Veerkamp

  • 2.11.1994

    Aufs Wort gehorchen: Unterm Gesetz der Logik der Schrift wird das Hören zum Gehorsam. Durch diesen Gehorsam wird genau das unterbunden, was die Schrift ins Hören zurück übersetzen könnte: die Reflexion. Die systematische Unterbindung dieser Reflexion ist der Positivismus, dessen Unmittelbarkeit die durch die Logik der Schrift (paradigmatisch: durchs Inertialsystem) vermittelte ist. Modell des positivistischen Wissenschaftsverständnisses sind die mathematischen Naturwissenschaften.
    Grund der Unfähigkeit zur Reflexion ist die Unfähigkeit zur Reflexion des subjektiven Apriori der Naturwissenschaften, der subjektiven Formen der Anschauung, die Angst, daß deren Verflüssigung einen Sturz ins Bodenlose nach sich zieht. Aber wäre diese Verflüssigung, die „Liquidierung“ der subjektiven Formen der Anschauung, nicht die Entzündung des Feuers (nach der Sintflut: next time fire)?
    Das Plancksche Strahlungsgesetz beschreibt den Dingbegriff (das mechanischen Objekt) von innen: Hat es nicht etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun (Theorie des Feuers)?
    Zu den Voraussetzungen des Inertialsystems gehört das Prinzip der Identität von träger und schwerer Masse. Bezieht sich hierauf das biblische Verbot, mit Ochs und Esel gemeinsam zu pflügen: das Joch und die Last in eins zu setzen?
    Ist nicht die ganze Geschichte der Physik die Geschichte der Kritik ihrer eigenen Voraussetzungen und gleichzeitig die Geschichte der Verdrängung dieser Kritik? Darin liegt die Ursprungsgeschichte des Positivismus.
    Ein Propädeutikum der Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung ist die marxsche Kapitalismuskritik, die Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung aber wäre die Voraussetzung der Erfüllung des Wortes, die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache.
    Die Materie ist das gegenständliche Korrelat der Leugnung des Gottesnamens. Darauf bezieht sich das Wort des Täufers von der Sünde der Welt in Joh 129.
    Das „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ heißt nicht: Seid hinterhältig (wie die Schlangen), sondern: Begreift den Hinterhalt, in dem ihr steckt.
    Durch die Bekenntnislogik (eine Emanation der Logik der Schrift) ist der Faschismus auf die christliche Tradition als seinen Ursprung bezogen. Jedes Bekenntnis ist ein Schuldbekenntnis, und als Bekenntnis gehört es zur Logik der Schuldbefreiung. Die Bekenntnislogik macht von der exkulpierenden Kraft des Bekenntnisses Gebrauch unter gleichzeitiger Nutzung der verandernden Kraft der Weltbegriffs, seiner projektiven Schuldverschub-Automatik. Die Bekenntnislogik gehört zum Schuldverschubsystem (und weckt so das Strafbedürfnis gegen sie) und setzt die identifikatorische („gemeinschaftsbildende“) Kraft des „Glaubens“ (die aus der Zone der Schuld herausführt, den Gläubigen in die Gemeinschaft der Geretteten zurückführt: extra ecclesia nulla salus) dagegen. Hat nicht erst die lateinische Theologie das symbolum durch die confessio ersetzt? Der durchs Bekenntnis definierte Glaube ist der Schlüssel zum Schuldverschubsystem (eine Fortentwicklung der Logik des Begriffs). Hier liegt der Grund, weshalb der Confessor ein männlicher Heiliger war (und sein Gegenstück die Virgo).
    An dem Punkt, an dem das Bekenntnis aus einer Sache der Märtyrer zu einer des Confessors wird, verrät Augustinus seine namenlose Geliebte, gerät das Bekenntnis in die Zwangslogik der Männerphantasien. Das Bekenntnis, das die Herrschenden fordern, leugnet das Bekenntnis (die Zeugenschaft) des Märtyrers: Hierauf bezieht sich die Geschichte der drei Leugnungen.
    Die Bekenntnislogik, das Dogma und in ihrem Kern die Opfertheologie sind Produkte der Logik der Schrift. In ihnen erfüllt sich die Schrift und nicht das Wort. Mit der Bekenntnislogik, mit dem Dogma und mit der Opfertheologie tritt die Theologie in den Prozeß der Aufklärung ein.
    Deutscher Umgangston: Anonymer Hinweis an einer Mülltonne vor einem Mehrfamilienhaus „Wissen Sie nicht, daß … Sie, ja genau Sie sind gemeint“. Das Ich des deutschen Idealismus ist ein Papier-Ich.
    Zu Veerkamp, Vernichtung des Baal, S. 60: Unter welchem Busch saß Jona? Und gibt es eine Beziehung zwischen Hagar, Elijahu und Jona? Hat der Busch bei Hagar, Elijahu und Jona etwas mit den Bäumen des Paradieses, unter denen Adam sich versteckte, zu tun?
    Ist nicht der Polizei- und Medienaufwand um die beiden Geiselnehmer in diesen Tagen ein Indiz dafür, wie stark der Ablenkungsbedarf (das Strafbedürfnis und das Vorurteilspotential) ist?
    Das Votum für die Armen und das Votum für die Fremden hängt mit den beiden getrennten Elementen der Logik des Angesichts zusammen:
    – das Votum für die Fremden verweist auf den Ursprung und den Widerschein der eigenen Fremdheit in der Fremdheit des andern; es ist die reinste Reflexionsbeziehung und zugleich die Evokation der Gottesfurcht;
    – das Votum für die Armen bezieht sich auf das Verhältnis von Gericht und Gnade; es ist die Evokation der Barmherzigkeit.
    Zur Dialektik der Paranoia gehört es, daß sie genau das ausbrütet, wovor sie sich fürchtet; ihr Ursprung wird in Heideggers objektloser Angst bezeichnet.
    Das Neutrum und die durch es determinierten Grammatiken sind die Repräsentanten der Logik der Schrift in der Sprache.
    Die mathematische Logik hat in der logischen Begründung und im Begriff des Grundes noch das teleologische Prinzip und in ihm die letzte Erinnerung an den Mythos erkannt; deshalb hat sie sie aus der Logik verbannt (und mit ihr die Argumentation aus dem Denken: Ursprung des autoritären Prinzips oder auch die ironische Erfüllung der Prophetie – Jer 3134).
    Als Hegel die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik übertragen hat, hat er die Ästhetik in die Logik mit übertragen; sie erscheint hier unter dem Begriff des Scheins.

  • 27.9.1994

    Nicht daß menschliches Handeln bestraft wird, ist der Sinn der biblischen Verknüpfung von Handeln und Vergeltung, sondern der Hinweis auf die menschliche Verantwortung: Ursache der politischen Ereignisse ist nicht das Schicksal, sondern menschliches Handeln. Vgl. Ton Veerkamp, S. 261.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Vergegenständlichung und der Vergesellschaftung zugleich. Und das Objekt als Produkt der Vergesellschaftung wird durch den Weltbegriff naturalisiert.
    Drei Gestalten des Kelches: der Raum, das Geld und die Bekenntnislogik. Mit der Bekenntnislogik wird der Kelch, der vorher (als Raum) der Taumelbecher und (als Geld) der Kelch des göttlichen Zorns war, zum Becher der Unzucht (Produkt der Verinnerlichung der Scham).
    Mit der Verinnerlichung des Schicksals wurde der Begriff erzeugt, mit der Verinnerlichung der Scham (mit dem Ursprung des Inertialsystems) wurde der Name zerstört. Die Geschichte der Verinnerlichung des Schicksals (ihre Vorgeschichte war die des Tempels) und die der Verinnerlichung der Scham (deren Vorgeschichte die der Kirche war) waren Phasen eines universalen Verdrängungsprozesses. Zum Tempel in Jerusalem: zum Haus des Namens Gottes, gibt es in der modernen Welt keine Entsprechung.
    Jürgen Habermas hat die Kritische Theorie verraten, als er sie ins Projektive gewendet (und das Eingedenken der Natur – nicht der „gequälten Natur“ – im Subjekt verworfen) hat.
    War nicht die Verurteilung des Sabellianismus, die Verwerfung der Vorstellung, daß auch der Vater den Kreuzestod mit erleidet, eine der Bedingungen, unter denen die Hellenisierung des Christentums überhaupt möglich war? Hier ist das Christentum caesarisch geworden: Während das Königtum aus der Institution des Opfers sich herleitet, bezeichnet der Caesar nicht zuletzt die Geldhoheit des Reiches; das Bild des Kaisers ist auf der Münze, die Münze aber ist die Verkörperung der Abstraktion von einer möglichen Identifikation mit dem Schicksal der Opfer: vor der Logik des Geldes sind die Armen nicht Opfer, sondern schuldig; die Hohepriester kennen keinen König außer dem Kaiser. Die Münzhoheit ist der Ursprung und ein Teil der caesarischen Gestalt der Herrschaftsgeschichte (sh. Darius).

  • 2.9.1994

    Die Geschichte, der Raum und das Vergessen. Der Raum neutralisiert die Zeit, macht die Geschichte zum Steinbruch, in dem man sich beliebig bedienen kann. Geschichtliche Taten und Ereignisse werden einander äußerlich und austauschbar, vergleichbar den gegen Raum und Zeit neutralisierten „Erfahrungen“ in den Laboratorien der Naturwissenschaften.
    Die Bekenntnislogik schließt eine eingebaute Exkulpationsautomatik mit ein; deren Kern ist das Schuldverschubsystem, durch das die Bekenntnislogik mit dem Schuldbekenntnis verbunden ist. Ist die Exkulpationsautomatik die transzendentale Ästhetik zur Bekenntnislogik?
    Kein Bekenntnis ohne Feindbild: Das Gebot der Feindesliebe ist ein durchschlagender Einwand gegen Dogma und Bekenntnislogik.
    Die moderne Praxis kirchlicher Architektur, Innenwände wie die Außenwand zu gestalten, drückt aufs genaueste die Beziehungen der Gläubigen zu ihrer Kirche aus: Sie sind zugleich drinnen und draußen, die Innenwelt hat der Außenwelt, und die Außenwelt der Innenwelt sich angeglichen. Die Differenz ist getilgt, beide sind ununterscheidbar geworden, damit aber ist die Außenwelt zur Norm der Innenwelt und die Innenwelt vollends barbarisch geworden. Ist das nicht die logische Folge und die fatale Erfüllung der inneren Säkularisationsgeschichte: der Geschichte der Verweltlichung, Produkt der verandernden Kraft, die als das bewegende Zentrum der Säkularisationsgeschichte sich erweist.
    Mit dieser Beziehung von Innen und Außen hängt es zusammen, daß, was Karl Rahner einmal die absolute Zukunft genannt hat, nicht mehr in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit liegt. Quellpunkt der verandernden Kraft ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die sie nur noch in den vergangenen Hoffnungen erfahrbar macht. Die Wiedererweckung der vergangenen Hoffnung ist der Beginn der Auferstehung.
    Eine logische Studie: Hängt der demagogische Trick Kohls, die Gemeinheiten, die er von sich gibt, zugleich zu dementieren und seinem politischen Gegner anzuhängen, nicht mit der Logik seines Geschichtsbegriffs (und dieser mit Hitlers Begriff der Vorsehung) zusammen? Die gleiche Logik macht ihn unfähig, die Untaten von Rostock, Mölln, Solingen anders als durch den Blick des „Auslands“, und d.h. als „Schande“ wahrzunehmen. Es ist dieser Blick, der insgeheim die Zustimmung zu den Dingen, von denen er sich verbal distanziert, signalisiert.
    Der Slogan „Bewahrung der Schöpfung“ bleibt falsch, solange er nur auf die äußere Natur sich bezieht (ist nicht die Ökologie-Diskussion u.a. auch ein Produkt des Schuldverschubsystems, dient sie nicht auch der Ablenkung von den heranreifenden gesellschaftlichen Naturkatastrophen, gehört sie nicht in den Bereich der Exkulpationsstrategien?).
    Erinnert nicht das Wort „Gottesfrage“ (Duchrow/Veerkamp) fatalerweise an die Seins- oder die Judenfrage (generell an Heideggers Begriff der Frage)?
    Joh 129 stellt den Aktualitätsbezug des Wortes (des Logos), seine Beziehung zur Prophetie, her: durch die Hereinnahme der Schuld-Reflexion.
    Zu Jürgen Ebachs Hinweis auf das „es rächt sich“ ist an den Gebrauch dieser Wendung in der Nachkriegszeit, nach Bekanntwerden der organisierten Judenvernichtung durch die Nazis, zu erinnern: Fromme Katholiken waren überzeugt: „Das wird sich einmal rächen“. Aber das wurde schnell vergessen; statt dessen sollen die sogenannten „Rachepsalmen“ aus dem kirchlichen Brevier herausgenommen worden sein. War die Erinnerung an die Schuld so nahe gerückt, daß sie unerträglich wurde (wird man nicht daran zweifeln dürfen, ob der Abschaffung der Todesstrafe wirklich nur „humane“ Motive zugrundelagen)?
    Über den nationalen Ursprung der Transzendentalphilosophie: Die Begriffe historisch und empirisch waren einmal gleichbedeutend; das Historische war das Empirische und umgekehrt. Dagegen enthält der deutsche Begriff der Geschichte eine Verschiebung, der mit der Wortbedeutung, die ans neutrale, subjektlose Geschehen (das ontologische Sein) erinnert, zusammenhängt. Die Geschichtsphilosophie ist eine Es-Philosophie; und Hegels Bemerkung, daß das Wort Geschichte sowohl die historischen Taten und Ereignisse als auch die Geschichtsschreibung (die sie zu historischen Taten und Ereignissen erst macht) bezeichnet, weist auf das Zentrum des Neutralisierungsprozesses (und auf die in ihm wirkenden Kräfte, auf seine sehr spezifisch deutsche Logik) hin.
    In Spinozas Deus sive Natura steht dieser Deus fürs Absolute, für den Gott der Philosophen: für den Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft.
    Das reale Objekt der Sexualmoral wäre (wenn man sie auf ihre herrschaftskritischen Ursprünge zurückführt) die Mordlust, nicht die Sexuallust. Hier gründet das Wahrheitsmoment der Lustfeindschaft.

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