Tiere

  • 13.11.93

    Wie kann eine Rechsthistorikerin wie Marie Theres Fögen die vor allem rechtsbegründende Funktion der Diskriminierung divinatorischer Praktiken übersehen: Hat das Verbot der exkulpatorischen Institutionen wie Magie, Astrologie, Augurenwesen u.ä. nicht in erster Linie die Funktion, die, wie dann auch immer eingeschränkte, Rechtsfähigkeit des Subjekts, die Zurechenbarkeit seiner Taten sicherzustellen: die Menschen zu Objekten des Rechts, das Subjekt zur Person zu machen? Die Kritik des fatum und die Begründung der Willensfreiheit dienen dem gleichen Ziel.
    Durch den Caesarismus ist das Recht zu einer innerweltlichen Institution geworden; diesen Schritt hat der Islam nicht mit vollzogen: für ihn blieb das Recht ein göttlich gesetztes Recht; deshalb blieb er dem Schicksal, das er mit dem Willen Gottes verwechselte, verhaftet. Aber auch im Christentum ist die prophetische Herrschaftskritik nie wirklich rezipiert, sind die Herrenfurcht und die Gottesfurcht nie deutlich geschieden worden.
    Hat die Natur (und die für ihren Begriff konstitutive Leugnung der Auferstehung) etwas mit dem apokalyptischen Tier aus dem Wasser (Off 131; vgl. hierzu auch das „Alles ist Wasser“ des Thales) und die Welt (und mit ihr die Leugnung der Schöpfung: der Caesarismus) mit dem Tier aus der Erde (1311) zu tun? Die Zahl dieses Tieres, zu deren Berechnung es Weisheit und Verstand bedarf, ist die „Zahl eines Menschen“ (1318).
    Ist nicht die Welt eigentlich die Welt des Tieres (das Korrelat der Gattung)? Wenn ich einen Hund als Hund erkenne, dann nicht aufgrund äußerer Merkmale (ein Bernhardiner gleicht eher einem Kalb als einem Zwergpinscher), sondern allein an seiner Welt, die ich an seinem Verhalten erkenne: an seinem Charakter oder an der Form, in der er sich auf seine Welt bezieht, sie repräsentiert (an dem „Antlitz des Hundes“).
    Die Bemerkungen Cohens zum biblischen Wahrheitsbegriff (Religion der Vernunft, S. 477, die sich u.a. auf den Zusammenhang von emunah und amen beziehen) werfen auch ein neues Licht auf die großartige Stelle in 2 Kor 119, dessen Intention Johann Baptist Metz (Zur Theologie der Welt, Mainz 1968, S. 18, vgl. auch 51 und 61) leider völlig mißversteht, wenn er (zur Begründung seines nicht unproblematischen Säkularisations-Konzepts) das Ja und Amen auf die Welt (wie sie ist) anstatt, wie es eindeutig aus dem Text des Paulus-Briefs hervorgeht, auf die göttlichen Verheißungen bezieht. Die wirkliche Konsequenz aus dieser Stelle wäre, die Kritik des Weltbegriffs in die Begründung der Theologie (auch der politischen, der herrschaftskritischen Theologie) mit hereinzunehmen: endlich von der Theologie hinter dem Rücken Gottes Abschied zu nehmen.

  • 11.11.93

    physis und natura: die beiden Begriffe beziehen sich auf den gleichen Sachverhalt, sie unterscheiden sich aber wie Zeugen und Geborenwerden, wie der aktive und der passive (der männliche und der weibliche) Aspekt der Sache.
    Die Idee des Absoluten ist das Produkt der Neutralisierung Gottes, seiner Verweltlichung. Die Ambivalenz des Konzepts der Säkularisierung aller theologischen Gehalte ist darin begründet. Ist nicht die Säkularisierung die Enthebung des Denkens vom Denken, seiner Veranderung (weshalb Habermas vor der Kritik des Naturbegriffs kapituliert, die Natur, wie sie ist, akzeptiert)?
    Die Enteignung der Wahrsager und die Herstellung des kaiserlichen Wissensmonopols in der Spätantike (Marie Theres Fögen) hängt mit der Beziehung der Institution des Caesars zur Idee des Absoluten (der Kaiser ist der Schöpfer der Welt: Ursprung der Reichsidee) zusammen.
    Durch die „Enteignung der Wahrsager“ wurde der Weg freigemacht für den historischen Objektivationsprozeß. Der Cäsar steht unter dem Gesetz und dem Zwang des Absoluten, und genau hier liegt die verhängnisvolle Verwechslung Hegels, wenn er die Folgen, die dem Caesarismus zuzuschreiben sind, auf das Christentum projiziert. Bezieht sich nicht der Kelch von Getsemane auf den Caesarismus und seine Folgen?
    Ist nicht der Märtyrer- und Reliquienkult (im Kontext der Instrumentalisierung des Kreuzestodes) ein logisches Appendix des Caesarismus?
    Was und wer waren die Auguren, und was bedeutet es, wenn Cicero ein Augur war? Hängt die Selbstbenennung des Okatavian als Augustus mit dieser Konstellation zusammen? Haben Augustus und die Auguren eine gemeinsame sprachliche Wurzel, und wie ist dann der grammatisch-logische Zusammenhang? Hat Augustus sich durch seinen Namen zum aktiven Subjekt des passiven Augurentums gemacht, das Augurenwesen durch die Institution des Caesar Augustus säkularisiert (Zusammenhang mit dem Ursprung des Weltbegriffs und der logischen Stellung des Caesaren zum Weltbegriff; gründet darin die Zuwendung des Cicero zur Philosophie)? Ist die Geschichte des Mönchswesens in der Spätantike der Schatten des Caesarismus?
    Zu Marie Theres Fögen: Wodurch Jesus sich von den übrigen Magiern und Wundertätern unterscheidet, ist seine Beziehung zur Prophetie.
    Auffällig an den jüngsten Manifestationen der Gewalt in der Gesellschaft ist, daß und in welcher Weise Kopf und Gesicht zu Objekten der Gewalt (schon bei Kindern) werden; in den dreißiger Jahren waren es (auf den Schulhöfen) die Genitalien, an denen die Gewalt sich erprobte. Liegen die Angriffe auf den Kopf nicht in der logischen Konsequenz der Friedhofschändungen, und kehrt auf diesem Wege nicht Auschwitz an den Tatort zurück? Was haben die Großeltern dieser jugendlichen Delinquenten in der Nazizeit gemacht?
    Assur und Babylon, Ninive und Babel: Ist nicht Assur der Typos der reinen Militärmacht, Babel hingegen der der Tempelwirtschaft: die früheste Gestalt der Marktwirtschaft? – Assur hat Jerusalem nicht einnehmen und zerstören können, wohl aber Babel. Vgl. hierzu die Gestalt des Jeremias.
    Ist die Grenze der Anwendung des Weltbegriffs, die Tatsache, daß er auf Tiere, nicht jedoch auf Pflanzen sich anwenden läßt, darin begründet, daß das dem Weltbegriff logische zugehörige Subjekt der Selbstbewegung fähig sein muß? Deshalb gibt es eine kopernikanische („heliozentrische“) Welt. Ist nicht der Weltbegriff ein Tierbegriff, und beginnt das Humanum nicht erst mit der Übernahme der Sünde der Welt? – Liegt hier ein Hinweis auf die Lösung des Problems der Tiere (des „Behemot“, aber auch des Leviatan, des Rahab, der Tiere vom Wasser und vom Lande, der Tiere mit Köpfen, Kronen und Hörnern, der Zahl 666) im Kontext der Weltuntergangsvisionen in der Apokalypse?
    Sind der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis Repräsentanten von Barmherzigkeit und Gericht? Durch die Erkenntnis des Guten und Bösen gewinnen die Menschen Anteil an der richtenden Gewalt. – Hat der Baum des Lebens dann etwas mit der Gebärmutter zu tun (und mit den messianischen Aspekten des Weiblichen: mit der Feindschaft zwischen dem Weibe und der Schlange und mit den Schmerzen des Gebärens nach dem Sündenfall)?
    Haben die Blinden und die Tauben (Mt 115, Lk 722) etwas mit den Juden und Christen zu tun: Sind die Christen taub (und deshalb paranoid, seit sie das Hören durch den Gehorsam ersetzt haben) und die Juden blind? Vgl. die einzige Stelle, an der Jesus einen Taubstummen heilt (Mk 730, auch 925).
    Wäre es nicht ein legitimes Ziel des jüdisch-christlichen Dialogs, die Christen von ihrer Taubheit und die Juden von ihrer Blindheit zu befreien?
    Jes 4218ff: Ihr Tauben, höret, und ihr Blinden, schauet her und sehet! Wer ist blind, wenn nicht mein Knecht, und taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist blind wie der Gottgeweihte und taub wie der Knecht des Herrn? Viel hast du gesehen, doch nicht beachtet, hast mit geöffneten Ohren nicht gehört.
    Gibt es einen Zusammenhang mit Ochs und Esel:
    – Jes 13: Der Ochse kennt seinen Meister, der Esel die Krippe seines Herrn;
    – Deut 154: Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden;
    – der gordische Knoten, den Alexander durchschlagen hat, war der Knoten, der das Joch des Ochsens mit der Deichsel des Ochsenkarrens verband; aber
    – der Messias reitet auf einem Esel in Jerusalem ein, Sach 99.
    Ist der Ochse (die Philosophie) taub und der Esel (die Prophetie) blind? Die Philosophie ist seit ihrem Ursprung taub (das begründet die Stellung und Funktion der Formen der Anschauung in der transzendentalen Logik Kants), und zwar taub durch den Begriff, der das Hören (das dann die Kirche in den Gehorsam verfälscht hat) sabotiert. Ist nicht der Begriff (und die indogermanische Sprache) taub und der Name (die semitische Sprache) blind (wie die Klugheit der Schlangen und die Arglosigkeit der Tauben)?
    Erweist es sich nicht heute, daß die Taubheit (die Verwechslung von Hören und Gehorsam) schlimmer ist als die Blindheit? Ist nicht die Trinitätslehre, das Produkt des Versuchs, eine Theologie ohne Umkehr zu etablieren, zum Symbol der Taubheit geworden (sie macht die Theologie taubstumm: zur Theologie hinter dem Rücken Gottes)?
    Und er ging hinaus und weinte bitterlich: Öffnet nicht erst das Weinen die Ohren (während das Lachen sie verschließt)?
    Zur Blindheit vergleiche die Gestalt des Tobit (und das Buch Tobias, in dem Tobit wieder sehend, aber Ninive am Ende doch zerstört wird).
    Jesus hat die Blinden und den Taubstummen durch eine Mischung aus Speichel und Erde geheilt?

  • 01.11.93

    Sind Brot und Wein Symbole für Nomen und Verb (sind Wein – und die Trunkenheit -, sowie Wasser und Blut gemeinsame Symbole des Verbs; und ist das Nomen nicht das abgestorbene – gemordete -und wieder auferstandene Verb)?
    Die Nomina werden bestimmt durch Kasus (die „Fälle“), Geschlecht und Numerus, die Verben durch Modus, Tempus und Person.
    Hermann Cohen (Religion der Vernunft, S. 89, vgl. auch S. 120) weist zu 4 Mos 208: „… und redete vor ihren Augen mit dem Felsen, daß er sein Wasser spendete“, darauf hin, daß Moses nach rabbinischer Tradition sich verfehlte („Gott als Geist verleugnete“), weil er auf den Felsen geschlagen hat, anstatt ihm durch das Wort das Wasser zu entlocken.
    Adam, die Schlange und der Staub: Begriff und Vorstellung der Materie repräsentieren die zurückgestaute Kraft des Namens (und den Grund der Trunkenheit). Sie gründen in der selbstreferenziellen Struktur des Systems und konstituieren das projektive Moment in jeder begrifflichen Erkenntnis (keine Projektion ohne Mordlust).
    Der Grund repräsentiert die benennende Kraft in der Erkenntnis: So hängt er mit dem Begriff der Materie, der ihn zugleich neutralisiert, zusammen.
    Die Orthogonalität begründet die Negativität (das mathematische Element: die Ununterscheidbarkeit von Positivem und Negativem, von Richtung und Gegenrichtung) im Begriff der Dimension.
    Beziehen sich die „Attribute des Seins“ (Cohen, S. 109): die Einheit, die Allmacht und die Allwissenheit, nicht auf die transzendentalen Totalitätsbegriffe: Welt, Natur und Wissen?
    Das Opfer: eine Vorform des Tauschprinzips?
    Ist der Löwe der Typos der Geldwirtschaft (und das Lamm Typos des Schuldenopfers)?
    War das Opfer der Söhne und Töchter, die „durchs Feuer geschickt“ wurden, ein Opfer an den Drachen, und hängt es zusammen mit dem Staub, zu dem Adam wird und den die Schlange frißt?
    Ist der Adressat des Erstgeburtsopfers (siehe die Exodusgeschichte) nicht der gleiche Dämon, dem der Ursprung des Staates und der Philosophie sich verdankt?
    Die Ambivalenz des Lachens rührt her von seiner Beziehung zum Schmerz. Ist nicht heute alles Lachen projektives Lachen (der verdrängte, nicht der aufgehobene Schmerz): Schadenfreude (nach dem deutschen Sprichwort die „beste Freude“) ist das Gegenteil der Freude, ein Instrument der Selbsterhaltung der Ichschwäche. Setzt sich, wer sich das Lachen der Verzweiflung verbietet, nicht dem Irrsinn aus?
    Das wirkliche Objekt des Darwinismus ist nicht die Naturgeschichte, sondern die Wirtschafts- und Geistesgeschichte.
    Die Anwendung des Schiller-/Hegelschen Satzes „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ auf den Darwinismus führt zu dem Resultat, daß alle Tiere verurteilt sind und nur als Verurteilte (als Gattung) überleben.
    Hat das Joch des Jeremias etwas mit dem Gordischen Knoten (und mit Alexander) zu tun?
    Ist die Beziehung des ersten Teils des Stern der Erlösung zum Mythos in der Funktion des Naturbegriffs, seiner Bedeutung für die Konstruktion des Ganzen, begründet? Und ist deshalb der „Übergang“ zur Offenbarung nur mit Hilfe des Erkenntnisgebrauchs der Umkehr, die allein das projektive Moment im Anfang tilgen kann, möglich?
    Der Naturbegriff ist das Produkt der verweigerten Umkehr. Deshalb bezeichnet er aufs genaueste die „Pforten der Hölle“.

  • 28.09.93

    Zum Ursprung des Nominalismus: Mit der Lehre vom liberum arbitrium, der die Raumvorstellung und mit ihr die drei Freiheitsgrade des Raumes als Bild der Wahlfreiheit zugrunde liegen, war die Neutralisierung der Welt (unterm Titel der „Entsühnung der Welt“) besiegelt: wurde die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt (und der Kreuzestod Jesu durch die Opfertheologie instrumentalisiert).
    Der Naturbegriff bezeichnet die die Erkenntnis zurückstauende Gewalt (Zusammenhang mit der Geschichte des Gewaltmonopols des Staates), der Begriff der Materie die zurückgestaute Erkenntnis selber (die zurückgestaute Kraft des Namens) und der Name der Barbaren den gesellschaftlichen Reflex, das gesellschaftliche Korrelat dieses Zusammenhangs. Natur, Materie und Barbaren: das Jenseits der Zivilisationsschwelle.
    Wenn die Materie die zurückgestaute Kraft des Namens (die mit der Begriffsbildung verdrängte benennende Kraft der Sprache) in sich birgt, hat sie dann nicht auch etwas mit dem kabod, mit der Herrlichkeit Gottes zu tun?
    Das Verhältnis von Natur und Dogma läßt sich am Prozeß der naturwissenschaftlichen Erkenntnis demonstrieren: Hier ist die Dogmatisierung der Erkenntnis ein Produkt ihrer Mathematisierung (der Grundlage ihrer Geltung: jede einmal „gewonnene“ Erkenntnis ist ist in dem Augenblick, in dem sie gewonnen wird, eine vergangene Erkenntnis, und somit frei verfügbar). Es gibt kein Dogma ohne mathematisches Sinnesimplikat: Es ist eines und das Gleiche für alle (es neutralisiert die Differenz zwischen mir und den anderen), und es erhebt den Anspruch der Orthodoxie.
    Ist die Schrift nicht deshalb und nur dann ein durchsichtiger Körper, weil sie, anstatt der indogermanischen Herrensprache sich zu überantworten, ihr ihr sprachmythisches Spiegelbild entgegenhält. Ist nicht die Schlange das sprachmythische Bild der homogenen Zeit und des Ursprungs des Neutrums zugleich (das Bild des Staates)?
    Was bedeutet der Name Joseph („er (Gott) fügt hinzu“) und worauf bezieht sich das Wort von dem Pharao, der „Joseph nicht mehr kannte“?
    Hängen nicht die Kasus mit den Himmelsrichtungen (den Richtungen des Raumes) zusammen:
    – Nominativ = Osten (im Angesicht),
    – Genitiv und Dativ = Nord und Süd (Gericht und Barmherzigkeit) und
    – Akkusativ = Westen (hinter dem Rücken)?
    Welchen Ursprung haben der Vokativ (semitisch?) und der Ablativ (lateinisch?, und wie hängt der Ablativ mit dem Instrumentalis zusammen?); wann und aus welchem Grunde wurden sie überflüssig und sind sie wieder verschwunden? War der Vokativ eine Vorstufe des Nominativ und der Ablativ eine Reflexionsform des Dativ (Indiz der Instrumentalisierung)?
    Kritik des Materialismus: Nicht auf die Identifikation mit dem Opfer (und auf den Genuß der Privilegien des Opfers), sondern auf die Befreiung der helfenden Kraft: auf parakletisches Denken kommt es an.
    Hat nicht Steffen Heitmann genau die drei Gestalten des Opfers benannt: die Fremden (die „Ausländer“), die Frauen und die Juden („Auschwitz“)? Seine Inspiration stammt aus der Bekenntnislogik (des Theologen Heitmann), die seit je das Opfer instrumentalisiert. So war das Bekenntnis seit je ein politisches Instrument: die zum bloßen „Umdenken“ instrumentalisierte Umkehr, in dem der Ruf des Täufers: Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe, ins Leere verhallte.
    Heitmann: Was in der DDR nicht geleistet werden durfte: die konkrete Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, soll jetzt endlich durch Verjährung aus der Welt geschafft werden (die ganze ehemalige DDR soll teilhaben an der Gnade der späten Geburt).
    Ist das Chronologie-Problem, mit seinen geologischen, entwicklungstheoretischen und historischen Konnotationen, nicht in der Tat die Verdrängung und Verwischung des mit dem Wort vom Lösen bezeichneten Problems? Und ist dies nicht die letzte Bindung Isaaks (die letzte Konvergenz von Lachen und Schrecken)?
    Ist nicht jedes Bekenntnis ein Schuldbekenntnis, und das Glaubensbekenntnis nur ein auf den Kopf gestelltes (an die Natur delegiertes) Schuldbekenntnis, Produkt einer projektiven Logik? Führt nicht das Bekenntnis in den Rechtfertigungszwang (wie die „Entsühnung“ der Welt, die dann das subjektlose Bekenntnis als Bekenntnis der Natur nach sich zieht, nur als ideologische Verdoppelung ihrer Neutralisierung sich begreifen läßt)? Ist nicht die Geschichte des Bekenntnisses (die Entfaltung ihrer Logik) die Geschichte der drei Leugnungen, und das Bekenntnis selber der Vorhang vorm Allerheiligsten, der beim Tod Jesu am Kreuze, zusammen mit der Verfinsterung der Sonne, dem Beben der Erde und der Auferweckung der Toten, zerriß: der Vorhang vorm Angesicht Gottes? Aber löst sich nicht der Bann des Bekenntnisses nur zusammen mit dem des Naturbegriffs?
    Der innere Widerspruch des Feminismus, auch der Ökologie- und der Friedensbewegung, liegt darin, daß sie einerseits die Opferrolle endlich abwerfen, auf der anderen Seite aber deren Privilegien weiterhin genießen möchten.
    Der banausische Witz zur Frage, ob man beim Beten rauchen dürfe, rührt insofern an ein Stück Wahrheit, als mit dem Rauchen das Beten endgültig verlernt wurde. Sind nicht die Gebete der Heiligen ein lieblicher Geruch für Gott, und ist nicht die Nase das Organ des göttlichen Zorns? – In die Nase wurde dem ersten Menschen der belebende Hauch des göttlichen Atems eingeblasen. Und gehört nicht zum Fluch über Adam der Nasenschweiß zur Arbeit unter den Bedingungen der Dornen und Disteln?
    Von der Taube abgesehen, waren nur gehörnte Tiere Opfertiere: Warum stellt man sich den Teufel mit Hörnern vor (während die Taube das Symbol des Heiligen Geistes ist)? Haben die Hörner etwas mit den Dornen und Disteln zu tun, und das Opfer mit der Sünde der Welt?
    Bei der Bindung Isaaks ist als Ersatz für die Opferung Isaaks der Widder eingetreten, der sich mit seinen Hörnern im Dornengestrüpp verfangen hatte. (Ist das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird, neben der Taube das andere nicht gehörnte Opfertier?)
    Im Sündenfall gewann die Vergangenheit Macht über die Zukunft, mit ihm ist der Tod in die Welt gekommen. Drückt sich das in den Dornen und Disteln aus, im „Schweiße des Angesichts“ und in der Beschwernis der Schwangerschaft?
    Eine Naturphilosophie, die daran arbeitet, daß der Bann, der auf der Natur liegt, endlich sich löst, wäre Teil einer apokalyptischen Erkenntnistheorie. Müßte nicht eine Erkenntnis, die nach der Erkenntnis des Angesichts Gottes sich sehnt, prophetisch, apokalyptisch und messianisch in eins sein? Gibt es eine Beziehung des Prophetischen, Apokalyptischen und Messianischen zu den drei Totalitätsbegriffen Welt, Natur und Wissen?
    Hängt das Personalpronomen der 1. Pers. pl. im Deutschen, das Wir, mit dem „virum“, dem Mann, zusammen (als Selbstbegriff der kollektiven Männlichkeit: der „wereld“)? Wie sieht das im Hebräischen aus, und wie in den klassischen alten Sprachen? Vgl. auch die anderen Personalpronomen (Ich – Nichts, ego – nego; ist das Ich nicht zugleich der säkularisierte Gottesname: Ich – JH; steckt im Gottesnamen Jahu das hu = er; das Ich ist die Verneinung des Andern, das im Weltbegriff zur Totalität sich aufspreizt, – gibt es auch eine sprachliche Beziehung des Ich zum Licht?).
    Die Geschichte Israels beginnt mit Jakobs Kampf mit dem Dämon (an diesen Kampf ist der Ursprung des Namens gebunden), sie endet in der Austreibung der Dämonen, während die Philosophie in der Verinnerlichung des Dämons gründet, die mit der Verinnerlichung des Opfers und mit der Hybris zusammenfällt (Begriff der Besessenheit).
    Gibt es im Hebräischen Possessivpronomen, oder beginnt die Unterscheidung von Mein und Dein erst in den indogermanischen Sprachen?
    Sind nicht die Geschichten von der Sintflut und vom Turmbau zu Babel die Lösung der Geschichte vom Ursprung der Philosophie (vom „alles ist Wasser“ des Thales bis zur noesis noeseos des Aristoteles).
    Haben die Jahreszahlen bei den Urvätern etwas mit den Umlaufzeiten der Planeten zu tun (Henoch wurde 365 Jahre alt)? Und gibt es nicht drei Genealogien: Kain, Set (jeweils bis Lamech) und Noach (bis Abraham), hier mit der Spiegelung in den Söhnen des Noach: Sem, Ham (Kain) und Japhet (Set)?

  • 15.09.93

    Hängt nicht der Plural medicinalis, das joviale „Na, wie geht es uns denn heute morgen?“, mit der Logik des Falles zusammen, in der er das kollektive Moment im Begriff des Allgemeinen präzise bezeichnet (Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist)? Im medizinischen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff des Falles die Enteignung der erkrankten Teile des Körpers, ihre Überführung in die Verfügungsgewalt des Arztes (im Bereich des Strafrechts entspricht der Krankheit das Verbrechen, der Medizin das Recht, dem Krankenhaus die Gefängnisse, und dem Arzt entsprechen die Organe der Rechtspflege; die Anwendung auf die Naturwissenschaften dürfte nicht schwer sein). Hieran läßt sich die Logik des Schuldbegriffs studieren, die auch die grammatischen Formen der Deklination (die casus) beherrschen. Der Schuldbegriff bezeichnet einen Sachverhalt im Geltungsbereich des Eigentumsbegriffs, der Begriff der Sünde hingegen eine Verletzung des göttlichen Worts: das Urteil.
    Macht, die selber im Gewaltmonopol des Staates gründet, ist gesetzlich geregelte Gewalt. Dieser Widerspruch im Begriff der Macht spiegelt sich im Widerspruch des Begriffs des Rechts, daß nämlich das Recht die Gewalt, in der es gründet, nicht mehr selbst zu regeln vermag; er bezeichnet aufs genaueste die Grenze des Rechts, die u.a. mit dem in der Logik des Rechts, nicht in der Unfähigkeit des Gesetzgebers begründeten Satz sich bestimmen läßt, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Gewalt, Recht und Eigentum: Das Recht, das das Eigentum begründet, gründet selber im Gewaltmonopol des Staates. Auch der liberale Eigentumsbegriff hat seine Wurzeln im Feudalismus: Unter den Bedingungen des Rechts ist jedes Eigentum ein Lehen des Staates; auch das Privateigentum ist ein staatlich (nicht gesellschaftlich: hier irrt Rousseau) vermitteltes Eigentum (nichts Vergangenes ist nur vergangen).
    Opfer des Scheins: Ist die Marxsche resurrectio naturae nicht das Gegenstück zum Hegelschen Weltgericht, und kranken nicht beide an einem gemeinsamen Fehler? Die Welt ist nicht Subjekt, sondern Objekt des Jüngsten Gerichts, und die Natur ist nicht das Objekt, für das wir die Hoffnung auf Auferstehung hegen, sondern im Objekt der Widerstand gegen diese Hoffnung (Problematik des Adornoschen Programms des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ und des Freudschen Konzepts „Wo Es ist, soll Ich werden“; gehört der parvus error im Übergang von der Speziellen zur Allgemeinen Relativitätstheorie nicht auch hierher?).
    Die resurrectio naturae ist ein Reflexionsbegriff der säkularisierten Christologie Hegels.
    Die Nachkriegszeit ist einmal die Zeit der Stellvertreterkriege genannt worden, vor allem im Hinblick auf Vietnam. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem „Sieg der freien Marktwirtschaft über den Sozialismus“, haben diese Stellvertreterkriege ihre raison d’etre verloren. Aber wird hier nicht ähnlich, wie bei der Armut, die, nachdem die spekulative Verschuldung der Dritten Welt an die Rationalitätsgrenzen des Bankgeschäfts stößt, über die „Revision des Sozialstaats“ in die Erste Welt reimportiert wird, auch das Problem, dessen Ausdruck (nicht Lösung) der Sozialismus war, reimportiert? Ist nicht die Jugoslawienkrise ein reimportierter Stellvertreterkrieg (dessen Fronten genau zu studieren sind: Weltanschauungskriege sind faschistische Kriege und – seit 1941 – Vernichtungskriege)?
    Zur Geschichte der Dogmenentwicklung: Der Weltbegriff war die offene Grenze, durch die die Philosophie in die Theologie eingedrungen ist, um sogleich alle strategisch wichtigen Punkte zu besetzen (Frage: Wer ist die Magd des Hohepriesters, und wer sind die Umstehenden?).
    Ist nicht das Jonas-Problem in diesem Punkt doch ernster, als es bei Jürgen Ebach erscheint: Gehört die Reaktion des Jonas nach der Verschonung Ninives durch Gott nicht zur Logik des Auftrags an ihn: Hätte er die Verschonung als Folge seines Spruchs vorausgesehen, so wäre er kein Prophet geworden, sondern Philosoph, und hätte den Spruch nicht getan: „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“. Prophetie ist nicht instrumentalisierbar, als instrumentalisierte (als Mittel zum Zweck, als Höllenpredigt: mit der Absicht, dem Hörer einen gehörigen Schrecken einzujagen, vielleicht merkt er’s) würde sie sich selbst (und „ihre Wirkung“) zerstören. Die „Wirkung“ der Prophetie ist kein Gegenstand der Intention („Überzeugen ist unfruchtbar“).
    Die Buße Ninives schließt mit ein, daß auch der König von seinem Thron steigt und Tiere (die Rinder und Schafe: die Opfertiere Israels?) an der Buße teilnehmen.
    Wird das Gleichnis von den Talenten nicht doch zu früh beendet; kann es nicht sein, daß das im Acker vergrabene Talent Kräfte aus dem Acker zieht, die die der Geschäfte der anderen übertreffen?
    Zur Geschichte des Verräters (Judas Iskariot): Kann es nicht sein, daß am Ende auch das Blutackers zum Himmel schreit?
    Wo liegt der Unterschied zwischen ha’adama und ha’arez? Die Erde wurde im Anfang erschaffen und bringt die Pflanzen und (nach der Bildung von Sonne, Mond und Sternen) die Tiere hervor; der Acker ist es, aus dem Adam erschaffen und nach dem er (wie die die Wasser trennende Feste nach dem im Anfang erschaffenen Himmel) benannt wurde: Ist er nicht auch die dem Menschen zur Bearbeitung und Bewahrung übergebene Erde?
    Hat der Unterschied zwischen arez und erez (Erde und Land) etwas mit dem zwischen „Himmel und Erde“ und „Welt“ zu tun: Ist das Land (erez) nicht die auf den Staat bezogen, durch ihn vermittelte Erde (arez): die Erde als Eigentum?
    Die griechische Philosophie hat sich in ihrer lateinischen Rezeption vollständig verändert: Gibt es nicht erst im Lateinischen das Futur II, den Gebrauch der Hilfsverben bei den Perfektbildungen, und liegt hier nicht der Grund der Differenz zwischen der griechischen und der lateinischen Sprachlogik (vgl. auch die Übersetzungen kosmos/mundus, physis/natura)? Sind diese Veränderungen nicht beim Tertullian ablesbar (vor allem am Personbegriff)?
    Wieso gibt es in dieser gottverlassenen Welt keinen von Verlassenheitsängsten geplagten Theologen (statt dessen eher eine Erleichterung darüber, daß es zur Gottesfurcht keinen Anlaß mehr zu geben scheint)? Es gibt zu viele theologische Texte, aus denen man zwar die Angst vor den Kollegen (die heute die vorm kirchlichen Lehramt endgültig abzulösen scheint) heraushört, nicht aber mehr die Gottesfurcht.

  • 12.09.93

    Ursprung der Nerven: Im Kontext der Verinnerlichung des Opfers? Nerven bezeichnen die Stellen, an denen es schmerzt, Koinzidenzpunkte von Wahrnehmung und Schmerz (Lokalisierung der Empfindungen). Sind die Nerven nicht erst mit der Entdeckung der Elektrizität (der elektrischen Leitungen) endgültig materialisiert und objektiviert worden? Die Nerven sind ein Reflex und ein Produkt des historischen Objektivationsprozesses.
    Hat nicht das Inertialsystem die Welt in ein System von Logik und Empfindungen verwandelt, liegt hier nicht der Ursprung der Nerven? Sind die Nerven nicht der Inbegriff der Natur (des subjektlosen Subjekts) im Subjekt: Inbegriff des Verdrängten? Die Identifikation mit dem Aggressor, mit der Welt, generiert die Natur im Subjekt: ein Produkt der Geschichte der Veranderung.
    Ist nicht die Sünde der Welt die Sünde der (projektiven) Veranderung, die in der Philosophie an den Begriffen der Barbaren, der Natur und der Materie sich festmachen läßt.
    Projektion und Erkenntnis: Das Modell ihres Zusammenhangs ist der Film (der einen Projektor braucht und eine Projektionsfläche), das ihrer gesellschaftlichen Organisation und Beherrschung das Fernsehen (Kulturindustrie). Ist es eigentlich ein zufälliger Zusammenhang, daß, wenn die Eltern sich das Sehen durchs Fernsehen abnehmen lassen, die Kinder das Hören durchs Dröhnen dessen, was sie für Musik halten, verlernen?
    Liegt Schopenhauers Konzept der „Welt als Wille und Vorstellung“ nicht in der Nähe der christologischen „Sünde der Welt“?
    Ist die Simson-Geschichte nicht eine Kosmogonie mit abschließender Apokalypse?
    Merkwürdig die Astralmythen, zu denen neben der Simson-Geschichte u.a. auch die Gestalt des Henoch (der nach 365 Jahren zu Gott entrückt wurde) und die Esther-Geschichte gehört. Gehört auch die Debora (die „Biene“: die Richterin, die unter Mithilfe der Sterne den Sisera besiegt, auch die Amme Rebekkas und die Ahnfrau des Tobit und des Tobias) dazu?
    Tierkreis und Planetensystem: 12 = 3 * 4, 7 = 3 + 4. Wo taucht die Kombination 12/7 (Jahr/Woche) sonst noch auf? Bei der Brotvermehrung, beim Verhältnis der Apostel zu den Diakonen (der „Hebräer“ zu den „Hellenen“). Wie steht es mit den sieben unreinen Geistern, den sieben Siegeln der Apokalypse u.ä.?
    Den Tierkreis noch einmal genauer ansehen: Welche Zeichen (Waage, Widder, Löwe, Zwillinge, Fische, Jungfrau etc.) und in welcher Reihenfolge, welche Beziehung zu den „Sternbildern“ (z.B. Orion und Plejaden).
    Stehen die Sterne am Himmel und der Sand am Meer nur als Bilder einer nicht mehr zählbaren Menge in Wechselbeziehung? (Und gibt es eine Beziehung dieser Unzählbarkeit zum griechisch-deutschen „eu“?)
    Haben nicht die räumlichen Umkehrmetaphern (wie die Richtungsbeziehungen im Raum generell) etwas mit der Beziehung von Vergangenheit und Zukunft zu tun: im Angesicht und hinter dem Rücken, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Herrschaft und Knechtschaft (der Himmel und die Unterwelt)?
    Zur „erhöhten Schlange“: Im Fluch über die Schlange heißt es, sie solle „auf dem Bauche kriechen“ und „Staub fressen“. Die Schlange ist das Gegenteil zum aufrechten Gang. Und wird man nicht durch Staubfressen zur Schlange?
    Im Anfang erschuf Gott den Himmel und die Erde. Dann wird die Erde näher bestimmt (tohu wa bohu), während anschließend zwei Objekte genannt werden (der Abgrund, über ihm die Finsternis, und das Wasser, darüber der Geist), deren Ursprung offen bleibt.
    – Ist der Abgrund die unbestimmte, das Wasser die bestimmbare Vergangenheit?
    – Der Himmel, den Gott im Anfang erschuf, wird dann als Name (der Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt) genutzt, während
    – die Erde die Pflanzen und dann die Tiere (außer den Fischen und den Vögeln des Himmels, die von Gott geschaffen werden) hervorbringt.
    – Unmittelbar sprachlichen Wesens ist nur das Licht (Er sprach und es ward), während jeweils im Kontext einer Trennung Licht und Finsternis (als Tag und Nacht), die Feste (als Himmel) und dann das Trockene und die sich sammelnden Wasser (als Land und Meer) benannt werden.
    – Die Finsternis, die nach ihrer Scheidung vom Licht Nacht genannt wird, war vorher die Finsternis über dem Abgrund (und wird nicht dieser Abgrund in der vom Mond und den Sternen erhellten Nacht sichtbar?).
    Ist nicht der Abgrund das Grundlose, das in die Vorstellung der homogenen Zeit (und des Inertialsystems) hineinreicht, der Ausschluß der begründenden Kraft der Sprache und der Grund jeglicher Form von Gewalt? Sind nicht Zeit und Raum, die kantischen subjektiven Formen der Anschauung (und ihr orthogonales Beziehungssystem: der Turm und der Phallus), Grund und Generator der Subjektivität insgesamt, Quellpunkte der Begriffe Natur und Welt? Sind nicht beide, Natur und Welt, Emanationen des Abgrunds (die apokalyptischen Tiere aus dem Abgrund: das Tier aus dem Meer und das vom Land)?
    Der Turm (die Verwirrung der Sprache), die Hure (die Unzucht) und der Drache (die Trunkenheit der Herrschaft) sind die Symbole Babels.
    Müßten nicht die Theologen wieder zu Himmelsforschern werden? Wie verhalten sich das Himmelreich und das Gottesreich, die basileia tou ouranou und die basileia tou theou zueinander (vgl. hierzu den divergierenden Sprachgebrauch der Evangelien)? Ist das Himmelreich nicht Besonderheit des Matthäus und das Gottesreich ein Teil der Täufertheologie beim Johannes? Gibt es zum Himmelreich oder zum Gottesreich (abgesehen vom messianischen Reich, von der zukünftigen Welt, vom Tag JHWHs) Belege im AT? Es gibt wohl die Bilder
    – von der Gotteserkenntnis, die die Erde bedecken wird wie die Wasser den Meeresboden,
    – vom Frieden, der die Umwandlung der Waffen (der Schwerter) und den Tierfrieden mit einschließt,
    und vor allem die Negativbilder
    – von Nimrod und der großen Stadt,
    – vom Turm von Babel,
    – vom Sklavenhaus Ägypten,
    – von Amalek (dem ewigen Widersacher JHWHs, zu dem auch der Agagiter Haman gehört).
    Der Turm, das Herabsteigen Gottes und die Verwirrung der Sprache: Hat das etwas mit der Jakobsleiter, mit Jakobs Kampf mit dem Engel und mit dem Namen Israel zu tun?

  • 30.08.93

    Während die Reste anderer Architektur-Epochen fast restlos dem Krieg und dann dem „Wiederaufbau“ zum Opfer gefallen sind, wurden vorrangig die Fachwerk-Innenstädte (auch die, die es gar nicht gegeben hat) restauriert: Gehört nicht auch das zur Abschaffung der Vergangenheit, die die Nachkriegsgeschichte in Deutschland bestimmt?
    Was haben wir (außer der Theologie und der Kindheit) mit der Vergangenheit sonst noch abgeschafft?
    Zur Geschichte der Architektur und ihrer Beziehung zu Politik und Philosophie (ihrer Beziehung zur Weltgeschichte: zur Geschichte des Weltbegriffs) gehört die Geschichte der Ruinen.
    Musik und Prophetie: Versucht nicht die Musik die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen? (Der Ton macht die Musik. – Ende und Erfüllung der Musik: Heute, wenn ihr seine Stimme hört. – Musik und die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.)
    Haß und Schuld: Nur die Schuld verringert sich, wenn sie übernommen wird, während der Haß das einzige Material ist, das sich mit seiner Ausbeutung vermehrt. – Die Führer (und heute die Medien) sagen dem Volk, „was zu hassen sei“. Es gibt keinen spontanen Antisemitismus und keine spontane Ausländerfeindschaft.
    Das folgenlose Kabarett: Der Witz ist ein Instrument der Überlebensstrategie (als Instrument des Angriffs und der präventiven Verteidigung). Aber er ist kein Instrument der Veränderung, der Revolution. Käme es nicht darauf an, anstatt über die Verhältnisse nur zu lachen, endlich die Dämonen auszutreiben?
    Ursprung und Ziel: Trifft der Begriff der Umkehr (Rosenzweig) den Sachverhalt nicht insofern genauer, als sich in der Umkehr etwas bildet, was „vorher“ noch nicht war. Das Neue ist nicht die Wiederkehr des Verdrängten (auch nicht etwas durch Sublimierung Entstandenes), sondern der Ursprung selber (ein in der Lösung aus dem Bann der Vergangenheit erst Entspringendes).
    Rosenzweigs Todesangst und Hegels Logik: Sterblich ist das Eine, es gewinnt den Schein der Unsterblichkeit durch sein Anderssein (Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nennt Hegels Begriff der Aufhebung beim Namen).
    Im Französischen heißt Est Osten und Ouest Westen: Ist das Ouest aus „ou Est“ entstanden? Dann wäre der Osten das Sein, der Westen das Nichtsein, und der Anfang der Hegelschen Logik die philosophische Verarbeitung des Verhältnisses vom Im Angesicht zu Hinter dem Rücken.
    Ist der Westen aus dem Osten entstanden: seine Vergangenheit; ist er das Totenreich (oder die Grenze zum Totenreich, und das Totenreich selber unten)?
    Das Verhältnis des Menschen zur Welt (Ebach, S. 25) abstrahiert von der Beziehung des Ich zum Anderen, leugnet die Asymmetrie zwischen mir un den Anderen.
    Zur historischen Bibelkritik: Nach der Trennung der Quellen kommt erst das Wichtigste: die Komposition.
    Das Vergangene ist nicht nur vergangen: Die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der logischen Konsequenz des affirmativen Gebrauchs des Weltbegriffs hat der Natur christologische Züge verliehen.
    Erster Grundsatz des Herrendenkens: Man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen. So werden Sachzwänge zu Verwaltungszwängen.
    Sind nicht alle akademischen Berufe dadurch bestimmbar, daß sie dem Delegationsprinzip gehorchen:
    – die Rache wurde (als Recht) an die Justiz delegiert (Gericht und Gefängnis),
    – die Krankheit an die Medizin (Klinik),
    – der Tod (als Unsterblichkeitswunsch) an die Theologie (Kirche und Friedhof),
    – das Wissen an die Wissenschaft (Bibliothek und Museum),
    – die Erfahrung an Bildung und Erziehung (Schulen).
    Der Kern dieses Delegationssystems ist politisch: er liegt im Gewaltmonopol des Staates (Polizei und Militär), sein Symbol ist das einzige außerstaatliche Delegationsverfahren: die Delegation des Tötens der Tiere an den Metzger (der Schlachthof). Ist es ein Zufall, daß zwei „Naturtalente“ der deutschen Nachkriegspolitik Söhne von Metzgern waren (Franz-Josef Strauß und Joschka Fischer – und beide ihre Vornamen veränderten)?
    Es gibt eine Sprache der Gewalt, aber sie ist eine gegen den Namen gerichtete Sprache. Wenn Recht „im Namen des Volkes“ gesprochen wird und Gesetze „im Namen des Volkes“ erlassen werden, so dementiert in beiden Fällen der Begriff des Volkes den des Namens: es ist niemand gemeint und niemand angesprochen, aber alle sind in den Schicksals- und Schuldzusammenhang des Rechts und seiner Vollstreckung verstrickt. Verweist nicht die Sintflut- und Noe-Geschichte auf diesen Zusammenhang?
    Die Sprache der Gewalt ist namenlos: Ursprung und Abbild reiner Objektbeziehungen. Hier wird der Name zu Schall und Rauch.
    Wie hängt der Begriff der Gewalt mit dem der Welt zusammen?
    Wird das Werk des zweiten Schöpfungstages, das Firmament, das die oberen von den unteren Wassern trennt, nicht gegenständlich in der Astronomie, die zu den Konstituentien des Subjekts und (in der Alten wie in der Neuen Geschichte) zur Geschichte des Ursprungs des Staats (als Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört?
    Monster und teuflisch (zwei Zeitungsüberschriften zu Privatpersonen in den letzten Tagen): Sind Verteufelung und Personalisierung nicht zwei Seiten ein und derselben Sache? Greift das nicht immer weiter um sich, und ist das nicht ein Teil der schleichenden Faschisierung der Verhältnisse, gegen die es kein Mittel gibt außer der Entmythologisierung der Begriffe im Kontext ihres objektiven erkenntniskritischen und politischen Gebrauchs (Kritik der projektiven Charakters der Begriffe)?
    Ist eigentlich der Titel „Die Thora als Person“ zulässig? Darf der Logos des Johannes-Evangeliums „personal“ verstanden werden?
    Das Feuer vom Himmel holen: geht das nicht nur das Wasser hindurch, während die Nutzung des Wassers, die seit der Rezeption der Philosophie die Theologie beherrscht, das Feuer löscht? – Und er „wollte, es brennte schon“.

  • 25.08.93

    Steckt nicht in der Vorstellung einer „von der Sintflut gereinigten Erde“ (Zenger, S. 169?) das christliche Modell einer entsühnten Welt? Ist dieses Konzept nicht doch in einem verhängnisvollen Sinne opfertheologisch, dem dann der – die Menschen zu bloßen Zuschauern objektivierende und entlastende – „Geschehens“- (und Kosmos-) Begriff entspricht.
    S. 172, Anm. 20: Das Keel-Zitat, wonach die „Vorstellung vom himmlischen Plan für einen irdischen Tempel … warscheinlich aus Mesopotamien ins AT eingedrungen“ sei, stammt aus einer geisteswissenschaftlichen Tradition, nach der sich in der Geschichte Vorstellungsmassen von einem Ort zum andern bewegen, wie feindliche Truppen in eine fremde Stadt in einen Text „eindringen“, blendet das Erfahrungsmoment in solchen Vorstellungen aus und verdrängt es.
    Philosophie als Instrument der Sprachverwirrung: Gilt die Beziehung des Tempelbaus zur Schöpfung (S. 173) nicht generell für die Geschichte der Architektur (die damit eine Beziehung zur Geschichte der Philosophie gerückt wird, die in Heideggers „Haus des Seins“ nachklingt und auf die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel zurückweist).
    Zum Turmbau von Babel vgl. das Zitat aus dem Emuna-Mythos in der Anm. 26 auf S. 174.
    In welcher Beziehung stehen eigentlich Tempel und Schrift: Steckt nicht in der Geschichte von der Auffindung der Schrift im Tempel (durch Hilkija – 1 Kön 228) mehr als ein nur zufälliger Vorgang? Drückt in dem Auffinden nicht auch etwas von der Beziehung des Autors zum Text sich aus, etwas, was es unmöglich macht, vom Willen oder von der Absicht des Autors zu sprechen? Beschreibt nicht das Auffinden auch einen wesentlichen Aspekt der Produktion des biblischen Textes?
    S 174: „Nach dem Sieg im Götterkampf über die Götter Ägyptens tritt der Schöpfergott Jahwe definitiv seine Weltherrschaft an.“ Wird hier nicht Jahwe mit Zeus, mit dem Reflex des Ursprungs des Patriarchats am mythischen Götterhimmel, verwechselt?
    Ist die Idee von einem „Heiligtum der Weltherrschaft“ bezogen auf den Tempel nicht antisemitisch?
    Das Ganze ist das Unwahre: Die Pforten der Hölle (Mt 1618), die die Kirche nicht überwältigen werden, sind die Pforten des hades, des scheol: der Unterwelt, des Totenreichs, d.h. der Natur.
    Der ungeheure Satz in Num 1333: von dem Land (Kanaan vor der Landnahme), das seine Bewohner frißt („wir sahen dort auch die Riesen“). Sh. hierzu Zenger, S. 176f.
    Haben die Säugetiere (die, anders als die Fische und die Vögel, keine Eier mehr legen) nicht das Meer und den Himmel im eigenen Innern? Und stehen die Wehen nicht in Zusammenhang mit dem Aufruhr der Meere und der Winde?
    Hat nicht Tilman Moser schon in seiner „Gottesvergiftung“ das Selbstbewußtsein eines Skins beschrieben: die Aggresson, die die Vorstellung, angeblickt zu werden, auslöst? Gehört das nicht in den Kontext einer verzweifelt abgewehrten und zugleich festgehaltenen symbiotischen Beziehung, deren Modell das Gerücht über Hitlers Blick aufs deutlichste vor Augen stellt? Hier sitzt das Gefühl, nicht geliebt zu werden, so tief, daß alles, was an die Aufforderung selber zu lieben, erinnert, Aggressionen, Mordlust auslöst: Deshalb der Haß auf die Armen und die Fremden.
    Steckt nicht in jeder Abwehr der Psychoanalyse die Abwehr der Autonomieforderung, die von ihr ausgeht?
    Wer sich ungeliebt fühlt, kennt zur Macht keine Alternative. Deshalb reizt ihn jede Erscheinung von Ohnmacht zur Wut, weil sie ihn an seine eigene erinnert. Jeder andere Ohnmächtige ist ein Konkurrent seines eigenen Liebesverlangens. (Beschreibt dieser Mechanismus nicht aufs genaueste die historische Entfaltung der Raumvorstellung?)
    Ralph Giordanos Vergleich eines Statsanwalts mit einem Ochsenfrosch trifft genau das Aufgeblasene unserer Justiz. Krankt nicht der Rechtsstaat in Deutschland auch noch in ganz anderer Weise daran, daß ihm die eigene Aufarbeitung der Vergangenheit nicht gelungen ist: Er ist zutiefst pathologisch (empfindlich) geworden, und das im Kontext einer offensichtlich irreversiblen symbiotischen Beziehung zum Staat; er ist zum Verwalter der Staatsgewalt geworden. Daß unser Recht auf dem rechten Auge blind ist, ist kein Gesinnungs-, sondern ein fast nicht mehr zu behebender Systemfehler.
    Nicht die Fähigkeit zur Schuldreflexion, sondern die zur Schamreflexion, die durch den Begriff der Kollektivscham unterbunden worden ist, ist die Grundlage der Herrschaftskritik: der Weltkritik. (Ist nicht das Schicksal der Schamzusammenhang, und nicht der Schuldzusammenhang, des Lebendigen?)
    Krankt Erich Zengers „Gottes Bogen in den Wolken“ nicht daran, daß er an der Trennung der Quellen (J, E, P, Dtr) festhält, anstatt sich auf die Konstellationen einzulassen, die mit dieser Trennung erst sichtbar wird? Beeinträchtigt nicht z.B. die Ausscheidung der Sündenfall-Geschichte, die Verdrängung des Schammotivs, des Baums der Erkenntnis, der Schlange, des Fluchs über die Schlange, Adam und Eva (mit dem Staubmotiv, den Dornen und Disteln, den Wehen) das Verständnis der Sintflut-Geschichte (vgl. z.B. die deutliche Beziehung des Spruchs Noachs über seine Söhne zum Fluch über die Schlange, Adam und Eva)? Wie verhält sich z.B. das kreisende Flammenschwert des Kerubs vor dem Eingang des Paradieses zum Bogen in den Wolken? Welche Stellen scheidet Erich Zenger aus dem Priester-Text aus (z.B. den über den Wassern brütenden Geist Gottes), aus welchen Gründen und mit welchen Folgen?
    Was fehlt:
    – eine Geschichte der Banken,
    – eine Geschichte der Architektur,
    – eine Geschichte der Sprachen,
    – eine politische Geschichte der Liturgie.
    Hat der Satz, daß es zur Prophetie die Haltung des Zuschauers nicht gibt, sondern nur die Alternative: entweder man ist selbst Porphet, oder man ist Objekt der Prophetie (und am Ende wird beides eins), nicht auch die Tendenz, die prophetische Vision, das prophetische Wort endlich wahrzumachen: daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde bedeckt wie die Wasser den Meeresboden?
    Daß das Wort sich erfüllt, heißt das nicht auch, daß es endlich die Kraft des Namens (und das homologein sein Objekt) wiedergewinnt.
    Das in Jesus die Schrift sich erfüllt, ist ein prophetisches, kein historisches Wort. Als historisches wäre es ein blasphemisches Wort.
    Der Dekalog ist nicht harmlos: Das vierte Gebot ersetzt die Psychoanalyse, das achte Gebot die kritische Theorie.
    Mit der Philosophie müssen wir auch ihren Mangel begreifen, und hier liegt die ungeheure Bedeutung Heideggers: Er hat den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt (und damit kenntlich) gemacht.
    Wäre nicht die Trias Schöpfung, Offenbarung, Erlösung heute weiterzutreiben in die Trias Schöpfung, Prophetie, Apokalyptik? Das ändert die dynamischen Beziehungen in der Trias, stellt sie auf eine neue Basis. Im Hinblick auf den „Stern der Erlösung“ wäre das daran zu demonstrieren, daß im Falle einer christlichen Rezeption, die noch aussteht, ein affirmativer Gebrauch des Weltbegriffs nicht mehr möglich ist. Die Welt ist in jene apokalyptische Bewegung hereingerissen, die Rosenzweig um jeden Preis draußen vor halten möchte. Aber hier ist zugleich der Verdrängungspunkt der bisherigen christlichen Theologie. Im letzten Teil des Stern der Erlösung würden sich Judentum und Islam als vorapokalyptisch erweisen (und ein Christentum, das zwangshaft versucht, sich auch als vorapokalyptisch zu verstehen, hat damit zwangsläufig beide als „Erbfeinde“).
    Für das vorapokalyptische Christentum, das am affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs erkannt wird, ist die Schöpfungslehre Teil des Herrschaftszusammenhangs, die Offenbarung (als bloße Erkenntnisquelle) Teil des Verblendungszusammenhangs, und die Erlösung (als privater Exkulpationsmechanismus) das Siegel des Schuldzusammenhangs. Zu den Folgen dieses Zusammenhangs gehört es, daß das Subjekt (der Gläubige) in diesem System in einen Trägheits- und Objektstatus gebannt bleibt. Das vorapokalyptische Christentum steht unterm Bann des von ihm selbst hervorgerufenen Inertialsystems.
    Hat das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte (und er wollte, es brennte schon), etwas mit dem kreisenden Flammenschwert des Kerubs vor dem Eingang des Paradieses zu tun?

  • 24.08.93

    Zu Erich Zenger, Gottes Bogen in den Wolken: Paßt nicht der Kriegsbogen zum kreisenden Flammenschwert?
    Ein prophetischer Begriff der Erkenntnis kann die Trennung von Natur und Welt nicht akzeptieren, er schließt die Kritik der Geschichte im Sinne einer praeparatio resurrectionis mit ein. Gründet nicht die Trennung von Prophetie und Schöpfungsgeschichte in der durch die Philosophie (und den Staat) vermittelten Trennung von Welt und Natur? Diese Trennung von Welt und Natur oder die Herrschaft des Begriffs und des Rechts ist nur zu kritisieren im Kontext einer Theorie des Namens, des Angesichts und des Feuers. Nicht nur die Prophetie, auch die Schöpfungslehre hat einen Aktualitätskern, der nur durch die Kritik der Trennung von Welt und Geschichte und der zugrundeliegenden Trennung von Natur und Welt wiederzugewinnen ist (Geschichte konstituiert sich durch den Naturbegriff: durch die Leugnung der Auferstehung hindurch); und das Medium dieser Wiedergewinnung ist Erinnerungsarbeit.
    In der Geschichte der drei Leugnungen ist die Magd des Hohepriesters (bei Johannes 1815ff u. 25ff) zugleich die Türhüterin, an der Petrus nur mit Hilfe des „anderen Jüngers“, der „mit dem Hohepriester bekannt war“ vorbei in den Hof hereingekommen ist. Bei Johannes fehlt der Satz von der Selbstverfluchung des Petrus und dem bitterlichen Weinen.
    Zenger, S. 109: Die Flutgeschichte erzählt gerade nicht, „daß und wie der Schöpfergott diesen „Gewaltbazillus“, der die Erde vergiftet hat, durch die Flut aus der Erde herausspült“, sondern dieser „Gewaltbazillus“ ist ein Systemteil der Flut, und seitdem ist die Erde damit vergiftet (hier ist alles Fleisch erst zu Fleisch geworden, auch im paulinischen Sinne: erst hier ändern sich auch die Tiere).
    Daß „die Wassertiere … in 721 verständlicherweise (fehlen)“ (S. 110), hat nicht nur den empirischen Grund, daß sie halt im Wasser leben, sondern verweist auch auf die „großen Meerestiere“ des fünften Tages, die, wie Himmel und Erde und wie der Mensch, unmittelbar von Gott erschaffen sind, und nicht nur die Sinflut überleben, sondern diese Katastrophe gleichsam antizipieren (vgl. die merkwürdige Beziehung der großen Meerestiere zur Philosophie und zum Staat: als Weltsymbole?).
    S. 111: „am Neujahrstag sind die Wasser von der Erde verschwunden“. Hat das (und die Sintflut insgesamt) etwas mit dem Wechsel vom Mond- zum Sonnenjahr zu tun? – Vgl. hierzu die Anm. 27.
    S. 117: Bezieht sich der Schrecken auf den Tieren in Gen 92 außer auf den Gottesschrecken bei der Landnahme (Josue) nicht auch auf den Schrecken Isaaks, und gehört nicht auch der „Schrecken um und um“ in diese Reihe? Und steht das Ganze nicht im Zusammenhang mit der Geschichte des Opfers als Vorgeschichte des Weltbegriffs? Ist nicht die Welt das subjektlose Subjekt dieses Schreckens (das subjektlose Subjekt einer Erkenntnis, deren Subjekt-Objekt der tiefste Grund dieses Schreckens, nämlich das Anderssein ist)?
    Verführung und Weltbegriff (et ne nos inducas in tantationem, sed libera nos a malo): Subjekt des Weltbegriffs sind die Menschen, aber davon werden sie durch den Weltbegriff zugleich entlastet: das ist die Sünde der Welt.
    Verstellt nicht auch in der Sintflutgeschichte das Chronologie-Problem den Blick auf ihre reale (und aktuelle) Bedeutung?
    Verweist nicht die Vorgeschichte (mit den Göttersöhnen und den Menschentöchtern und den Riesen der Vorzeit) aufs deutlichste auf die Zeus- und Heroen-Geschichten des griechischen Mythos?
    Ist nicht die Taufe (durch ihre Beziehung zur Sintflut) ein Symbol der Erinnerungsarbeit?
    Ist nicht „die Seite“ in der Schrift immer die linke Seite (von der Erschaffung Evas bis zum Lanzenstich am Kreuz)?
    Wie hängen die beiden – nach meinem Eindruck sehr katholischen -Wendungen im Verhältnis insbesondere zum Alten Testament zusammen:
    – das „Heute wissen wir, daß …“, mit dem störende Konnotationen beiseite geschafft, verdrängt werden, aber auch wenn eine Stelle dem Stand der naturwissenschaftlichen oder der historisch-kritischen Erkenntnis nicht mehr entspricht, und
    – die projektiv dem biblischen Autor unterstellte Absicht, die Behauptung zu wissen, was der biblische Autor an einer Stelle gemeint hat (insbesondere, wenn diese „Meinung des Autors“ mit dem Wortlaut des Textes nicht übereinstimmt)? Wäre hier nicht zu prüfen, ob die Vorstellung von der biblischen Autorschaft nicht in der Tat sehr projektive Züge trägt, und bestimmt ist vom eigenen Verfahren: vom Abschreiben aus Büchern in Zettelkästen und aus Zettelkästen in neue Bücher. Verkennt diese Vorstellung nicht doch zentral den realen Prozeß der literarischen Produktion in einer Welt, in der es noch keine Sekundärliteratur (die alle Quellentheorien gerne in die Texte hineinschmuggeln möchten) gibt?
    War nicht in der alten Welt das Verhältnis zur Sprache (bis hin zum Logos-Begriff des Johannes-Evangeliums) ein wesentlich anderes als unser heutiges, durch Rechtfertigungszwänge sowie durch Mathematik und Ökonomie zerstörtes und verwirrtes Verhältnis? Und ist nicht ein zentrales Moment der „Schrift“ Sprachreflexion?
    So wie zwischen dem „Stern der Erlösung“ und uns Auschwitz steht, so steht zwischen der Schrift und uns die zweitausendjährige Geschichte des Christentums, die in Auschwitz endet. Hier gründet die erschreckende und beklemmende Aktualität der Schrift.
    Nochmal zur Stelle: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, die Jesus dann selbst, so als sei es nur eine rhetorische Frage gewesen, beantwortet: Ihr werdet den Kelch trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken habe nicht ich zu vergeben, sondern der Vater. – Nirgend kommt die Mittler-Rolle dramatischer zum Ausdruck als hier.
    Ist nicht die Geschichte der Dogmatisierung eine Geschichte der Subjektivierung (als welche sie zur Vorgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung, ihrer Trennung vom Licht, gehört)? Und ist sie nicht (wie die subjektiven Formen der Anschauung) über den Weltbegriff herrschaftsgeschichtlich strukturiert (Verdrängung und Verachtung der Armen und der Fremden)? Bezeichnen nicht Gott, die Armen und die Fremden die andere Seite der Geschichte der Subjektivierung?
    Ist nicht das Feuer die Vermittlung zwischen dem Inertialsystem und dem Licht, und das Plancksche Strahlungsgesetz (zusammen mit der speziellen Relativitätstheorie Einsteins) der innerphysikalische Ausdruck dieser Vermittlung?

  • 05.07.93

    Der Aktualitätsbezug der Theologie wäre zu begründen aus dem Jesus-Wort „Das Gottesreich ist mitten unter euch“ (hä basileia tou theou entos hymon estin – Lk 1721).
    Es gibt keine sprachliche Äußerung, kein Gespräch, ohne Beziehung zur Schuld. Das entlastende Gespräch unterscheidet sich vom befreienden (Philosophie und Wissenschaft von der Prophetie) dadurch, daß es auf den Gebrauch von Projektionen nicht verzichten kann, nur zur Selbstentlastung ihnen ein Höchstmaß an Objektivität zu sichern versucht, die allein der Begriff und die Mathematik ihnen zu geben vermag. Wird nicht die Grenze zwischen beiden Formen der Sprache durch die Todesgrenze des Begriffs und der Mathematik definiert: durchs Gesetz der Objektivation und Verdinglichung (durch Konkretismus und Personalisierung)?
    Vergangenheit und Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang: Zusammenhang von Wissen und Vergangenheit, Begriff und Projektion ins Vergangene, Verdinglichung und Tod (Rosenzweigs „Todesangst“ und die drei „Nichtse“ im Stern der Erlösung).
    Wenn Heideggers Fundamentalontologie den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt macht und die Philosophie mit dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ beginnt, ist dann nicht die Ontologie das innerphilosophische Äquivalent der Sintflut? Und ist nicht die Philosophie in der von der Philosophie, d.h. vom Begriff und vom Gesetz der Instrumentalisierung überschwemmten Welt das am fünften Tag erschaffene „große Meeresungeheuer“? (Haben das Tier aus dem Wasser und das Tier vom Lande etwas mit Natur und Welt zu tun? Und ist das Tier aus dem Abgrund (Off 118), das war und nicht ist und wieder sein wird (ebd. 178), der in der unbekehrten Kirche überlebende Mythos? – Bedeutung der Dialektik der Aufklärung für die Theologie.)
    Wie hängt das Gefallen (lt. Kluge eine Präfigierung von „fallen“ – „und den Menschen ein Wohlgefallen“) mit dem Fall (mit der Assoziation an das Fallen des Würfels, den Zufall) zusammen („Die Welt ist alles, was der Fall ist“)?

  • 08.06.93

    Die Heußsche Erfindung der Kollektivscham war ein genialer Trick, sich selbst und allen anderen die Erinnerungsarbeit: die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, zu ersparen; sie gehört zu den Wurzeln des Ausländerhasses heute. Seit der Erfindung der Kollektivscham nehmen die Deutschen sich selbst nur noch im Blick, der sie von außen trifft, wahr, im Blick der Anderen: der Nachbarn, des Auslands, der Welt; seitdem gehört die paranoide Frage, wie das Ausland (die Welt) sie sieht, zu den gleichsam existentiellen Grundfragen der Deutschen. Zur unbewußten (aber stringenten und handlungswirksamen) Logik des Ausländerhasses gehört es, daß man mit der Beseitigung der „Ausländer“ (wie früher mit der „Endlösung der Judenfrage“, mit der Juden-Vernichtung) glaubt, sich von dieser lästigen Instanz befreien zu können. Zur Logik dieses Syndroms gehört das Bild von der „Asylantenflut“, die das Deutschtum – wie die Scham das Selbst – überschwemmt. (Gehört zur Keuschheit nicht vor allem die Fähigkeit zur Reflexion der Scham: die Fähigkeit, auf dem Meer zu wandeln: schamfrei zu werden, nicht schamlos und nicht unverschämt?)
    Zum „Deutschtum im Ausland“ gehörten einmal die „Volksdeutschen“, die, sofern sie sich „zum Deutschtum bekennen“, heute als Rücksiedler (damit am Ende auch alle schön beisammen sind) die Chance erhalten, endlich „heimzukehren ins Reich“.
    Die Kollektivscham: der blinde Fleck, der die Stelle markiert, an der sich einmal das Selbst befand, drückt sich am deutlichsten aus in der grammatischen (Un-)Logik des „Wir Deutschen“; sie bringt das Deutschtum und seine Beziehung zum Volks-, Eigen-und Heiligtum auf den Begriff.
    Zur Genesis des Behemot: Im Paradies waren die Menschen nackt, „aber sie schämten sich nicht“. Jedoch nach dem Sündenfall heißt es nur: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie bedeckten ihre Blöße, aber die Scham wird nicht mehr erwähnt. Wurden die Tiere, die der Scham nicht entrinnen konnten, damals paranoid (Fell, Flucht und Aggression, Hörner, Zähne, Klauen)? Gott aber gab den Menschen ein Fell von Tieren: die Möglichkeit, die Scham zu reflektieren (Ursprung der Mode).
    Die „Volksdemokratien“ kannten das „Volkseigentum“: Durch die Einbindung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel in die Schicksalsgemeinschaft des Volkes anstatt ins Prinzip der freien kollektiven Selbstbestimmung ist sie zum Kern der Selbstzerstörung der vergesellschafteten Produktionsmittel geworden. Der Appell ans Volk war seit je der Appell an die anderen: an die Verantwortungslosigkeit aller. Und die Verführung, die vom Namen des Volkes ausgeht (und im Begriff des Volkstums kulminiert), liegt in seiner exkulpierenden Kraft: Deshalb werden Urteile „Im Namen des Volkes“ gefällt. Entsprechen nicht den realsozialistischen „Volksdemokratien“ in den Marktwirtschafts-Systemen die „Volksparteien“ (Verkörperungen der Politik-Verdrossenheits-Automatik)?
    Der Weltbegriff ist nur solange zu halten, wie die Vergangenheit nur als vergangen (oder die Natur nur als Natur) verstanden wird. War der Knoten, den Alexander nur durchschlagen, nicht gelöst hat, der der Bindung der Gegenwart ans Vergangene (Grund des Naturbegriffs)? Und hat nicht das Lösen (Mt 1619 und 1818) etwas mit der (von der Kirche bis heute verweigerten) Erinnerungsarbeit zu tun?

  • 30.04.93

    Wie nahe unserem Bewußtsein das Weltgericht gerückt ist (während die Vorstellung vom Jüngsten Gericht erinnerungslos untergegangen zu sein scheint), erweist sich daran, daß heute alle nur noch auf der richtigen Seite stehen wollen: deshalb steigen die Zahlen der Kirchenaustritte.
    Das Eine ist das Andere des Anderen: Im Anderen erkennt sich jeder in seinem Anderssein.
    Der Islam kann Religion und Politik nicht trennen, weil er mit der Idee, daß Gott die Welt erschaffen hat, ernst macht (was sich in der islamischen Schöpfungslehre dann auch ausdrückt). Dadurch unterscheidet er sich von der jüdischen und von der christlichen Tradition.

    Die Kopenhagener Schule hat die Einsteinsche Wende scheinbar wieder integrieren: in das Instrumentalisierungskonzept des Inertialsystems einbinden können. Dabei hat sie geglaubt, die verbleibenden Irritationen (die „Komplemetarität“ und die „Unbestimmtheitsrelation“) als metaphysischen Gewinn sich gutschreiben zu können. Grund war der Bann der Weltbegriffs, der die schmerzhafte, erkenntniskritische Reflexion (die Selbstreflexion als Schuldreflexion) seit je überflüssig zu machen scheint. Weizsäckers „Explosion von Genie“ hatte den nützlichen Nebeneffekt, die Welt, und mit ihr das erkennende Ich, noch einmal gegen Reflexion abzuschirmen.
    Hat die Zahl 666 (Off 1318) etwas mit dem Duodezimalsystem zu tun, mit der babylonischen astronomisch-mathematischen Tradition (mit dem Tierkreiszeichen, mit der Astrologie)? Welche Bedeutung haben die Summenzahlen in der Schrift:
    – 666, Summe 1->36;
    – Apg 2737: 276 Überlebende beim Schiffbruch, Summe 1->23;
    – Joh 2111: 153 Fische wurden gefangen, Summe 1->17?

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