„Wenn die Götter schweigen“ (Miskotte): Schweigen denn die Götter wirklich, erteilt nicht der Markt allen seine Kommandos (deren Nichtbefolgung die Strafe auf dem Fuße folgt), und hat nicht Ludwig Erhard schon von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen? Potenziert nicht das „Schweigen der Götter“ ihre Macht, weil keiner sie mehr wahrnimmt?
Das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben wird, hat auch den ganz einfachen Sinn, daß die Sünde wider den Heiligen Geist die künftige Welt dieser Welt gleichsetzt, und daß das dann eine Welt ist, die keine Vergebung mehr kennt. Das ist die Welt des steinernen Herzens. Vgl. hierzu die Verhärtungen des Herzens des Pharao: Er selbst verhärtete sein Herz (2., 4. und 7. Plage), sein Herz blieb verhärtet (1., 3., 5. Plage) und JHWH verhärtete sein Herz (6., 8. und 9. Plage).
Ist nicht die Verstockung des Pharao ein Hinweis darauf, daß die Reduzierung der Moral auf die Gesinnung zu kurz greift: die Gesinnung ist die Moral des verhärteten Herzens.
Das Wesen des Tieres wird nicht nur durch den Trieb und die Sexualität, sondern ebensosehr durch das, was Max Horkheimer die instrumentelle Vernunft genannt hat, bezeichnet. Die instrumentelle Vernunft steht unter dem Bann des Weltbegriffs, deren Logik sie blind (weil reflexionslos) gehorcht. Die gleiche Logik rückt die zukünftige Welt in den blinden Fleck, macht sie unsichtbar (mit dem Neutrum ist das perfectum zur Form der abgeschlossenen Vergangenheit geworden; vollendet ist nur noch das Tote: die Ware).
Wenn der Indikativ das Gericht und der Imperativ die Barmherzigkeit bezeichnet, ist dann nicht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht der Inbegriff der Lehre?
Oder anders: Ist nicht das Weltgericht die „Erfüllung der Schrift“, die „Erfüllung des Wortes“ dagegen das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht?
Goethes Farbenlehre enthält noch die Erinnerung an Licht und Finsternis, die in der naturwissenschaftlichen Farbenlehre verdrängt wird und erinnerungslos verschwindet. Ein ergreifendes Wort: Die Nacht bricht herein! Ist das nicht die Finsternis, die am Tage hinter dem azurblauen Himmel ruht und mit der Nacht „hereinbricht“?
Die Farben (die sinnlichen Qualitäten insgesamt) wurden verdrängt mit der Konstruktion des dreidimensionalen Raumes, die die Senkrechte zur Norm der Fläche gemacht hat. Der sinnliche Raum ist der Ort von Licht und Finsternis, die im mathematischen Raum nicht mehr sich unterscheiden lassen (die Finsternis ist die letzte der ägyptischen Plagen vor der Tötung der Erstgeburt).
Das Licht ist die Erinnerung des ersten Schöpfungstags. Der Herrentag, die dies dominica, die auf diesen Tag sich bezieht, ist der Tag der Erinnerung des Schöpfungswerks, nicht der Verdrängung des Sabbats. Die dies dominica sollte nicht mit dem Sabbat verwechselt werden; der Sonntag erinnert an das Gebot: Ihr seid das Licht der Welt.
Das Sklavenhaus der Sprache: Die subjektiven Formen der Anschauung, das sind die schwarzen Löcher, die mit der Kraft des Namens auch das Licht aus der Sprache heraussaugen, sie entmetaphorisieren, sie zu einem Herrschaftsinstrument entmächtigen.
Insektenforscher: Im Inertialsystem, dem Referenzsystem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, hat sich die theologische Tradition verpuppt.
Die Phänomenologie setzt den gleichen transzendentalen Apparat voraus, dessen Reflexion sie ausblendet. Das gilt schon für die Phänomenologie des Geistes.
Die Mikrophysik ist eine Theorie des verdinglichten, geronnenen Feuers. Hat die europäische Aufklärung damit nicht den ganzen Himmel vermessen: Im Anfang Wasser (Thales), am Ende Feuer?
Die Metaphorik rührt an das sprachliche Wesen der Natur, das nur durch die Kritik ihrer Beziehung zur Zeit hindurch zurückzugewinnen ist.
Steckt im Herrengebet der Dekalog, haben Vater und Mutter etwas mit Himmel und Erde zu tun?
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes gehorcht der Logik des Weltbegriffs, die auf den Verrat der Vergangenheit, den Verrat der realen Welt und auf den Verrat der Menschheit hinausläuft. Horkheimers Frage: Wie kann man auf diesem Riesenleichenberg die richtige Gesellschaft errichten, läßt sich als Erinnerung daran verstehen, daß die richtige Gesellschaft nicht gegen die Toten errichtet werden kann.
Als die Sowjetunion das Lenin-Mausoleum errichtete, hat sie das Proletariat verraten.
Theologie
-
8.5.96
-
7.5.96
Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag: oder zweitausend Jahre Christentum wie Auschwitz? Nur die Bekenntnislogik hindert uns daran, die Wahrheit und das Gewicht dieses Satzes zu begreifen.
Auch Miskotte steht unter dem Bann der Bekenntnislogik.
Der „Rechtsstaat“ wird durch den Satz widerlegt, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
Die dogmatische Rezeption des Weltbegriffs war ebenso provientiell wie verhängnisvoll. Sie hat das Dogma zur Geburtsstätte der Aufklärung gemacht, die christliche Theologie aber zugleich daran gehindert, das zu erkennen (sich in der Aufklärung wiederzuerkennen).
Die subjektiven Formen der Anschauung und das Inertialsystem sind Produkte der Instrumentalisierung des Dogmas, des „Glaubensbekenntnisses“. – Hat das Inertialsystem nicht, was das Dogma auf Erden gebunden hat, auch im Himmel gebunden, und arbeitet nicht in beiden die Kraft des logisch-theologischen Konstrukts von Opfertheologie und Entsühnung der Welt?
Die Opfertheologie und das Konzept von der Entsühnung der Welt fundieren die Verwaltung und legen den logischen Grund für die hierarchische Struktur der Gesellschaft.
Im Englischen ist der clergy der Geistliche, der clerk der Büroangestellte: und die Kirche ist Staatskirche, die queen sowohl Staatsoberhaupt als auch Oberhaupt der anglikanischen Kirche (im Amerikanischen ist der clerk nicht der Verwaltungsangestellte, sondern der Verkäufer/die Verkäuferin: was bedeutet es für die gesellschaftliche Funktion und das Selbstverständnis der Religion, wenn sie am Markt sich orientiert und auf dem Markt sich behaupten muß?).
Die intentio recta macht die Erkenntnis zu einem Instrument und damit beherrschbar.
Erinnert das Wort von der Verwirrung der Sprache nicht an den Namen des diabolos? Und hat der Turm von Babel etwas mit dem Neutrum (und mit der Schlange) zu tun?
Unser Bewußtsein ist ein Bewußtsein der Welt, und die logische Struktur der Welt bestimmt die logische Struktur unseres Bewußtseins. Das aber heißt, daß die Geschichte unseres Bewußtseins in die Geschichte der Welt verflochten ist.
Im griechischen Mythos ist das Schicksal als logischer Kern der Götterwelt hervorgetreten und erkennbar geworden. Das war die historische Voraussetzung des Ursprungs der Philosophie. In der Philosophie hat sich das Subjekt mit der Welt gemein gemacht (hat das Subjekt die Gemeinheit der Welt sich zu eigen gemacht).
Die Geschichte der drei Leugnungen: das Urschisma, der Islam und die Aufklärung, oder die Orthodoxie, der lateinische Katholizismus und die Konfessionalisierung.
Haben die drei Leugnungen Petri nicht auch etwas mit den drei Versuchungen Jesu zu tun: Das Urschisma mit der Verwandlung von Steinen in Brot, die Islamisierung mit der Herrschaftsverführung und die Aufklärung mit dem Sturz von der Zinne des Tempels: einem Ende der Religion, das von keinem Engel aufgefangen wird?
Wenn es einen Fortschritt, eine logische Stufenfolge in der Geschichte gibt, dann war die „Theologie hinter dem Rücken Gottes“, das Dogma und die Orthodoxie (mit der Opfertheologie im Kern) eine Vorstufe der modernen Aufklärung (mit der mathematisch-wissenschaftlichen Naturerkenntnis im Kern), dann hat sie in der wissenschaftlichen Naturerkenntnis „sich erfüllt“.
Anhand des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt sich nachweisen, daß die Reversibilität aller Richtungen im Raum nur für den mathematischen, nicht für den realen Raum gilt: Deshalb ist eine Logik, die sich des Mittels der Beweisumkehr bedient, gemein.
Im Raum ist kein Unterschied zwischen vorn und hinten, rechts und links, oben und unten, wohl aber in der Sprache.
Hat das „voller Augen“ in der Merkaba-Vision (in Ez 118 nur „die Felgen“ <der Räder>, in 1012 „ihr ganzer Leib, ihr Rücken, ihre Hände, ihre Flügel, auch die Räder“ <der Wesen>) etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung zu tun? -
6.5.96
Der Name des Menschensohns erscheint zuerst bei Ezechiel und bei Daniel, er reflektiert bei beiden die Situation im babylonischen Exil. Bei Ezechiel steht er offensichtlich im Zusammenhang mit der Individualisierung der Schuld. Ist dieser (theologische) Begriff des Menschensohns nicht immer mit dem (juristischen) der Person verwechselt worden? Die Individualisierung der Schuld bei Ezechiel bedeutet keine Entlastung (z.B. von der Schuld der Väter), sondern eher einer Verschärfung: Der ezechielische Begriff der Verantwortung schließt auch die für die Sünde des Andern mit ein (vgl. das „dixi et salvavi animam meam“): ein Vorgriff auf Joh 129?
Der Name des Menschensohn unterscheidet sich vom Begriff der Person wie die Verantwortung von der Zurechenbarkeit: durch den Weltbegriff (und seine exkulpierende Funktion), durch das juristische Prinzip der Nachweisbarkeit (durch die Grenzen der Beweislogik; anders als der Menschensohn gilt die Person als schuldig nicht durch die Tat, sondern nur durch deren Nachweisbarkeit: durchs Erwischtwerden), nicht zuletzt durch ihr Verhältnis zur Gemeinheit: Während der Menschensohn seine moralische Integrität aus der Solidarität mit der Menschheit gewinnt, gewinnt die Person ihre Integrität aus einem strategischen Handlungsbegriff, der darauf abzielt, unter Ausnutzung der Grenzen der Beweisbarkeit die Vorwerfbarkeit von Handlungen auszuschließen. Personalistische Ethiken sind Urteilsethiken, keine Ethiken des richtigen Handelns; deshalb waren alle Wertethiken personalistisch.
Zu den zehn ägyptischen Plagen: Die Geschichte des Objektivationsprozesses ist die Geschichte der Verstockung, die Entstehungsgeschichte des steinernen Herzens.
Es ist irritierend, bei Miskotte all die Namen wiederzufinden, die mich in meiner theologischen Phase so verwirrt haben. Was mich ärgert ist, daß er das modische Geschwätz seiner „religiösen“ Kollegen (das Geschwätz, das verschweigt, was wirklich geschehen ist, und eigentlich nur noch als Objekt prophetischer Kritik Beachtung verdiente) ernst nimmt.
Ist nicht jede Kosmologie, von den Mythen bis zum Urknall, Teil eines durch Verschiebung ins Ästhetische ichfremd und angstfrei gemachten apokalyptischen Gesellschaftsbegriffs? Insbesondere der modernen kosmologischen Konstrukte, die aus hastig zusammengebastelten naturwissenschaftlichen Versatzstücken bestehen, gewinnen ihre Überzeugungskraft nicht aus ihrer naturwissenschaftlichen Konsistenz, sondern aus den gesellschaftlichen Modellen, deren Deckbild sie sind. Hatten nicht schon das Entropiegesetz und die Marxsche Kapitalismus-Kritik eine gemeinsame Basis (deren Nicht-Reflexion dann so verhängnisvolle welthistorische Folgen hatte)?
Die Privatisierung staatlicher Dienste schränkt die demokratische Kontrolle, die Kontrolle durch Vernunft, ein und ersetzt sie durch die Kontrolle durch die blinden Marktkräfte. Den Müll, den dieses System produziert, soll Verbrechensbekämpfung dann entsorgen. Was bedeutet es, wenn Ökonomie und Justiz auf diese Weise kurzgeschlossen werden; werden so nicht die Voraussetzungen für eine positivistische Rechtspraxis geschaffen, die die Urteilsfindung dann auf ein Verfahren der Konstruktion synthetischer Urteile apriori zusammenschnurren läßt und das Recht – ähnlich wie zugleich auch die Politik – immer mehr dem Verwaltungsverfahren angleicht? Die Kraft des reflektierten Urteils verschwindet im Recht wie in der Politik. Ist dies nicht der Zustand, auf den sich die biblische Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen und den Verstockungen des Pharao bezieht?
Im Exodus ist der Müll, den das Sklavenhaus Mizrajim produziert hat, im Namen Gottes zum befreienden Bewußtsein seiner selbst gekommen.
Ist nicht jede Gefangenschaft (auch die strafrechtliche) eine Art der Kriegsgefangenschaft, und die „Strafe“ ein nach innen gewendeter Krieg? Deshalb läßt sich das Recht, Krieg zu führen, ohne die Existenz der Todesstrafe nicht begründen.
Das Gewaltmonopol des Staates ist ein Erbe der Kriege, durch die es einmal begründet worden ist: es ist ein Kriegsrecht. Die Naturwissenschaften wenden dieses Kriegsrecht gegen die Natur; deshalb ist die Reflexion der Naturwissenschaften für den Staat, der die Erinnerung an seinen Ursprung nicht hochkommen lassen darf, so gefährlich.
Hat das Tier vom Lande (der falsche Prophet) etwas mit der Beziehung von Adam und adama zu tun, und ist der Name des Menschen, auf den die Zahl des Tieres sich bezieht, der Name Adams? Was hat der ben adam mit dem bar enosch zu tun: Ist der ezechielische Menschensohn der ben adam und der danielische der bar enosch?
17 = 10 + 7; 23 = 30 – 7; und 36?
Im Englischen gibt es zwei Namen des Himmels, der eine bezieht sich auf den Himmel der Vögel, der andere auf den der Engel. Kann es sein, daß diese Unterscheidung mit der englischen Version des Infinitivs von Sein, mit dem to be, zusammenhängt?
Ist nicht die Verstockung ein anderer Name für das pathologisch gute Gewissen (ein Sinnesimplikat der Ontologie), das ohnehin seit langem mit der Sündenvergebung und dem christlichen Verständnis der Erlösung verwechselt wird? Verstockung: das ist die Frucht der Opfertheologie und der „Entsühnung der Welt“.
Das historische Christentum hat ohne es zu wissen die Sünde der Welt auf sich genommen; es käme darauf an, daß es endlich das Bewußtsein davon erlangt, daß es endlich erwacht. -
5.5.96
Sind die sieben Köpfe des Drachen, wie auch die des Tieres aus dem Meere, nicht sieben Anfänge, sieben Ursprünge?
Haben die sieben Köpfe (des Drachen wie des Tieres aus dem Meer) etwas mit Joseph und den sieben fetten und mageren Kühen oder den sieben schweren und leeren Ähren zu tun und die zehn Hörner etwas mit den zehn Verstockungen (der Antwort auf die zehn Plagen) des Pharao?
Beschreiben die zehn Verstockungen (die zehn Verhärtungen des Herzens) nicht die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens? Und bezieht sich darauf das Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern?
Das Entscheidende an der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen sind nicht die Plagen (die „Schläge“), es ist die Verhärtung des Herzens des Pharao: das Modell jeder Verhärtung des Herzens, hier erkennbar als Teil eines objektiven, gesellschaftlichen Prozesses.
Auch der Begriff des Bestehenden ist ein mit dem Präfix be- gebildeter Begriff (wie Bekenntnis, Bekehrung, Besitz). Bezeichnet er nicht ein subjektlos auf einem andern Stehenden: Der Fuß auf unserem Nacken? Gilt für diesen Begriff nicht Joh 129 und das Rind-Esel-Paradigma? Ist das Bestehende nicht die Sünde der Welt, die wir, wenn wir sie nicht als Last auf uns nehmen, anderen als Joch auferlegen? Ist das Bestehende nicht die Sünde wider den Heiligen Geist?
Zwei Arten des Gebets: Wir erwarten, daß Gott uns erhört; wann erhören wir Ihn?
Orientiert sich die herrschende Auffassung der altorientalischen Geschichte nicht allein an den Nationen, den Dynastien, den Kriegen und wechselnden Schicksalen der Nationen, während die materielle Grundlage dieser Geschichte, die Geschichte der Ökonomie und der Technik (die der Chronologie der altorientalischen Geschichte den Rahmen und Halt geben könnte), nicht nur im Dunkeln bleibt, sondern, wie es scheint, wie unter einem Rechtfertigungszwang bewußt verwirrt wird. Das Referenzsystem ist der dynastische Rahmen, in den sich alles einzuordnen hat.
Das Inertialsystem ist ein säkularisiertes Opfer, das das Erbarmen ins Gericht verkehrt, ein Opfer des Subjekts an sich selbst: Sein telos ist die Hybris des Subjekts.
Die subjektiven Formen der Anschauung, der mathematische Raum und die Vorstellung des Zeitkontinuums, sind das Referenzsystem der transzendentalen Logik.
Ist die Kopenhagener Schule am Ende der Aufklärung das, was in ihrem Anfang die Astrologie war: das Konzentrat des Irrtums, der im Namen der Planeten erinnert wird. (Bezieht sich hierauf der letzte Satz des Jakobusbriefs?)
Ist nicht die ekklesia (die Versammlung, die Gemeinde im Tor) der Ort des Gerichts, die gleiche Institution, die im Germanischen Thing hieß: Die gleiche Institution, die dann sprach- und begriffsgeschichtlich zum Ding kontrahiert wurde?
Ist der babylonische Turm eine Metamorphose der Schlange?
Die Beziehung von Tauschprinzip und Schuldknechtschaft ist das Bindeglied zwischen Unmittelbarkeit und Vergegenständlichung, zwischen der Vorn-hinten-Beziehung und der Rechts-links-Beziehung, das Paradigma von Vergegenständlichung überhaupt.
Wird nicht durch den Neoliberalismus, durch die Privatisierung von öffentlichen und staatlichen Diensten der Staat (die letzte Verkörperung des Rechts der Armen) zur Plünderung freigegeben? In der Ökonomie ist der Urknall nicht am Anfang, sondern am Ende, wobei mit der Zeitstruktur auch die dynamische Struktur sich umkehrt: Die Explosion erweist sich als Implosion, als Einsturz und Zusammenbruch aller moralischen Bindungen.
Die gegenwärtige Phase der Privatisierung: die Reorganisation der Sternenwelt, die bewußte und konsequente Installation schwarzer Löcher. -
4.5.96
Haben Schwerkraft und Lichtgeschwindigkeit etwas mit den Armen (die unten sind) und den Fremden (die von außerhalb kommen) zu tun? Was entspricht dann dem Export und Reimport der Armut?
Ist das Proletariat die zur trägen Masse kontrahierte gesellschaftliche schwere Masse (das Trägheitsgesetz ist der naturale Reflex der Lohnarbeit)?
Es gibt einen Stand der kritischen Reflexion, aus dem sich unmittelbare praktische Konsequenzen nicht mehr ableiten lassen.
Der Weltbegriff hat (durch Hypostasierung der Urteilsform) das Verhältnis der Sprache zur Realität verändert, er hat einen Begriff der sprachunabhängigen Realität überhaupt erst hervorgebracht.
In der Bibel kommt es – ebensowenig in der Literatur sonst – nicht darauf an, was der Autor hat sagen wollen. Es kommt darauf an, was in den Texten sich ausdrückt; und das ist bei wirklichen Texten mehr, als der Autor hat sagen wollen. Dieses „mehr“ mag man als Werk des Heiligen Geistes verstehen, und liegt damit vielleicht gar nicht so falsch.
Der Bubersche Begriff der „Huld“ verschiebt die Barmherzigkeit vom Mütterlichen ins Väterliche (Modell des Gerichts der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht: die Mutter, die ihre Kinder verteidigt). Er malt das Bild einer Versöhnung, in der es der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern nicht bedarf. Aber zur Huld gehört das Huldigen, die Anbetung der Macht.
„Spruch des Herrn“: Das kann durchaus ein Brüllen und ein Donnern sein. Daß Johannes die sieben Donner nicht niederschreiben durfte, scheint darauf hinzuweisen, daß hier die Logik der Schrift gesprengt wird, daß dieser Donner nicht mehr schriftfähig ist. Hießen nicht die Zebedäussöhne auch Donnersöhne? Paßt das Bubersche „Sein Erlauten“ nicht zur Buberschen „Huld“?
Der erste Weltkrieg hat die Weltanschauungssucht hervorgebracht, der zweite hat alle unter Rechtfertigungszwang gestellt (die 68er Bewegung hat gezeigt, daß Praxis nicht schon von den Rechtfertigungszwängen befreit). Beide, die Weltanschauungssucht und die Mechanismen des Rechtfertigungszwangs, verweisen auf den jeweiligen Stand der objektiven Konstruktion der Realität, sie werden verfehlt, wenn man sie individualpsychologisch glaubt begreifen zu können.
Hängt der Unterschied von Hieroglyphen und Keilschrift mit dem von Sklavenhaus und Tempelwirtschaft zusammen?
Daß die Welt aus Nichts erschaffen ist, heißt das nicht einfach, daß der Weltbegriff mit der Annihilierung der Prophetie sich konstituiert? Mit dem Ursprung des Weltbegriffs ist die Prophetie zu etwas Vergangenem geworden.
Ist nicht die Interpretationsfigur in Rosenzweigs Kritik der historischen Bibelkritik („die Schrift ruft ‚Eli, eli‘, und die Theologen meinen, sie ruft den Elias“) sehr präzise zu verstehen: Zitiert er hier nicht eine Stelle aus dem Neuen Testament?
Das Problem des Christentums liegt darin, daß es der gleichen Welt verfallen ist, als deren prophetische Kritik es allein sich begreifen läßt. -
2.5.96
Sind die Banken nicht das Modell der repräsentativen Demokratie: Die Einlage der Kunden bilden das Stimmpotential, das die Macht der Banken begründet (nach der Ausbreitung und Vergesellschaftung des Bankwesens bedurfte es der Gewichtung der politischen Stimmen nach Einkommen nicht mehr)?
Blumenpflücken verboten: Woher kommt der Ausdruck „durch die Blume sprechen“? Ist nicht „Blüte“ auch ein Name für Falschgeld? Die „blühenden Landschaften“, die Kohl versprochen hatte, waren wohl eher metaphorische Landschaften: die neuen Einkaufszentren, der Warenhimmel, der den „Besserverdienenden“ offensteht.
Blumen sind in der Geschichte der Evolution zusammen mit den Säugetieren, Bäume mit den Primaten entstanden. Bei den Säugetieren gibt es (anders als bei Fischen, Vögeln und Reptilien) erstmals eine Gebärmutter.
Jonas im Bauch des „großen Fisches“ (nachdem die Schiffsleute ihn ins Meer geworfen hatten, „entbot der Herr einen großen Fisch, Jona zu verschlingen“): Wie ist er dann wieder an Land gekommen („der Herr gebot dem Fisch, und er spie ihn ans Land“)? Hat diese Geschichte (das „Zeichen des Jona“) nicht eindeutig apokalyptische Konnotationen (vgl. das „Tier aus dem Meer“ und das „Tier vom Lande“)?
Eröffnet die Geldspekulation erstmals den Blick in den Abgrund, über dem bis heute Finsternis liegt?
Schwur und Blutrache: Waren nicht schon die Asylstädte ein Versuch, den Schwur zu lösen (hängt der Schwur mit dem Binden und Lösen zusammen)? Die sechs Asylstädte gehören zu den (48) Levitenstädten.
Zum letzten Satz des Jakobus-Briefes gehört die Geschichte von dem einen Sünder und den 99 Gerechten und die Geschichte von der einen verlorenen Drachme.
Die Ambivalenz des Heideggerschen Sinn-Begriffs („Sinn von Sein“) ist ein Beispiel für die Beziehung von Rind und Esel.
Zitiert Franz Rosenzweig, wenn er den das Sigel R (Redaktor) für sich mit Rabbenu übersetzt, nicht Maria Magdalena, die den Auferstandenen, den sie zunächst für einen Gärtner gehalten hat, nachdem sie ihn erkennt, so nennt?
Die Weltgeschichte läßt sich als fortschreitender Objektivationsprozeß begreifen; hier hat der Begriff des Fortschritts sein fundamentum in re. Objekt und Medium dieses Fortschritts ist die politische Ökonomie, in der jede Entwicklungsstufe die Grundlage der nächstfolgenden Stufe ist: keine verschwindet, jede bleibt in jeder nachfolgenden erhalten, und keine kann übersprungen werden. Für die jeweils erreichte Stufe ist jede vorausgegangene eine vergangene, überholte und insoweit „veraltete“ Stufe. Motor dieser „Entwicklung“ ist die Ökonomie; das Gesetz, dem sie gehorcht, ist das Gesetz des Erfolgs, das Gesetz von Sieg und Unterwerfung.
Die Naturwissenschaften erfüllen ihren gesellschaftlichen Auftrag, die Selbstrechtfertigung des Bestehenden, als theoretischer Reflex der durchs Tauschprinzip beherrschten Praxis. Der Naturbegriff, der den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß (wie das kantische „Ich denke“, dessen Erbe er ist) begleitet, bezeichnet den jeweiligen Stand des die Ökonomie wie die Naturerkenntnis gleichermaßen beherrschenden Objektivationsprozesses, kein ein für allemal vorgegebenes All von Objekten; die Einheit des Objekts der Naturwissenschaften ist eine formale, seine materiale Identität eine Funktion des Objektivationsprozesses. Es gibt nicht „die Natur“, sondern nur historisch variable Entwicklungsstufen der Erkenntnis, deren Objektseite jede Epoche als Natur definiert und begreift. -
1.5.96
Kriege haben nach dem Ende des Nationalsozialismus ihre ökonomische raison d’etre verloren. Kriege können heute nur noch als irrationale „heidnische“ Religionskriege geführt werden.
Die Logik der Vorstellung vom „goldenen Zeitalter“ ist die Logik des Geldes (des „Goldes“), die den Schöpfungsrhythmus umkehrt, das „Gute“ (die Rettung) ideologisch an den Anfang setzt und die Katastrophe ans Ende.
Der Begriff des Testaments bezeichnet im Ursprung die Besiegelung des Kaufvertrags, der von beiden Seiten zu testieren ist. Zum Testament, und d.h. autoritär, wird er, wenn an die Stelle gleichberechtigter Parteien die einseitige Erbschaftsbeziehung tritt. Dieses Testament bedarf nur noch der Unterschrift des Erblassers, die dann mit seinem Tode wirksam wird. Das Testament gehört zur Vater-Sohn-Beziehung, die autoritär, nicht partnerschaftlich ist.
Ist nicht die trinitarische Vater-Sohn-Beziehung, in der die Mutter nicht vorkommt, eine Adoptivbeziehung, und ist nicht die „Zeugung“ eine Adoption? Wie hängt das mit der welthistorischen Wendung im Naturbegriff, der im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist, zusammen (und mit dem Ursprung des Begriffs der „Materie“, der an die mater, die Mutter erinnert, während die griechische hyle eher an die pharaonische „Verstockung“ gemahnt)?
Fällt der Schwur rechtsgeschichtlich in die Ursprungsgeschichte der Blutrache? Und hat der Schwur etwas mit dem Siegel (oder der Siegel mit dem Schwur) zu tun (vgl. die Geschichte des Brunnens Beescheba und die Bedeutung seines Namens)?
Gehören die beiden Elemente des Strafrechts, wonach nicht der Mord, sondern der Mörder bestraft wird, während Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (die Personalisierung und die moralische Grenze der Beweislogik), zusammen, sind sie nicht für die Konstruktion und die Funktion des Strafrechts konstitutiv?
Ist die Kritik des „altorientalischen Rachegotts“ nicht ein Indiz dafür, daß die Kritiker auf die Befriedigung des eigenen Rachetriebs nicht verzichten wollen? Der Rachetrieb ist ontologisch fundiert: Er hängt mit der die Ontologie fundierenden Weigerung, den Begriff des Eigentums (oder im „Sein“ den Zusammenhang des Infinitivs mit dem gleichnamigen Possessivpronomen) zu reflektieren, zusammen.
Hat der Ort Kana in Galiläa (der Ort der „Hochzeit zu Kana“, der Ort, von dem Heilung des Sohns des königlichen Beamten ausgeht, und der Ort, aus dem Nathanael, ein „wahrer Israelit“, kommt) etwas mit dem Begriff Kana (Eifer, auch mit Simon Kananaeus, und dieser mit Nathanael) zu tun? Verweist dieser Ort auf die Beziehung Jesu zu den Zeloten? – Was hat die Bezeichnung Nazoräer mit Nazareth zu tun; und was hat es mit Iskariot auf sich?
„Standort Deutschland“: Die Getreidespekulation, Grundlage des Romans von Frank Norris und der Begründung landwirtschaftlicher Marktordnungen, war eine Zeitspekulation, ihr Kern war das Warentermingeschäft, die Terminspekulation. Sind nicht die Geldspekulationen heute vor allem Währungsspekulationen, die in den unterschiedlichen Inflationsraten der nationalen Währungen und in den daraus resultierenden Währungsgefällen gründen: letztlich in den divergierenden Handelsbilanzen, in den Mechanismen der nationalen Konkurrenz, die den Kolonialismus abgelöst und weit effektiver ersetzt haben? Rühren nicht die Probleme der Agrarmarktordnungen, ihr ökonomisches Umkippen, aus diesem Sachverhalt: aus dem Eindringen der Geldspekulation in die Getreidespekulation, die dann im Rahmen einer Marktorganisation nicht mehr aufzufangen war; und läßt sich der Zeitpunkt dieses Umkippens nicht genau bestimmen, ebenso wie seine politischen Folgen
– das Scheitern der „Entwicklungspolitik“,
– die Explosion des Bankengeschäfts und die Schuldenkrise der Dritten Welt,
– das roll back des Neoliberalismus (der „Marktwirtschaft“),
– die fortschreitende Ersetzung der Politik durch Verwaltung, in der die Gewalt der entfesselten Ökonomie (national und international) sich ausdrückt,
– der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten,
– der Abbau des „Sozialstaats“,
– das Flüchtlingsproblem und seine gnadenlose Regulierung.
Zur Geldspekulation scheint es keine den (anfänglich durchaus wirksamen) Regelungen der Agrarmarktordnung entsprechenden Lösungen zu geben? Wodurch unterscheidet sich die Geldspekulation von der Getreidespekulation, aus der sie hervorgegangen ist?
Verweist nicht das Problem der Geldspekulation, das an seinen ökonomischen Folgen zu messen ist, zurück auf die „außenpolitische“ Ursprungsgeschichte der politischen Ökonomie: auf den Zusammenhang von Raub, Handel und Krieg; Ursprung des Staates: Ursprung der Warenform im Fernhandel (Außenhandel, Krieg und Eroberung, Beute, Tribut, Kriegsgefangene, Deportation und Sklavenwirtschaft, Schatzgeld und Zirkulationsgeld; Privateigentum, Tausch und Schuldknechtschaft; pax romana: Recht als Sicherung des Privateigentums. -
30.4.96
Das Christentum hat mit der Rezeption des Weltbegriffs den Rhythmus der Schöpfung umgekehrt: Es hat die Rettung an den Anfang und die Katastrophe ans Ende gesetzt. Aber hat nicht, der das Licht gebildet hat, zuvor die Finsternis erschaffen? Der Weltbegriff gründet in der Logik einer Sprache, in der das Vergangene das Vollendete ist, und in der das Vollendete nicht im Handeln, sondern dem Anschauen (dieser wissensbegründenden Einheit von Sehen und Gesehen-Haben) gegeben ist. Im Ursprung des Weltbegriffs liegt der Begriff des Wissens, die Logifizierung des Gesehenhabens. Das Anschauen (und in seiner Folge der Welt- wie auch der Naturbegriff) ist das institutionalisierte falsche Zeugnis. Deshalb gehört die Vorstellung des Zeitkontinuums, Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, zu den Voraussetzungen des Weltbegriffs. Ihren logischen Halt findet das Zeitkontinuum an der mathematischen Raumvorstellung. War nicht die Astrologie ein notwendiges Moment in der Vorgeschichte der Aufklärung in Europa, und zwar dadurch, daß sie (in den Beziehungen von Sonne und Mond, Jupiter und Mars, Venus und Merkur) den Schöpfungsrhythmus von Katastrophe und Rettung als reversibel vor Augen gestellt und damit seine Umkehrung vorbereitet hat? Nach jeder der neun ersten Plagen, heißt es, daß Gott das Herz des Pharao verstockte. Kann es sein, daß die Folge dieser Herzensverhärtungen verstanden werden muß als Ursprungsgeschichte des Herrendenkens? Sollte die Geschichte der ägyptischen Plagen unter diesem Gesichtspunkt nicht genauer untersucht werden, auch unter Berücksichtung der Umstände (welchen Gottesnamen zitiert Moses gegenüber Pharao, welche Plagen werden dem Pharao angekündigt, welche nicht, wie verhalten sich die Wahrsager und Zauberer des Pharao, wie unterscheiden sich die Plagen)? In welcher Beziehung stehen die ersten neun zur letzten Plage, zur Vernichtung aller Erstgeburt bei Mensch und Vieh in Ägypten, zum vorausgehenden Passah-Opfer und Passah-Mahl (Lamm, Fladen, Bitterkräuter) und zur Mitnahme des Schmucks und der Kleider der Ägypter? „Der Herr verstockte das Herz des Pharao“: Verweist der biblische Name Ägyptens (Mizrajim) auf die Ursprungsgeschichte der Trennung von Natur und Welt und auf den Grund des verstockten Herzens, und sind die Plagen die mit dieser Trennung verbundenen und durch sie (durch das dadurch erzeugte pathologisch gute Gewissen) zugleich unkenntlich gemachten Plagen: ist der Pharao der Prototyp derer, die den Herrn gekreuzigt haben und nicht wußten, was sie tun? Haben die zehn Plagen etwas mit den zehn Hörnern (des Drachens und des Tiers aus dem Meere) zu tun: Sind die Hörner (auch die der Opfertiere) nicht Verstockungen des Herzens (wie die zehn Verstockungen des Herzens des Pharao)? Was bedeutet es dann, wenn das Lamm, das geschlachtet wurde, und das würdig ist, die sieben Siegel zu lösen, sieben Hörner hat, während das Tier vom Lande zwei Hörner hat wie ein Lamm und redet wie ein Drache? Sind nicht die Umstände der zehn ägyptischen Plagen wichtiger als die Plagen selbst (der Nil, der zu Blut wird und aus dem die Frösche kommen; der Staub, der zu Mücken wird etc.; auf wen Moses gegen Pharao sich beruft: auf den Gott der Hebräer; auf JHWH, den Gott der Hebräer; „in der Frühe, wenn der Pharao zum Wasser geht“; der Hinweis auf das „Scheusal Ägyptens“). Gehört die Abfolge der pharaonischen Verstockungen zu den Konstituentien des Weltbegriffs? Spiegelt sich in der Verstockung des Pharao (von dem es vorher hieß, daß er Josef nicht mehr kannte) nicht die Josefsgeschichte (die als Karrieregeschichte, mit einer sentimentalen Wiedersehensgeschichte am Ende, sich präsentiert: auch eine Verstockungsgeschichte, hinter der die ökonomische Geschichte verschwindet)? Haben die zehn Sephirot etwas mit den zehn Hörnern und den zehn Plagen zu tun? War David der siebte (1 Chr 215) oder der achte Sohn des Isai (1 Sam 1610, 1712)? Die ungeheure Bedeutung der Kritik der reinen Vernunft liegt darin, daß sie die Logik, ohne ihren Zwang zu leugnen, erstmals zum Gegenstand der Reflexion gemacht hat. Es ist der erste Versuch, die Blindheit der Logik, die uns beherrscht und lähmt, durch Reflexion aufzuheben. Die subjektiven Formen der Anschauung abstrahieren vom Blick der Andern, machen sich ihn aber (im gemeinsamen Blick aufs Objekt) als systemische, die Form der Anschauung konstituierende Kraft zu eigen. Sie vergesellschaften und verinnerlichen die Zeugenschaft des Andern, indem sie sie in die Form des Anschauung integrieren. Die Formen der Anschauung sind das Produkt der Verweltlichung des Schwurs. Und dieser Schwur ist falsch (falsches Zeugnis). Es gibt einen Schrecken, den wir nur in kleinen Dosen an uns herankommen lassen können. Aber wenn er uns erreicht hat, bleibt nur der Spruch des Jonas: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört. In der Justiz sind synthetische Urteile apriori bewußt produzierte Irrtümer. Auch das hat etwas mit den Planeten zu tun, und mit dem Systemgrund der Astrologie. Zur Kritik des Zeitkontinuums: Nicht die geometrische Normale, sondern die Farbe bezeichnet die Tiefendimension der Fläche.
-
29.4.96
Tratsch gründet in der Lust an kontrafaktischen Urteilen. Und kontrafaktische Urteile sind Tratsch: Die Geschichte, das, was geschehen ist (Auschwitz einbegriffen), ist so hoch determiniert, daß die Verurteilung der Täter post festum den Punkt, an dem es anders hätte laufen können, nicht erreicht. Die Alternative wäre die Auflösung der gemeinheitsfördernden Strukturen gewesen, so etwas wie die gelungene Revolution oder die Verwirklichung des Reiches Gottes. Schreitet die gleiche Normalität, aus der das einmal hervorgegangen ist, nicht auf neuer Stufe so fort, als wäre nichts gewesen?
Auschwitz kann niemals verziehen werden, aber ist das eigentlich dasselbe wie die Verurteilung von Auschwitz? Täuscht die Verurteilung nicht eine Distanz vor, die die Erfahrung und die Reflexion, auf die es ankäme, gerade verhindert, erfüllt die Verurteilung nicht genau die Definition dessen, was theologisch Versuchung heißt? Und ist das nicht in der Tat die größte Versuchung, der das Christentum heute ausgesetzt ist? Gründet die theologische Qualität von Auschwitz nicht gerade darin, daß ein Rest bleibt, der nicht objektiviert werden darf, über den wir nicht hinwegkommen? Gilt das Paradigma Im Angesicht/Hinter dem Rücken, bevor es an Gott sich bewährt, nicht vorab für Auschwitz? Ist nicht der Probierstein für das, was im Ernst die Gegenwart Gottes heißen darf, die Gegenwart von Auschwitz, der Versuch, die Zeit anzuhalten, damit das nicht endgültig Vergangenheit wird? Die endgültige Vergangenheit von Auschwitz wäre auch das endgültige Urteil über die Nachgeschichte, in der wir leben.
Die Probleme, die Katholiken heute mit der Ohrenbeichte haben, gründen, auch wenn es ihnen nicht bewußt ist in diesem Sachverhalt. Verworfen sind die, die glauben, keine Probleme zu haben. -
28.4.96
Die Armen und die Fremden: Das sind die, die weder an der ökonomischen, noch an der politischen Herrschaft teilhaben. In ihnen verkörpert sich Gott.
Dürfen nach der Schrift Raubtiere gegessen werden? Oder sind alle Opfertiere und alle eßbaren („reinen“) Tiere pflanzenfressende Tiere? Worauf verweisen die Kriterien: gehörnt, Wiederkäuer, mit gespaltenen Hufen? Welche Vögel und welche Fische dürfen gegessen werden? War die Jagd erlaubt, und gibt es einen Hinweis in der Schrift, daß Juden die Jagd ausgeübt haben (Nimrod war „ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn“, und Isaak schickte Esau, ein Wildbret zu jagen)?
Der Neoliberalismus antizipiert den Zustand, in dem die Natur die Menschheit überlebt haben wird. War Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nicht schon eine Antizipation des Neoliberalismus?
Enthält die kabbalistische Übersetzung, wonach die Wasser an dem Ort Eins sich sammeln sollen (Gen 19), nicht einen Hinweis auf das Wortfeld, zu dem der Name der Universität (des Universums, des Universalen) gehört?
Die Verwaltung reicht soweit wie die Macht des synthetischen Urteils apriori, während es Gerechtigkeit ohne die Kraft des reflektierenden Urteils nicht gibt.
Synthetische Urteile apriori konstituieren den Bereich der Macht, während reflektierende Urteile an der Kraft des Namens partizipieren.
Der Raum läßt sich ebenso als „Behälter“ (Grundlage des prophetischen Kelch-Symbols) verstehen wie auch als automatisiertes Produkt einer logischen Operation, eines logischen Verfahrens: als Produkt der Abstraktion vom Angesicht, von der Barmherzigkeit und von Gott, mit einem Wort: als Instrument des Herrendenkens.
Der Objektivierungsprozeß (die wissenschaftliche Erkenntnis) macht die Dinge (privat-)eigentumsfähig, für Zwecke verfügbar, gegen andere Dinge (das Eigentum anderer) abgrenzbar, mit anderen Dingen vergleichbar. Die Naturordnung, die so sich auskristallisiert und erkennbar wird, ist ein Reflex der Eigentumsordnung; beide unterliegen dem gleichen Bewegungsgesetz. Es gibt keine wissenschaftliche Erkenntnis ohne das das Privateigentum ermöglichende und konstituierende Organisationsprinzip: den Staat. -
27.4.96
Was bedeutet eigentlich das „visibilium omnium et invisibilium“ im Credo, wie hängt es mit dem „factorem caeli et terrae“ zusammen: Ist das Gemachte (auf das das Credo die Schöpfung reduziert) aufs Sehen und das Geschaffene aufs Hören bezogen? Das Wort und der Name kommen im Credo nicht vor. Läßt sich das Credo definieren als Besiegelung der Zerstörung der Prophetie durch Verdinglichung? Hier läßt sich die Differenz von Schrift und Wort, Begriff und Name, mit Händen greifen.
Gemeinheit ist nicht mehr nur kein strafrechtlicher, sondern darüber hinaus auch kein diskriminierungsfähiger Tatbestand mehr. Es gibt Gemeinheiten, gegen die man sich nicht einmal mehr wehren darf. Gemeinheit ist (als Kern aller Empfindlichkeiten) heute zu einem schützenswerten Rechtsgut geworden. Bezeichnet nicht die Gemeinheit den Empfindlichkeitskern der Person?
Ende der Metzgertheologie: Verweisen nicht der Kelch von Getsemane, der Wein und das Blut des Neuen Bundes, die Opfertheologie auf eine gemeinsames Zentrum, dessen Bedeutung erst sich enthüllt, wenn es dem Bannkreis der Instrumentalisierung entronnen ist? Ist dies nicht der zentrale Satz: Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde …? Ist nicht der Tod erfahrbar nur als Tod der anderen; und ist der eigene Tod im Kern nicht auch ein Tod für andere (aber kein „stellvertretender“)? Welche Bewandnis hat es hier mit dem Inertialsystem, mit dem Geld und mit der Bekenntnislogik, und was bedeutet in diesem Kontext der letzte Satz des Jakobus-Briefes? Hat das Christentum nicht mit der Rezeption der Lehre von der unsterblichen Seele, von einer Unsterblichkeit, die jeder nur für sich selbst erhofft, sich selbst den Zugang zur Eschatologie versperrt? Eschatologisch ist die Lehre von der Auferstehung, die sich aber zunächst auf die der anderen bezieht. „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ (Kafka).
„Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Nackt ist man im Blick der anderen; nackt ist man als anderer für andere: Kündigt sich in der Erfahrung, nackt zu sein, nicht zum erstenmal der Tod an (und gründet darin nicht die Affinität der Nacktheit zur Photographie)? Was hat es dann zu bedeuten, wenn Gott den ersten Menschen anstelle des Rocks aus Feigenblättern, mit dem sie ihre Blöße zu bedecken versuchen, einen Rock aus Fellen gibt?
Während Heidegger die Unlösbarkeit des Todesproblems in der Philosophie mit der Identifikation mit dem Aggressor (mit dem „Vorlaufen in den Tod“) beantwortet, ist sie für Rosenzweig zum Kernstück seiner Lehre von der Umkehr geworden.
Die drei evangelischen Räte sind die drei Antworten auf die Gewalten des Todes (sind nicht die „sieben unreinen Geister“ diese Gewalten des Todes: die Irrsterne).
Aber hat nicht das Christentum durch die Subsumtion der Eschatologie unters Selbsterhaltungsprinzip (durch den katholischen Mythos) eine Situation geschaffen, die die Nekrophilie und die Mordlust fördert (und das einzige, was aus dem Bann herausführt: das „Stark wie der Tod ist die Liebe“, verdrängt)?
„Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“: Muß es nicht heißen: Die Pforten der Unterwelt, des Totenreichs?
Inertialsystem (Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit): Wer das Vergangene in die Vergangenheit einsperrt, sperrt sich selbst mit ein.
Licht und Finsternis beziehen sich beide aufs Sehen und Gesehenwerden zugleich: Im Licht sehe ich und werde gesehen, in der Finsternis sehe ich nichts und werde nicht gesehen. Die Unterscheidung von Licht und Finsternis, auch die von Tag und Nacht, ist physikalisch nicht nachvollziehbar, weil der den physikalischen Erscheinungen zugrunde liegende (mathematisch definierte) Raum, der Raum der Anschauung, vom Blick des Andern (vom Angesicht) und damit von der Möglichkeit gesehen zu werden abstrahiert. (Die Definition des seligen Lebens als „selige Anschauung Gottes“ ist falsch, weil sie von Gottes Angesicht, das kein Gegenstand der Anschauung ist, abstrahiert.)
Der Zeuge ist einer, der gesehen hat und deshalb weiß. Sein Wissen ist beweislogisch verwertbar.
Ist nicht das Wort, daß niemand eine größere Liebe hat als wer sein Leben hingibt für seine Freunde, wenn es für „Heldendenkmäler“ mißbraucht wird, zur Blasphemie entstellt? -
26.4.96
Wie verhält sich die lateinische (feminine?) Konstellation von res, natura, mundus und materia zur griechischen (maskulinen?) Konstellation von pragma, physis, kosmos und hyle, und wie verhalten sich beide zur Konstellation von Ding, Natur, Welt und Materie?
Die Welt gründet in einem Akt des Richtens, durch den sie am Ende selbst gerichtet wird.
Die Einheit des philosophischen Gottes (des griechischen Monotheismus) ist die des subjektlosen Richtens; die reale Einheit Gottes hingegen gründet in Seinem Erwachen, in der Barmherzigkeit.
Ist nicht in Rosenzweigs Konstruktion des Weltbegriffs (B = A) das A in sich selber vermittelt: ein Reflex des B in der Konstruktion des Begriffs des Menschen (B = B)? Das Allgemeine der Welt ist ein Besonderes. Im Kern des Weltbegriffs steckt die innere Kollektivität des Subjekts, an die der Begriff der Masse erinnert.
Das Rätsel des Begriffs des Opfers löst sich, wenn das Opfer aus der Verstrickung in den Weltbegriff befreit wird. Dann erweist sich das Opfer als sein eigenes Gegenteil; nicht mehr als Opfer, sondern als Manifestation der Barmherzigkeit. Genau dadurch unterscheidet sich das JHWH-Opfer von dem Opfer des Baal.
Die Kirche, die die Armen vertritt, hat sich selbst an die Stelle der Armen gesetzt. So hat sie die Sakramentenlehre verhext. Damit aber ist die Kirche zum Modell aller Institutionen seitdem geworden.
Die Verurteilung (die die Vergangenheit irreversibel macht) ist das Sakrament des Büffels. Die Opfertheologie, die die Welt entsühnt, spricht damit das verurteilende Prinzip frei: Sie legitimiert Herrschaft.
Gilt nicht für die Sprachen, was Hegel im Kontext seines Naturbegriffs von den Tieren sagt: Die Natur kann nach Hegel den Begriff nicht halten, weil es anders nur ein Tier, nicht aber ein Spektrum unterschiedener Arten und Gattungen geben dürfte. Wie verhält sich die Benennung der Tiere durch Adam, in der die Einheit der Sprache im Paradies sich manifestiert, zum Turmbau von Babel, in der die Sprache verwirrt, ihre Einheit zerstört wurde? Ist Babel nicht das Symbol für die neue Einheit des anderen, des apokalyptischen Tieres (das am Ende sich als eins mit dem philosophischen Gott erweist)?
Für die Griechen steckt der Teufel, für die Juden steckt Gott im Detail.
Den Satz „Um das ein für allemal klarzustellen …“ sprechen nur Väter, die im Bestehenden die Herrschaft der Vergangenheit verkörpern. Bezieht sich nicht das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ auf diese Väter? Die Schwierigkeit einer Theologie im Angesicht Gottes gründet darin, daß es in ihr kein Ein-für-allemal gibt.
Das Ein-für-allemal ist als Prinzip der Väter zugleich das Prinzip von Gesetz und Verwaltung.
Das Prinzip der Lohnarbeit hat das Verhältnis von Befehl und Gehorsam neutralisiert, es in einen Sachzwang verwandelt, den Arbeiter zum reinen Objekt gemacht. Für die Herrschenden in Wirtschaft und Politik sind die Arbeiter von den materiellen Ressourcen (Maschinerie, Rohstoffe, Energie, Kredit) nicht mehr zu unterscheiden. Sie sind wie diese nur noch ein Kostenfaktor, der möglichst niedrig zu halten ist.
Die Antwort auf die Materialisierung der Menschen wäre die Humanisierung der Natur.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie