Theologie

  • 14.6.96

    Gibt es einen sprachlichen Zusammenhang zwischen dem Fall, dem Falschen und dem Fälschen, dem fallere und dem falsus? Das würde den Wittgensteinschen Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ zusammenbringen mit der Bemerkung Rosenzweigs über das „hintertückische, verandernde Wissen des Denkens“. Ist die Orthogonalität, die den Raum aufspannt, die Kraft der Scheidung, der Trennung, und gewinnt nicht mit der Orthogonalität das Trennende Gewalt über das Getrennte (die Vergangenheit Macht über die Zukunft: der Ankläger und das Inertialsystem)? Hat die Schlange (das klügste aller Tiere), die auch als das Symbol des Neutrums sich begreifen läßt, etwas mit der Macht der Orthogonalität zu tun? Die Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils ist der Grund des Glaubens an die magische Kraft des Urteils. Immanenz: Das Richtige steht unter der Macht des Falschen; es verbleibt innerhalb seiner Logik. Der Gegensatz zum Wahren, dessen Begriff die Idee der Versöhnung mit einschließt, ist nicht das Falsche, sondern die Unbarmherzigkeit, das steinerne Herz. Bethseba: Was hat der Schwur mit der Orthogonalität zu tun (Stichwort: Selbstbindung)? Gründet hier, in dieser Beziehung zur Orthogonalität, der sprachliche Zusammenhang des Schwurs mit der Zahl Sieben im Hebräischen? Hängt der aufrechte Gang damit zusammen, daß die Primaten zusammen mit den Bäumen entstanden sind? Die Sünde wider den Heiligen Geist wird weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben: Was heißt in diesem Satz Vergebung? Bezieht sie sich nur auf den einzelnen Sünder, oder auch auf den Zustand der Welt insgesamt? Kann es sein, daß diese Sünde das Kommen der zukünftigen Welt verhindert, und daß auf das Subjekt diese Sünde der Satz von der Freude im Himmel über den einen Sünder, der sich bekehrt, sich bezieht (wie auch der letzte Satz des Jakobusbriefs)? Haben wir überhaupt schon begriffen, was Vergebung heißt? Die Sündenvergebung sollte nicht verwechselt werden mit der Befreiung von Schuldgefühlen. Sie ist ein Teil der Umkehr. Gründet nicht der katholische Mythos (die Religion der 99 Gerechten), aus dessen Bann auch die folgenden christlichen Denominationen sich nicht haben befreien können, darin, daß er den Himmel von der zukünftigen Welt getrennt, daß er ihn verräumlicht, die zeitliche Differenz zu „dieser Welt“ aus ihm entfernt, verdrängt hat? Der Himmel, der eigentlich die logische Gewalt des Inertialsystems zu sprengen vermöchte, ist (durch die kopernikanische Wende, durch die Unfähigkeit, das Überzeitliche vom Ewigen zu unterscheiden) zu einem Objekt des Inertialsystems geworden.

  • 9.6.96

    Das Inertialsystem ist der exzentrische logische Kern einer Sprache, die das dialogische Element verdrängt hat, die nur noch die stumme Gemeinschaft der Gattung herstellt und repräsentiert. Theologie als „Rede von Gott“: Erinnert die Rede nicht an das stumme Volk und den durch die Predigt zum Monologisieren verurteilten Pfarrer? Die Verwaltung verhält sich zu den Subjekten wie das Inertialsystem zu den Objekten. Der Reflex des Inertialsystems im Subjekt ist die Bekenntnislogik. War nicht Konstantin in der Tat ein Kirchenvater, wobei er (wie andere Väter auch) nicht wußte, was er tat, als er sein Votum für die homousia abgab (ist der Kern der homousia, der Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater, nicht das prophetische Wort <„Spruch des Herrn“>, als dessen Verkörperung und Erfüllung der „Logos“ sich begreift)? Der „Negativismus“ der kritischen Theorie, den übrigens weder Horkheimer noch Adorno streng durchgehalten hat, in den vielmehr beide etwas von der Tradition der Lehre mit eingeschmuggelt haben, ist nur in theologischem Zusammenhang, und d.h. nur außerhalb der monologischen Logik des Wissens, wenn nicht zu widerlegen, so doch so einzugrenzen, daß sich der Blick auf einen Bereich, der dem Begriff der Theorie sich entzieht, dem Namen der Lehre dagegen aufs genaueste entspricht, neu eröffnet. Nur in theologischem Zusammenhang ist der objektive Anspruch der Kritik, der dem Konzept der kritischen Theorie zugrundeliegt, noch zu begründen. Zu gewinnen ist dieser Begriff der Kritik, der zuerst als Kritik der politischen Ökonomie sich entfaltete, in der Kritik der Naturwissenschaften. Deshalb war und ist Kant in diesem Zusammenhang wichtiger als Hegel.

  • 8.6.96

    Das Substantiv ratifiziert ein Verständnis des Urteils, in dem das Subjekt (das Nomen) bereits durch das Objekt, das (wie die durchs Foto im Personalausweis, dem vergesellschafteten Fahndungsfoto, bezeichnete Person) von seinem Namen unterschieden wird, ersetzt ist, es gehört zu einem Wahrheitsbegriff, der durch die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“ sich definiert. Das so definierte Wahre aber ist der „bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“ (Hegel). Das Substantiv ist der Inbegriff des verletzten Bilderverbots. Der Gottesname, dessen Heiligung das Vaterunser gebietet, kommt in den Evangelien nicht vor. Nicht nur daß er vergessen ward, er wird zusätzlich als Name eines „altorientalischen Rachegotts“ diffamiert. Ist der Name nicht das im „Alten Testament“ vergrabene Talent? Ungeheurer Gedanke, daß Salomo „dem Namen Gottes ein Haus gebaut“ hat. Nicht ein Götterbild stand im Tempel, sondern der Name wohnte in ihm. Aber bei Jesu Tod riß der Vorhang des Tempels entzwei (hat nicht die Kirche, ohne es sich je bewußt gemacht zu haben, die Kräfte in sich aufgenommen, sich zu eigen gemacht, die diesen Riß bewirkten?).

  • 6.6.96

    Zum Problem der Väter in den Evangelien gehört auch die Frage Jesu, welcher Vater seinem Kind, das ihn um Brot bittet, einen Stein und, wenn es ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange gibt. Ist das Brotbrechen die Antwort auf das Brechen des Stabes des Brots (die Antwort auf die Kommerzialisierung der Ernährung der Menschen in der vom Wertgesetz beherrschten Gesellschaft, den ökonomisch bedingten Hunger)? Hat das Christentum nicht als Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft (der Verhärtung der Herzen und der Desensibilisierung) sich erwiesen? Johann Baptist Metz hat vor einiger Zeit eine „Kultur der Empfindlichkeit“ gefordert. Ich nehme an, er meinte eine Kultur der Sensibilität. Sind wir nicht alle schon empfindlich genug (vom Staat, der sich und seine Symbole nicht verunglimpfen läßt, über das Militär und die Polizei bis hin zu den Standesorganisationen der Ärzte, der Studienräte, der Therapeuten …), und ist es nicht diese Empfindlichkeit, die als Entlastung das Vorurteil und die Sündenböcke braucht, das Schuldverschubsystem? Ist nicht die Empfindlichkeit ein Indikator verdrängter Schuld? Dem deutschen Suffix -ung entspricht im Englischen das -ing, allerdings verbunden mit einer Bedeutungsverschiebung: handling ist etwas anderes als Handlung, es entspricht eher schon einer Behandlung: Hat die Vokal- und Bedeutungsänderung etwas mit dem to be zu tun, das im Deutschen als Präfix erscheint? – Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den -ing-Namen wie Ding, Ring, im Englischen auch king (gibt es eine Beziehung zu den Präteritalformen fing, ging, hing)? Bemerkung: -ung ist weiblich, -ling männlich? Hören und Sehen: „Als ich sie sah, fiel ich auf mein Angesicht, und ich hörte die Stimme eines, der da redete. Der sprach zu mir: Menschensohn, stelle dich auf deine Füße, ich will mit dir reden. Und als er mit redete, kam Geist in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte den, der zu mir redete.“ (Ez 128 – 22) Ist der Logos dieses Wort, das den Sturz des Sehens beendet und den Hörenden wieder auf die Füße stellt? (Hängt die Verknüpfung des „Betretens“ mit der Besitznahme nicht damit zusammen, daß Eigentum in der Tat das Selbstbewußtsein begründet, allerdings um den Preis der Verhärtung des Herzens, der Unfähigkeit zu hören?) Ist die Heilung der Schwiegermutter des Simon (Petrus) ein Symbol der Rettung der Völker?

  • 5.6.96

    Gehört die Geschichte der Verstockung des Herzens Pharaos zur Vorgeschichte des prophetischen Symbols des Taumelbechers (des Bechers des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende des apokalyptischen Unzuchtsbechers)?
    Zu den „Erfolgen“ der raf gehört sicherlich auch die institutionelle und verfahrenstechnische Stärkung der Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden.
    Deprimierender Eindruck der Lektüre von „20 Jahre radikal“: Diese Szene hat sich durch ihre Feindschaft gegen den „Staat“ wirklich zum Marionettentheater der Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden gemacht. Jutta Ditfurths Satz, daß der Staat die Terroristen braucht, scheint auch umgekehrt zu gelten: Diese Szene braucht den Staat. Gehorchen nicht die Aktionen beider Seiten inzwischen dem Prinzip der selffulfilling prophecy? Aber beginnt das Ganze damit sich nicht immer mehr den naturwissenschaftlichen Großforschungsanlagen anzugleichen, die mit allen verfügbaren Mitteln nur noch die Bestätigung dessen suchen, was ihre paranoide Phantasie als Natur in die Natur hineinprojiziert?
    Verhält sich die unter Theologen heute so beliebte „Rede“ zum Gerede wie das Wesen zum Gewesenen, ist nicht das erste jeweils durch das zweite vermittelt?
    Sind die Dornen und Disteln im Hinblick auf die Sprache Symbole der Prä- und Suffixe und der Grammatik? Im Griechischen und im Lateinischen sind die Suffixe (ist die Flexion) das Medium der grammatischen Durchbildung der Sprachen, während sie in den modernen Sprachen, zusammen mit dem freien Gebrauch der Personalpronomina, von ihrer grammatischen Funktion sich ablösen und eine eigenständige Funktion und Bedeutung innerhalb der sprachlichen Strukturen gewinnen. An der Buberschen Bibel-Übersetzung fällt mir auf, daß der archaische Ton damit zusammenhängen könnte, daß Buber fast zwanghaft abstrakte Bildungen wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu meiden scheint, ebenso einige verbale Bildungen aus dem im Deutschen so verbreiteten und differenzierten System verbaler Präfixe (wie ver-, zer-, be-, ge- u.ä.), die als Weiterbildungen und Entfaltungen des Perfekts, als Ausdruck seiner vergegenständlichenden Gewalt, sich begreifen lassen. Die Kritik an der Logik dieser sprachlichen Bildungen ist eigentlich eine Kritik der Sachen, die darin sich ausdrücken: der herrschaftsgeschichtlichen Strukturen; diese Kritik wird von der Sache auf die Sprache verschoben. An die Stelle der Ausdruckskraft, die die Sprache in diesem Prozeß gewonnen hat, tritt ein Begriffsrealismus, der die Sprache durch Verdinglichung zu konservieren versucht. Vgl. die Bubersche Bildung des Wortes „Geziefer“ (in der Geschichte der ägyptischen Plagen), das es ebenso wenig gibt wie etwa ein Getüm oder das Verglimpfen. Es gehört zum Charakter und zur Logik der deutschen Sprache, zu den Gründen ihrer Ausdruckskraft, daß es in ihr Negativbildungen ohne dazugehöriges Positivum gibt (wobei das Ungetüm, das nicht zufällig an die von Gott am fünften Tag erschaffenen Meeresungeheuer erinnert, eine reine Bildung aus Prä- und Suffixen zu sein scheint, ohne „Stammwort“ – verhält es sich nicht ähnlich mit dem Begriff der Gerechtigkeit, dessen Stammwort „Recht“ erst durch eine Folge von sprachlichen Umgestaltungen und Abstraktionen zur Gerechtigkeit wird?). Ist die Vorliebe Bubers für feudale Begrifflichkeiten reiner Zufall? Verdrängt er nicht die apokalyptische, ihre eigenen Abgründe reflektierende Sprachgeschichte des Deutschen, in die auch der Feudalismus in Deutschland verstrickt ist?
    Auch ein Beitrag zum Verständnis der Apokalypse: Tierischer Ernst gründet in der Unfähigkeit zur Reflexion des Indikativs (der sprachlichen Verkörperung des Weltbegriffs), in der Verwechslung von Indikativ und Imperativ, einer Form der Zwangsanpassung an die Welt (zu deren Reflexion die deutsche Sprache, indem sie in der Geschichte der Ausbildung ihrer grammatischen Formen diese Welt immer genauer in sich abzubilden scheint, die Voraussetzungen geschaffen hat). Dieser Trend scheint genau jene Entwicklung zu manifestieren, die Buber bloß verdrängt, während alles darauf ankäme, sie zu reflektieren (die Ansätze dazu finden sich bei Rosenzweig).

  • 4.6.96

    Der Begriff der Geltung gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs, er fällt unter das Paradigma Rind und Esel, er ist ein Teil des Jochs, das wir andern auferlegen. Geltung ist Geltung für andere, und nur insofern auch für mich. Er gehört zum Begriff einer Welt, in der prima facie nur ich lebe und alle anderen (und damit auch ich selbst) für mich anorganische Materie sind.
    „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, als Gottes Ebenbild schuf er ihn.“ Auf wen bezieht sich im ersten Teil des Satzes das das Possessivpronomen „sein“, auf Gott oder auf den Menschen (und auf wen das Personalpronomen im zweiten Teil des Satzes)?
    Gershom Scholem hat darauf hingewiesen, daß das Konstrukt einer creatio mundi ex nihilo in der Schrift keinen Anhaltspunkt findet und erst recht spät in der Theologie auftaucht. Ist das nihil nicht das nihil der Barmherzigkeit, und ist das Konstrukt nicht Ausdruck eines Schöpfungsbegriffs, der vollständig im Zeichen des strengen Gerichts steht? Das jedenfalls scheint sich in der Diskussion dieses Topos, auch in der Kabbala bis hin zu Isaak Luria, eindeutig nachweisen zu lassen. Ist das Zimzum nicht ein Akt der Scheidung des strengen Gerichts von der Barmherzigkeit?
    Liegt nicht das Problem des Schöpfungsbegriffs darin, daß sich, seit der Entfaltung der Weltreiche, zuletzt der Herrschaft Roms, und seit dem Ursprung des Weltbegriffs, der Staat in den Begriff der Schöpfung trübe sich eingemischt hat (der theologische Begriff der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Jesu exkulpiert gleichsam apriori den Staat)?
    Adorno und Rosenzweig versöhnen heißt, das Eingedenken der Natur im Subjekt durch die Kritik des Historismus zu ergänzen, zu berichtigen und zu erfüllen.

  • 3.6.96

    Zu Lk 117: Worauf bezieht sich das Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter? Heißt es im Dekalog: Du sollst Vater und Mutter lieben, auf daß du lange lebest auf Erden (so der Sohn von Martin Heidegger in der FR von heute), oder: Du sollst Vater und Mutter ehren, …? Erlaubt diese Formulierung nicht die Frage, ob man seine Eltern überhaupt lieben kann, und ob nicht die Beziehung, die Kinder zu ihren Eltern herzustellen haben, auf einer anderen Ebene liegt als beispielsweise die Nächsten- oder auch die Feindesliebe? Und hat diese Frage nicht auch etwas mit der der Sündenvergebung zu tun, die (gegen die Auslassungen des Bormann-Sohnes) ohne die Versöhnung mit den Opfern nicht zu erlangen ist, und die – auch nach einem Jesus-Wort – nicht auf die Beziehung von Seele und Gott (auf den Bereich der Innerlichkeit) sich eingrenzen läßt. Gehört es nicht zur Würde des vierten Gebots, daß es die Beziehung zu den Eltern mit dem Wort „ehren“ benennt, das den Blick auf Öffentlichkeit und aufs Handeln mit einschließt, damit aber über die Privatsphäre hinaus aufs Politische verweist?
    Das vierte Gebot gebietet nicht die Elternliebe, vor deren Gefahren: der symbiotischen Beziehung und der Verstrickung in Rechtfertigungszwänge, es vielmehr durch des Wort „ehren“ schützt. Das vierte Gebot macht das Über-Ich reflexionsfähig. Die Reflexion des Über-Ich entzieht dem Glauben an die Magie des Urteils den Boden.
    Du sollst Vater und Mutter ehren: In welchem Kontext kommt dieses „ehren“ sonst noch vor?
    Nur die Eltern, die es mit sich selbst nicht aushalten, wollen von ihren Kindern geliebt werden.
    Steht das Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ nicht in der Tradition des vierten Gebots: „Du sollst Vater und Mutter ehren“? Lieben sollst du nur Gott und den Nächsten.
    Der Weltbegriff bezeichnet eine kollektive symbiotische Beziehung, deshalb ist er der logische Grund des Nationalismus. Die Form dieser symbiotischen Beziehung ist die Bekenntnislogik (die in der Schuldumkehr gründet).
    Auch der universale Weltbegriff (die Universalität des Weltbegriffs) gründet in Voraussetzungen, die erst mit dem Staat entspringen (und d.h. nicht universal sind). Zur Universalität dieses Weltbegriffs gehört der Ausschluß der Barbaren, der Fremden, der Wilden, auch der Juden.
    Ist die Trinitätslehre nicht ein Produkt der Überhöhung des dynastischen Prinzips: der Hypostasierung des Erbens (das zu den die Identität des Weltbegriffs stiftenden Kräften gehört).
    Nach jesuitischen Wahrheitsverständnis sind Notlügen erlaubt. Ist dieses Wahrheitsverständnis nicht ein politisches: Werden nicht sämtliche Wahlkämpfe, wird nicht die Selbstdarstellung der Politik insgesamt mit Notlügen bestritten?
    Die Kirche ist längst zur Versammlung der 99 Gerechten geworden.
    Ursprung der Opfertheologie: Die Männer, die bei der Kreuzigung Jesu davongelaufen sind, haben post festum das Kreuz zum Symbol der Erlösung gemacht.
    Haben der Baal und die Ascherim (und im Hintergrund der hieros gamos) nicht auch astrologische Bedeutung?
    Ist das Denken des Denkens des Aristoteles (die Selbstobjektivierung des Denkens, die Hereinnahme des Denkens des Andern ins eigene Denken: die Reflexion) selber ein Reflex der Orthogonalität, die die Unterschiede zwischen den Richtungen im Raum neutralisiert, „aufhebt“; und hängt über die noesis noeseos, die dann in der „Trinitätslehre“ sich entfaltet, die Orthodoxie mit der Orthogonalität zusammen (rühren das „Zeugen“ und das „Hervorgehen“, die das Verhältnis der Personen im trinitarischen Dogma definieren, an die in der „subjektiven Form der Anschauung“ verdrängten inneren Differenzen der Richtungen im Raum)?
    Kann es sein, daß die Kabbala und das christliche Dogma als zwei Seiten ein und derselben Sache sich begreifen lassen? Daß das En-soph (und die Sefiroth) und die Trinitätslehre auf einen gemeinsamen Ursprung in der noesis noeseos, im Denken des Denkens, genauer: in dem damit bezeichneten objektiven begriffs- und herrschaftsgeschichtlichen Problem, zurückweisen (vgl. hierzu Gershom Scholem, „Über einige Grundbegriffe des Judentums“, 1970, S. 28ff)?

  • 2.6.96

    Zum Problem der Gattung: Der mittelalterliche Begriffsrealismus (das logische Pendant des kirchlichen Antijudaismus) ist die logische und historische Wurzel des Rassismus. Er gründet in der Verwerfung des Namens, der niemals auf eine Gesamtheit von Objekten, auf die Subsumtionsbeziehung von Allgemeinem und Besonderen, und d.h. als Begriff, sich anwenden läßt.
    Das katholische Verständnis des Namens, das in der Feier des Namenstages, in der Beziehung des Namens zum Heiligen, einmal sich ausdrückte, war Teil einer Theologie, die den Begriffsrealismus in der Logik des Namens zu begründen versuchte.
    Das Problem des Bekenntnisses ist das Problem der öffentlichen Erkennbarkeit der Religion, einer Religionsgemeinschaft. Es ist in die Geschichte der „Öffentlichkeit“ verstrickt. Frage: Sind Kirchen, die wie Großbetriebe geführt werden, noch als Kirchen erkennbar?
    Merkwürdige Bildung der den Summenzahlen 153 (die Zahl der gefangenen Fische – Joh 2111), 276 (die Zahl der beim Schiffbruch vor Malta Geretteten – Apg 2737) und 666 (die Zahl des Tieres vom Lande Off 1318) zugrundeliegenden Basiszahlen: 17 = 1 x 10 + 7, 23 = 2 x 10 + 3, und 36 = 3 x 10 + 6?
    Grundlage der raf-Prozesse: Das Inertialsystem macht den Verteidiger zu einem Hilfsorgan des Rechts.
    Der Glaube an die magische Kraft des Urteils gründet in der Beziehung des Urteils zum Schuldzusammenhang, dessen kritische Entschlüsselung noch aussteht. Dieser Schuldzusammenhang, durch dessen Kritik die theologische Idee der Wahrheit, die die Versöhnung mit einschließt, überhaupt erst sich konstituiert, drückt in erster Linie in der logischen Gewalt der Totalitätsbegriffe, des Wissens, des Natur- und des Weltbegriffs sich aus. In diesem Kontext wäre der Begriff der Umkehr, ohne den die Wahrheit der Theologie nicht gedacht werden kann, neu zu bestimmen, wäre er aus seiner Einbindung in den Schuldzusammenhang, in den ihn der christliche Begriff der Buße gebracht hat, endlich zu befreien (Maria Magdalena, die „Büßerin“).
    Hat unsere Theologie nicht ihren Beitrag dazu geleistet, das Magnificat auf den Kopf zu stellen: das Erbarmen umzulenken von den Armen und Ohnmächtigen auf die Reichen und Mächtigen?

  • 1.6.96

    Gehört nicht zum Kaiser-Problem (warum es im Märchen keinen Kaiser gibt) neben dem Satz „Gebt des Kaiser, was des Kaisers ist, …“ und „…, so bist du kein Freund des Kaisers mehr“ auch die Geschichte vom Beelzebub und der Einheit des Reiches? Es ist das Reich des Beelzebub, das zerfällt, wenn es mit sich uneins wird (steckt hier nicht der Kern der Rom-Kritik Jesu?), während „in meines Vaters Haus (und das heißt doch wohl: im Gottesreich, H.H.) viele Wohnungen“ sind. Dieses Einheitsverständnis ist caesarisch: sensibilitätszerstörend und empfindlichkeitsbegründend zugleich.
    War nicht die Reaktion von Gollwitzer und dann auch von Marquardt auf Scholems Aufsatz über die messianische Idee im Judentum ein erneuter Beleg dafür, daß es nicht auf die Empfindlichkeit, sondern allein auf Sensibilität ankommt? Dabei hat Scholem selbst die Stelle bezeichnet, an der ein Dialog möglich gewesen wäre: „Was den alten Propheten als ein Wissen zukam, das gar nicht laut und öffentlich genug verkündet werden konnte, wird in den Apokalypsen zum Geheimnis. Es gehört zu den Rätseln der jüdischen Religionsgeschichte, die von keinem der vielen Erklärungsversuche befriedigend beantwortet worden sind, was eigentlich der wahre Grund dieser Metamorphose ist, die das Wissen um das messianische Ende, wo es den prophetischen Rahmen der biblischen Texte überschreitet, zum esoterischen Wissen macht.“ (Scholem, Über einige Grundbegriffe des Judentums, Frankfurt 1970, S. 128f) Wodurch die Apokalypse von der Prophetie sich unterscheidet, ist der Ursprung des Weltbegriffs, die neue Gestalt der Welt und des Bewußtseins, die damit bezeichnet ist.
    Steht nicht auch die „Israel-Theologie“ in der Gefahr, ihrem Adressaten vorzuschreiben, wie er den eigentlich zu sein hätte, und ihn mit kontrafaktischen Urteilen zu belästigen?
    Was meint Marquardt mit der „Rechtfertigung Gottes“ (vorausgesetzt, daß die Rezension seines neuen Buches im neuen Heft der Jungen Kirche ihn richtig zitiert)?
    Die Unsterblichkeit der Seele, die eben damit verletztbar und empfindlich wird, ist die Unsterblichkeit des pharaonischen oder caesarischen Reichs, dessen Symbole beleidigungsfähig sind, „verunglimpft“ werden können. Das Himmelreich und das Reich Gottes stehen in Opposition zu diesem Reich.
    Zu Martin Bormann und Hermann Heidegger (die sich beide nach der FR von heute zur Schuld ihrer Vätern geäußert haben): Ihre Exkulpationsversuche gründen in der christlichen Tradition, wonach Gott Sünden vergeben kann, ohne daß es dazu einer Versöhnung mit den Opfern bedarf. Diese Vorstellung mag zu den Konstituentien staatlichen Rechts (des „Rechtsfriedens“, der ohne staatliche Gewalt nicht zu sichern ist) gehören; durch ihre Hereinnahme in das kirchliche Bußverständnis und die kirchliche Bußpraxis ist sie zur Quelle der Unsensibilität und des autoritären Wirklichkeitsverständnisses geworden. Deshalb hören wir aus dem Namen der Buße nur noch die Strafpraxis und die Diskriminierung des Sünders heraus, nicht mehr die Umkehr. Das Wort von der Versöhnung mit dem Bruder, das vor dem Opfer steht, ist längst vergessen und verdrängt. Und das Opfer ist durch Verinnerlichung zum Opfer der Vernunft geworden.
    Im Dingbegriff ist die ganze Herrschaftsgeschichte enthalten.
    Gibt es einen Zusammenhang der Possessivpronomina Mein, Dein, Sein (und damit auch des Infinitivs Sein) mit dem unbestimmten Artikel Ein? Drückt nicht in den Anfangskonsonanten (M, D, S) die Besitzergreifung dessen sich aus, was durch den unbestimmten Artikel als eigentumsfähiges herrenloses Gut (als Vorhandenes) sich präsentiert? Und verweist nicht insbesondere das M (der verschlossene Mund) auf die Analogie der Besitzergreifung zur Einverleibung, zum Essen, zur Kommunion (vgl. die Bedeutung der Eucharistieverehrung für die thomistischen Theologie), während das Sein zum Ausdruck der kollektiven Besitzergreifung (der Besitzergreifung durch die unbestimmte dritte Person, die die unvermittelte Besitzergreifung durch den Einzelnen ausschließt, die Grenze zwischen mir und den Anderen in die Dinge verlegt) in der urteilenden Erkenntnis geworden ist?
    In welcher Beziehung steht der bestimmte Artikel zum Eigentum und zum Tausch, und welche sprachlogische Bedeutung hat dann die Deklinierbarkeit des bestimmten Artikels im Griechischen und im Deutschen? – Im Hebräischen durfte der Eigenname nicht mit dem bestimmten Artikel versehen werden.
    Die Alternative ist nicht Sein und Haben (diese bezeichnet nur die Grenze zwischen mir und den andern), sondern Sein und Handeln (die Grenze zwischen Ontologie und Ethik, Natur und Übernatur). Die Verführung der Ontologie (in der das Inertialsystem Gewalt über die Sprache gewinnt) liegt darin, daß sie dem Handeln (und seiner Wahrnehmungskraft: der Sensibilität) den Weg verstellt, statt dessen den Quell (eigentlich den Abgrund: das schwarze Loch) des in seine Ohnmacht eingesperrten Selbstmitleids (der Verletzbarkeit, der Empfindlichkeit) eröffnet.
    Indogermanisch oder der Rock aus Fellen: Wäre es nicht an der Zeit, das Problem der Beziehung von Biologie und Sprache (das Problem des Gattungsbegriffs, aber auch des Rassismus) neu in Angriff zu nehmen? Beide gehören der gleichen logischen Ebene an, bezeichnen gleichsam nur deren zwei Seiten, deren Beziehung zueinander (als das Verhältnis zweier Seiten) zu bestimmen wäre.
    Männlich und weiblich schuf er sie: Ist nicht der Unzuchtsbecher das Produkt der Instrumentalisierung des Zeugens und ein Symbol der caesarischen Logik (ein Attribut der Hure Babylon)? Gehört in diesen Kontext nicht das „dynastische Prinzip“, das die Nachfolge durch Geburt regelt, seine Funktion in Hegels Rechtsphilosophie (in der zu den Aufgaben des Monarchen das Zeugen eines Erben gehört) wie auch in der Trinitätslehre (in der der Vater den Sohn „gezeugt, nicht geschaffen“ hat)? Sind nicht Verwandschaftsbeziehungen (und in ihrem Kern die „Geschlechtsbeziehungen“) die Modelle logischer (begrifflicher und hierarchischer) Beziehungen?
    In einer Sprache ohne Neutrum färben die Geschlechts- und Verwandschaftsbeziehungen auch die kosmischen und historischen Vorstellungen (die Patriarchen, das „ganze Geschlecht“ der Landnahme und die Könige, „gehen“, „legen sich“ oder werden, wenn sie sterben, „zu den Vätern“ versammelt, wogegen Jesus zu einem, der seinen Vater begraben wollte, sagt: „Laß die Toten ihre Toten begraben“).
    Ist das Neutrum, der Ursprungsbegriff der Säkularisierung (der Konstellation von Herrschaft, Objektivierung und Instrumentalisierung), in der Sprache die Schlange, im Bereich des Handelns (in Religion und Politik) hingegen der Unzuchtsbecher, der Inbegriff der Hurerei, der Greuel am heiligen Ort?

  • 28.5.96

    Aus der Logik der Urteilsmagie: Je ohnmächtiger die Staaten sind, desto nationalistischer werden sie.
    Kontrafaktische Urteile sind ein konstitutives Element des Geredes; hier wie in ihrer historischen Anwendung schließen sie die Verweigerung des Hörens mit ein. Sie machen ihr Objekt stumm, zu etwas, über das man gefahrlos reden kann, reine Manifestation ihrer Ohnmacht. Kontrafaktische Urteile sind nicht nur die Rache der Objektivierung, sondern eine ihrer konstitutiven Voraussetzungen.
    Das kontrafaktische Urteil verweigert die Identifikation, es instrumentalisiert und verdinglicht das Objekt. Das kontrafaktische Urteil ist die umgekehrte, in die Vergangenheit projizierte und instrumentalisierte Prophetie. Der Historismus ist eine totalisierte Konstruktion aus kontrafaktischen Urteilen: Das Weltgericht oder das Gericht über die Vergangenheit (die Annihilierung der Prophetie).
    Rührt die deutsche Version der Romantik, die mit einer einzigartigen Verehrung des Waldes einhergeht („Wer hat dich, du schöner Wald …“), nicht daher, daß Bäume Verkörperungen der Urteilsform und der Urteilsmagie (der in der Logik des Urteils gründenden „Verstockung“) sind? – Gibt es einen Zusammenhang mit der „Feste des Himmels“, dem Werk des zweiten Tages?
    Welche Bewandnis hat es mit den Palmen (mit den 70 Palmen in Elim), den Zedern des Libanon, mit den Bäumen in der Jotham-Fabel, mit dem Dornbusch, mit dem Apfelgarten im Lied der Lieder?
    Gibt es eigentlich ein schwachsinnigeres Lied als das „O Tannenbaum“; und das war ein Weihnachtslied?
    Verhält sich die Empfindlichkeit zur Barmherzigkeit wie die Bekehrung zur Umkehr? Ist die Empfindlichkeit ein Attribut der Bekehrten, und die Bekehrung das Medium der drei Leugnungen?
    Zum Problem der raf (oder insgesamt zur 68er Bewegungen): Gilt nicht die alte Fahrlehrerregel auch in der Politik und in der Bewußtseinsgeschichte: Dreimal rechts ist einmal links? Diese Regel gilt nicht für das Verhältnis von oben und unten. – Gründet nicht die Bekehrung in einer Verwechslung der Dimensionen (des Oben/Unten mit dem Rechts/Links)?
    Die Fallbeschleunigung wurde vor dem Gravitationsgesetz entdeckt. Und ist das newtonsche Gravitationsgesetz nicht nur eine Extrapolation der Fallgesetze auf der Basis der subjektiven Formen der Anschauung? Das Dilemma dieser Extrapolation, dessen Newton sich noch bewußt war, hat er durch das Konstrukt des absoluten Raumes zu neutralisieren versucht. War dieses Konstrukt des absoluten Raumes das naturphilosophische Äquivalent des politischen Absolutismus?
    Die Verwerfung der Barmherzigkeit führt direkt in die Paranoia.
    Kritik der All-Attribute: Gott ist nicht allwissend, nicht allmächtig und nicht allgegenwärtig. Er sieht nicht alles, wohl ins Herz der Menschen; und das ist mehr. Das Sehen Gottes hat zur Grundlage nicht den Raum, sondern die Sprache. Der Begriff des Wissens, der im Gesehen-Haben gründet, ist auf Gott nicht anwendbar.
    Liegt das Werk des zweiten Tages, die Feste, die die oberen von den unteren Wassern scheidet, für Gott im „blinden Fleck“? Hierzu fehlt der Satz „Und Gott sah, was er gemacht hatte, und siehe es war gut“. Diese Feste nannte er Himmel, und an diese Feste heftete er die zwei Leuchten und die Sterne des Himmels.
    Ein jüdischer Autor hat einmal – unter Hinweis auf die „Halsstarrigkeit“ der Juden – den Nacken das „metaphysische Organ der Juden“ genannt. Hat dieser Nacken etwas mit der Feste des Himmels zu tun?
    Zum Begriff der Verwüstung: Entspricht die materielle Verelendung unten nicht der moralischen Verelendung oben? Himmel und Erde werden zu Eisen und Erz: Hängt der kombinatorische Wechsel (Eisen und Erz zu Erz und Eisen) mit der Beziehung von Ökonomie und Naturwissenschaft zusammen? Die Ökonomie beutet den Himmel aus und verdinglicht die Erde, während die Naturwissenschaften die Erde ausbeuten und den Himmel verdinglichen.
    Das Inertialsystem ist das Kuckucksei im Nest der Sprache.
    Motive im NT:
    – Die Geschichte der Kirche und die drei Leugnungen Petri,
    – Joh 129 und die Sünde der Welt,
    – Herschaft und Tod: der Kelch in Getsemane,
    – die Väter im NT (Josef, Zacharias, Zebedäus, Lk 117: der halbierte Malachias, „wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein mußte, was meines Vaters ist“, „laßt die Toten ihre Toten begraben“),
    – Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geister befreit wurde, die erste Zeugin der Auferstehung.

  • 27.5.96

    Verdinglichung hat einen magischen Kern. Deshalb konvergiert in Adornos Kritik der Verdinglichung der aufklärerische mit dem theologischen Impuls.
    Alle Magie ist Urteilsmagie, die Urteilsform die Wurzel der Magie, ihr Wurzelgrund, der Boden, aus dem sie erwächst: die subjektiven Formen der Anschauung, deren Reflexion das dringendste Desiderat des gegenwärtigen Standes der Aufklärung ist.
    Die Sprache unterscheidet sich von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion; in dieser Fähigkeit gründet die erkennende Kraft des Namens.
    Die „Wertfreiheit“ der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die Trennung von Wert und Sein, wird erkauft mit der Instrumentalisierung der Schuld (mit der Herrschaft des Schuldverschubsystems). Die Urteilsmagie ist die Kehrseite dieser Instrumentalisierung der Schuld.
    Das Schuldverschubsystem begründet die entlastende Logik des Weltbegriffs.
    Ist nicht Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ein Produkt des undurchschauten Glaubens an die magische Kraft des Urteils?
    Wie hängen die zehn ägyptischen Plagen mit der Konstituierung des Inertialsystems zusammen?
    Gibt es nicht bei Marx eine Stelle, an der es heißt, daß die Gesellschaft sich keine Probleme stellt, die sie nicht auch zu lösen vermag? Wie hängt das mit dem von Hinkelammert in seiner „Kritik der utopischen Vernunft“ zitierten Topos zusammen, daß das Bestehende in sich selbst die Kraft der Selbstrechtfertigung hat? Trifft dieser Satz nicht die Realität genauer (aber auch erschreckender)?
    Das Urteil eines Gerichts wird durch Beschluß gefällt. Drückt in dem Präfix be- (das im Englischen an die Stelle des Infinitivs „Sein“ tritt), in Worten wie Bekenntnis, Bekehrung, Beschluß, die Gewalt des Inertialsystems (der subjektiven Formen der Anschauung) über die Sprache sich aus? – Was unterscheidet den Beschluß vom logischen Schluß, das Bekenntnis vom Glauben und die Bekehrung von der Umkehr?
    Der Satz Hamlets „To be or not to be, that’s the question“ ist eigentlich nicht übersetzbar. Das mag man an dem späten Echo in Heideggers Satz, der etwas ganz anderes ausdrückt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, ermessen. In diesem Satz gründet jene Hypostasierung der „Frage“, die in Begriffen wie „Seinsfrage“, „Kostenfrage“, „Judenfrage“, die keine Antwort, nur noch Maßnahmen erwarten, sich aus. Hängt dieser Begriff der Frage nicht mit Miskottes Titel „Wenn die Götter schweigen“ zusammen, und widerlegt er ihn nicht?
    Ursprung des pathologisch guten Gewissens: Heideggers Fundamentalontologie hat der Logik des Inertialsystems, die die benennende Kraft der Sprache storniert, auslöscht, auch darin sich gleichgemacht und unterworfen, daß sie die Differenz zwischen Täter und Opfer verwischt, den Tätern die Möglichkeit eröffnet, sich vor sich selbst als Opfer zu fühlen. Sie entspricht damit dem Stand der Aufklärung.
    Im Paradies waren die Menschen nackt, aber sie schämten sich nicht. Erst nach dem Sündenfall „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Ob sie sich dann schämten, wird nicht mehr gesagt, nur noch durch ihr Handeln stumm demonstriert: Sie machten sich Schurze aus Feigenblättern, die Gott dann durch Röcke aus Fellen ersetzte. Anmerkungen hierzu:
    – „Da gingen ihnen die Augen auf“: Sie lernten, sich in den Augen der andern zu sehen; war das nicht die Folge der Erkenntnis des Guten und Bösen und zugleich die Basis der Objekterkenntnis, der Ursprung der objektivierenden Kraft des Denkens?
    – Sind die „Röcke aus Fellen“ Symbol der Trennung von Vernunft und Physis, von Ich und Es, Hinweis auf den Ursprung sowohl des Unterbewußten als auch der unabhängig von der subjektiven Willkür und Kontrolle ablaufenden animalischen Funktionen in der eigenen Physis, auf den Ursprung des Triebs, der Begierde?
    Bezieht sich der gesamte Vorgang nicht auf einen sprachlichen Sachverhalt? Nur wer gelernt hat, sich in den Augen anderer zu sehen, steht unter dem Zwang, über andere als Objekte zu reden.
    Goethe hat die Farben die „Taten und Leiden des Lichts“ genannt. Ist nicht die gesamte Grammatik der corpus der Taten und Leiden der Sprache?
    Kommt der Titel Pharao so nur in der Bibel vor, oder ist er auch durch andere Quellen belegt? Der Kleine Pauly nennt die Bedeutung des altägyptischen Titels (das „Große Haus“), der „so auch im AT benutzt“ worden sei (Bd. 4, Sp. 711). Adelheid Schott schreibt in „Schrift und Schreiber im Alten Ägypten“, daß „schon griechische Autoren … uns das Wort als `Pharao`“ überliefert hätten (?), allerdings ohne Quellenangabe (S. 47); später verweist sie auf den etymologischen Zusammenhang des Wortes Papier (papyros) mit dem Wort Pharao („das des Hauses“, „das der Verwaltung“, S. 67).

  • 26.5.96

    Zum Gesicht gehören zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher und ein Mund: Warum sind die aufnehmenden, empfangenden Sinnesorgane doppelt, das aktive (der sprechende Mund) hingegen nur einfach?
    Sind nicht auch die ersten Manifestationen der Schöpfung doppelt: das Tohu und das Bohu, die Finsternis und der Abgrund, der Geist Gottes und die Wasser?
    Sch’ma Jisrael: Angesprochen ist nicht der einzelne Israelit, sondern Israel (im einzelnen Israeliten Israel?).
    Die Welt: das subjektlose Kollektivsubjekt, die subjektlose Gemeinschaft aller. Der Raum, das Geld und die Bekenntnislogik sind die Elemente der versteinerten Gattung (des versteinerten Herzens).
    Die Eucharistie: Das Brot, das zum Wort wird, ist das gebrochene und mit den Armen geteilte Brot. Vergleiche die Geschichte in der Apostelgeschichte, die der Einsetzung der sieben Diakone vorausgeht, mit der Stelle in 1 Kor, die mit dem Hinweis endet, daß, wer das Brot und den Kelch unwürdig genießt, sich das Gericht ißt und trinkt.
    Die Pforten der Hölle, das ist das Tor des Nordens (der Linken), das Tor aber ist der Ort der Versammlung, der ekklesia, der Kirche.
    Die Urteilsmagie schirmt das Vorurteil gegen die Reflexion ab. Es ist kein Zufall, daß zu den Topoi des Antijudaismus der Hostienfrevel (die Phantasmagorie der Verletzung der Urteilsmagie) gehört.
    Heute darf die Standesehre bestimter Berufe (Ärzte, Soldaten, Polizei) nicht angegriffen, dürfen Staatssymbole nicht verunglimpft werden.
    (Die theologischen Wurzeln der raf:) Im Zentrum der thomistischen Theologie steht die Eucharistieverehrung, in dem der Hegelschen Philosophie der Dingbegriff. Das sensuum defectui aus dem Tantum ergo hat im Inertialsystem (der säkularisierten Gestalt der Orthodoxie, der verdinglichten Bekenntnislogik und der instrumentalisierten Urteilsmagie) sich vollendet.
    Nur wer begreift, daß die Urteilsmagie dem Faschismus nicht nur nichts anhaben kann, sondern im Gegenteil ihn reproduziert, daß alles verstehen nicht alles verzeihen heißt, daß das Verstehen und Verzeihen (ebenso wie das Studium und die Berufsausbildung) vielmehr endlich zu entkoppeln sind, die Vernunft aus den Verstrickungen des Rechtfertigungszwangs zu lösen ist, wird fähig, die Gegenwart zu begreifen.
    Allein die Sprache macht die Welt erfahrbar. Lassen die Kräfte sich bestimmen, die die Sprache (und mit ihr die Erfahrungsfähigkeit) zerstören? (das Urteil, die Mathematik, die intentio recta, die subjektiven Formen der Anschauung <die Unfähigkeit, das Hintere vom Vorderen, Rechts und Links, und das Obere vom Unteren zu unterscheiden>, die Medien, der Positivismus, das Schuldverschubsystem, das Gerede, die Reklame)
    Ohne Sprache gibt es keine Wahrnehmung des Leidens, keine Schulderfahrung (werden Unglück und Verbrechen zu objektiven, wertfreien Vorgängen), lassen Tun und Leiden, Aktiv und Passiv, Täter und Opfer, Ursache und Wirkung, nicht mehr sich unterscheiden (die transzendentale Logik zieht ihre logische Kraft aus der Sprache, ihre „Apriorität“ aus den subjektiven Formen der Anschauung: aus der Neutralisierung des Leidens und der Schuld).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie