Das Credo kennt keinen Schöpfer (creatorem), nur den Macher des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge (factorem caeli et terrae, visibilium et invisibilium); auch der Sohn wird „erzeugt, nicht gemacht“ (genitum non factum). Die Schöpfung (das creare, das dem biblische bara entspricht) kommt im Credo nicht vor. War das der Preis für die Opfertheologie, für die „Funktion“ des Bekenntnisses und seiner Logik im historischen Objektivationsprozeß, der den Schöpfungsbegriff neutralisiert (sind das Verschweigen der Schöpfung und die Opfertheologie der Keim der „subjektiven Formen der Anschauung“ und des Inertialsystems in der Theologie, eines Naturbegriffs, der der Erinnerung, dem Eingedenken und schließlich der Idee der Auferstehung, den Weg verstellt)? Der mittelalterliche Lösungsversuch, die creatio mundi ex nihilo, der den Knoten nur durchschlagen, nicht gelöst hat, war ungeeignet, wie anhand der Analyse des nihil leicht sich nachweisen läßt: Die Ersetzung der Schöpfung durchs Machen (und Zeugen) zieht zwangsläufig die Frage nach dem Woraus nach sich, der das „ex nihilo“ den Mund verstopft.
Wenn der Sohn „gezeugt nicht gemacht“ ist, so ist damit die Schöpfung eigentlich nicht ausgeschlossen.
Das Verschweigen der Schöpfung und die Logik der Opfertheologie, die Konstituentien des Dogmas und der Bekenntnislogik, sind antisemitisch.
Das Nichts ist wie das Sein eine Reflexionskategorie: Es repräsentiert die Vorstellung einer ursprünglichen Vergangenheit (einer Vergangenheit, die jeder möglichen Gegenwart vorausgeht), die dann (wie im Inertialsystem) auch die Zukunft unter sich subsumiert. Dieses Nichts transformiert die Idee des Ewigen in die des Überzeitlichen, den Namen in den Begriff; es verdrängt die Erinnerung an den Zeitkern der Wahrheit: ans Wort.
In einer Welt, die aus dem Nichts erschaffen und durch das Sühneleiden des Gottessohns entsühnt ist, gibt es keine Erlösung, nur eine Rechtfertigung.
Hat das Dogma nicht recht: Der Vater suspendiert den Schöpfer, er ist in der Tat nur der Macher und Erzeuger. Der Richter aber ist der Sohn, der Geist der Verteidiger? Und was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn der Sohn zur Rechten des Vaters sitzt?
Der Sturm und die Winde: Sind das nicht Abkömmlinge des Geistes, der weht, wo er will? – Haben nicht die Geschichten von Jesus auf dem Meere mit der Jonas-Geschichte zu tun?
Was hat die Buchung mit dem Buch und mit der Logik der Schrift zu tun? Waren nicht die ersten Schriftdokumente Buchungsdokumente?
Worauf bezieht sich der Begriff des Unsichtbaren in den Glaubensbekenntnissen? Das Bekenntnis gründet im Sehen, nicht (wie das Sch’ma Jisrael) im Hören. Israel ist das Subjekt des Hörens, nur die Kirche ist ins Sehen verstrickt.
Haben nicht die Engel (die Cherubim und Seraphim, die Engel und Erzengel, die Throne, Herrschaften und Mächte) in der dogmatischen Theologie herrschaftsgeschichtliche und kosmische Bedeutung?
Zu der frühchristlichen Engellehre vergleiche die Formeln in den Praefationen:
– Per quem maiestatem tuam laudant Angeli, adorant Dominationes, tremunt Potestates. Caeli caelorumque Virtutes ac beata Seraphim socia exsultatione concelebrant.
– Et ideo cum Angelis et Archangelis, cum Thronis et Dominationibus cumque omni militia caelestis exercitus hymnum gloriae tuae canimus, sine fine dicentes: …
– Quam laudant Angeli atque Archangeli, Cherubim quoque ac Seraphim: qui non cessant clamare quotidie, una voce dicentes: …
– Sed et supernae Virtutes atque angelicae Potestates hymnum gloriae tuae concinunt, sine fine dicentes: …
Wer waren die Emmaus-Jünger? Soll nicht einer von ihnen der (Johannes) Markus gewesen sein, der gleiche, der bei der Gefangennahme Jesu, um sich selbst zu retten, (wie Joseph bei der Frau des Potiphar) seinen Mantel zurückließ, und in dessen Haus der Raum war, in dem das Abendmahl begangen wurde und nach der Himmelfahrt die Jünger versammelt waren?
Schrecken und Urteil: Die Philosophie ist den Schrecken des Schicksals entronnen, indem sie über das Schicksal sich erhob und (mit Hilfe des Urteils, des Begriffs) den Schrecken von sich auf die Dinge ableitete. Hat nicht die Philosophie die Unterwelt geschaffen, in die Jesus nach dem Kreuzestod hinabgestiegen ist? Die Theologie hat diese Geschichte im Topos des Sündenfalls zu reflektieren versucht.
Wäre es nicht die Aufgabe der Theologie, die „Rücksichtslosigkeit“ des Systems, die in Hegels Idee des Weltgerichts sich vollendet, endlich zu reflektieren? Ist nicht eine Theologie im Angesicht Gottes die einzige Möglichkeit, den Imperativ in Jak 520 zu erfüllen (und alles andere nur gut gemeint)?
Hängt das „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit dem Rechts und Links nicht unterscheiden können zusammen? Und war das nicht das Grundproblem des Dogmatisierungsprozesses: Sie haben nicht gewußt, was sie taten? Und ist nicht das „Rechts und Links nicht unterscheiden Können“ der Boden, auf dem die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich abspielt?
Rechts und Links nicht unterscheiden können, heißt das nicht: Sich und den Andern nicht unterscheiden können, die Asymmetrie nicht wahrnehmen; ist es nicht das Prinzip der Universalität?
So wie die Umkehr des Volkes und dann die Umkehr des Königs, der das Volk und das Vieh zur Umkehr aufruft, zwei getrennte Aktionen sind, beziehen sich auch die Fragen Gottes am Ende, ab Jona zu recht erzürnt sei, auf zwei (durch den Rizinus-Strauch) sich unterscheidende Sachverhalte. Das „nämlich“, mit dem Jürgen Ebach die zwei Situationen jeweils zu einer zusammenziehen möchte (Kassandra und Jona, S. 109 und 113), ist das nicht Ausdruck der Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden?
Beitrag zur Geschichte der Urteilslogik: Rührt die Kinderfeindschaft heute nicht aus dem Rechtfertigungszwang, der in den Kindern die eigenen Richter erkennt? Darauf bezieht sich der Satz von der Bekehrung der Väter zu ihren Kindern.
Theologie
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20.09.1996
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19.09.1996
Sind wir nicht selber Opfer der gleichen Verurteilungslogik, die wir zur Selbstentlastung auf andere anwenden, ohne sie zu durchschauen?
Das Zeichen des Jonas: Ist nicht das Christentum die Flucht nach Tarschisch und die Kirche das Fluchtschiff?
Empfindlichkeit und Sensibilität: Wer anderen Empfindlichkeit vorwirft, ist unsensibel. Es gibt keine unmittelbaren Empfindungen (außer der des Schmerzes), jede Empfindung ist in sich selbst vermittelt. Die Empfindung setzt die Abstraktion von dem, was sie begründen soll, von der sinnlichen Erfahrung, deren Außer-Kraft-Setzung, voraus (aus den Empfindungen läßt die sinnliche Wahrnehmung ebenso wenig sich rekonstruieren wie das Licht aus den Maxwellschen Gleichungen). Das gilt auch für den erkenntnistheoretischen Gebrauch dieses Begriffs, der zusammen mit den modernen Naturwissenschaften entstanden ist. Empfindlichkeit ist ein Reflex der Ohnmacht gegen das Urteil der anderen („Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren“); sie ist ein Reflex der Ohnmacht gegen die Gemeinheit, die das Urteil nach außen (auf das Objekt, über das es ergeht, ohne daß es fähig wäre, in diesem Urteil sich selbst wiederzuerkennen) ausstrahlt. In der Empfindung, die selbst blind, ohne Erkenntniskraft ist, erfährt sich das Subjekt als Objekt, als Ding unter Dingen. Die Empfindung ist der Reflex des mechanischen Stoßes im Subjekt (der Begriff verhält sich zum logischen Objekt wie der Stoß zum mechanischen Objekt).
Jak 520: Der Grund der Auferstehung Jesu liegt in Maria Magdalena, die er von den sieben unreinen Geistern befreite (nicht in Petrus, der ihn dreimal verleugnete).
In der Ursprungsgeschichte des Symbolums hat die Kirche das Evangelium in ein System von Pflichten transformiert. Mit dem Symbolum ist auch der Glaube in Pflicht mit hereingenommen worden (und so in dem spezifisch christlichen Sinne zum Glauben überhaupt erst geworden).
Hat das Hören etwas mit der Gravitation und das Sehen mit der Mechanik und der Elektrodynamik (als Repräsentanten der Unmittelbarkeit und der Reflexion) zugleich zu tun (ist die Gravitation das Produkt der Abstraktion vom Hören, die Mechanik und die Elektrodynamik das der Abstraktion vom Sehen)? – Nach dem Fall gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
Nackte Tatsachen: Das Objekt der Gemeinheit ist nackt.
Die 120 000, die Rechts und Links nicht unterscheiden können, und soviel Vieh: Ist das nicht das Bild des Sünders, mit dessen Bekehrung vom Weg des Irrtums man die eigene Seele vom Tod errettet? Hat nicht Gott, als er Ninives sich erbarmte, sich selbst gerettet?
Zu Ebach: Nicht Knüpfungen, sondern Lösungen? Verbleibt nicht „Kassandra und Jona“ im Kontext des durchschlagenen Knotens?
Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft rühren an die Gottesnamen, auf die dem Sohar zufolge die sechs Richtungen des Raumes versiegelt sind.
Menetekel: Kant hat gegen die Antinomien der reinen Vernunft nur die Hoffnung gesetzt (und mit Recht im Hinblick auf ihre Auflösung zu leicht befunden), den einzigen Grund der Hoffnung aber aus dem Blick verloren: die Barmherzigkeit. Haben ihn die subjektiven Formen der Anschauung geblendet?
Allein im Kontext des letzten Satzes aus dem Jakobusbriefes läßt die Gnadenlehre sich verständlich machen. Gibt nicht der Jakobusbrief, den Luther verworfen hat, die Antwort auf seine Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“? Jeder andere Gnadenbegriff ist autoritär und führt in eine politische Theologie, in der am Ende Staat und Kirche nicht mehr sich unterscheiden lassen. Aber der Kirchenstaat ist ebenso falsch wie die Staatskirche (ist nicht heute die Gefahr der Staatskirche größer als die eines Kirchenstaats, insbesondere nachdem Staat und Ökonomie ihre eigene Theologie entwickelt haben, gegen die die orthodoxe Tradition der Theologie als zusehends ohnmächtiger sich erweist?).
Ist nicht die Ökonomie das Tier aus dem Wasser und der Staat das Tier vom Lande (der falsche Prophet), und ergänzend: repräsentiert nicht die Ökonomie die Natur und der Staat die Welt?
Vgl. hierzu den paulinischen Naturbegriff, wonach
– „die Natur selbst (uns lehrt), daß, wenn ein Mann lange Haare trägt, es eine Schmach für ihn ist, wenn aber eine Frau lange Haare trägt, es eine Ehre für sie ist“ (1 Kor 1114f), oder
– wenn er Heiden „von Natur Unbeschnittene“ nennt (Röm 227).
Rührt nicht diese Assoziation von Natur und Konvention an die logischen Wurzeln des Naturbegriffs?
Die Geschichte der nachkantischen Systeme des deutschen Idealismus ist die Geschichte der Wendung der Kritik ins Affirmative.
Mit Kopernikus wurde die Orthodoxie in die Orthogonalität (aus der sie einmal hervorgegangen ist) zurückgenommen: Das Inertialsystem ist die letzte, sich selbst begründende Gestalt des Dogmas.
Die Geschichte der drei Leugnungen sprengt den Bann der Identität, dem auch die Bekenntnislogik noch unterliegt.
Die subjektiven Formen der Anschauung (und in ihrer Folge das Inertialsystem) suspendieren die Schuldreflexion: Haben sich nicht im Faschismus die Energien in einer Explosion entladen, die zur Verdrängung der Schuldgefühle gebraucht wurden (kann es sein, daß es in der Alten Welt eine ähnliche gesellschaftliche Naturkatastrophe gegeben hat, der die Heinsohn-Gruppe heute eine reale Naturkatastrophe substituieren möchte)? Läßt sich nicht der Faschismus als das Produkt eines übermächtigen Rechtfertigungszwangs begreifen, des Triebs, um jeden Preis den öffentlichen Schein des guten Gewissens hervorzubringen, und sei es über die Vernichtung derer, in denen man glaubte, die Urheber aller Schuldgefühle zu erkennen, der Juden?
Die Eltern ehren heißt nicht, ein gutes Bild von ihnen haben, sie um jeden Preis rechtfertigen, sondern es heißt, ihnen die Ehre zu geben, sie auch dort noch zu verstehen, wo sie uns verletzt haben; sie nicht zu verurteilen, dabei jedoch auch die Schrecken der Kindheit nicht zu verdrängen. -
18.09.1996
Wer bereschit, das erste Wort der Schrift, anstatt mit „im Anfang“ mit „im Prinzip“ übersetzt (Ton Veerkamp?), bringt zwar eine notwendige Korrektur, aber verschiebt er das Problem nicht doch nur von der zeitlichen (naturalen) auf die logische (weltliche) Ebene, transportiert er es nicht aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, mit der Gefahr der Vergöttlichung des transzendentalen Subjekts?
Erfüllt der gegenwärtige Weltzustand nicht die Voraussetzungen, auf die das Wort sich bezieht, daß der Vater am Ende, wenn der Sohn ihm alles unterworfen hat, alles in allem sein wird?
Ist das Heideggersche „Dasein“ nicht ein Produkt der subjektiven Formen der Anschauung, das alte tode ti, nach seiner philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Transformation und nach Verdrängung des Bewußtseins seiner Ursprungsbedingungen (vergleichbar der Geschichte des „Seins“ nach der Hypostasierung des Begriffs und der Abspaltung vom Possessivpronomen der dritten Person singular männlich)?
Ist nicht das Begreifen ein instrumentalisiertes Besitzergreifen (nach Abstraktion vom Besitzer)?
Wäre es nicht Aufgabe der Erinnerungsarbeit, die Abstraktions-und Verdrängungsschritte, die unser Bewußtsein konstituieren, zu rekonstruieren? Und ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Spiegel der Ursprungsgeschichte dieses Bewußtseins?
Läßt sich das Johannes-Evangelium in Beziehung setzen zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos (und hat der Kreuzestod etwas mit dem Opfer zu tun, das den Ägyptern ein Greuel ist)? Entspricht nicht das erste Wunder Jesu (bei der Hochzeit zu Kana) der ersten der ägyptischen Plagen?
An welchen ägyptischen Plagen hat Aaron Anteil, sind es nicht fast die gleichen, in denen auch die ägyptischen Zauberer vorkommen (1 – 4 <!> u. 6; die Zauberer dagegen 1 – 3 u. 6)?
Welche Motive bleiben unerledigt: die Prophetenschaft Aarons, das Opfer (das den Ägyptern ein Greuel ist)?
Der Versuch, die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu entschlüsseln, gelingt nur als Selbstversuch. Und beschreibt nicht diese Geschichte aufs genaueste die Genesis des Irrwegs des Sünders, an dessen Bekehrung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist? Allein an diesem Modell, nicht aber an der verkürzten und egozentrischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, läßt sich das Problem der Gnade demonstrieren: die Bekehrung des Sünders ist nicht erzwingbar, sie liegt nicht in unserer Macht, aber gleichwohl können wir nicht davon lassen. Jede Zwangsbekehrung ist eine verzweifelt-hybride Leugnung der Gnade. Selbst, was in der Moderne Mission heißt, hat etwas von dieser Zwangsbekehrung an sich, gleichgültig, ob durch den Appell an die Übermacht der „westlichen Welt“, für die das Christentum heute steht, oder durch die Mittel, die von denen der Reklame allzu oft nicht zu unterscheiden sind (jede Reklame intendiert die Heiligung des Markennamens und die Bekehrung des Konsumenten zu dem im Markennamen gegenwärtigen Warengott – hat nicht Ludwig Ehrhard gelegentlich von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen?).
Bekehrung: „ginosketo hoti ho epistrepsas hamartolon ek planes hodou autou …“ (Jak 520).
Reinhart Staats weist darauf hin, daß die Opfertheologie, die Lehre vom Sühnetod Jesu, westlichen Ursprungs ist, daß erst seit Tertullian das pro nobis an das crucifixus angehängt wurde (vgl. S. 160). Liegt hier nicht der sprach- und bekenntnislogische Kern der von Tertullian geprägten lateinischen Begrifflichkeit der Theologie (bis hin zum Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre)? Diese Begrifflichkeit aber hat dann die Sprache und die Logik der westlichen Philosophie nach dem Ende des Mittelalters geprägt.
Das Subjekt ist zum erkenntnistheoretischen Subjekt in dem Augenblick geworden, in dem es sich selbst zum Objekt geworden ist (durch präventive Mimesis ans Objekt die Konstituierung des Objektbegriffs vorbereitet hat). Das aber ist allein über die subjektiven Formen der Anschauung, die nicht nur die Objektvorstellung, sondern mit ihr auch das Selbstverständnis des Subjekts determinieren, gelaufen. Mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, und d.h. mit der Aufrichtung der Grenzen zwischen Subjekt und Objekt (mit den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Grenzen definieren), wurden diese Grenzen zugleich aufgehoben, ist das Subjekt zu einem Teil der Objektwelt geworden.
Jürgen Ebach, dem zur Apokalypse nur die atomare Drohung, nicht aber die faschistische einfällt, wäre darauf hinzuweisen, daß er damit bereits von einer Entlastungslogik Gebrauch macht, die in Deutschland nie, auch nicht von der 68er Bewegung (die raf eingeschlossen), durchbrochen worden ist. Deshalb hat Daniel Goldhagen die deutsche Öffentlichkeit so unvorbereitet und so empfindlich getroffen.
Der kopernikanische Blick auf die Welt entspricht dem Blick des Historikers auf die Geschichte: Der vergegenständlichende Blick ist der Seitenblick, der Blick der Selbstobjektivierung, des Aus-sich-Heraustretens und Sich-von-außen-Sehens. Das Medium dieser Bewegung ist räumlich und zeitlich zugleich: Das Verhältnis der Äußerlichkeit, das der Raum herstellt, ist tingiert durch die Logik der Projektion ins Vergangene. Wenn der Historiker die Vergangenheit vergegenwärtigt, so projiziert der Naturwissenschaftler das Gegenwärtige in die Vergangenheit. Erst diesem Blick eröffnen Raum und Zeit sich ins Unermessliche, werden sie zum Maß der Dinge, das selber jedem Maß sich entzieht.
Alle Chronologie-Konstrukte (die historischen wie die naturwissenschaftlichen) sind Rechtfertigungskonstrukte, die dazu dienen, die Gegenwart gegen die Schuldreflexion zu immunisieren (sie gegen den Anblick Gottes abzuschirmen). Das Inertialsystem ist atheistisch.
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist ein Konstrukt, das zunächst nur auf die mathematische Form des Raumes sich bezieht; hier liegt einer der Gründe Kants, den Raum als subjektive Form der Anschauung zu bestimmen. Realität hat die Reversibilität gewonnen
– in der Mechanik, in der Bestimmung der Stoßprozesse, bei denen Richtung und Gegenrichtung (in der zur Fallrichtung senkrechten Ebene) dynamisch nicht unterscheidbar sind, sodann
– im Gravitationsgesetz, die auch den Fall, die Beziehung von Oben und Unten unter dieses Gesetz subsumierte;
– mit der Elektrodynamik wurde diese Reversibilität auf die Zeit übertragen, die Zukunft endgültig unter die Vergangenheit subsumiert.
Erst zu den Maxwellschen Gleichungen gehört das Inertialsystem.
Die Vergegenständlichung der Vergangenheit läßt die Zukunft nicht unberührt: Durch Antizipation ihrer Vergangenheit macht sie die Zukunft für Herrschaft verfügbar. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, hat sowohl gesellschafts- als auch wissenschaftskritische (und in dem Sinne „naturwissenschaftliche“) Bedeutung.
Merkwürdig, daß wir für die Physik (im Kontext der Naturbeherrschung) den griechischen Naturbegriff verwenden, im Kontext der Ästhetik und der Theologie hingegen den lateinischen. Hätte ein Buch wie das des Johannes Scottus Eriugena (de divisione naturae) auch über die physis geschrieben werden können? Gehört nicht der Standardtitel der Vorsokratiker (peri physeos) in einen andern sprachlogischen Zusammenhang? Sind nicht der „natürliche Ort“ und „das Leichte“ des Aristoteles nur im Kontext der physis denkbar (während im Naturbegriff das ortlose Inertialsystem und die universale Schwere bereits mitgesetzt sind und in der lateinischen Theologie ihre sprachlogischen Entsprechungen haben)? Für die Griechen ist die Welt ein geschmückter Leib (kosmos), für die Römer ein gereinigtes All (mundus).
War die Arena das Konzil der Märtyrer, die real den wilden Tieren ausgesetzt wurden, in denen sie das Römische Imperium erkannten? Und waren die Konzilien domestizierte Arenen (in denen der physische Kampf durch den geistigen ersetzt wurde und die Märtyrer, nach Identifikation mit dem Aggressor und Partizipation an der Macht, zu Bekennern geworden sind)?
Wenn die „Einheit des Reiches“ zu den Charakteristika des Reiches des Beelzebub gehört (während das Reich des Vaters viele Wohnungen hat), hat dann die Kirche nicht in der Tat in den Konzilien (in der Geschichte des Glaubensbekenntnisses, in der sie immer wieder die Autorität der Kaiser in Anspruch genommen hat) versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben?
Bezeichnet nicht das ex nihilo in der Schöpfungslehre den Akt der Verdrängung, und wäre nicht gerade dieses nihil endlich zu reflektieren? Was übrigens Kant als erster getan hat, als er eine begriffliche Differenzierung des nihil (in der Kritik der reinen Vernunft) vorlegte. Diese Differenzierung ist dann bei Hegel in der Einheit von Sein und Nichts untergegangen, die dem Begriff des Negativen diese unendlich schwere Bedeutung verliehen hat (es zur treibenden Kraft seiner Dialektik, der Logik, gemacht hat). Erst Franz Rosenzweig, der das Nichts als ein Nichts des Wissens (als seine innere Grenze, und damit als ein dreifaches Etwas) zu bestimmen versucht hat, hat das Problem einer Lösung nähergebracht. Erst Franz Rosenzweig hat die Grenze der Erkenntnis ins Wissen verlegt, das Nichtwissen als ein konstitutives Element des Wissens, das durch Erkenntnis aufzuheben wäre, begriffen.
Als die Deutschen nach dem Krieg unisono verkündeten, sie hätten „von nichts gewußt“, haben sie das Wissen selbst zu einem Instrument der unglaublichsten Verdrängung gemacht. Der Satz wird wahr, wenn man dieses Nichts substantivisch nimmt: davon nämlich haben sie (sehr wohl) gewußt.
Gibt es nicht drei Demonstrativpronomina zum Nichts: dieses, jenes und das andere Nichts, und haben diese drei etwas mit Rosenzweigs Gott Mensch Welt zu tun?
Ein „pflichtbewußter Hund“, der einen Ast im Maule schleppt (und so davon abgehalten wird, Spaziergänger anzufallen): Sind es nicht generell die Pflichtbewußten, die – unter dem Zwang ihrer Pflicht – nicht mehr wissen, was sie tun? -
17.09.1996
Die ins Autoritäre transformierte Fassung des achten Gebots: „Du sollst nicht lügen“ verletzt das authentische Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“, indem sie die Reflexion auf den Andern aus dem Gebot ausblendet; sie versperrt der Gotteserkenntnis den Weg und unterbindet die Heiligung des Gottesnamens an der Wurzel.
Rind und Esel: Mit der Bindung der Wahrheit an den Objektbegriff (an die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“) wird das dialogische Element ausgeschieden, damit aber auch die Fähigkeit zur Schuldreflexion, die von der im Objektbegriff installierten Verurteilungsautomatik aufgesogen wird; die Intention der Versöhnung, ohne die die Wahrheit nicht zu denken ist, wird neutralisiert. Die dem Objektbegriff inhärierende Verurteilungsautomatik (der Rechtfertigungstrieb) ist ein Teil der den Objektivationsprozeß vorantreibenden Triebkräfte. Sie macht das Denken, indem sie es ans Urteil bindet, zum Instrument seiner eigenen Isolationshaft: jeder Ausbruchsversuch prallt an der Härte des Objekts ab. (Staatsanwälte und Richter in Staatsschutzprozessen sichern mit dem Staat, den sie schützen, die Härte und Unverletzlichkeit eines Bewußtseins, das am Objektbegriff seine Norm hat; sie schützen mit dem Staat den Objektbegriff <dem Repräsentanten des Eigentumsbegriffs im Bewußtsein> vor kritischer Reflexion.) Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist ein Teil der Geschichte der Konstituierung des Objektbegriffs (Mizrajim ist sowohl das Sklavenhaus als auch der Eisenschmelzofen).
Das rechtskräftige Urteil stellt die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“, zu deren Konstituentien somit das Gewaltmonopol des Staates gehört, her.
Das Zeichen des Jona: Ist nicht jedes Gebet ein Gebet im Bauche des großen Fisches? Und sind nicht Leviathan und Behemoth im Buch Jona in dem großen Fisch, der Jona vor den Wogen des Meeres rettet, und im Vieh, das an der Umkehr Ninives teilnimmt, präsent? Deshalb genügt die Umkehr des Volkes alleine nicht, auch der König und das Vieh müssen umkehren (was für den König bedeutet, daß er keiner mehr ist: Gott gedenkt der Menschen, die Rechts und Links nicht unterscheiden können, und des Viehs, nicht aber des Königs).
Hoffnung für Jona findet ihren Ausdruck erst in den letzten Versen des Jakobusbriefs: „Wer einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, der wird seine Seele vom Tode retten und eine Menge Sünden zudecken.“ (520) – Dieser Satz geht einen entscheidenden Schritt über das ezechielische „dixi et salvavi animam meam“ hinaus: Es genügt nicht mehr, es nur gesagt zu haben, hier wird die Rettung der Seele an die Bekehrung des Sünders gebunden. Und ist das nicht ein Zeichen der Äonenwende: Den Christen ist der Erfolg (der von der nicht erzwingbaren Umkehr des Andern abhängt) nicht mehr gleichgültig. Nur: Die „Mission“, die „Bekehrung der Völker“, ist nicht schon dieser Erfolg; die Mission hat nur die 99 Gerechten hervorgebracht, aber den einen Sünder vergessen (bezieht sich hierauf nicht die Geschichte von den sieben unreinen Geistern, die im zweiten Petrusbrief nachhallt – sh. Mt 1245/Lk 1126 und 2 Pt 220)?
Die Wege des Irrtums, das sind die Wege derer, die nicht mehr wissen, was sie tun (und gibt es nicht heute schon zu viele, die – wie Hitlers willige Vollstrecker – alle ihre Pflicht tun, aber nicht mehr wissen, was sie tun?). Karl Thiemes Wort, daß Jesus das erste Opfer war, das nicht mehr um Rache zum Himmel schreit, kommt der Sache mit dem Kreuz sehr viel näher als die ganze Opfertheologie, es sei denn, daß es endlich gelingt, diese Bitte (die Barmherzigkeit für die, die Rechts und Links nicht unterscheiden können) in das Verständnis der Opfertheologie mit hereinzunehmen und so die Opfertheologie zu einem Instrument der Transformation des Rachetriebs in Barmherzigkeit zu machen („Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“).
Beispiele für das Wort von den Wegen des Irrtums sind sowohl die Verwaltungen (sind alle hierarchisch organisierten Institutionen) als auch die „Wege der Planeten“ (die in der frühmittelalterlichen Theologie einmal zur Legitimierung hierarchischer Ordnungen gedient haben).
Die Fähigkeit zur Schuldreflexion ist von den Strategien der Schuldvermeidung zu unterscheiden. Die eine ist befreiend, die andere führt über die Verurteilungslogik in die Verstrickungen hinein, in das projektive, vergegenständlichende, dem Rechtfertigungszwang unterworfene Erkenntnismodell. Die Unterscheidung hängt zusammen mit der des Namens vom Begriff und der der Idee des Ewigen vom Überzeitlichen.
Die Unterscheidung von Grund und Ursache verweist auf den Zeitkern der Wahrheit. Ökonomie und Naturwissenschaft begründen die Universalität des Kausalitätsprinzips, in deren Kontext Gründe (wie die „sekundären Sinnesqualitäten“) subjektiv und gegenstandslos werden. Gründe verweisen auf ein teleologisches Moment, das im historischen Objektivationsprozeß sich verflüchtigt hat.
Was hat die Seinsfrage mit der Judenfrage zu tun? Ist Heideggers Fundamentalontologie der Holocaust der Philosophie? Vgl. die „Jonafragen“ bei Ebach (Kassandra und Jona, S. 154).
Zum Gravitationsgesetz gehört die Vorstellung des „absoluten Raums“, zu den Maxwellschen Gleichungen das Inertialsystem. -
14.09.1996
Die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik begründen drei getrennte Reiche der Erscheinungen.
Rosemary Radford Ruether und Erich Fromm kommen in der Untersuchung von Reinhart Staats über das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel nicht vor.
Doppelte Konsequenzen:
– Unmöglichkeit der Harmonisierung der Theologie mit Auschwitz und mit den Naturwissenschaften;
– Franz Rosenzweig: Konversion zum Judentum nach Auschwitz nicht möglich; seine Theologie vermag die Idee der Auferstehung zu begründen, nicht aber die Unsterblichkeit der Seele;
– Karl Thieme: Hitler war nicht der Antichrist, nur die Generalprobe; Rosenzweig wichtiger als Buber.
Läßt sich die These, daß Auschwitz, je mehr es in die Vergangenheit zurücksinkt, umso mehr uns auf den Leib rückt, nicht aus der logischen Beziehung von Bekehrung und Umkehr (Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister) begründen?
Zu den Bedingungen des Holocaust gehört ganz wesentlich die Rolle des Staates. Nur die im Staat installierten Exkulpationskräfte haben den Tätern das gute, zugleich mit Rachsucht und Infamie aufgeladene Gewissen gegeben (die Befreiung von Schuldgefühlen durch die Erniedrigung, das Quälen und das Töten der Juden), ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre. Spielt hier nicht in der Tat eine sehr protestantische Tradition mit herein, die über die Rechtfertigungslehre den Staat zur Quelle des Gewissens gemacht (und dem Gewissen die Möglichkeit der Orientierung an der Idee der Barmherzigkeit genommen) hat?
Die Trinitätslehre, deren dogmatische Entfaltung zusammenfällt mit der konstantinischen Wende, hat die Logik dieses Exkulpationsmechanismus begründet. Durch die lutherische Neudefinition des Glaubens ist sie (und mit ihr die damit verbundene Staatsmetaphysik) ins einzelne Subjekt übertragen worden. Die „Rechtfertigung durch den Glauben“ gründet in dieser Konstellation.
Die konstantinische Wende hat die Tradition der Barmherzigkeit aus der theologischen Spekulation verdrängt; die Rechtfertigungslehre hat die Tradition der Barmherzigkeit (den theologischen Grund der Herrschaftskritik) aus dem Handeln verdrängt und durch die Gnadenlehre ersetzt.
Das Symbolum bezieht sich weniger auf das Zeichen, an dem die Christen sich erkennen, als vielmehr auf einen Sachverhalt, der in dem Satz Jesu sich ausdrückt: Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor dem Vater bekennen. Und ist das nicht in der Tat der logische Kern des Symbolbegriffs? Dieses Bekennen ist eigentlich ein Bezeugen, und hierauf bezieht sich der Satz: Das Zeugnis Jesu ist der Geist der Weissagung. Und hierzu gehört auch der andere Satz, daß keiner zum Vater kommt außer durch den Sohn.
Die blasphemische Wendung der Orthodoxie beginnt mit jenem Akt, mit dem Theodosius die Glaubensformel zur Grundlage des römischen Bürgerrechts gemacht hat.
Verschweigt Reinhart Staats nicht den Grund des Konflikts zwischen Ambrosius und Theodosius, in dem Ambrosius gegen den Kaiser die Rechtmäßigkeit eines Pogroms, einer antisemitischen Aktion der Gläubigen, behauptet und durchsetzt? Das endet in Carl Schmitts Rechtfertigung der Nacht der langen Messer durch Berufung auf die Souveränität des Führers. Carl Schmitt war der Autor einer politischen Theologie, die das Freund-Feind-Verhältnis als Grundlage sich erwählte.
War es nicht Reinhart Staats (Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel), der an einer Stelle anstatt vom Geist vom Gerhirn sprach?
Der logische Grund des Staates ist in der Tat das Feinddenken, für das der Staat die Verantwortung übernimmt. Nur der Staat hat das Recht zu töten, das er an seine Bürger delegieren kann, ohne daß diese „schuldig“ werden. So richtet sich auch die strafrechtliche Verfolgung des Mörders nicht gegen die Tat, sondern allein gegen den Täter, in dem der Staat seinen Widersacher erkennt: einen, der für sich ein Recht in Anspruch nimmt, das nur dem Staat zukommt. Deshalb sind Soldaten keine Mörder. Und der Mörder im Sinne des Strafrechts zieht die Rachsucht aller auf sich, weil er die Exkulpationsgewalt des Staates, die den, der in seinem Auftrag tötet, rechtfertigt, und damit ein zentrales Element der Ich-Bildung in Frage stellt.
Daß die Philosophie den Tod verdrängt, hängt mit ihrer logischen Beziehung zum Staat, zur Herrschaftslogik, zusammen. Diese Beziehung des Staats zum Tod drückt in dem jesuanischen Gebrauch des Kelch-Symbols (in dem „Karriere“-Dialog mit den Zebedäus-Söhnen und in Getsemane) sich aus, der genau dadurch von dem vorhergehenden prophetischen Gebrauch sich unterscheidet. So wird
– die Bekenntnislogik (das Produkt der Rezeption der Philosophie und des Weltbegriffs in der Theologie) zur Bekenntnislogik durch die Opfertheologie (durch die Lehre vom Opfertod Jesu),
– das Inertialsystem zum Inertialsystem durch die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (durch die Säkularisation der eucharistischen Vergegenwärtigung des Kreuzestodes, durch die Konstituierung des Totenreichs): es bezieht sich essentiell auf tote (anorganische) Materie,
– das Geld zum Geld durch seine Beziehung zum Opfer.
Hängt mit dieser Geschichte und mit dieser Logik nicht das merkwürdige Verhältnis der Evangelien zu den Vätern („laßt die Toten ihre Toten begraben“) zusammen? -
13.09.1996
Die Anbetung bezeichnet den Übergang der Religion von ihrem moralischen Begriff zur Ästhetisierung (das ästhetische Objekt konstituiert sich mit dem Urteil). Zu den historischen Grundlagen der Ästhetisierung der Theologie, die übers Dogma sich entfaltet hat, gehört die merkwürdige Verbindung von Mönchstum und imperialer Reichsideologie, die die Geschichte der Konzilien bestimmt (und 381 unter Theodosius in Konstantinopel vollendet wurde).
Die Gestalt der Anbetung, die im Mönchstum sich verkörpert, ist seit je ein Instrument der Ästhetisierung, der Mythisierung des Christentums gewesen. Mönche sind Zeloten, die, um ihre Kräfte zu sammeln, in die Wüste gehen, dort aber vergessen haben, weshalb sie in die Wüste gegangen sind.
Geschichte und Natur sind zu ästhetischen Objekten geworden, zu deren Ursprungsgeschichte diese theologische Vorgeschichte dazu gehört.
Der Materialismus (zu Ralph Stürmer) ist befreiend nur als Forschungsmaxime, nicht als Weltanschauung: Hier hat er Teil am Problem des Schuldverschubsystems, das nur entlastet, indem es zugleich die Last durch Verdrängung vermehrt. Der metaphysische Materialismus ist ein Instrument des Schuldverschubsystems, der Transformation der Last ins Joch.
Wenn die (pseudohistorischen) Hethiter in Wirklichkeit die Kappadozier sind, sind sie dann nicht ein Konstrukt zur Abschirmung, Legitimierung und Stabilisierung des Antisemitismus?
Ehe Abraham ward, bin ich: Hat Jesus damit nicht die jüdische Geschichte zur Gegenwart gemacht? Und ist sie nicht in der Tat nur so gegem ihren antisemitischen Mißbrauch gefeit?
Das Präsens (das gegen die Vergangenheit sich definiert) ist der blinde Fleck in der indoeuropäischen Grammatik und Sprachlogik. Die veränderte Konstruktion des Perfekt in den modernen Sprachen, seine Bildung mit Hilfe der Hilfsverben, hat dieses Perfekt zu einer präsentischen (und deshalb „vollendeten“) Vergangenheit gemacht. Im Verein mit dem Präsens, das in der Hilfsverb-Konstruktion des Perfekt wiederkehrt, ist das Perfekt der Deckel auf der Vergangenheit (das philosophische „Wesen“ ist ein Perfekt). Das moderne Korrelat dieses Deckels ist das Inertialsystem, das Produkt der Vergegenständlichung der subjektiven Formen der Anschauung (in dem diese subjektiven Formen der Anschauung sich selbst zum Gegenstand der Anschauung machen). Im Inertialsystem streicht die Subjektivität sich selbst durch, wird die Erinnerung an die kantischen Antinomien gelöscht.
In der deutschen Rezeption der kantischen Philosophie wurde die Erkenntniskritik seit je als Instrument der Legitimation des Kritisierten (der Naturwissenschaft) aufgefaßt, wurde das kritische Element verdrängt.
Das Inertialsystem ist das Korrelat der Ontologie, der Hypostasierung des Seins.
Abgestiegen zur Unterwelt: Ist dieser Abstieg nicht durch die Erfindung der Hölle perhorresziert worden? Und hat nicht diese Erfindung den Weg zum Himmelreich verschlossen?
Die Hölle bezeichnet präzise den Objektbereich der Verurteilung und des Vergangenen zugleich. Die Vergegenständlichung der Höllenvorstellung war das Korrelat der Apologetik, der Rechtfertigungszwänge. Erst das Inertialsystem hat die Höllenvorstellung abgelöst und vertrieben.
Personalisierung: Im Kontext der Höllenvorstellung sind die Juden, die Ketzer, die Frauen zu Verkörperungen und Agenten des Teufels geworden.
In diesem Zusammenhang wäre leicht nachzuweisen, weshalb in politischen Prozessen die Strukturen des Vorurteils und der in seinem Kontext ausgebildeten Verfolgungsformen sich reproduzieren (und weshalb sie offensichtlich geeignet sind, das Vorurteil neu zu beleben).
Wird hier nicht – über die Mechanismen des Schuldverschubsystems, der Ablenkung, des Blitzableiters, des Sündenbocks, die alle am Ende nicht mehr helfen werden – eine Situation vorbereitet, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird? Trifft sich nicht hier die Auflösung des Problems des Schuldverschubsystems, des Vorurteils, des Antisemitismus, mit der Auflösung des Problems des Inertialsystems? Und bezieht sich nicht auf beide der Satz vom Lösen: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
Das „Abgestiegen zur Unterwelt“ kommt nur im apostolischen Glaubensbekenntnis vor, während es im N und NC (wie übrigens die Höllenvorstellung in allen Symbola) fehlt; wodurch unterscheidet sich das apostolische Bekenntnis sonst noch von den übrigen (hinsichtlich des Ursprungs, des Inhalts und des Aufbaus)?
Gehört die „Venus-Katastrophe“ zur Ursprungsgeschichte des Begriffs der Unzucht (und zur Ursprungsgeschichte der Sexualmoral, der Urteilsmoral)? Und ist diese Geschichte nicht ein Teil der Ursprungsgeschichte der Herrschaftsinstitutionen, des Staats? Ist die Venus-Katastrophe ein anderer Ausdruck für die Verdrängung und Transformation der Herrschaftskritik (in deren Kontext die Sexualmoral immer noch gehört)?
Ist es der Welt-Auftrag der „Geschichte“, das Bewußtsein zu verdrängen, daß die Vergangenheit die Hölle ist?
Wenn die Vergangenheit die Hölle ist, und das Inertialsystem das Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, bezieht sich dann nicht das Wort von den Pforten der Hölle, die die Kirche nicht überwältigen werden, auch aufs Inertialsystem?
Gehört nicht die indoeuropäische Grammatik (der Turm, der bis zum Himmel reicht und die Sprachen verwirrt hat) in den gleichen Zusammenhang?
Der Name der Hebräer ist der explizite Verzicht auf die projektive Verarbeitung der Erfahrung, die zur Grundlage der indoeuropäischen Sprachen (die der Barbaren: der Ausgrenzung der Fremden, bedürfen) geworden ist.
Wie auch die Lazarus-Geschichte und die Gestalt der Maria Magdalena gehören die Totenerweckungen und die Vertreibung der Dämonen in den Evangelien zusammen. Welche Totenerweckungen und welche Dämonen-Austreibungen gibt es (der Jüngling von Naim, der Sohn des Jairus, Lazarus; welche Dämonen-Austreibungen außer der Austreibung der Legion in die Schweine und der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern)?
Wie hängen der Stoß, die Gravitation und die Lichtgeschwindigkeit, die Objektivationsformen, die sie repräsentieren, zusammen, liegt hier nicht die letzte Orthogonalitätsbeziehung, die auch der Vorstellung des Inertialsystems (des Produkts der Vergegenständlichung der subjektiven Formen der Anschauung) zugrunde liegt? Sind Stoß, Fall und Lichtsgeschwindigkeit Repräsentanten des Schicksals der Kausalität, der Wechselwirkung und der Teleologie im historischen Objektivationsprozeß?
Die Aufklärung ist das Produkt der Intrumentalisierung der Wahrheit (das Produkt der Ausscheidung, der Eliminierung der Reflexion aus der Wahrheit).
Biblische Zoologie: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.“ Sind hier nicht die Werke des sechsten und fünften Tages beisammen? -
12.09.1996
Ist nicht das Konzil eine Metamorphose der Arena? An die Stelle des Märtyrers tritt der Confessor, und der Herr über beide ist der Caesar. Gehört dieser Prozeß nicht zur Neukonstituierung der Öffentlichkeit, der res publica, unter den Bedingungen des Imperium Romanum, des Caesarismus? Die Transformation des Märtyrers zum Confessor gehört zum Prozeß der Vergeistigung der Gewalt, der Identifikation mit dem Aggressor und dem Formelbekenntnis als Feigenblatt. Instrument dieser Transformation war das Dogma, die Trinitätslehre, die Orthodoxie (mit der Opfertheologie im Kern).
Beachtenswert ist die merkwürdige Unsicherheit im Prozeß der Dogmenbildung, im Gebrauch der Begriffe Zeugung und Geburt (die zurückweist auf die Differenz im Naturbegriff, den Unterschied zwischen der lateinischen und der griechischen Version dieses Begriffs). Vgl. „gezeugt/geboren, nicht geschaffen“, „hat Fleisch angenommen aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria/durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria“, „aus dem Vater gezeugt/geboren vor aller Weltzeit“ (sh. Staats, S. 19ff).
Nach dem griechischen Text ist der Sohn aus dem Vater vor aller Weltzeit gezeugt, und aus dem Heiligen Geist und Maria der Jungfrau geboren, nach dem lateinischen Text ist der Sohn vor aller Weltzeit aus dem Vater (der ihn auch gezeugt, nicht geschaffen hat) geboren, und durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geboren.
Hierzu eine Randbemerkung: Wenn Paulus (in der Apostelgeschichte) sagt, er sei ins römische Bürgerrecht „hineingeboren“, ist er dann nicht in dem gleichen Sinne Römer „von Natur“ wie nach 1 Kor 1114f „die Natur selbst (uns belehrt), daß, wenn ein Mann lange Haare trägt, es eine Schande für ihn ist, wenn aber eine Frau lange Haare trägt, es eine Ehre für sie ist“? Natur ist eine herrschaftsgeschichtlich definierte Kategorie.
Hängt nicht auch das „filioque“ mit der Differenz der lateinischen gegenüber der griechischen Sprachlogik zusammen? Im Griechischen geht der Geist aus dem Vater hervor, während der Sohn (den der Vater gezeugt hat) aus dem Geist (und aus der Jungfrau Maria) geboren wird; im Lateinischen hat der Vater den Sohn gezeugt, geht der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohne hervor, wird der Sohn durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geboren. Hat die lateinische Version den Heiligen Geist (der dem Sohn ebenso folgt, wie er ihm vorausgeht) endgültig vom Mutterschoß (vom Ort der Barmherzigkeit, aus dem die Propheten berufen und hervorgegangen sind) getrennt? Und erinnert nicht die lateinische Version eher noch (und auch logisch genauer) als der Mythos, auf den Freud sich bezieht, an den „Ödipus-Komplex“? Löst sich damit nicht die verwirrende Logik der lateinischen Version, in der Grund und Ursache ununterscheidbar werden, in der die zeitliche und die logische Folge nicht mehr sich auseinanderhalten lassen?
Ist die Trinitätslehre der durchschlagene Knoten, und ist die Stelle, an der er durchschlagen wurde, nicht rekonstruierbar?
Peri physeos: Steckt in diesem Generaltitel der vorsokratischen Philosophie nicht noch das Bewußtsein der männlichen Zeugung, des aktiven Hervorbringens im Ursprung des Objektivationsprozesses: Ist die Natur der Inhalt des Unzuchtsbechers?
Wenn das Meer die Völkerwelt symbolisiert, welche Folgen hat das für das Verständnis der signifikanten Stellen, an denen das Meer erscheint?
– Während es sonst heißt, daß Gott den Himmel und die Erde erschaffen (den Himmel aufgespannt, die Erde gegründet) hat, gibt es einige Stellen an denen es heißt, daß Gott den Himmel, die Erde und das Meer erschaffen hat. Und Jonas gibt sich (auf dem Schiff nach Tarschisch) als Hebräer zu erkennen, der „den Herrn (verehrt), den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht“ hat (haben dieses „Meer und das Trockene“ etwas mit der Völkerwelt und dem Petrus zu tun?).
– Und was hat es mit dem Stein, der, einem großen Mühlstein gleich, ins Meer geworfen wird (Apk 1821) auf sich? Ist es der gleiche Stein, der nach Mt 186 denen, die „einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zu Sünde verführen“, um den Hals gehängt und mit ihm in die Tiefe des Meeres versenkt werden sollte; und ist das Meer das gleiche, das am Ende nicht mehr sein wird (Apk 211)?
Zur Goldhagen-Diskussion: Sollte man nicht ein Buch an seiner eigenen Intention messen, und nicht an dem, was einer von ihm erwartet? Sind nicht von außen herangetragene Erwartungen (wie auch das von außen an eine Sache herangetragene Maß, insbesondere der Inbegriff dieser Maße, das Inertialsystem) hinterhältig?
Franz Rosenzweigs gelegentliche Bemerkung, daß seine Arbeit erst posthum Anerkennung finden werde, bezieht sich nicht nur auf seinen eigenen Tod, sondern nach Auschwitz auf den Untergang der Judenheit in Deutschland überhaupt. Und verstärkt sich nicht zusehends der Eindruck, daß Auschwitz, je weiter es in die Vergangenheit zurücksinkt, uns immer näher auf den Leib rückt?
Nochmal zur Sprache der Medien („diesen Jahres“): Wie hängt die Adjektivierung des Demonstrativpronomens zusammen mit der Vertauschung von Genitiv und Dativ nach trotz, wegen, entsprechend? Und wie hängen beide damit zusammen, daß der Nominativ immer deutlicher als durch den Akkusativ vermittelt sich erweist (Grund der Umwandlung des Nomens ins Substantiv)? Läßt das Ganze aus der Neudefinition des Wahrheitsbegriffs (aus der Formel: Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand) sich ableiten, die der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (des Inertialsystems) sich verdankt, aus der neuen Urteilsform, die an den Objektbegriff sich anschließt?
Wegen müßte den Genitiv, trotz und entsprechend müßten den Dativ nach sich ziehen. Die Vertauschung von Genitiv und Dativ verschiebt die Sprache ins Autoritäre. Gehorsam wird zum Dank gegen die höhere Einsicht der Welt, während der Eigenwille seiner Sprache beraubt wird. Die Medien-Grammatik ist die präventive, vorauseilende Einübung in die Grammatik des autoritären Denkens. Sie treibt den Menschen den Widerspruch aus und macht die Sprache zur Sprache der Unterwerfung, der im Voraus kapitulierenden Ohnmacht, der mit Hilfe dieser Grammatik eingebläut wird, daß sie gegen das, was ist, nichts mehr auszurichten vermag.
Das Fernsehen ist das zum Leben erweckte Menetekel, das Zeichen an der Wand: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden (anschaulich vor Augen geführt in dem vorgestern gesendeten Gespräch Bioleks mit Kohl).
Ist nicht Kohl der lebendige Beweis dafür, daß der A…. keine Ohren hat? Ein überdeutlicher Hinweis zur Ortsbestimmung des Weltgeistes, der autistisch geworden ist und nicht mehr auf dem Pferde sitzt (ja, wo reiten sie denn, oder: wohin ist der Weltgeist gerutscht?).
Das Subjekt war noch das dem Allgemeinbegriff (dem Prädikat) Unterworfene; beim Objekt liegt diese Unterwerfung dem Urteil voraus, sie wird schon durch die subjektiven Formen der Anschauung, die damit in die Urteilsform hineinregieren (und die Begriffe depotenzieren), geleistet.
Im Kontext der polis wird die Natur von den Bürgern erzeugt; im Kontext des Imperium Romanum ist die Erzeugung der Natur abgeschlossen, wird die Natur zum Geborenen.
Die heutige Astrologie ist deshalb so unsäglich, weil sie dem System, das zu negieren sie vorgibt, verhaftet bleibt: dem System der Selbsterhaltung, das im kopernikanischen System kosmische Qualität gewonnen hat.
Der Begriff der Verurteilung markiert den Übergang von der Urteilslogik zum moralischen Urteil. Und dieser Übergang trägt alle Züge einer Katastrophe (die in der Geschichte vom Sündenfall im Wort von der Erkenntnis des Guten und Bösen sich anzeigt). Natur ist gefallene Natur, es gibt keine andere. -
11.09.1996
Bekenntnisgemeinschaften sind Gemeinschaften der Verurteilung: Damit ist die Bekenntnislogik (das Programm der Eliminierung: das gemeinsame Feindbild, die Ausgrenzung der Häretiker und die Bekenntnisunfähigkeit der Frauen, die zu Objekten der Sexualmoral werden) mit gesetzt. Abgeleitete Formen der Bekenntnisgemeinschaft sind der Nationalismus, die Weltanschauungsgemeinschaften; seit ihrer Installierung im Erkenntnisapparat in der Gestalt der subjektiven Formen der Anschauung gibt es zur Bekenntnislogik keine Alternative mehr.
Die Bekenntnislogik konstituiert sich im Schuldzusammenhang, zu ihren Konstituentien gehört der Rechtfertigungszwang; das Symbol der Bekenntnislogik ist der verdorrte Feigenbaum.
Der Raum kennt keinen Ort, die Zeit kennt keinen Anfang und kein Ende. – In welcher Beziehung steht die Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung zur Sprachentwicklung und zum Ursprung und zur Entfaltung der Gemeinheit?
Jeder Punkt im Raum ist Zentrum des ganzen Raumes; jeder Zeitpunkt trennt die Vergangenheit von der Zukunft. Es gibt keine Zeit, die sich nicht (im Hinblick auf eine nachfolgende Zeit) als vergangen, und keine, die sich nicht (im Hinblick auf eine vorausgegangene Zeit) als zukünftig bestimmen ließe. Aber unterscheidet sich nicht doch die vergangene Zukunft (die wirklich vergangen ist) von der zukünftigen Vergangenheit (die nur für unser Vorstellungsvermögen, unser Denken, vergangen ist)?
Zur Geschichte des Urteils: Das subjectum ist das Unterworfene, das Objekt ist der Feind. Als das subjectum zum Objekt (und damit das nomen zum Substantiv und das Prädikat zum Begriff) geworden ist, ist das Subjekt von der Objekt- auf die Subjektseite verschoben worden. Das Vehikel dieser Verschiebung waren die subjektiven Formen der Anschauung.
Sünde und Schuld sind vererbungsfähig, darin gründet ihre Beziehung zum Rassismus. Die Versöhnung ist nicht vererbungsfähig. Der Schuldzusammenhang ist ein Erbschaftszusammenhang; deshalb ist die Schicksalsidee der logische Kern des Mythos. Durchs Dogma ist auch die Versöhnung in die Erbschaftslogik hereingezogen worden.
Gilt nicht die Geschichte vom Sündenfall auch für die Eucharistie? Wer die Frucht pflückt und genießt, braucht den Schurz aus Feigenblättern (das Glaubensbekenntnis), um seine Scham zu bedecken.
Das Wort Schlangenbrut, das Jesus auf die Pharisäer anwendet, erinnert an die Schlange beim Sündenfall; es hängt mit dem andern Wort zusammen, in dem er den Teufel als ihren Vater (und als Vater der Lüge) bezeichnet. Die Schlangenbrut, das ist die Neutrumsbrut: Auf dem Bauche sollst du kriechen, Staub wirst du fressen. -
10.09.1996
Der Objektbegriff zieht die Verurteilungslogik nach. Die subjektiven Formen der Anschauung, die die Verurteilung zum Maß der Logik machen, sind das Produkt einer Implosion der Rechtfertigungslogik, die glaubt, dem vernichtenden Urteil dadurch entrinnen zu können, daß sie sich auf die Seite der Urteilenden (der Gemeinschaft der Urteilenden in Wissenschaft und Recht, sowie angesichts des Faschismus des Urteils des Auslands) begibt, mit den urteilenden Instanzen sich identifiziert. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit drückt im Raum in der Reversibilität aller Richtungen sich aus: in der Subsumtion der Rechten unter die Linke, des Im Angesicht unter das Hinter dem Rücken und des Oben unter das Unten (die Säkularisation der Theologie). Ist nicht der Säkularisationsprozeß insgesamt die Wassertaufe (die Sammlung der Wasser an einem Ort und das Sichtbarwerden des Trockenen), die auf die Geisttaufe wartet? Goldhagen: Je weiter wir uns von Auschwitz entfernen, umso näher wird es uns rücken. Der Rassismus macht die Nationalitätsgrenzen zu Rassengrenzen. Verweist nicht die Zusammenstellung von „Völkern, Stämmen, Nationen und Sprachen“ in apokalyptischen Texten auf diese Abgrenzungen: auf ein System von Abstraktionschnitten? Auschwitz hat das Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ in die Nähe des „Abgestiegen zur Hölle“ gerückt. Dieser schreckliche Mechanismus: Anstatt zu begreifen, daß in den Folterstaaten, in Bosnien, auch in der RAF, uns unsere eigene Vergangenheit einholt, nutzen wir sie als Exkulpationsmittel: „Die sind auch nicht besser“. Ihr Deutschsein ist die empfindlichste Stelle der Deutschen: Käme es nicht darauf an, auf den dieser Empfindlichkeit zugrunde liegenden Trieb das Keuschheitsgebot anzuwenden? Carl-Friedrich von Weizsäckers Bemerkung, daß die naturwissenschaftliche Entwicklung der zwanziger Jahre (gemeint war die Geschichte der Kopenhagener Schule) einer „Explosion von Genie“ sich verdanke, hat einen anderen Sinn, als ihm bewußt war: War nicht auch der Faschismus eine Explosion der Tradition, die im Geniebegriff gründete? Siehe hierzu die kantische Definition und Bestimmung des Geniebegriffs, der auch diesen exkulpatorischen Effekt hatte: Nicht ich bin es, sondern die Natur in mir ist die schöpferische Kraft, der die großen Werke der Kunst, der Musik, der Philosophie, der Literatur, und am Ende auch der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Politik sich verdanken. Wenn von Hitlers „Charisma“ die Rede war, und wenn Hitler selbst als ein Werkzeug der Vorsehung sich verstand, so stand das in dieser Tradition. Die bisher einzige richtige Antwort hierauf war Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, der Versuch, diese Sphäre (und in ihr den Bann des Geniebegriffs) durch Reflexion aufzuhellen.
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09.09.1996
„Rede von Gott“: Der Begriff der Rede gehorcht der Logik des Monologs, der Selbstgettoisierung des Geistes, des kollektiven Autismus. Zur Rede gehört eine Sprache, die den Dialog ausschließt, die nur von den „Anhängern“ noch verstanden wird und alle andern ausgrenzt; geredet wird nicht mit anderen, sondern über andere. Es gibt keine Rede ohne Feindbild, das als gemeinschaftsbildendes Element den Raum erzeugt (und qualifiziert), in dem die Rede sich entfaltet (das technische Medium, in dem die Rede sich vollendete, war das Radio). Das der Rede zugrundeliegende Denk- und Erkenntnismodell ist ebenso paranoid wie eliminatorisch; die Rede lebt von den Ängsten der Hörer, die sie selbst in ihnen erzeugt, indem sie sie zur Stummheit verurteilt. Ihre Logik ist die Bekenntnislogik, die im Antisemitismus sich erfüllt. Die Rede ist der sprachliche Reflex des Inertialsystems (die Innenseite der Verdinglichung, zu deren komfortabler Ausstattung die Rede beitragen möchte). Zur inneren Logik der Rede gehört es, daß es Namen nur außerhalb dieses Raumes gibt: deshalb kennt sie Namen nur als Feindnamen; sie vergeht sich am Gebot der Heiligung des Gottesnamens. Theologie wird durch die Logik der Rede zur Theologie hinter dem Rücken Gottes; nur eine Theologie im Angesicht Gottes vermag den Bann dieser Logik zu lösen (Vorsicht: Sprengen kann diesen Bann nur Gott. Unsere Aufgabe wäre es, ihn zu lösen. – „Was ihr auf Erden lösen werdet, …“). Theologie als Rede von Gott ist im wörtlichen Sinne verantwortungslos. Ist nicht das -burg in der Bezeichnung teutoburgensis ein Indiz dafür, daß die Germania des Tacitus eine mittelalterliche Fälschung ist (Kluge verweist zur Begründung der ahd. Herkunft des Wortes „burg“ auf Tacitus)? Die aufgeregte Diskussion um das Buch von Daniel Jonah Goldhagen beweist nicht nur, daß Goldhagen recht hat; sie beweist zugleich, daß die empfindlichste Stelle der Deutschen ihr Deutschtum, ihr Nationalbewußtsein, ist. Diese Empfindlichkeit aber verweist auf den Grund des eliminatorischen Triebs der deutschen Ideologie, die den Faschismus überlebt hat.
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08.09.1996
Hängt der Name der Pharisäer mit dem Titel des Pharao zusammen? Und verweist dieser Zusammenhang auf den der Heuchelei mit der Verhärtung des Herzens: auf die Urgeschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft?
Haben die drei Warnungen vor den Pharisäern;
– Last und Joch,
– suchen das öffentliche Ansehen,
– lassen sich Vater nennen,
und die sieben Weherufe über sie
– verschließen das Himmelreich,
– durchziehen Meer und Land, um einen Judengenossen zu gewinnen,
– schwören,
– fordern den Zehnten, verdrängen das Recht, die Barmherzigkeit und die Treue,
– reinigen die Außenseite des Bechers, dessen Inneres aber voll Raub und Unmaß ist,
– getünchte Gräber: außen schön, innen voll Totengebein und Unrat,
– baut den verstorbenen Propheten und Gerechten Gräber und schmückt sie, aber verfolgt und tötet sie, wenn ich sie zu euch sende (Mt 23),
etwas mit den zehn ägyptischen Plagen (und der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos)
– Nil zu Blut,
– Frösche,
– Staub zu Mücken,
– Stechfliegen,
– Pest über das Vieh,
– Ofenruß zu Staub, zu Beulen,
– Hagel,
– Heuschrecken,
– Finsternis,
– Passah und das Sterben der Erstgeborenen in Mizrajim (Ex 7ff),
zu tun?
Klingt nicht in den neoliberalen Tendenzen der Ökonomie das „Faulenzer seid ihr, Faulenzer“ des Pharao nach? -
07.09.1996
Die Bergpredigt war für mich einmal der erste Hinweis auf die moralische Asymmetrie zwischen mir und den Andern sowie auf den Ursprung der Gemeinheit (die in der Verletzung dieser moralischen Asymmetrie gründet).
Unterscheidet sich nicht die Laientheologie von der Theologen(Priester)-Theologie vor allem dadurch, daß sie nicht unter dem Zwang steht, Theologie für andere zu sein? Deshalb war seit je die monarchische Theologie der Laientheologie näher als die Theologentheologie, die seit je in einem sehr genauen Sinne „weltliche“ Theologie war. Laientheologie heute gründet in der kritischen Reflexion des Weltbegriffs.
Laientheologie unterscheidet sich von der Theologentheologie dadurch, daß sie zwar auf die Lehre abzielt, aber nicht mehr belehren will und kann: durch den Verzicht auf den autoritären („väterlichen“) Gestus: Laientheologie ist das Resultat der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern (Lk 117).
Der Weltbegriff ist die genaue Umkehrung der Levinasschen Beziehung von Indikativ und Imperativ.
Nach Klaus Heinrich muß ich, wenn ich Dinge vergleichen will, sie an einen gemeinsamen Ort bringen. Es gibt zwei gemeinsame Orte, deren Beziehung das Zentralproblem der gegenwärtigen Theologie ist: das Inertialsystem und der Name Gottes (der Ort, der durch das Licht des Angesichtes Gottes erhellt wird).
Das Johannes-Evangelium ist nicht antisemitisch, es wird antisemitisch, wenn man den Namen der Juden anstatt typologisch rassistisch versteht (dem entspricht es, wenn die unsägliche Diskussion um Daniel Jonah Goldhagen eigentlich nur auf der Basis eines immer noch rassistischen Selbstverständnisses der Deutschen sich verstehen läßt – und niemand merkt’s). Der Rassismus steht in der Tradition des Begriffsrealismus: Er macht Kollektivbegriffe zu Subsumtionsbegriffen.
„Wir Deutschen“: Ist das nicht das aktuelle Äquivalent des Namens der Hebräer (das dann projektiv über den eliminatorischen Antisemitismus abgeleitet werden muß)? Sich als das erfahren, was man glaubt für andere zu sein (die Identifizierung des Subjekt-Plural „Wir Deutsche“ mit dem Objekt-Plural „Die Deutschen“). – Kann es sein, daß die Wendung „Wir Deutschen“ insbesondere dann gebraucht wird, wenn der Redende unter Rechtfertigungszwang gerät (und das Kollektiv-Subjekt hinter dem Kollektiv-Objekt sich versteckt, die Kollektivschuld durch die Kollektivscham, die beide der Sache nicht angemessen sind, ersetzt)?
Wir Deutschen: Erkennt man die Deutschen heute nicht am ehesten daran, daß sie vom Ausland geliebt werden wollen?
In den Neonazis, die aus Trotz das Kollektiv-Objekt zum Kollektiv-Subjekt zu machen versuchen, implodiert die Kollektivscham: und in ihr die Rechtfertigungslogik, die glaubt, der Objektzone der Veurteilung entrinnen zu können, indem sie sich zum Subjekt der Verurteilung macht. Der Faschismus ist das Produkt der Metamorphose der noesis noeseos, des Denkens des Denkens, zur Verurteilung der Verurteilenden (der Vernichtung all dessen, was als Bedrohung der eigenen Identität erfahren wird). Deshalb hat der Hinweis aufs Ausland (was „das Ausland“ wohl denken wird) die Ausländerfeindschaft eher verstärkt als eingedämmt.
Die Grenze zwischen Begriff und Objekt ist die Innen-Außen-Grenze: die politische Grenze ebenso wie die Grenze, die die Anschauung vom angeschauten Objekt trennt. Deshalb gehören die subjektiven Formen der Anschauung zu den Konstituentien des Begriffs und des Nationalismus zugleich. Und deshalb gehört zur Entwicklung des Urteils und der Urteilsform das projektive Konstrukt der Barbaren (der Juden, der Heiden, der Ausländer, der Fremden) und der Naturbegriff.
Ist nicht das Werk Bubers die erste Verkörperung einer Theologie, die weder warm noch kalt, sondern nur noch lau ist?
Hat nicht das (theologische wie auch das nationale) Votum für den Staat Israel in Deutschland etwas mit der Erleichterung darüber zu tun, daß jetzt die Juden auch nicht mehr anders sind? Findet Hermann Cohens Bemerkung über die Zionisten nicht erst seine wirkliche Erfüllung in diesem Votum („die Schufte wollen genießen“)?
Es gibt heute Dinge, die sowohl unmöglich als auch notwendig sind, und es sind offensichtlich die wichtigsten Dinge. Die Sätze der Bergpredigt werden dadurch nicht widerlegt, daß sie nicht mehr „anwendbar“ sind.
Staatsanwalt: Liegt einer der Unterschiede zwischen England und Deutschland nicht darin, daß, während in England die Staatskirche durch die Königin repräsentiert wird, sie in Deutschland von allen verinnerlicht wurde.
Hegels Weltgericht ist die Rache des Objekts, die dann seine Philosophie ebenso ereilte wie die Substanz, von der sie lebt.
Ich habe getan, ich bin gewesen: In welchen Fällen wird das Perfekt mit haben und in welchen Fällen mit sein ausgedrückt? Ist das Sein substantiell, das Haben akzidentiell? Das Tun qualifiziert das Subjekt, es wird substantiell durch Dauer: als Beruf, als Nationalität, als Bekenntnis, aber auch im Falle des „Mörders“.
Ich bin, ich habe, ich werde, ich wurde, ich würde, ich möchte. Du sollst.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind Formen der Selbsterpressung des Denkens.
Der Raum (oder die subjektiven Formen der Anschauung) legitimiert den Blick von außen; er gründet in der Übermacht des Gerichts über die Barmherzigkeit, des Hinterhalts und der Gemeinheit über den offenen Konflikt, der Niedertracht über die Ohnmacht. Verkörpert nicht die Mechanik den Blick von hinten, die Gravitationstheorie den Blick von unten und die Elektrodynamik den Seitenblick?
Das Schreien der Steine: In Lk 1940 (im Zusammenhang mit dem Einzug in Jerusalem) zitiert Jesus Hab 211 („Ja, der Stein in der Mauer schreit, und der Balken im Holzwerk antwortet ihm. Wehe dem, der eine Stadt auf Blut baut …“).
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