Bezieht sich Apk 12, die Geschichte von der Frau, die im Anblick des Drachen das Kind gebiert, auf das Relativitätsprinzip, auf die darin sich verkörpernde Beziehung von Barmherzigkeit und Gericht? Wie verhält sich diese Geschichte zur Geschichte vom Sündenfall, zum Fluch über die Schlange, zur Beziehung des „Samens der Frau“ zum „Samen der Schlange“?
Nur wer in andere sich hineinversetzen kann, ist fähig, sich selbst von außen zu sehen: ist gewissensfähig.
Erinnert nicht der deutsche Begriff des Gewissens an das Gehölz, das Gewässer oder das Gebirge?
„Staatstragende Intellektuelle“: Sind nicht die, die andere so nennen, selber „staatstragend“, braucht nicht der Staat zu Selbstkonstituierung seine Feinde?
Ursprung des Faschismus: Hegels Satz, daß für den Kammerdiener der Held kein Held ist, ist am Ende in eine Bewegung hereingezogen worden, in der die Kammerdiener glaubten, das Erbe der Helden, die selber schon keine mehr waren, antreten zu können.
Was drückt sich eigentlich darin aus, daß eine Reihe von Gruppierungen (Friedensbewegung, Frauenbewegung, ökologische Bewegung) nach dem Krieg die Selbstdefinition des Faschismus, der sich auch schon als „Bewegung“ verstand, übernommen haben? Drückt darin nicht ein reaktives, ein passives, ein sehr mechanisches Verhalten sich aus: Bewegungen werden von etwas bewegt, sie bewegen nicht selber etwas? Nach Aristoteles ist Gott der erste, selber unbewegte Beweger. Ist nicht der unbewegte Beweger ein anderer Ausdruck für die Einheit des Schuldzusammenhangs, nach dessen Gesetzen Bewegungen sich bewegen?
Theologie
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4.3.1997
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3.3.1997
Hat Matthäus mit den drei Magiern aus dem Orient den Daniel auf den Kopf gestellt?
Sprache und Schrift: Hängt der apokalyptische Begriff der Sprachen (in der Konstellation Völker, Stämme, Nationen und S.) mit der jakobinischen „Zunge“ (vgl. auch Paulus‘ Glossolalie, „Zungenreden“) zusammen? Findet nicht die Sprache, wenn man den Namen der Offenbarung ernst nimmt, ihre Begründung in der Schrift; und macht nicht der Begriff der semitischen Sprachen – wie anhand von Bibel und Koran sich demonstrieren läßt – das Ungleichnamige gleichnamig; ist nicht der Koran, und in seiner Folge die christliche Koranisierung der Bibel, die Wurzel der kopernikanisch-newtonschen Revolution? Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, heißt das nicht, daß dann die himmlische Wurzel der Sprache in dieser Schrift lesbar wird, und daß darin, in diesem Buch, jeder sich selbst erkennt – und das ist das Gericht?
Wenn heute Regierung durch Verwaltung ersetzt wird, ist das nicht der deutlichste Hinweis auf die innere Pluralität des Weltbegriffs (sein stummes Inneres)?
Das Geschwätz ist die zwanghafte Folge der Unfähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen: deshalb muß das Geschwätz die Andern vergegenständlichen, sie zu Objekten von Urteilen machen („über“ andere reden). Nur so glaubt man, die „aufdringlichen“ Andern, deren Aufdringlichkeit im Schuldverschubsystem gründet: in der gegenständlichen Erinnerung an das, was man in sich selbst verdrängen mußte, sich vom Leibe halten zu können.
Barmherzigkeit ist die Arbeit des Gebärens.
Sind nicht eigentlich alle Richtungsgegensätze, oben und unten, vorn und hinten, rechts und links, asymmetrische Spiegelungen, vergleichbar der Beziehung von Vater und Sohn? Und gründet nicht die neutralisierte Form des Raumes (die subjektive Form der äußeren Anschauung) in der Neutralisierung dieser Gegensätze: in der Idee der Brüderlichkeit? – Die brüderliche Welt ist die Wolfswelt.
„Patientengut“ (ein Begriff aus einer Sammlung medizinischer Aufsätze): Sind Krankenhäuser Lagerhäuser für Patientengut (das mit dem Tod der Patienten zu herrenlosem Gut wird, das dann der medizinischen Verwertung zugeführt werden kann; die „ethische“ Diskussion um den Hirntod ist eine verwaltungsinterne Diskussion)? Hieran wäre das sprachlogische Problem der Instrumentalisierung und die Bedeutung des Begriffs des Falls im ersten Satz des Wittgestein’schen Tractatus logico-philosophicus zu demonstrieren. Der Hinweis auf die lebensrettende Bedeutung der Bereitstellung von Organen ist wahr und zynisch zugleich. Der Begriff Patientengut drückt genau diesen zweideutigen Aspekt, die Subsumtion der Krankheit unters Wertgesetz, aus.
Gibt es nicht inzwischen „Krankheiten“, die nachweislich nur noch ein Alibi für die lukrative medizinische Dauerverwertung der Hypochondrie und der Ausweitung der Nutzungskapazität der Apparatemedizin sind? Und spielt hier nicht ein Aspekt des Begriffs der Objektivität mit herein, der auf das Bedürfnis nach Schuldentlastung und auf die Mechanismen des Schuldverschubsystems (auf die kollektive Wirksamkeit von Rechtfertigungszwängen) verweist, ein Kontext, den das medizinische (wie sonst auch das technische) Vokabular wirksam verschleiert?
Hängt die Vorstellung des unendlichen Raumes nicht mit dem Bedürfnis nach logischer Fundierung des Schuldverschubsystems zusammen (Zusammenhang mit dem Namen des Angesichts und dem biblischen Motiv der sieben unreinen Geister und der sieben Siegel)? Abgesichert wird diese logische Fundierung durch die Universalisierung des Gravitationsgesetzes. Das Resultat dieser Schuldverschiebung wird lesbar, wenn der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt.
Das Subjekt der symbolischen Erfahrung (der Spracherfahrung) ist die Barmherzigkeit.
Zur Kritik der Naturwissenschaften vgl. Kants Antinomien der reinen Vernunft (und die Unerkennbarkeit der Dinge an sich), Levinas‘ Asymmetrie und Ferdinand Ebners „Ich-Einsamkeit“.
Intersubjektivität und Bekenntnislogik: die Gemeinschaft, auf die beide sich beziehen, ist die Gemeinschaft der Einsamen, des kollektiven Nicht-Ich (ein Hochsicherheitstrakt). Der Repräsentant dieser Gemeinschaft im Subjekt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die Welt.
Der „innere Schweinehund“ ist das, was uns daran hindert, die „Pflichten“ der Selbsterhaltung zu erfüllen; und gehört dazu nicht auch die Barmherzigkeit (das, was die Nazis „Humanitätsduselei“ nannten)? -
2.3.1997
Die Goldhagen-Debatte hat eines deutlich gemacht, daß nämlich der Objektivismus auch als Entlastungsinstrument benutzt wird.
Wer Solidarität fordert, aber die Reflexion unterbindet, ist vom Grunde her ein Faschist. Befreiung ist nur möglich auf der Grundlage einer Solidarität ohne Komplizenschaft. Solidarität ohne Komplizenschaft ist das entscheidende Argument gegen die Bekenntnislogik (und gegen jeglichen Nationalismus). Fatal ist heute jeder Wunsch, einer Gemeinschaft anzugehören, „in der ich mich wohlfühlen kann“.
Sind die Planeten am zweiten Tag erschaffen oder am vierten: Gehören sie zur Feste des Himmels oder zu den Sternen? Wer sind die Sabaoth?
Hängt nicht das Recht (zu dem die Verfolgungsbehörden gehören) mit dem Sündenbocksyndrom zusammen?
Das Geschwätz ist der Mutterboden des Gerüchts. Beide gedeihen unterm Rechtfertigungszwang. Zum Gerücht gehört die Instrumentalisierung des Verdachts, sein Ziel ist die Verurteilung.
Das Geschwätz ist ein Experimentallabor der Feindbildlogik. Die Feindbildlogik ist ein Instrument zur Ausbildung und Rechtfertigung der Gemeinheit.
Ist die Gleichzeitigkeit ihrer Entdeckung nicht ein Hinweis darauf, daß das Plancksche Strahlungsgesetz etwas mit der speziellen Relativitätstheorie Einsteins und dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu tun hat? Hinweis: Das Relativitätsprinzip ist das Prinzip der Veranderung. Es definiert den Raum (das Referenzsystem), in dem die mathematische Naturerkenntnis sich konstituiert.
Die Schwere wird gemessen mit Hilfe der Waage, die es aber nur in einem Schwerefeld gibt. Der Erscheinungsort der Schwere ist die Erde, auf der wir sie am eigenen Leibe erfahren. Wer wiegt die Sonne oder den Mond? Ist das Planetensystem und sind die Gezeiten Teile einer Waage (so erfahren die Planeten die Gravitationskräfte der Sonne und die Meere die des Mondes „am eigenen Leibe“)? Die Planetenbahnen sind Fallwege, die kein Ziel mehr haben.
Der Preis für die Reversibilität der Beziehung von oben und unten ist die Irreversibilität der Zeit (wie verhält sich das Licht zur Irreversibilität der Zeit, was drückt in der Existenz der konstanten Lichtgeschwindigkeit sich aus?).
Was hat die trinitarische Zeugung mit den messianischen Wehen, mit dem apokalyptischen Bild der Geburt, zu tun?
Der Weltbegriff ist ein Plurale Tandem; es gibt nicht die Eine Welt. Der Keim des Weltbegriffs ist das Neutrum, das selber im Ursprung ein pluralis ist (Gehölz, Gebirge, Gewässer).
Der Begriff der Zeugung bezeichnet das mythische Moment im christlichen Dogma, das gleiche Moment, das den messianischen Wehen entspricht, die in der Hölle als ewig vorgestellt werden.
Hat der babylonische Unzuchtsbecher etwas mit dem Zusammenhang von Götzenopfer und Unzucht zu tun (mit Bileam)? -
28.2.1997
„Und Gott sprach: Es werde eine Feste inmitten der Wasser …: ein zweiter Tag“ – An diesem zweiten Tag aber fehlt der abschließende Satz „und Gott sah, daß es gut war“. Was ist „die Feste“, die Gott dann Himmel nannte (Buber nennt sie „Gewölbe“, Zunz „Ausdehnung“)? Hat diese Feste etwas mit den am fünften Tag erschaffenen „großen Meerestieren“ zu tun, mit dem „kreisenden Flammenschwert“ des Cherubim vorm Paradies und mit dem „Bogen in den Wolken“ nach der Sintflut? Ist das Firmament der Inbegriff des Gerichts, der verdinglichenden Gewalt, der Verurteilung, der Naturgrund von Herrschaft (der subjektiven Formen der Anschauung, des Inertialsystems)?
Barmherzigkeit, ein kleiner Schritt über Marx hinaus: das Sich-Hineinversetzen in den Anderen, die Rekonstruktion der Subjektivität aus ihren politisch-ökonomischen Bedingungen, des Lichts aus der Schwere. Barmherzigkeit ist das Äquivalent des Lichts in der moralischen Welt (im Kontext der subjektiven Formen der Anschauung löst sich das Licht auf in elektrodynamische Prozesse, nur durch Sprache wird Licht zum Licht).
Wenn das Licht die realsymbolische Manifestation der Barmherzigkeit ist, dann ist die Feste des Himmels das Gericht. Die Feste des Himmels ist der Grund der Feindbildlogik.
Der biblische Schöpfungsbericht wird durchsichtig allein auf der Grundlage der Barmherzigkeit, im Kontext der Ethik als prima philosophia.
Theologie im Angesicht Gottes hat einen Zeitkern, sie schließt die Kritik der Vorstellung des Überzeitlichen mit ein. Die Orthodoxie ist die durch die Idee des Überzeitlichen verhexte Gestalt der Wahrheit (Gesinnung ist das moralische Äquivalent der Orthogonalität: sie bestimmt die Richtung). -
27.2.1997
Definition des Grübelns: der partnerlose Dialog. Es geht einem durch den Kopf, was man hätte sagen können oder müssen, aber nicht gesagt hat. In der Regel ist das Grübeln Produkt eines Rechtfertigungszwangs, der seinen Adressaten nicht mehr erreicht, das Anrennen gegen die tauben Wände des Nichtverstehens (die subjektiven Formen der Anschauung sind diese Wände). Das Grübeln, ist das nicht das Feuer der Hölle (der Eisenschmelzofen)? Hat es nicht etwas mit dem Fürsten dieser Welt, der wie ein Blitz vom Himmel gestürzt ist, aber auch mit dem Feuer vom Himmel, zu tun? Und hat es nicht mit der Verheißung, daß es eine Sintflut nicht mehr geben wird (das Zeichen dafür ist der Bogen in den Wolken), aber auch mit dem Feuer am Ende etwas zu tun?
Sind nicht die Adressaten der Wehen aufs genaueste benannt?
– Chorazin und Bethsaida (Mt 1121 par),
– die, durch die die Ärgernisse kommen (Mt 187 par),
– die Schriftgelehrten und die Pharisäer (Mt 2313ff par),
– die Schwangeren und Stillenden (und nicht die Gebärenden?) in den Tagen des Endes (Mt 2419 par),
– der, der ihn verraten wird (Mt 2624 par),
– die Reichen, die Satten, die Lachenden, die, von denen alle Menschen gut reden (Lk 625ff).
Die Verheißung an Eva steht in dem Fluch an die Schlange (und trifft Eva gleichsam von hinten?). -
26.2.1997
Gott ist nicht allwissend. Die Kategorie des Wissens ist auf Gott nicht anwendbar. Jedes Wissen gründet in einer Abstraktion, die der göttlichen Erkenntnis (der Erkenntnis im Namen, nicht durch den instrumentalisierenden Begriff) die Grundlage entzieht.
Es gibt nicht drei Weltreligionen, sondern es gibt
– eine Naturreligion: die jüdische,
– eine Weltreligion: die christliche,
– und eine Religion des Wissens: den Islam.
Die Naturreligion leugnet die Erlösung, die Weltreligion die Schöpfung und die Religion des Wissens die Offenbarung.
Liebet eure Feinde: Jede Verurteilung steht unter dem Druck des Rechtfertigungszwangs; deshalb gibt es keine Verurteilung ohne projektiven Anteil. Jede Verurteilung enthält ein ästhetisches Moment (ein Stück vergegenständlichter Scham).
Wie hängt die Feindschaft (die zu den Konstituentien des Begriffs der Erscheinungen bei Kant, auch des Begriffs des Scheins in der Hegel’schen Logik, gehört) mit dem Begriff der Scham zusammen?
Sind die Wehe-Rufe in den Evangelien eigentlich wirklich nur Drohungen, Verdammungen, Verurteilungen (Angstmacher)? – Nicht Anklage, sondern Klage (gehört nicht die Anklage zu einer Logik, die die Umkehr zur Bekehrung und die Offenbarung zum Bekenntnis macht?). Vgl. die Unterscheidung von „Drohrede, Gerichtsankündigung“ und Klage bei Luzia Sutter Rehmann: Geh, frage die Gebären, S. 64 (nur im Kontext der Abwehr, unterm Rechtfertigungszwang, wird die Klage als Anklage erfahren).
Der Rassismus (der in der Logik der Domestikation gründet, aus dem Begriff der Züchtung sich herleiten läßt – sie endet in der Genforschung) gründet in dem (männlichen) Wunsch nach einer Geburt ohne Wehen (dem technisch-instrumentellen Verständnis der Geburt, einer Geburt, deren Leiden ich nicht mehr wahrnehme, weil die weibliche Geburtserfahrung, die Erfahrung der Wehen ausgeblendet wurde; einer Geburt, die eigentlich die Endstufe der Vergewaltigung ist). Der Rassismus macht das Schuldverschubsystem zu einem Schmerzverschubsystem: zur Logik des Mords – „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.
Ist nicht der Rassismus eine der letzten Bastionen der Abwehr der Wehen?
Das Schmerzverschubsystem ist das Produkt der Instrumentalisierung des stellvertretenden Sühneleidens.
Der Begriff des Falls bezeichnet den Akt und das Ergebnis der Abstraktion von den Wehen (die Totalität des Schmerzverschubsystems, der Subjektivierung der Empfindungen: der von der Sinnlichkeit „gereinigten“ Welt). „Fertigmachen“ (Konstituierung der trägen Masse): Die Subjektivierung der Empfindungen ist ein Instrument zur Rechtfertigung der Gewalt (der Mordlust). -
22.2.1997
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Gründet die Logik und die Geschichte der Opfer in ihrer Beziehung zur Barmherzigkeit? Und endet die Geschichte der Opfer (als Geschichte ihrer Introversion) in der Zerstörung der Barmherzigkeit durch Instrumentalisierung?
Hatte der Knoten, den Alexander durchschlagen hat (die Instrumentalisierung der Barmherzigkeit und die Trennung und Konstituierung des Natur und des Weltbegriffs), etwas mit dem Problem des apagogischen Beweises zu tun? -
21.2.1997
Hat die Grenze zwischen Wachen und Traum etwas mit der Grenze der Nationen, Völker und Sprachen zu tun? Gibt es Träume erst, seit es Fremdherrschaft gibt (Pharao und Nebukadnezar)? Haben die Namen der Barbaren und Hebräer etwas mit dieser Traumgrenze zu tun (ebenso wie der Weltbegriff etwas mit der Nation: mit Verdrängung und Reflexionsverweigerung)?
Ist der Traum in der Schrift ein männliches Privileg (ein Privileg der Herrschenden, der Alten, der Väter)?
Bei Matthäus träumen Joseph und die Magier, und am Ende die Frau des Pilatus (Mt 128, 212f,19. 2719).
Nach Judas „beflecken (‚gewisse Menschen‘, die sich eingeschlichen haben, oder auch ‚die Engel, die ihre Würde nicht bewahrten …‘) … in ihrem Traumzustand in gleicher Weise das Fleisch, die Herrschergewalt aber verachten sie, Majestäten aber lästern sie“ (Jud 14ff, vgl. 2 Pt 210).
Ist die Joseph-Geschichte, in der der Oberbäcker gehängt wird (und nimmt nicht Joseph, der die Getreidevorräte anlegt, dann seine Stelle ein?), die Geschichte der Instrumentalisierung der Barmherzigkeit? -
18.2.1997
Das Gewissen ist das Organ der Sensibilität, der moralischen Wahrnehmung: es ist ein Erkenntnisorgan. Wer das Gewissen (im Kontext der transzendentalen Ästhetik, unterm Bann der subjektiven Formen der Anschauung) zu etwas rein Innerlichem macht, macht es zur Quelle von „Schuldgefühlen“. Dieses Gewissen beurteilt nur post festum die vergangenen Handlungen (das eigene Tun); zu diesem Gewissen gehört der Rechtfertigungszwang (gehören die Abwehrmechanismen und die Feindbildlogik).
Was ist das für ein merkwürdiges Konstrukt, das, indem es rechtfertigt, verurteilt und freispricht zugleich? Ist dieses „Gewissen“ nicht der Inbegriff der Logik der subjektiven Formen der Anschauung, der transzendentalen Ästhetik?
Das Gewissen, das nur noch innerlich ist, ist der Luxus in einer versteinerten und gnadenlosen Welt.
Ist nicht der letzte Satz des Jakobusbriefs der Schlüssel zur Gnadenlehre?
Zu Hegels Satz: „Für den Kammerdiener ist der Held kein Held“ ist zu bemerken: Ein Held, der einen Kammerdiener hat, ist kein Held.
Ist Held eine ästhetische Kategorie? Was (nicht „wer“) ist der Held des Romans (ein Identifikationsobjekt, das ästhetische Pendant des Objekts: Beziehung zum Weberschen „Charisma“)? Gibt es Helden ohne Feindbildlogik, und gehört nicht zur Figur des Helden die Idee des stellvertretenden Opfers? Ist nicht die Figur des Helden der Knotenpunkt der Instrumentalisierung (im Helden gewinnt die Logik der Instrumentalisierung, die transzendentale Ästhetik, Selbstbewußtsein)? – Was hat die Figur des Helden mit dem „Fürsten dieser Welt“ und mit der Astronomie zu tun? Helden sind fleischgewordene Götter. Helden sind die Abgeltung des Opfers als Opfer an das Selbst.
Gibt es außer dem biblischen Schöpfungsbericht noch eine andere Kosmogonie, die auch die Entstehung des Lichts mit einschließt?
Pharao, der Titel des ägyptischen Königs: Hat die aristotelische Unterscheidung von oikos und polis etwas mit der Unterscheidung von Mizrajim (Pharao und das Sklavenhaus) und Babylon (Tempelwirtschaft) zu tun?
Stecken nicht im Namen der politischen Ökonomie, deren Kritik Marx sich vorgesetzt hatte, die polis und der oikos?
Bei Rosenzweig kommen Ägypten und Babylon nicht vor, dafür neben Griechenland Indien und China und neben Juden und Christen der Islam. Das aber heißt: Rosenzweig war kein Prophet, sondern ein Philosoph.
Bei Daniel kommt Ägypten nicht vor (erst bei Johannes kommt neben Babylon auch Ägypten vor: die Plagen). Wer Ägypten verstehen will, muß die Finsternis begreifen.
War die Erfindung der Sumerer ein Konstrukt zur Absicherung des Antisemitismus, gehört sie nicht in den Kontext der historischen Bibelkritik, deren Ziel die Neutralisierung der Prophetie gewesen ist? War nicht das Ziel der historischen Bibelkritik die Kritik der Erwählung Israels, die sie zu einem Exempel des Nationalismus gemacht hat, um so die exkulpatorische Logik zu retten? Kern der historischen Bibelkritik war die Verwerfung der Gottesfurcht.
Hat die kabbalistische These. daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, etwas mit der apokalyptischen Versiegelung (und mit der Lösung der sieben Siegel) zu tun?
Gibt es nicht Motive aus der heroischen Tradition, die sowohl auf Moses als auch auf Jesus sich anwenden lassen?
Ist die Stummheit des Helden die Folge seiner Beziehung zum Ursprung der Kunst, zur Ästhetik, auch zu den subjektiven Formen der Anschauung? Sind Helden die ersten Objekte der Anschauung? Wenn die Stummheit des Helden mit dem Ursprung der Raum- und der Objektvorstellung zusammenhängt, ist sie eine Bestimmung innerhalb der Sprache. Und wie hängt die Distanz zum Objekt, die in der Stummheit des Helden sich ausdrückt, mit dem bara, mit dem biblischen Schöpfungsbegriff zusammen (wie auch mit dem Namen der Barbaren und der Hebräer)?
Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht: Ist nicht das Himmelsblau das über die Finsternis gezogene Licht, das Rot des Feuers die über das Licht gezogene Finsternis? – Vgl. Goethes Farbenlehre.
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Haben Mond und Sonne etwas mit der Scham und mit dem Blick der Andern, mit dem Urteil, zu tun?
Et verbum caro factum est: Ist dieses Fleisch der Inbegriff der Nacktheit und der Scham. Der ans Kreuz Geheftete war nackt.
Drückt in der Apokalypse die Beziehung der Wahrheit zur Öffentlichkeit sich aus, die auch dem Martyrium zugrunde liegt?
Mene, tekel upharsin: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden. Die Wand ist die Projektionsfläche, die die Rationalität der Naturwissenschaft begründet. Ist das Menetekel (die Schrift an der Wand) der Grund der Naturwissenschaft? Das Menetekel ist das Symbol der Logik der Schrift; und hat es nicht auch etwas mit dem Geld, mit Mine und Schekel, zu tun? Ist die Kunst (der subjektlose Traum der Politik, den das Genie, die „Natur im Subjekt“, träumt) der Traum des Nebukadnezar? -
17.2.1997
Zu Rosenzweigs Kritik des „All“: Der Allbarmherzige ist der Unbarmherzige. Allbarmherzigkeit ist eine Barmherzigkeit, die nur noch rechtfertigt, nicht mehr gerecht macht, die vor der Macht als Grund der Welt kapituliert (vgl. die Ausführungen Kippenbergs zur islamischen taqiyya in „Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen“, S. 459ff). Eine Sündenvergebung, die nicht mehr gerecht macht, ist nur noch eine Verdrängungshilfe: Das leisten die subjektiven Formen der Anschauung besser. Die Abstraktion vom Blick des Andern ist die Abstraktion von Schuld (vom verurteilenden Blick des Andern), nicht ihre Aufhebung; sie dispensiert von der Anstrengung der Versöhnung. Deshalb gehört zu der mit der Geschichte der Naturwissenschaften verbundenen Subjektivierungsgeschichte die Subjektivierung der Schuld zu Schuldgefühlen. Die subjektiven Formen der Anschauung haben die Erlösung automatisiert. Der Allbarmherzige ist der Prototyp der subjektiven Formen der Anschauung (ohne die es den Begriff des All nicht geben würde). Die Barmherzigkeit hingegen ist konkret. Barmherzigkeit ist die individualisierende Kraft der Erkenntnis, sie hat Teil an der erkennenden Kraft des Namens. Gerechtigkeit hingegen ist die gleichmachende Gewalt, Ursprung des Begriffs: Sie kann Rechts und Links nicht mehr unterscheiden (und in der Folge auch Oben und Unten, Vorn und Hinten). Der Welt liegt die Gewalt zugrunde, der Erde die bis heute verborgene und ungehobene Barmherzigkeit.
Liegt nicht der Fehler der LXX und der gesamten, darauf sich stützenden hellenistischen Tradition darin, daß hier adonai, der Deckname des Gottesnamens, mit „der Herr“ anstatt mit „mein Herr“ übersetzt worden ist?
Die irdischen Väter repräsentieren in der Familie die Außenwelt und das Realitätsprinzip, der himmlische Vater Jesu dagegen die Barmherzigkeit als Inbegriff der zukünftigen Welt.
Beim Versuch, die Schrift zu verstehen, wird man eines beachten müssen: In der Schrift ist ein Vergleich niemals nur ein Vergleich, ist ein Gleichnis nicht nur ein Gleichnis. Wer in der Verheißung an Abraham das „Wie“ (zahlreich wie der Sand am Meer und wie die Sterne des Himmels) begreift, hat die Schrift begriffen.
Ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter nicht mehr als eine moralische Fabel, und hat sie nicht etwas mit der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Brunnen zu tun? -
15.2.1997
Gemessen an der Apokalypse ist das offizielle Christentum der Durchbruch des Heidentums im Christentum.
Die Sünde der Welt: Ist die Orthogonalität, der Realgrund jeder Abstraktion, der Realgrund der Sünde, und ist der subjektive Ausdruck der Orthogonalität die Person (bei Paulus das Fleisch)?
Im Begriff des Bekenntnisses steckt das ganze theologische Problem der Öffentlichkeit.
Jedes Bild ist ein Feindbild, und die Feindbildlogik ist das Erbe der Idolatrie.
Es gibt keine Gesellschaftskritik ohne Naturkritik. Nur: An der Natur wäre ein Kritikbegriff zu demonstriereen und zu erlernen, der nicht mehr auf Widerlegung zielt.
Die Idee der Auferstehung, und mit ihr die Engel- und Dämonenlehre, ist zusammen mit dem Weltbegriff entstanden.
Hat die Schriftrolle bei Sacharja (Sach 51ff) etwas mit dem Himmel, der am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollt, zu tun?
„Und er sprach zu mir: Das ist der Fluch, der über das ganze Land ausgeht; denn alle Diebe sind – wie lange schon! – straflos geblieben, und alle, die in meinem Namen falsch schwören, sind – wie lange nun schon! – straflos geblieben. Ich habe ihn ausgehen lassen, spricht der Herr der Heerscharen, daß er eindringe in das Haus des Diebes und in das Haus dessen, der in meinem Namen falsch schwört, und in seinem Haus sich festsetze und es verzehre samt seinem Holz und seinen Steinen.“ – Ähnlich die Elberfelder Übersetzung.
Buber: „Er sprach zu mir: Dies ist der Eidfluch, der ausfährt übers Antlitz all des Landes. Denn alles, was stiehlt, ihm nach wirds von hier weggeräumt, und alles, was schwört, ihm nach wirds von hier weggeräumt. Ausfahren lasse ich ihn, Erlauten ists von Ihm dem Umscharten, daß er komme ins Haus des Stehlers und ins Haus dessen, der schwört bei meinem Namen zum Lug, inmitten seines Hauses nachte und samt seinen Holzbalken und seinen Steinen es vernichte.“ – Vgl. auch Zunz (hier repräsentieren das Stehlen und der Schwur die beiden Seiten der Schriftrolle). -
13.2.1997
Im Talmud wird unter Hinweis auf Hab 311 unterschieden zwischen den Wohnungen von Sonne und Mond und ihrer täglichen Bewegung am Firmament (Nedarim 39 b, Ausgabe R. Mayer, S. 144). Zwei Bemerkungen und eine Frage dazu:
– Ist das nicht ein Hinweis auf die „Wege des Irrtums“, die „Planetenbewegungen“, zu denen auch die Bahnen der Sonne und des Mondes gehören?
– Und wirft das nicht ein Licht auf die Bedeutung des Namens der „Sternendiener“, gehören nicht die Wege des Irrtums insgesamt zu einem System, in dem es zum Fall keine Alternative gibt („Tagtäglich wirft man sich vor euch nieder, und ihr leuchtet doch“)? – Ist die Schwere (die Gravitation) der Sternendienst der Materie?
– Was hat es mit den „Pfeilen und Speeren“ auf sich, die Gott nach Hab 311 und den Erläuterungen des Talmud hierzu auf Sonne und Mond wirft, weil sie sich den Sternendienst gefallen lassen? – Sind sie die „andere Seite“ des Raumes?
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Hat das etwas mit dem Satz zu tun, daß die Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken? Hat das Opfer etwas mit den Wassern zu tun?
Zu Goldhagen: „Die Forschung fängt erst an“ (ein Bericht in der FR von heute über eine Vortragsreihe an der Universität Freiburg). Da fordert Ulrich Herbert, daß „die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen (dem Holocaust, H.H.) vom moralisch betroffenen Gemüt (sic!) in den analysierenden Kopf zu verlegen“ sei. Ergebnisse dieser Verlegung:
– „Die Zahl der ermordeten Sinti und Sinti (liegt) offenbar weit unter der in der Öffentlichkeit kursierenden Zahl …“
– Die „Wirtschafts- und Ernährungspolitik, hier besonders Nachschubprobleme beim Heer, spielten eine größere Rolle als bisher angenommen. Da die Moral der Truppe (wie jeder Armee) von der Verpflegung abhängig war, mußten ‚unnütze Esser‘ – und das waren vor allem Frauen und Kinder – beseitigt werden“ (Hervorhebung von mir, H.H.).
Vgl. außerdem den Bericht über den Vortrag von Götz Aly (die im „Kontext der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik und ihres Scheiterns … selbstgeschaffenen Zwänge …“; „von der Vernichtung war verklausuliert erstmals in einem Brief Eichmanns vom November 1940 die Rede, …“ (Hervorhebungen von mir, H.H.) – Hitlers Rede vorm Reichstag zu Beginn des Krieges scheint Götz Aly unbekannt zu sein).
Die „Forschung“, die „jetzt erst anfängt“: Ist das nicht eine Forschung, die den Schrecken durch Objektivierung bannen soll: durch Ratifizierung seiner Vergangenheit. Das empfindliche Gemüt der Mörder soll geschont werden.
Unfähigkeit zur Identifikation (Abwehr und Projektion), Urteilsmagie und Personalisierung gehören zusammen.
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