Thomas a Kempis

  • 28.2.1995

    Was unterscheidet das Frommsein von der Frömmigkeit, die Eigenschaft vom Attribut? Die Eigenschaft hat ihre Substanz im Ding, das Attribut im Namen. Deshalb sind die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins. Die Einung des Namens ist sinnvoll nur im Hinblick auf die Attribute; die Eigenschaften haben ihre Einheit im Ding. Aber jedes Ding ist ein totes Ding, es steht unter der Herrschaft der Vergangenheit. Ist das Ding der Inbegriff der Leugnung des Gottesnamens?
    Wie unterscheiden sich die Suffixe -keit und -heit? Es gibt die Barmherzigkeit, die Gerechtigkeit und die Göttlichkeit; und es gibt die Gottheit. Kann es sein, daß das -heit neutralisiert und subjektiviert (verdinglicht), während das -keit den Inhalt in ein Attribut verwandelt? Die Gottheit ist nicht barmherzig; für die Gottheit wäre die Barmherzigkeit eine Eigenschaft, kein Attribut. Barmherzig ist nur Gott.
    Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist. Heißt das nicht auch, daß alle Attribute, die nur dem Vater eigen sind, Attribute der Barmherzigkeit sind (wie die Kenntnis des Tages der Wiederkunft, die Vergabe der Plätze zur Rechten und zur Linken)?
    Theologischer Glaube heißt nicht „für wahr halten, was man nicht sieht“ (sich einreden, etwas sei wahr), auch nicht „jemandem glauben“ (die Bindung der Wahrheit an eine glaubwürdige Person): der so formalisierte Glaube (der Gegenstand des Bekenntnisses) wäre der Oberbegriff für jeden Aberglauben. Glaube ist vielmehr die praktische Treue zu den göttlichen Verheißungen (die für uns zugleich Gebote sind). Der Glaube, der dieser Treue (durch das „für wahr halten“) die Form des Wissens verleihen möchte, leugnet die Gottesfurcht und ist blasphemisch.
    Zur Frage der Hoffnung gehört heute die Zuspitzung der Gottesfurcht, die bei Kafka in dem Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ sich ausdrückt. Walter Benjamin hat diesen Satz ein wenig zurechtgerückt: „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“.
    BILD-Leser haben wieder Grund stolz zu sein: „Die ganze Welt flüchtet in die DM“ (Schlagzeile heute). Aber sind die Opfer von BILD (und zu ihnen gehören sowohl die Objekte von BILD wie die Leser) nicht die Opfer dieses Stolzes?
    Hat die Liturgische Bewegung nicht aus einem sehr realen geschichtlichen Zustand der Liturgie die falschen Schlüsse gezogen? Anstatt liturgische Kuschelecken in einer gnadenlosen und mörderischen Welt einzurichten, wäre es vielmehr darauf angekommen, die real existierenden Gestalten säkularisierter Liturgien (den Faschismus, die BILD-Zeitung, die technischen Medien) ins Auge zu fassen und als gesellschaftliche Rituale der „theologischen Mucken der Ware“ zu begreifen? Hier werden wieder Menschenopfer dargebracht, und das läßt das Verständnis des Kreuzestodes und der Eucharistie nicht unberührt.
    Ist nicht die feministische Theologie (soweit man sie überhaupt unter einem Begriff zusammenfassen kann) ein Beleg dafür, daß ein Symptom zu einem Mittel der Heilung, der Therapie, werden kann?
    Die „Imitatio Christi“ des Thomas a Kempis ist ein Beispiel dafür, was die Bekenntnislogik aus der Nachfolge gemacht hat.

  • 24.03.93

    Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit geht in die Vorstellung der Richtung (Dimension) im Raum ein zeitliches Moment mit ein, das insbesondere das Prinzip der Umkehrbarkeit, der Reversibilität aller Richtungen im Raum affiziert. Es gibt weiterhin zu jeder Richtung eine Gegenrichtung, aber diese Richtungen sind nicht mehr unverändert umkehrbar.
    Sind die Längenkontraktion und die Zeitdilatation Produkt von Drehungen im Minkowskischen Raum-Zeit-Kontinuum?
    Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Keiner kann über seinen eigenen Schatten springen. In welcher Beziehung steht dieser Schatten zur Materie? Verweist die Finsternis über dem Abgrund auf den Ursprung der Materie? Bezeichnet der Begriff der Materie den Schatten, den das System in die Dinge wirft?
    Das Inertialsystem gleicht insofern einem selbstreferentiellen, autopoietischen System im Sinne Dirk Baeckers (Womit handeln die Banken, Ffm. 1991, S. 33ff), als der Realitätskontakt innerhalb des Systems nicht mehr zu bestimmen ist (diese Stelle nimmt im Inertialsystem das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ein). Die System sind nach außen abgeschlossen und blind: Isolationshaftsysteme, und wie diese durch Sichtblenden gegen jede Außenwahrnehmung abgedichtet (ist nicht das Fernsehen die Sichtblende, die heute die Privatexistenz gegen die Außenwelt abschirmt? Das Fernsehen instrumentalisiert heute in einem Maße die Information, daß es von einem Lenkungsinstrument nicht mehr sich unterscheiden läßt.).
    Ist nicht die Systemtheorie das Modell der vollständigen und restlosen Selbstinstrumentalisierung?
    Vor diesem Hintergrund wird die affektive Aufladung des Sinnbegriffs seit Heidegger in Deutschland (die von den Franzosen nicht wahrgenommen worden ist: sie haben Sinn weiterhin schlicht als Bedeutung verstanden) verständlich: In der Isolationshaft wird der Spalt, der allein noch einen Blick aus der Zelle auf den realen Himmel ermöglicht, zum Repräsentanten der ganzen Welt, die unerreichbar geworden ist (vgl. Heideggers eingeschrumpfte Repräsentationsbegriffe wie Eigentlichkeit, In-der-Welt-Sein, Mit-Sein u.ä.).
    Wie ist das mit den Samaritern (der barmherzige Samariter, die Samariterin am Brunnen) im NT?
    Num 3355: Wenn ihr die Einwohner des Landes vor euch nicht vertreibt, dann werden die, die von ihnen übrigbleiben, zu Splittern in euren Augen und zu Stacheln in euren Seiten. Vgl. hierzu:
    – Mt 74f: Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Laß mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und dabei steckt in deinem Auge ein Balken. (sh. auch Adorno: Balken als Vergrößerungsglas, Minima Moralia)
    – Gen 221: Heißt es hier, bei der Erschaffung Evas, Rippe oder Seite?
    Joh 1934: … einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus.
    Ps 1395: Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.
    Jer 203: Nicht mehr Paschhur nennt dich der Herr, sondern: Schrecken um und um. (Paschhur: ägypt. „Sohn des Horus“, hier ein Priester in Jerusalem, der Jeremias für eine Nacht in den Block legte.)
    Kann es sein, daß in biblischen Texten die „Seite“ primär auf die Linke sich bezieht, während die Rechte in der Regel als Rechte auch benannt wird? Sind das Geld und der Raum (und das Bekenntnis) die linke Seite?
    Haben Auge und Seite in Num 3355 etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung (mit Raum und Zeit) zu tun?
    Zu Auge und Seite vgl. auch Jos 2313 (Rücken und Auge), Ez 2824 (Dorn und Stachel), Hos 1314 (Scheol, wo ist dein Stachel), Apg 2614 (Saul, Waul, warum verfolgst du mich? Es wird dir schwer fallen, gegen den Stachel auszuschlagen), 1 Kor 1555 (Tod, wo ist dein Stachel), Off 910 (Sie haben Schwänze und Stacheln wie Skorpione).
    Sieben hellenistische Diakone: Philippus hatte vier prophetische Töchter, aber was hat es mit Nikolaus und den Nikolaiten auf sich (sind in dem Namen nicht nikä und laos enthalten)?
    Für den Kammerdiener ist der Held kein Held (Hegel), und: Mache dich nicht gemein mit den Spöttern (vgl. Ps 11 und 2 Pt 33). Erzieht nicht das Fernsehen die Menschen zu Kammerdienern und Spöttern?
    Welches sind
    – die sieben Todsünden,
    – die sieben Gaben des Heiligen Geistes und
    – die sieben Werke der Barmherzigkeit?
    Thomas a Kempis: Die Verwechslung der Nachfolge Christi mit der Nachahmung.
    Sind Himmel und Erde, tohu wa bohu und Abgrund und Wasser aufeinander bezogen: Enthüllt sich das tohu als Abgrund, und das bohu als Wasser? (Im Raum gibt es ebenso viele Richtungen wie Flächen, und ebenso viele Punkte wie Räume.)
    Zum Ursprung der casus: Entspricht nicht der Genitiv-Ökonomie eine Dativ-Religion und eine Akkusativ-Politik? Sind Geld und Bekenntnis ähnlich auf einander bezogen wie Raum und Zeit? Heißen nicht die Planeten jenseits des Saturn Uranus und Pluto?

  • 05.11.92

    Hinkelammert: Die ideologischen Waffen des Todes, S.232: Ableitung des Ursprungs der Physik aus der „Nachfolge Christi“. Steht die subjektive Form der äußeren Anschauung in der Tradition des Kreuzestodes, ist sie nicht selbst das Kreuz, an das das Subjekt geschlagen wird? Mit der „Vergewaltigung der Natur“ (Thomas a Kempis) vergewaltigt und erhöht das Subjekt sich selber. Der „christologische“ Naturbegriff hängt mit diesem „christologischen“ Selbstverständnis des Subjekts zusammen. Darin gründet der Bann, der auf der Natur und dem Subjekt zugleich liegt. Vgl. hierzu auch die Bemerkungen über das Opfer in den „Elementen des Antisemitismus“ in der „Dialektik der Aufklärung“. Die Vergesellschaftung von Herrschaft hat den Punkt erreicht, an dem der cäsarische Wahn das vergesellschaftete Subjekt ergreift. Hier gründen Xenophobie und Antisemitismus, die als Ausdruck des Wahns ihn zugleich stabilisieren und verstärken.
    Das Wort „Hostie“ kommt von hostia, Opfertier. Gibt es eine Beziehung zu „hostis“, Feind?
    Der Fremdenhaß in den neuen Bundesländern ist eine Form der Überanpassung; er verweist darauf, wie die „Wiedervereinigung“ erfahren worden ist.
    Umkehrung des Christentums: christologischer Naturbegriff als Produkt der Dynamik von Empörung und Fall. Xenophobie Produkt einer double-bind-Situation: Verstanden wird die unterschwellige Botschaft, weil man die manifeste, die mit einem Augurenlächeln ergeht, als Heuchelei nach außen (als Feigenblatt) erfährt. Die Verführung durch Moral ist die subtilste und die gefährlichste. Deshalb findet man die Antisemiten vor allem unter den Christdemokraten, die die vom Westen, aus den alten Ländern der Bundesrepublik, erteilten Lehren begriffen haben.
    Steckt in dem Konzept der raf nicht auch ein Stück Ausagieren des Ödipuskomplexes? Enthält es nicht ein Stück magisches Ritual, das durch Wiederholung der Sünde, die die Kultur begründet hat, durch Wiederholung des Vatermords, die Kultur zu entsühnen hofft? Ähnlich wiederholt das verdinglichte Bewußtsein als Isolationshaft am anderen, was es als verdinglichtes Bewußtsein in seinem Verhältnis zur Außenwelt selber erleidet.
    Ist die Kreuzestheologie der gottverlassene Jubel über die Gottverlassenheit, Erlösung als Befreiung von der Moral durch Rechtfertigung? So ist sie der Kern der Selbstverfluchung, die mit der dritten Leugnung einhergeht.
    Geht es nicht heute um die Koinzidenz der Armen und der Fremden, und ist es nicht gerade diese Koinzidenz, die die Irritation, den Haß und die Mordlust wachruft?
    Drückt nicht in dem Wort „Wirtschaftsflüchtling“ das Bewußtsein sich aus, daß es die Armen sind, die – als Fremde verkleidet -jetzt zu uns kommen und so Asylmißbrauch treiben? Das wird als Rechtfertigung verstanden, sie totzuschlagen, und mit dem Vorschlag der CSU, den „Mißbrauch“ des Asylrechts unter Strafe zu stellen, nachträglich legalisiert.
    Der Staat ist als Schöpfer und Erhalter des Geldes, das die Welt regiert, Schöpfer und Erhalter der Welt. Darin gründet die Logik der Lehre von der Schöpfung der Welt aus Nichts. Dieses Nichts ist der Quellpunkt des Atheismus in der Theologie.
    Erst wenn die Kirche die Täufertheologie, die Theologie des Rufers in der Wüste, zu der die Kirche die Religion gemacht hat, in sich aufnimmt, wird sich das steinerne Herz der Welt in ein fleischernes umwandeln.
    Wie heißt der Hahn auf Griechisch und Hebräisch; gibt es diese Beziehung des Hahnes zum Wasserhahn auch in den andern Sprachen?
    Über den Tiefsinn der Bauernregeln: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, wirds Wetter anders oder es bleibt wies ist. Aber das ist eine Bauernregel, und in den Städten gibt es außer am Grill und an den Wasserleitungen keine Hähne mehr. Und die Rätselfrage: Was war zuerst, das Huhn oder das Ei, ist bis heute ungelöst.
    Weshalb heißen die Hühner-KZs Lege-Batterien; und was haben diese mit den gleichnamigen Artillerie-Einheiten und Elektrizitäts-Speichern zu tun? – B.: Zusammenschaltung mehrerer gleichartiger technischer Geräte, Industrieeinrichtungen u.a. (Meyers großes Taschenlexikon).
    Was hat es mit den Namen der Bäume auf sich: Eiche, Buche, Erle, Esche, Eibe, Fichte, Tanne, Kiefer, Lärche, Ahorn, Pappel, Espe, Birke, Apfel-, Birn-, Kirsch-, Pflaumen-, Aprikosen-, Pfirsichbaum, Zeder, Zypresse, Palme, Feigenbaum, Ölbaum. Gibt es außer der Grobeinteilung Laub- und Nadelbäume noch andere Verwandtschaften: Obstbäume (Stein- und Kernobst)?
    „Eine Lilie unter Disteln ist meine Freundin unter den Mädchen. Ein Apfelbaum unter Waldbäumen ist mein Geliebter unter den Burschen.“ (Hld 22f) Was hat es mit den Bäumen auf sich in der Bibel: Baum des Lebens, Baum der Erkenntnis; Adam und seine Frau verstecken sich, nachdem sie von dem Baum gegessen haben, vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens. In der Jotan-Fabel stehen Bäume anstelle der Könige: Nur der Dornbusch (zu dem der Baum der Erkenntnis nach dem Fall geworden ist?) ist bereit, König zu werden. Der Feigenbaum (von den Feigenblättern über Nathanael zum unfruchtbaren Feigenbaum).
    Die brennenden Kronen der Buchen im Herbst: Hat der Name der Buche etwas mit Buchstaben und Buch zu tun?
    Das Wort vom Lösen bezieht sich auf einen Knoten, der nicht nur geknüpft, sondern auch durchschlagen ist, durchschlagen mit dem Schwert, das vielleicht auch an das kreisende Flammenschwert erinnert, dessen astronomische Konnotationen jedenfalls mitgehört werden sollten.
    War die Fundamentalontologie der letzte Versuch, die Welt über die Philosophie zu retten: der letzte Versuch der Legitimierung des Herrendenkens? Auch die Fundamentalontologie steht in der Tradition des Feindbildes der Barbaren. Hier liegen die Gründe ihrer Beziehungen zum Nationalsozialismus, und hier ist ihr antisemitischer Grundton fundiert.

  • 02.03.91

    Im Herrengebet kommt der Himmel sowohl im Plural vor („qui es in caelis“), als auch im Singular („fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra“). Kann es sein, daß nur in einem der Himmel sein Wille geschieht? Hängt der Plural zusammen mit dem „Hofstaat“, mit den Herrschaften, Gewalten und Mächten, zu denen auch der „Ankläger“ gehört?
    Es kommt heute mehr darauf an, in der Politik und im politischen Bewußtsein der Mitmenschen die Dummheit zu begreifen, als über die Bosheit, die Verbrechen, sich zu empören. Es genügt nicht mehr das „moralische“ Urteil, das an den Dingen nichts ändert, nur den Urteilenden (scheinbar) exkulpiert. Die Empörung genießt das Sakrament des Büffels: sie will teilhaben an der richtenden Gewalt, aber sie ändert nichts. (Heute hat das Prinzip der richtenden Gewalt das Bewußtsein aller in der westlichen Welt, gleichsam als dessen transzendentale Logik, erfaßt und durchsetzt; es wird abgestützt durch den abstrakten Objektbegriff und durch die Herrschaft der Totalitätsbegriffe Welt und Natur; seine Logik ist die am Feinddenken sich orientierende Bekenntnis-, Kriegs-, Gewaltlogik. Es ist Teil des Realitätsprinzips, eigentlich mit ihm identisch.)
    Gibt es in der jüdischen Tradition ein Äquivalent zum „et ne nos inducas in tentationem“? Das Rätsel, daß Gott uns nicht in Versuchung führen soll, daß die Versuchung von ihm ausgeht, löst sich nur im Hinblick auf die Idee der richtenden Gewalt: Gemeint sein kann nur die Verführung durch die Vorstellung, an der richtenden Gewalt teilhaben zu können. Die Geschichte dieser Versuchung ist der Kirche vorausgesagt in der Erzählung von der dreimaligen Verleugnung des Herrn durch Petrus.
    Woher kommt eigentlich der (neudeutsche?) Zusatz zum Herrengebet „denn Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen“? Wie heißt dieser Text auf Lateinisch? Wann und aus welchem Grunde ist dieser Zusatz in den Text der Messe aufgenommen worden? – Und wann ist das Händewaschen („Lavabo inter innocentes …“) in den Meßkanon mit aufgenommen worden (und vor welchem Hintergrund)? Identifikation mit Pilatus; Hinweis auf die Instrumentalisierung der Opfertheologie? Zusammenhang mit dem kirchlichen Antijudaismus? Drückt sich hier das Bewußtsein aus, daß man sich in der Opfertheologie nicht auf die Seite des Opfers (unter das Gesetz der Nachfolge) sondern auf die Täterseite stellt und deshalb zwangsläufig das Entsühnungsritual des Händewaschens vollziehen muß? – Dann aber braucht man als Projektionsfolie, als Sündenbock einen anderen „Gottesmörder“. (Was bedeutet es, wenn Jesus beim letzten gemeinsamen Paschamahl darauf hinweist, daß der, der die Hand mit ihm in die Schüssel taucht, der Verräter sein wird?)
    Das Meßopfer heute: ein totes, leeres, verwesendes Gebilde, das nur durch Erinnerungsarbeit wieder zum Sprechen (zum Bewußtsein seiner selbst) gebracht werden kann.
    Zusammen mit dem Antijudaismus, der Ketzer- und der Hexenverfolgung bedürfen drei Dinge der Aufarbeitung (durch Erinnerungsarbeit):
    – der Ursprung des Frühkatholizismus und die Entwicklung der kirchlichen Hierarchie (und ihrer Insignien und Symbole),
    – die Geschichte der Dogmenentwicklung (des Bekenntnisses) und
    – der Ursprung und die Geschichte der kirchlichen Liturgie und des Meßopfers.
    Es scheint nicht ohne Bedeutung zu sein, daß die Geschichte des Fronleichnamsfestes (und der Fronleichnamsprozession) im dreizehnten Jahrhundert beginnt und im zwanzigsten endet (mit Auschwitz: hier endet eine Epoche, deren Beginn zur zweiten Leugnung gehört, und deren Ende zur dritten).
    Steht die katholische Kirche nicht in der Tradition des lupus, des Wolfs (der zur Ursprungsgeschichte der Stadt Rom und des römischen Imperiums gehört)? Herrschaftskritik ist heute nur über die Kirchenkritik möglich (allerdings nur über eine Kirchenkritik innerhalb der Kirche, nicht von außen).
    Das Herrendenken scheint heute das allereinfachste (der Weg des geringsten Widerstandes: die erste tentatio) zu sein, nicht zuletzt aufgrund der Absicherungen über die Totalitätsbegriffe Natur und Welt, über das sogenannte naturwissenschaftliche Weltbild, über das Realitätsprinzip und das Gesetz der Selbsterhaltung. Diese Absicherungen haben eine Vorgeschichte, die in die Geschichte der Religionen zurückreicht und heute weitestgehend verdrängt und kaum mehr durch Erinnerungsarbeit zurückzuholen ist. Die einzige Institution, in der diese Vorgeschichte noch präsent ist, ist die katholische Kirche. Ihr Anachronismus ist ihr wichtigstes Erbteil.
    Die paulinische Lehre von Tod und Auferstehung beschreibt in ihrer instrumentalisierten Gestalt genau die Mechanismen des Verdrängungsprozesses, im Kontext der Gottesfurcht hingegen deren Auflösung. Die Subjektivierung des Verdrängungsbegriffs, die Leugnung seines objektiven Anteils (in dem seine Beziehung zur Gottesfurcht begründet ist), ist Reflex eines Objektivitätsbegriffs, der selbst der massivsten Verdrängung sich verdankt.
    Der Protestantismus ist auf den Kern des Bekenntnissyndroms gestoßen: auf die Frage der Rechtfertigung (Bekenntnis, Reklame und Sprachverwirrung; Dogma und Verzweiflung). Damit war die Kraft der Häresienbildung verbraucht.
    Das verdinglichte Dogma enthält die apokalyptische Tradition als Sprengsatz in sich; Aufgabe der Theologie wäre es, diesen Sprengsatz durch Auflösung des Dogmas zu entschärfen, bevor er tatsächlich das Dogma und mit ihm die Welt sprengt. Oder anders: Die verdrängte Apokalypse kehrt heute als Gemeinheit, Aggressivität und Brutalität wieder und bedroht den Bestand der Welt.
    Der Totalitätsbegriff der Natur hat keine Bedeutung außerhalb des Zusammenhangs der Naturbeherrschung, ebenso wie der Weltbegriff keine Bedeutung hat außerhalb der politischen Zusammenhänge, in denen er sich geschichtlich konstituiert. Beide Begriffe reflektieren und stabilisieren die Herrschaftsgeschichte, bezeichnen das Schienensystem, auf dem sich die Lokomotive bewegt, die kaum noch aufzuhalten ist.
    Grundlage des gesamten Konzepts wäre die Rekonstruktion der gegenwärtigen Phase der Herrschaftsgeschichte.
    Die Imitatio Christi wäre heute neu zu schreiben. Zentral wäre hierbei die Kritik jener Identifikation, die Thomas a Kempis hineingebracht hat, die ans Selbstmitleids appelliert. An ihre Stelle wäre die Identifikation mit den Armen, den Fremden, den Unterdrückten zu setzen. Nur so wäre dem Begriff der Nachfolge: d.h. der Idee der Übernahme der Schuld der Welt zu genügen. Das Selbstmitleid gehört zu den tentationes, vor denen das Herrengebet warnt.
    Die Deutschen (das einzige Volk, das sich selbst als anderes, als fremdes Volk: als Barbaren begreift) haben nicht sich, sondern der Welt die Tarnkappe übergeworfen: deshalb sehen sie sie nicht mehr. Sie sehen in gut idealistischer Tradition nur noch das in der Welt, was sie selbst in sie hineinlegen, hineinprojizieren. Sie bleiben an den Grund des Selbstmitleids gefesselt.
    Eine Unsterblichkeitslehre, die nicht die Rettung der Menschheit mit einbegreift, bleibt gefesselt an das Selbsterhaltungsprinzip (die Hypostase des Selbstmitleids); die Idee der Unsterblichkeit aber wird denunziert, wenn man sie an die Selbsterhaltung bindet. Das Selbstmitleid ist der Grund des Selbsterhaltungs- und des Realitätsprinzips. Hierbei sollte nicht verschwiegen werden, daß das Selbstmitleid nicht gegenstandslos, und daß es insoweit unvermeidbar ist, als die Gestalt der Welt die Menschen zur Selbsterhaltung und zur Beachtung des Realitätsprinzips zwingt; es ist nur in Hoffnung aufzuheben: im Kontext der Gottesfurcht.
    Die (mittelalterliche) Lehre von der persönlichen Schuld schließt die Leugnung der Erbsünde mit ein.
    Ich kann ein Bekenntnis nicht fordern, ohne Heuchelei zu provozieren; deshalb hat der Ankläger immer unrecht.
    Die Stelle aus Jer. 3121f, die Radford Ruether ihrem Buch „Frauen für eine neue Gesellschaft“ als Motto voranstellt, enthält die biblische Begründung für den Satz Franz von Baaders über Strenge und Liebe.
    Das physikalische Experiment hat seine Vorgeschichte im Kontext von Inquisition und Folter, in der Geschichte der Ketzer- und Hexenverfolgung, in der Häresienfurcht und -feindschaft der Kirche. Und die wütende Reaktion der Kirche auf die Anfänge der modernen Naturwissenschaft verweist genau auf diesen projektiven Anteil.
    Das Bekenntnis Hermann Cohens ist ein falsches Schuldbekenntnis gegen eine falsche Anklage. Ihr Ziel ist die Kritik der Anklage, der Versuch, der Anklage durch Verweigerung der Komplizenschaft (der falschen „Solidarität“) den kollektiven Grund zu entziehen (Bekenntnis als Gericht über die Anklage).
    Umgekehrt argumentiert die Bekenntnisforderung nach dem Schema „mitgehangen, mitgefangen“; und: beweise, daß du nicht dazugehörst (Umkehr der Beweislast).
    Die Naturwissenschaft kennt keine Häresienbildung, wohl die politische Theorie (Baader-Meinhof-Bande, Familien-Bande, Gottsucher-Bande).
    Zum Begriff des Bekenntnisses
    oder
    über die Rehabilitierung der Gottesfurcht,
    die Notwendigkeit der Selbstbekehrung der Christen und
    die Entkonfessionalisierung der Kiche.
    Kein work in progress, sondern ein work in regress.
    Selbstheilungskräfte wachsen nicht, sondern werden vom Zustand der Verwirrung provoziert.
    „… und weinte bitterlich.“ Erst wenn die Kirche aus ihrer dogmatischen Erstarrung sich befreit, wenn die Tränen sich lösen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört.“ – Dieses Heute tritt dann ein, wenn wir begreifen, daß das Bilderverbot generell, ohne Ausnahme gilt, insbesondere auch für den kantischen Objektbegriff. Oder es tritt ein, wenn der Satz „Männer weinen nicht“ nicht mehr gilt, wenn auch Männer ihr Gesicht verlieren dürfen.
    Rosenzweig und Münchhausen: Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf (des Nichtwissens) ziehen. Aber das wäre eine idealistische Interpretation Rosenzweigs (vor der er selber nicht ganz gefeit war; und nur in dieser idealistischen Version gründet seine Nähe zu Heidegger, der dann die Probe aufs Mißlingen des Münchhausenschen Rezepts gemacht hat).
    Zum Begriff des Bekenntnisses wird man sicher zunächst an die zarteste Anwendung dieses Begriffs erinnern müssen: an die des Schuld- und des Liebesbekenntnisses. Der religiöse Begriff des Bekenntnisses in seiner Ursprungsgestalt wird weit eher in der Richtung des Namenszaubers, der Namensmagie zu suchen sein als in der des weltanschaulichen Apriori und seiner Logik. Zu erinnern wäre hier an die sehr konkrete Bedeutung der „Heiligung des Gottesnamens“ in der jüdischen Tradition, wenn beispielsweise in der Geschichte der jüdischen Mystik von der Einung des Gottesnamens magische Wirkungen erwartet werden. So war das ursprüngliche Bekenntnis das Bekenntnis des Namens (an dessen Stelle dann das Symbolum, der Schuldschein, trat: oder der Vertrag, der Erbschein, der Neue Bund).
    Der Faschismus ist nicht nur irrational. Seine Logik läßt sich ableiten aus der Bekenntnislogik. Erst wenn diese Ableitung gelingt, ist der Bann gebrochen. Zu erinnern wäre hierbei an die Aufspaltung der Heiligenverehrung nach Geschlechtern nach Ende der Märtyrerzeit, im Prozeß der Anpassung des Christentums an die Welt, seiner Umformung zur römischen Staatsreligion, sowie im Zusammenhang mit der Entwicklung des christlichen Dogmas und der frühkatholischen Kirchenorganisation: da erscheinen der männliche Confessor und die weibliche Virgo als neue Heiligengestalten. Bei der Trennung wird nicht zufällig der Bekenntnisbegriff eingeschränkt auf das männliche Geschlecht, während die Frauen „in der Gemeinde schweigen“ (später dann nicht einmal mehr singen durften): nicht mehr bekenntnisfähig sind. In diesem neuen Bekenntnisbegriff sind enthalten:
    – der Antijudaismus (durch den Inhalt der Doxologie: zum Bekenntnis gehören insbesondere das Trinitätsdogma und die Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die die Juden nicht mitvollziehen können),
    – der antihäretische Grundzug (die Abgrenzung der Orthodoxie nach außen)
    – und die Frauenfeindschaft (die Neubestimmung des Subjekts des Bekenntnisses: auch heute können nur Leute wie Saddam Hussein oder George Bush das „Gesicht verlieren“, Frauen dagegen wohl nicht; das Gesicht, das man verlieren kann, ist die Maske; es hängt offensichtlich mit dem mit dem Bekenntnisbegriff ganz wesentlich verbundenen Begriff der Person zusammen; auf dem Schauplatz der Geschichte gibt es eigentlich nur Männer; wer hier sein Gesicht verliert, kann seine Rolle nicht mehr spielen; deshalb dürfen Männer nicht weinen, nur stolz sein).
    Das Bilderverbot wird auf eine ebenso subtile wie verhängnisvolle, kaum fassbare und nur im Kontext einer Kritik der christlichen Theologie im ganzen begreifbaren Weise durch Einführung des Personbegriffs in die Theologie verletzt (Anwendung des Vermummungsverbot auf die Theologie).
    Die Instrumentalisierung der Opfertheologie war unvermeidbar, solange die Theologie es versäumte, durch Erinnerungsarbeit den mythischen Bann des Opfers (oder den Bann des Mythos) aufzulösen, anstatt das Heidentum in einer Form nur zu „überwinden“, die dann auch Bekehrungskriege (und die Kriegslogik des Zwangsbekenntnisses, zuletzt die Vernichtungslogik des faschistischen Weltanschauungskrieges) möglich machte.
    Eine Kreuzestheologie ist möglich, wenn sie
    – die Reflexion auf Auschwitz mit einbezieht und
    – durch Erinnerungsarbeit zum Sprechen gebracht wird (für die beispielsweise Walter Burkerts „Wildes Denken“ einsteht, aber auch die systematische Stellung des Mythos in Rosenzweigs „Stern der Erlösung“).

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