die Kehrseite der Politik des folgenlosen Bekennens und des Aussitzens, einer Politik der unschuldigen, sich selbst exkulpierenden Gewalt?
    Demonstrationen: die Wallfahrten des ritualisierten Widerstands.
    Findet die Beziehung der Politik der Bundesregierung zu ihrer kriminalpolitischen Durchsetzung nicht ihre erschreckende typologische Parallele in der Beziehung der Protagonisten der Deutschen Bischofskonferenz: in der Beziehung von Lehmann und Dyba? Verdiente der logische Zusammenhang des folgenlosen Bekennens mit dem gewalttätigen Aussitzen der Probleme (das innerkirchlich in der Fixierung auf die sexualmoralischen Themen sich anzeigt und an deren herrschaftslogischer Rekonstruktion sich demonstrieren ließe) nicht auch eine ernsthafte theologische Analyse?
    Hat nicht das Aussitzen mit der Sphäre zu tun, die in Psychoanalyse mit dem Analen näher bezeichnet wird? Hierher gehört sowohl die psychoanalytische Geldtheorie wie auch die Theorie der Paranoia.
    War nicht die Geschichte der ägyptischen Plagen und die der Verhärtung des Herzens Pharaos das genaueste symbolische Modell des Aussitzens? Der Pharao, zu dem diese Geschichte gehört, war der, der Joseph, die Ursprungsgeschichte seiner ökonomischen Macht, nicht mehr kannte.
    Hat der Vater Jesu, dieser andere Joseph, und zwar nicht nur durch seinen Namen, etwas mit dieser Ursprungsgeschichte von Herrschaft zu tun, und hängt die merkwürdige Rolle, in die die Väter in den Evangelien gerückt werden, nicht mit dieser Erinnerung zusammen? Hat nicht Jesus mit dem Gottesnamen Vater (mit dem er seinen eigenen messianischen Titel begründet) alle anderen Väter verdrängt?
    Reicht nicht das Beelzebub-Motiv vom Reich, das zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins wird, das sein apokalyptisches Echo in Off 1713.17 in der „einen Meinung“ findet, die die Könige, die von den zehn Hörnern des symbolisiert werden, charakterisiert, in den Kern des apokalyptischen Gedankens, der apokalyptischen Idee?
    Sind die Planeten das Rätselbild des darin versteckten und verwirrten Baums des Lebens?
    Gibt es nicht seit dem Ende des Nationalsozialismus eine fürchterliche Angst vor Schuldgefühlen, die die Menschen zur projektiven Verarbeitung aller Erfahrungen, die daran erinnern, zwingen? Der Nationalsozialismus hat noch in seinem Untergang ein Netz ausgeworfen, aus dem es kein Herauskommen mehr zu geben scheint. Mit diesem Netz fängt er selbst die noch ein, die glauben, sich als seine Gegner verstehen zu dürfen.
    Haben nicht die indoeuropäischen Sprachen eine eingebaute logische Schutzvorrichtung, die ihre Reflexion erschwert, wenn nicht unmöglich macht, und ein rassistisches Selbstverständnis der „Arier“ fast erzwingt?
    Ist der „Angriff auf den Rechtsstaat“, den Hubertus Janssen in diesem Gericht (im 5. Strafsenat des OLG Frankfurt) erkannte, nicht in der inneren Logik des Rechtsstaats selber begründet? Ist es nicht die Verwechslung von Recht und Moral, die das „gute Gewissen“, das das Recht erzeugt, tierisch macht (eine Verwechslung, die am Ende nur theologisch sich auflösen läßt)? Stammt nicht die exkulpierende Kraft jeder Empörung aus dem Bewußtsein des Rechts, aus dem sie sich herleitet? Der Heiligkeit des Rechts entspricht hierbei die Heiligkeit der Empörung (Heumann ist die reinste Verkörperung dieser „heiligen Empörung“, die zwangsläufig denunziatorisch ist).

  • 30.10.1996

    Die Bekenntnislogik verdinglicht das Bekenntnis und macht den Bruch, auf den der Name des Symbolon noch hinwies, unkenntlich: Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie (vgl. § 77 der Kr.d.U.).
    Der Ausdruck „dingfest machen“ stammt aus dem Wortfeld des Thing und bezieht sich auf die Festnahme eines Beschuldigten. Ist in dieser Wortbildung nicht die Isolationshaft schon vorgebildet?
    Unterscheiden sich Genitiv und Dativ wie Privateigentümer und Staat, und sind sie nicht wie diese aufeinander bezogen? Und hängt das grammatische Problem, das insbsondere Journalisten mit dem Gebrauch dieser Kasus haben, mit den objektiven Problemen des gegenwärtigen Stands der politischen Ökonomie zusammen (die im Kontext der objektiv gewaltsamen Durchsetzung der Marktmechanismen dahin tendiert, den Staat aus seiner Eigentümerfunktion zu entlassen)? Ist dieses grammatische Problem (und nicht nur dieses) nicht der Reflex eines politisch-ökonomischen Problems?
    Kann es sein, daß BAW und Senat deshalb aus der Klemme, in die sie sich im Hogefeld-Prozeß selber hineinmanövriert haben, nicht wieder herauskommen, weil, wenn hier auch nur eine kleine Lücke sich auftut, mehr daraus hervorquellen wird als die Probleme dieses Prozesses?
    Als in den Stammheim-Prozessen die Verteidigung zum „Hilfsorgan der Rechtspflege“ gemacht wurde, ist das Gericht zu einem Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft geworden. Diese definiert seitdem, was Rechtspflege heißt.
    Was mir nachträglich an der Marxismus-Rezeption der 68er (die keine Marx-Rezeption war) auffällt, ist, daß ein Thema völlig übersehen und dann verdrängt worden ist, das einzige Thema übrigens, das an die Notwendigkeit der Reflexion, das kantische Erbe in der marxschen Theorie, erinnert: das Problem des falschen Bewußtseins. Deshalb ist der Begriff der Ideologie, wie übrigens schon im Sowjetmarxismus, zu einem reinen Kampfbegriff geworden und die marxsche Theorie selber zu einem Herrschaftsinstrument. Der Begriff der Politik, der im Rahmen dieser Logik dann sich herausgebildet hat, war vom faschistischen fast nicht mehr zu unterscheiden, eine Mischung aus Ideologie, Machtpolitik und Propaganda. Hier wiederholt sich etwas, was im Christentum schon vor anderthalb Jahrtausenden das erste Modell des Selbstverrats vor Augen geführt hat: im Prozeß der Dogmatisierung, des Verrats der eigenen Ursprünge und Tradition durch Selbstinstrumentalisierung im Interesse der Partizipation an der Herrschaft und ihrer Absicherung von innen. Das dogmatische Christentum hat die erste Version des Zuges, der heute in den Abgrund rast, geliefert.
    Im Dogma ist die Theologie verstummt und zu einem Instrument der Instinktregulierung des animalisierten Gesellschaftskörpers geworden (im Kontext dieses Vorgangs hat die „Sexualmoral“ ihre zentrale Funktion und Bedeutung gewonnen: als Urteilsmoral, nicht jedoch als das moralisch allein zu begründende Verbot, den Andern zu instrumentalisieren). Aber hat nicht Jona seine Sprache endgültig erst im Bauch des großen Fisches wiedergefunden?
    Den Menschen ist die Sprache gegeben, auf daß sie denen, deren Leiden sonst stumm bleiben würden, zur Sprache verhelfen. Dämonisch ist die Sprache, die, was ohnehin unten ist, zusätzlich noch zur Stummheit des Objekts verurteilt.
    Standort Deutschland: Unter dieser Parole droht das ganze Land zur Garnison der Industrie zu werden, und die Deutsche Bischofskonferenz bewirbt sich als einziges militärbischöfliches Amt, das die Moral der Truppe garantieren will.
    Zum währungspolitischen Auftrag der Deutschen Bundesbank: Hat nicht die Stabilisierung der Währung etwas mit der Orthogonalisierung des ökonomischen Inertialsystems, des Referenzsystems der Wirtschaft, zu tun? (Ist die Bundesbank die Erbin der kaiserlichen Marine, die das Staatsschiff im wogenden Weltwährungsmeer „stabilisieren“ und auf Kurs halten soll?)
    Kann es sein, daß Heide Platen, wenn sie in der taz von heute die „Prozeßbeobachterin“ erwähnt, die „zu Beginn der Verhandlung“ Birgit Hogefeld „Größenwahn, Realitätsverlust, Übersteigerung der eigenen Rolle, Wichtigtuerei und Selbstmitleid … vorgeworfen“ hat, damit von sich selbst in der dritten Person spricht? Diese Konstellation wäre, wenn sie zuträfe, ein wahrhaft erhellendes Modell journalistischen Selbstverständnisses heute. Journalisten sind ja nur „neutrale Beobachter“ dessen, wovon sie berichten, und keinesfalls haftbar zu machen für ihr dummes Geschwätz von gestern, zu dem eine immer punktueller und erinnerungsloser werdende Öffentlichkeit sich selbst und die Welt macht.
    Wenn es überhaupt noch eine Rekonstruktion des autonomen Subjekts im Sinne der Aufklärung geben soll, dann wäre sie nur an der Stelle noch möglich, den der Satz: „Nur Gott schaut ins Herz der Menschen“, aufs genaueste bezeichnet.
    Die Erklärung Birgit Hogefelds ist ein Modellfall der Erinnerungsarbeit. Wäre diese Aufarbeitung der eigenen und der Geschichte der RAF nicht auf die Geschichte insgesamt zu übertragen? Diese Erklärung liefert den Beweis, daß ihre Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus für sie nicht nur eine rhetorische Formel war.
    Birgit Hogefeld: Nur wer rücksichtslos gegen sich selbst ist, hört auf, es gegen andere zu sein; wer seine eigene Ehre darein setzt, von den Mitteln der Abwehr, der Verdrängung, der Schuldverschiebung und der Projektion, mit einem Wort: von der Feindbildlogik keinen Gebrauch mehr zu machen.
    Ist die Gleichzeitigkeit des Hogefeld-Prozesses und des Erscheinens des Buches von Daniel Jonah Goldhagen vielleicht doch providentiell?
    Dieses Gericht hätte eine Chance, das Vertrauen in eine Justiz, deren Ziel die Gerechtigkeit ist, und die ihre Aufgabe nicht darin sieht, die Rachebedürfnisse zu befriedigen, die die Welt heute so massenhaft produziert, erstmals zu schaffen.
    Was es mit dem „Insektenstaat“ auf sich hat, läßt an folgenden Assoziationen sich demonstrieren:
    – an Reinhold Schneiders Reflexionen über Insekten in seinem schwärzesten Buch „Winter in Wien“;
    – unterm Gesetz eines tiefsitzenden Rache- und Harmoniebedürfnisses landet das Interesse an Insekten bei den Bienen (der Vorsitzende des 5. Strafsenats am OLG Frankfurt, der den Hogefeld-Prozeß leitet, ist auch Vorsitzender des Deutschen Imkerbundes);
    – am Stichwort Insektenforscher;
    – am Stichwort Spinnenphobie;
    – dazu am Beelzebul, dem Herrn der Fliegen, dessen Reich zefällt, wenn es in sich uneins ist.
    Haben die Mücken, das Geziefer und die Heuschrecken in der Geschichte der „ägyptischen Plagen“ etwas mit dem Konstrukt „Insektenstaat“ zu tun (und gehört hierzu nicht auch die merkwürdige Verknüpfung der Heuschrecken mit den Pferden in apokalyptischem Zusammenhang, aber auch schon in in der Parallele der Heuschrecken-Plage zum Untergang der pharaonischen Streitmacht im Schilfmeer)?
    Feindbild-Logik: Als Natur wird die Welt sich selbst zum Feind (schon bei Kant stehen Natur und Welt nicht idyllisch nebeneinander wie Lukacs‘ Grandhotel und der zugehörigen Abggrund).
    Es gibt eine Feindbild-Symbiose; aber läßt sich dieses Konstrukt nicht auch umkehren: steckt im Kern jeder Symbiose die Feindbild-Logik (und verweist das nicht auf den mit der Trinitätslehre universal gewordenen imperativen Gehalt der dogmatischen Theologie)?
    Die Umkehr, die unsere Theologie in eine Theologie im Angesicht Gottes verwandeln würde, hat ihr Modell nicht mehr an einer Drehung im Raum, sondern eher am Umstülpen, an einem Akt, durch den ein linker Handschuh in einen rechten sich umformen läßt. Steckt ein Hinweis darauf nicht in der Geschichte von der Buße Ninives, in der Verdopplung ihres Ausgangspunkt, der einmal beim Volk, das zweite mal beim König liegt?
    Die Natur ist der Inbegriff des Unbewußten, ohne das es Bewußtsein nicht gibt. Sie ist der Mülleimer der projektiven Objekt-Beziehung, die das Bewußtsein konstituiert.
    Creatio mundi ex nihilo: Ist das Strafrecht der Versuch, im Konzept der Strafe jenes Nichts herzustellen, aus dem das Absolute, das im Staat sich verkörpert, die Welt erschafft? Die Logik des nationalsozialistischen Antisemitismus scheint in diesem Konstrukt zu gründen und ließe leicht aus ihm sich herleiten. Das Strafrecht ist eine Maschine, die die Todesfurcht erzeugt und verdrängt zugleich, indem es ihr die Chance verweigert, als Gottesfurcht sich zu begreifen (der Stern der Erlösung hat diese Beziehung der Todes- zur Gottesfurcht erstmals ins Licht gerückt).
    Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch: Gilt das nicht für die Anwendung der Mittel der Objektivierung auf die Objektivationsgeschichte selber?
    Wenn K. meint, daß die Schwarz-Weiß-Malerei der RAF doch nicht (wie es nach ihrem Eindruck Birgit Hogefeld tut) auf die RAF selber angewendet werden dürfe, so wäre dazu nur zu sagen, daß der Abgrund, den die Schwarz-Weiß-Malerei erzeugt, leider nur mit den Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei sich zeigen läßt. Hier gibt’s keine Grautöne und keine Farben mehr. Der Abgrund ist das Schwarze Loch. Wer der Gegenseite sich anpaßt, von ihrer Logik sich anstecken läßt, stärkt sie nur.
    Zur Theorie des Feuers: Die Hölle, ist das nicht ein Produkt der Verkörperung und Totalisierung des „hinter dem Rücken Gottes“, das im Angesicht Gottes sich auflösen, im Leuchten Seines Angesichts in Licht sich verwandeln wird? Wer vorher schon die Hölle leugnet, ist ihr bereits verfallen. Die Hölle wird bestehen „per omnia saecula saeculorum“, was nicht heißt: in alle Ewigkeit, sondern in aller Weltzeit. Wer die Hölle leugnet, leugnet die Erinnerung, und ein Verfahren dieser Leugnung ist das Verfahren der Vergegenständlichung ihres Objekts: die Historisierung.
    Wenn das Feuer im Namen des Himmels das Wer symbolisiert, ist dann nicht die Hölle ein Symbol der Unerlöstheit Gottes? Löst sich dann nicht mit der Selbsterlösung Gottes auch der Feuerpfuhl, nachdem der Drache, die Tiere und der Tod ihm überantwortet worden sind: in der Erkenntnis des Gottesnamens und im Leuchten Seines Angesichts?
    Das falsche Bewußtsein ist eine Folge der Verdrängung der Vergangenheit, nur: auch durch Historisierung ist die Vergangenheit zu verdrängen. Deshalb haben deutsche Historiker den Goldhagen als Angriff erfahren.
    Der letzte, heute vielleicht allein noch mögliche „Gottesbeweis“ wäre der, der aus der Einsicht in die Unmöglichkeit einer ursprünglichen Vergangenheit sich ableiten ließe. Gäbe es eine ursprüngliche Vergangenheit, dann müßten alle Blätter eines Baumes einander gleich und mathematisch rekonstruierbar sein, und es dürfte nur eine Tiergattung und eine Insektenart geben.
    Hat nicht die Trinitätslehre Gott zu einem Gott gemacht, der wegsieht (zu einem autistischen Gott), und ist das nicht der bewußtlose imperative Gehalt dieser Theologie, die in ihren Gnaden- und Rechtfertigungslehren dieses Wegsehen zum Kern ihrer Lehre von der Sündenvergebung gemacht hat? Auch hier gilt die Levinas’sche Asymmetrie: Wegsehen darf allein das Opfer, nicht der Täter, darf der Andere, nicht ich.
    Was unter anderem an unserer Theologie falsch ist:
    – das Wegsehen,
    – die Entsühnung der Welt (das Korrelat der creatio mundi ex nihilo),
    – die Individualisierung des Seelenheils (so als habe es mit dem Zustand der Welt, mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, nichts zu tun),
    – die Unfähigkeit, den ungeheuren Verdrängungsblock, der der Rezeption des Weltbegriffs sich verdankt und der in der Bekenntnislogik sich manifestiert, noch zu reflektieren,
    – die Übersetzung des Begriffs Theologie mit „Rede von Gott“, die offensichtlich ein Theologie-Verständnis ähnlich stabilisieren helfen soll wie die Orthogonalität das Inertialsystem und die Bundesbank die Währung, den Geldwert.
    Zur pharaonischen Verhärtung des Herzens: Das Problem der Theologie gleicht dem der fast unmöglichen Rekonstruktion des Raumes aus der Sicht und Erfahrung des Objekts (nicht des Subjekts, dem diese Sicht und diese Erfahrung apriori versperrt ist). Der Raum ist der Inbegriff des Schuldverschubsystems: Er exkulpiert das Subjekt, indem er die ganze Schuld aufs Objekt verschiebt, gleichsam die Levinas’sche Asymmetrie vom Grunde her leugnet. Die christliche Gnaden- und Rechtfertigungslehre, die Individualisierung der Sündenvergebung, die durch die Logik der subjektiven Formen der Anschauung automatisiert wird (und seitdem der Religion als Vermittlung nicht mehr bedarf), hat dem vorgearbeitet. In der säkularisierten Welt hängt die Sündenvergebung nicht mehr vom Sündenvergeben ab, nur noch vom Haben oder Nicht-Haben: Wer hat, dem ist schon vergeben (und der hat es nicht nötig zu vergeben), und wer nicht hat, dem kann auch nicht mehr vergeben werden (wer ist er überhaupt, daß er sich anmaßen könnte, uns zu vergeben, damit auch wir ihm vergeben?).
    „Niemand kann zwei Herren dienen“: Wir haben das Sündenvergeben (die Erlösung) dem Geld überlassen. So ist das Geld unser Gott geworden: Es ist der Schöpfer einer durch es selbst entsühnten Welt, der Welt, in der wir leben, einer Welt, die alle schuldig spricht, die an der magischen Substanz des Eigentums nicht teilhaben.

  • 28.10.1996

    … zahlreich wie der Sand am Meer und wie die Sterne des Himmels: Was haben Meer und Himmel gemeinsam, in welcher Beziehung stehen diese Namen? Bezeichnen nicht beide die Grenze,
    – das Meer die Grenze gegen ein Anderssein, das das Immergleiche ist: gegen den Feind und die Völkerwelt (die „Heiden“),
    – der Himmel (und mit ihm die „Himmelsheere“ des Dominus Deus Sabaoth) die gegen ein Anderssein, das die Erfüllung wäre: das Reich Gottes?
    Deshalb wird am Ende der Himmel zur Erde sich kehren, während das Meer nicht mehr sein wird (weil die Kraft des Namens die Logik des Begriffs gegenstandslos machen wird). Aber heißt das nicht, daß das „zahlreich“ eine andere Bedeutung hat, wenn es auf den Sand am Meer, und eine andere, wenn es auf die Sterne des Himmels bezogen wird, nur daß wir unterm Bann unseres vergegenständlichenden Sehens, der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“, die Differenz, an die Kant in der Idee eines intuitiven Verstandes zuletzt erinnert hat, (noch) nicht zu erkennen in der Lage sind (vgl. §§77 der Kr.d.U.)?
    Gehört zu dem „zahlreich“ nicht auch die „Menge, die keiner zählen konnte“ in der Johannes-Apokalypse?
    Die Gründer der Staaten der Alten Welt waren Nomaden, die nomadischen „Razzien“ die Vorform der Eroberungen wie des Fernhandels, der Grundlagen der Großreiche wie der poleis, der Stadtstaaten. Aber ist nicht andererseits die Rekonstruktion der Staaten der modernen Welt über eine Geschichte, die man als die von Meeresnomaden bezeichnen könnte, über die Piraterie, gelaufen (von den Wikingern über Venedig, Spanien, die Hanse, die Niederlande, Frankreich, England, über die Entdeckung und Unterwerfung der heute sogenannten „Dritten Welt“, ihre zunächst politische, dann ökonomische, durch die Marktgesetze vermittelte Kolonialisierung, bis zu der Globalisierung, die auf neue Weise das Element des Meeres hinter sich läßt, und heute auf die Verwüstung der Zivilisation hinausläuft? Der vergebliche und auch komische Versuch des Wilhelminischen Deutschen Reiches, imperiale Macht durch eine eigene Marine zu gewinnen, kündigte bereits das Ende der Seefahrt an. Hitler war dann der Beginn des zwangsläufigen Rückfalls ins Nomadische, sein Element nicht das Meer, sondern die Wüste, und die „Endlösung der Judenfrage“ die zwangshaft-paranoide Erfüllung des Gesetzes der nomadischen Razzia. Ist der moderne Staat das Tier aus dem Meer, der Faschismus das Tier vom Lande, der falsche Prophet?
    Modell des griechischen Objekt- und Naturbegriffs waren die Barbaren, Modell ihrer modernen Rekonstruktion, die die Feindlogik tiefer noch begründete, die Wilden.
    Korrespondieren nicht den Bildern vom Sand am Meer und von den Sternen des Himmels die Namen Hebräer und Israeliten? Israeliten waren die Hebräer für ihren Gott, Hebräer waren sie für die anderen Völker. Läßt nicht die Bedeutung des Namens der Hebräer durch logische Inversion, durch Vertauschung von Subjekt und Objekt, aus der Bedeutung des Namens der Barbaren sich herleiten?
    Schaufenster sind der falsch säkularisierte Himmel (das den Armen nur sichbare, aber unzugängliche Reich der Erfüllung). Symbol des Endziels der Schaufensterwelt ist die „irre Fahrt zu den Sternen“, wie Adorno die „Weltraumfahrt“ einmal genannt hat.
    Haben die Bilder vom Sand am Meer und von den Sternen des Himmels nicht etwas mit dem Binden und Lösen zu tun, beginnen sie nicht im Kontext dieses an Petrus und die Kirche gerichteten Wortes zu sprechen?
    Hat nicht der Sand am Meer etwas mit dem Staub, aus dem Adam ist und zu dem er wird, und den die Schlange frißt, zu tun, die Sterne des Himmels dagegen mit dem Stern, von dem es heißt: „Wir haben seinen Stern gesehen“.
    Kopernikus hat den Himmel unter das Meer subsumiert und die Sterne unter den Staub: der grandiose Versuch, das Feuer auszutreten?
    Sucht nicht die „irre Fahrt zu den Sternen“, eigentlich nur die exkulpierende Bestätigung, daß der Himmel auch nicht anders ist, und hat diese Intention mit der Rehabilitierung Galileis nicht inzwischen auch die Kirche akzeptiert (unter Zuhilfenahme einer verhängnisvollen Verwechslung: falsch war nicht der Widerstand gegen das „Weltbild“ Galileis, sondern allein die Mittel des Kampfes dagegen.
    Zum Namen der Juden: Ist nicht Israel (und sind mit ihm nicht die zehn „verlorenen Stämme“) durch Assur, durch Ninive, zugrunde gegangen, Juda, das dann doch überlebt hat, hingegen durch Babylon? Das Buch Jona bezieht sich auf Ninive, und damit auf den Untergang Israels. Auf dem Schiff, mit dem Jona übers Meer nach Tarschisch fliehen wollte, ist er ein Hebräer (und nur dadurch, daß er dem Meer geopfert wird, werden das Schiff und seine Besatzung gerettet).
    Tarschisch: War das nicht der Name des Gold- und Rohstofflieferanten des Königs Salomo, ein Ort, der nur übers Meer zu erreichen war?
    Verhalten sich nicht das Meer und der Himmel wie die subjektiven Formen der Anschauung, wie Raum und Zeit? Das Meer verweist auf das Andere des Raumes, das auch nur Teil des Raumes ist, während der Himmel auf das Andere der Zeit verweist, das, aufgrund der Irreversibilität der Zeit, nicht wie die Zeit ist.
    Das Relativitätsprinzip gilt für den Raum, nicht für die Zeit, es neutralisiert durch Orthogonalisierung des Raumes die qualitativen Differenzen der Richtungen im Raum (z.B. die Unterscheidung von Rechts und Links). Die Differenz zwischen den Richtungen der Zeit, zwischen Zukunft und Vergangenheit, aber ist unaufhebbar. Das allgemeine Relativitätsprinzip ist der genaueste Ausdruck der Irreversibilität der Zeit, deshalb ist sein apriorisches Objekt der Fall und die Schwere: Der Versuch, den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft aufzuheben, mündet in der Potenzierung der Vergangenheit: im Gravitationsgesetz. Das allgemeine Relativitätsprinzip repräsentiert das logische Bild der Katastrophe, das dann mit Hilfe der kosmologischen Konstruktionen, die man aus ihm abzuleiten versucht hat, verwischt und unkenntlich gemacht werden sollte.
    Der für RAF-Prozesse so zentrale Begriff der Schwere der Schuld ist, zusammen mit der perversen Konstruktion einer mehrfachen lebenslänglichen Strafe, der genaueste Reflex dieses logischen Bilds der Katastrophe im Spiegel des Rechts.
    Sind nicht bei Habermas die Elemente der Verdrängung alle beisammen:
    – die Verwerfung der Idee einer Rettung, die auch die Natur mit einschließt,
    – sein Konstrukt des Verfassungspatriotismus und
    – eine Kommunikationstheorie, die er mit der Idee eines herrschaftsfreien Diskurses (den es nicht gibt) zu begründen versucht,
    Elemente, die insgsamt nur noch das Erblinden der Vernunft indizieren, die Leugnung und Verdrängung der Reflexion von Herrschaft?
    Die Öffentlichkeitskrise, die die Erinnerungen der Teilnehmer an den Demonstrationen an der Startbahn, in Wackersdorf oder in Gorleben geprägt hat, die Erinnerungen an Erfahrungen, die keinen Weg in die Öffentlichkeit mehr gefunden haben, und denen mit tatkräftiger Hilfe der Justiz der Charakter nicht öffentlichkeitsfähiger Privaterinnerungen aufgezwungen worden ist, diese Öffentlichkeitskrise wird heute weithin, wie in allen Krisensituationen, so auch in RAF-Prozessen, konsequent instrumentalisiert und mit Absicht und Wissen „übergeordneten Interessen“ dienstbar gemacht. War diese Öffentlichkeitskrise, gegen die es aus rechtssystematischen Gründen rechtliche Mittel nicht zu geben scheint, nicht schon die objektive Grundlage des Antisemitismus (mit dem sie zwar nicht identifiziert werden darf, dessen Gefahren aber weiterhin in ihr präsent sind)? Diese Öffentlichkeitskrise läßt sich am einfachsten daran verdeutlichen, daß heute die zu Instrumenten der Bewußtseinsindustrie gewordenen Medien, nicht zuletzt das Fernsehen, in der Lage sind, Krisen und Kriege an- und abzustellen.
    Die Öffentlichkeitskrise ist in einer Welt, in der man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen, eine Krise der Beweislogik, die nur durch Reflexion auf ein erträgliches Maß sich reduzieren läßt. Und wird nicht gerade diese Reflexion heute in unerträglicher Weise hintertrieben? Deshalb ist nicht in RAF-Prozessen die Beweislogik anderen Kriterien unterworfen als z.B. in Prozessen gegen Übergriffe von Polizeibeamten.
    Nach Adorno gleicht die Welt immer mehr der Paranoia sich an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Kommt nicht alles darauf an, die Paranoia als Erkenntnismittel zu nutzen, ohne ihr zu verfallen, was nichts anderes heißt, als auch in dieser Welt noch den Kopf oben zu behalten, seiner selbst mächtig zu bleiben?

  • 27.10.1996

    Die Grenzen der Asymmetrie sind die Grenzen der Barmherzigkeit: Für die Barmherzigkeit bin ich niemals Objekt, ist der Andere (für mich) niemals Subjekt. Barmherzigkeit schließt Selbstmitleid prinzipiell aus.
    Die Welt lernt nur verstehen, wer in andere sich hineinversetzen kann: Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Unterscheidet sich das Christentum nicht dadurch von der Prophetie, daß es – außer den Armen und den Fremden – auch die Herrschenden in die Intention der Barmherzigkeit mit einschließt, allerdings im Sinne des Jakobus-Worts: des Triumphs der Barmherzigkeit über das Gericht?
    In der Schrift ist der Name des Geistes der Name der Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Zu diesem Namen gehören die drei Sätze: von der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz, von einer Zeit, in der keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen, und vom Geist, der die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
    Die Idee der Barmherzigkeit gründet in der Idee des Ewigen und trennt sie vom Überzeitlichen. Gegen die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen richtet sich Levinas‘ Begriff der Asymmetrie, auch der Satz vom Rind und vom Esel.
    Zur Herauslösung von Joh 129 aus der Opferthologie und zu seiner Einbeziehung ins Nachfolgegebot gibt es keine Alternative mehr.
    Hat nicht auch die Jesaias-Stelle über den Leviatan und die Schlange etwas mit dem Neutrum zu tun? – Ist das Neutrum der Turm, der bis an den Himmel reicht, die sprachlogische Gewalt, die den Namen des Himmels (schamajim) sprengt und die Sprachen verwirrt? Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Beziehung des deutschen Namens des Himmels zu dem des Hammers (Nietzsche hat „mit dem Hammer philosophiert“). In welcher Beziehung steht die Geschichte vom Turmbau zu Babel zur Sintflut, und hat der Bogen in den Wolken (an der Stelle, an der einmal der Menschensohn erscheinen wird) etwas mit dem Feuer im hebräischen Namen des Himmels zu tun?
    Hängt der erkenntnistheoretische Begriff des Gegebenen mit dem Dativ zusammen, verweist nicht der Ursprung beider auf die Geschichte des Staates (ist die Verwechslung von Genitiv und Dativ in der Sprachlogik der Medien nicht ein Indiz für zunehmende Privatisierung staatlicher Aufgaben, für die fortschreitende verwüstende Gewalt der Marktkräfte)? Haben Genitiv und Dativ etwas mit der Unterscheidung von Land und Meer im Sinne des § 257 der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts zu tun?
    Was sind das für Sträucher, unter denen Adam sich versteckte, unter den Hagar sich legte, auch Elias legte sich unter einen Strauch sowie Jona; haben die etwas dem Gleichnis vom Senfkorn zu tun (sowie mit der Jotam-Fabel und dem Baum im Buch Daniel)?
    Nach dem Register zur Hegel-Ausgabe von Suhrkamp kommt der Begriff der Anklage in der Hegelschen Philosophie nicht vor. – Vgl. aber die Anmerkung zu § 225 der Rechtsphilosophie, in der Hegel auf die „Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität (ob z.B. ein Mord oder Tötung) … im englischen Rechtsverfahren“ verweist, in dem sie „der Einsicht und Willkür des Anklägers überlassen“ sei, während er sonst etwas unserer Strafprozeßordnung Vergleichbares nicht zu kennen und insbesondere die Konstellation Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter, nicht für erwähnenswert zu halten scheint (wie zu vermuten ist, aus Gründen, die mit der Konstellation, die seinem Begriff der Dialektik zugrundeliegt, zusammenhängen: nicht nur, daß diese Konstellation mit der prozessualen nicht kompatibel ist, ein Vergleich würde das Moment der Gewalt in Hegels Konstrukt kenntlich machen).
    Ist nicht der Titel Staatsanwalt das Produkt eines logischen Kurzschlusses, ein Stück verhängnisvoll automatisierter Staats- und Rechtslogik (ein systemwidriger Hegelianismus im logisch aus anderen Gründen determinierten Strafrecht)? Der Titel Staatsanwalt instrumentalisiert (und neutralisiert) beide: den öffentlichen Ankläger und den Staat.
    Zu Off 13: „Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende Element, das Meer.“ (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 247; Hervorhebungen geändert, H.H.) Vgl. hierzu Carl Schmitt: Land und Meer, Stuttgart 19933, in der er in einer Nachbemerkung von 1981 auf diese Hegel-Stelle hinweist.
    Das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird: Liegt die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt nicht darin, daß er der Schmach und der Schande, die die Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen erzeugt und deren Objekt er wurde, sich nicht widersetzt, sie widerstandslos auf sich nimmt und eben damit reflexionsfähig macht, ihrer endgültigen Instrumentalisierung die Grundlage entzog? So begründete er den Akt der Befreiung.
    Wer das Opfer instrumentalisiert, landet bei der Heldenverehrung, im Bann des Mythos. So gehört die deutsche Einrichtung der „Kriegsgräberfürsorge“ zur Logik einer Staatsmetaphysik, die immer noch versucht, dem Krieg einen höheren Sinn zu verleihen, indem sie unterstellt, daß diese Opfer nicht umsonst waren, und so die Toten nochmal schändet und verhöhnt.
    Seit wann gibt es Krieger- und Heldendenkmäler? Stammt diese Tradition nicht aus der Geschichte der „Befreiungskriege“, die nur so hießen und keine waren: Befreit wurde nur der Nationalismus als Ideologie, in deren Folge dann der christliche Antijudaismus endgültig zum Rassen-Antisemitismus geworden ist, seine eliminatorische Qualität gewonnen hat.
    Heute gibt es für die Philosophie nur noch die eine Möglichkeit: die der Selbstreflexion, des Übergangs in Prophetie.
    Der Staat wird zum Insektenstaat in dem Augenblick, in dem er glaubt, seine Aufgabe darin zu erkennen, zum Ungeziefer-Vernichtungs-Staat werden zu müssen. Oder: Es gibt kein besseres Mittel, den Staat zum Insektenstaat und Gemeinschaften zu Heuschreckenschwärmen zu machen, als wenn man ihnen die Aufgabe der Ungeziefer-Bekämpfung gibt. Das Böse konstituiert sich in der Pflicht, das Böse zu vernichten.
    Definiert nicht der Satz aus dem Jakobusbrief, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, die Idee der Unsterblichkeit der Seele neu (und erstmals in einem vernünftig nachvollziehbaren Sinn)?
    Wie hängt das Ahnden mit dem Ahnen zusammen? Nach dem Eingangssatz von Schellings Weltalter wird die Zukunft „geahndet“ (nicht geahnt). Hängt das Ahnden sprachlich mit Begriffen wie Gemeinde, Behörde zusammen (durch das gleiche abschließende, perfektische -de), damit aber in der Sache mit dem Logik und Bedeutung des Naturbegriffs (als es Inbegriffs aller Objekte von Urteile)? Ist die Konstituierung des Objekts (und damit des Naturbegriffs) nicht in der Tat Produkt einer Konstruktion, in der „die Zukunft geahndet“ wird, und das in einem dem strafrechtlichen Gebrauch des Wortes Ahnden durchaus angemessenen Sinne? Ist nicht der Objektbegriff, und mit ihm der Naturbegriff, der ihn absichert, Produkt einer Konstruktion, in der die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, zur Vergangenheit verurteilt wird? Im Objekt- und damit im Naturbegriff wird in der Tat „die Zukunft geahndet“. Die Logik des Objektbegriffs ist die Logik des Anklägers (des „Staatsanwalts“). – Wie hängen die RAF-Prozesse mit Schelling zusammen?
    Der „blinde Fleck der Logik“ gründet in ihrem apriorischen Objektbezug, und es gibt keinen Begriff, der diesen blinden Fleck genauer bezeichnet als der der Natur.
    Haben nicht der Ursprung und die Logik der historischen Bibel-Kritik etwas mit der Ursprungsgeschichte des modernen Nationalismus zu tun, zu deren Vorgeschichte auch Spinozas „Pantheismus“ gehört? Jeder Nationalismus ist ein Pantheismus, und der spinozasche dessen allgemeine logische Form.
    Als die Amsterdamer Synagoge den Bann über Spinoza verhängte, hatte sie zwar formal Recht, zugleich aber hatte sie die wirkliche Intention des Denkens Spinozas gröblich verkannt, die nicht mehr durch einen Bann zu verurteilen, sondern allein durch Reflexion aufzulösen gewesen wäre. Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Korrespondenz zwischen dieser Spinoza-Geschichte und der Geschichte Sabbatai Zwis?
    Ist nicht Lessings Ring-Fabel insofern unvollständig, als es sich nicht um drei getrennte Ringe handelt, sondern um die ineinander kreisenden Räder der ezechielischen Vision?
    Die Beziehung der Elektrodynamik zum Licht hat etwas mit der Beziehung des Dogmas zum Zentrum der christlichen Tradition, das erst im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes sich enthüllt, zu tun.
    Bezeichnet nicht der Name der Barbaren den Rohstoff, aus dem die ersten Waren genommen worden sind: Sind nicht die Barbaren potentielle Sklaven, der menschliche Rohstoff der ersten Handelsware? Und gehört nicht der Name der Name der Barbaren zur Ursprungsgeschichte des heutigen Weltzustandes, in dem die „dritte Welt“ immer noch in erster Linie Rohstofflieferant ist?
    Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein Instrument, das mit der Ursprungsgeschichte der Warenform und mit der des Dingbegriffs zusammenhängt, in dieser Ursprungsgeschichte mit seiner eigenen, die es doch zugleich verdrängt, konfrontiert wird? Sie sind damit ein Instrument der Verdrängung der eigenen Ursprungsgeschichte. So aber sind die Naturwissenschaften zu automatisierten Instrumenten der Selbstlegitimation des Bestehenden und der kollektiven Selbstverblendung zugleich geworden.
    Der Faschismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus insbesondere dadurch, daß der Antisemitismus in ihm nie die Funktion und Bedeutung gehabt hat, die er im Nationalsozialismus hatte. Kann es sein, daß die Verwechslung beider Begriffe auf Seiten der Linken etwas damit zu tun hatte, daß der Marxismus als Herrschaftsinstrument (als Ideologie, wie er dann selbst sich nannte) den Gebrauch des Antisemitismus nicht mehr grundsätzlich auszuschließen vermochte? Wer den Nationalsozialismus als Faschismus bekämpft, blendet damit genau den Grund aus, aus dem er antisemitisch war: das Feindbilddenken als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft. Die Unterscheidung von Nationalsozialismus und Faschismus rechtfertigt nicht den Faschismus, aber sie vermeidet die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die in der Gleichsetzung beider liegt.
    Ist nicht diese Verwechslung des Nationalsozialismus mit dem Faschismus ein Indiz dafür, daß die 68er Linke von der Gefahr eines undialektischen Materialismus, des Konkretismus, des Feindbilddenkens, der Unfähigkeit zu Reflexion (der Verdrängung des Problems des „falschen Bewußtseins“), nie sich hat freimachen können? Genau dieses Apriori, diese Vorentscheidung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte, hat diese Linke dazu verleitet, im Recht nur ein Machtinstrument (und in der Macht ein neutrales Instrument) zu sehen, mit der Folge, daß sie das Gemeinsame der nationalsozialistischen Konzentrationsläger mit dem Archipel Gulag oder des Volksgerichtshofs mit den stalinistischen Prozessen nicht mehr wahrzunehmen vermochte; sie hat sie unfähig gemacht zur Rechtskritik (zur Kritik des Staates von innen).
    Es sollte heute nicht mehr zulässig sein, die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Idee mit ihrer befreienden Kraft zu verwechseln. Identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft gewinnt eine Idee nur, wenn sie die Wahrheit verrät, sie gegen ein stabiles Feindbild eintauscht und auf die Kraft der Reflexion verzichtet. Zentrum der Reflexion ist die des Objektbegriffs, von dem es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Der Objektbegriff ist von den Herrschaftsstrukturen in der Gesellschaft nicht zu trennen. Herrschaftskritik, die diese Reflexion nicht leistet, sie ausspart, reproduziert die gleichen Herrschaftsstrukturen, die sie zu kritisieren glaubt, wird selber zum Instrument von Herrschaft.
    Der Objektbegriff ist ein Denkmal und ein Repräsentant der Überwindung und Versklavung des Feindes und zugleich des Ursprungs der Geschichte der Zivilisation. Diese Wunde im Kern der Zivilisation gilt es reflexionsfähig zu halten, anstatt sie über Feindbilder immer wieder zu verdrängen.
    Das Ganze reicht zurück in die subjektiven Formen der Anschauung, deren Funktion und Bedeutung anhand der unterschiedlichen Folgen des Anschauens für den Anschauenden und den Angeschauten sich demonstrieren läßt. Zu diesen Folgen gehört es, daß sie, indem sie das Angeschaute zum Objekt machen, seine Wahrnehmung, die sie doch begründen sollen, gerade verhindern, sich als Wahrnehmungsverhinderungsapparat etablieren. Sie liefern die Farbe und den Pinsel, mit denen die Fenster in dem Zug, der in den Abgrund rast, bemalt werden.
    In der RAF bestrafen die Staatsschutzsenate ihr eigenes Prinzip.
    In einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der RAF wird man nicht davon abstrahieren können, daß die RAF der Reaktion den Vorwand geliefert hat, mit dessen Hilfe sie sich rekonstruieren und reetablieren konnte.

  • 26.10.1996

    Eine Überschrift in der FR von heute: „Grams-Eltern wenden sich an EU-Kommission“. Erst im Text heißt es dann korrekt, daß die Eltern von Wolfgang Grams (die keine „Grams-Eltern“ sind) vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg (die keine „EU-Kommission“ ist) Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben haben. Inzwischen scheinen nicht mehr nur in der BILD-Zeitung Überschriften auch dem Zweck zu dienen, den Text der Meldung, auf den sie hinweisen, zugleich zu vernebeln. Läßt sich nicht am vorauseilenden Gehorsam solcher „Versprecher“ der Zustand der Öffentlichkeit und die Existenz eines durch die Naturkräfte der Bewußtseinindustrie erzeugten und gesteuerten öffentlichen Unbewußten erkennen? Die Nazis hatten den Spruch: „Keiner soll hungern und frieren“, den der Volksmund dann so ergänzte: „Wer’s doch tut, kommt ins KZ“. Ist nicht mit der Verdrängung der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen auch die Wahrnehmungsfähigkeit verdrängt worden, die in dieser aufhellenden Ergänzung sich ausdrückte? Das Feindbild ist ein Naturheilmittel, weil es eine Naturkraft ist; es gehört zu den Konstituentien des Naturbegriffs selber, zu dessen sprachlichen Korrelaten der Name der Barbaren und das Neutrum gehören, und deren Logik in der Geschichte des Objektbegriffs und in der Konstituierung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung sich vollendet. Zielte nicht hierauf Adornos programmatisches Wort vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Als das Christentum den Namen des Logos mit dessen griechischer Tradition in eins setzte, hat es sich in seinem Verhältnis zum Kreuzestod auf die Seite der Täter gestellt. Das war der Beginn der zweiten Kreuzigung, der Instrumentalisierung des Kreuzestodes durch die Opferthologie. Läßt das Christentum insgesamt als ein Akt des Tikkun sich begreifen, der Rettung durch Identifizierung mit dem Feind, einer Rettung, die durch den Verrat, den Abfall, hindurchmuß? War nicht die Bubersche „Begegnung“ eine Ersatzhandlung für das, was den Christen eigentlich notgetan hätte: die Reflexion der Naturkräfte, von denen das Christentum sich bis heute nicht hat befreien können? Das Dogma ist die Wahrheit, aber im Stande einer durch die Dogmatisierung (die Bekenntnislogik) verdrängten und ausgegrenzten Reflexion. Durch die Vorstellung einer „Teilhabe am innertrinitarischen Prozeß“, die die Theologie insgesamt verhext, ist der imperative Gehalt der Theologie, der allein eine Theologie im Angesicht Gottes zu begründen vermöchte, ästhetisiert und neutralisiert worden. So wurde aus der Nachfolge die imitatio, aus der Übernahme der Sünde der Welt deren Hinwegnahme, aus der Gottesfurcht die erbaulichen Formen der Frömmigkeit. Diese Vorstellung hat die theologischen Erkenntniskräfte wie die Spinne die in ihren Netzen gefangene Beute gelähmt. Metz‘ Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr so Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist, wie mir scheint, nur durch Reflexion der Verwurzelung der Theologie in der Philosophie, nicht durch Abstraktion von dieser Beziehung, einzulösen. Die Reflexionen Rosenzweigs über das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Stern der Erlösung, sind hier hilfreich. Das göttliche Attribut der Barmherzigkeit, das im Imperativ, nicht im Indikativ steht, rührt an das sprachlogische Problem des grammatischen Geschlechts. Die Erinnerung daran ist im hebräischen Namen der Barmherzigkeit, der der Name der Gebärmutter ist, aufbewahrt. Das erinnert zugleich an den sprachlogischen Zusammenhang der Beziehung von Indikativ und Imperativ mit dem des grammatischen Geschlechts: an den genetischen Zusammenhang des Indikativs mit dem Ursprung des Neutrum. Es ist das gleiche Sprachproblem, das auch der Idee einer Theologie im Angesicht Gottes zugrundeliegt, an die Forderung, die dem Begriff der Lehre innewohnt: den imperativen Gehalt der göttlichen Attribute in den Indikativ zu übersetzen (und nicht, wie es das Dogma tut, durch den Indikativ zu neutralisieren, oder ins Ästhetische zu übersetzen). Allein die Schuldreflexion vermag den Bann zu brechen unter dem die Theologie seit der Rezeption der philosophischen Idee der Unsterblichkeit der Seele steht. Verweist nicht die Geschichte vom Sündenfall, wenn man in ihr die Schlange als Symbol des Neutrum, und ihre Geschichte mit Adam und Eva als ein Bild der Neubestimmung des grammatischen Geschlechts, des Männlichen und des Weiblichen, durch das Neutrum, begreift, auf das Problem des grammatischen Geschlechts? Läßt sich dieses Problem des grammatischen Geschlechts nicht an der Sprache Kants demonstrieren, wenn er den Erkenntnisbegriff sowohl in femininer als auch in neutrischer Bedeutung verwendet (die Erkenntnis, das Erkenntnis)? Das, so scheint mir, rührt an eines der tiefsten Probleme der kantischen Philosophie; die Sprachlogik, die darin sich ausdrückt, scheint aus logischen Struktur der Probleme sich herleiten zu lassen, die den Zwang der philosophischen Revolution, deren Ausdruck Kants Werk ist, begründen. Es rührt an eine Schicht in der kantischen Philosophie, die von seinen Nachfolgern dann konsequent verdrängt worden ist: an den Ursprung der drei Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt; zu Natur und Welt vgl. den großartigen Definitionsversuch Kants in der Kritik der reinen Vernunft, im ersten Abschnitt der Antinomie der reinen Venunft). Nicht zufällig standen Fichte, Schelling und Hegel unter dem Systemzwang, diese Begriffe – nach Verdrängung der Reflexion ihres logischen Ursprungs – nacheinander abzuarbeiten.
    Wie wäre die Frage, welcher Teil eines Menschen zum Regieren der wichtigste ist, eigentlich zu beantworten angesichts einer Regierung, die Entscheidungen, die allein von den Interessen ihrer Klientel bestimmt sind, während die Argumente, die sie öffentlich begründen sollen, schmückende Rhetorik und von Waschmittel-Reklame nicht mehr zu unterscheiden sind, nur noch „durchsetzt“ und Probleme, die dieses Verfahren zwangsläufig produziert, nur noch „aussitzt“? Ist nicht die Folge ein Begriff von Öffentlichkeit, der Erfahrungen, Kritik und Reflexionsfähigkeit, das eigentliche Element demokratisch-bürgerlicher Beteiligung, auf ähnliche Weise ausschließt wie RAF-Prozesse, die u.a. die Aufgabe zu haben scheinen, dieser Logik den Charakter einer rechtlichen Norm zu verleihen, das Selbstverständnis der Angeklagten?
    Adorno hat einmal die Situation eines Gesprächs in einem Eisenbahnabteil beschrieben, in der man, um einen Streit zu vermeiden, sich gezwungen sieht, den Anschauungen eines Mitreisenden nicht zu widersprechen, die imgrunde auf einen Mord hinauslaufen. Gehört diese Situation nicht zum Bild des Zuges, der in den Abgrund rast? Und beschreibt sie inzwischen nicht etwas vom Zustand der Öffentlichkeit insgesamt? Die Bundesanwaltschaft als Verkörperung des Inertialsystems (als eines Konstrukts aus Verachtung, Hohn und Zynismus), und das von ihr verkörperte Anklage- und Beweisverfahren als Verfahren der reinen Objektkonstruktion (mit der Idee des Objekts als eines Konstrukts, zu dem es keine kommunikative Beziehung mehr gibt, das nur noch Objekt eines apriorischen Urteils ist: sind nicht die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen der Versuch, dieser Konstruktion die Gewalt einer objektiven, sinnlich erfahrbaren Realität zu verleihen)? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos beschreibt einen objektiven, nicht nur einen moralischen Sachverhalt. Aber gilt das nicht für die Prophetie insgesamt? Ägyptische Finsternis (ist „Finsternis Mizrajims“ nicht deutlicher?): die Entfaltung des blinden Flecks der Logik zur Totalität.

  • 24.10.1996

    Auch wer Probleme hat, wenn er das politische Selbstverständnis der RAF mit ihren Taten in Zusammenhang bringen will, wird gleichwohl darauf bestehen müssen, daß dieses politische Selbstverständnis auch in der juristischen Aufarbeitung der Taten mit reflektiert wird.
    Wenn Einstein auch die Fallbewegung als Trägheitsbewegung (für die das Relativitätsprinzip gilt, begreift und davon ausgeht, daß im Innern eines frei fallenden (außer Kontrolle geratenen) Fahrstuhls nicht erkennbar ist, ob der Fahrstuhl ruht oder in freiem Fall sich bewegt, abstrahiert er dann nicht von dem Gefühl der Schwere, das in einem (in einem Schwerefeld) „ruhenden“ Fahrstuhl gleichwohl die Schwere fühlbar ist: Es bedarf des „freien Falls“, um dieses Gefühl gegenstandslos zu machen. Verweist dieser Tatbestand nicht auf den Unschuldstrieb, der, wenn er seine Erfüllung sucht, eigentlich den Zustand des „freien Falls“ sucht, den Moment der Katastrophe, die er zu verdrängen sucht? (Ist nicht die Bewegung der Ökonomie, wenn sie nach dem Konzept des Neoliberalismus rein dem eigenen Bewegungsgesetz folgt, eine Bewegung des freien Falls?)
    Wie hängt das Allgemeine Relativitätsprinzip, die Unterscheidung des Leichten und des Schweren, mit dem Satz von Rind und Esel (Joch und Last – auch Wasser und Feuer?) zusammen? Ist nicht das Leichte das Korrelat des Jochs, das man andern auferlegt? Hat der Hinweis auf das Feuer im 1. Petrusbrief etwas mit der Logik des Leichten (mit dem noch Aristoteles das Feuer zusammenbringt) zu tun, ist das Feuer, dem am Ende der Drache, der Satan und der Tod überantwortet werden, die Innenseite des Leichten, eine Folge des Unvermögens, in andere sich hineinzuversetzen, der leere Kern des Herrendenkens?
    Enthält nicht die Allgemeine Relativitätstheorie eine Staatstheorie, verweist sie nicht auf die Sphäre des Politischen, während die Spezielle Relativitätstheorie auf die der Ökonomie, auf die Logik des Tauschs, verweist? Wittgensteins Satz, daß die Welt alles ist, was der Fall ist, rückt die Welt in eine konstitutive Beziehung zum Staat.
    Läßt die Beziehung von Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie, als die Beziehung von Tauschprinzip und Macht, an der Beziehung von Merkur und Sonne (oder an der von Merkur und Jupiter) sich demonstrieren?
    Wer einer Sache die Grundlage entzieht, überantwortet sie dem freien Fall.
    Haben die Versuche, die Theologie von der Lehre von der Erbsünde zu befreien, nicht doch sehr viel mit den Verhältnissen im Innern von Einsteins Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist, zu tun?
    Ist das Konstrukt des Falles nicht in der Geschichte vom Sündenfall aufs genaueste beschrieben?
    Der letzte Satz in der Entgegnung auf Horst-Eberhard Richter, erinnert an eine Bemerkung, die Georg Lukacs zuerst auf Schopenhauer, später dann auf Adorno bezogen hat, das Wort vom „Grand Hotel Abgrund“ (vgl. Lukacs: Theorie des Romans, Neuauflage 1962, S. 17). Ich meine, die Konstellation, die Lukacs damals bezeichnen wollte, wird genauer getroffen, wenn man das Bild vom ortsfesten Hotel und dem Abgrund daneben dynamisiert und durch das eines Luxuszugs, der auf den Abgrund zurast, ersetzt.
    Die Feindbildlogik ist die Folge eines kollektiven Unschuldstriebs, aus dessen Konstruktion die Elemente dieser Logik sich herleiten lassen:
    – Unfähigkeit, Schuldgefühle durch Reflexion aufzulösen, Abwehrmechanismus,
    – Empörung (automatisierte Verurteilungslogik),
    – Schuldentlastung durch Schuldverschiebung, Exkulpation durch Empörung, moralische Enthemmung durchs Feindbild,
    – identitäts- und gemeinschaftsstiftend in einer Welt, die sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet,
    – Feindbild und Gegenfeindbild, Feindbild-Clinch, symbiotische Feindbindung; so werden beide Seiten zu Symptomen des Problems als dessen Lösung sie sich selbst verstehen,
    – Verwechslung und Austauschbarkeit von Solidarität und Komplizenschaft,
    – Faschismus-Schock, „Kollektivscham“ (Neutralisierung der Schuld durch Verrechtlichung),
    – Exzesse der Gemeinheit.
    Die Feindbildlogik ist die Mutter des Vorurteils, das in diesem Prozeß über die Schwächen der Beweisführung hinweghelfen wird.
    Sind nicht beide Seiten in den RAF-Prozessen Opfer eines schrecklichen Irrtums, und ist es nicht dieser spiegelbildliche Irrtum, die sie wie in einem Clinch an einander fesselt?
    Der Staat, den die Staatsschutzsenate schützen, ist der gleiche Staat, dessen Anwälte die Ankläger sind; deshalb sind beide in Staatsschutzprozessen nur noch schwer zu unterscheiden. Dieser Staat ist der Kern des Unschuldgenerators, der das eigentliche Objekt des Staatsschutzes ist.
    Ist nicht die Konstruktion von Staatsschutzsenaten ebenso pervers wie der Zustand des Staates, der sie hervorgebracht hat.
    Ist nicht der höhnische und zynische Ton, mit dem die Bundesanwaltschaft die VerteidigerInnen, die Mutter der Angeklagten, die Zuschauer und auch einen Zeugen, wenn seine Aussage nicht in ihr Konstrukt paßt, angreift, eigentlich ein Indiz dafür, daß sie mit dem Rücken zur Wand steht? Nur ist zu befürchten, daß das Gericht sich selbst in der gleichen Situation sieht und am Ende ein Solidaritäts-Urteil fällen wird, das dann aber nur noch wenig mit der Angeklagten zu tun haben wird. Der Eindruck ist ohnehin kaum noch abzuweisen, daß die Dauer des Verfahrens kein Indiz der Gründlichkeit des Verfahrens, sondern nur eine Konzession an eine Öffentlichkeit sein wird, die nicht merken soll, daß es eigentlich ein kurzer Prozeß war, daß das Urteil schon im Voraus feststand.
    Auch wer den Terrorismus für einen verhängnisvollen Irrtum hält, wird gleichwohl in den dadurch verhexten Texten der RAF Elemente entdecken können, deren Vedrängung ebenso verhängnisvoll wäre.
    Zur Kritik des Weltbegriffs gehört das Bewußtsein, daß die Grenzen des Bewußtseins, die diese Kritik überschreiten möchte, eins sind mit den Grenzen des Weltbegriffs, um deren Kritik es geht.
    Auch Hegels Begriff des Weltgerichts gründet in einem justitiellen, nicht aber in einem theologischen Gerichtsbegriff.
    Ist nicht die Öffentlichkeit gleichursprünglich mit dem Recht? Waren nicht die Foren, die dann zu Märkten geworden sind, ursprünglich Gerichtsstätten (vgl. auch den Namen der ekklesia und den auf die Versammlung im Tor verweisenden hebräischen Ursprung dieses Namens, auch die Wortgeschichte von Ding)?
    Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, gehört auch zu den Sätzen, die nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen.
    Die Sprache, nicht jedoch die Kunst, rührt an den Grund der Schöpfung. Die Kunst rührt an den des Staates und der Welt.
    Wer die apokalyptische Stimmung mit dem Hinweis auf die Atombombe zu begründen versucht, blendet genau die Sphäre aus, in der die Apokalypse in der Lage wäre, sich als Lichtquelle zu erweisen.
    Verschiebt Jürgen Ebach nicht den Grund und die Bedeutung des hebräischen Namens der Barmherzigkeit ins Neutrische, wenn er sie anstatt auf die Gebärmutter auf den Unterleib bezieht?
    Zur Verharmlosung der Unterscheidung von Rechts und Links gehören die Einfügungen in den Text durch Jürgen Ebach, das „noch“ im letzten Satz des Buches Jona und das „nämlich“ in den beiden Wiederholungspassagen, bei der Umkehr Ninives und beim Ärger des Jonas.
    Nach dem Geist der Utopie stand Ernst Bloch vor der Frage, ab er das symbolische und metaphorische Sprachverständnis, in dem der Geist der Utopie geschrieben wurde, ins Realsymbolische hereintreiben oder zur Rhetorik entmächtigen sollte. Er hat sich für die Rhetorik entschieden, und das in der Folge der materialistischen Wendung seiner Philosophie. War nicht Benjamins Hinweis auf den buckligen Zwerg in der ersten seiner Geschichtsphilosophischen Thesen eine Antwort an Ernst Bloch?
    Läßt sich nicht am Kyffhäuser der Unterschied zwischen Sage und Mythos verdeutlichen? Während der Mythos unter offenem Himmel sich entfaltet, gehört zu den Bedingungen der Sage eine caesarisch bestimmte Welt, in der der Himmel durch Herrschaft verdunkelt ist. In Babylon ist der Mythos zur Sage geworden: Gilgamesch war der erste Sagenheld. Und in Babylon ist die Prophetie zur Apokalypse geworden.
    Ist nicht alles Mitleid heute verhext? – Aber gleichwohl darf man es nicht preisgeben.

  • 23.10.1996

    Kyffhäuser: Sitzt nicht der Kaiser, der die Welt regiert, heute tatsächlich im Herzen der versteinerten Verhältnisse, im steinernen Herzen der Welt (und ist das nicht der Stein, der Off 1821 zufolge beim Untergang Babylons ins Meer geworfen wird)?
    Zur lateinischen Trinitätslehre: Person ist ein Rechts-, kein theologischer Begriff.
    Doppelte Buchführung: Die Christen haben den Kreuzestod zu einem buchhalterischen Akt gemacht; mit dem Neuen Testament waren Moses und die Propheten abgegolten und erledigt, sie wurden im Alten Testament archiviert. Haben sie nicht mit dieser Archivierung Jesus selber, das Wort, zum Verstummen gebracht?
    Hat nicht die doppelte Buchführung mit der Logik der Bilanzierung das Zeitverständnis verändert? Ist nicht seitdem die Vergangenheit endgültig vergangen, so daß es keine Bücher mehr gibt, die einmal aufgeschlagen werden? Hier ist das Rentabilitätsprinzip unkritisierbar, zu einem Stück Natur, gemacht worden, das dann in den Naturwissenschaften in der Tat als Natur sich konstituierte.
    Ist nicht die Bekenntnislogik ein Produkt der Subsumtion der Tradition unter das Gesetz der Selbsterhaltung? Die Bekenntnislogik hat die Kirchengeschichte zu einem Teil der Weltgeschichte gemacht, die dem Prinzip der abgeschlossenen Vergangenheit gehorcht (der Sprachlogik des indoeuropäischen Perfekt).
    Theologie als Sprachkritik, ist das nicht die Konsequenz, die aus dem Namen des Logos zu ziehen wäre?
    Das indoeuropäische Perfekt (das Prinzip der abgeschlossenen Vergangenheit) ist die Grundlage des Begriffs, seiner Trennung von dem gegen ihn sich verselbständigenden Objekt.
    Gehört nicht die Konstituierung der Öffentlichkeit, deren Denkmäler in Rom zu sehen sind, zur Ursprungsgeschichte der lateinischen Sprache? Und hat nicht das „klassische Latein“ tatsächlich in dieser Periode, die im Kollosseum und in den Foren ihre Denkmäler hinterlassen hat, sich entfaltet und konsolidiert? Die Entstehung des Publikums ist das Werk Roms, seiner Herrschafts- und Sprachgeschichte.
    War die Trinitätslehre nicht auch ein Hilfsmittel der Zivilisierung der caesarischen Erbfolge (die durch die Militärputsche destabilisiert zu werden und außer Kontrolle zu geraten drohte)?
    Der Caesarismus hat die Solidarität mit den Toten, die in der Lehre von der Auferstehung der Toten einmal gemeint war, aufgekündigt und das Christentum aufs Prinzip der Selbsterhaltung vereidigt. Die Ego-Pomp des päpstlichen Barock in Rom ist ein spätes Echo der Logik des Caesarismus, seiner theologischen Rezeption in der Trinitätslehre. Die Opfertheologie, die den Kreuzestod instrumentalisiert hat, hat die Solidarität mit dem Gekreuzigten aufgekündigt.
    Stellt nicht der Name des Forums, der später den Markt bezeichnet, die Beziehung des Caesarismus zum steinernen Herzen der Welt her?
    Ist nicht die Feindbildlogik, die auf ein symbiotisches System von Verkörperungen (von apriorischen Feindbild-Objekten) verweist, ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Astrologie (des Rätsels, dessen irdische die himmlische Lösung zur Folge hat)? Sind nicht auch die Planeten Verkörperungen dieser Logik, die sie an das blinde und sinnlose Kreisen auf den Wegen ihres Irrtums fesselt?
    Ist der Objektbegriff der Abgrund, in den der vom Himmel gestürzte Satan (phosphoros, Luzifer, der Morgenstern) eingesperrt ist (Off 201ff), und ist die Reflexion der Feindbildlogik der Schlüssel, der diesen Abgrund zu öffnen vermag?

  • 22.10.1996

    Die heilige Empörung ist die bloße Umkehrung der Kollektivscham: Beide verwechseln die Verdrängung der Reflexion mit der Befreiung von Schuld. So bleiben sie in ihrem Bann, dem sie nicht entrinnen. Zeitenwechsel: Früher hat sich der „Spiegel“ mit Franz-Josef Strauß angelegt, heute legt er sich mit Monika Haas an. Was beide Kampagnen mit einander verbindet, ist allein ein sicherer Machtinstinkt, geändert haben sich nur die Bedingungen (und erst mit ihnen das Objekt). Hat nicht die Geschichte der RAF aufs verhängnisvollste dazu beigetragen, die Öffentlichkeit zu entpolitisieren, sie zu reduzieren auf die Hofberichterstattung der herrschenden versteinerten Verhältnisse? Auch die politische Information gleicht sich immer mehr der Unterhaltung an, deren Qualität ein Gradmesser der Kräfte ist, die notwendig sind, um die Selbstbesinnung der Menschen zu verhindern. Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht: Die Rücksichtslosigkeit der Systeme aufbrechen; ihre Rückseite, das, was sich hinter ihrem Rücken verbirgt, und was sie unter dem Zwang ihrer Logik nicht mehr wahrnehmen können, sichtbar machen. Blinde sehen und Taube hören: Die Subsumtionslogik aufbrechen heißt, im blinden Fleck des Begriffs die erkennende Kraft des Namens freisetzen, oder die Sprache als ein (allerdings unter den Bedingungen des Staats verkümmertes und nur durch die Reflexion des Staates hindurch neu zu erweckendes) Organ des Sehens begreifen.

  • 21.10.96

    Das Verwaltungsrecht ist ein Subsumtionsrecht (mit interner Beweisführung durch Belege: Dokumente, Urkunden, Akten), während das Strafrecht ein Reflexionsrecht ist (Beweis durch externe Zeugen, Indizien, Geständnis).
    Der Angeklagte wird zum Feind, wenn sein Selbstverständnis als Angriff erfahren und deshalb ausgegrenzt und unterdrückt wird. Gegen einen Angeklagten, in den das Gericht sich nicht hineinversetzen kann, kann eigentlich kein Prozeß mehr geführt, er kann nur noch bekämpft werden.
    Ist nicht die Kälte und die vergiftete Atmosphäre in RAF-Prozessen nur ein konzentrierter Ausdruck dessen, was den Weltzustand heute insgesamt kennzeichnet?
    Natürlich ist das Ziel politischer Prozesse Herrschaftssicherung und nicht Gerechtigkeit.
    Löst sich nicht das Problem, weshalb die Judenvernichtung mit den zusätzlichen Exzessen der Gemeinheit, der Brutalität und der Demütigungen erfolgte, in einem Strafrecht, das auch die mehrfache lebenslängliche Strafe kennt: in dem ein Leben nicht ausreicht, um den rechtsstaatlichen Rachetrieb zu befriedigen? Exzessive Strafen sagen nichts mehr über den, über den sie verhängt werden, sondern nur noch über die, die sie fordern oder verhängen.
    Hat nicht jedes Bekenntnis einen Empörungskern, den es dann über Opferkonstrukte abarbeiten muß; und liegt darin nicht ihre Kraft der „Sündenvergebung“?
    Der neutestamentliche Gottesname Vater hat die Kritik an den irdischen Vätern zur Grundlage und thematisiert und benennt sie. Die Kirche hat die irdischen Väter zum Modell des Vatergottes gemacht und damit den Gottesnamen (durch den Seiten- und Herrenblick auf den Namen) in einen Begriff transformiert. Diese Transformation erscheint in den Evangelien bereits in dem Gebrauch des Namens des Gottessohns durch die Dämonen und den römischen Hauptmann.
    Die kopernikanische Wende, deren Vorgeschichte bis in die antiken Kosmologien hineinreicht, hat die Erfahrungsgrundlage dessen, was in der Unterscheidung von Himmel und Erde sich ausdrückte, zerstört. Der Akt dieser Zerstörung (den die kantischen subjektiven Formen der Anschauung besiegeln) ist rekonstruierbar: Seine Grundlage ist der Seiten- und Herrenblick auf die Dinge.
    Der Seiten- oder Herrenblick ist nicht irreal, er ist nicht ohne fundamentum in re; aber im Kontext seiner Kritik läßt sich zwingend begründen, weshalb zur Prophetie das Votum für die Armen und die Fremden gehört.
    Als Feindbildgenerator ist der Staat nicht zu übertreffen; wer glaubt, dem Staat im Rahmen der Feindbild-Logik widerstehen zu können, ist schon gefangen. Diese Lehre ist zwanglos aus dem Versuch der Rekonstruktion und des Verständnisses des Antisemitismus (in dem der Schatten, den der Staat auf die Menschen wirft, zur Finsternis sich kontrahiert) zu gewinnen. – Kam nicht nach der Finsternis die Tötung der Erstgeburt?
    Sollte man nicht endlich begreifen, insbesondere im Anblick des Prozesses gegen Monika Haas, daß es auch die Möglichkeit der instrumentellen Nutzung der Paranoia gibt; sind nicht hier (wenn der Triumph sie leichtsinnig macht) die Urheber und Anwender der Paranoia angreifbar und verletzbar?
    Es gibt so etwas wie die „idealistische“ Selbsterzeugung des Rachetriebs. Dessen Paradigma ist der Antisemitismus, der in dem Augenblick seines Ursprungs, seiner Selbsterzeugung, für die von ihm Befallenen undurchschaubar wird (deshalb sind Antisemiten unbelehrbar – aber sind sie’s wirklich? Jak 520).
    Ohne Öffentlichkeit gibt es keinen Weg ins Freie.

  • 20.10.96

    Der Autor der „Entgegnung auf Horst-Eberhard Richter“ glaubt offensichtlich an die Magie des Urteils: an die Möglichkeit seiner Vollstreckung auch ohne die Hilfe der staatlichen Gewalt.
    Die politische Justiz ist ein Instrument zur Verhinderung der Reflexion. Aber wird dieses Instrument nicht unwirksam durch Reflexion, ist nicht die politische Justiz das Instrument ihrer eigenen Selbsterhaltung?
    Die politische Justiz ist die Usurpation des Jüngsten Gerichts, darin steht es in der Tradition der „Endlösung der Judenfrage“. Und das Feinddenken bleibt im Banne des Weltgerichts: Durch die Unfähigkeit der Selbstreflexion und das Unvermögen, den Bann zu brechen, dem diese Justiz allein ihre Gewalt verdankt.
    Ist nicht die Zeit der Symbole, und d.h. die Zeit der doxa, der Herrlichkeits-Theologie, vorbei, und kommt nicht heute alles auf die Erkenntnis des Namens an? Das Ende der Symbol-Geschichte ist das Ende des Fundamentalismus, der Beginn der Geschichte des Namens (der „Erfüllung des Worts“ als Aufhebung der Geschichte der „Erfüllung der Schrift“). Hängt diese Geschichte nicht mit den Utopien der Prophetie zusammen:
    – daß am Ende keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen,
    – daß das steinerne Herz durch ein fleischernes Herz ersetzt wird, und
    – daß der Geist die Erde erfüllen wird wie die Wasser den Meeresboden bedecken?
    Haben nicht die Finsternis über dem Abgrund und der Geist über den Wassern etwas mit dem Gericht und der Barmherzigkeit zu tun?
    Heute setzt der Zustand der Welt alle unter Rechtfertigungszwang, und genau das verhindert eine Welt-Erkenntnis, die diesen Namen verdienen würde.
    Hat nicht die theologische Lehre von der Jungfrauengeburt nicht etwas mit der Berufung der Propheten, der „Berufung im Mutterschoß“, zu tun, und erinnert dieser Mutterschoß nicht an den hebräischen Namen der Barmherzigkeit? Und hat die Jungfrauengeburt (als Geburt ohne männliche Zeugung, ohne irdische Vaterschaft) etwas mit dem „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“ zu tun? Und hängt vielleicht die merkwürdige Rolle der Väter in den Evangelien im Kontext mit dem in den Evangelien dominanten Gottesnamen Vater mit der Logik dieses theologischen Konstrukts zusammen? Wurde nicht das Gericht auf den Sohn übertragen, während der Vater ausschließlich die Barmherzigkeit noch repräsentiert („Seid barmherzig wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“), und soweit dieser Vater noch das Gericht repräsentiert, ist es nicht schon das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht (das noch aussteht)?
    Gründet der Unterschied zwischen der lateinischen und der griechischen (der prädogmatischen und der postdogmatischen) Sprache nicht in der caesarisch vermittelten neuen Gestalt des Zuschauers und in dem neuen Begriff der Öffentlichkeit, die in der römischen Arenen eingeübt wurden (in denen nicht mehr die Heroen des Mythos, sondern Gladiatoren und Raubtiere die für die Neudefinition des Zuschauers grundlegenden Identifikationsmodelle lieferten)? Wird hier nicht auch die Metamorphose der lateinischen gegenüber der griechischen Theologie, die eine vollständige Neukonstituierung war, sinnlich greifbar, insbesondere der neue Stellenwert und die neue Funktion der Opfertheologie?

  • 19.10.96

    Es kommt nicht darauf an, Schuldgefühle zu vermeiden oder loszuwerden, sondern sie reflexionsfähig zu machen, und es kommt nicht auf die Bewahrung der Identität, sondern auf die der Lernfähigkeit an. Wer, um seine Identität zu wahren, Schuldgefühle nur abwehrt, anstatt sie zu reflektieren, wird lernunfähig.
    Wer Schuldgefühle nur abwehrt, für den wird jeder, der Schuldgefühle weckt, zum Feind (Logik des Antisemitismus; Tötung des Urvaters).
    Als Habermas den Verfassungspatriotismus erfunden hat, hat er das Gewissen (und mit ihm den Quell seiner philosophischen Inspiration) an die Verfassung delegiert.
    War nicht die kantische Unterscheidung eines femininen von einem neutrischen Erkenntnisbegriff (die/das Erkenntnis) ein Versuch, Erkenntnis vom Bann der Reversibilität freizuhalten?
    Der Feind meines Feindes ist nicht in jedem Falle mein Freund; aber er ist nicht schon deshalb, weil er nicht mein Freund ist, mein Feind. Diese eindeutige Reversibilität gibt es nur auf der Grundlage der Logik des Feindbildes.
    Die schwindelerregende Logik, die den gegenwärtigen Weltzustand beherrscht, läßt sich nur durch ein Feindbild auf einfachere Strukturen bringen, aber nur um den Preis der Selbstverblendung.
    Die Bekenntnislogik gründet in dem gemeinsamen Nenner eines gemeinsamen Feindbildes. Die Selbstghettoisierung durch ein gemeinsames Feindbild ist das logische Modell der subjektiven Formen der Anschauung und der Isolationshaft.
    Zum Projekt Selbstaufklärung gibt es keine Alternative mehr.
    Wer heute im Ernst Kritik der politischen Ökonomie zu treiben versucht, kann sich nicht auf die Kritik der Ökonomie beschränken in der Erwartung, daß die politischen Konsequenzen sich daraus von selbst ergeben, sondern er muß die Kritik der politischen Ursprünge der Ökonomie (Ursprung der Ware in Raub und Eroberung: die Sklaven und die Frauen sind die ersten Waren) in die Reflexion mit einbeziehen. Ihr gegenwärtiger Ansatzpunkt wäre die heute epidemisch sich ausbreitende Xenophobie.
    Der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos geht die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation, der Aneignung des Eigentums an Grund und Boden und der Grundlegung des Sklavenhauses Ägypten durch Joseph voraus. So dialektisch ist die Bibel. Nur das Sklavenhaus Ägypten konstituiert sich als Sklavenhaus in dem Augenblick, als ein Pharao kommt, der sich Josephs nicht mehr erinnert: der die Ursprungsgeschichte des Sklavenhauses verdrängt. Diesen Pharao, der auch JHWH nicht kennt, und zu dem Moses dann im Namen des Gottes der Hebräer spricht, trifft die Geschichte der zehn Plagen und der Verhärtung des Herzens. Für ihn wird Moses zum Gott und Aaron zu seinem Propheten.
    Ist nicht Mizrajim ein sprechender Name, dessen Verstummen im Griechischen (schon in der LXX) und dann in der christlichen Tradition Buber in seiner Bibelübersetzung ratifiziert.
    Enthält der Name der Hebräer, in dem die Fremdheit und der Blick der andern Völker reflektiert wird, nicht die Forderung, diesen Blick auszuhalten und die Schuld, das Korrelat dieses Blicks, reflexionsfähig zu halten? Schon Abraham war ein Hebräer. Ebenso bekennt sich Jona vor den Schiffsleuten als Hebräer, und ebenfalls Judith im Lager des Holofernes. Jona verkündet Ninive den Untergang, Judith tötet den Holofernes.
    Die giftige Atmosphäre im Hogefeld-Prozeß gehört zu den Naturqualitäten eines RAF-Prozesses.
    Zum Zug, der in den Abgrund rast: Unsere Gerichte halten sich ans allgemeine Relativitätsprinzip Einsteins, wenn sie die beschleunigte Bewegung als einen der Ruhe äquivalenten Zustand ansehen (wenn sie die Bewegung des Zuges, die Außenwelt und den Abgrund leugnen): Ist der Zug ein Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist? Das allgemeine Relativitätsprinzip gründet in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse, und es ist die Grundlage der Theorien vom Urknall und von den schwarzen Löchern. Verkörpert nicht das allgemeine Relativitätsprinzip das Gesetz der Katastrophe im Zentrum der Physik? Und ist die Logik dieses Prinzips nicht die gleiche Logik, die auch dem Schuldbegriff zugrunde liegt (der Konstellation von Feindbild-Symbiose, Abwehrmechanismen und Projektion)?
    Verhält sich die spezielle Relativitätstheorie zur allgemeinen wie die Barmherzigkeit zum Gericht?
    Das Feindbild konstituiert das Bild von der Schwere der Schuld (um die es im Kampf gegen die RAF jetzt allein noch zu gehen scheint).
    Läßt der Jakobus-Satz, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums befreit, seine Seele rettet, nicht auf das Werk Horheimers und Adornos anwenden?
    Wer das Böse nur verurteilt, gewinnt zwar für sich den Schein der Unangreifbarkeit, er trägt aber nichts mehr bei zur Auflösung des Banns des Bösen.
    Sed libera nos a malo: Das Übel ist etwas, das uns zustößt, während wir im Namen des Bösen mitgemeint sind. Die Strafe befreit nicht vom Bösen, sie verewigt es (das Ideal der Strafe ist die Strafe für eine unendlich schwere Schuld). Dem Konzept der „Endlösung der Judenfrage“ lag die Vorstellung einer Erlösung der Welt durch Bestrafung derer, auf die die Antisemiten ihre eigenen Schuldgefühle projiziert hatten, zugrunde.
    Die Fähigkeit in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, hängt im Falle der RAF von der Fähigkeit zur Reflexion der deutschen Vergangenheit ab: Sind nicht die Urteile in den RAF-Prozessen allesamt auch Versuche, auf diesem Wege die Vergangenheit endlich loszuwerden?
    Die „kleine Verschiebung“, die die messianische Zeit von der Vorgeschichte trennt, ist die Verschiebung der Logik der Verurteilung von der Vergangenheit in die Gegenwart: Es ist die gleiche Verschiebung, die aus dem Weltgericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht macht: der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht.
    Schmerz und Schrecken: Nicht der Schrecken lähmt, sondern der Schmerz, der den unaufgelösten Schrecken noch in sich enthält. Nur wer dem Schrecken standhält, entwickelt die Kräfte des Widerstands (die Kräfte, die in den Mechanismen der Empörung und Verurteilung bloß verpuffen; Empörung und Verurteilung führen auch dort noch zum Einverständnis mit dem Bestehenden. wo man glaubt, es zu bekämpfen).

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