Verwaltung

  • 12.6.1995

    Zur memoria passionis gehört auch die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Leidensseite des Handelns, die Fähigkeit zur Empathie, zur Barmherzigkeit, die Einübung der Sensibilität, der Identifikation mit dem Anderen: die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen.
    Die Schrift verwirrt die Unmittelbarkeit, das Geld die Barmherzigkeit und das Bekenntnis das Angesicht.
    Die Trinitätslehre ist eine Schutzimpfung gegen das biblische Symbol.
    Die Apologetik verrät, was sie verteidigt.
    Der der Personalisierung zugrunde liegende Rachetrieb verharmlost, was er anprangert, und verhindert die Erkenntnis, daß die Strukturen überleben.
    Verwaltung: Die wohldotierte Verantwortungslosigkeit.
    Wie es scheint, geht es dem BAW nicht mehr um Erkenntnis, sondern nur noch um Diskriminierung. Er hat sich längst selber politisch instrumentalisiert.
    Die altkirchliche Basilika (der Name gründet in einem Adjektiv basilikä = königlich: die königliche <Halle>) ist hervorgegangen aus der römischen Basilika, einem kommunalen Mehrzweckbau mit repräsentativem Charakter, der als Markthalle, Bankgebäude und Börse, als Gerichtssaal und allgemeiner Treffpunkt diente (dtv-Atlas zur Baukunst I, S. 231). Vor den Christen hatten bereits jüdische Gemeinden den Typ der Basilika für ihre Synagogen übernommen (S. 259). Im Gegensatz zum Tempel, der in erster Linie Haus des Gottes (des göttlichen Namens bzw. der Statue des Gottes) war, war die Basilika ein Versammlungsraum, der Ort der Gemeinde, der ekklesia. Zum Namen: War die Basilika nicht in der Tat die königliche Halle, der Ort, der den gesamten Bereich königlicher Kompetenzen, den Bereich, für den dann der Name der Welt sich durchsetzte, repräsentierte, vom Kommerz über das Geldwesen bis zum Gericht. Die Basilika war gleichsam der Mikrokosmos, die embryonale Welt, der Quellpunkt des Objektivationsprozesses. Und genau dieser Ort wurde zum Ort der Kirche. In welcher Beziehung steht dieser Zusammenhang zur Geschichte der Architektur, die – unter christlichem Vorzeichen – in erster Linie eine Geschichte der krichlichen Architektur war: Läßt sich daran nicht die Herrschaftsgeschichte ablesen (Herrschaftsgeschichte als Vorgeschichte der der naturwissenschaftlichen Aufklärung, die selber als Geschichte der Verinnerlichung der Architektur sich begreifen läßt)?

  • 11.6.1995

    Creatio mundi ex nihilo: Hat das nicht mehr mit einer Theorie der Banken, mit dem Problem der Kreditschöpfung, zu tun als mit der Theologie?
    Daß Gott den Himmel aufgespannt und die Erde gegründet hat, steht uns das nicht in den Planetenbewegungen am Himmel vor Augen? Drückt in den Planetenbewegungen nicht dieses Aufspannen und Gründen als Tätigkeit sich aus (haben wir darin nicht die Schöpfung als Tätigkeit vor Augen)?
    Walter Benjamin hat Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ ergänzt: „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“. Aber wer sind die Hoffnungslosen? Sind es nicht in erster Linie die Toten? Das aber heißt, daß wir die Lehre von der Auferstehung nicht auf uns, sondern nur auf sie noch beziehen können.
    Konsequenz aus Peter Brown (Macht und Rhetorik): Ist nicht die Konfessionalisierung des Symbolums eine Folge seines Ursprungs in der Rhetorik?
    Die Logik der Schrift verdinglicht das Wort, sie immunisiert die Dinge gegen ihren Namen.
    Hodie, si vocem eius audieritis: Wie das Sehen aufs Vergangene, so verweist das Hören aufs Zukünftige (der Begriff subsumiert das Hören unters Sehen).
    Die Lateiner haben physis mit natura übersetzt, aber beide Begriffe bezeichnen nicht das Gleiche. Die Differenz ist herrschaftsgeschichtlich vermittelt.
    Alle Religionen sind verweltlichte und vergesellschaftete Formen der Gotteserkenntnis. Darum ist jede Religion, der man angehört, die falsche.
    Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es keine Verwaltung mehr geben können. (Ein von Verbotsschildern durchsetzter Wald ist kein Wald mehr, sondern ein Verwaltungsobjekt.) Muß man nicht ähnlich wie man sagt, daß die Roten mit dem Geld nicht umgehen können, von den Grünen sagen: Sie können mit der Verwaltung nicht umgehen?
    Ist der Jugoslawienkonflikt nicht ein weiteres Indiz dafür, daß Politik generell in Verwaltung überzugehen scheint? Die supranationalen Einrichtungen wie EG und UNO sind reine Verwaltungseinrichtungen, an die die Staaten ihre Souveränität abgegeben haben, denen aber selber jegliche Souveränität abgeht. In einer verwalteten Welt gibt es eigentlich keine Kriege mehr, sondern nur noch Bürgerkriege und Polizeiaktionen. Aber ist es nicht genau diese Konstellation, in der nur Terrorismus noch eine Chance zu haben scheint (u.a. deshalb, weil es zum Terrorismus keine Friedensalternative gibt, sondern nur noch Endlösungen)? Die Ohnmacht der Militärs angesichts der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien hängt damit zusammen. Und was bedeuten diese Vorgänge für das Problem des Verfassungsstaats und der Gewaltenteilung?
    Ist es nicht der Verwaltungs- und Polizeistaat, und sind es nicht seine unsauberen Folgeeinrichtungen, die (erstmals im alten Rußland) den Terrorismus, der durch Gesetz und Moral sich nicht mehr gebunden fühlt, gegen sich wachrufen? Terrorismus, die Machtquelle derer, die in den repräsentativen Systemen sich nicht mehr vertreten fühlen, ist Symptom eines herrschafts- und begriffsgeschichtlichen Problems. Das Problem des Terrorismus entspringt den gleichen logischen Gründen, aus denen auch das Problem der „zivilen Nutzung der Atomenergie“ hervorgeht, und es ist ebenso lange wie dieses nicht lösbar.
    Das Engelssche Konzept der „Verwaltung von Sachen“ als Grundlage einer befreiten Gesellschaft, an dem der „real existierende Sozialismus“ gescheitert ist, ist ebenso antisemitisch, paranoid und frauenfeindlich wie die Trinitätslehre.
    Was bedeutet die in der Theologie üblich gewordene Verletzung des Verbots, den Gottesnamen auszusprechen, (das „Jahwe“) für die Geschichte der Trinitätslehre? Steht nicht der Gottesname „Vater“ im Christentum in der Adonai-Tradition (als Versuch der „Humanisierung“ des Namens „Herr“)?
    Die kirchliche Tradition kennt keine Patriarchen, nur „Kirchenväter“. Und niemand würde auf die Idee kommen, in Analogie zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vom Gott des Johannes Chrysostomus, des Gregor von Nazianz oder des hl. Augustinus zu sprechen.
    Das Problem der Kirche ist, daß sie mit der Anwendung des Objektivationsprozesses auf die Theologie, mit der Instrumentalisierung des Dogmas und mit der Errichtung des kirchlichen Lehramts den Heiligen Geist unters Herrendenken subsumiert hat.
    Hat Habermas, als er die Naturspekulation aus der Philosophie ausgeschieden hat, das prophetische Element aus der Frankfurter Schule vertrieben? Mit der Ausscheidung der Reflexion der Natur hat er der Kapitalismus-Kritik den Boden entzogen.

  • 31.5.1995

    Das Glaubensbekenntnis, die instrumentalisierte Umkehrung des Schuldbekenntnisses, gründet in der Logik des Weltbegriffs, es gehört zur Ursprungsgeschichte und zu den Konstituentien der Raumvorstellung. Die Struktur der Bekenntnislogik (die Konstellation von Feinddenken, Verrätersyndrom und Paranoia sowie männlicher Selbstbeherrschung und Frauenfeindschaft) läßt aus dieser Beziehung zum Schuldbekenntnis sich herleiten. Daß die Kirchen am Ende die Idee der Erlösung, der Befreiung von Schuld, ins Glaubensbekenntnis verlegt haben, hängt hiermit zusammen (und ist eine der Folgen der Vergegenständlichung des Kreuzestodes). Die Bekenntnislogik hat das Schuldverschubsystem begründet und in der Theologie verankert. Ihre logischen Wirkungen lassen am Fall des juristischen Schuldurteils (als Form des synthetischen Einzelfall-Urteils apriori) sich demonstrieren: an der logischen Funktion des Bekenntnisses zum Staat in jedem Schuldurteil, insbesondere aber in sogenannten Staatsschutz-Verfahren (in Hegels Rechtsphilosophie erscheint diese Form des synthetischen Einzelfall-Urteils a priori in der logischen Ableitung des Monarchen – vgl. Rechtsphilosophie, 280). Das Urteil des römischen Statthalters über Jesus, seine Vorgeschichte und seine Vollstreckung am Kreuz gehören in diesen Zusammenhang (und ebenso wie die Idee des Absoluten, die Zerstörung der Erinnerung an den Namen Gottes, in den Kontext des Worts von der Erfüllung der Schrift).
    Das Subjekt eines jeden Schuldurteils ist die Welt, die selber Identität nur durch ihre Beziehung zum Staat hindurch gewinnt. Jede Metaphysik ist Staatsmetaphysik. Schuld gibt es nur im Kontext von Herrschaft, wie es auch Herrschaft nur im Kontext der Schuld gibt. Schuld und Herrschaft sind wechselseitig sich konstituierende Reflexionsbegriffe. Der Objektbegriff selber, mit dem Herrschaft in der Außenwelt sich begründet, indem sie sich an ihrem gegenständlichen Substrat den nötigen Halt verschafft, ist das Modell des apriorischen Schuldurteils.
    „Männer machen Geschichte“: Kontrafaktische Urteile sind Produkte des Rechtfertigungszwangs, sie gründen in einem apologetischen Geschichtsverständnis, mit dem der Historiker gegen den Indizienprozeß, den die Geschichte gegen ihn führt, um ihm die Sünde der Welt aufzubürden und anzulasten, sich zu verteidigen versucht. Ihr Ziel ist es, den Schuldzusammenhang mit der Vergangenheit durch Personalisierung, durch Verschiebung und Zurückdrängung der Schuld ins Vergangene, zu neutralisieren.
    Der Begriff der Verweltlichung der Welt hat einen kleinen logischen Mangel: Unabhängig von der Verweltlichung gibt es keine Welt, die dann gleichsam nachträglich und von außen sich verweltlichen ließe. Der Begriff der Welt bezeichnet nicht mehr und nicht weniger als den jeweiligen Stand der „Verweltlichung“.
    Das Problem der Theologie liegt in dem apologetischen Kontext ihrer Ursprunggeschichte. Apologetik läßt das, was sie zu verteidigen meint, nicht unberührt; sie verändert es unter der Hand. Wenn die Orthodoxie in der Auseinandersetzung mit den Häresien sich gebildet und entfaltet hat, so heißt das auch, daß mit der Verurteilung der „Irrtümer“ der Häresien die Probleme, deren Ausdruck diese Irrtümer“ waren, innerhalb der Orthodoxie prinzipiell zwar gelöst, mit der Verurteilung ihrer häretischen Folgen aber ebensosehr auch verdrängt worden sind. Die Aufarbeitung dieser Vergangenheit wäre noch zu leisten.
    Mit dem apologetischen Prozeß ist die Bekenntnislogik in die Theologie eingewandert und hat sie von innen verändert. Apologetik ist die Instrumentalisierung des Satzes: Wer sich verteidigt, klagt sich an. Mit jeder Verurteilung einer Häresie hat die Orthodoxie sich selber mit verurteilt.
    Das Dogma verletzt das Gebot der Heiligung des Gottesnamens.
    Steckt nicht hinter dem Bilde des Perpetuum mobile ein sehr ernsthaftes Problem, und zwar eines, das mit dem Apparat zusammenhängt, der die Menschheit ernährt, die ihn bedient, und sie zugleich in die Katastrophe hineintreibt: mit dem Staat?
    Seit heute sind die Gundbach-Wiesen südwestlich vom Anglerteich mit dem Hinweis gesperrt: „Kein Durchgang! Betreten verboten gem. § 3 Ziffer 8 der Verordnung über das Naturschutzgebiet Mönchbruch von Mörfelden und Rüsselsheim vom 3. Februar 1995 (Staatsanzeiger für das Land Hessen Nr 9 vom 27.02.1995, S. 698ff). Regierungspräsidium Darmstadt“. – Das gleiche Durchgangsverbot findet sich an der Birkenseewiese, am Erlenbruchweg und am Weg, der den Gundbach entlang führt. Ein präzises Beispiel für die Logik des Verwaltungshandelns: für ein Handeln hinter dem Rücken der Betroffenen (es schafft vollendete Tatsachen). Die Erinnerung an die wilhelminische Vorgeschichte ist eindeutig. Gegen den Startbahnbau und gegen den Bau von Cargo City waren Naturschutzgründe unerheblich, aber gegen den täglichen Spaziergänger schlagen sie durch.

  • 28.5.1995

    Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt: Dieses Präsens ist zweideutig; es kann sowohl eine vergangene, abgeschlossene Handlung bezeichnen (den Kreuzestod: das Opfer, in dem die Schrift sich erfüllte) als auch eine zukünftige, noch ausstehende Tat (die Wiederkunft: die Erfüllung des Worts). Das Präsens ist indifferent gegen Vergangenheit und Zukunft, es ist indifferent gegen Imperfekt und Perfekt. Die gleiche Logik gilt für den Begriff des Faktums, der Tatsache, für den die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft unerheblich geworden: in einem allgemeinen Zeitbegriff untergegangen ist.
    Haben Rind und Esel etwas mit Imperfekt und Perfekt zu tun, und wird das Verbot des gemeinsamen Pflügens durch die indoeuropäische Grammatik (durch das Neutrum und durch veränderten Formen der Konjugation) verletzt?
    Synthetische Urteile apriori sind Produkte eines selbstreferentiellen Beweises, gleichsam des institutionalisierten falschen Zeugnisses. Die Nichtunterscheidbarkeit von Joch und Last (die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden) ist der Grund dieser logischen Selbstreferenz.
    „Das wesentliche Gebet“ von Henri Bremond beschreibt das technische Konzept und die technische Entwicklung der Exkulpationsautomatik. Das „Wirkenlassen“, die Gelassenheit, das, was Heidegger später das Seinlassen nennt, produziert den Mechanismus, mit dessen Hilfe das Subjekt aus der Welt sich herausstiehlt (indem es die Welt zum bloßen – subjektunabhängigen – Geschehen neutralisiert). Indem es so dem Schuldzusammenhang der Welt glaubt entrinnen zu können, verstrickt es sich in ihn. Die Techniken der Nichtwahrnehmung, der Verdrängung der Schuld sind keine Techniken der Befreiung von Schuld. Sie produzieren nur ein (somit falsches) Bewußtsein der Freiheit von Schuld. Diese Mystik ist eine Mystik der Desensibilisierung, sie schließt sich nicht zufällig an die Trinitätslehre an.
    War nicht die Sakramentenlehre ein Versuch, unterm Bann des Weltbegriffs die Erinnerung an die Schöpfung, die der Weltbegriff leugnet, zu rekonstruieren? Vermittelt wurde diese Rekonstruktion durch die Idee des Opfers (der Entsühnung der Welt). Auch für die Sakramentenlehre gilt das Wort: Barmherzigkeit, nicht Opfer.
    Aus welchem Anlaß und in welchem Zusammenhang sagt Jesus zu Petrus: Noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen? Alle Stellen nach dem letzten Abendmahl; Mt, Mk und Lk auf dem Wege zum Ölberg, Joh vor den Abschiedsreden.
    – Mt 2630ff: … gingen sie hinaus zum Ölberg. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet in dieser Nacht alle an mir Anstoß nehmen; denn es steht geschrieben: „Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen“ (Sach 137). Wenn ich aber auferweckt worden bin, werde ich euch nach Galiläa vorangehen. Da antwortete Petrus und sagte zu ihm: Wenn alle an dir Anstoß nehmen, werde ich doch niemals an dir Anstoß nehmen. Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.. Petrus sagt zu ihm: Auch wenn ich mit dir sterben müßte, werde ich dich nicht verleugnen. Ebenso sagten auch alle Jünger.
    – Mk 1426ff: im wesentlichen wie Mt (nur: ehe der Hahn zweimal kräht).
    – Lk 2231ff: Simon, Simon, siehe der Satan hat sich euch ausgebeten, um euch im Sieb zu schütteln wie den Weizen; ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre; und du, wenn du dich einst bekehrt hast, stärke deine Brüder! Er aber sagte zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir sogar ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Da sprach er: Ich sage dir, Petrus: Der Hahn wird heute nicht krähen, bis du dreimal geleugnet hast, mich zu kennen.
    – Joh 1336ff: Simon Petrus sagte zu ihm: wohin gehst du? Jesus antwortete: Wohin ich gehe, dahin kannst du mir jetzt nicht folgen, du wirst aber später folgen. Petrus sagte zu ihm: Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Mein Leben will ich für dich hingeben. Jesus antwortet: Dein Leben willst du für mich hingeben? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Der Hahn wird nicht krähen,bis du mich dreimal verleugnet hast.
    Wenn es zu Joh 129 keine Alternative mehr geben wird, wird das Schuldverschubsystem tödlich.
    Selbstaufklärung der transzendentalen Logik: Der Bekenntnisbegriff (der selber aus der Idolatrie, aus der Tempelreligion, hervorgegangen ist) war die Urgestalt der subjektiven Formen der Anschauung.
    Nicht Saul und nicht David, sondern erst Salomon hat dem Namen des Herrn ein Haus gebaut.
    Wird nicht der Bosnienkonflikt langsam zu einem Lehrstück, an dem die letzte Phase der Herrschaftsgeschichte sich ablesen läßt: Exempel eines Staatsterrorismus, gegen den die traditionellen Machtmittel der Staatengemeinschaft hilflos und unwirksam sind, und das nicht zuletzt deshalb, weil die Phantasie der Politiker und Militärs, von der eigentlich die Lösung zu erwarten wäre, blockiert ist durch Komplizenschaft. Vom Vietnam- bis zum Golfkrieg haben die darin verwickelten Mächte nach den gleichen Prinzipien gehandelt, gegen die sie jetzt ohnmächtig sind, weil diese Prinzipien ihre eigene Vorstellungskraft und ihre Phantasie blockieren. Der Schlauheit und dem Scharfsinn der faschistischen Gemeinheit hat die gemeine Dumpfheit des administrativen Gewaltmonopols nichts mehr entgegenzusetzen. Der Erfolg gegen Saddam Hussein war der Erfolg einer Dampfwalze gegen einen Wüstenfuchs. Alle übrigen Erfolge, wie in Grenada oder auf den Falkland-Inseln, waren Ergebnisse von Verwaltungsaktionen, Erfolge gegen einen Gegner, der zum Widerstand nicht fähig war (wie in der Bundesrepublik die „Erfolge“ gegen Ausländer und Asylanten).
    Erschreckend der Zynismus der Medien, die, nachdem sie im Innern ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur kritischen Begleitung der Politik aufgegeben, der konzentrierten Gewalt der Verwaltung, zu der Politik zu degenerieren droht, keine Phantasie und keinen Gedanken mehr entgegenzusetzen haben, daraus den Schluß ziehen: Wenn man gegen Karadzicz, der zivile Einrichtungen bombardiert und UNO-Soldaten als Geiseln nimmt, nichts mehr machen kann, muß er wohl Recht haben. Und die UNO hat Unrecht, nicht weil ihr zu den Gemeinheiten nichts mehr einfällt, sondern weil sie ohnmächtig ist und keinen Erfolg hat. Es läßt sich aus der Logik der Information begründen, wenn Erfolg und Recht Synonyme geworden sind. Läßt es sich nicht mittlerweile an der berufsspezifischen Grammatik von Journalisten ablesen, daß die Presse nur noch an Meinungen, nicht aber mehr an eine in die Politik eingreifende kritische Öffentlichkeit glaubt? Dieser Zynismus ist das Spiegelbild des Zynismus der Politiker, die Politik von Verwaltung nicht mehr unterscheiden können, und deshalb unfähig, ihn beim Namen zu nennen.
    Die Schlange ist sowohl eine sprachgeschichtliches als auch ein herrschaftsgeschichtliches Symbol (Symbol des gemeinsamen Ursprungs des Neutrums und des Staates). Ließe sich nicht heute an den Medien die Bedeutung des Satzes demonstrieren: Auf dem Bauche sollst du kriechen und Staub sollst du fressen? Gründet die „Klugheit der Schlange“ nicht darin, daß sie – anders als die Tiere sonst – nicht bloß den Schuldzusammenhang verkörpert, sondern zugleich auch die Abstraktion davon (den Schuldzusammenhang zusammen mit der Exkulpationsautomatik)?29.5.1995
    Schuldzusammenhang: Der Begriff des Anderen ist eine weltkonstituierende Systemkategorie. Jeder ist für Andere ein Anderer. Das rechtliche Pendant des Anderen ist die Person (definiert durch Schuldfähigkeit: durch Eigentumsfähigkeit und Zurechenbarkeit ihrer Handlungen).
    „Haas des Mordes bezichtigt“ (Überschrift einer Meldung in der FR vom 27.5.): Nicht bezichtigt, denn auch der Bundesanwalt unterstellt nicht, sie habe einen Mord begangen, sondern nur angeklagt: Ihr wird ein Mord angelastet, den ein anderer an einem Ort, an dem sie selbst nicht gewesen ist, begangen hat, im Zusammenhang mit einer Tat, an deren Vorbereitung sie möglicherweise mitgewirkt hat. Wirft diese Anklage nicht die Frage der Kollektivschuld wieder auf: Hat nicht ein ganzes Volk an der Vorbereitung und militärischen Absicherung des millionenfachen industriellen Judenmords durch die größte terroristische Vereinigung, die es je in diesem Land gegeben hat, und deren Mitglieder die meisten waren, mitgewirkt? Und hat nicht eine ganze Richtergeneration, die sich nie dafür hat verantworten müssen, wenn nicht durch aktive Teilnahme, so doch durch Nichtverfolgung dieses Verbrechens mitschuldig gemacht?
    „Dadurch, daß man sich nicht um das kümmert, was in der Seele eines anderen vor sich geht, wird man wohl nicht so leicht unglücklich; wer aber nicht mit aller Aufmerksamkeit den Bewegungen der eigenen Seele folgt, muß notwendig unglücklich werden.“ (Marc Aurel: Selbstbetrachtungen, II,8) Wirft dieser Satz – Ausdruck der Sorge um das eigene Seelenheil, das durch die Probleme der anderen sich nicht irritieren lassen will – nicht ein Licht auf den Problemkreis, dem auch der Ursprung des Christentums sich verdankt? Wird hier mit der Paranoia nicht zugleich auch die Barmherzigkeit verworfen? Ließe die Idee der Ataraxia (Urbild der Souveränität des Herrschers) nicht als der Versuch sich bestimmen, vom Mitleid nicht überwältigt zu werden, ohne der Paranoia zu verfallen? – „Mit aller Aufmerksamkeit den Bewegungen der eigenen Seele folgen“: Definition der (männlichen) Selbstbeherrschung (die das Tier im eigenen Innern: im Trieb, in der „sinnlichen“ Begierde, erkennt, und den Versucher in den den Trieb hervorrufenden Sinnesreizen: in den Frauen).
    Unterm Bann der Paranoia erscheint Barmherzigkeit als Hysterie.
    Das Inertialsystem und die Sünde der Welt: Im historischen Objektivationsprozeß (mit der Verweltlichung der Welt) verändert sich der Bereich dessen, was ohne unser Zutun geschieht, und dem wir nur als Zuschauer noch beiwohnen. Die letzte Phase dieser profanen Entrückung wurde eingeläutet mit der Erfindung des Fernsehens, das unseren aktiven Anteil an der Welt unwiderruflich von dem theoretischen (dem unserm Zuschauen präsenten) Anteil getrennt hat. Wir sind zu Zuschauern unseres eigenen Lebens geworden, das aber um den Preis, daß unser Leben nicht mehr von uns, sondern von der Welt gelebt wird. Die Welt ist zum handelnden Subjekt unseres Tuns geworden (Hegel: die Substanz ist zum Subjekt geworden), und wir zu ohnmächtigen, gespannt zuschauenden Voyeuren. Unser Handeln ist zu einem Passivum geworden, unser letztes Aktivum ist das Zuschauen, mit dem der moralische Tod unser Leben ergriffen hat. Die Akte der Empörung, der letzten Form der Anteilnahme an der vom Fernsehen präsentierten Welt, vermögen das Leben, das aktive Eingreifen in die Katatrophe, nicht zu ersetzen. Die Empörung (lange schon eingeübt im Gerede, im Geschwätz) ersetzt das Handeln durchs Urteil (die Barmherzigkeit durchs strenge Gericht). Vorgebildet ist diese reallogische Konstruktion in einer Theologie, die seit langem schon zur Theologie hinter dem Rücken Gottes geworden ist (hängt nicht das Fernsehen mit der Trinitätslehre, mit der Opfertheologie und mit der Vergöttlichung Jesu zusammen?).
    Die Bekenntnislogik ist die Logik der Ästhetisierung der Theologie (Rosenzweigs Frage, „ob Künstler selig werden können“, gilt auch für Theologen).
    Hat die Trennung von Handeln und Zuschauen (die in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit gründet) etwas mit der Unterscheidung des Tieres vom Lande vom Tier aus dem Wasser zu tun?

  • 28.4.1995

    Auch: Das tun die Andern doch auch; was andere können, wirst du doch auch wohl können; ich auch. Die Reflexion auf den anderen, die in dem Wörtchen „auch“ drinsteckt, gehört zu den Implikationen des Weltbegriffs. Es ist die Logik des „außengeleiteten Charakters“, die in politischem Zusammenhang das Gewissen durch das Ausland (oder die Geschichte) ersetzt. Ist das „auch“ nicht der Statthalter des Inertialsystems in der Sprache? Wie steht es überhaupt mit jenen Sprachpartikeln, die als logische Partikel fungieren, zu denen neben Und und Oder das Sowohl-als-auch und das Ohnehin gehören.
    Kritik der Informatik als Gesellschaftskritik: Verweist nicht die Schwierigkeit, Computerprogramme in Gebrauchsanweisungen zu erklären, auf einen Mangel in den Programmen selber? Gleichen diese Schwierigkeiten nicht den Problemen, die heute bei der Formulierung von Rechts- und Verwaltungstexten (Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, behördlichen Formularen) auftreten? Hängen diese Probleme damit zusammen, daß in der Technik wie in der Gesellschaft die Beziehungen zwischen Intention und Resultat, Ziel und Nebenwirkungen, immer undurchschaubarer werden? Der Rückzug auf den Positivismus löst das Problem nur subjektiv (er schafft zur unzulänglichen Tat das gute Gewissen), nicht objektiv, er verschärft es nur.
    Heute eine Meldung in der FR: Der Asylantrag eines russischen Offiziers, der sich geweigert hat, am Tschetschenien-Krieg teilzunehmen, und dem in seiner Heimat wegen Desertation die Todesstrafe droht, ist abgelehnt worden. Nach diesem Rechtsverständnis sind Bürger Leibeigene ihres Staates, hat der Staat ein Eigentumsrecht an seinen Bürgern, das ihm ein anderes Land auch im Rahmen des Asylrechts nicht streitig machen darf.
    Kritik des Personbegriffs: Der Personbegriff hat sich erst im Kontext der staatlichen Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern konstituiert; er bezeichnet genau diesen Sachverhalt: die Eigentumsfähigkeit, durch die er in die staatlichen Institutionen eingebunden wird (nur deshalb gibt es juristische Personen, nach Scheler auch Gesamtpersonen). Wenn der Personbegriff (beispielsweise im Kontext der christlichen Mission) auch auf Menschen in nicht staatlich organisierten Gemeinschaften angewandt wurde, war das nicht schon ein erster fundamentaler Akt zur Vorbereitung der kolonialistischen Unterwerfung (ihrer Eingliederung in staatliche Strukturen)? Vor allem aber: Hat nicht die Einführung des Personbegriffs in die (lateinische) Trinitätslehre durch Tertullian der christlichen Theologie die entscheidende Wendung gegeben, durch die sie fähig wurde, zur Legitimationsgrundlage des Römischen Reiches zu werden? Hat nicht die Theologie mit der Rezeption des Personbegriffs sich selbst in die Eigentumsstrukturen verstrickt, die es dem Staat ermöglichten, ein Eigentumsrecht an der Theologie zu erwerben? Mit der Rezeption des Personbegriffs ist der Idee der Heiligung des Gottesnamens der Grund entzogen, ist die Idee des Namens (und damit der Gotteserkenntnis selber) entwurzelt worden, hat die Theologie sich dem Zugriff des Begriffs preisgegeben. Der Personbegriff hat die Kraft des Namens gelöscht.
    Müssen nicht die Tiersymbole der Apokalypse (der Drache, das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande) auch auf die Trinitätslehre bezogen werden (das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache, der falsche Prophet, ist eine offenkundige Parodie des Heiligen Geistes)?
    Drückt in dem Hegelschen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, nicht etwas von der Logik sich aus, die der symbolischen Tierkonstellation in der Apokalypse zugrunde liegt? Wenn die Natur den Begriff nicht halten kann, so ist das eine Folge des Zirkels, in den die Vorstellung, daß die Idee die Natur frei aus sich entläßt, sich verstrickt. Natur und Idee konstituieren sich, indem sie sich gegenseitig ausschließen: Deshalb vermag weder die Idee die Natur aus sich zu entlassen, noch die Natur den Begriff in sich zu halten; beide, Natur und Begriff (oder Idee), sind durch die Urteilsform vermittelt, ihre Geltung reicht soweit wie die Erkenntniskraft des Urteils, unabhängig davon haben sie keine Bedeutung. Kann es sein, daß die zum Drachen hinzutretenden Tiere als symbolische Repräsentanten des Urteils (und damit des Weltbegriffs) sich begreifen lassen?
    Hängt das Buch Hiob mit dem Buch Jona nicht insofern zusammen, als beide nicht auf jüdische, sondern auf Verhältnisse in der Völkerwelt sich beziehen: Der prophetische Auftrag des Jonas ist an Ninive gerichtet, und Hiob war ein Mann aus Uz. (Was bedeutet es, daß Hiob zusammen mit Noah und Daniel bei Ezechiel – 1414+20 – genannt wird?) Im Buch Hiob erscheinen erstmals die beiden Tiere (Behemoth und Leviathan); im Buch Jonas ruft der König auch die Tiere (die Rinder und Schafe) zur Buße auf, und Gott begründet sein Erbarmen gegen Ninive u.a. mit dem Hinweis auf „so viel Vieh“.
    Zu Jona: Hat Tarschisch nicht doch etwas mit Tarsos, dem Geburtsort des Paulus, zu tun?
    Wenn der Fisch etwas mit dem Schiff zu tun hat (die beide durch Umkehrung aufeinander sich beziehen lassen), hat dann auch das Schaffen etwas mit dem Faschismus zu tun (und das bara mit dem arab)?
    Ist der Ismael ein Israel ohne Isaak (ohne die Konstellation von Schrecken, Lachen und Akeda)? – Ist die arabische Schrift eine Sternschrift?
    Erinnert nicht der Hinweis Edgar Morins, daß die Musik dem Film Tiefe, Plastik und Materialität verleiht, an eine Bemerkung Spenglers, daß die Musik in der modernen Welt die Stelle einnimmt, die in der alten Welt die Skulpturen, die Statuen innehatten? War nicht schon das kopernikanische System eine dramatische Konzeption für eine Guckkastenbühne, deren Wände der Fixsternhimmel bildete: Produkt einer Ästhetisierung der Welt? Und hat diese Ästhetisierung nicht im politischen Faschismus, der das Produkt einer Inszenierung und eigentlich ein Film war, sich vollendet? Welche Bedeutung hat dann heute die allgegenwärtige Musik (und was drückt in ihr sich aus)?
    Verweist nicht der kantische Begriff der Erscheinung (vor dem Hintergrund der transzendentalen Ästhetik, die das Reich der Erscheinungen begründet) auf die Ästhetisierung der gesamten Wirklichkeit? Nicht erst die mathematischen Naturwissenschaften, sondern schon ihr Vorläufer, die Orthodoxie, hat die Wahrheit durch das Verhältnis von richtig und falsch ersetzt: Indiz der vollständigen Ästhetisierung der Theologie. Die Orthodoxie war das Produkt der Monologisierung der Theologie, ihrer Subsumtion unter die Logik der Schrift. Sie hat die Theologie gegen das „Heute, wenn ihr Seine Stimme hört“ immunisiert.
    Die Apokalypse ist eine Gesellschaftstheorie; sie gehört zur Geschichte der Logik der Schrift: So wie auch die Passion Jesu, zu der das „damit die Schrift erfüllt werde“ (in dem Gespräch auf dem Weg nach Emmaus und und in der Belehrung des äthiopischen Eunuchen durch Philippus) gehört.
    Ist nicht der Unterschied zwischen dem „et sanabitur anima mea“ im „Domine, non sum dignus“ und seiner deutschen Übersetzung „so wird meine Seele gesund“ der Unterschied ums Ganze? Hier liegt das finstere Geheimnis einer durch die Bekenntnislogik verhexten Erlösungslehre: Das sanabitur verweist aufs Hören des Worts, das Gesunden auf einen magischen Akt. Der Bann wird erst gesprengt, wenn der Gehorsam, den alle Kirchen fordern, durchs Hören gelöst wird.
    Daß Primo Levi, Jean Amery und Paul Celan Selbstmord begangen haben, sagt etwas über den Stand der Prophetie heute.

  • 15.4.1995

    Wenn die Attribute Gottes Attribute des Handelns und nicht des Seins sind, liegt dann nicht die „entsühnende“ Kraft des „Opfers“ in der Identifikation mit einem Gott, der seinen Sohn straft, um die Welt zu entsühnen? Wird hier nicht der eigene Sado-Masochismus durch Vergöttlichung legitimiert? Die Opfertheologie enthält in der Tat eine Schuldgefühle-Neutralisierungs-Automatik; aber deren Resultat ist nicht identisch mit der Befreiung von Schuld. Ist das nicht ein Teil der gleichen Desensibilisierung, der die gesamte Natur durch die Naturwissenschaften unterworfen wurde, durchs Inertialsystem. So verweist der Ursprung des Inertialsystems auf die Geschichte der Opfertheologie.
    Der Heilige Geist: Das ist das Leuchten Seines Angesichts; und dieses Licht wird das Antlitz der Erde erneuern.
    Persönlichkeit in der Verwaltung: Wer „persönlich“ angesprochen wird, wird als einer angesprochen, der am Mana der Macht teilhat. In der Regel werden Chefs „persönlich“ angesprochen; „Mitarbeiter“, die „persönlich“ angesprochen werden, setzen sich dem Verdacht aus, bestechlich zu sein.
    Hat nicht die Einführung des Personbegriffs der Theologie eine Wendung gegeben, durch die sie insgesamt ins Maskuline verhext worden ist. Das drückt bei Tertullian in der Vorstellung sich aus, daß Frauen, wenn sie in den Himmel kommen, dort zu Männern werden. Zum Personbegriff gehört der Bekenntnisbegriff: Confessor aber ist ein dem männlichen Heiligen vorbehaltenes Attribut. Diese Verhexung betrifft insbesondere die Lehre vom Heiligen Geist, dessen Personalisierung die Neutralisierung der prophetischen Tradition zwangsläufig nach sich gezogen hat. Nur so konnte der Heilige Geist zum Garanten kirchlicher Machtansprüche werden. Die Vorstellung, daß der Geist am Ende die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken, ist im Kontext der verdinglichten Trinitätslehre nicht mehr nachvollziehbar. Und das „Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae“ ist gegenstandslos geworden, ebenso wie die Vorstellung, daß in dem Neuen Bund keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen. Die Personalisierung des Heiligen Geistes ist ein Reflex des steinernen Herzens.
    Ist nicht die ecclesia triumphans eine Zwangsvorstellung, ein Produkt wirrer theologischer Machtphantasien?
    Gehört nicht auch zur Ursprungsgeschichte des Neutrums und zur Geschichte der Vergegenständlichung der Zeit der Ursprung des reflexiven Moments (der reflexiven Formen der Konjugation) in der Sprache? Zu den Manifestationen der Reflexion gehört das apologetische Moment, die Rechtfertigung, das Bewußtsein des Selbst, auch der Personbegriff, der Ursprung des Objektbegriffs, in dem die Reflexion sich vergegenständlicht. (Gehören in diesen Zusammenhang im Griechischen der Aorist und das Medium?) Dieses reflexive Moment ist der sprachliche Grund der Verräumlichung der Dinge (der Sprachgrund des Inertialsystems), es hat mit der Neutralisierung der Kraft des Namens die Sprache insgesamt verhext. Die reflexiven Strukturen im Bereich der Verben sind die Grundlage der Begriffsbildung und ein Reflex der Herrschaftsgeschichte. Man begreift die hebräische Sprache und Grammatik erst dann, wenn man ihre Differenz zum Griechischen (zu den indoeuropäischen Sprachen) begreift. Das Subjekt dieser Grammatik ist nicht die Einzelperson (das Subjekt der Psalmen ist nicht die historische Person David, sondern Israel); die Bildung theophorer Personennamen in der israelischen Geschichte hängt damit zusammen (und der blasphemische Charakter des „Ich bin’s“).
    Die reflexiven Formen der Sprache lassen sich vom projektiven Begriff der Erkenntnis (vom Vorrang des Sehens und von der Konstituierung des Wissens) nicht trennen, sie vergegenständlichen die Natur und begründen die Welt (während Gott die Erde gründet und den Himmel aufspannt). Die Sprachlogik des Hebräischen ist dagegen eine Logik des Hörens (und dessen Subjekt ist Israel: Höre Israel).
    Wie verhält sich das reflexive zum symbolische Denken?
    Wenn die Vision mit dem Traum verglichen wird, so darf die Differenz nicht vergessen werden: Die Vision ist ein Taggesicht, der Traum ein Nachtgesicht. Es ist nicht unwichtig zu unterscheiden, wer Visionen und wer Träume hat. Der Prophet hat ein Gesicht, Träume haben die Herrscher. Wie zeigt sich die Beziehung von Gesicht und Traum in der Apokalypse? Und was hat es zu bedeuten, wenn im NT über Träume Weisungen erteilt werden (an Joseph und Petrus)? Wie verhält sich das Gleichnis zum Gesicht, gibt es in der hebräischen Bibel Gleichnisse?
    Bei Gott ist kein Ding unmöglich: Der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, ist eine Anleitung zur Gotteserkenntnis. Das Gebot, das ich im Kontext der Gotteserkenntnis erkenne, wird durch die Frage, ob es erfüllbar ist oder nicht, nicht berührt. Ob die Erfüllung des Gebots möglich ist oder nicht, ist für seinen Anspruch unerheblich. Nicht unerheblich aber ist die Erkenntnis der Kluft, die das Gebot von seiner Erfüllung trennt; sie heißt Gottesfurcht und ist in der Tat der Anfang der Weisheit.
    Ist nicht die Geschichtsschreibung die Finsternis über dem Abgrund (der Vergangenheit): die Austreibung der Gottesfurcht aus der Erkenntnis der Vergangenheit?
    Alles Lebendige strebt nach dem Licht: Aber wenn das an den Blumen sich manifestiert, ist dann nicht unser Auge, das ihre Farben wahrnimmt, ein Teil dieses Lichts, schließt dann nicht das Streben nach dem Licht auch das Streben, von einem Auge gesehen zu werden, mit ein? Die Blume: der Beweis, daß das Aufdecken der Blöße auch mit dem Schein der Unschuld zusammengehen kann. Und verweist nicht das gleichzeitige Auftreten der Blüten und der Säugetiere in der Evolutionsgeschichte auf einen hochsymbolischen Zusammenhang (ähnlich wie das gleichzeitige Auftreten der Bäume und der Primaten)?
    Die darwinsche Evolutionstheorie war sowohl eine Bestätigung als auch eine Widerlegung der Hegelschen Philosophie: die Bestätigung des „organischen“ (am Prinzip der Selbsterhaltung sich orientierenden) Geschichtsverständnisses und die Widerlegung des Satzes, daß die Natur den Begriff nicht halten kann (nach Hegel dürfte es eigentlich keine verschiedenen Arten geben).
    Haben nicht Horkheimer und Adorno durch ihr Wirken in Frankfurt der Nachkriegsgeschichte in Deutschland nur eine Atempause verschafft?

  • 26.3.1995

    Der Name der Erbsünde ist sehr wörtlich zu nehmen: Die Menschen verhalten sich in der Tat so, als hätten sie eine Sünde geerbt, zu der niemand sich zu bekennen wagt. Anders sind die Paranoia und der Rachetrieb, die in Institutionen wie Zucht- und Irrenhäusern (die heute zwar nicht mehr so heißen, es der Funktion nach aber immer noch sind) und Kasernen sich manifestieren, nicht zu erklären. Aber auch der Ursprung der „romantischen“ Liebe, des im Begriff des Subjekt selber verankerten Triebs geliebt zu werden (die Erwartung, durch den Andern erlöst, von der Erbsünde freigesprochen zu werden: eines der Signa der Moderne, struktureller Kern des modernen Dramas), verweist auf diesen Sachverhalt. Die unmittelbaren Repräsentanten dieser Erbsünde sind die subjektiven Formen der Anschauung, die der Barmherzigkeit den Weg zum Objekt versperren: Grund der „kommunikativen“ Selbstbeschränkung (und Selbstzerstörung) der Sprache in der folgenlosen Rede (der folgenlosen „Rede von Gott“). Die Welt ist das Medium, in dem diese Erbsünde sich fortpflanzt (der „Unzuchtsbecher“). Die „Sünde der Welt“ ist nicht „hinweggenommen“, und nur wer sie auf sich nimmt, befreit sich von dieser Last.
    Ist das Wissen der Taumelbecher, die Natur der Kelch des göttlichen Zorns und die Welt der Unzuchtsbecher (und alle drei zusammengehalten durch die „subjektiven Formen der Anschauung“, den Kelch)?
    Hat sich die Frage Rosenzweigs, ob Künstler selig werden können, angesichts einer völlig durchästhetisierten Welt nicht schlicht auf alle ausgedehnt? Aber hat Rosenzweig mit seiner Kritik des All nicht bereits den Grund der Lösung dieser Problems bezeichnet?
    Waldspaziergang (Kritik der deutschen Ideologie): Wenn einer „vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht“, wäre zu fragen, ob es nicht in der Tat wichtiger ist, die Bäume anstatt den Wald zu sehen.
    Gott ist auf keine Weise gegenständlich zu machen. Das drückt sich aus in der Idee des Ewigen, die den Grund der Gegenständlichkeit, die Vergangenheit, von sich ausschließt. Die Objektivation Gottes gehört zu den Ursachen des Kreuzestodes, sie macht die Objektivierenden nachträglich noch zu Tätern. (Der Preis für die Göttlichkeit Jesu war die Vorstellung vom Gottesmord, der dann projektiv auf die Juden verschoben wurde.)
    Wenn die Idee des Absoluten der Schatten ist, den das Subjekt auf Gott wirft, dann hat die Theologie seit den Kirchenvätern in diesem Schatten gestanden. Dieser Schatten wird in den Fundamentalismen heute handgreiflich.
    Verhält sich nicht der Name der Hebräer zu der Logik, zu der der Name der Barbaren gehört, wie das verteidigende zum apologetischen Denken?
    Auch für die Opfertheologie gilt: Barmherzigkeit, nicht Opfer, oder auch: verteidigendes, nicht apologetisches Denken. Die Resultate des apologetisches Denkens gelten ein für allemal (sie gehören zur Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit), die des verteidigenden Denkens sind immer neu (sie eröffnen die Zukunft, die jeden Tag neu beginnt).
    Das katastrophische Moment in der Apokalypse ist als Realsymbol der Kritik des Scheins selber Schein, es ist ein Produkt der Logik der Schrift, die in ihm zugleich sich auflöst (nachzuweisen an der Funktion des Traums und des Engels in der Apokalypse).
    Warum kommt am Ende des Ezechiel nur der Osten und der Norden vor (und zwar beide als Orte des Erscheinens der göttlichen Herrlichkeit)? Und worauf beziehen sich hier der Thron und der Schemel (verbinden sie den Osten mit dem Himmel und den Norden mit der Erde)?
    Die „Buße“ Ninives beginnt beim Volk, geht von da zum König, der dann das Vieh mit einbezieht. Aber im Buch Tobias (das die katholische Kirche in den Kanon mit aufgenommen hat) wird Ninive am Ende doch zerstört. – Ist es nicht der gleiche Fisch, der den Jonas verschlingt und wieder ausspeit, der dann im Buch Tobias gefangen und geschlachtet wird, und aus dem die Mittel gewonnen werden, mit denen Sara vom Dämon Asmodei befreit und Tobias von seiner Blindheit geheilt wird? Zugleich wird das Symbolum eingelöst, und zwar durch den Engel Raphael (nicht Gabriel, der nach islamischer Tradition – und nach der Verkündigungsgeschichte – den Heiligen Geist repräsentiert). War das Vermögen des Tobias nicht in Susa deponiert, dem Ort der Esther-Geschichte? – Kann es sein, daß der apokryphe Teil des Buches Daniel (mit der Susanna-Geschichte) dem gleichen symbollogischen Zusammenhang angehört?
    Haben Sara und Asmodei etwas mit der Maria Magdalena und ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern zu tun?
    Welche Anspielungen und Bezüge stecken in den Namen der Apostel? Gibt es ebenso wie den hellenistischen (Andreas und Philippus) auch einen makkabäischen Bezug (Simon, Judas)? Worauf verweisen Jakobus und Johannes? Welche Väter werden genannt (Simon Barjona, Bartholomäus, Jakobus und Levi, Söhne des Alphäus), welche Mütter (die Mutter der Zebedäussöhne) und welche Schwiegermütter (die des Simon Petrus)?
    War Johannes Scottus Eriugena ein Laie (trägt seine Theologie nicht die Züge einer Laientheologie)?
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist durch die Apokalypse auf die Theologie im Angesicht Gottes bezogen.
    „Als Mann und Weib schuf er sie“: Ist das nicht die Besiegelung des vorhergehenden „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn“? Hat die Geschlechtertrennung etwas mit der Beziehung des Nomen zum Personalpronomen zu tun?
    „Im Schweiße deines Angesichts“: Bezieht sich das auf Gethsemane? Und haben die Dornen und Disteln etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun?
    Unterm Bann der indoeuropäischen Sprachlogik, die das Inertialsystem antizipiert, ist das Symbolum zum Bekenntnis geworden, hat die Bekenntnislogik sich gebildet.
    In welcher Beziehung stehen die Sünde Adams, die Sünde der Welt und die Sünde wider den Heiligen Geist?
    Die Figur des Kleinbürgers, in der nach Walter Benjamin Teufel und arme Seele konvergieren, ist nicht vergangen, sondern mit dem Faschismus universal geworden. Das war der Modernisierungsschub, der ökonomisch abzuleiten wäre. Wäre nicht aus der Logik des Kapitals, aus der gegenwärtigen Entwicklung ihrer Strukturen, sowohl die gegenwärtige Renaissance der Bekenntniskriege (der Weltanschauungs- und Vernichtungskriege) wie auch die eklatante Unfähigkeit der politischen Institutionen, das was hier vor sich geht, zu begreifen und konstruktiv zu bearbeiten, abzuleiten? Hinweis: Ist nicht alle Ökonomie (aufgrund der Währungshoheit der Staaten) Nationalökonomie, die im Außernationalen ihre „Natur“ vor sich hat, die Hegel zufolge den Begriff nicht halten kann, d.h. der staatlichen Herrschaftslogik sich entzieht? Dringen über die Internationalisierung des Marktes Naturverhältnisse in die Ökonomie ein, die zur Machtanarchie keine Alternative mehr zuläßt? (Paradigma: Hat sich nicht das Militär im Golfkrieg und jetzt in der Jugoslawienkrise als ohnmächtig und hilflos erwiesen, und zwar aus strukturellen, mit institutionellen Mitteln nicht zu behebenden Ursachen?)
    In einer Welt, die ohne Rest von den Marktmechanismen, vom Wertgesetz, so durchdrungen wird, daß sie auch die Politik (und ihre Grundlage: eine funktionierende Öffentlichkeit), wie das schwarze Loch jegliche Strahlung, in sich aufsaugen, wird auch die Sprache in den Strudel mit hereingerissen, die allein fähig wäre, das, was hier sich zuträgt, zu begreifen.
    Privatfernsehen: Wenn Information zur Unterhaltung wird, übernimmt Unterhaltung die Rolle der Information (Politiker wissen das; die Konsequenz, die sie daraus ziehen, heißt Imagepflege).
    Kritik der Wissenschaft ist Kritik der Verwaltungswissenschaft, der Versuch, Erkenntnis hinter dem Rücken in eine im Angesicht zu transformieren.
    Unsterblichkeitslehre: Das Präsens ist die Gegenwart unterm Primat der Selbsterhaltung.
    Gerechter Preis/gerechter Lohn: Woher kommt es, daß Europäer die festgelegten Preise in Schaufenstern, Warenlisten, auf Werbeprospekten nicht nur als vorgegeben und feststehend, sondern auch als „gerecht“ anzusehen geneigt sind, während sie in „orientalischen“ Bazaren, in den gehandelt und gefeilscht wird, das Gefühl nicht loswerden, belogen und betrogen zu werden? Liegt nicht in der kapitalistischen Preisgestaltung (entgegen der Theorie, die außer denen, die sie anwenden, niemand ernst zu nehmen scheint, und deren katastrophische Folgen, nämlich im Falle des Konkurses, genau die trifft, denen man sie permanent ausredet: daß der Preis auf dem Markt, durch Angebot und Nachfrage, sich bestimmt) die Suggestion, die Preise seien kalkulatorisch begründbar: Ausdruck der Erstellungskosten? Darin steckt das Bewußtsein, daß erst mit der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip (der differentia specifica des Kapitalismus) für den Preis ein Maß gefunden worden ist, das einer objektiven Überprüfung offensteht. Der Preis entspricht dem „Wert“, und der ist gleiche Weise „objektiv“ wie das Gewicht eines materiellen Dings (dessen Logik in ihm sich reproduziert: Liegt hier, in der Beziehung des Wertgesetzes zur Gravitation, der Grund der logischen Affinität des Staates zur Astronomie?).

  • 25.3.1995

    Kann es sein, daß alle Häresien als gescheiterte Versuche einer Laientheologie sich begreifen lassen, und die Orthodoxie seit ihrem Ursprung als kirchliche Verwaltungslehre? Das hätte zur Folge, daß Theokratie, die unmittelbare Herrschaft Gottes, zwar nicht als politisches, wohl aber als religiöses Konzept sich begreifen läßt, und zwar als das genaue Gegenteil eines fundamentalistischen Konzepts (vgl. Jer 3134 und das Problem der Bekenntnislogik und des Lehramtes)?
    Der Weltbegriff transformiert alle Dinge aus dem Bereich des Angesichts (und der Sprache) in den hinter dem Rücken (den Bereich der subjektiven Formen der Anschauung, in dem man so über die Dinge redet, als wären sie nicht anwesend). Diese Beziehung läßt sich ebenso am Beispiel des Kindes in der Familie wie auch am Verhältnis des Lichts zum System der Erscheinungen, die mit seiner Fortpflanzung im Raum verbunden sind (und auf die das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich bezieht), demonstrieren. – Deshalb ist die Welt alles, was der Fall ist.
    Der Weltbegriff bezeichnet (zusammen mit dem der Natur und des Wissens) das Unkraut, das vor der Ernte nicht ausgerissen werden darf, wenn man den Weizen nicht mit vernichten will.
    Welt und Tod: Zur Todesfurcht am Anfang des Sterns der Erlösung (und zu seiner Erkenntnisfunktion) wäre zu bemerken, daß diese Todesfurcht an der Erfahrung des Tods der Andern sich entzündet; am Sterben der Andern erfahren wir, daß wir sterblich sind. Diese Konstellation fließt mit ein in den Ursprung der Philosophie, die das auf den Tod der Andern bezogene Moment im Begriff des Todes verdrängt, wenn sie es im Urteil zur (sic, B.H.) die Sterblichkeit aller objektiviert (erst Heidegger hat das Geheimnis ausgeplaudert: in dem Wort vom „Vorlaufen in den je eigenen Tod“, das das Konstrukt der „Eigentlichkeit“ – das „heroische“ Moment in ihm – begründet). Hier wird die Barmherzigkeit aus der Philosophie hinauskomplimentiert und die Philosophie zur Selbstbegründung des Herrendenkens.

  • 3.2.1995

    Das Präsens bezieht sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf die erinnerte Vergangenheit. Diese erinnerte Vergangenheit ist der Boden, aus dem das Neutrum erwächst. Das tode ti ist das philosophische Äquivalent des Präsens: der Vorhang vor der Erkenntnis der Gegenwart.
    Die Geistverlassenheit der Kirche läßt sich an der wachsenden Konfliktunfähigkeit in der Kirche demonstrieren und nachweisen. Damit hängt es zusammen, wenn es – von einem bestimmbaren Zeitpunkt an – keine erkennbare Freiheitsperspektive in der Kirche mehr gibt.
    Die Welt ist der institutionalisierte Rechtfertigungszwang, als deren Subjekt der Staat sich begreift. Nur durch die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt kann man sich daraus befreien.
    Der naturwissenschaftliche Massenbegriff steht in einer dreifachen Reflexions- und Äquivalenzbeziehung:
    – als träge Masse (bezogen auf den mechanischen Stoß),
    – als schwere Masse (in der Beziehung äußerlich getrennter, wechselseitig sich attrahierender Massen, im Bereich des Gravitationsgesetzes) und
    – als Energie (durch die relativistische Äquivalenz von Masse und Energie).
    Verweist nicht die Äquivalenzbeziehung von Masse und Energie auf den gesellschaftlichen Zusammenhang von Reichtum und Armut („Energie“-Erzeugung durch Proletarisierung) und deren Institutionalisierung in der Geschichte der Banken (der Arbeitsstätte des Geldes)?
    Hat Hegels „Arbeit des Begriffs“ etwas mit der Geschichte der Banken zu tun?
    War nicht der „ungerechte Verwalter“ aus dem jesuanischen Gleichnis ein frühes Modell des späteren Managers, spätkapitalistisches Realsymbol der vergesellschafteten (und proletarisierten) Herrschaft? Auch der Manager ist heute ein proletarisierter Lohnabhängiger. Herrschaft gründet heute nicht mehr in gleichsam substantiellen Eigentumsverhältnissen, sondern in funktionalisierten Organisations- und Verwaltungsstrukturen, denen zwar immer noch Eigentumsverhältnisse zugrunde liegen, die aber weitestgehend polarisierten und atomisierten Eigentumsverhältnissen geworden sind (zusammengehalten nur durchs Finanzsystem der Banken).
    Krankt der Vulgärmaterialismus (neben dem es einen andern nicht mehr zu geben scheint) nicht daran, daß er immer noch von einem längst obsolet gewordenen Eigentumsbegriff ausgeht (und von einem personalistischen Begriff des Klassenkampfs)?
    Erst wer im Problem des Eigentums das Problem der Materie wiedererkennt, wird den Zusammenhang von Ökonomie und Physik begreifen. Im Materiebegriff der traditionellen Metaphysik spiegelt sich deren Abhängigkeit von den Strukturen der Eigentumsgesellschaft. Die Durchdringung der Objektivität mit dem Tauschprinzip (oder die Entfaltung der Herrschaft des Tauschprinzips) hängt mit der Durchdringung der Objektivität mit dem Trägheitsgesetz (mit der Entfaltung der Herrschaft des Inertialsystems) zusammen.
    Arbeiten nicht die Förderung der Weltraumforschung und der Kernforschung (der kapitalintensivsten Forschungsbereiche) nur gleichsam aus Alibigründen an sachlichen, inhaltlichen Problemen, während ihr Hauptaufgabe die der Legitimation des Bestehenden ist?
    Enthält nicht die Bibel selber den Hinweis, daß die Frage, weshalb Jesus sterben mußte, erst beantwortet werden wird, wenn die Bedeutung der Austreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel begriffen wird (was erst möglich ist im Kontext der Erkenntnis der Bedeutung der Geschichte der Banken)?
    Die Befreiung des Erkennens vom Bann des Wissens: Gründen nicht die prophetischen und die apokalyptischen Visionen darin, daß sie den Zusammenhang von Sehen, Wissen und Erkennen aufsprengen (das Wort: da gingen ihnen die Augen auf, rückgängig machen)? Bleibt von den drei eschatologischen Motiven (Unsterblichkeit der Seele, selige Anschauung Gottes und Auferstehung der Toten) am Ende nicht doch nur die Auferstehung der Toten? Die selige Anschauung Gottes liegt jenseits (in der „Gegenrichtung“) dessen, was sonst Anschauung heißt: nach dem Lösen der sieben Siegel.
    Läßt sich aus der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern schließen, daß sie die einzige gewesen ist, die Jesus von Angesicht zu Angesicht gesehen hat, während der Kirche die dreifache Leugnung, und mit der dritten Leugnung die Selbstverfluchung, vorhergesagt ist? Die Idee der Erfüllung der Schrift ist von der der Erfüllung des Wortes in der Tat durch eine Todesgrenze getrennt (so wie das Angesicht vom Angesicht.
    Beschreibt nicht der Satz vom Stein, den die Bauleute verworfen haben (und der dann zum Eckstein geworden ist), im Nachhinein einen objektiven, gegen jedes moralische Urteil abgeschirmten Sachverhalt?
    Die memoria passionis gewinnt ihre theologische Bedeutung durch ihre das Herrendenken auflösende Kraft. Aber hat nicht die Theologie auch die memoria passionis noch im Interesse der Selbstlegitimation von Herrschaft instrumentalisiert: als Opfertheologie, die dann ihre logische Begründung in der Bekenntnislogik gefunden hat? Die Opfertheologie war in der Zeit vor der Bekenntnislogik, diese jedoch logisch vor der Opfertheologie. Die Opfertheologie war gleichsam der Quellpunkt der Bekenntnislogik, und diese der Quellpunkt der modernen Naturwissenschaften. Der naturwissenschaftliche Objektbegriff gründet in der Opfertheologie; für beide gilt: Barmherzigkeit, nicht Opfer.
    Ist nicht das Inertialsystem der „Witwenschleier der Natur“, der Materie, die die Mutter von allem ist?
    Die Sexualmoral ist die Unzucht, deren Bewußtsein sie durch projektive Verarbeitung zu verdrängen, zu tilgen versucht. Deshalb ist sie zum Generator des Fundamentalismus (den es nur in den drei Buchreligionen gibt) geworden.
    Die Rosenzweigsche Sprengung des All läßt sich daran demonstrieren, daß in der Moral zwischen der Richtschnur des Handelns und des Maßstab des Urteils unterschieden werden muß. Beide lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Das hat seinen Grund in der Nichtobjektivierbarkeit des Subjekts, in der Asymmetrie von Ich und Du. Die Leugnung (oder Verkennung) dieser Asymmetrie macht das befreiende Gebot zum verknechtenden Gesetz.
    Ist nicht das Nichtwissen, das dann als das Nichtwissen der drei getrennten Elemente Gott Mensch Welt sich erweist, selber noch begründbar und ableitbar? Und zwar ableitbar aus einer Logik, die zugleich als die Logik eines der drei Elemente sich erweist: als Logik der Welt?
    Sind nicht die drei kantischen Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt durch die subjektive Form der inneren Anschauung, durch die Zeit, an die Vergangenheit gebunden? Ist das nicht die Fessel, von der unser Erkenntnisvermögen sich nicht befreien kann? Und ist der Ursprungspunkt dieser Fessel nicht aufs genaueste bezeichnet in dem biblischen Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren?
    Wer die Moral nur aufs Handeln, und nicht schon aufs Erkennen bezieht, wer an einem neutralen Erkenntnisbegriff glaubt festhalten zu können, wird den Ursprungspunkt der Moral nie begreifen. Die Ontologie ist eine Moralvernichtungsmaschine.
    Haben die vier Grundfarben etwas mit den vier Himmelrichtungen zu tun: Weiß (Gelb) und Schwarz (Blau), Rot und Grün? Und ist nicht der Bogen in den Wolken die Bestandsgarantie der Welt?
    Hat die Finsternis über dem Abgrund etwas mit der Tier aus dem Abgrund zu tun?
    Ist nicht das Blau die Rückseite des Lichts, und sind Rot und Grün das Innen und Außen der Dinge? Gibt es eine biblische Farbenlehre?
    Hängt die Farbenblindheit, die Unfähigkeit, Rot und Grün zu unterscheiden, mit der Unfähgigkeit, das Innere und Äußere der Dinge zu unterscheiden, zusammen?

  • 4.12.1994

    Zur Kritik des Sollens: Wer sieht, daß ein Kind in einen Brunnen fällt, handelt, ohne sich in einer Ethik (in einer „Gewissensentscheidung“) rückzuversichern. Sein Handeln ist spontan, weil notwendig: Er holt das Kind heraus. Ein Sollen würde erst entstehen, wenn dieses Handeln (unterm Rechtfertigungszwang) nicht mehr das Normale, sondern durch Reflexion erst zu begründen wäre: Aber ist dieses Nicht-mehr-Normale, wenn man heute auf die Knäste, die Asylpraxis, den Zustand der sogenannten Dritten Welt sieht, nicht mittlerweile das Normale: Brennt nicht die Welt, während wir den Schrei der Verbrennenden als Unterhaltung genießen? Das ist gemeint, wenn nach Levinas die Attribute Gottes im Imperativ und nicht im Indikativ stehen. Die prima philosophia ist nicht die Ontologie, sondern die Ethik (und nur so, nicht als zweite Disziplin der Philosophie ist die Ethik noch zu begründen).
    Die Form des Raumes (die sich in den grammatischen Strukturen der indoeuropäische Sprachen vorbereitet und ankündigt) trennt die Logik der Schrift von der Sprache. Deshalb wurde das Licht durchs Wort erschaffen.
    Mit dem Präfix be- gebildete Verben haben im Passiv und im Perfekt die gleiche Form; die Perfektbildung mit ge- entfällt. Begründet das be- den passivisch-perfektiven Objektstatus, ein durchs Haben (durch den im Haben begründeten Zwang) bestimmtes Sein, und seine Vorform das griechischen sym-/syn bzw. des lateinischen con-/cum (vgl. symbolum, confessio, Bekenntnis)? Ist das be- der sprachliche Reflex eines durchs Tauschprinzip definierten Eigentumsverhältnisses (des Staates)?
    Zur Geschichte der Banken wäre der Hinweis wichtig, daß
    – der Modernisierungsschub in der politischen Ökonomie, aus dem auch der Faschismus abzuleiten wäre, sich auf eine merkwürdige Weise widerspiegelt in der Geschichte des Positivismus (von Mach zum Wiener Kreis) und ihrer Affinität zum Ursprung des Neoliberalismus (Hinkelammert, Popper);
    – es ist die gleiche Geschichte, in der der Staat immer mehr seiner Funktionen abgibt an politisch nicht mehr zu kontrollierende Instanzen (Bundesbank, Bundesverfassungsgericht, Europäische Gemeinschaft), parallel dazu immer größere Teile seiner Aufgaben privatisiert;
    – mit der Ausweitung der Funktionen des Marktes (mit den Banken als Clearingstellen) degeneriert Politik zusehends zum Wechselspiel von Privatwirtschaft und Verwaltung, während die Regierung immer deutlicher auf die auf die immer weniger zu erfüllende Funktion der Erhaltung und Garantie des Privateigentums zusammenschrumpft (mit einem Militärapparat, der die einfachsten Funktionen nicht mehr zu erfüllen in der Lage ist – vgl. den Golfkrieg, den Somalia-Einsatz und den Jugoslawien-Krieg mit dem Vietnam-Krieg -, und einer zusehends von innen sich kriminalisierenden Polizei).
    Hat der Abbau der Sozialleistungen (die „Verschlankung des Staates“ im Kontext der Privatisierung seiner Aufgaben und der Delegation von Regierungsaufgaben an „autonome“, d.h. nur dem Gesetz der Eigentumserhaltung, dem Wertgesetz des Marktes, verpflichtete Institutionen) etwas mit dem Problem der Energieerzeugung zu tun, mit der Senkung der Lohnkosten und der Steigerung der Energieausbeute (Ausbeute und Ausbeutung)?
    Poppers Konzept der wissenschaftlichen Erkenntnis, die aus Hypothesen hervorgeht, die sich im strengen Sinne nicht verifizieren lassen und nur so lange gelten, wie sie nicht falsifiziert (empirisch widerlegt) worden sind, orientiert sich am Modell der freien Marktwirtschaft, in der das Ergebnis des wirtschaftlichen Handelns sich auch nicht antizipieren (höchstens durch begleitende Strategien bis zu einem gewissen Grade absichern) läßt: Über das Ergebnis entscheidet letztendlich – wie in der empirischen Naturwissenschaft das Experiment – der Erfolg oder Mißerfolg am Markt. Der Neoliberalismus ist der Versuch, das Äquivalenzsystem der Naturwissenschaften auf die Ökonomie zu übertragen.

  • 3.11.1994

    Wer den Begriff abschaffen will, muß die Verwaltung, das Recht und das Geld abschaffen.
    Ist nicht der theologische Indikativ (der die Attribute Gottes zu Attributen des Seins macht) blasphemisch? Und ist nicht das Wort „Der Vater und ich sind eins“ nur ein anderer Ausdruck für die ethische Beziehung beider, keine Wesensaussage (kein Beleg für eine homousia)?
    Der Nominalismus ist Ausdruck des Todes und der Grablegung des Logos.
    Haben die sieben Gemeinden in Asien (in der Apokalypse des Johannes) etwas mit dem gordischen Knoten zu tun? Dem, der diesen Knoten löst, war durch ein Orakel bestimmt, über Asien zu herrschen. Der gordische Knoten war der Knoten, der das Joch mit der Deichsel eines Ochsenkarrens verband. Hat die Deichsel des Karrens etwas mit dem Esel zu tun, und bezieht sich die Dt-Stelle über das Rind und den Esel auf den gordischen Knoten?
    Hängt nicht die Geschichte vom Rind und Esel mit der Urteilsform zusammen: Das Urteil ist das gemeinsame Pflügen. Im Urteil werden Ochs und Esel gemeinsam vor den Pflug gespannt.
    Verweist nicht der zunehmende Gebrauch des Wortes Gehirn, während Begriffe wie Geist und Vernunft beginnen, ihren Bedeutungshorizont zu verlieren, auf eine rasante Verwilderung der Sprache?
    Stand die Kriegsseife und das Gerücht, das im letzten Krieg damit sich verband, nicht in symbolischem Zusammenhang mit der exkulpierenden („reinigenden“) Funktion des Antisemitismus?
    Sind die Sphingen, die die toten Könige in den Pyramiden bewachen, nicht eigentlich die Cherubim, die das Paradies (und seine in den Königen real gegenwärtige Vergangenheit) bewachen? Sind die Könige nicht Repräsentanten des verlorenen Paradieses, und hängt es damit zusammen, wenn es mit den Pyramiden auch eine astronomische und kosmologische Bewandnis hat?
    Hegel hat die Philosophie als Ausdruck der Geschichte begriffen. Die Rekonstruktion der Erkenntniskritik wäre demnach (als Geschichtskritik) auch auf die Geschichte zu beziehen: als Erinnerungsarbeit.
    Die Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird, bezeichnet aufs genaueste den Knoten, der, wenn er auf Erden gelöst wird, auch im Himmel gelöst sein wird: Die Sünde wider den Heiligen Geist ist die Sünde der Welt.
    Das Theodizeeproblem wird gegenstandslos, wenn man begreift, daß die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern des Handelns sind.
    Das Wort ist deshalb in der Schrift fast unauffindbar geworden, weil die Sprache nach der Verinnerlichung des Schicksals und dann der Scham (den Folgen der Logik der Schrift) sich selbst nicht mehr begreift.
    Zu Schicksal und Scham: Die Griechen haben die Barbaren erfunden, wir haben die Wilden erfunden.
    Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen: Aber heute ist jedes Haus ein Sklavenhaus.

  • 15.9.1994

    Carl Schmitt, der Weltbegriff, die Bekenntnislogik und der Begriff der politischen Theologie.
    Die politische Theologie ist das Objekt der vorletzten Bitte des Herrengebets: et ne nos inducas in tentationem.
    Der Caesarismus ist die logische Konsequenz der Philosophie (des Weltbegriffs). Er gründet im Problem der Souveränität: er ist ein Versuch, das Problem des politischen Handelns unter den Bedingungen der Ontologie zu lösen; dieser Versuch mündet zwangsläufig im Dezisionismus.
    Ist nicht das, was wir heute den Rechtsstaat nennen, die Verlagerung des Problems der Souveränität in die Verwaltung, in die Person des Richters (vgl. die Entwicklung zur Politisierung des Bundesverfassungsgerichts) und in die Institutionen staatlicher Gewalt (Milität und Polizei)? Insgesamt scheint es nur noch um die Destruktion der Verantwortung zu gehen. So läßt sich der heutige Stand des Problems der Souveränität am Anwachsen der Verwaltung, an der wachsenden Stummheit der Politik und an der generellen Tendenzen zu Militärdiktatur und Polizeistaat ablesen. Vgl. hierzu Carl Schmitt, Politische Theologie, S. 37: „Daß es die zuständige Stelle war, die eine Entscheidung fällt, macht die Entscheidung relativ, unter Umständen auch absolut, unabhängig von der Richtigkeit ihres Inhalts und schneidet die weitere Diskussion darüber, ob noch Zweifel bestehen können, ab.“
    Carl Schmitt zieht die politischen Konsequenzen daraus, daß die Kirche spätestens seit der Privatisierung der Sexualmoral die Erbsünde unter das Schuldverschubsystem subsumiert hat.
    Joh 1915: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“ Dieser Satz der Hohepriester vor Pilatus ist ein Schlüsselsatz zum Verständnis des Johannes-Evangeliums; außer dem „Antijudaismus“ des Johannes-Evangeliums begründet er, weshalb die Sadduzäer nicht an die Auferstehung glaubten. Im unmittelbaren Anschluß an diesen Satz heißt es: „Darauf lieferte er (Pilatus) ihn an sie aus, damit er gekreuzigt würde.“

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