Thomas von Aquin

  • 23.4.1997

    Ist nicht der unbewegte Beweger der Inbegriff aller Gewalt, die alles bewegt, aber sich selbst durch nichts bewegen läßt: die Imago der mitleidslosen Herrschaft? Der unbewegte Beweger ist der Prototyp des Faschismus, das theologische Trägheitsprinzip, in dessen Licht die ganze Welterfahrung neu organisiert werden mußte. Die erste vollendete Gestalt dieser Neuorganisation war die aristotelische Philosophie.

    Der Gott, den etwas gereut, ist kein unbewegter Beweger.

    Gewalt ist ein Ausdruck der Ohnmacht, die selber ein Reflex der versteinerten Welt ist.

    Um die Theologie zu retten, um sicherzustellen, daß die Natur nicht das letzte Wort behielt, brauchte Thomas von Aquin die Übernatur (ein Produkt der gleichen Kompromißbildung, der auch schon die Vergöttlichung Jesu sich verdankte). Das Reich der Freiheit war (und blieb) eines Sinnesimplikat der oberen Welt.

    Wenn die Inkarnation ein theologischer Begriff ist, dann steht auch sie im Imperativ, nicht im Indikativ (hängt der johanneische Fleischbegriff mit dem der Inkarnation zusammen?).

    Das Portrait hat das Angesicht gebannt und dem Raum die freie Entfaltung ermöglicht. In diesen Kontext gehört das „Haupt voll Blut und Wunden“. Spiegelt sich nicht in der Unterscheidung von Haupt und Angesicht die von Fleisch und Leib (und gibt es deshalb die Enthauptung als Todesstrafe)?

    Was bedeutet es, wenn man in China „sein Gesicht verlieren“ kann?

    Wie kann einer Christ sein, der das Scheitern als diskriminierend erfährt? Wer so vom Scheitern redet, erträgt nicht die Distanz zwischen Karfreitag und Ostern.

    Wer an die göttliche Gerechtigkeit glaubt, der muß auch daran glauben, daß es eine Erlösung ohne Eingriff in die Vergangenheit und in die Natur nicht gibt.

    Hegels Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein indirekter Hinweis darauf, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden.

    Fichtes Wissenschaftslehre und der ganze nachfolgende Deutsche Idealismus haben die Leugnung der Differenz zwischen der Kritik der Urteilskraft und der Kritik der reinen Vernunft, zwischen reflektierenden und bestimmenden Urteilen, zum Ziel. Die Ideen sollen nicht nur regulative, sondern konstitutive Bedeutung haben. So enden sie in der Idee des Absoluten, in dem Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft. Hegels Wort, er sei „von Gott verdammt, ein Philosoph zu sein“, reflektiert den ersten Teil des prophetischen Satzes „der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“.

    Baader zufolge ist Hegels Philosophie das Autodafé der bisherigen Philosophie. Ist sie nicht zugleich die descensio ad inferos?

    Gehören nicht die Ansätze zur Reflexion in der kantischen Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung, in den Ansätzen zur Wissenschaftskritik in der Begründung der Naturwissenschaften, zu den Motiven, die Kant dann in seiner Kritik der Urteilskraft zu entfalten versucht, während der Deutsche Idealismus alle Kraft darauf verwendet hat, die sprengende Kraft des reflektierenden Urteils wie in den Bann des bestimmenden Urteils einzubinden? Ausdruck des Gewaltakts in diesen Bemühungen ist die Idee des Absoluten. Theologie beginnt dort, wo die Idee des Absoluten aufhört, seine Absolutheit zu behaupten, und reflexionsfähig wird. Die Idee des Absoluten ist das telos der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: die Finsternis und in ihr die Tötung der Erstgeburt. – Ist nicht Israel diese Erstgeburt?

    Ist der Trieb, gut zu sein, nicht der Trieb des Lebendigen überhaupt, und sind die Pflanzen und die Tiere nicht unterschiedliche Phasen und Ausprägungen seiner gehemmten Manifestation?

    Barmherzigkeit ist die Fähigkeit, das Gut-sein-Wollen auch in seinen entstelltesten Manifestationen (auf seinen Irrtumswegen) noch zu erkennen. Hat der biblische Begriff des Blutes etwas hiermit zu tun? Steckt nicht in dem Ruf „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ noch der bewußtlose Wunsch nach der Reinigung durch dieses Blut? Erst das Christentum hat aus diesem Satz die Rechtfertigung des Mords abgeleitet (und aus der Opfertheologie, die eine Barmherzigkeitstheologie ist, eine Metzgertheologie gemacht).

    Barmherzigkeit ist die Kraft zur Auflösung des Rachetriebs durch Reflexion.

    Die Geschichte der Staaten ist die Gattungsgeschichte der Menschheit. Deshalb ist die Sexualmoral im Ursprung politische Moral, und deshalb wird der Taumelbecher, der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende zum Unzuchtsbecher.

    Weil der Eckstein verworfen wurde, wird kein Stein auf dem andern bleiben.

  • 22.11.1996

    Wer immer nur ein gutes Gewissen hat, klinkt sich aus der Solidarität aus.
    Der schärfste Einwand gegen den Unschuldtrieb, gegen den Zwang des guten Gewissens, liegt darin, daß die Freiheit von Schuldgefühlen das Gericht definiert (frei von Schuldgefühlen ist der Ankläger, der Satan).
    Die apokalyptischen Tiere: sind das nicht Verkörperungen des Verfolgers?
    Der Punkt ist die vollständig zusammengeschrumpfte Kugel, die kein Inneres mehr hat, die nur nach nach außen blickt, für die das Innere der anderen ebenso wenig existiert wie das eigene Innere, und die dieses Innere nicht nur nicht erkennt, sondern als inexistent setzt. Die Kugel ist Ausdruck der Gewalt der Rückseite über das Angesicht, der Linken über die Rechte und der unteren über die obere Welt. Der Punkt ist die Basis der Zahlen.
    Haben nicht die Babylonier die Arithmetik und die Ägypter die Geometrie entdeckt? Die Griechen haben Arithmetik und Geometrie mit einander verbunden (nicht versöhnt), und zwar durch die Entdeckung des Winkels.
    Die Entdeckung des Punktes ist eine Folge der Entdeckung des Inertialsystems: Der reine Punkt ist der Schwerpunkt. Die „Definition“ des Punktes ist durch das Bild des „ruhenden Inertialsystems“ vermittelt; der Versuch, dieses „ruhende Inertialsystem“ zu bestimmen, führt in die Paradoxien, deren Ausdruck die beiden Relativitätstheorien Einsteins sind, er führt zu den hochsymbolischen Bildern des fahrenden Zugs und des frei fallenden Fahrstuhls.
    Im Bild des Punktes vollendet sich die Abstraktion, deren Wurzel die Winkelgeometrie ist (der Punkt ist der Eckpunkt eines Winkels, auch im Inertialsystem).
    Daß der Punkt ohne dieses Referenzsystem (das „ruhende Inertialsystem“) nicht sich definieren läßt, drückt im Korpuskel-Welle-Dualismus der Mikrophysik sich aus, einer Konsequenz aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die das Inertialsystem selber dynamisiert. Hier werden beide, der Punkt und das ihn definierende Referenzsystem, in eine gemeinsame, wechselseitig sich reflektierende Bewegung hineingezogen. Hier erscheint das Referenzsystem in dreifacher Gestalt: als doppeltes Referenzsystem: nämlich sowohl der Korpuskel- als auch der Wellenbewegung, und in dieser Wellenbewegung zugleich als Objekt, als Erscheinung im System. Diese selbstreferentielle Konstruktion, deren systemische Wurzel das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, ist der Inhalt der mikrophysikalischen Strukturen, die in dieser Vermittlung überhaupt erst sich konstituieren.
    In den Dingen ist die Beziehung von Verfolgern und Verfolgtem auf die abstrakteste Form zusammengeschnurrt: auf ihre Beziehung zur Zeit. Die Zukunft des einen ist die Vergangenheit des andern. Die Begriffe Natur und Welt sind logische Zwillinge, die wie Zukunft und Vergangenheit als getrennte auf einander sich beziehen. Die Ontologie ist die Hypostasierung dieses Akts der Trennung (sh. Rosenzweigs „verandernde Kraft des ‚ist’“).
    Ist nicht die Pharao (in der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen und der Verhärtung seines Herzens) der verfolgte Verfolger, und drückt das nicht in den Pyramiden aufs genaueste sich aus?
    Wie hängt der Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen …“ zusammen mit dem andern „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“?
    War das nicht einer der fatalen Effekte des Historikerstreits, daß mit dem Bestehen auf der „Einmaligkeit“ von Auschwitz es danach eigentlich nichts Einmaliges mehr geben kann? Und ist das nicht gerade die Voraussetzung der Metastasen von Auschwitz? Manifestation des Einmaligen ist der Name, und indem dieses Einmalige in die Vergangenheit versetzt wird, wird auch der Name ins Perfektum, in die vollendete Vergangenheit versetzt: Kein Ruf, der ihn noch erreicht. So hängt Auschwitz mit der Theologie zusammen.
    Der Begriff instrumentalisiert den Tod, dem er das Objekt, auf das er sich bezieht, überantwortet. Dagegen steht der Name und die Idee der Auferstehung, ohne die es den Namen nicht geben würde. Wenn einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, so drückt genau darin (in der Beziehung der Dinge zum Raum) die Beziehung der Dinge zum Namen sich aus.
    Von der Idee der Auferstehung kennen wir nur das sprachlogische Symbol, das am Namen haftet (und vom Begriff geleugnet wird).
    Ist nicht Jer 3134, wonach am Ende keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen, ein Hinweis darauf, daß die direkte Belehrung (das „Überzeugen“) in der Tat unfruchtbar ist? Es bleibt allein noch die reine Erkenntnis Gottes und die Hoffnung, daß sie die Kraft hat, sich mitzuteilen, die Erkenntnis des Namens, in dem die Kraft der Erweckung der Toten beschlossen ist.
    Wäre nicht die Kritik der Ästhetik eine zentrale Aufgabe der Philosophie, die an der Kritik der reinen Vernunft anzusetzen hätte (was hat die „transzendentale Ästhetik“, was haben die subjektiven Formen der Anschauung mit der Kunst zu tun)? Die Ästhetik ist das Feuer im brennenden Dornbusch: Es brennt, aber es verbrennt den Dornbusch nicht. Und dieses Feuer ist nicht Gott, sondern Gott spricht aus diesem Feuer.
    Zu den Grenzen gehören: die Grenzen der Nation (die die „Völker“ und das Ausland ausschließen); das Schaufenster (und die Reklame), das den Käufer von der Ware trennt; die subjektiven Formen der Anschauung, die das Anschauen vom Angeschauten trennen, die Sprachgemeinschaft mit dem Angeschauten neutralisieren. Die Wurzeln dieser Grenzen sind die Grenze zum Himmel und die Grenze zur Vergangenheit, zum Hades.
    Zu Kanther fällt mir nur noch ein: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Selbstreferentielle Asymmetrie: Wenn wir heute, in unserer politischen Selbstverständnis, das Handeln des „Auslandes“ zur Norm unseres eigenen Handelns machen, dabei merkwürdigerweise das „Urteil des Auslandes“ (als „Heuchelei“: sie treiben es ja auch nicht anders) ausblenden, weil wir es als Angriff erfahren, holen wir dann nicht über die Metastasen von Auschwitz Auschwitz wieder in unser Handeln zurück? Das Feindbild Ausland bleibt uns so auf jeden Fall erhalten.
    Feindbilder haben seit je auch die Funktion, das, was als Handeln des Feindes erfahren wird, zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen und damit zur Norm des eigenen Handelns zu machen: die gleiche logische Konstruktion liegt dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zugrunde, sie begründet die Logik der „Naturgesetze“ wie auch die Gesetze des Rechts. Diese Logik wird durchbrochen durchs Gebot der Feindesliebe, das sie aus der Starrheit erlöst und reflexionsfähig macht.
    Die Feindbildlogik ist in sich selber atheistisch, und die einzige Gestalt der Theologie, die heute noch möglich ist, wäre die, die dieses Feindbildlogik sprengt (und die Religion aus dem Bann des Fundamentalismus befreit ohne sie zu verraten). In die Feindbildlogik (und seine religiöse Variante, den Fundamentalismus) gerät zwangsläufig hinein, wer zum Herrendenken keine Alternative mehr kennt.
    Wer Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft als Angriff erfährt, ist ihr bereits verfallen.
    Wie verhält sich der Satz Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen … und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ zu den Reflexionen René Girards über das Heilige und die Gewalt? Ist nicht der Säkularisationsprozeß (der Prozeß der „Verweltlichung der Welt“) Teil einer Geschichte, die diese Forderung eines „geheiligten Lebens“ nachgerade erzwingt? Wie verändert sich der Begriff des Heiligen im Säkularisationsprozeß? Der Säkularisationsprozeß, die Geschichte der Aufklärung, ist ein Prozeß, der, indem er die Idee des Heiligen aus der Objektivität vertreibt, sie ins Subjekt zurücknimmt. Jeder Versuch, das Heilige in der Welt zu erhalten, ist fundamentalistisch, und damit ein Produzent von Gewalt. In diesem Kontext löst sich das Problem der Derridaschen Anfrage an Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und den Begriff der göttlichen Gewalt, die in keinem Punkt mit irgend einer Form der staatlichen Gewalt sich berührt, es sei denn als Element ihrer Auflösung.
    Johann Baptist Metz‘ Konzept der Verweltlichung der Welt, führt in die Irre, wenn sie nicht die Kritik der Gewalt in sich aufnimmt. Die Kritik der Gewalt ist nicht zu verwechseln mit der Forderung nach Gewaltfreiheit: Während die Forderung nach Gewaltfreiheit sich unter das Gewaltmonopol des Staates stellt, zielt die Kritik der Gewalt auf die Auflösung des Gewaltmonopols des Staates: auf die Manifestation der göttlichen Gewalt. Die göttliche Gewalt leitet sich her aus dem Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, sie manifestiert sich im „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“, im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Dieser Akt ist der einzige Inhalt der Apokalypse.
    Wer glaubt, das Gewaltmonopol des Staates sei verfügbar im Interesse der Verwirklichung der richtigen Gesellschaft, verkennt u.a. auch den Marxschen Hinweis, daß in der richtigen Gesellschaft der Staat sein Ende findet, sich auflöst. Deshalb sind Staatsschutzsenate und ist der Titel Staatsanwalt schon vom Grunde her reaktionär.
    Wenn es dem Staatsschutz wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus ginge, müßte er sein Ziel, nachdem die RAF dem Terrorismus abgesagt hat, im wesentlichen erreicht haben. Was er aber jetzt tut, beweist, daß es ihm garnicht um das Ende des Terrorismus, sondern um Rache geht. Verfolgt wird nicht der Terrorismus, sondern verfolgt wird die Reflexion, die schon der Terrorismus selber verraten hatte. Deshalb war dieser Staatsschutzsenat nicht einmal fähig, die Erklärungen Birgit Hogefelds auch nur sich anzuhören; das Urteil lautet so, als hätte es diese Erlärungen überhaupt nicht gegeben.
    Hegels Reflexion über das Problem des Anfangs in der Philosophie läßt an ersten Sätzen in der Philosophie sich demonstrieren, angefangen mit dem ersten Satz der Philosophie überhaupt (Thales: Alles ist Wasser) über den ersten Satz der Dissertation Thomas von Aquins: Parvus error in principio magnum est in fine, bis hin zum Anfang von Schellings Weltalter: … die Zukunft wird geahndet. Auch die ersten Sätze im Stern der Erlösung und in Wittgensteins Logisch-philosophischem Traktat gehören hierher. Außerdem: Seit wann (und aus welchem Grunde) werden zu philosophischen (und wissenschaftlichen) Werken Einleitungen geschrieben (und im Falle der Phänomenologie des Geistes zur Einleitung noch eine Vorrede)? Ist die Furcht, die Werke könnten mißverstanden werden, und damit der Versuch, diese möglichen Mißverständnisse schon im vorhinein durch eine Vorrede oder Einleitung zu zerstreuen, so unbegründet (haben nicht Rosenzweig und Wittgenstein auf eine Einleitung verzichtet)?
    Sind nicht eigentlich alle naturwissenschaftlichen Bücher Einleitungen zu Texten, die keine mehr sind: zu den Formeln, die die Texte dann nur unzulänglich zu erläutern vermögen? Wer vermöchte wirklich Das Gravitationsgesetz, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die These von der Identität von träger und schwerer Masse in Sprache zu übersetzen?
    Die drei zivilisationskritischen Großprojekte der Aufklärung, Marx, Freud und Einstein, beschreiben sie nicht die Brennpunkte des Aufklärungsprozesses aus der Opferperspektive, Marx aus der des Proletariats, Freud aus der des Unbewußten, und Einstein aus der des materiellen Objekts? Und gehören hierzu nicht die Objekte der Kritik: das Tauschprinzip, das Realitäts- und Lustprinzip und das Trägheitsprinzip?
    Der Unschuldstrieb (das „reine Gewissen“) wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins symbolisiert und widerlegt.
    Kommt bei René Girard die Geschichte des Stephanus (und des Saulus) vor, und was bedeutet sie für sein Sündenbockkonzept? Ist nicht die Bekehrung des Paulus (die eine Bekehrung und keine Umkehr war) die eines Verfolgers, dessen Opfer „den Himmel offen“ sah?

  • 17.4.96

    Die Blüte und das Angesicht sind Widerlegungen der kopernikanischen Wende, der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung; gäbe es den unendlich ausgedehnten Raum, so würde es die Blüte und das Antlitz des Andern nicht geben.
    Das Angesicht Gottes finde ich im Antlitz des Andern (in Seinem Ebenbild), nicht in mir selbst (und nicht im Spiegel): Da stehe ich mir selbst im blinden Fleck.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Produkt der Verinnerlichung des Blicks des Andern. (Die Verwaltung ist das Produkt der gesellschaftlichen Institutionalisierung des Blicks des Andern. Insofern hängt die Geschichte der Verwaltung mit der Geschichte des Ursprungs der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, des Inertialsystems, zusammen.)
    Läßt sich die Abstraktion vom Blick des Andern, Voraussetzung der Konstruktion der subjektiven Formen der Anschauung, nicht am Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit demonstrieren, mit seiner Hilfe nachweisen?
    Die Bekenntnislogik gründet in der Umkehr und Instrumentalisierung der Schuld, das Geld in der Umkehr und Instrumentalisierung der Herrschaft, das Inertialsystem (die subjektiven Formen der Anschauung) in der Umkehr und Instrumentalisierung der Erkenntnis. – Wie hängen diese drei mit den drei Totalitätsbegriffen, mit Natur, Welt und Wissen, zusammen?
    Verweist die Stelle im neuen Welt-Katechismus, in dem es heißt, daß Maria „mit liebender Zustimmung“ dem Kreuzestod ihres Sohnes beiwohnte, nicht auf eine Versuchung, die im Konstrukt des „stellvertretenden Leidens“ mit enthalten ist: daß nämlich die Theologie nur noch das instrumentalisierte Leiden kennt, den Ausdruck des unmittelbaren Leidens aber nicht mehr erträgt.
    In der Mathematik und in seiner Beziehung zu den Medien ist jeder für sich; die Mathematik und die Medien begründen das Kollektiv der Einsamen, das stumme Kollektiv (Produkt der Trennung von Sprache und Realität).
    Thomas von Aquin hat noch gewußt, daß die Seligen im Himmel an ihrer Trennung vom Leib leiden. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff des Leibes!

  • 23.9.1995

    Die Personalisierung (zu der es seit der kopernikanischen Wende, seit der Installation der subjektiven Formen der Anschauung, keine Alternative mehr zu geben scheint) greift den Himmel an. Sie verwechselt Wasser und Feuer, Begriff und Namen, das Was und das Wer (vgl. Sohar, Ausgabe Diederichs, S. 70, sowie Lk 1249: Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu holen, und ich wollte, es brennte schon).
    Gibt es einen logischen Zusammenhang und eine logische Folge der Stellen der Schrift, an denen vom offenen Himmel die Rede ist (von der Merkaba-Vision bei Ezechiel über die Taufe und die Verklärung Jesu bis zum Tod des Stephanus)?
    In welcher Beziehung steht der Kampf Jakobs mit dem Engel zu seinem Traum von der Leiter, die bis an den Himmel reicht?
    In den Eltern sind einem auf verschlüsselte Weise Vergangenheit und Zukunft präsent. Hat der „Generationenkonflikt“ (der
    Abbruch der Kommunikation mit den Eltern), in den auch die raf verstrickt ist, nicht etwas mit der Verdrängung der Vergangenheit durch Verurteilung (durch Vergegenständlichung) zu tun, mit der Vorstellung, man könne den Ballast abwerfen und wäre dann frei, mit dem Problem der Personalisierung? Aber nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr.
    Die Trinitätslehre ist ein Konstrukt zur Absicherung der Bekenntnislogik: Sie setzt die Verdrängung der Vergangenheit durch Verurteilung (den Antijudaismus) voraus. Mit der Kritik der Bekenntnislogik fällt auch die Trinitätslehre.
    Der Abgrund zwischen der Logik der Schrift und der Erfüllung des Worts wird überbrückt durch das Wunder (die Freiheit ist das Wunder in der Erscheinungswelt).
    Wird schon in der hebräischen Bibel zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Worts unterschieden, oder erst im Neuen Testament?
    Das Präsens ist eine ästhetische Kategorie. Es hat die vergegenständlichte Vergangenheit und die verräumlichte Zukunft zur Grundlage: Der Raum verkörpert die Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft. Gegen ihn steht die Erkenntnis (die Heiligung, die Einung) des Gottesnamens.
    In der Sache beginnt die Philosophie mit dem Satz: Alles ist Wasser. Ist die Philosophie nicht der strampelnde Frosch, nur daß, was in diesem Wasser dann fest und greibar wird, keine Butter ist, sondern der Begriff (vgl. Dt 2823: Und der Himmel, der über deinem Haupte, wird Erz sein, und der Boden, der unter dir, Eisen; sh. auch Lev 2618f: … werde den Himmel über euch sein lassen wie Eisen und euern Boden wie Erz)?
    Ist nicht der Unzuchtsbecher in der Apokalypse der Schritt über den letzten Satz des Buches Jona hinaus? Dort wurde auf die 120.000 verwiesen, die Rechts und Links nicht unterscheiden können; der Unzuchtsbecher instrumentalisiert diese fehlende Unterscheidungsfähigkeit: er symbolisiert die neutralisierende Gewalt des Begriffs.
    Die Nicht-Unterscheidung von Rechts und Links trennt das Was vom Wer, den Begriff vom Namen. Die Gemeinheit instrumentalisiert diese Trennung.
    Der Raum und der Gottesname: Steckt im hebräischen Namen des Himmels, schamajim, nicht der Raum; ist das Feuer nicht die Normale auf der Angleichung des Wer an das Was, der Grund der Reversibilität beider?
    Daß – so Thomas von Aquin – Geister „an sich böse“ sind, läßt an einer Theologie sich ablesen, die die Lehre von den Engeln und Dämonen unter dem Oberbegriff Geister abhandelt. Daß Geister an sich böse sind, gilt auch noch für den Hegelschen Weltgeist, den Antipoden des Paraklet.
    Parusieverzögerung: Der Fehler der Trinitätslehre war es, daß sie als Theologie im historischen anstatt im prophetischen Indikativ (in einem Indikativ, der den Imperativ in sich enthält) sich begreift. Die Übersetzung des prophetischen in den historischen Indikativ (mit der Opfertheologie als Zentrum) ist die Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann. Nicht die Ontologie, sondern die Ethik ist die prima philosophia (aber diese prima philosophia trägt das Antlitz der Apokalypse).
    Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit: Das war der Grund und die Urfassung des Satzes, daß die Attribute Gottes nicht auf ein Sein, sondern aufs Handeln sich beziehen, daß sie nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen.
    Der Weltbegriff oder die Ontologie ist Objekt einer Kritik, in deren Kontext der Naturbegriff und die Geschichte seiner Entfaltung (die Geschichte der Naturbeherrschung) als Objekt der Umkehr und als Grund einer apokalyptischen Ethik sich erweisen.

  • 20.1.1995

    Werden die Rekonstruktionen von Gott Mensch Welt im ersten Teil des Stern der Erlösung durchsichtig, wenn man sie auf den Raum, das Geld und das Bekenntnis bezieht? Es gibt nicht die Welt, sondern die Welt ist ein plurale tantum. Und es gibt auch nicht „die beste aller Welten“, sondern hier gilt: Was dem eenen sin Uhl, ist dem annern sin Nachtigall. Der Singular Welt (das Universum) ist Produkt einer Dezision. Und der Dezisionismus, den Christian Graf Krockow an Heidegger, Schmitt und Jünger wahrgenommen hat, hängt damit zusammen. Dieser Dezisionismus ist ebensowenig durch den Hinweis auf den Satz des Widerspruchs aufzulösen wie der Schmittsche Souveränitätsbegriff durch den Hinweis auf seine Folgen: die Begründung der Diktatur. Im Kern des Weltbegriffs steckt die Hegelsche List der Vernunft, ein Stück Betrug. Die Entfaltung dieses Betrugs zur Totalität: das wäre der Greuel am heiligen Ort. Ist nicht die Existenz unterschiedlicher Tiergattungen (nach Hegel Hinweis darauf, daß „die Natur den Begriff nicht halten kann“) der Beweis dafür, daß es die eine Welt nicht gibt? Was Rosenzweig im Stern der Erlösung so gelassen beschreibt, ist in Wahrheit ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Zu Illigs Fälschungstheorie: Ist die Phase, die dieses Bild der Vergangenheit produziert hat, sie zur Selbstlegitimation erfunden hat, nicht die gleiche Phase, die in die Kirchengeschichte als die pornokratische Phase eingegangen ist, und hängt nicht beides mit einander zusammen, ähnlich wie die pornographische Phase der kirchlichen Moraltheologie mit dem Ursprung des politischen Absolutismus (und mit dem Barock) zusammenhängt? Liegt nicht der Fehler Illigs – wie überhaupt der Heinsohn-Gruppe – darin, daß sie glauben, post festum feststellen zu können, es hätte auch anders laufen können? Sie unterschätzen die Gewalt der Schuldängste und der Rechtfertigungszwänge, denen auch der historische Erkenntnisprozeß unterworfen ist. Liefern Heinsohn und Illig nicht Reflexionsmaterial zum Problem des kontrafaktischen Urteils? Kommt Karl der Große eigentlich bei Thomas von Aquin vor? Theologie im Angesicht Gottes, das heißt: Aus dem Bann der Logik der Schrift heraustreten.

  • 17.5.1994

    Die Logik der Scham, das Anderssein, der Weltbegriff und die Ausbildung und Entfaltung der Raumvorstellung (das Aufdecken der Blöße oder das Sklavenhaus Ägypten):
    – Sie waren nackt, aber sie schämten sich nicht; da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    – (Sintflut, Arche) Noah, der Weinbau, die Trunkenheit und die aufgedeckte Blöße, Ham und die Knechtschaft (gehört die Ham/Kanaan-Geschichte zur Vorgeschichte der Kafkaschen Erzählung „Das Urteil“?).
    – Erkenntnis der Nacktheit und Ursprung des Weltbegriffs: Scham als verinnerlichter Blick des Andern; in diesem Blick und als Inbegriff der Logik seiner Objektivation konstituiert sich der Weltbegriff.
    – Der Raum als die zwangshafte Rekonstruktion des verinnerlichten Blicks des Andern; die kopernikanische Wende, die Vernichtung des Angesichts Gottes durch den „unendlichen Raum“ (Abwehr, Verdrängung des Angeblicktwerdens), Grund der kantischen Erkenntniskritik.
    – „Kollektivscham“ als kollektive Isolationshaft, die Unfähigkeit zu trauern und die zweite Schuld; Kollektivscham und Xenophobie, Ausländerfeindschaft und neue Rechte. Der Begriff der Kollektivscham hat die Erinnerung mit der Welt versöhnt und somit zur Folgenlosigkeit verdammt (und dieses Land zum „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“ gemacht).
    – Das Fernsehen (die institutionelle Aufspaltung des Sehens durch Trennung des Sehens und Gesehenwerdens) oder die Blinden und die Lahmen (2 Sam 56ff, Mt 115).
    – Die Logik der Scham und die Ausbildung und Entfaltung der Logik des Raumes.
    – Ist die am zweiten Tag geschaffene Feste, die die oberen von den unteren Wassern (die Prophetie von der Philosophie) trennt, das kosmische Realsymbol der Scham?
    – Scham und Verdinglichung, Ursprung der Exkulpationsmechanismen, Scham und Gewalt: Ist die Scham die Materie des Absoluten?
    – Die Philosophie ist mit der Verinnerlichung des Schicksals entstanden (Ursprung des Begriffs), die mathematische Naturwissenschaft mit der der Scham (Ursprung der subjektiven Formen der Anschauung, der Raumvorstellung).
    – Scham und Schuldverschubsystem (Exkulpation durch Projektion: Prinzip der Anklage, Grund des Objektivationsprozesses), Ursprung des katholischen Mythos (der traditionellen Höllenlehre: stammt der Satz, daß zum Glück der Seligen im Himmel die Anschauung des Leidens der Verdammten dazugehört, den Nietzsche auf Thomas von Aquin zurückführt, nicht schon von Augustinus? Vgl. das Nietzsche-Zitat bei Jürgen Ebach: Apokalypse, in: Einwürfe 2, S. 45).
    – Die Scham als gemeinsamer Grund des Mythos und der Kunst (der Ästhetik). Konstruktion der Farben (die Sintflut und der Bogen am Himmel).
    – Sind die sekundären Sinnesqualitäten nicht stellvertretende Opfer für das eigentliche Opfer: die benennende Kraft der Sprache (der Logos), und liegt dem nicht die Ersetzung des Hörens durch den Gehorsam (die säkularisierte Gestalt des Islam, mit der augustinischen „Wörtlichkeit“ als Vorstufe des Koran) zugrunde? – Wäre das Gehorsamsgebot nicht endlich beim richtigen Namen zu nennen: als Heiligung des Gottesnamens? Das Credo hat das Niederfahren Gottes beim Turmbau zu Babel zu einem Akt der Kirche gemacht: sie zieht ihn in ihre Verstrickungen (in die Verstrickungen der Bekenntnislogik, der Logik des Absoluten) mit herein. Ist nicht die Kirchengeschichte die endlose Ausdehnung der descensio ad inferos?
    – Scham, Sexualität und Urteil (Begriff der Erbsünde). Als Urteilslogik ist die transzendentale Logik eine Logik der Scham (und bedarf zu ihrer Begründung der transzendentalen Ästhetik: der Logik der Abstraktion vom Gesehenwerden).
    – Die Scham und die Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (oder die Heiligung des Gottesnamens).
    – Scham hat einen Adressaten, Scham ist Scham vor einem anderen: Mit dem Weltbegriff ist dieser Andere verinnerlicht worden. Gibt es Stufen der Scham (Entschlüsselung der sieben unreinen Geister)? Die Geschichte der drei Leugnungen ist in die Geschichte der Scham verstrickt.
    – Die Kollektivscham und die Pforten der Hölle (oder Kollektivscham und Naturbegriff).
    – Die Grenze zwischen Natur- und Weltbegriff ist eine Schamgrenze, starr und gleichsam orthogonal verbunden mit dem Ursprung und der Geschichte der Sexualmoral.
    – Der Weltbegriff unterläuft die Herrschaftskritik und begründet die Sexualmoral durch Herstellung von Komplizenschaft (er unterwirft die Herrschaftskritik dem Schuldverschubsystem; die Theologie hat dieses Schuldverschubsystem im Dogma kanonisiert: mit der Opfertheologie und dem Konstrukt der „Entsühnung der Welt“, begründet in der falschen Übersetzung von Joh 129).
    – Durch die Einbeziehung der Übernahme der Sünde der Welt ins Nachfolgegebot wird das „wörtliche“ Verständnis ins prophetische Verständnis transformiert (Wahrheit der Lehre von der Transsubstantiation), gewinnt die Sprache ihre benennende Kraft zurück (apokalyptische Enthüllung).
    – Scham und Sprache: Sollte mit der Heiligung des Gottesnamens die Anonymität des Angeblicktwerdens aufgehoben (der Mensch in den Anblick Gottes gerückt) werden? Die Anonymität gründet in der Abstraktion der Form des Raumes (Zusammenhang mit der Geschichte der drei Leugnungen).
    – Steckt im kantischen Begriff des Erhabenen die Erinnerung an den leeren Weltenraum, und gründet darin die Assoziation des „moralischen Gesetzes in mir“ mit dem „gestirnten Himmel über mir“?
    – Die Scham, das Feigenblatt und der Rock aus Fellen.
    – Wie hängt die Logik der Scham mit der des Feuers zusammen (auch die Scham brennt wie Feuer)? Gründet das Feuer im Namen des Himmels (und im brennenden Dornbusch: in der brennenden Innenerfahrung der Profangeschichte) in dem, was die Scham objektiv bezeichnet?
    – Der brennende Dornbusch als brennende Innenerfahrung der Profangeschichte setzt die Gotteserkenntnis (die Selbstoffenbarung Gottes) in Beziehung zur Bewegung der Profangeschichte (vgl. Walter Benjamin, Theologisch-politisches Fragement: „Das Profane ist zwar keine Kategorie des Reiches, aber eine Kategorie, und zwar der zutreffendsten eine, seines leisesten Nahens“). Der brennende Dornbusch ist
    – „Absolutum est prius relativo secundum esse, et est posterius secundum dici“ (Thomas von Aquin, S.Th. I 2, q. 16.4 ad 2). Der newtonsche „absolute Raum“ hat seine Wurzeln in der Scholastik; er findet seine Vollendung in der Hegelschen Idee des Absoluten.
    – Die Verstrickung der Theologie in die Dialektik der Aufklärung ist symbolisiert in der Geschichte von den drei Leugnungen. Leugnet nicht die aus der Philosophie rezipierte Idee der Anschauung Gottes das Angesicht Gottes?
    – Die subjektiven Formen der Anschauung entspringen in der (praktischen) Abstraktion vom Gesehenwerden, sie sind ein Produkt der Schamverarbeitung. Mit dem Ursprung der Naturwissenschaften wurde der Blick des andern tabuisiert, verdrängt, gelöscht; als Produkt projektiver Schuldverschiebung erscheint er dann wieder in dem bösen Blick, der den Hexen nachgesagt wurde: So gehört die Geschichte der Hexenverfolgung zur Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften. Der wirkliche böse Blick aber ist der, den die Naturwissenschaften auf die Dinge werfen; dieser Blick hat eine eingebaute Exkulpationsautomatik: es ist der Blick des Herrn (des Absoluten).
    – Das „naturwissenschaftliche Weltbild“, die kopernikanische Wende als Katalysator des gesellschaftlichen Fortschritts, hat die (intellektuellen und moralischen) Hemmnisse beseitigt, die der „freien Entfaltung“ des Kapitalismus im Wege standen.
    – Der Herrenblick oder das verinnerlichte Babylon und die projektive Verschiebung des „Grauens um und um“ (Jeremias). Gehört heute nicht die descensio ad inferos zu den Prämissen theologischer Erkenntnis?
    – Ergänzung zum Stern der Erlösung: Die Philosophie verschweigt nicht nur den Tod, sondern seit ihrem Bündnis mit der Theologie hat sie ihn instrumentalisiert: War das nicht der Kelch (der Kelch der Opfertheologie), von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen? Mit der Instrumentalisierung des Kreuzestodes wurde die Strafe der Steinigung (zur subjektiven Form der äußeren Anschauung und zum Prinzip der Verdinglichung) vergeistigt (und der Feuertod zur Strafe für Juden, Ketzer und Hexen).
    – Es genügt nicht, daß die Christen sich irgendwo im Stern der Erlösung wiederfinden, es käme darauf an, den Stern der Erlösung ins Christliche zu übersetzen (nach Walter Benjamin: die Tradition auf dem eigenen Rücken weiter zu befördern, nur daß Christen sie überhaupt erst auf die eigenen Schultern heben müssen).
    – Merkwürdig, daß aus einem Buch, das die Lösung der sieben Siegel zum Gegenstand hat, ein „Buch mit sieben Siegeln“ geworden ist.
    – Der Name Gottes bildet sich in der Lösung der sieben Siegel, in der Lösung des Banns, den der Raum auf Mensch und Welt legt.
    – Der Prototyp der neuen Gestalt der Religionskriege war der Weltanschauungskrieg der Nazis gegen Rußland, und der war schon ein Vernichtungskrieg („Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“).
    – Leben wir nicht heute nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß? Aber diese Kälte ist die des steinernen Herzens. Dagegen wäre der Satz zu setzen: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“ (Lk 1249).
    – Zum letzten Satz des Buches Jona: Wer rechts und links nicht mehr unterscheiden kann, unterscheidet sich nicht mehr vom Vieh (sh. Behemoth), das deshalb in die Buße Ninives ebenso wie in die Barmherzigkeit Gottes mit hereinzunehmen ist.
    – Daß niemand das Licht unter den Scheffel stellt, stimmt nicht: Die moderne Aufklärung hat es getan, weil sie das Licht mit dem Scheffel verwechselte. So ist sie zum Scheffel über dem Licht geworden.
    – Das Lachen instrumentalisiert die Scham, macht sie zur Waffe.
    – Die Waffen der Schlange: ihr Blick und das Gift (gleicht sich die Sprache der Politiker nicht immer mehr dem Blick der Schlange an?).
    – Zu Jes 271: Ist der Leviatan, „die flüchtige Schlange, … die gewundene Schlange“, Produkt der Mimesis an den Grund der Raumvorstellung (die erste Gestalt des „Korpuskel-Welle-Dualismus“, Reflex dessen, daß jede Gerade im Raum sowohl Trägheitsbahn als auch Rotationsachse ist – daß beide Bewegungen die Zukunft mit der Vergangenheit kurzschließen, indem sie die Gegenwart ausschließen: „Das Tier, das du gesehen hast, war und ist nicht und wird (wieder) heraufkommen aus der Unterwelt und geht hin ins Verderben“, Off 178)?
    – Gibt es eine Beziehung der astrologischen Planetentheorie und der kirchlichen Sakramentenlehre zur Logik der Scham (Venus und Eucharistie)?
    – Schicksal und Scham: Die Verinnerlichung des Schicksals (und der Ursprung des Begriffs) mußte abgesichert und stabilisert werden durch den projektiven Namen der Barbaren; die Absicherung der Verinnerlichung der Scham (und des Ursprungs der Naturwissenschaften) erfolgte über den projektiven Namen der Wilden (war die kopernikanische Wende der Anfang eines kosmologischen Kolonialismus und die kantische Philosophie der Beginn des kritischen Selbstbewußtseins davon?).
    – Hat die Scham mit der Eitelkeit zu tun, mit dem Nichtigen?
    – Die gleiche Logik der Scham, die die Raumvorstellung konstituiert, liegt auch der Bekenntnislogik zugrunde (über die Logik der Scham hängt der Greuel der Verwüstung mit der Sünde Adams zusammen: der Greuel der Verwüstung ist aus der Sünde der Welt ableitbar).
    Woher kommt konkret der Name Palästina, welchen historischen Weg hat er genommen? Wie lange hat es die Philister gegeben, wer waren ihre Nachfahren, und haben nicht die Römer dann das Land Israel Palästina genannt?
    Wie wäre es mit dem schönen Titel: Ein Vorschlag zur Güte?

  • 02.03.94

    Ist die Kehrseite der Naturwissenschaften (und ähnlich die der Ökonomie und die des Dogmas und der Bekenntnislogik) elliptisch: Wo ist der zweite Brennpunkt?
    Das Interesse an der Erhaltung der Referenzsysteme der Natur, der Ökonomie und der Religion (Inertialsystem, Geld, Bekenntnislogik), die sich ohnehin gegenseitig stützen, der Widerstand gegen ihre Reflexion, ist heute stärker als das Interesse an der Wahrheit.
    Was entspricht dem Urknall und dem Schwarzen Loch in der Ökonomie und in der Religion?
    Die Rekonstruktion der Bekenntnislogik hat die Entschlüsselung der Sakramentenlehre zur Voraussetzung. Für Augustinus waren das Symbolum und das Herrengebet noch Sakramente, die bei der Taufe übergeben wurden. Wann ist die systematisierte Sakramentenlehre (die Lehre von den sieben Sakramenten) entstanden? Fällt sie nicht unter den gleichen Bedingungszusammenhang wie auch die Konsolidierung der Lehre von den letzten Dingen (Hölle, Himmel und Fegfeuer), die Durchsetzung des Zölibats, der Ursprung der Eucharistie-Verehrung (Fronleichnam) und der Ursprung der Ohrenbeichte; und wird dieser Bedingungszusammenhang nicht durch den neuen, islamisierten (d.h. durch das religiöse Trägheitsgesetz der Ergebung charakterisierten) Weltbegriff, der darin sich abzeichnet, definiert? Ist nicht die Lehre von den sieben Sakramenten (Symptom der Islamisierung des Christentums) bei Thomas von Aquin schon voll ausgebildet?
    Die Hegelsche Logik ist die Selbstreflexion des Dings, und ihre Beziehung zur Theologie wäre in dem gleichen Zusammenhang zu bestimmen, in dem der Dingbegriff als die Säkularisationsgestalt der Eucharistie sich erweist. Ist nicht die Philosophie in der Tat der corpus Christi mysticum, aber in der Gestalt des Fronleichnams (der Eucharistie als Symbol des am Kreuz gestorbenen Leibes des Herrn)?
    Wie verhält sich der Begriff der Totalität zu dem des Absoluten (oder: wie verhält sich der Faschismus zum Barock)?

  • 22.09.92

    Kann es sein, daß die mittelalterliche Theologie sich die wichtigste Erkenntnisquelle selber zugestopft hat, als Johannes Scottus Eriugena verurteilt wurde? Es hat große Anstrengungen (und unvertretbare Opfer) gefordert, bevor das scottische Thema der „Einheit des Ewigen und des Gewordenen“ (S. 276ff) durch Bloch, Benjamin, Horkheimer und Adorno wiederdentdeckt wurde. Habermas hat’s immer noch nicht begriffen. Dieses Thema rührt an den Grund des Weltbegriffs, indem es den „Schöpfungsanfang“ nicht, wie es der Weltbegriff fordert, an den zeitlichen Anfang setzt, sondern – in der weltlichen Perspektive der Kreatur – ihm (und seiner Voraussetzung, der Idee des Ewigen) ein Gewordensein konzediert: er wird somit in jene geschichtliche Perspektive gerückt, in der dann der Ursprungsbegriff sein Wahrheitsmoment genauer bezeichnet und festhält.
    Merkwürdiger Begriff der Natur beim Johannes Scottus Eriugena. Was drückt sich in dem Titel „De divisione naturae“ aus? Leitbegriff seiner Spekulation ist der der Natur, aber nicht als einheitlicher Begriff (nicht als Totalitätsbegriff), sondern als an getrennte Bedeutungen aufgeteilter. Vergleiche damit den Naturbegriff und seine Funktion bei Franz Rosenzweig (Grund und hypokeimenon des Systems, aus dessen Umkehrung erst die Wahrheit hervorgeht). Naturbegriff in der Bibel (nur in den Apostelbriefen, und hier auf dem Niveau: „Lehrt euch nicht selbst die Natur, daß, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Schande für ihn ist“ – 1 Kor 1114)? Oder: ist der Naturbegriff durch den Weltbegriff vermittelt, und was entspricht ihm dann in der „Vorwelt“, in der Geschichte vor dem Ursprung der Philosophie und vor der Entstehung des Römischen Reiches?
    Zitiert Thomas von Aquin noch den Johannes Scottus Eriugena? Welche Rolle spielt in dieser Geschichte des Johannes Scottus Eriugena der Pseudo-Dionysius Areopagita (und der Maximus Confessor, Hauptinterpret des Ps.-Dionysius), oder welche Rolle spielt Johannes Scottus Eriugena in der Geschichte des Pseudo-Dionysius? Wann und von wem wird Dionysius Areopagita zum erstenmal erwähnt und zitiert, und wann und von wem Johannes Scottus Eriugena?
    Erstaunlich beim Johannes Scottus Eriugena seine stupende Gelehrsamkeit, sein souveräner Umgang mit lateinischen und griechischen Autoren (Plato, Aristoteles, Augustinus, Boethius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Basilius, Dionysius Areopagita, Maximus); er kennt die Differenzen zwischen der lateinischen und der griechischen Theologie, er ist in der Lage, etymologische Beziehungen zwischen lateinischen und griechischen Begriffen zu erkennen.
    War nicht die Hexenverfolgung, die endgültig das Antlitz der Erde zerstört hat, eine Konsequenz aus der Verurteilung des Johannes Scottus Eriugena? Und war nicht die Verurteilung des Johannes Scottus Eriugena der Preis für die Gründung der Universitäten (Beziehung zur Leugnung des Heiligen Geistes).
    Das Sein ist der Ursurpator des Namens, und seine verandernde Kraft bezieht sich auf die benennende Kraft der Sprache. Heideggers Philosophie ist der Versuch, diesem Usurpator des Namens die Würde des Namens zu verleihen (das Sein zum Namen zu ernennen).
    Der Naturbegriff verkörpert den ungeheuerlichsten Widerspruch, der nur deshalb nicht gesehen wird, weil seiner Verdrängung die Autonomie des Subjekts sich zu verdanken scheint. Der Naturbegriff ist die logisch überdeterminierte Projektionsfolie des blinden Flecks, in dem das Subjekt sich selber steht. Der harte Satz gilt: In der Natur kommt das Subjekt nicht vor, und soweit es vorkommt, muß es sich gegen die Natur behaupten.
    Dem Geburtsfehler der Philosophie, der Ontologie, entspricht der der christlichen Theologie: die Beziehung des Schöpfungsbegriff auf die Welt, die Idee, daß Gott die Welt aus (dem) Nichts erschaffen hat. Hierdurch wurde der Staat (das Herrendenken) gegen Kritik abgeschirmt, zugleich die zentrale Stellung der Sexualmoral im religiösen Selbstverständnis begründet (Grund und Folge des Naturbegriffs: so hängt die Stellung der Sexualmoral mit dem Ursprung des Weltbegriffs zusammen). Grund ist das Nichtbegreifen der Täufer-Theologie: die zentrale Stellung der Übernahme der Sünde der Welt (Begründung der Taufe und der Umkehr). Nur so wäre der Weltbegriff der Schöpfungslehre entzogen (und die Urhäresie: die Gnosis, aus der die ganze Geschichte der Häresien sich ableiten läßt, vermieden) worden. Der Weltbegriff gehört in die Christologie, hierhin aber als historischer, als Prozeßbegriff (Säkularisation, Verweltlichung).
    Es käme heute darauf an, die paulinische Theologie durch die des Täufers zu berichtigen oder zu ergänzen (vgl. auch das Martyrium des Erzmärtyrers Stephanus, an dem Paulus beteiligt war, mit dem Tod des Johannes, nachdem er den Herodes zur Rede gestellt hatte). Steht nicht die alternative Bewegung heute in der Täufer-Tradition; das führt auf die Frage: wer waren Herodes, Herodias und Salome?

  • 27.12.90

    Rosenzweigs Kritik der philosophischen Unsterblichkeitslehre hängt mit seiner Kritik des All aufs engste zusammen: Die Unsterblichkeitslehre gewinnt ihre Plausibilität, ihre falsche Verständlichkeit vor dem Hintergrund der überzeitlichen Geltung der philosophischen Begriffe (die nicht wie die endlichen, kontingenten Einzeldinge in der Zeit sterben, zugrundegehen). Das Bindeglied, das dem Einzelsubjekt den Status des Begriffs gibt, ist der Begriff der Person, an den die Unsterblichkeitsvorstellung sich anschließt. Wie überhaupt die Unsterblichkeitsvorstellung mit der philosophischen Lehre vom Begriff, die Lehre von der Auferstehung hingegen mit der theologischen Namenlehre zusammenhängt (noch bei Thomas von Aquin leidet die getrennte Seele unter ihrer Trennung vom Leib, sehnt sich nach der Auferstehung).
    Naturbegriff und Akkusativ: Das Ergebnis des Objektivationsprozesses, durch den die Natur zum Inbegriff der Subjektlosigkeit geworden ist, hat insbesondere zwei Konsequenzen:
    – die Ausdehnung der Verantwortung vom individuellen Handeln aufs Schicksal der Welt und ihre Verlagerung ins Subjekt; auf die Natur kann sich niemand mehr zum Zwecke der Exkulpierung herausreden (auch nicht durch sozialdarwinistische Konstrukte);
    – zugleich macht die Subjektlosigkeit den Anklagestatus gegenstandslos: die Natur ist aus dem Akkusativ herauszunehmen (Akkusativ und double bind: es ist gerade die Unschuld der Natur, die sie absolut schuldig macht: es ist ihre Verdinglichung, die sie zum Objekt der Verwertung macht; nicht zufällig wurde die Melancholie als Kreativitätsquelle entdeckt, als die Voraussetzungen für die Verdinglichung der Welt geschaffen wurden – Zusammenhang von Melancholie und Hysterie?).

  • 27.08.90

    Der Rechtfertigungszwang (Bekenntniszwang) verändert auch das Gerechtfertigte (den Inhalt des Bekenntnisses): den Glauben, den man verteidigt (bekennt). Das wird deutlich an den Äußerungen jenes Anhängers Lefebvres, der die Wiedereinführung der Inquisition forderte und im Zusammenhang damit auch die Todesstrafe rechtfertigte. Zum apologetische Grundzug der Orthodoxie heute gehört offensichtlich auch die Erfahrung, daß eine Verteidigung der Lehre ohne die Hilfe äußerster Rechtsmittel wie Inquisition und Todesstrafe nicht mehr möglich ist. Zugrunde liegt eine Ohnmachtserfahrunmg, die sich anders nicht mehr zu helfen weiß. – Aber ist diese Ohnmachtserfahrung nicht doch real begründet? Und sind nicht die Anpassungstendenzen der modernen Theologie weniger eine Aufarbeitung als vielmehr eine Flucht vor dieser Ohnmacht?

    Das „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ ist die schärfste Kritik am Bekenntnis-Christentum. Das christliche Bekenntnis bedurfte seit je des Pharisäers als Verdrängungshilfe und Projektionsfigur, um die damit verbundenen Schuldgefühle loszuwerden.

    Wie hängen die Begriffe Bekenntnis und Symbolum zusammen? War das Bekenntnis der Vollzug einer Identifikation mit dem Aggressor, und der Formel-Inhalt das Zeichen (Symbol) dieser Identifikation?

    Der theologisch-soziale Doppelsinn des Opfer-Begriffs ist ein Hinweis darauf, daß das eigentliche Opfer das soziale und nicht das kultische ist. Das kultische ist nur die zugleich verdrängte Deckerinnerung ans soziale Opfer. Das Prophetenwort „Barmherzigkeit will Ich, nicht Opfer“ drückt genau das aus.

    Sind die Christen (die Katholiken) Gottesfresser? – Durch die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie steigern wir die Last anstatt sie mitzutragen (Umkehr des Nachfolgegebots). Die Projektion auf die Juden im christlichen Antisemitismus (in der christlichen Judenfeindschaft) ist die genaue Folge davon, ist die projektive Verarbeitung, die nicht zufällig in Auschwitz endet.

    Gläubige Theologie wäre Theologie im Antlitz Gottes, hieße Theologie so betreiben, als wäre ER anwesend. Gläubige Theologie wäre Theologie als Gebet, Theologie, die Gott als Adressaten hat und jeden Satz vor IHM verantworten muß.

    Die Theologie spricht über Gott hinter seinem Rücken, d.h. sie glaubt nicht an seine Anwesenheit und muß sich deshalb ihrer Wahrheit durch kollektive Zustimmung versichern. (Zusammenhang mit dem Bekenntnis-Begriff!)

    Rosenzweigs Satz: „Von der Welt wissen wir nichts, und dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von der Welt“ ist so abzuändern, zu ergänzen und zu verschärfen: „Die Welt ist der Grund unseres Nichtwissens“; es sind die (weltlichen) Bedingungen unseres Wissens, die unser Nichtwissen von Gott und Mensch zur Folge haben. – Das jedoch ändert Struktur und Zusammenhang des Rosenzweigschen Systemkonzepts. – Wäre diese Änderung in einem dann allerdings sehr weitreichenden Sinne christlich zu begründen?

    Liegt das Problem in Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ in der Ambivalenz seines Weltbegriffs? Anstelle Gott/Mensch/Welt: Gott/Himmel und Mensch/Erde? Müßte nicht die Summa contra gentiles neu geschrieben werden?

    Adornos Philosophie – vor allem seine Hegel-Kritik – ist der Versuch, den brennenden Dornbusch von innen zu beschreiben (vgl. Franz von Baaders Vergleich der Hegelschen Philosophie mit einem Autodafe).

    Titel-Vorschlag: Verwaltete Theologie oder Bemerkungen zum Begriff der Konfession.

    Ist der Taumelkelch, von dem die Propheten gelegentlich reden, die Philosophie (an der nach Hegel „kein Glied nicht trunken ist“).

    Ist jedes Bekenntnis die Antwort auf eine Anklage (und insoweit Schuldbekenntnis, jedoch ohne wirkliches Schuldbekenntnis): das Zwangsbekenntnis unterstellt, daß jeder (selbst der noch ungetaufte Säugling) zunächst einmal ein Ketzer ist?

    Die autoritäre Forderung des Bekenntnisses ist der Mißbrauch des Bekenntnisses. Sie unterstellt, daß der, dem das Bekenntnis abgefordert wird, grundsätzlich schuldig ist und davon durch das Bekenntnis sich freisprechen kann (vgl. hierzu auch Kant!). Ihr Ziel ist die Identifikation mit dem Aggressor, die absolute Heuchelei.

    Zwei Dinge, die die Neubegründung der Theologie notwendig machen:

    – Ihr Verhältnis zu den modernen Naturwissenschaften (Ausgangspunkt: die spezielle Relativitätstheorie Einsteins), und

    – ihr Verhältnis zu Auschwitz: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. – Der Knecht Gottes ist Israel, aber wir können es nicht wieder instrumentalisieren wie beim Kreuzestod Jesu.

    Theologie war in ihrer ganzen christlichen Geschichte der Versuch, hinter dem Rücken des lieben Gottes über ihn zu reden. Die Folgen liegen heute offen zutage. Theologie ist heute die offene Wunde, und nur wer das realisiert, ist befugt, Theologie zu betreiben. So wie Einstein die offene Wunde der Physik ist, während die gesamte pseudometaphysische Mikrophysik und Quantentheorie einschließlich der pseudomystischen Konsequenzen, die einige glaubten, daraus ziehen zu können, nichts anderes ist als die Instrumentalisierung dieser Wunde (Salz für die Wunde). Insofern ist allerdings die Quantenphysik in der Tat die Erbin und Nachfolgerin der europäischen Theologie.

    Den Begriff der Umkehr auf die Dogmatik anwenden. Hilfe wäre das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, das parakletische Denken; Frage, ob die gesamte Dogmatik zu retten ist.

    Die Aufspaltung der Eschatologie, die Trennung des Himmels oben von der zukünftigen Welt, ist historisch erledigt; ihr ist die Grundlage entzogen seit Kopernikus, seit Newton, seit dem Fall Galilei.

    Bekennen darf man nur, wo man geliebt wird; das Zwangsbekenntnis ist in einem letztlich auch kosmologischen Sinne der Grund des Übels.

    Verteidigendes Denken: Heute sind wir schon soweit, daß die Verteidigung eingeschränkt, teilweise ganz ausgeschlossen wird (u.a. bereits durch das Rechtsdogma von der Verteidigung als einem „Organ der Rechtspflege“, d.h. der Staatsräson, die es auch erforderlich machen kann, einem Vorurteil Rechtskraft zu verschaffen).

    Adornos Idee des Nichtidentischen, die Grundlage der Negativen Dialektik, steht in der prophetischen Tradition des Eintretens für den Armen und den Fremden. Diese Tradition wird übrigens unmittelbar aufgenommen und zitiert in der Analyse des autoritären Charakters, unter dem Titel „no pity for the poor“.

    Das Phänomen der aggresiven Sanftheit (Drewermann) wäre doch etwas genauer zu beschreiben: Grund ist das verdrängte, nicht aufgearbeitete Selbstmitleid.

    Die letzte moralische Barriere ist die Sprache; wenn die zerbricht, brechen alle Schranken; wie es scheint, ist es kein Zufall, daß die, die sich deutsch fühlen, des Deutschen in der Regel nicht mächtig sind (vgl. das in KuS zitierte antisemitische Flugblatt aus der Zeit des Vormärz).

    Gibt es eine Geschichte der Aufführungsform, der musikalischen Bearbeitung und Darbietung des Deutschland-Liedes. Kann es sein, daß die Form, in der es heute öffentlich dargeboten wird, die von den Nazis zusammen mit dem unsäglichen „Horst-Wessel-Lied“ für die öffentliche Darbietung eingerichtet wurde? Daß es sich sozusagen um die vom Horst-Wessel-Lied infizierte und vergiftete Version handelt?

    Läßt sich das historische Bekenntnis-Problem auch in der Musikgeschichte nachweisen (Entsinnlichung, Vergeistigung der Musik unter christlichem Einfluß, vgl. Kurt Blaukopf oder Wiora)?

    Die Übertragung der Schlüsselgewalt an Petrus (Mt 16,19, worauf übrigens die „strenge Weisung“ folgt: „niemand zu sagen, daß er der Messias sei“) begründet keinen Rechtstitel, sondern eine bis heute nicht wahrgenommene Pflicht.

    Wurden Marcion und die Gnosis nur deshalb so wütend abgewehrt, weil sie den Christen das Bild ihres verdrängten Selbstverständnisses vorhielten?

    Zum Problem des Islam: Gibt es im Islam die Idee eines moralischen Subjekts, des Gewissens? Hat der Islam das (aristotelische) Erbe der objektiven Vernunft angetreten und zugleich seine Widersprüche rein herausgearbeitet? Ist der erfolgs-, nicht moral-orientierte Politik-Begriff des Islam systembedingt? Ist der Islam im genauesten Sinne die Weltreligion?

    Zur Dornen und Distel-Tradition: Sündenfall, brennender Dornbusch, Jotam-Fabel, Gleichnis vom Weizen unter Dornen (Unkraut), Dornenkrone.

    – Der brennende Dornbusch: die brennende Innenerfahrung der Profangeschichte (Auschwitz); die genaue Beschreibung der Grundlage der Gotteserfahrung;

    – Dornenkrone: dieser König der Juden ist der König eines Reichs, das unter der und gegen die profangeschichtliche Herrschaft der Welt heranwächst;

    – Dornen und Disteln als Inbegriff der Welt (des katastrophischen Aspekts der Geschichte).

    Das „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ als der Anfang der utopischen Kraft des Heiligen Geistes, des parakletischen Denkens.

    Hat Kant das Geheimnis der Trinitätslehre durch seine Entdeckung der Form der äußeren Anschauung prinzipiell bereits gelöst? Und hat dazu Einstein die notwendige Ergänzung und Korrektur geliefert? Ist die spezielle Relativitätstheorie eine Teilaspekt der objektiven Bedeutung des brennenden Dornbuschs?

    Der vielleicht entscheidende Satz zu Auschwitz stammt von Thomas von Aquin: „Parvus error in principio magnus est in fine“ (De ente et essentia).

    Der Haß auf das Alte Testament ist begründet im (projektiven) Herrenneid. (Grundlage ist – gegen den Sinn des Textes – ein autoritärer Gottesbegriff: Gott als der Herr der Geschichte, der man selber sein möchte). Das AT verträgt sich nicht mit einem kolonialistischen Geschichtsverständnis (wie klug sind wir doch heute, und wie dumm waren die vergangenen Geschlechter).

    Die Geschichte der Auseinandersetzung der Orthodoxie mit den Häresien ist Teil der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Naherwartung der Parusie. Die Orthodoxie stand seit je unter dem Zwang, überlebensfähig zu bleiben in der Welt; sie stand damit immer in der Gefahr der Verweltlichung, der Identifikation mit dem Aggressor. Das Unkraut dessen Vernichtung Jesus dem Jüngsten Gericht vorbehalten hat, sind die Dornen und Disteln aus der Geschichte der Sündenfalls (es sind diese Dornen, unter die nach dem Gleichnis die Weizenkörner gefallen sind, die dann ersticken).

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