Zur Kritik der Ästhetik: Der Begriff der Wahrheit wird unbestimmbar, wenn er nicht die Schuldreflexion in sich mit aufnimmt, die die subjektiven Formen der Anschauung gerade ausblenden. Das Bilderverbot trifft auf deren subjektives Korrelat: das Anschauen. Im Kontext der Schuldreflexion wird die Vorstellung einer „überzeitlichen Wahrheit“ gegenstandslos (während im Kontext einer „überzeitlichen Wahrheit“ Schuld zu einer dinglichen Eigenschaft wird und das moralische Urteil zum logischen Grund des Rassismus); Schuldreflexion unterläuft das Schuldurteil; sie macht die Wahrheit konkret: prophetisch, messianisch und am Ende parakletisch, sie bindet die Wahrheit an ihren Zeitkern: die Gegenwart.
Die prophetische, messianische und parakletische Stufenfolge der Wahrheit ist der Realgrund des trinitarischen Symbols.
Wenn der Heilige Geist die Barmherzigkeit verkörpert (die rechte Seite), ist dann nicht die Trinitätslehre insgesamt die Verkörperung dessen, was mit der Bildung der Raumvorstellung, mit der Ausbildung der subjektiven Formen der Anschauung (mit denen der ästhetische Grund des Mythos erkenntnisbestimmend wird), verdrängt wird?
„Getünchte Gräber“: Ist das nicht die genaueste Beschreibung des gegenwärtigen Weltzustandes („leer, gereinigt und geschmückt“)?
Glaube, Hoffnung und Liebe: Die Geschichte der Privatisierung der drei theologischen Tugenden ist die Geschichte eines Verrottungsprozesses. So wurde
– der Glaube zum privaten Glauben an Gott durch seine Trennung vom prophetischen (und d.h. öffentlichen und politischen) Vertrauen in die göttlichen Verheißungen,
– die Hoffnung zur privaten Hoffnung aufs eigene Seelenheil durch Trennung von der messianischen Idee einer Realisierung, die auch die Welt mit ergreift, sie verändert und umwandelt,
– die Liebe zum folgenlosen Gefühl durch Trennung von ihrem Barmherzigkeitsgrund: durch Trennung von der parakletischen Herrschaftskritik.
War nicht die Gnosis die Geburtsstunde des Christentums, und die Dogmenbildung die Entfaltung der Gnosis bei gleichzeitiger Verdrängung des Bewußtseins, Gnosis zu sein?
Gründete das eliminatorische Element im Antisemitismus nicht in dem Prinzip der Selbstabsolution der Verurteilung des Andern? So war dessen (moralische und physische) Vernichtung die eigene Befreiung.
Diese Selbstabsolution durch Verurteilung wird instrumentalisiert und generalisiert durch die „subjektiven Formen der Anschauung“ (in denen auch die Bekenntnislogik gründet: deshalb war der „Weltanschauungskrieg“ der Nazis gegen die Sowjetunion, der von den Kirchen unterstützt wurde, ein Vernichtungskrieg). Die Gemeinschaft der Anschauenden ist die Gemeinschaft der Verurteilenden. Sie wird legitimiert durch den Weltbegriff. Dieser Konstellation liegt die Levinassche Asymmetrie und ihre Logik zugrunde (der Satz von Rind und Esel: das Verbot, Joch und Last in eins zu setzen). Die Selbstabsolution durch Verurteilung ist die genaue Umkehrung der Levinasschen Asymmetrie: Sie macht die Last, von der nur sich befreit, wer sie auf sich nimmt, zum Joch für andere.
Ist nicht die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, die Unfähigkeit, die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern zu begreifen?
Die Unterscheidung von Rechts und Links wurde in der biblischen Tradition als Unterscheidung von Gericht und Barmherzigkeit begriffen. Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, gründet in der Unfähigkeit, die Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken auch auf andere zu übertragen. Und ist Gott am Ende nicht reines Angesicht, ohne ein Hinter dem Rücken (der Himmel hat keine Grenze, die der Raum „nach oben“ überschreiten könnte)?
Gotteserkenntnis ist eins mit der Heiligung Seines Namens.
Theologie
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06.09.1996
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05.09.1996
Hat die Geschichte des Salomonischen Urteils (die Schlichtung des Streits der beiden Frauen) etwas mit der Teilung Israels zu tun: Wer ist die wahre Mutter? Urteil und Schrecken: Hegel hat einmal von sich gesagt, er sei „dazu verdammt, ein Philosoph zu sein“. Ist nicht der Name der Kultur, wenn er das Ensemble aller Produkte bezeichnet, die von „berühmten Leuten“ hervorgebracht worden sind, nicht eine der infamsten Invektiven gegen den Geist? Bezieht sich nicht die Fähigkeit „Rechts und Links zu unterscheiden“ (Jona 411) auf die Fähigkeit, das Urteil von der Reflexion und Auflösung des Schreckens (das Weltgericht vom Jüngstem Gericht: vom Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht) zu unterscheiden: bezieht sie sich nicht z.B. auf Hegel (vgl. Jak 213 und 520)? Wem Gott ein Amt gibt, …: Mit dem heute sich ausbreitenden diffamierenden Gebrauch des Adjektivs „selbsternannt“ rächt sich das Kollektiv der Fachidioten, die ihren Verstand aus ihrem Amt begründen (und deren Gott immer schon der Staat war), an denen, die ihr demokratisches Privileg, selber zu denken, nicht aufgeben möchten.
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03.09.1996
Ursprung des Dingbegriffs: Jede Verdinglichung ist ein Versuch, durch Verurteilung den Schrecken von sich abzuhalten, ihn aus dem Blickfeld zu verbannen, den Schrecken zu verdrängen. Ist die Weisheit wirklich der Erstling der Schöpfung; war das Erste nicht der Himmel und die Erde? Aber die Erde war „wüst und leer“ und „Finsternis über dem Abgrund“ (dem „Abgrund“ des Himmels?). Erst dann kommt der Geist, „brütend über den Wassern“. Zur Ontologie und zur modernen Perfektbildung: Ist das Sein ein depersonalisiertes Haben, ein Reflex der durch den Staat begründeten Eigentumsordnung? Entspringt die Ontologie im Prozeß der Verdrängung der politischen Reflexion (in der Theologie hinter dem Rücken Gottes)? Im Griechischen trennen sich „Hilfsverben“ erstmals im Konjunktiv und Optativ des Perfekt von den Suffixbildungen und dringen ins Konjugationsystem ein, im Lateinischen in den Passivbildungen des Perfekts (zusammen mit der Bildung des Supinum). Erst in den modernen Sprachen breiten sie sich über das gesamte Perfekt (einschließlich des Plusquamperfekt und des Futur II) und über das Futur aus, am Ende auch über die Formen des Konjunktivs (beachte die Doppelbedeutung des Futur II).
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01.09.1996
Viel Steine gab’s und wenig Brot (der Kapitalismus, das Inertialsystem und die Wüste). Kapitalismus und Sprache: Luther und das to be (das englische to be ist der genaueste Ausdruck des vom Tauschprinzip begründeten und durchdrungenen Empirismus und der Keim der Bekenntnislogik). Hamlets „to be or not to be“ ist nicht identisch mit Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, die antisemitisch und eliminatorisch ist. Die Kirche oder das Experiment Petrus. Zur Beichte gehört das (befreiende) Sündenbekenntnis, zum Strafrecht das (urteils- und strafbegründende) Schuldbekenntnis. Zum Christentum gehört die Lehre von der Erbsünde, zum Rassismus die von der eliminatorischen Erbschuld. Bezeichnet der babylonische Turm den Ursprung der „indoeuropäischen“ Sprache (die „Hethiter“ und die Achämeniden)? Die antike Gestalt der Technik war sprachbezogen, ihr Ursprungsparadigma das Neutrum, das die Sprache dem Namen entfremdet und in ein technisches Konstrukt umgeformt hat: Deshalb beginnt die Geschichte vom Sündenfall mit der Schlange (dem ersten Symbol des Neutrums; das zweite war der Turm von Babel, der die Welt in den Blick der Sprache rückte und dadurch die Sprache verwirrte).
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31.08.1996
Sprachlogik: Die griechische Sprache hat links und rechts vertauscht (und die Barmherzigkeit verdrängt), die lateinische oben und unten (den Namen gegenstanslos gemacht), die deutsche vorn und hinten (das Angesicht durchs Inertialsystem ersetzt). Die griechische Sprache begründet den Dogmatisierungsprozeß (die Politisierung der Religion), die lateinische die Instrumentalisierung des Dogmas (die Privatisierung der Religion), die deutsche die Bekenntnislogik als Rechtfertigungslogik (der verdorrte Feigenbaum).
Die Orthogonalität (das Korrelat der Projektion in der Mathematik, das im Inertialsystem als Schuldverschubsystem sich konstituiert) neutralisiert die Qualitäten der Richtungen im Raum; sie begründet eine Logik, die die Zivilisation mit der gleichen Barbarei (und ihren modernen Ableitungen und Denominationen) verbindet, die sie mit dem Instrumentarium des Schuldverschubsystems (der Verurteilung, der Verdinglichung, der Feindbildlogik und des Rassismus) zugleich nach draußen projiziert.
Die Orthogonalität (die Norm) begründet das Maß als Maß für andere: sie macht die Last zum Joch.
Die griechische Sprache ist die Sprache des Nomens und der (Winkel-)Geometrie (wobei die orthos-begründende, den Namen in den Begriff transformierende Abstraktion projektiv abgeleitet wurde im Namen der Barbaren); die lateinische Sprache ist die des Rechts (und der Kreuzigung Jesu); die deutsche Sprache (die durchs Christentum nur „bekehrt“ wurde und auf ihre Umkehr noch wartet) ist die Substantivs: des Rechtfertigungszwangs, der Bekenntnislogik und des Inertialsystems (mit der dreifachen Abfuhr in den Namen der Fremden, der Wilden und der Juden). Die christliche Unterscheidung der Heiden von den Völkern ist biblisch nicht zu begründen.
Der eliminatorische Antisemitismus ist ein Produkt der Bekenntnislogik.
Wenn Buber die Namen der Armen, der Fremden und der Barmherzigkeit beschweigt und zugleich Mizrajim mit Ägypten übersetzt, waren das nicht Kompromißbildungen, die an eine herrschaftstheologische Tradition im Christentum erinnern, die die Theologie von ihrer prophetischen Wurzeln getrennt hat? In den gleichen Zusammenhang gehört die Bubersche Zuordnung der Bücher Josue und Richter, sowie Samuel und Könige zu den historischen anstatt zu den prophetischen Büchern.
Ein beschnittenes Christentum (das sich dann gern auf Buber beruft) ist noch nicht jüdisch (allerdings auch nicht mehr christlich).
Es geht nicht um die „Konservierung des Entsetzens“, sondern darum, den Schrecken an sich heranzulassen, es geht um die Fähigkeit, den Schrecken zu reflektieren anstatt sich dem Kollektiv derer anzuschließen, die, indem sie das Entsetzliche bloß verurteilen, den Schrecken verdrängen und damit den Boden für seine Wiederkehr bereiten.
Ist das nicht auch ein Teil der Eucharistie-Tradition, daß in dem Brot sein Schmerz und in dem Wein sein Tod erinnert werden?
Joseph und Moses (und vor ihnen auch Sara) waren am Hofe (im Hause) Pharaos, Daniel und seine Genossen am Hofe des babylonischen Herrschers, Esther am Hofe des Ahaschweros. Der Pharao bedrohte das Volk Israel, der Herrscher Babylons Daniel und seine Genossen, und Haman (am Hofe des Ahaschweros) das jüdische Volk.
Ist nicht Hegels Weltgeist der ins Fleisch übersetzte Geist?
Die RAF war ein schrecklicher Irrtum; aber war dieser Irrtum in einem Land, das seine eigene schreckliche Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet hat, nicht hoch determiniert?
Hätte ein „Heide“ den Stern der Erlösung geschrieben, er wäre, weil er die Umkehr nicht kennt, in der Vorwelt stecken geblieben. Und hätte er nicht Heidegger geheißen? Wenn ein Christ den Stern der Erlösung schreiben würde, so würde es ein apokalyptisches Buch. Den Stern ins Christliche übersetzen: Das wäre der Hahnenschrei.
Levinas‘ Satz, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, trennt die Theologie vom Fundamentalismus, ohne sie zu verraten.
Vor der ersten Brotvermehrung hatte Jesus Mitleid mit dem Volk, bei der zweiten erbarmte er sich des Volkes (Mt 1414 und 1532). Beim Tod des Lazarus war er erschüttert (Joh 133ff).
Im Körper der Sprache ist die Barmherzigkeit die Gebärmutter, sind die Juden der Augapfel.
Das Lamm löst die Erstgeburt des Esels aus, die Taube die der Armen. Das Lamm ist das Symbol des Gottesknechts, die Taube das des Heiligen Geistes.
Die Betriebswirtschaftslehre frißt die Nationalökonomie (und den Staat, ohne dessen Ordnung es keine rentabilitätsorientierte Ökonomie gäbe). Das hat die Bahn freigemacht für den Globalisierungsprozeß, der eigentlich ein Prozeß der Verwüstung ist. Ist der real existierende Sozialismus nicht an der Übermacht der betriebswirtschaftlichen Gesetze (der Rentabilitätsgesetze) gescheitert? Der Neoliberalismus ist der genaueste Ausdruck für die wachsende Ohnmacht der Nationalökonomie und für die fortschreitende Verrottung des Staates. -
24.08.1996
Der postdogmatische Charakter der lateinischen Sprache gründet in ihrer instrumentalisierenden Sprachlogik. Die lateinische Sprache ist die Sprache des Römischen Imperiums, dessen Herrschaftslogik sie widerspiegelt. Hegel hat schon die römische Religion als Religion der Zweckmäßigkeit bezeichnet (vgl. Philosophie der Weltgeschichte, Dritter Band: Die griechische und die römische Welt, Meiner 1944, S. 677); dieser Charakter hat sich im lateinischen Christentum erhalten. Ist das Futur II eine lateinische Erfindung, oder findet es sich schon im Griechischen (mit Hilfsverb-Konstruktion, in Anlehnung an den Perfekt Konjunktiv/Optativ)? Perpetuum mobile: Der eliminatorische Charakter des deutschen Antisemitismus gründet in einem Mechanismus, der darauf hinausläuft, daß man die Opfer für das bestraft, was sie den Tätern antun, wenn sie sie zwingen, sie zu verfolgen und zu töten. Und strafen kann sie man nur, wenn man sie, bevor man sie tötet, quält und demütigt. Dieser Mechanismus, dessen naturwüchsige Form der Antisemitismus ist, wurde in der Folter zu einem technischen Verfahren, zu dem eine spezielle Ausbildung und Konditionierung der Folterer gehört, instrumentalisiert. Steht nicht die Frage Heideggers: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts, unter dem Bann des theologischen Konstrukts der creatio mundi ex nihilo? Hat Heidegger damit nicht den Abgrund eröffnet, der hinter diesem Konstrukt sich auftut, den Abgrund nicht zuletzt einer Politik, die den Problemen, die sich ihr stellen, nicht mehr gewachsen ist, und deshalb den Verdrängungsraum des nihil eröffnet? Einer Wirtschaftspolitik, für die Arbeit nur ein Kostenfaktor ist, werden die Arbeitenden zum nihil. Steckt nicht in der Diskriminierung der Slawen, die Erinnerung an die Sklaven, die in ihrem Namen mit enthalten ist? Und sind die Sklaven nicht das logische Verbindungsstück zwischen Arbeitern und den unterworfenen, zur Sklaverei gezwungenen Fremden? Für die (antisemitische) Logik des Es waren die Slawen, der Bolschewismus und das Judentum eine einzige graue Masse, in der sich nichts mehr unterscheiden ließ. Ist es wirklich reiner Zufall, daß gleichzeitig im naturwissenschaftlichen Begriff der Masse die Akzente sich verschoben haben, in Richtung der Zerstörungskräfte, die der Masse innewohnen (und deren Beherrschung zum Testfall der gesellschaftlichen Naturbeherrschung geworden ist)? Sklaven und Arbeiter: Fremdarbeiter und Gastarbeiter erinnern an den Ursprung der Arbeit in der Sklaverei; Kriegsgefangene und Angehörige unterworfener Völker waren (als Sklaven) die ersten Arbeiter, die durch ihre Tätigkeit im Dienst fremder Herren sich definierten. Nur die Herren verstanden sich als Menschen, während die Sklaven, die nicht über sich selbst verfügen konnten, der Natur zugerechnet wurden, die sie bearbeiteten; Menschsein war (ebenso wie eine ökonomische) auch eine nationale Kategorie. Die wirre Ausländer-Diskussion (das „Das kann doch nicht wahr sein“, mit dem einer seine Wahrnehmung kommentierte, daß man „fast keine Deutschen mehr“ sieht) gründet in dieser Unterscheidung von Mensch und Sklave, die der Unterscheidung von Deutschen und Ausländern zugrunde liegt. Der Wahrheitsbegriff, der in dem „Das kann doch nicht wahr sein“ zitiert wird, ist der der „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“; in seinen identitätstiftenden logischen Grundlagen steckt real ein nationalistisches Element (deshalb war die Logik so wirksam, wonach nur Deutsche Menschen und zur Weltherrschaft berufen waren; Juden waren keine Menschen). Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, entfaltet heute seine unheilvolle Logik: In der positivistischen Beharrung auf der intentio recta steckt die ganze Herrschaftsmaschinerie, die Ausblendung der Arbeiter, der Haß auf die Fremden und die Verachtung der Ausländer. Im Kern dieser Logik, sie gleichsam stabilisierend, steckt ihr ästhetischer Grund, stecken die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere die Raumvorstellung. Ist nicht der Name des Gottesknechts der Kern der Nachfolgelogik? Und müßte die Xenophobie nicht eigentlich Gastfeindschaft heißen (die Bekenntnislogik hat der Gastfreundschaft den Boden entzogen)? Habermas braucht die Theologie nicht mehr: die Naturwissenschaften liefern ihm einen entsühnten Weltbegriff ohne den Umweg der Opfertheologie. Gehört nicht zur Kritik der Moderne die Reflexion der Geschichte ihres Begriffs? Ist er nicht zuerst im Namen der devotio moderna aufgetreten, und gehort zur devotio moderna nicht die Ersetzung der Nachfolge durch die imitatio (Thomas a Kempis)? Die Vernichtungsphantasien, die die Bilder der Masse auslösen, sind das Produkt einer projektiven Verschiebung des Bewußtseins der Ich-Vernichtung, der Selbst-Aufgabe, die das „Aufgehen in der Masse“ impliziert. Darin gründet die Brisanz, das – weiß Gott – nicht Ungefährliche des Slogans „Wir sind das Volk“. Wer sich selbst als Volk, und d.h. als Teil einer Schicksalsgemeinschaft begreift, ist auf dem Sprunge, zum Schicksal für andere zu werden. Die Nazis haben den Judenmord als präventive Notwehr verstanden. Die Katstrophe wird absehbar, wenn es zu der Logik, die den Faschismus beherrschte, keine Alternative mehr geben wird: wenn die Theologie aufgibt. Wenn der Atheismus siegt, und es gibt auch einen Atheismus in der Theologie, hat Hitler gesiegt. Es gibt eine Situation, in der die Theologie auf den einfachen Satz sich reduziert, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Dem selbstreferentiellen, projektiven und paranoiden Blick der Welt ist dieses Herz verschlossen. In den gleichen Zusammenhang gehört der Satz, daß das Jüngste Gericht nicht das Hegelsche Weltgericht ist, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Hegels Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen“, ist der Schlüssel für diesen ganzen Bereich. Das Andere ist das Andere für mich (und für alle Anderen); die Logik des Andersseins ist die Logik des Reichs der Erscheinungen, das beherrscht wird von den Totalitätsbegriffen Natur und Welt. Die Differenz zwischen den Kosmogonien und den Kosmologien, die die Grenzscheide markiert zwischen Mythos und Philosophie, kehrt in den Kosmologien, im Bereich der Philosophie, wieder als Differenz von Natur und Welt. Alle Naturbegriffe sind durch den Weltbegriff domestizierte kosmogonische Begriffe, während alle Weltbegriffe im Naturbegriff reflektierte kosmologische Begriffe sind. Alle Weltentstehungslehren sind Mythologien, nicht zuletzt auch die Theorie vom Urknall, die die aus dem Entropiebegriff entwickelten Endtheorien in eine Anfangstheorie umgekehrt hat.
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23.08.1996
Das Urteil, indem es „über“ das Objekt ergeht, konstituiert das Objekt (so wie das Urteil des Gerichts durch die Macht zu strafen Realität gewinnt).
Der Wunsch, es möge mit dem Schicksal ein Ende haben, schließt das Ende der Schicksalsgemeinschaft mit ein: der Name des Volks verliert seine raison d’etre.
Die ägyptischen Plagen treffen auch Tiere; gilt das auch für die Plagen der Apokalypse?
Sind nicht die Evangelien der strikte Gegensatz der als „Rede von Gott“ sich verstehenden Theologie (der monologischen Verkündigung)? Schließt das Evangelium nicht in allen seinen Teilen ein dialogisches Element mit ein?
Unser Lehrer in der Grundschule hat uns – nach einem Besuch Hitlers und seiner Teilnahme an einem Vorbeimarsch vor Hitler -am folgenden Morgen erzählt, jeder, der an diesem Vorbeimarsch teilgenommen hat, habe das Gefühl gehabt, daß Hitler ihn persönlich angeschaut habe. Als Kind habe ich diese Geschichte nicht begriffen, sie ist mir als Rätsel in Erinnerung geblieben. Ist diese merkwürdige Erfahrung nicht in der transzendentallogischen Struktur des Vorgangs vorgebildet, durch diese Struktur determiniert? Jeder fühlte sich als Objekt der Anschauung; und Hitler war das Subjekt dieser Anschauung.
Ließe sich der Faschismus nicht insgesamt so definieren, nämlich als Versuch, die subjektive Form der Anschauung, die Abstraktion, die darin sich verkörpert, zur Norm der Politik zu machen? Dieser Versuch war apriori antisemitisch; die „Endlösung“ sollte die Abstraktion, die in den Formen der Anschauung sich verkörpert, in die Realität überführen. Die Juden waren das stellvertretende Opfer für das, was die Nazis sich selbst antun mußten.
Hat nicht dieses Novum, daß Politik die subjektiven Formen der Anschauung zur Norm macht, den Faschismus überlebt, nur daß es zu dieser subjektiven Form der Anschauung kein Subjekt mehr gibt, die Welt zum Objekt der Sachzwänge geworden ist, die sie beherrschen? Erfüllt dieser Zustand nicht präzise die Definition der Finsternis?
Dieser Vorgang wäre anhand der Geschichte der Rezeption Einsteins, der Rezeption der speziellen Relativitätstheorie, an der er sich demonstrieren läßt, zu begreifen.
Zu den inneren Folgen der speziellen Relativitätstheorie gehört es, daß sie – ähnlich wie zuvor die kantische Antinomienlehre -die Vorstellung des Raumes in einer Weise verrätselt hat, die das Problem einer Lösung näher bringt.
Unterscheidet sich nicht Sabbatai Zwi von Jesus durch die unterschiedliche Gestalt, in der sie den Tikkun vollzogen haben: Sabbatai Zwi ist zum Islam übergetreten, Jesus hat den Tod am Kreuz erlitten (und ist „zur Hölle abgestiegen“)?
Hat der „Abstieg zur Hölle“ etwas mit der Einsicht zu tun, daß die Verurteilung den Schrecken nicht löst? In den Schrecken hinabsteigen, heißt das nicht auch, den Bann des Inertialsystems lösen, das ein Reich der Erscheinungen begründet, zu dessen Konstituentien die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, der Gebrauch der Todesgewalt als Erkenntnismittel, gehört?
Habermas‘ Kapitulation vor dem für ihn nicht mehr reflexionsfähigen Naturbegriff war der Anfang einer Kommunikationstheorie, die die Herrschaftskritik durch das Konstrukt des „herrschaftsfreien Dialogs“, den es nicht gibt, ersetzte.
Rechtfertigt nicht der „herrschaftsfreie Diskurs“ auch die RAF-Prozesse, die nur noch auf Herrschaftssicherung abzielen und alles, was zur Erkenntnis der Ursprünge der RAF beitragen könnte, jeden Versuch, auch im Falle der RAF in die Angeklagten sich hineinzuversetzen, apriori abblocken? Gibt es einen „herrschaftsfreien Diskurs“ ohne den Zwang, ihn zugleich durch Feindbild- und Frontdenken abzusichern?
Die bloße Verurteilung des Faschismus ist post festum leicht und billig zu haben; aber rückt sie nicht zugleich alle Formen der Herrschaftskritik, die in diesem Kontext sich verwirren, ins Irrationale? Auch die RAF, die Herrschaftskritik glaubte durch terroristische Gewalt ersetzen zu können, war eine Gestalt dieser nun wirklich entsetzlichen Verwirrung.
Hat nicht der Historikerstreit nur scheinbar die Fronten geklärt, oder hat er sie nicht auf eine Weise geklärt, die sie vielmehr endgültig verwirrt haben? Hat er nicht alle, die versuchen, in den Faschismus sich hineinzuversetzen, zu Häretikern erklärt, die das Dogma der Verurteilung nicht teilen?
Wer heute das Gefühl hat, die möglichen Gesprächspartner sind tot und nur als Autoren von Büchern noch präsent, macht der nicht die Erfahrung, was es mit dem „Abstieg zur Hölle“ auf sich hat?
Ist nicht das Fernsehen ein Hinweis darauf, welche universalen Formen der Gewalt zitiert werden müssen, um das Gedächtnis der Toten zu verdrängen?
Waren es nicht die Theologen, die, als sie Hegels „Weltgericht“ als eine Bestätigung der theologischen Idee des Jüngsten Gerichts ansahen, rechts und links nicht mehr unterscheiden konnten? Das Jüngste Gericht, wenn es das einmal geben wird, wird das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht sein. Und steckt nicht genau hierin die Lösung der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links?
Kann es sein, daß, wer Gräber schmückt und Blumen auf ein Grab pflanzt, sicherstellen will, daß der Ruf der Auferweckung bei den Toten nicht mehr ankommen wird? Geht er nicht davon aus, daß dieser Ruf, durch die Blume gesprochen, die Toten nicht mehr erreicht?
Sind die Evangelien (was sie offensichtlich sogar für Theodor Haecker waren) eigentlich wirklich antisemitisch? Ist es nicht vielmehr so, daß man die scheinbar „antisemitischen Stellen“ erst dann wirklich begreift, wenn man den historischen Kontext (und die Ereignisse, die Flavius Josephus beschreibt) hinzunimmt? Und haben wir dann nicht viel mehr Grund, in diesem historischen Kontext die Gegenwart und in diesen „Juden“ uns selbst wiederzuerkennen: die christlichen Politiker in den Sadduzäern, die Kirchen und die Theologen in den Pharisäern, die gesamte Linke, bis hin zur RAF, in den Zeloten? Ist nicht vielmehr die Frage des Historismus: „wie es denn wirklich gewesen ist“, die das „Was“ von den eigenen Rechtfertigungszwängen sich vorgeben läßt, damit aber die Erinnerung an die Gegenwart ausblendet, antisemitisch?
Werden die Evangelien nicht in der Tat durchsichtiger, verständlicher, wenn man auf den Hintergrund, in dessen Anblick sie geschrieben worden sind, bezieht: auf den Jüdischen Krieg und die Zerstörung Jerusalems? Verweisen nicht schon die apokalyptischen Reden und die Getsemane-Geschichte hierauf, und wird das nicht direkt benannt, als Jesus bei Lukas auf dem Weg zur Kreuzigung die Frauen aus Jerusalem anspricht: „Ihr Töchter Jerusalems, weint nicht über mich, weint vielmehr über euch und eure Kinder“ (2328)? -
22.08.1996
Enthält der Ausdruck „durch die Blume sprechen“ nicht einen Hinweis auf die Sprache der Pflanzen (und des Unbewußten, des Es)? In welcher Beziehung stehen Gärten (der Garten des Paradieses eingeschlossen) zum Unbewußten? Ist nicht der Garten eine Verkörperung des Metaphorischen (während Tiere das Symbolische verkörpern), und ist der Islam, der das Paradies, mit Quellen, Bäumen und Blumen, ans Ende setzt, ein Opfer der Metaphorik? Sind Metaphern objekt- und naturbezogen, Symbole begriffs- und weltbezogen (und wurde das Opfer Kains deshalb nicht angenommen, das Opfer Abels dagegen doch)? Der Vorwurf des Selbstmitleids, der auf andere grundsätzlich nicht anwendbar ist, dient vor allem dazu, den Blick des Mitleids zu unterdrücken, dem andern die Schuld zuzuschieben. Der Vorwurf des Selbstmitleids ist ein Instrument der Schuldverschiebung. Er macht den andern zum stellvertretenden Opfer, das das verdrängte eigene Mitleid sühnen soll. Er verstopft die Quelle der Barmherzigkeit. Der an andere adressierte Vorwurf des Selbstmitleids gehört zur Logik der Vergewaltigung wie auch der Folter. Der Schuldvorwurf ist prophylaktisch, er rechtfertigt schon im Voraus die Gewalt, die dem Andern dann angetan wird. Indikativ und Imperativ: Auch das imperativische Gesetz steht im Indikativ, als Ausdruck des Seins, dem jeder gehorchen muß, und zwar unabhängig davon, ob es einsichtig und vernünftig ist oder nicht. Zur Legitimation des Gesetzes genügt der Hinweis auf die Macht, die in ihm sich ausdrückt. Der Imperativ der Lehre dagegen gründet in ihrer vollständigen Durchsichtigkeit, der Indikativ der Lehre ist der Ausdruck dieser Durchsichtigkeit, in der ich mich selbst wiedererkenne. Das Dogma verschiebt den imperativen Charakter der Theologie vom Inhalt auf die Form; es trennt den Gehorsam als Glaubensgehorsam vom Hören und vom Tun. Das Dogma war das Instrument der Rehabilitierung der Väter. Wenn die Fähigkeit, sich in den Angeklagten hineinzuversetzen, verdrängt wird und schwindet, wird das Recht zum organisierten Rachetrieb. Das Institut der Strafe verweist darauf, daß es im Recht nicht um die Opfer geht, sondern um die Legitimierung des Rachetriebs. Das „gesunde Rechtsempfinden“ der Nazis hat aus der Abfuhr des Rachetriebs einen hygienischen Akt gemacht (und wie es scheint, ist er das im Verständnis der Deutschen geblieben). Der Staat befriedigt gleichsam stellvertretend den Rachetrieb und die Mordlust seiner Bürger (deshalb waren Hinrichtungen im Mittelalter öffentlich), und er entsühnt ihn zugleich, indem er die Schuld daran auf sich nimmt. Vor diesem Hintergrund wird der deutsche Titel für denm öffentlichen Ankläger, der Titel des Staatsanwalts (der in der Anklage den Staat verteidigt) verständlich. Die Strafe, die an anderen verfolgt, was der zivilisierte Mensch sich selbst verbieten muß, hat ihr Maß an der Gewalt, die diese Verdrängungsleistung erfordert. Was in den Knästen sich zuträgt, nimmt man ebenso nicht wahr, wie man den Blick ins eigene Unbewußtsein sich verbietet. Auch die Gefangenen in den Knästen leiden stellvertretend, und ihr Leiden wird durchaus als entsühnend (allerdings nicht als befreiend) erfahren: Draußen sind die 99 Gerechten, die den Gefangenen, wenn sie sich herausnehmen, ihr Leiden auch zu äußern, Selbstmitleid vorwerfen. Das theologische Konstrukt des stellvertretenden Sühneleidens hat die Erlösten zu Komplizen der Täter (und das Christentum zu einer Religion des Herrendenkens) gemacht. Deshalb wurden die Juden als „Gottesmörder“ verfolgt: Es gibt kein stellvertretendes Sühneleiden ohne Wiederholungszwang.
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19.08.1996
19.08.1996
kabod: die „Herrlichkeit“ (Gottes), die Buber gelegentlich mit „Wucht“ übersetzt, hängt der Wortbedeutung nach mit der Schwere (dem Belastenden, der Last?) zusammen. Steckt darin nicht ein Hinweis auf den Satz vom Rind und Esel, die nicht zusammen vor einen Pflug gespannt werden sollen: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr? Du sollst die Herrlichkeit Gottes nicht zum Joch (zur Last für andere) machen, die Attribute Gottes (die Elemente seiner Herrlichkeit) stehen im Imperativ, nicht im Indikativ. – Wer ist der Dominus Deus Sabaoth?
Wenn der Stier, das Rind, (und mit ihm das Tieropfer überhaupt) in der christlichen Symbolik entfällt, hängt das nicht damit zusammen, daß, wäre das Christentum realisiert, es kein Joch (keine Aufbürdung der Last auf andere) mehr geben dürfte? Aber sind nicht das Inertialsystem, die Geldwirtschaft und die Bekenntnislogik (die Verkörperungen der transzendentalen Ästhetik, die den kantischen Totalitätsbegriffen zugrunde liegen) Reflexionsformen des Selbsterhaltungsprinzips und Formen der Entlastung durch Schuldverschiebung? Hat der Naturbegriff das Symbol des Rindes absorbiert, aus dem Blickfeld gerückt?
Hängen die Hörner der apokalyptischen Tiere (die Attribute, durch die der Drache und das Tier aus dem Meere sich unterscheiden) mit dem Joch zusammen?
– Der Drache hat sieben Köpfe und zehn Kronen, und auf seinen Köpfen sieben Kronen (Off 123),
– das Tier aus dem Meere hatte zehn Hörner und sieben Köpfe und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Köpfen gotteslästerliche Namen (ebd. 131), während
– das Tier vom Lande (der falsche Prophet) zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie ein Drache (1311).
Machen wir heute nicht zu leichtfertig unseren Geschmack (anstelle des Worts) zu einem Kriterium unseres Religionsverständnisses, in dem „Gott“ dann nur noch als ein dekoratives Element vorkommt? Hier bleibt eigentlich nur noch übrig, allen Theologen die Lektüre der Kritik der Urteilskraft (insbesondere die logische Ableitung des Geschmacks) ans Herz zu legen. -
18.08.1996
Natur ist ein Exkulpationsbegriff, der von der „Last“ des richtigen Lebens (der Barmherzigkeit) befreit. Mit dem Begriff der Natur (und hinter seinem Rücken: dem Bewußtsein nur durch Reflexion zugänglich) konstituieren und entfalten sich die im Weltbegriff zusammengefaßten Herrschaftsstrukturen. Deshalb ist die Geschichte der Naturerkenntnis ein Teil der Herrschaftsgeschichte, deren Erkenntnis sie zugleich ausblendet.
Jede historische Gestalt der Naturerkenntnis war ein Mittel der Rechtfertigung des jeweils Bestehenden; mit dessen Änderung veraltet auch die ihm jeweils korrespondierende Gestalt der Naturerkenntnis. Der große Fisch und das Vieh im Buch Jona: sind das Leviatan und Behemot? Mit dem Begriff der Buße wurde das herrschaftskritische Element im Begriff der Umkehr ins Autoritäre zurückgebogen. Symbol und Typos konstituieren sich als Erkenntnisbegriffe nur durch die Kritik von Natur und Welt (durch die Kritik der historisierenden Vergegenständlichung) hindurch. Exemplarisch für diese kritische Beziehung zur Objektivität ist die symbolische Beziehung der Schlange zum Neutrum und die logische Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren. Verhält sich der Stier zum Naturbegriff wie die Schlange zum Neutrum?
Indogermanisches: Die christianisierten Neutrum-Sprachen sind Sprachen im Bauch des Fisches (Jonas bekennt sich, bevor er ins Meer geworfen und vom Fisch verschlungen wird, als Hebräer). Haben die Christen den Namen der Hebräer nicht seit je als eine spezielle Anwendung (und antijüdische Radikalisierung) des Namens der Barbaren mißbraucht? Der Symbolbegriff bezieht sich auf die Natur, der des Typos auf Welt und Geschichte, und zwar beide als Mittel der kritischen Reflexion. Der Bekennende gibt sich zu erkennen, dieses Bekenntnis (dessen Paradigma das Schuldbekenntnis ist: Ausdruck der Wehrlosigkeit) wird durch die Bekenntnislogik ins Gegenteil verkehrt: die Bekenntnislogik macht das Bekenntnis zur Maske, den Bekennenden zur Person: sie macht die Welt zum Subjekt des Bekenntnisses (und wird so zu einem Instrument der Welt- und Objekt-Erkenntnis). Jesus hat die Bekenntnislogik in der Gestalt des Pharisäers zum Objekt der Kritik gemacht. Durch Historisierung der Pharisäer (wie auch der Propheten) hat das Christentum diese Kritik externalisiert und zu einem Instrument des Antijudaismus gemacht. Für die Christen waren die biblischen Pharisäer gleichsam Pharisäer von Natur, ihr Pharisäertum eine Natureigenschaft (hier liegt eine der Wurzeln des Rassismus), die Christen sind durch diese projektive Verschiebung nicht mehr nur zu Pharisäern, sondern zu Rassisten geworden. Die Logik des Satzes „Rich-tet nicht …“ läßt an dieser Konstellation sich demonstrieren; die Bekenntnislogik ist die Logik der Verurteilung. Sind die Wolken der Zeugen die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn kommen wird? Das Herrengebet hat die Christen ins Leere, in die Wüste geschickt: Wie können sie den Namen heiligen, wenn sie ihn nicht kennen? So wurde aus der Heiligung des Gottesnamens das Verbot des Fluchens (das wahr wird, wenn man es moralisch, als Norm des Handelns, und nicht verbal versteht: als Herrschaftskritik und nicht als Verbot der Majestätsbeleidigung, der „Verunglimpfung“ von Herrschaftssymbolen). Jedes Verurteilen ist ein Fluchen; und dieses Fluchen konstituiert die Wege des Irrtums (den bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist). Hat die Erfindung der Schrift etwas mit dem Versuch der Rekonstruktion der Planetenbewegungen zu tun? Und verweist nicht das Planetensystem (wie auch der hebräische Name des Himmels) auf die Beziehung von Schrift und Wort? Am Ende wird sich der Himmel wie eine Buchrolle aufrollen. Die folgenreichste Wirkung der kopernikanischen Wende war, daß sie die Schrift dieses Buches gelöscht hat. Kohelet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Deshalb ist des Bücherschreibens kein Ende. Ist nicht Kants Wort über den Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir der Beweis, daß er mehr wußte als er sagen konnte? Kant = Jona: Die Kritik der reinen Vernunft ist der Bauch des Fisches, die Kritik der praktischen Vernunft das Gebet im Bauch des Fisches, und mit der Kritik der Urteilskraft hat der Fisch Jona an Land gespien (dort aber reichte sein Sprachvermögen nur bis zu dem Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört). Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe. Dazu eine Warnung: Der Messias wird in der gleichen Gestalt wiederkommen, nicht aber der Antichrist. Verhalten sich die hebräischen und die griechischen (indoeuropäischen) Deklinations- und Konjugationsformen zueinander wie die Wasser über und die Wasser unterhalb der Feste des Himmels (wie Name und Begriff, Wort und Schrift)? Ist nicht der Himmel das erste Geschöpf, dazu das einzige, das dann als Name Verwendung findet? Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte: Heißt das, daß, wer Joseph nicht mehr kennt, wie Pharao wird? Wenn der Herr sich als Urheber der Verstockung bekennt, ist das nicht der Herr, den Pharao nicht kennt (und ist das die Ursache der Verstockung)? Auch wenn Gott das Herz des Pharao verhärtet, verstockt Pharao sich selbst. Und ist nicht das Gottsuchen der einzige Weg, der aus der Verstockung herausführt? Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: In der objektivierenden Anschauung des Andern erkenne ich meine eigene Nacktheit. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
Der „eliminatorische Antisemitismus“ war die Einübung ins Herrendenken, das nach dem Krieg (auf der Grundlage der kollektiven Verdrängung und im Prozeß der Metamorphosen des Feindbilds) als ausgesprochen karrierefördend sich erwiesen hat. Auschwitz steckt in den Fundamenten der Nachkriegsgesellschaft (nicht nur in Deutschland), diese Vergangenheit ist nicht nur vergangen.
Adornos Bemerkung, daß heute jeder Katholik schon so schlau sei wie früher nur ein Kardinal, gehört in den gleichen Zusammenhang. Dem Antisemiten (ähnlich wie dem Folterer) beweist jede Lebensäußerung des Opfers (jeder Ausdruck der Qual, die der Folterer ihm zufügt) das Recht und die Notwendigkeit, es zu quälen. Das verleiht dem Antisemitismus (aber auch seinen Nachfolgekonstrukten) eine Beharrungskraft, eine inertiale Gewalt, die inzwischen die gesellschaftliche Bewegung insgesamt durchdringt, sie dem mechanischen Prozeß, mit dessen Logik sie seit ihrem Ursprung aufs engste verbunden ist, endgültig angleicht. Der apagogische Beweis (dessen Analyse noch aussteht) ist der Beweis durch Verdrängung. Und die Vorstellung des unendlichen Raumes, die keine ist (der unendliche Raum läßt sich nicht „vorstellen“), gewinnt ihre Überzeugungskraft und ihre logische Gewalt allein aus den Verdrängungsprozessen, die die Anpassung an die Welt (das Selbsterhaltungsprinzip) heute erzwingt. Hegels Kritik des apagogischen Beweises (Logik I, Ausgabe Meiner 1951, S. 231ff, insbesondere S. 236), die ihn nicht auflöst, sondern instrumentalisiert, ergreift (obwohl sein Text das Gegenteil suggerieren will) die Partei der Welt gegen das Subjekt. Verweisen nicht die Aporien des kopernikanischen Systems, in dem bei gleichmäßiger Verteilung der Materie im Universum nicht sich erklären läßt, – weshalb es nachts dunkel ist und – weshalb die Gravitationskräfte, die sich eigentlich akkumulieren müßten, nicht unendlich und chaotisch sind, auf einen inneren Zusammenhang von Gravitation und Licht, und ist es nicht in der Tat merkwürdig, daß Newton, der das allgemeine Gravitationsgesetz entdeckt hat, auch die Grundlagen für die physikalische Optik gelegt hat, und daß Einsteins Relativitätstheorien durch ihre Beziehung zum Licht und zur Gravitation sich unterscheiden? Ist das Inertialsystem die Feste des Himmels, die im Namen des Himmels die Einheit von Wasser und Feuer repräsentiert, und hat nicht Einsteins spezielle Relativitätstheorie den Zusammenhang beider erstmals notiert: das Wasser im Relativitätsprinzip und das Feuer im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (das konkret nur auf thermische <oder allgemein: mikrophysikalische>, nicht auf makrophysikalische Objekte und Prozesse sich bezieht; die Beziehung der speziellen Relativitätstheorie (des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) zur Planckschen Strahlungsformel ist nicht nur eine zufällige, historische, sondern beide beziehen sich, in unterschiedlicher Perspektive, auf den gleichen logischen und empirischen Sachverhalt: auf die Wechselwirkung kinetischer und elektrodynamischer Prozesse)? Sintflut: War der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“, der die Geschichte der Philosophie eröffnete, die erste Formulierung des Relativitätsprinzips? -
17.08.1996
Autoritätshörigkeit hat ihre Wurzeln im Rechtfertigungszwang: Führer ist, wer die Verantwortung für das, was einer tut, auf sich nimmt, den Handelnden vom Druck der Verantwortung entlastet, wer ihm die Schuld abnimmt. Daß das im Ernst nicht gelingt, läßt am „eliminatorischen Antisemitismus“ sich demonstrieren. (Übernimmt heute, nach der kollektiven Verdrängung des Schreckens und auf der Grundlage dieser Verdrängung <der Verdrängung durch kollektive Verurteilung>, nicht das Recht genau diese Funktion, insbesondere in den Bereichen, in denen es dazu dient, Gemeinheit zu decken: bei der Polizei, in Staatsschutzprozessen und in Knästen?) Instrumentalisiertes Feindbild oder der logische Kern der Verhärtung des Herzens: Ist nicht das durch die transzendentale Ästhetik, durch die subjektiven Formen der Anschauung, vermittelte apriorische Objekt, die Grundlage der transzendentalen Logik, das Produkt einer apriorischen Verurteilung und Verdrängung, ist nicht die transzendentale Logik, die Konstruktion synthetischer Urteile apriori, das (aus der Bekenntnislogik hervorgegangene) Modell des Vorurteils? Wenn Aufmerksamkeit das natürliche Gebet der Seele ist, dann ist der eliminatorische Antisemitismus die reinste Form des Atheismus. Was hat die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos mit den Versuchungen Jesu in der Wüste zu tun? War Hiob der erste, der die Plagen als Versuchungen erfahren hat? Was haben die zehn ägyptischen Plagen, und was hat die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos mit der Ursprungsgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung zu tun? Sollte es nicht ein essentieller Teil der rechtsstaatlichen Grundsätze sein, daß Verwaltungsentscheidungen ebenso wie Gerichtsurteile für die, die davon betroffen sind, verständlich sein müssen? Das aber würde bedeuten, daß fast alle raf-Urteile dieser Forderung nicht genügen. Müßte nicht der Buchtitel „Versuche, die raf zu verstehen“ ein wenig variiert werden: „Versuche, die raf-Prozesse zu verstehen“? Denn auch diesen Versuch scheint die Öffentlichkeit längst aufgegeben zu haben; deshalb nimmt sie sie nicht mehr wahr. Es gibt zwei Begriffe der Reinheit: Der eine würde dem der Reinheit der Lehre entsprechen, der die Umkehr voraussetzt und in der Heiligung des Gottesnamens, der Einigung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, sich erfüllt. Der andere steht unterm Rechtfertigungszwang und agiert ihn aus; dieser Begriff der Reinheit, den man den hygienischen nennen könnte, manifestiert sich in Reinheitszwängen, die von der Ansprechbarkeit durch die Waschmittelreklame über den Begriff der klinischen oder auch chemischen Reinheit bis hin zum eliminatorischen Antisemitismus reichen. Ist nicht der Prozeß der Dogmenentwicklung der Versuch, den ersten Reinheitsbegriff unter den Bedingungen des zweiten zu realisieren? Dieser Begriff der Reinheit der Lehre kommt ohne Antijudaismus, ohne Verurteilung der Häresien und Verfolgung der Ketzer, aber auch ohne Hexenverfolgung nicht aus. Er hat in der Theologie sich etabliert, nachdem an die Stelle des Märtyrers der Confessor trat. Die Bekenntnislogik ist ein Instrument der Abwehr: ein Präventivverfahren gegen Schuldgefühle und Schuldreflexion zugleich. Läßt sich die Geschichte der Theologie im Bann der Bekenntnislogik nicht als die Umkehrung und Radikalisierung der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos begreifen, mit der Taufe als Wiederholung des Untergangs im Schilfmeer als Anfang, über die Tötung der Erstgeburt und die allgemeine Finsternis bis hin zu den Fröschen (den unreinen Geistern) und zur Verwandlung des Wassers in Blut (der Verwandlung, die Taufe blutig an denen vollstreckt, die sich nicht wollen bekehren lassen)? Durch die Bekehrung ist die Umkehr zu einem Instrument der Herrschaft geworden. „Ein Wind weht vom Paradies her“ (Walter Benjamin): Ist das kreisende Flammenschwert ein Ventilator? Die Enden der Erde: Sind das nicht die Pforten der Hölle und des Paradieses zugleich? Zu den Flüssen des Paradieses gehört auch der Euphrat. An dem „großen Strom Euphrat“ – sind auch die vier Engel gebunden, die beim Schall der sechsten Posaune losgebunden werden, um, nachdem sie für die Stunde, den Tag, den Monat und das Jahr sich bereitgemacht hatten, den dritten Teil der Menschheit zu töten (Off 914); – auf den gleichen Strom wird die sechste Zornesschale ausgegossen, da vertrockneten seine Wasser, damit den Königen vom Aufgang der Sonne der Weg bereitet würde. „Und ich sah aus dem Munde des Drachen und aus dem Munde des Tieres und aus dem Munde des falschen Propheten drei unreine Geister wie Frösche <herauskommen>. Sie sind nämlich Dämonengeister, die Zeichen tun, die zu den Königen des ganzen Erdkreises ausziehen, um sie zum Krieg am Tag des allmächtigen Gottes zu versammeln.“ (Off 1612ff)
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16.08.1996
Zum Milgram-Experiment verweist Goldhagen auf eine Studie, die nachweist, daß es in diesem Experiment nicht um Gehorsam, sondern um „Vertrauen“ ging (Hitlers willige Vollstrecker, S. 665, Anm. 19). Heißt das gleiche Vertrauen in der christlichen Tradition nicht „Glaube“?
Gründet die Logik dieses Glaubens nicht in der gleichen Konstellation, zu der auch der individualisierende Akt des Ursprungs des Charakters gehört (vgl. hierzu Rosenzweigs „Stern der Erlösung“), und verweist diese Konstellation nicht auf die Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs? Korrespondiert der Charakter nicht dem Gattungsbegriff im Tierreich und dessen Beziehung zum Weltbegriff, und ist er nicht (wie auch der Glaube) eine der Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt? Gibt es noch andere (wie es scheint, genau bestimmbare und abzählbare) Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt, und ist der Kern dieser Reflexbildungen in den subjektiven Formen der Anschauung verborgen, die durch ihre neutralisierende Gewalt zugleich als Instrument der Verblendung in ihnen sich erweisen? Gründet hierin das Problem der sieben unreinen Geister, von denen Maria Magdalena befreit wurde?
Ist nicht jeder Götzendienst Sternendienst?
Sh. die ungeheure Geschichte im Buch Jonas: Erst das Volk, dann der König, und der König ruft mit dem Volk dann auch das Vieh, „Rinder und Schafe“, zur Buße auf. Rinder und Schafe sind Opfertiere; Esel wurden nicht aufgerufen.
Ist es nicht ein gemeinsamer Hang zum Populismus, der, indem er in vorauseilendem Gehorsam den kollektiven Rechtfertigungszwängen folgt, taz und Publik Forum immer mehr aus ihren kritischen Anfängen heraus- und in immer gefährlichere Zonen hineintreibt? Symbolfigur dieses Trends in Publik Forum ist mittlerweile wohl Eugen Drewermann, der sich seinen Mut an der heute ohnehin ohnmächtigen Kirche beweist, während er zugleich jede wirkliche Herrschaftskritik denunziert.
In den dreißiger Jahren gab es eine Schallplatten-Reklame, die mit einem Bild warb, auf dem ein Hund aufmerksam einer Schallplatte lauscht; dazu der Slogan „die Stimme seines Herrn“. So hat das ganze Volk bei „Führer-Reden“ vorm Lautsprecher gesessen.
Hat der Nationalsozialismus nicht das Instrumentarium gleich mitgeliefert, das den kollektiven Verdrängungsakt am Ende des Kriege ermöglichte? Die Verbrechen der Nazis waren mit ihrer „Weltanschauung“ nicht rational (durch Begründung), sondern nur durch die Bekenntnislogik (durch ein Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) verbunden, die es ermöglichte, die Verbrechen durch den kollektiven Bekenntniswechsel (durch ein anderes Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) gleich mit zu verdrängen. Seitdem hat – bis in die Theologie hinein – das Bewußtsein sich ausgebreitet, daß es auf den Inhalt einer Religion (eines „Bekenntnisses“) garnicht so sehr ankommt, sondern nur darauf, eine zu haben. Die Instrumentalisierung der Bekenntnislogik durch Nazis, die der Kern des „eliminatorischen Antisemitismus“ war, ist offensichtlich nicht mehr rückgängig zu machen.
Naturwissenschaft: Selbstverblendung durch Erkenntnis.
Gründen die drei evangelischen Räte in ihrer Beziehung zu den drei transzendentalen Formen der Logik:
– die Armut in der Beziehung auf die durchs Tauschprinzip (durchs Geld) beherrschte Welt,
– das Hören in der Beziehung auf die durchs Inertialsystem (durch die „subjektiven Formen der Anschauung“) beherrschte Natur und
– die Keuschheit auf die Beziehung zu den durch die Bekenntnislogik von Selbstreflexion und Herrschaftskritik „befreiten“ Formen der Erkenntnis und des Wissens? – Ist die Bekenntnislogik der „Unzuchtsbecher“?
Hat der „Dieb in der Nacht“ etwas mit der Tötung der Erstgeburt, die um Mitternacht erfolgte, zu tun?
Jesus wußte sich zu den verlorenen Kindern Israels gesandt; Paulus hat begriffen, daß die Rettung Israels nur über die Völker (die „Heiden“) möglich ist; die Kirche hat daraus die Verwerfung Israels abgeleitet, anstatt in der Rettung Israels die eigene zu begreifen. Auschwitz ist der Greuel am heiligen Ort.
Die Ängste, die während des Krieges insbesondere in der katholischen Kirche verbreitet waren: Heute die Juden, morgen sind wir dran, waren nur insoweit unbegründet, als sie nach der Niederlage der Nazis ihren Urheber verloren zu haben schienen. Aber hatten sie ihn wirklich verloren, hatte die Kirche, als sie vergaß, daß sie selbst mit zur Ursprungsgeschichte dieser „Urheberschaft“ gehörte, diese nicht schon so sehr verinnerlicht, daß sie für sie nur nicht mehr sichtbar (dafür aber umso gefährlicher geworden) war? Mit dem Verrat der Juden, deren Leiden sie nicht wahrzunehmen fähig war, hat die Kirche sich selbst verraten. Ausdruck dieses Verrats ist nicht zuletzt der Zustand der Theologie heute.
Die Deutschen mögen Hitlers willige Vollstrecker gewesen sein (und sie waren es), aber war Hitler nicht der „willige Vollstrecker“ des Selbstverrats der Kirche? Der Antisemitismus hat kirchliche Wurzeln, Deutschland war nur das Treibhaus, in dem diese Pflanze zu ihrer vollen Pracht sich entfalten konnte.
Kann es sein, daß das Hethitische, in dem das Neutrum durch den Verzicht auf die grammatische Geschlechtertrennung erkauft war, zur Ursprungsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen gehört? Ist der Ursprung des Neutrum durch die sprachliche Verdrängung des Weiblichen vermittelt (das in der Folge dann nur in dritten Person wieder erscheint, während im Hebräischen die Geschlechtertrennung auch in der zweiten Person noch gilt)?
Wenn Hitler in der „Masse“ eine weibliche Komponente erkannte, steckt darin nicht die merkwürdige sprachlogische Beziehung des Feminimum zum Plural im Deutschen? Beim bestimmten Artikel, wo das Femininum zur Grundlage des Plural geworden ist, erscheint im Genitiv und Dativ des femininen Artikels die Nominativform, beim Plural im Genitiv die Nominativ-, im Dativ die Akkusativform (!) des singularen maskulinen Artikels, in beiden Fällen sind Eigentum und Herrschaft sowie das Geben, Gewähren, auf einen männlichen Adressaten bezogen. Es ist davon auszugehen, daß diese sprachlichen Beziehungen nicht zufällig sind, daß es sich nicht nur um äquivoke Beziehungen handelt, sondern (wie auch im „Sein“, das sowohl den Infinitiv des Hilfsverbs wie auch das Possessivpronomen der dritten Person singular bezeichnet) sprachlogische Beziehung, die zu entschlüsseln wäre. Nicht auszuschließen, daß die Ontologisierung einer männlichen Possessivbeziehung im Namen des Seins den Schlüssel hierzu liefert.
Der Rassismus blendet die Herrschaftskritik aus, er erspart sich die Reflexion dadurch, daß er einem sprachgeschichtlichen Sachverhalt einen biologischen substituiert. Die Logik dieser Substitution ist im Weltbegriff vorgebildet, durch den Weltbegriff determiniert. Im Grunde ist jede Sprachforschung, die die Geschichte der Sprache vom herrschaftsgeschichtlichen Prozeß trennt und an die Geschichte von Völkern und Stämmen bindet, immer noch rassistisch.
Hat nicht die lateinische Sprache, und zwar unter einem großen sprachlogischen Zwang, das Evangelium durchs Dogma ersetzt?
Der Satz, daß der Menschensohn Herr des Sabbath ist, hat etwas mit der Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern (die ebenso wie der Sabbath auf das antike moralisch-kosmologische Verständnis des Planetensystems, auf die Astrologie, verweist) zu tun.
Wachet und betet: Ist das nicht die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit? Der Nazi-Slogan „Deutschland erwache“, der eigentlich auf das vollständige Vergessen, auf die Unterdrückung des Eingedenkens, zielte, ist das Produkt einer schrecklichen Verschiebung. Dieses „Deutschland“, das seiner nicht spotten läßt, ist der Kern und der Inbegriff einer pathologischen Empfindlichkeit, der Energielieferant der antisemitischen Wut und Aggression. Im Kern dieses Namens steckt eine, wie es scheint, unheilbare Paranoia.
Mit der Begründung seiner Entscheidung, Jude zu bleiben, hat Franz Rosenwzeig gleichzeitig Vorkehrungen getroffen gegen ein Mißverständnis des Sterns der Erlösung. Er hat jedes missionarische Verständnis dieses Buches im Vorhinein ausgeschlossen, er hat der Proselytenmacherei, aber auch einem etwaigen Wunsch eines Christen, nach der Lektüre dieses Buches zum Judentum zu konvertieren, einen Riegel vorgesetzt, der nicht mehr zu lösen ist. Aber war der Preis dieser Abgrenzung, die Bindung des Jüdischen ans Blut, nicht zu hoch?
Das griechische physis ist männlich, das lateinische natura (wie die daraus abgeleitete Natur) feminin; darin spiegelt sich die unterschiedliche Sprachwurzel, die im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist. kosmos und mundus sind beide männlich, die deutsche Welt ist feminin. Kann es sein (und hängt das hiermit zusammen), daß die Namen der Nationen im Deutschen (wie der Name mizrajim im Hebräischen – heißt deshalb der ägyptische König Pharao?) Kollektivnamen sind, während sie in den alten (und in den anderen europäischen) Sprachen sonst durch ein grammatisches Geschlecht bestimmte individuelle Begriffe sind? Liegt nicht die Schwierigkeit (und der Wendepunkt) darin, daß der logische Status der Namen der Nationen zusammen mit dem mittelalterlichen „Realismus“, der den Begriffen objektive Realität zuerkannte, in der Ursprungsgeschichte des den Nominalismus begründenden Inertialsystems obsolet geworden und untergegangen ist?
Im Deutschen sind die Namen der Nationen Kollektivbegriffe und Totalitätsbegriffe zugleich, die wie die Gattungsnamen durch Gebrauch des (bestimmten oder unbestimmten) Artikels auf die „Exemplare“ der Nation (oder der Gattung) sich beziehen. Sie sind eigentlich hypostasierte Adjektive: sie drücken eine gemeinsame Eigenschaft unterschiedlicher Individuen aus. Nationen stehen wie Gattungen in Konkurrenz zum Weltbegriff …
In welcher Beziehung stehen Nationennamen zu den Abstrakta, zur Hypostasierung von Eigenschaften, die in der Regel mit Suffixen wie -heit oder -keit gebildet werden? Welche sprachlogische Bedeutung haben die Bildungen auf -tum (wie Deutschtum, Judentum, Heidentum, aber auch Reichtum, Eigentum u.ä.)?
Sind nicht das Gerundium, auch das Supinum (die nicht auf Ei-genschaften, sondern auf Tätigkeiten sich beziehen), lateinische Vorläufer dieser Abstrakta? In imperialen Zusammenhang werden die Abstrakta durch ihre Beziehung auf Eigenschaften (die zusammen mit dem Dingbegriff sich konstituieren) gerückt, die die Dinge beherrschbar machen (Zusammenhang mit dem Ursprung des Trägheitsprinzips).
Sind die philosophischen Akzidentien nicht die ersten hypostasierten Adjektive?
Der Unterschied zwischen physis und natura drückt in der Frage sich aus, ob Eigenschaften durch Zeugung oder durch Geburt vererbt werden. (Hat nicht die Trinitätslehre diese beiden Aspekte getrennt: der innertrinitarischen Zeugung ohne Geburt entsprach die homousia, der irdischen Geburt ohne Zeugung die Inkarnation, die Menschlichkeit des Gottessohns. Und wenn Paulus „Römer von Geburt“ war, war er dann nicht Römer „von Natur“, und konnte die Geburt nicht durch eine Adoption ersetzt werden?)
Die Ware, die nur noch Exemplar eines Kollektivs ist, so daß die Exemplare nicht mehr von einander sich unterscheiden lassen (eines Kollektivs von Dingen mit identischen Eigenschaften, in denen das Wesen und die Qualität der Ware begründet ist), ist weiblich! Waren nicht Sklavinnen die ersten Waren? – Wie hängt der Name einer Nation mit dem eines Markenartikels zusammen, der ihn heute zu beerben scheint?
Hängt die Ware mit dem Imperfekt von Sein („war“) zusammen wie das Possessivpronomen der dritten Person männlich mit dem Infinitiv Sein?
War nicht der Name Edom („Roter“) der erste auf eine Eigenschaft gegründete Name (und Edom war der Name der ersten Königtümer, später der Deckname für Rom)? Im Lateinischen entspricht ihm der Name Rufus! (Simon von Cyrene war der Vater des Alexander und des Rufus: Klingen darin der Hellenismus und das Römische Reich an? – Paulus hatte mit Rufus eine gemeinsame Mutter?)
Gehören das Symbol und der Typos zum Begriff einer Erkenntnis, die an der Idee der Auferstehung sich orientiert (die Idee der Auferstehung verändert die Erfahrung von Natur und Geschichte)? Die Idee der Auferstehung gilt nur den Andern, niemals dem, der sie hegt: Sie ist Teil der Hoffnung, die uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben ist.
Das Harmloseste, das man von den Angriff auf Adorno, den Schmid-Noerr mit völlig unzureichenden Kategorien beschreibt, sagen kann, ist, daß hier zwei Welten auf einander geprallt sind. Aber sind nicht auch in Auschwitz zwei Welten auf einander geprallt? Ich befürchte, daß man nicht ausschließen kann, daß das Bewußtsein, daß Adorno Jude war, mit hereingespielt hat. Ich würde gerne wissen, was aus den jungen Frauen geworden ist.
Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war ein Mittel, historische Prozesse reflexionsfähig zu machen; es hat dann allerdings zugleich die so reflektierte Geschichte wieder historisiert (und zwar dadurch, daß man, nach dem gleichen Prinzip, das bereits den mythischen Kosmologien zugrundelag, einem Prozeß der zweiten Natur einen der ersten substituiert hat).
Kann es sein, daß das Wort der drei Weisen aus dem Morgenland: Wir haben seinen Stern gesehen, auf ein politisches und nicht auf ein astronomisches Ereignis sich bezog?
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