Sind nicht die Sakramente insgesamt eine Versiegelung der Umkehr durch Ritualisierung, und dadurch Instrumente der Bekehrung?
Z. 1124: Es trifft zu, „die Kirche glaubt so, wie sie betet“, aber welche Konsequenzen ergeben sich, wenn das dann gleich auf die Liturgie bezogen wird?
Kritik der „concupiscencia“: dieser Begriff ist ein Produkt des Weltbegriffs, vermittelt durchs Schuldverschubsystem, dem Gesetz der Projektion unterworfen. Die Kirche hat das selige Leben geleugnet, indem sie es zum Objekt der Konkupiszenz gemacht hat.
Das Modell, nach dem die „Sünde“ als „Trennung von Gott“ vorgestellt wird, ist das autoritäre von Ungehorsam und Liebesentzug.
Gehört nicht der Satz Luk 2218: „Von jetzt an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt“, zu dem „Sitzet zur Rechten des Vaters“ (zur Seite der Barmherzigkeit, des Brotes)?
Z. 1426: Der Ausdruck „im Kampf des christlichen Lebens bewähren“ klingt nach Konkurrenzkampf (dem ökonomischen Pendant des Inertialsystems). Dieses Wort ist ein Stück Islamisierung („heiliger Krieg“).
Dem Text über Buße und Versöhnung (vgl. ab Z. 1440) scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, daß die ganze Welt verworfen und der Katastrophe anheimgegeben ist; ausgenommen sind nur die, die sich der Kirche unterwerfen, sich mit ihr versöhnen. Hier liegt der logische Grund, der ihn verständlich zu machen scheint.
Vergessen wird, daß Gott (und, wenn sie ernst genommen wird, die Kirche, die sich daran messen lassen muß) der Anwalt der Armen, der Fremden, der Unterdrückten und der Benachteiligten ist.
Z. 1462: „Die Vergebung der Sünden versöhnt mit Gott, aber auch mit der Kirche“. Hier wird’s blasphemisch: hier ersetzen Gott und die Kirche das Selbst. Wahr wäre der Satz nur, wenn in der Versöhnung mit Gott und der Kirche als ihr logischer wie realer Grund die reale Versöhnung mit den Opfern und den Armen mit verstanden wird.
Z. 1496: Die Aufzählung der „geistlichen Wirkungen“ des Bußsakraments (auch die der anderen Sakramente) gleichen nicht zufällig Anleitungen zu technischen Geräten (und wirft im übrigen die gleichen Sprachprobleme auf).
„Die Weihe und die Ehe sind auf das Heil der anderen hingeordnet“ (Z. 1534): Heißt das, daß die anderen Sakramente nur auf das eigenen Heil hingeordnet sind? (Zuständigkeits- und Kompetenzregelungen, die zu dieser Art Verwaltungsdenken dazugehören)
„Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“: Durch die Opfertheologie hat sich die Kirche auf die Seite der Täter gestellt; und seitdem gilt dieser Satz auch für sie.
Beachte den Gebrauch des Naturbegriffs, der nicht zufällig vorzugsweise im Bereich Ehe und Sittlichkeit erscheint.
Ab Z. 1700 („Die Würde des Menschen“) könnte man jeden einzelnen Abschnitt auseinandernehmen; da stimmt kein einziger Satz.
Z. 1741: Neben dem unreflektierter Gebrauch der Wendung „Sein glorreiches Kreuz“ eine Verwendung eines Zitats aus Röm 821 von der „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“, deren wir uns, nach den Worten dieses Katechismus, angeblich „jetzt schon rühmen“. Heißt das, daß die „ganze Kreatur“ nicht mehr „seufzt und in Wehen liegt“, daß sie nicht mehr „auf die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes harrt“ (da sie schon eingetreten und die Welt schon „entsühnt“ ist)? In der gleichen Zeit, als in Auschwitz die Juden umgebracht wurden, wurde in deutschen Kirchen das Lied gesungen „Mein Gott, wie schön ist deine Welt“.
Nach Z. 1749 können „die eigentlich menschlichen … Handlungen … sittlich bewertet werden. Sie sind entweder gut oder böse.“ Das ist die theologische Grundlegung des Geschwätzes (vgl. Walter Benjamin: Über die Sprache). S. dazu Z. 1850: „Die Sünde … ein Ungehorsam, eine Auflehnung gegen Gott durch den Willen wie Gott zu werden und dadurch Gut und Böse zu erkennen“, was dann noch durch ein unbiblisches „und zu bestimmen“ (und anschließendem Hinweis auf Gen 35, wo dieser Zusatz nicht steht) ergänzt wird (hier werden Spuren verwischt).
Wenn irgendwo das Unerlöste dieser Texte mit Händen sich greifen ließe, dann in den Auslassungen über die „Leidenschaften“ (die als „Durchgangs- und Nahtstellen zwischen dem sinnenhaften und dem geistigen Leben“ beschrieben werden – Z. 1764). „Unser Herr bezeichnet das Herz des Menschen als die Quelle, aus der die Regungen der Leidenschaften hervorgehen.“ Welches Herz? S. Ez 1119. – Vgl. 1763/64. In 1765 wird eine Definition der Liebe gegeben, die sie neutralisiert und ausschließt. Dieser Begriff der Liebe kennt – wie die Theologie dieses Katechismus – zum Prinzip der Selbsterhaltung: zum Egoismus keine Alternative. Der Naturbegriff ist das Grab der abgestorbenen Liebe. (Adorno: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist.)
Die Vorstellung (1767), daß die Leidenschaften „durch die Vernunft geregelt werden“, erinnert nur noch an die Straßenverkehrsordnung, aber nicht mehr an den Zustand der Erlösung, der damit beschrieben werden soll.
Solange die Kirche selber die Umkehr, die Erinnerungsarbeit und das Schuldbekenntnis verweigert, fesselt sie sich selbst und wird zu dem Mann, dessen Haus ausgeplündert wird (Mk 329, dort auch der Zusammenhang mit der Sünde wider den Heiligen Geist).
Z. 1851: Hier ist das ganze antijudaistische Arsenal beisammen („Unglaube, mörderischer Haß, Verstoßung und Verspottung durch die Führer und das Volk, Feigheit des Pilatus und Grausamkeit der Soldaten“), zusammen mit der Historisierung der Verleugnung Petri („Verleugnung durch Petrus und Flucht der Jünger“).
Sünde und Schwerkraft: „Die Sünden sind nach ihrer Schwere zu beurteilen.“ (Z. 1854)
Der Katechismus ist ein Zeichen der ungeheuren Verwirrung, der die Kirche verfallen ist; er wird zusammengehalten eigentlich nur durch jene Paranoia, die nach dem 2. Vaticanum aus Furcht, die Dämme würden brechen, das Handeln zunehmend bestimmt. Er ist ein letzter Hinweis darauf, daß eine politische Theologie nur mit Joh 129 noch zu begründen ist.
Die Hypostasen des Bösen:
– Satan, der Ankläger: der Raum,
– der Dämon, der Zuteiler: das Geld,
– der Teufel, der Verwirrer: das Bekenntnis.
Sind das nicht die „Sünden der Welt“, und richten sich dagegen nicht die drei evangelischen Räte:
– gegen den Raum: der Gehorsam, das Hören,
– gegen das Geld: die Armut und
– gegen das verdinglichte Bekenntnis: die Keuschheit.
Wider die creatio mundi ex nihilo: auch der Himmel, und in seiner säkularisierten Gestalt die Idee der richtigen Gesellschaft, ist ein Teil der Schöpfung, nicht aber der Staat, der in die Ordnung des Sündenfalls gehört, ebenso wie der Weltbegriff, der Naturbegriff, der Begriff der Materie und der des Fremden.
Die in den Evangelien genannte Nüchternheit richtet sich gegen die Trunkenheit und den Taumelkelch, gegen das Herrendenken: Brüder seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. (1 Petr 58)
Verwaltung
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21.05.93
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19.05.93
Wie man, ohne zu erröten, den Satz niederschreiben kann (Z. 801) „Kein Charisma enthebt der Pflicht, die Hirten der Kirche zu ehren und ihnen zu gehorchen“ ist mir ein Rätsel. Hierzu wäre nur an Mt 1623 („Weiche von mir, Satan“) zu erinnern, aber auch an das Wort „Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen“ und an die Geschichte von den drei Leugnungen.
Ist nicht die Sprache des Katechismus eine Herrensprache, aber eine, die ihre Autoren selber nicht mehr verstehen, und von der sie auch nicht erwarten, daß andere sie verstehen (sie wünschen es nicht einmal); sie hoffen nur, daß sie auf die Leser Eindruck macht.
Durch den Begriff des „Prophetenamts“ wird die Prophetie zu einer Sache der Hierarchie und Verwaltung, die, wenn sie eine Beziehung dazu hätte, höchstens als Objekt der Prophetie sich begreifen ließe.
„Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet?“ (Mt 79f) Aber die Kirche gibt ihren Gläubigen diesen Katechismus!
Wenn die Kirche der Leib Christi ist, dann der Sprachleib, der sich mit der Fähigkeit der Schuldreflexion bildet. Die Kirche lebt allein aus der Kraft der benennenden Sprache, die sie verschleudert hat.
Der Akt der Selbstverfluchung ist einer, in dem nicht die Kirche auf sich selbst sich bezieht (das wäre ein Akt, der die Welt nichts angeht), sondern in der Beziehung von Kirche und Welt sich konstituiert: er ist das Produkt der Verstrickung und der Identifikation der Kirche mit der Welt. Die Kirche ist in der Tat das sprachliche Herz der Welt, aber das versteinerte. Es geht nicht um die Rettung der Kirche, sondern um die der Welt. Abgestiegen zur Unterwelt, aber die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.
Ist nicht das Dogma der Kelch, von dem Er gewünscht und erhofft hatte, er möge an ihm vorübergehen?
Liegt die Differenz zwischen dem Kelch des Herrn und dem der Dämonen in dem Moment der Reflexion? Der Kelch des Herrn ist der Wein, der zu Blut wird: die Prophetie; er wird zum Kelch der Dämonen durch die Verblendung: durch das fehlende Bewußtsein, daß es der Zornes- und Taumelkelch ist: der Kelch der Dämonen ist die Philosophie (die nur durch das Bewußtsein ihrer selbst zur Prophetie wird).
Der Weltbegriff ist durch seine Bindung an die Mathematik ein dezisionistischer Begriff (Konsequenzen für die Erkenntnis der Genesis des Nationalismus und der modernen Astronomie).
Der bestimmte Artikel zerstört die benennende Kraft der Sprache. Er verwandelt jeden Namen in einen Begriff, nachweisbar an der Redewendung „Wir Deutschen“, die korrekt „Wir Deutsche“ lauten müßte, in der gebräuchlichen Fassung aber Ausdruck der Selbstobjektivierung ist, in seiner vollständigen Fassung „Wir, die Deutschen“ heißen müßte und eigentlich der genaueste Ausdruck des pathologischen Selbstverständnisses ist, das in der deutschen Variante der Schicksalsidee und des Volksbegriff sich manifestiert.
Ist nicht der bestimmte Artikel Ausdruck einer Form der Beziehung zur Objektivität, die als Vorläufer (und Statthalter) des Fernsehens in der Sprache sich begreifen läßt? Wird die Sprache nicht durch die dem bestimmten Artikel zugrundeliegende Sprachlogik in eine Beziehung zur Objektivität gerückt, die den Naturwissenschaften und deren Vulgarisationsformen, insbesondere dem Fernsehen, entspricht? Das heißt: Die Existenz des Fernsehens ist auch ein sprachlicher Sachverhalt: die Leugnung der Wurzel.
Daß die Nomina im Deutschen großgeschrieben werden, hängt mit der Funktion und dem Stellenwert des bestimmten Artikels in der deutschen Sprache zusammen.
Bemerkenswert die Beziehung der bestimmten Artikel zu den Personalpronomina: Dem „der, die, das“ liegen offensichtlich die Personalpronomina 3. Pers. sing.: „er, sie, es“ zugrunde. Zugleich sind die bestimmten Artikel im Deutschen die Ausdrucksträger der Deklination, mit charakteristischen Varianten in den genera:
– Basis ist offensichtlich der allein vollständig durchdeklinierten männliche Artikel (der, des, dem, den),
– von dem der Artikel des Neutrums abgeleitet ist (mit der Identität von Nominativ und Akkusativ),
– während im Femininum neben der Identität von Nominativ und Akkusativ zusätzlich die fehlende Unterscheidung von Genitiv und Dativ auffällt, für die dann auch noch der männliche Artikel des Nominativ (der) eintritt.
Der durchdeklinierte feminine Artikel ist zugleich der für alle geltende Artikel des Plural (ähnlich übrigens wie das Personalpronomen der 3. Pers. plur. identisch ist mit dem der 3. Per. sing. fem.). Gibt es zu der darin sich ausdrückenden Sprachlogik eine Entsprechung in anderen Sprachen?
Ist nicht das Heideggersche Dasein eine Emanation des bestimmten Artikels (und dieser das letzte stumme Helden-Denkmal der Weltgeschichte der Sprachverwirrung: des Zerfalls der benennenden Kraft der Sprache)?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch des bestimmten Artikels im Deutschen und der Form der Anrede von erwachsenen Personen durch die 3. Pers. plur. („Sie“)? Sind Großschreibung und Plural Majestatis nicht Stationen in der Geschichte der Herrschaft und des Weltbegriffs?
Sind Talar und Ornat Feigenblatt oder Tierfell (oder der Strauch, hinter dem Adam sich versteckte)? Aber auf jedenfall etwas, hinter dem die Person sich verbergen kann, mit dem sie ihre Blöße bedeckt.
Heute besteht die Gefahr, daß die Natur siegt, daß die Vergangenheit die Zukunft verschlingt. Dagegen steht nur das Wort: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.
Der Katechismus ist ein entsetzlicher Ausdruck der Desensibilisierung, der Unfähigkeit, Erfahrungen zu machen: Dieser Autismus ist ein Produkt des Rechtfertigungszwanges, in den die Kirche mit der Rezeption des Weltbegriffs sich verstrickt hat.
Johannes Eriugena hat einmal anhand der Geschichte vom Feigenblatt nach dem Sündenfall auf den unterschiedlichen Gebrauch der Schrift hingewiesen: den produktiven, fruchtbringenden im Kontext der Suche nach Gerechtigkeit, der Gottesfurcht und des Gottsuchens, und den, der die Schrift als Feigenblatt mißbraucht, um die eigene Blöße damit zu bedecken: den vom Rechtfertigungszwang determinierten Gebrauch. Ist etwa die Kirche der Feigenbaum, der keine Frucht mehr bringt (Mt 2119ff)?
Sind nicht die Röcke aus Tierfell, die Gott den ersten Menschen nach dem Sündenfall gab, sowohl ein Mittel zur Bedeckung der Scham als auch Ausdruck der Scham: das Substrat der Herrschaftsgeschichte? Gehört in diesen Zusammenhang auch die Geschichte vom Rock, der ohne Naht war (Joh 1923f), und über den die Soldaten das Los geworfen haben.
Die Geschichte der Beziehung von Öffentlichkeit und Privatsphäre ist ein Teil der Geschichte der Scham. Die Fixierung der Medien aufs Aufdecken der Blöße hängt zusammen mit dem Satz: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Geht es nicht bei der Verlosung des Rockes um diese Nacktheit (und ihren Zusammenhang mit dem Tod)? Frage: Würden es die Kirche und würden es die Gläubigen ertragen, wenn der Gekreuzigte ohne Lendenschurz dargestellt würde? Hängt nicht das Knechts-und Sklavensymbol der Tradition auch mit dieser Aufdeckung der Blöße zusammen? Ist der Kreuzestod nicht u.a. auch die Antwort auf das Aufdecken der Blöße des andern: die Fähigkeit, mit dem Aufdecken der eigenen Blöße rational umzugehen, die letzte Konsequenz aus der Übernahme der Sünden der Welt. Liegt hier nicht der einzige befreiende Gebrauch des Bekenntnisbegriffs: daß der Schuldzusammenhang zerrissen wird durch das Bekenntnis „ich war’s“.
Dadurch, daß ich ohne mein eigenes Zutun in den Schuldzusammenhang der Welt, in die ich hineingeboren werde, deren Tradition, deren Sprache und Institutionen ich durch meine Existenz mittrage, verstrickt werde, bin ich Mittäter der Sünde Adams. Das ist die Begründung der Notwendigkeit von Erinnerungsarbeit. Ich kann mich klein machen und die Last der Vergangenheit auf die Erben abwälzen; so haben’s alle getan. Aber bin ich damit entschuldigt?
Zur Verstrickung der Kirche in den historischen Prozeß und zu den drei Leugnungen: „Amen, Amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde. Nach diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!“ (Joh 2118f)
Die Sexualmoral ist die Unzucht, die sie vorgibt zu verurteilen.
Zum Katechismus: Hier erkennt die Kirche den Balken im eigenen nur noch als Splitter im Auge des andern (kasuistische Moral).
Das Feigenblatt und das Hinter dem Rücken als Instrumente eines Schuldverschubsystems.
Der Gedanke, daß das kreisende Flammenschwert, mit dem der Kerub den Eingang des Paradieses bewacht, das Planetensystem ist, wäre zu ergänzen: Ist der Eingang des Pardieses nicht aus der Sicht der aus dem Paradies Vertriebenen die Pforte der Hölle, in der wir mit der Kirche sind?
Zu Velikovsky und Heinsohn: Ist die Venuskatastrophe vielleicht ein Stück vergangener Zukunft?
Erinnerungsarbeit: Theologie als Balanceakt ohne Netz.
Ist nicht die Form der äußeren Anschauung vor dem Hintergrund der Rosenzweigschen Konstruktion des Angesichts einäugig (das andere Auge ist – wie beim Blick durchs Fernrohr oder über die Zielvorrichtung einer Waffe – durch die Form der „inneren Anschauung“ geschlossen)? Das Anschauen ist das regungslose, empfindungslose, vergegenständlichende und vedinglichende Anschauen; aber es gibt einen anderen, teilnehmenden Blick. Der Raum ist in der Tat als Form der äußeren Anschauung einseitig, während das Licht das Gesehenwerden (und das Bewußtsein, gesehen zu werden) mit einschließt. Das wechselseitige fixierende Anschauen weist auf Stoßmechanik und Konkurrenzverhältnisse zurück.
Sind nicht der Golfkrieg und danach die Bosnienkatastrophe ein Beweis der Nichtfunktionalität und damit der Überflüssigkeit der militärischen Rüstung? Wenn Generale den Politikern klarmachen, daß der militärische Apparat, den sie beherrschen, für ein Eingreifen in diesen Konflikt nicht geeignet sei, so ist das eine Bankrotterklärung, die wahrscheinlich den Sachverhalt genau widergibt, aus der man aber auch dann die Konsequenzen ziehen sollte. Ist nicht diese Militärmaschine nur noch einsetzbar, wenn man die Auslöschung der Menschheit und das Ende der Geschichte in Kauf nimmt?
Erfahren die Kinder heute die Erwachsenenwelt als eine gegen sie verschworene Gemeinschaft, die die Gewalt hat, auch in ihrer Gegenwart unreflektiert und unsensibel über sie zu reden, aber nicht mehr die Kraft, ihre Erfahrungen zur Kenntnis zu nehmen und nachzuvollziehen. Hat die Grenze zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt nicht Ähnlichkeit mit der, die das Inertialsystem von der sinnlich erfahrenen Natur trennt?
Dieser Katechismus ist eine Gebrauchsanweisung für Religionsmanager und -techniker, aber ohne jede Erinnerung an das, was einmal lebendiger Glaube hieß. Er ist nur noch eine Verführung zum Herrendenken, zu der die Kirche heute zu werden droht.
Die Bekehrung steht im Banne der Herrschaft, aus dem allein die Umkehr herausführt.
In Eph 39 (Einheitsübersetzung) wird aionos mit Ewigkeit übersetzt (sonst mit Welt!). -
22.03.93
Ist der deutsche „Ernst“ (K.-H. Bohrer in der taz) nicht der tierische Ernst, und hängt er nicht mit der Bindung des Nationbegriffs an das Blut (mit der deutschen Staatsmetaphysik) zusammen?
„Jede Schuld rächt sich auf Erden“ (an wem?). Diese mythische Beziehung von Schuld und Rache ist die Geschäftsgrundlage des Strafrechts, gewinnt ihre volle mythischen Gewalt aber nur unter den Prämissen der deutschen Staatsmetaphysik, die glaubt, die Politik von der Politik erlösen, befreien zu können, die den Schein erzeugt, Politik könne durch Verwaltung ersetzt werden (durch den Rechtsstaat), und der Schein der Unschuld reiche aus, die politische Qualifikation zu beweisen. Sie ist eine Folge der unaufgearbeiteten Vergangenheit. Zu dieser nicht aufgearbeiteten Vergangenheit gehört auch das Fehlen eines Friedensvertrages: die Krisen der „Wiedervereinigung“, aber auch die Krisen in der dritten Welt, die nach dem Zusammenbruch der staatskapitalistischen Länder des Ostens (nach dem Ende der direkten Bedrohung) auf andere Weise nach Europa zurückkehren, sich in Jugoslawien und jetzt in den aus der Sowjet-Union hervorgegangenen Staaten reproduzieren, lassen das Versäumnis spürbar werden: Es ist nicht gelungen, reale Grundlagen für die veränderten Verhältnisse zu schaffen, ja, der Mangel wird nicht einmal gefühlt. Und niemand scheint in der Lage zu sein, die Dinge vom Grunde her zu bereinigen: Aber ist das nicht vielleicht sogar objektiv unmöglich geworden? Alle schlittern in Katastrophen hinein und niemand weiß, weshalb.
Ist nicht der Satz, der Staat sei der Schöpfer der Welt, insoweit umkehrbar (und auch umzukehren), als sich jetzt herausstellt, daß die Welt Schöpferin des Staates ist, die in ihm nur den Schein eines Herrn erzeugt, den sie aber dann in ihren Orkus mit hereinreißen wird, wenn die Dinge endlich selber Herr des Prozesses werden, in dem sie einmal entsprungen sind.
Die jüngstvergangene Mode ist das Längstvergangene.
Engholms Satz, daß man vor dem Einsatz der Bundeswehr außerhalb der NATO „die Familien befragen“ müsse, ist so brav, so privatistisch und so unpolitisch wie dieser ganze Mann. Hier läuft wieder einer in die Exkulpationsfallen hinein, in denen die Politik heute verkommt. Zu fragen wäre,
– ob es überhaupt sinnvoll ist, in diesem Weltzustand (der zugleich keine andere Alternative zuzulassen scheint) noch Politik auf militärische Gewalt zu gründen,
– ob den objektiven Aufgaben des Militärs (Sicherung der Einrichtungen und der Versorgung der Metropolen) das Institut einer allgemeinen Wehrpflicht noch gerecht werden kann, ob nicht eine Freiwilligen-Armee (eine Art Fremdenlegion der NATO) den Aufgaben besser gerecht würde.
– Die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht aus anderen (staatspolitischen, „erzieherischen“) Gründen, zum Zweck der „inneren Stabilisierung“ des Gemeinwesens, ist objektiv nicht zu begründen, es sei denn, man würde offen für einen faschistischen Staat votieren.
Es sind offensichtlich die naheliegendsten Gedanken, die keiner mehr offen auszusprechen (und in der Folge keiner mehr zu denken) wagt: Jeder hat Angst, von der Schubkraft des Bestehenden fortgespült zu werden. Das Denkbare ist zum Undenkbaren geworden. Aber sind die Probleme, die jetzt an allen Ecken und Enden der Welt aufbrechen, noch mit den Kurzschluß-Methoden einer Politik zu lösen, in der durch die wechselseitige Kontrolle aller sichergestellt wird, daß keiner mehr politisch zu denken wagt.
Ist das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ (sic, B.H.) nicht das Gegenteil des Denkens: eine exkulpierende Instanz? Ist hier nicht die Leerstelle, in der dann die Nationalismen und die Bekenntnisse sich ansiedeln? Das Kind der illegitimen Beziehung beider ist der Faschismus.
In der Studie über den autoritären Charakter gibt es einen Abschnitt mit dem Titel „no pity for the poor“; und die Studie insgesamt ist eine Studie über Xenophobie.
Schlimm und verhängnisvoll, und ein Teil jenes Ärgernisses, von dem Jesus gesagt hat, es müsse kommen: „aber wehe denen, durch die es kommt“, ist das opfertheologische Konzept einer „Entsühnung der Welt“, die Lehre von der „Hinwegnahme der Sünden der Welt“.
Die Philosophie oder das Herrendenken ist der Grund der Selbstzerstörung des Antlitzes.
Sind die staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltungshierarchien, und in ihnen das Prinzip der Delegation der Verantwortung, nicht Formen der Säkularisation der andern Hierarchien, ihrer endgültigen Subsumtion unters Herrschaftsdenken. Die Vergesellschaftung von Herrschaft hat den Engeln den Existenzgrund entzogen, sie durch Regierungs- und Amtsräte ersetzt. Ist nicht die Verwaltung der Inbegriff der sieben unreinen Geister? Es käme in der Tat heute darauf an, die Theologie auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie weiterhin seßhaft zu verwalten.
Hat der gordische Knoten, der Joch und Deichsel des Ochsenkarrens verbindet, etwas mit dem Ursprung der Schrift zu tun (des Aleph, Bet): Alexander hat diesen Knoten nicht gelöst, nur durchschlagen. Der Weltbegriff ist der durchschlagene Knoten (der den Objektivations- mit dem Vergesellschaftungsprozeß verknüpft). Im Kern dieses Knotens stecken die subjektiven Formen der Anschauung Kants.
Durch die subjektiven Formen der Anschauung sind wir gleichsam exzentrisch an den Weltprozeß gefesselt.
Für Israel war die Schrift die hebräische Schrift: Ausdruck der Fremdheit, die im Namen des Hebräischen anklingt. Ist nicht die Lösung des Rätsels des Namens der Hebräer ein Anfang der Lösung des Rätsels des Ursprungs der Schrift?
Der Weg zu den Enden der Welt, die Bekehrung der Welt, bezeichnen einen Vorgang, der in der äußeren und inneren Welt zugleich sich abspielt.
„Muß in einer historischen Welt nicht jemand genau so alt sein wie die Welt?“ (Levinas: Schwierige Freiheit, S. 164)
S. 167 nennt Levinas das Bekenntnis ein „Beiwerk des bürgerlichen Komforts“.
Der Weltbegriff unterwirft auch die Vergangenheit dem Bann der Herrschaft: er begründet und stabilisiert ein gleichsam kolonialistisches Verhältnis zur Vegangenheit. Hier werden Vergangenheiten immer nur überwunden; der Ausschluß der Trauerarbeit (des Eingedenkens) ersetzt das Sich-Hinein-Versetzen durch die Einfühlung in die Vergangenheit (den Historismus). Der Weltbegriff versiegelt das Grab, in dem die Toten auf die Erweckung warten.
War nicht die Hexenfurcht auch die Furcht vor der Auferstehung der Toten (abzulesen an den Projektionen der Inquisitoren)? Aber die Alternative ist nicht die Leugnung der Auferstehung, die sich die Physik als Instrument geschaffen hat, sondern ein Verständnis, das die Erweckung der Toten Gott vorbehält. War die Hexenverfolgung von der Furcht vor den Toten bestimmt, dann war Auschwitz der Testfall (der Testfall des perfekten Verbrechens): der experimentelle Beweis dafür, daß es keinen Grund gibt, die Toten zu fürchten. Aber wie die Gräberschändungen beweisen, können die Rechten doch nicht so recht an das Ergebnis des Experiments glauben.
Ist nicht die Schrift der Friedhof, auf dem die Toten der Auferweckung harren?
„Name ist nicht Schall und Rauch.“ Ist nicht der Stern der Erlösung ein Versuch, in dieses Buch den eigenen Namen (Ich, mit Vor- und Zunamen) einzuschreiben?
Die Anonymität des Apokalyptikers, sein Versuch, sich in fremde Namen einzuschreiben: Sind das nicht auch Versuche, im andern sich der der eigenen Auferstehung zu versichern? Und bezieht sich das „Wenn ich will, daß er bleibt, was geht’s dich an“ nicht auf den Namen des Johannes, des Apokalyptikers?
Der Begriff der Erbsünde verweist auf den Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem des Erbes; Zwischenglied ist das Wort von den Sünden der Welt.
Muß man sich die Sätze, mit denen die Philosophie die Logik demonstriert hat, nicht doch ein wenig genauer ansehen:
Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist ein Mensch.
Also ist Sokrates sterblich.
Der Prämisse hat die Theologie seit je mit der Lehre von der Auferstehung wiedersprochen. Dem Schluß, daß Sokrates sterblich sei, wäre anzumerken, daß er nicht gestorben ist, sondern einem durch Rechtsspruch verordneten Selbstmord aus freiem Willen sich gefügt hat. Hat nicht dieser Tod, das dem Staat freiwillig dargebrachte Selbstopfer, mehr mit dem Ursprung und Charakter der Philosophie, auch mit dem sokratischen Daimon, zu tun, als bisher angenommen wurde? Zum Kreuzestod Jesu gehören die Worte „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ und „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“. Ist nicht der Selbstmord des Sokrates ein Paradigma der Philosophie seitdem, bis hin zum „Vorlaufen in den Tod“ Heideggers? Die affirmative Beziehung zum Tod gehört zu den Grundlagen des philosophischen Welt- und Selbstverständnisses.
Die säuberliche Trennung der Seele vom Leib die dem christlichen Unsterblichkeitsverständnis zugrunde liegt, raubt ihm zugleich seinen Existenzgrund.
Ist nicht das Geld der Goldgrund des Staates, politisch-ökonomischer Reflex des Sonnensystems, die säkularisierte Sonne selbst? Und sind nicht die Ministerien und die Verwaltung ein Abbild des Planetensystems? Die Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft, die Geschichte des Vergesellschaftungsprozesses insgesamt, hat in den Subjekten das Chaos hinterlassen, dessen Opfer sie zugleich geworden sind, weil sie es in den Ordnungen, die das Chaos produzieren, nicht erkennen können.
Dorn, Horn, Zorn, Korn, vorn: Sind das Wörter, die sich nur zufällig reimen?
Werden die verschiedenen Hörner (Ochs und Widder, Schofarhorn, Hörner des Altars, Hörner des Drachen) auch im Hebräischen durch das gleiche Wort bezeichnet?
In welcher Relation stehen die Massen, die Entfernungen von der Sonne und die Geschwindigkeiten der Planeten? -
11.12.92
„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ (Frankfurt):
– Linda Reisch erinnert an Historikerstreit (FAZ) und Bitburg,
– die Sprecherin des S. Fischer Verlags daran, daß in den Medien die Opfer von Mölln namenlos gemacht werden.
– Dan Diner: Wiederholung der zwanziger Jahre (Zerfall der Imperien und Ursprung des Nationalismus; Vergleich: Deutsches Reich und Sowjet-Imperium); erinnert an Hannah Arendts Hinweis darauf, daß Staatsbürgerschaft und Menschenrecht untrennbar (Zitat Carl Schmitt); „multikulturelles“ Konzept diskriminiert die Minderheiten, die es schützen will (jüdische Erfahrung); Trennung der Staatsbürgerschaft von ethnischen Voraussetzungen. Erinnerung an die Bedeutung der Friehofschändungen.
– Metz hat die Konterbande in seinem Thema nicht bemerkt (verwechselte deshalb das „Die Blinden sehend Machen“ mit dem „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: das aufgedeckte Antlitz mit dem Aufdecken der Blöße; sowie die Empfindlichkeit mit der Sensibilität). Und zu dem Satz „theologus taceat in societas“ bliebe zu fragen: Liegt das nur an der societas?
Im übrigen war das Symposium insgesamt durch die falsche Fragestellung behindert (durch den Vorrang der Frage nach praktischen, und d.h. in diesem Zusammenhang: rechtlichen und verwaltungsmäßigen Lösungen, wodurch die mangelnde Sensibilität gegenüber dem Phänomen selber, wie schon im Zusammenhang des sogenannten Asylanten-Problems, nur verschärft wurde: das Xenophobie-Problem ist primär ein Erkenntnisproblem; und dieser Satz ist nicht zynisch, eher der Anfang vom Ende des Zynismus: der Anfang vom Ende der kollektiven Verblendung, ohne die es die Xenophobie nicht geben würde. Zu Adornos Einsichten in die Struktur des autoritären Charakters: der Igel, der vorgibt, das sei längst überholt, hat es nicht einmal eingeholt, er hat sich nämlich nicht von der Stelle bewegt. So glaubt Kohl, die Probleme aussitzen zu können – und die ganze politische Bagage bewundert seine politische Begabung.) -
27.11.92
Was heißt eigentlich: su ei Petros, kai epi tautä tä petra oikodomäso mou tän ekklesian, kai pylai hadou ou katischysousin autäs. kai doso soi kleis täs basileias ton ouranon, kai ho ean däsäs epi täs gäs estai dedemenon en tois ouranois, kai ho ean lyseis epi täs gäs estai lelymenon en tois ouranois. (Mt 1618f, vgl. 1818: hosa ean däsäte epi täs gäs estai dedemena en ourano kai hosa ean lysäte epi täs gäs estai lelymena en ourano.)
– „auf diesem Felsen“: Petrus, der Fels, ist der Grund der Kirche wie die Erde der Grund des Bindens und Lösens, das auch in den Himmeln gilt, ist;
– an Petrus: die Schlüssel des Himmelreichs, beziehen sich auf das Schließen und Öffnen: Objekt im Singular, „in den Himmeln“ im Plural;
– an die Jünger: Binden und Lösen: Objekt im Plural, „im Himmel“ im Singular.
Adornos Bemerkungen „Zum Ende“ in den Minima Moralia: wären sie nicht anzuwenden auf die Kirche, und wäre damit nicht das Lösen vorbezeichnet? Ist nicht die „vollendete Negativität“ die Kirche als steinernes Herz der Welt (die Greuel am heiligen Ort)? In den gleichen Kontext gehört auch das Wort von der vollständigen Säkularisation der theologischen Gehalte, insbesondere die Reflexion auf die Zweideutigkeit des Konzepts der „vollständigen Säkularisation“.
Was ist der Unterschied zwischen Erfahren und Ergehen: Das habe ich erfahren, aber: so ist es mir ergangen.
Die Stummheit des Helden durchdringt seit der Verinnerlichung des Schicksals fortschreitend die Sprache insgesamt. Der Nominalismus ist das wachsende Bewußtsein davon. Diese Stummheit hat sich aber im allgemeinen Gebrauch als Geschwätz unkenntlich gemacht. Die Sprachlosigkeit wird nicht mehr erfahren. Wir selbst haben die Schöpfung als Natur zum Schweigen gebracht.
Bezeichnen das deutsche Sein und das englische to be nicht doch beide ein Possessivverhältnis: das Sein als selbstbezogenes, das to be als fremdbezogenes Possessivverhältnis. Hängt es damit zusammen, daß die englische Sprache und der englische Geist gleichsam hebräischer und alttestamentlicher sind als der deutsche? Hängt es damit zusammen, daß die englische Sprache die Intimkonkurrenz, die in Deutschland diese fürchterlichen Folgen hatte, nicht kennt? Und ist nicht die Schelersche Englandkritik (wie überhaupt die Englandfeindschaft der Deutschen) ein projektiv verschobener Antisemitismus?
Wann hat sich das Neutrum gebildet? Das sprachliche Geschlecht, das den Akkusativ zum Nominativ, das Objekt zum Subjekt macht: Ausdruck der Erfahrung, daß auch die Sache tätig ist. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Bildung des Neutrum und dem Ursprung des Futur II? Gibt es im Hebräischen ein Neutrum, und hängt das Neutrum mit dem Auf-dem-Bauche-Kriechen und dem Staubfressen der Schlange zusammen (ist das Neutrum durch die Institution des Königtums vermittelt – vgl. die Jotam-Fabel)? Das Hegelsche Absolute ist der gefallene Gott.
Josef war ein Zimmermann, Simon/Petrus ein Fischer, Saulus/Paulus ein Zeltmacher.
Das Verhältnis von Bekenntnis und Tat ist genau umgekehrt, als die Bekenntnislogik uns einreden will. Nicht nur das Schuldbekenntnis, auch das „Glaubens“-Bekenntnis folgt (als Rechtfertigung) dem Handeln. Das Bekenntnis steht in der magischen Tradition, wenn es glaubt, sich der Verurteilung durch andere dadurch entziehen zu können meint, daß es gleichsam prophylaktisch in sie mit einstimmt (automatisierte Heuchelei). Das neutestamentliche homologein meint die Nachfolge, nicht das „Lippenbekenntnis“. Zur Bekenntnislogik gehört als Grundlage und als Konsequenz: Man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen.
Über den peer-group-Effekt, die Mutprobe und die Komplizenschaft führt das Bekenntnissyndrom direkt in den Faschismus. Aber diese Mechanismen gibt es auf beiden Seiten: Auf der staatlichen Seite (in der Verwaltung, in der Polizei, im Strafvollzug, der jede hierarchische Struktur auf ihren gemeinsamen Nenner bringt) ist der Grundsatz: Sich nur nicht erwischen lassen, durch den anderen „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ handbar gemacht, instrumentalisiert worden.
Jericho, Sodom, Gibea:
– in Jericho: die Boten Josues werden von der Hure Rahab aufgenommen und vor dem Angriff der Einwohner Jerichos gerettet; beim Untergang Jerichos wird nur Rahab gerettet.
– in Sodom: die Boten JHWHs werden von Lot aufgenommen und vor dem Mob in Schutz genommen; Lot bietet dem Mob seine Töchter an, die Boten JHWHs schlägt die Angreifer mit Verblendung (und retten Lot und seine Töchter).
– in Gibea: ein Levit, der als Fremder im entlegensten Teil des Gebirges Ephraim lebt, kommt mit seiner Nebenfrau (aus Bethlehem in Juda, dem Geburtsort Davids) nach Gibea (dem Geburtsort Sauls), findet keine Herberge, sitzt auf dem Marktplatz bis ein alter Mann, der als Fremder in Gibea lebt, kommt und ihn in sein Haus aufnimmt. Als der Mob kommt und die Herausgabe des Fremden fordert, bietet der Gastgeber seine jungfräuliche Tochter und die Nebenfrau des Leviten an; der Levit greift seine Nebenfrau und bringt sie dem Mob, der bis zum Anbruch der Morgenröte seinen Mutwillen mit ihr treibt. Am Morgen findet der Levit die Frau tot vor der Schwelle. Er nimmt die tote Frau auf seinem Esel mit in seine Heimat, zerschneidet sie dort in 12 Teile und schickt je einen Teil an die Stämme in Israel (es folgt der Rachefeldzug Israels gegen Benjamin, die Zerstörung Gibeas, der Schwur von Mispa, die Neubegründung Benjamins: Raub der Frauen von Jabesch-Gilead). -
30.10.92
Das „und was du auf Erden lösen wirst, …“ ist das Objekt des paulinische „Harrens der ganzen Schöpfung“ (auf die Freiheit der Kinder Gottes).
Ist das Binden und Lösen nicht vorbezeichnet in der Geschichte der „Bindung Isaaks“?
Wenn bei Hegel die Idee die Natur „frei aus sich entläßt“, dann erinnert das nicht zufällig an den sonstigen Gebrauch des Wortes Entlassen: an die Entlassung aus einem Arbeitsvertrag oder aus der Haft, wie überhaupt Verwaltung und vergesellschaftete Arbeit, Begriff und Strafvollzug nicht unabhängig von einander zu denken sind: alle stehen in einer vergleichbaren Objektbeziehung. Und was Hegel der Natur ankreidet: daß sie den Begriff nicht halten kann, ist eher ein Vorzug der Natur als ein Defekt des Begriffs. Nur: Als aus der Idee Entlassene ist die Natur für Hegel mit dem gleichen Makel behaftet, mit dem jeder Entlassene in der bürgerlichen Gesellschaft behaftet ist.
Ontologie und Ethik stehen im Verhältnis der Umkehr zueinander.
Ist die christologische Zwei-Naturen-Lehre nicht im Stern der Erlösung enthalten, und zwar in der Weise, daß sie mit dem Beginn der gleichen Bewegung (den Naturen Gottes und des Menschen im ersten Teil) zusammenfällt, aus der (durch Entfaltung und Umkehr) der Begriff der Offenbarung hervorgeht?
Das Lamm, das berufen ist, die sieben Siegel zu lösen, hat diese Fähigkeit schon bewiesen in der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern. Nur unter dem sexistischen Vorzeichen, von dem sich die theologische Tradition seit den Kirchenvätern nicht hat lösen können, wurde aus der einzigen, die die Umkehr vollzogen hat, die Büßerin, die es wohl schlimm getrieben haben muß.
Müßte nicht in der Karfreitags-Liturgie die felix culpa durch das felix peccatum ersetzt werden; denn die felix culpa bezieht sich nicht auf die Schuld der Väter, sondern auf die Sünde der Mutter (Ps 10914).
Ist bei den Sünden der Mutter nicht auch an Lots Weib (und an Jürgen Ebachs Hinweis dazu in „Ursprung und Ziel“, S. 147ff) zu denken?
„Wenn ein Deutscher die Wahrheit sagt, ist er ein Grobian“: Ist der Begriff der Wahrheit in diesem Satz zu halten? Wird er nicht definiert durch einen Begriff der Lüge, der den Verzicht auf Herrschaftskritik zur Grundlage hat? Und ist es nicht ein Wahrheitsbegriff, zu dessen Voraussetzungen die Logik der Personalisierung und zu dessen Konsequenzen Xenophobie und Antisemitismus gehören? Zu seinen Konstitutionsbedingungen gehört der Zusammenhang des Weltbegriffs (Korrelat der Personalisierung) mit der Bekenntnislogik (dessen exkulpatorische Funktion die Sündenbockmechanik mit einschließt). -
12.10.92
Männern das Weinen verbieten heißt: sie hart wie Stein machen: wie Petrus (der erst nach der dritten Leugnung weint).
Mußte die Kirche erst zum steinernen Herz der Welt werden, ehe sie zum fleischernen werden kann? Das steinerne Herz durch ein fleischernes ersetzen: Johannes XXIII war der erste Versuch.
Hängen das Millenarium, die Bindung des Satans für tausend Jahre, die Geschichte der Bindung (auf Erden wie im Himmel) und die als steinernes Herz der Welt realexistierende Kirche zusammen? Das könnte den anderen Zusammenhang von Weinen und Lösen (auf Erden wie im Himmel) verständlicher machen.
Ulrich Sonnemanns Satz „Zukunft ist von außen wiederkehrende Erinnerung; daher hat die Gedächtnislosigkeit keine“ ist eine Variante des vierten Gebots.
Der Weltbegriff (Korrelat der Vorstellung des unendlichen Raumes) neutralisiert das Generationenverhältnis (die konkrete Erinnerung). Und das drückt sich in der Trinitätslehre aus. Der Ödipuskomplex: die Tötung des Vaters und die Heirat der Mutter, bezeichnet genau eine der wesentlichen Bedingungen des Ursprungs des Weltbegriffs (Freuds Mythos); der Weltbegriff verletzt das vierte Gebot. Und das falsche Bewußtsein davon ist die christliche Sexualmoral.
Wenn Hegel die Notwendigkeit einer genealogischen Ableitung des Monarchen logisch deduziert, so ist das ebenso wenig grundlos wie der unauflösliche Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem Nationalismus und mit hierarchischen Machtstrukturen (der Begriff der verwalteten Welt ist ein Pleonasmus: es gibt keine andere als die verwaltete Welt, denn die Beziehung der Verwaltung zu ihren Objekten entspricht genau der des Begriffs, beide sind Verkörperungen hierarchischer Strukturen und von Gewalt, fleischfressende Wesen). Die Welt ist die falsche Lösung des Generationenkonflikts, die Zerstörung der Wahrheit aufgrund der falschen Versöhnung durch den unmöglichen Konsens: Ursprung und Produkt des Scheins wie der Gewalt. Was hat es überhaupt mit der Fortpflanzung auf sich; ist sie nicht mehr als nur ein biologisches Ereignis? Wie hängt das Gattungsverhältnis mit der benennenden Kraft der Sprache Adams zusammen (die ebenfalls durch die Welt zum Begriff neutralisiert, depotenziert wird)?
Auf die einzige wirkliche Alternative führt die Frage nach der prima philosophia: Die Entscheidung zwischen Ontologie und Ethik ist eine Entscheidung ums Ganze. Theologisch begründbar ist allein die Ethik (allerdings nur durch die Kritik des Weltbegriffs hindurch), während die Ontologie einzig mit einer instrumentalisierten (objektivierenden, verdinglichenden) Theologie zusammengeht. Die Ontologie macht auch Gott zum Gegenstand der Naturbeherrschung: sie ist ohne magische Komponente nicht denkbar.
Gehört zum Problem der Genealogie nicht auch die Geschichte von Simson und Dalilah (das Verhältnis von Tag und Nacht).
Unser Weltverständnis wird von den Bedingungen und von der Form unserer Auseinandersetzung mit unseren Eltern bestimmt (die im Kontext des Weltbegriffs nur als ein Prozeß im Innern: als Objekt der Psychologie sich fassen läßt). -
30.05.92
Joachim Fest hat seine Hitler-Biographie seinerzeit als „Geschichte einer Karriere“ verstanden. Er hat damit einen wesentlichen Punkt heutigen Politikverständnisses getroffen: Wo die Politik zu Karriere wird, wo Politik am Prestige gemessen wird, das sie gewährt, wird sie tendentiell faschistisch. Das Prestige, der Ruhm, das Sich-Spiegeln im Urteil der Öffentlichkeit, der Welt oder gar „der Geschichte“ ist Produkt einer pathologischen, Welt und Geschichte mit einbeziehenden Potenzierung des Exkulpationstriebs. Die größte Verführung für den Politiker ist das Gefühl, zum Herrn der Sprache zu werden, durch Sprachregelungen (bis in die Medienpolitik hinein) zwar nicht mehr die Dinge, wohl aber (im Interesse der eigenen Karriere) das Bewußtsein der Dinge bestimmen zu können.
Der Fluch über die Schlange: „auf dem Bauche sollst du kriechen und Staub sollst du fressen“ ist nur ein anderer Ausdruck für den automatisierten Objektbezug (den apriorischen Objektbezug der transzendentalen Logik). Ist es nicht diese Schlange, die am Boden der Tatsachen klebt („die Welt ist alles, was der Fall ist“)?
Die Schlange ist die Verkörperung der Leugnung der Umkehr, die Welt ist der Inbegriff dieser Leugnung.
Die Beziehung von Licht und Finsternis, hat das etwas mit dem Entstehen und Vergehen zu tun (mit dem Verhältnis des Lichts zur Gravitation)? Und drückt sich das nicht in den Farben aus?
Wenn die Fische auf die Wasser unterhalb des Firmaments bezogen sind, sind dann die Vögel auf die Wasser oberhalb bezogen?
Der Turm zu Babel, der bis zum Himmel reicht: war das die Astrologie?
Sind nicht die modernen, nach-einsteinschen Kosmologien (wie zuvor schon die sogenannten nicht-euklidischen Geometrien) Nachfahren der ptolemäischen Epizyklen – auf der Basis der kopernikanischen Wende?
Kommen Leviathan und Behemoth nicht auch im Buch Jonas vor: als der große Fisch (bei der Flucht nach Tarschisch) und als „so viel Vieh“ in Ninive?
Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang hängt mit den drei Dimensionen des Raumes zusammen: mit der Beziehung von
– Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
– Gericht und Barmherzigkeit (rechts und links) und
– Oben und Unten (Herrschaft und Gottesfurcht).
Genau hierin gründet der Primat der Ethik, das Konzept der Ethik als prima philosophia.
Prophetie und Sexualität: ein unbearbeitetes Thema (war nicht Jeremias unverheiratet, aber schon „im Mutterschoße“ erkannt; vgl. auch die Ehegeschichte des Hosea sowie den prophetischen Begriff der Hurerei)?
Augustinus, der ausdrücklich darauf verzichtet, im Buche Genesis die „Rätsel der Prophetie“ zu lösen, nimmt damit das Recht der Schlange wahr (und begründet die Allegorie, christliche Sexualmoral und die Höllenlehre).
Labor und Verwaltung; weitere Äquivalenzen: Industrie, Militär, Justiz und Strafvollzug, Schule, Psychiatrie. Definieren sie nicht alle geschlossene Systeme, die aber zugleich alle einander äußerlich sind?
Innen und Außen (rechts und links?): Die Gesinnung verdankt sich der Subjektivierung der exkulpierenden Instanz, die Verantwortungsethik ihrer Objektivierung. Gesinnung und Empörung gehören zusammen (die Empörung ist ein Ausfluß und ein Stabilisator der Gesinnung), beide sind zusammenhängende Quellpunkte einer selbstzerstörerischen Dynamik. Im Begriff der Verantwortung steckt die Beziehung auf eine äußere (richtende, zur Verantwortung ziehende) Instanz. -
05.02.92
Entspringt die Mathematik der Gleichsetzung des Perfekt mit dem Futur II, dem „es ist gewesen“ mit dem „es wird gewesen sein“, m.e.W. dem „Wesen“? Das in den neueren Ontologien so beliebte „Geschehen“ und „Sich Ereignen“ gehört in diesen Bereich. Die Funktion dieser Gleichsetzung ist die der Exkulpation: durch Übersetzung in ein apersonales, gegenständliches „Geschehen“ und „Sich Ereignen“, Begriffe, die zunächst für natürliche Prozesse. dann aber, insbesondere nach dem Ausgang der Kollektivschuld-Debatte, sich auch für Auschwitz zu eignen scheinen, wird ein ganzes Volk entschuldigt, das sich ohnehin je nach Bedarf nur als Schicksalsgemeinschaft oder als Gemeinschaft passiver und ohnmächtiger Zuschauer (Rundfunkhörer, Fernseher) versteht. Liefern hierzu die verwalteten Religionen den Gewissenskomfort?
Anders als Radio und Fernsehen, die ein ganzes Volk zu ohnmächtig-passiven Hörern autoritativer Verlautbarungen (eine neue Evangelienübersetzung heißt „die gute Nachricht“) und zu Zuschauern von Herrschafts- und Machtritualen sowie von schicksalhaften Katastrophen macht, ist das Telefon ein Instrument der Intrige. Der neue Faschismus appelliert nicht mehr an die Hörigkeit, sondern an den Bilderwunsch. Deshalb wimmelt es nur so von Welt-, Menschen- und Gottesbildern.
Die gute Nachricht: Ein Botschaft richtet sich an den Adressaten und erwartet seine Antwort, eine Nachricht liefert nur eine Information über ein objektives, meinem Eingriff entzogenes Geschehen, macht den Adressaten zum passiv-ohnmächtigen Zuschauer. Aber dahin tendiert das Religionsverständnis in den verwalteten Betreuungs-Religionen ohnehin (verweltlichtes Christentum als Dynamisierung der Idolatrie).
Raum ist ein Verwaltungsbegriff; er präpariert sowohl das Subjekt wie die Objekte der Verwaltung (auch die Vorstandsetage liegt auf einer Verwaltungsebene; kein Zufall, daß Hochhäuser bevorzugte Objekte sowohl für Verwaltungen als auch für Wohnungen von Beamten und Angestellten sind).
Jede Intention (jedes Ziel, jeder Zweck) hat einen Richtungssinn. Was der Raum – und mit ihm jedes der Orthogonalität nachgebildete System – leistet, ist die Wiedereinbindung jeder Intention in ein Vergangenheitssystem.
Enthält die double-bind-Theorie eine Theorie des Raumes (Zusammenhang mit der Struktur der Lohnarbeit)?
Wie bestimmt sich das Trägheitsmoment eines Kreisels, der Widerstand gegen eine Änderung der Rotationsgeschwindigkeit?
„Ausländer raus“, „Nazis raus“: Belege dafür, daß die Relation Innen/Außen keine humane ist. Wenn die Grenze zwischen Innen und Außen zur Grenze der Humanität wird, hat die Humanität keine Chancen mehr.
Dybas Hooligan-Argument: „Welcher Verein kann es sich leisten, einen Spieler, der ständig aufs eigene Tor schießt, weiter zu ertragen?“ – Ist das Bekenntnis-Problem nicht doch ein sehr deutsches Problem, ähnlich wie die Staatsmetaphysik und der Staatsanwalt.
Erinnert Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkunft (und ihr Zusammenhang mit der Lehre vom Willen zur Macht) nicht an die Notwendigkeit, die politische Bedeutung der Sternenkunde neu zu bestimmen?
Hinter der Maske ist das Gesicht: und nicht die Person, sondern das Antlitz ist Gegenstand der Theologie. -
28.01.92
Hängt die Unterscheidung von Rechts und Links nicht auch mit der von Plus und Minus (Erfindung der Null als Voraussetzung des Inertialsystems) und mit dem Schuldenproblem in der Geldwirtschaft zusammen (Schuldknechtschaft, doppelte Buchführung)? Erst mit der Vorstellung des unendlichen (homogenen und isotropen) Raumes setzt sich die Herrschaft des Tauschprinzips endgültig durch, wird der letzte Widerstand beseitigt. Im Inertialsystem werden die Dinge von allen Seiten von hinten betrachtet, und mit dem Gravitationsgesetz ist in jeder Richtung unten, gibt es kein Oben mehr, das die Gegenbewegung zum Fall anzeigen würde. Seitdem sind die Gottesfurcht und die Gnade (die Barmherzigkeit) grundlos geworden, und ist die Welt alles, was der Fall ist.
Die Reversibilität der Richtungen im Raum ist die Grundlage der mathematischen Gleichung. Und die Gleichheit ist eigentlich die von Vergangenheit und Zukunft, die vermittelt ist durch die Vorstellung des unendlichen, homogenen und isotropen Raumes. Hierbei bedeutet die „Unendlichkeit“ des Raumes letztlich, daß die Endlichkeit der Dinge kein Ende hat, und daß alles, was ist, endlich ist.
Muß nicht die Interpretation der Mikrophysik im Sinne der Kopenhagener Schule (oder zumindest ihrer deutschen Varianten) metaphysiziert, theologisiert werden, um den Widerspruch zu verdecken, der eigentlich einer des (physikalischen und gesellschaftlichen) Systems ist.
Sind nicht die aristotelischen Topoi (seine Lehre vom natürlichen Ort der Dinge) notwendige Elemente seiner Metaphysik, d.h. einer Metaphysik, die den Begriffsrealismus zur Grundlage hat. Auch der Unbewegte Beweger ist ein topologischer Begriff, die Vergeistigung des Falles, Produkt jenes Kurzschlusses, der das Denken des Denkens vergöttlicht, indem er es zum Gegenstand der Theoria, des Schauens, macht (Ursprung der christologischen Logik).
Was wir aufgrund einer schlechten Übersetzung die Schriftgelehrten nennen, sind in Wahrheit die Schreiber gewesen, die allerdings zugleich auch Schriftgelehrte waren. Die Trennung beider Funktionen, der Kopisten von den Scholaren, ist mittelalterlichen Ursprungs und setzt die Kanonisierung der Schrift (und der anderen Autoritäten) voraus. War nicht Esra ein „Schriftgelehrter“?
Die Elemente der Selbstinstrumentalisierung im Tierreich: Der Mensch hat diese Mittel der Selbstinstrumentalisierung (die Hörner, Klauen, Zähne, aber auch die Fisch- oder Vogelgestalt) in seinem Verstand verinnerlicht und in der Hand universalisiert. Sind nicht die Fische und Vögel auf eine sehr viel mathematischere Weise lateral-symmetrisch als beispielsweise die Säugetiere und erst recht die Menschen?
Bei den Pflanzen ist vorne, rechts und oben identisch: sie kennen eigentlich nur oben und unten (Blüte und Wurzel; sie wurzeln im Grunde und „streben zum Licht“). Bei den Tieren wird die Unterscheidung von vorne und hinten bzw. rechts und links erkauft durch die Unfreiheit noch oben, während für den Menschen oben, rechts und vorne getrennte Dimensionen sind.
Die Subjektivierung der sekundären Sinnesqualitäten ist nur ein Aspekt der Sache: Die Subjektivierung der räumlichen Dimensionen ist der verdrängte Grund des gesamten Subjektivierungsprozesses. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Diese Scham ist der erste Ursprungsreflex des unendlichen Raumes; er hat zur Voraussetzung die Erkenntnis des Guten und Bösen, die Vorform der instrumentalisierenden, vergegenständlichenden Erkenntnis.
Für die Fische ist das Wasser das Medium der vollendeten Öffentlichkeit: die Fische kennen keine Scham und keine Privatsphäre; die Vögel dagegen haben ihre Nester und ihr Federkleid. (In welcher Beziehung stand die Vogelschau zur Unterscheidung von Rechts und Links?)
Die Fische und die Vögel bewegen sich in einem dreidimensionalen Medium: im Wasser und in der Luft.
Weshalb werden bei der Sintflut die Tiere gerettet und dann zu Nahrung freigegeben?
Im Angesicht, das ist etwas anderes als von Angesicht zu Angesicht. Der Satz „Laß dein Angesicht leuchten über uns“ drückt eher aus, was mit dem „Im Angesicht“ gemeint ist.
Wer eine Sache hinter ihrem Rücken untersucht (wer „über“ eine Sache forscht), muß mit der Verdachts- und Beweislogik arbeiten und dann auch „hinter“ der Sache nach dem Grund suchen. Alle Hypostasierungskonzepte (imgrunde die ganze Philosophie, die Suche nach den archä) verdanken sich dieser Logik und treiben sie in die Dialektik hinein. Diese Hypostasierungslogik ist ein Motor der naturwissenschaftlichen Aufklärung, sie wirkt nach bis hinein in die Kopenhagener Schule: Die Hypostasierung der „Rätsel“ der Mikrophysik dient nur der Stabilisierung dieser Logik, die ihre letzte Stütze in der Vorstellung des unendlichen Raumes hat. Und diese Logik ist die Herrschaftslogik.
Wer „eine Frage in den Raum stellt“, sucht keine Antwort, sondern eine „Lösung“: Grundlage des Verwaltungsdenkens (Zusammenhang mit dem Personbegriff).
Was hat der Caesar, der wie der König (der Gesalbte) in der Heros- und Opfertradition steht, mit der Durchsetzung des Raumes und des Weltbegriffs zu tun, mit der Gewalt, die beide repräsentieren? Wo liegt der Unterschied zwischen der königlichen und der kaiserlichen Gewalt (Zusammenhang mit dem Fernhandel, der Stabilisierung des internationalen Marktes, mit dem Pantheon und der neuen Gestalt und Funktion der Religionen)? -
21.01.92
Als Person bin ich „zurechnungsfähig“, und diese Zurechnungsfähigkeit wird durchgesetzt über Gefängnisse und Irrenanstalten. Ist die Person das leere, reine und geschmückte Haus für die sieben unreinen Geister? Und gründet die Person in der Austreibung des einen unreinen Geistes?
Unsere Theologie heute ist nur noch verständlich auf der Grundlage und im Kontext des Verwaltungsdenkens, sie ist eine Theologie der verwalteten Welt und deshalb blasphemisch.
Die katholische Kirche in Deutschland wird heute schon durch die Physiognomie ihrer Bischöfe widerlegt. Heute beruht die Qualifikation zu gehobenen Positionen (zum Bischofsamt wie zu jeder anderen Managementfunktion) im wesentlichen auf der Fähigkeit, einen bedeutenden Eindruck zu machen; das gilt sowohl physiognomisch als auch fürs Verhalten: vom Gang bis zum Tonfall der Stimme. Aber worin besteht dieser „bedeutende Eindruck“; was ist es, was der Öffentlichkeit heute imponiert?
Für die Verinnerlichung des Opfers gibt es angesichts des gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs, in den wir alle verstrickt sind, und zu dem auch die Naturwissenschaften gehören, keine Alternative, aber es gibt zwei Wege: den der Verdrängung und den (christlichen) der Erinnerungsarbeit.
Der Brief an die Hebräer: Kann es sein, daß er die Christen als Hebräer anspricht: d.h. in ihnen die Fähigkeit, die Fremdbezeichnung als Selbstbezeichnung und damit auch dieses jüdische Erbe zu übernehmen (und daß er nicht die Juden als Adressaten hat)? So wäre der Hebräerbrief eine Konkretisierung der jesuanischen Übernahme der Sünde der Welt.
Ist nicht die Apokalypse
– eine nachprophetische Reaktion auf die Verweltlichung der Welt (in der die Idolatrie in rationalisierter Gestalt sich durchsetzt)? Stichwort: Hellenismus, Römisches Imperium.
– Und gehört diese Apokalyptik nicht zu den Ursprüngen und Quellen des Christentums? Stichwort: Übernahme der Sünde der Welt.
– Und schließlich: Hat nicht das Christentum das im wörtlichen Sinne apokalyptische (aufdeckende, enthüllende) Element in der Apokalyptik durch Verdinglichung (durchs Dogma) neutralisiert und entstellt?
Jede Ontologie ist Transzendentalphilosophie (Ausdruck und Produkt von Subjektivität) und zur Begründung der Theologie unbrauchbar. -
08.11.91
Ja sagen zu etwas heißt sich zu etwas bekennen. Das reflexive Sich im „sich (zu etwas) bekennen“ kann Ausdruck der Befreiung sein (es endlich aussprechen können, die Last der Verdrängung loszuwerden), ist aber heute immer mehr Ausdruck der Unterwerfung unters Kollektiv, der Identifikation mit dem Aggressor (das Sich geborgen Fühlen in der Gemeinschaft mit der Lust, ohne Skrupel hassen, sich der Wut überlassen zu dürfen: Genesis der „Mordlust“). Modell dessen ist der Raum, die „subjektive Form der Anschauung“ Kants: die Ablenkung der Wut auf die außermenschliche Natur.
Die Logik der Welt ist herzzerreißend und entsensibilierend: mörderisch. So hat sie vielleicht tatsächlich mit dem Kreuz zu tun.
Nicht der Begriff des Gestells, sondern der des sich selbst verurteilenden Gerichts bezeichnet die Signatur des technischen Zeitalters.
Der Raum ist der letzte Niederschlag der Erkenntnis des Guten und Bösen (er entzieht der Unterscheidung zwischen links und rechts, zwischen Barmherzigkeit und Gericht, den Boden). Das kopernikanische Weltbild ist in der Tat ein Bild: eine mathematische Vereinfachung, aber um den Preis der Zerstörung der Sprache und der Theologie (Verletzung des Bilderverbots). Mußte die Sprache durch diesen Tod hindurch?
Verhältnis von Begründung und „Aufspannen“ (Erde und Himmel) zum Raum: entspricht dem Verhältnis von Orthogonalität und „unendlicher Ausdehnung“ des Raumes (Trennung von Raum, Zeit und Materie und Konstituierung der spannungslosen trägen Masse, die dann ohne Vermittlung identisch ist mit der schweren Masse, dem Bezugspunkt des Gravitationsgesetzes), wird so zugleich neutralisiert, nach innen verlagert und erinnerungslos erhalten. Im neutralisierten Raum (und in der formalisierten Logik) entfällt mit der Logik der Begründung die Kraft, der Atomisierung der „Empfindungen“ (und der Erkenntnis) zu widerstehen. Begründung wird durch Gesetz und Kausalität, Entsprechungen werden durch Wechselwirkungen ersetzt. – Bedeutung der Orientierungsmetaphern: vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken), rechts und links (Gnade und Strenge), oben und unten (Großmut und Niedertracht, Erlösung und Verdammnis, Segen und Fluch).
Spr 316: „Langes Leben birgt sie (die Weisheit) in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre.“
Den Tod kennen wir nur als den Tod der anderen (und vermeiden heute den Schluß, daß auch wir sterblich sind; wir ziehen uns zurück auf den Punkt, schon dem Totenreich anzugehören, und das ist unsterblich). Ebenso kennen wir die gesamte Physik nur als ein Weltsystem, in das als Subjekt der andere mit eingeht (Intersubjektivität, konstituiert durch den Tod des Individuums, das ja ohnehin nur der andere ist, dessen dann nicht mehr gedacht zu werden braucht: so konstituiert sich die „reine Objektivität“ der Physik). In der gleichen Konstellation entspringt der Begriff des Bekenntnisses, und wenn nach der logischen Struktur dieses Konstrukts Frauen nicht bekenntnisfähig sind, so ist das nicht nur als Mangel anzusehen (vgl. Gen 315 i.V.m. Gen 314u.19).
Wenn Kant die Welt gegen die Schule vertritt, so übersieht er, daß der Weltbegriff auch ein Schulbegriff ist (vgl. die Schöpfungslehre bei Augustinus und Thomas).
Die sieben Gemeinden, die sieben Siegel, die sieben Engel mit den Posaunen und die sieben Engel mit den Schalen (sieben Plagen).
Es ist entsetzlich, wie der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zur Exkulpierung des Westens mißbraucht wird. Hier setzt sich das hegelsche Weltgericht in einer Weise durch, die nachträglich die „List der Vernunft“ als dezisionistisch enthüllt. Gleichgültig, ob man als letzte Instanz die Geschichte, das Ausland oder die Welt bemüht, in jedem Falle wird das Gewissen namen- und gegenstandslos gemacht. Auf dieser Grundlage blüht
– in der Verwaltung ein Ressortdenken, bei dem es nicht mehr darauf ankommt, das Richtige zu tun, sondern, was man auch tut, es so zu tun, daß man später nicht haftbar gemacht werden kann,
– während auf der Ebene der Justiz, wie im Kontext der rechtlichen Aufarbeitung der Vergangenheit und im gesamten Verfahren der rechtlichen Bearbeitung des sogenannten Terrorismus leicht zu erkennen ist, die Idee der Gerechtigkeit selber angegriffen wird, in Zynismus sich auflöst.
Die Kantische subjektive Form der Anschauung ist Produkt der Identifikation mit dem Aggressor. In ihr setzt sich die Welt gegen das Subjekt durch. Schiffsbruch mit Zuschauer: steht das nicht in der Tradition dieser subjektiven Form der Anschauung, die diese kontemplative Distanz erst ermöglicht. Das transzendentale Subjekt ist das Subjekt als Zuschauer der Welt. Und was der Zuschauer in dieser Welt sieht, steht unter dem (heute von der Kulturindistrie manipulierten und ausgebeuteten) Gesetz des Apriori, ist Produkt der Synthesis.
Das Schema Jisrael klärt das Verhältnis der hebräischen Sprache zu den Israeliten.
Nur Abraham, Isaak und Ijob starben „alt und lebenssatt“:
– Abraham: „starb in hohem Alter, betagt und lebenssatt, und wurde mit seinen Vorfahren vereint“ (Gen 258);
„… starb in gutem Greisentum, alt und satt, und wurde zu seinen Volksleuten eingeholt“ (Buber)
– Isaak: „starb und wurde mit seinen Vorfahren vereint, betagt und satt an Jahren“ (Gen 3529);
„Er starb und wurde zu seinen Volksleuten eingeholt, alt, an Tagen satt“ (Buber)
– Jakob: „Dann verschied er und wurde mit seinen Vorfahren vereint“ (Gen 4933);
„… verschied un wurde zu seinen Volksleuten eingeholt“ (Buber)
– Ijob: „Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen“ (Ij 4217).
„Ijob starb, alt, an Tagen satt“ (Buber)
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