Nach diesem Urteil wäre es nur noch zynisch, wenn das Angehörigen-Info immer noch nicht bereit wäre, sich zur Ausgrenzung Birgit Hogefelds, zur Aufkündigung der Solidaritat, zu erklären.
Bezeichnend, daß dieses Urteil die mehrfachen selbstkritischen Erklärungen Birgit Hogefelds völlig verschweigt, umgekehrt Teile ihrer Erklärungen, in denen sie sich selbstkritisch auf die Handlungen sich bezieht, deretwegen sie verurteilt worden ist, gegen sie wendet, als habe sie genau das Gegenteil gesagt. Ein ein solcher Zitatenklau ist so etwas wie „einem das Wort im Munde umdrehen“.
Der Freispruch zu dem Anklagepunkt „Beteiligung an einem Mord“ (in Bad Kleinen) beruft sich insgesamt auf Fakten und Beweise, die auch zur Zeit der Anklage schon bekannt waren und, wenn man diesen Freispruch ernst nimmt, eigentlich schon damals zur Zurückweisung dieses Anklagepunkts hätten führen müssen. Heißt das nicht, daß der Verdacht nicht unbegründet ist, dieser Anklagepunkt habe von vornherein nur instrumentelle Bedeutung gehabt, nämlich einen Sachverhalt juristisch festzuschreiben, was nur mit Hilfe dieses Anklagepunktes möglich war? Und ergreift dieser Verdacht dann nicht das Verfahren insgesamt?
Wenn Birgit Hogefeld die Taten, deretwegen sie verurteilt worden ist, nicht begangen hat, wenn sie aber gleichzeitig auch grundsätzlich nicht denunzieren wollte, ist dann die Erklärung, die sie dafür gegeben hat, daß sie keine Unschuldserklärung abgibt, nicht verständlich? Und gewinnen dann ihre öffentlichen selbstkritischen Reflexionen zur RAF nicht eine noch größere Überzeugungskraft (nur eben nicht für die Komplizenschaft aus BAW und Senat)?
Dieses Urteil hat mit der Angeklagten fast nichts mehr zu tun, sein Adressat sind die Sympathisanten und Unterstützer der BAW.
Wer diesen Prozeß mit Bewußtsein verfolgt hat, hat in einen Abgrund geschaut (allerdings nicht in den, den Anklage und Urteil sich bemüht haben zu auszumalen). Merkwürdigerweise haben u.a. die das Bild von dem in den Abgrund rasenden Zug nicht verstanden, die glaubten, von den Prozeß-Erklärungen Birgit Hogefelds (mit dem Hinweis auf „politische Differenzen“) sich distanzieren zu müssen.
War nicht Schreber, der Verfasser der „Denkwürdigkeiten“, auch ein Senatspräsident?
Soll mich das seit einigen Tagen regelmäßige Aufwachen und Nicht-wieder-Einschlafen etwa um 5.30 Uhr morgens an den Hahn erinnern, an seine Pflicht zu krähen?
Verweist nicht die Halbierung des Malachias-Wortes, den Lukas dem Engel Gabriel in den Mund legt, auf die Grenze, die das Christentum von der Prophetie trennt, und auf den wirklichen Sinn des Wortes von der Erfüllung der Prophetie?
Ist nicht das „Kinder in die Welt Setzen“ etwas ähnliches wie „Kinder aussetzen“? Das wirft ein Licht auf die Abtreibungskampagnen der Kirchen: Käme es nicht vielmehr darauf an, die Welt, in die wir die Kinder „setzen“, menschlicher zu machen, als die Kinder dieser Welt in der sie keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben mehr haben, auszusetzen?
Was sich gegenüber Hiob verändert hat: Heute sind die Christen die Ankläger, die alle Hiobs weltweit auf die Probe stellen. Deshalb ist die Anwendung des Hiobbildes nur noch auf andere zulässig, jede Selbstanwendung führt in die Versuchungen des Selbstmitleids und damit in Verstrickungen, in denen ein anderes als fundamentalistisches Religionsverständnis (das das Religionsverständnis der Ankläger ist) nicht mehr möglich ist. Dieses Religionsverständnis ist es, das heute die Besten aus dem Christentum vertreibt.
Die Versuchungen des Selbstmitleids: Sind sie nicht der Grund des kaum noch zu entwirrenden erbaulichen Schriftverständnisses, dem in den Kirchen fast keiner mehr sich entziehen kann?
Gibt es nicht einen Zusammenhang zwischen diesen Versuchungen des Selbstmitleids und der Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung, die der Barmherzigkeit den Weg verstellen: der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, von der am Ende des Buches Jona die Rede ist?
Die Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, ist die Unfähigkeit, sich in sie hineinversetzen, die Unfähigkeit, zu begreifen, daß es für auch die Andern ein Angesicht und und ein Hinter dem Rücken, das für mich (für den „Seitenblick“) ein Rechts und Links ist, gibt. Und diese Unfähigkeit wird durch die Hypostasierung der subjektiven Formen der Anschauung dogmatisiert.
Erscheint die Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, nicht bei Jürgen Ebach wieder, wenn er den hebräischen Namen der Barmherzigkeit auf den „Unterleib“ bezieht, ihn geschlechtslos macht: Ist sie nicht auf den weiblichen „Unterleib“, auf den Mutterschoß, die Gebärmutter bezogen (das gleiche Organ übrigens, das auch dem Namen der Hysterie und in ihm dem ersten erfolgreichen Versuch, die Barmherzigkeit zu neutralisieren, zugrundeliegt – vgl. die Reflexionen zur Hysterie in Christina von Braun: Nicht-Ich)?
Anmerkung dazu: Ist der Versuch so abwegig, im (männlichen) Sexismus wie auch in allen Erektionsphantasien ein Bild der Hypertrophie des „strengen Gerichts“ zu erkennen? Und hängt hiermit nicht auch die merkwürdige Rolle der Väter in den Evangelien wie auch das Bild der Jungfrauengeburt (und das der Berufung der Propheten im Mutterschoß) zusammen?
Kann es sein, daß der messianische Titel Gottessohn ein Titel ist, der nur im Munde der Männer (und der Dämonen) zu finden ist, kommt er im Munde von Frauen überhaupt vor? Maria Magdalena nennt ihn bei der Begegnung im Garten nach der Auferstehung Rabbuni, und eine andere Frau preist den Schoß, der ihn geboren, und die Brust, die genährt hat. Und dann sind da die klagenden und weinenden Frauen in Jerusalem, denen er sagt: Weint nicht um mich, sondern um euch und eure Kinder.
Das Selbstmitleid ist der Greuel am heiligen Ort: Es erstickt die Barmherzigkeit.
November: Die Bäume verlieren ihre Farbe, der Wald wird grau wie der Himmel.
Auch ein Beitrag zur Kritik der Naturwissenschaften: Wer immer schon im Voraus weiß, daß etwas schief ausgehen wird, und dabei auf seine „Erfahrung“ sich beruft, wendet damit eigentlich nur das Prinzip an, das dem Inertialsystem zugrundeliegt: Er subsumiert die Zukunft unter die Vergangenheit, er macht sie zu etwas „Perfektem“, schon Abgeschlossenen, weil er das Offensein der Zukunft nicht erträgt. Außerdem hat der den Vorteil, wenn die Sache tatsächlich so ausgeht, es schon im Voraus gewußt zu haben; wenn es dagegen gut ausgeht, ist seine „Prophetie“ ohnehin vergessen.
Aber haben sich für ihn die „Pforten der Hölle“ (die die Pforten der Unterwelt, des Totenreichs, sind) damit nicht schon geschlossen, wird ihm nicht die Welt zu einer, in der es ein Glück, das anderes als der Zufall wäre, nicht mehr gibt?
Das Adjektiv „politisch“ scheint heute nur noch das Prinzip Beelzebub zu bezeichnen: die Vorstellung einer Gemeinschaft, die auf keinen Fall in sich uneins sein darf. Was aber „schweißt“ eine Gemeinschaft mehr „zusammen“ als ein gemeinsamer Feind?
Hat der Insektenstaat etwas mit den Mücken, dem Geziefer und den Heuschrecken zu tun?
Zum Bild des fallenden Fahrstuhls: Der fahrende Zug, an dem das spezielle Relativitätsprinzip sich demonstrieren läßt, abstrahiert von der Realität der (durch äußere Bedingungen wie Gravitationsfeld und Luftwiderstand beeinflußten) Bewegung, während der fallende Fahrstuhl, das Demonstrationsobjekt der Allgemeinen Relativitätstheorie, zusätzlich auch von der Schwere abstrahiert. (Ist der dunkle Hohlraum, auf den das Plancksche Strahlungsgesetz sich bezieht, das Innere dieses Fahrstuhls ?) Leicht und schwerelos aber ist nur die Kunst. Deshalb gehören die subjektiven Formen der Anschauung zur transzendentalen Ästhetik; die Formen der Anschauung machen Erfahrungen reproduzierbar, indem sie sie in Vorstellungen transformieren, sie zu Gegenständen unserer Vorstellungskraft machen. Die Vorstellung eines materiellen Objekts aber ist selber kein materielles Objekt. Das reine Inertialsystem, das erst im Innern des fallenden Fahrstuhls sich herstellt, ist die Bühne der zum Schauspiel vergegenständlichten Natur. Die Objekte der Naturwissenschaften sind ästhetische Objekte, für die die Theologie nicht gilt: Sie sind weder geschaffen, noch Empfänger der Offenbarung, und sie haben (nach ihrer Trennung von der Sprache, die sie nicht erreicht) keinen Anteil an der Erlösung.
Was passiert, wenn man einen Schacht durchs Zentrum der Erde baut, in den der fallende Fahrstuhl dann fällt; was geschieht im Innern des fallenden Fahrstuhls, wenn der Fahrstuhl das Zentrum passiert, an dem die Richtung der Schwerkraft sich umkehrt? Der Fahrstuhl selbst würde (wie die Planeten auf ihrer elliptischen Bahn, wenn sie von der Sonne sich entfernen) den retardierenden Kräften eines seiner Bewegungsrichtung entgegengesetzten Gravitationsfeldes ausgesetzt und in der weiteren Folge in eine Art Pendelbewegung übergehen. Würden diese retardierenden Kräften im Innern des Fahrstuhls nicht wie ein plötzlich mit Gewalt auf alle Bewegungszustände im Innern einwirkendes neues Gravitationsfeld, und d.h. als gewaltiger Aufprall erfahren? Die Rhythmik der Pendelbewegung des Fahrstuhls würde nicht nur in den äußeren Bewegungsabläufen, sondern auch in den Zuständen im Innern des Fahrstuhls sich ausdrücken.
Ist die Situation in dem fallenden Fahrstuhl in dem Augenblick, in dem er das Erdzentrum passiert, nicht vergleichbar der Situation, in der die Juden am Ende des Krieges sich vorfanden, oder auch der Situation, die entsteht, wenn das Urteil am Ende eines Prozesses den Hoffnungen, die vorher noch bestanden haben mögen, ein Ende macht? Diese Erfahrung, so scheint es, war nicht mitteilbar, und sieht es nicht so aus, als hätten die Schüler der Frankfurter Schule diese Ursprungssituation der Philosophie, die sie „zu vertreten“ glauben, nie begriffen, als stünden sie unter einem Zwang, diese Erfahrung zu harmonisieren.
Heute ist es die Verweigerung der Reflexion, die die Beschleunigungskräfte, denen der fallende Fahrstuhl sich ausgesetzt sieht, verstärkt. Oder anders: Die Kräfte des freien Marktes sind die Beschleunigungskräfte des Falls.
Der Faschismus insgesamt beschreibt genau die Effekte an dem Punkt, an dem der Fahrstuhl das Zentrum durchläuft. War nicht 68 die Peripherie der Pendelbewegung erreicht, und bewegen wir uns im Augenblick nicht erneut aufs Zentrum zu?
Haben die besonderen Haftbedingungen der Gefangenen der RAF nicht auch das Ziel, den Gefangenen jede Chance der Reflexion, jede Möglichkeit, über ihre Situation sich Klarheit zu veschaffen, zu nehmen? Und gehört nicht das Angehörigen-Info inzwischen zu den Kräften, die diese Absperrung, ohne es zu wissen oder gar zu wollen, auf eine schreckliche Weise fördern? Und das, weil sie einem Politikbegriff verfallen sind, der dem Bann der Feindbild-Logik nicht mehr sich zu entziehen vermag. Diese Feindbildlogik ist wahr, weil sie die Logik ihrer realen Situation ist; sie ist unwahr, weil sie die Distanzierung dieser Situation durch Reflexion und damit ihre Erkenntnis unmöglich macht.
von Braun
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6.11.1996
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17.7.96
Hat das Mittelalter (nach der irischen/pseudodionysischen Revolution) den Satz des Kohelet „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ auf den Mond bezogen (und daraus seine Kosmologie entwickelt), und war dieser Paradigmenwechsel der Katalysator der kosmologischen Remythisierung der Theologie, ihrer Verschmelzung mit der Herrschaftslogik?
Die Gravitation, die seit Newton zum Zentrum der modernen Astronomie und Kosmologie geworden ist, ist (wie das Medium der elektromagnetischen Prozesse und wie die Objekte der Mikrophysik, eigentlich wie unsere Vorstellungen und Begriffe insgesamt) unsichtbar.
Gibt es nicht zwei getrennte und von einander zu unterscheidende natürliche Zyklen, des Tages- und den Jahreszyklus? Wodurch unterscheiden sich diese beiden Zyklen? Hat nicht die zyklische Folge von Tag und Nacht eine andere Qualität als die der vier Jahreszeiten? Gründet die zyklische Folge von Tag und Nacht in dem Wechsel von Oben und Unten, die der Jahreszeiten in der wiederkehrenden Folge der vier Himmelsrichtungen?
Sonne und Mond sind auf den Tag und die Nacht bezogen. Haben Jupiter, Mars, Venus und Merkur etwas mit den vier Jahreszeiten (und den Himmelsrichtungen) zu tun (sind die vier apokalyptischen Reiter Repräsentanten dieser vier Planeten)? Und ist der Saturn, der siebte Planet, der Planet des Sabbats?
Zur Venus: Hat nicht jede Lust Anteil an der Euphorie des Sterbens (und ist nicht die kantische Ästhetik als Theorie der Urteilslust, eine Theorie der Euphorie – nicht aber des Glücks, das das Erwachen voraussetzt)?
Dazu gibt es eine dritte Periodik: die der „Sothis-Periode“. Bezieht sich hierauf das Wort „Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag“?
In der jüdischen Tradition sind nur gehörnte Tiere Opfertiere. Welche Opfertiere gibt es, und welche Tiere haben außerdem noch Hörner? Was hat den Bock zur Symbolfigur des Teufels gemacht?
Leben wir nicht in sadduzäischen Zeiten: Niemand glaubt mehr an die Auferstehung.
Zum Kelch von Getsemane gehört der Schlaf der Apostel.
Waren nicht die Evangelien die ersten Angehörigen-Infos? Auch sie waren in erster Linie getragen von den Müttern.
Als Jesus sagte: „Denn wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut, der ist mit Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 1250 parr), da nannte er nicht den Vater (bei Lk fehlt auch die Schwester).
Ist nicht die Gnadenlehre eine postdogmatische (und in dem Sinne lateinische) Lehre, setzt sie nicht das zur confessio geronnene Dogma voraus? Ist sie nicht der Reflex auf das, was man die Gravitationserfahrung nennen könnte (die Unaufhebbarkeit der Schwere, die Abgeschlossenheit und Unentrinnbarkeit der unteren, irdischen Welt)? Ist das Dogma die Schrift an dem sonst unerreichbaren Himmel?
In der Kabbala gibt es zu dem Psalmvers „Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr“ auch die Version „Aus der Tiefe rufe ich dich, o Herr“: Die Frage bleibt offen, wer in der Tiefe, wer unten ist.
„Finsternis über Urwirbels Antlitz. Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser“ (Buber-Übersetzung von Gen 12). Hat dieses „über“ etwas mit jener Tiefe zu tun? Ist es das gleich (unaufhebbare) „über“, das die Beziehung des Begriffs zum Objekt definiert (und ist die Oben-Unten-Beziehung eindeutig nur in dieser Beziehung)?
Die Gravitation bezieht sich auf das stumme Innere der Dinge, das Licht auf ihre farbige Außenseite (nur als Wärme dringt es auch in ihr Inneres).
Haben die Attribute des Tieres aus dem Wasser und des Tieres vom Lande etwas mit dem Satz „Der Himmel ist sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße“ zu tun?
Die Propheten in den Büchern Samuel und Könige sind Königspropheten, erst die Schrift-Propheten handeln im Angesicht der Großreiche, der drohenden, dann auch eintretenden Unterwerfung Israels unter äußere Mächte.
Ist nicht Walter Benjamins Bemerkung über die Beziehung des Profanen zum Messianischen der Schlüssel für den Satz, wonach am Ende, wenn Gott alles unterworfen sein wird, sich auch der Sohn Ihm unterwerfen wird, und Gott alles in allem sein wird (1 Kor 1528)?
Daß das Lesen öffentlicher und intimer zugleich ist als der unmittelbare Umgang, widerlegt die Bedeutung, die seit Buber dem Begriff der Begegnung beigelegt wird.
War nicht der habermassche „Verfassungspatriotismus“ (zusammen mit der Akzeptierung eines Rechts, das nur durchs formal geregelte Verfahren, nicht mehr inhaltlich sich legitimiert) nur die vornehmere Version der hitlerschen Abschaffung des Gewissens („dieser jüdischen Erfindung“)?
Vgl. Mt 548 („seid vollkommen, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist“) und Lk 636 („seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“).
Liegt nicht das Problem der Vertriebenen-Verbände darin, daß insbesondere Schlesien seit dem siebenjährigen Krieg ein Legitimationsland war (Ursache des Übergangs der Reichsgewalt von Österreich an Preußen)? Liegen hier nicht auch die Gründe für einige Eigenheiten Schlesiens, insbesondere für die merkwürdige Gestalt des schlesischen Katholizismus (eine Mischung aus Anpassung, Hybris und Sentimentalität). Hat es nicht schon in Adenauers Zeiten, und jetzt erneut nach der „Wiedervereinigung“, eine zwar nicht offizielle, darum aber nicht weniger wirksame Politik gegeben, die (aus Gründen der Legitimität) auf die Revision der Ergebnisse des letzten Krieges hinausläuft?
Die schriftstellerischen Fähigkeiten Christinas von Braun profitieren offensichtlich von ihrer Arbeit als Filmemacherin, von ihrer Fähgikeit, Themen in Handlungen zu übersetzen. Aber ist das nicht eine Anforderung, die an jede „Theorie“ zu stellen ist, daß sie aufhört, bloß „objektiv“ über Sachen zu reden, diese Objektivität vielmehr aufbricht, sie aufschlüsselt mit Hilfe der Logik des Handelns anstelle der des Seins, mit Hilfe der Ethik anstelle der Ontologie (war das nicht der parvus error in principio von Habermas, daß er das Handlungskonzept durch ein Kommunikationskonzept <die Handlungsgemeinschaft durch die Kommunkationsgemeinschaft> ersetzt, damit gleichsam die Ontologie durch die Hintertür wieder eingeführt hat)?
Gilt dieses Projekt des Aufbrechens der Objektivität nicht auch für die Geschichte der Theologie (und hier vor allem für die Opfertheologie, die das Handeln ontologisiert hat)?
Den Bann des Mythos sprengen, heißt: den ihm einbeschriebenen Bann der Vergegenständlichung und damit den logischen Kern der Schicksalsidee sprengen. Ist nicht die transzendentale Ästhetik in jeder Gestalt die instrumentalisierte Schicksalsidee, und reproduziert sich nicht durch sie der Mythos in der Aufklärung? Deshalb ist der Titel der Adornoschen „Ästhetik“ falsch: Angemessen wäre der Titel Kunstkritik (ebenso wie Kapitalismuskritik, Kritik der Naturwissenschaften, Kritik der Geschichte: Kritik des Weltgerichts, des blinden Flecks, der Verblendung durch Objektivität). -
9.3.96
Hat nicht das Eingedenken der Natur im Subjekt etwas mit der Beziehung des Namens der Barbaren mit dem der Hebräer zu tun: mit der Reflexion (und der Rücknahme) des projektiven Elements in der Erkenntnis, das die Aufklärung mit dem Mythos verbindet?
Die Zwei-Kinder-Familien stehen unter dem Rentabilitätsbann, die Kinder in diesen Familien unter dem Bann der intentio recta (der Unfähigkeit zur Reflexion). Die Konstellation insgesamt ist der genaueste Ausdruck der moralischen Proletarisierung des Mittelstandes.
Moral als Instrument des Wegsehens (der Brief von Antje Vollmer/Felix Ensslin): Das moralische Urteil rückt den Urteilenden in die Position dessen, der über der Sache steht und deshalb der Pflicht sich entbunden fühlt, sich in die Sache einzulassen.
Die hethitische Sprache kennt kein Femininum: Sie ist die Sprache des Staubes (den Adam produziert und die Schlange frißt). Hat nicht Christina von Braun („Nicht-Ich“) den Nachweis erbracht, daß die logozentrische Sprachlogik an diesem hethitischen Erbe teilhat?
Gilt die Warnung in der Johannes-Offenbarung vor denen, die „die Tiefen des Satans erforschen“ (224), der theologischen Rezeption des Weltbegriffs (dem daraus hervorgegangenen Konstrukt der creatio mundi ex nihilo, in dem das gnostische Erbe in der Theologie fortlebt)? Ist darin nicht schon die Warnung vor der Theologie hinter dem Rücken Gottes enthalten? -
13.12.95
Heute zerstört das Hegelsche Weltgericht die moralischen und natürlichen Grundlagen des Lebens.
Propheten: Nicht die Väter und nicht die Herren, sondern die Söhne und Töchter werden weissagen, die Greise werden Träume träumen, die Jünglinge Gesichte sehen, über die Knechte und Mägde wird Gott seinen Geist ausgießen.
Zu Birgit Hogefeld vgl. Christina von Brauns Bemerkungen über die Ursprung und Geschichte der Hysterie (ein Produkt männlicher, sexistischer Definitionsmacht), die Beziehung von Hysterie und Barmherzigkeit (deren hebräischer Name aus dem der Gebärmutter sich herleitet).
Der Prozeß gegen Birgit Hogefeld ist ein Prozeß, der auch gegen die Öffentlichkeit geführt wird: Die Diskriminierung der Linken unterwirft die Öffentlichkeit Rechtfertigungszwängen und desensibilisiert sie zugleich. Nur in diesem Kontext wird der Angeklagte zum Feind, werden Verteidiger und Prozeßbesucher zu Sympathisanten. Restituierung des mittelalterlichen Rechtsprinzips „Mitgefangen, mitgehangen“. Das Perverse ist, daß Birgit Hogefeld, deren Erklärungen durch ein hohes Maß an Reflexion sich auszeichnen, weder durch ihr Verhalten noch durch den bisherigen Prozeßverlauf das Bild bestätigt, in das die Anklage und offensichtlich auch das Gericht sie hineinzwingen wollen (gespenstisches Gefühl, der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori beizuwohnen). Stigmatisiert wird die Angeklagte nur durch die Rahmenbedingungen des Prozesses, der als „raf-Prozeß“ mit dem eingespielten Ritual (martialisches Polizeiaufgebot, teilweise mit Maschinenpistolen, Polizeihunden; entwürdigende, die Besucher diskriminierende und die Öffentlichkeit abschreckende Eingangskontrollen) geführt wird. Offene Angriffe gegen Prozeßbesucher (auch gegen die Mutter der Angeklagten), nicht nur von Polizeibeamten, sondern auch von Bundesanwaltschaft und Nebenkläger, ohne daß der Senat sich veranläßt sähe, einzugreifen, während die Angeklagte und ihre Verteidigung Einschränkungen unterworfen werden, die teilweise den Eindruck erwecken, daß sie der strategischen Absicherung der „Beweisführung“ dienen.
Wie hängt die Feindbildlogik, die das Verfahren zu beherrschen scheint, mit dem theologischen Erbe des „stellvertretenden Opfers“ zusammen? Nach staatlicher Rechtslogik bedarf der „Mord“ an dem GSG-9-Beamten der „Sühne“. Die ist aber am toten Wolfgang Grams juristisch nicht mehr möglich (man kann keinen Prozeß gegen einen Toten führen). Diese „Sühne“ ist an ihm möglicherweise schon vollstreckt worden, was jedoch aufgrund eines Senatsbeschlusses nicht in die Beweisführung mit eingebracht werden darf. Die Unschuld des Staates, die dann auch die, die ihn vertreten, freispricht, ist erst gewährleistet, wenn die Tat, die nicht aufgeklärt werden darf, stellvertretend an einer Person gesühnt wird, auch wenn mit Sicherheit feststeht, daß sie sie nicht begangen hat.
Ein ganzes System von Schuldverschiebungen ist erforderlich, um hier zu einem Urteil zu kommen, das das leistet, was es leisten soll: den Staat freisprechen, und mit ihm die Bundesanwaltschaft und das Gericht, die ohnehin den Eindruck erwecken, daß sie den Grundsatz „In dubio pro reo“ für die Angeklagte nicht mehr verfügbar haben, da sie ihn schon für sich verbraucht haben.
Ist nicht der Titel Staatsanwalt Teil einer Rechtslogik, deren erster Zweck nicht die Begründung und Förderung von Gerechtigkeit, sondern die Freisprechung des Staates ist? Nur dieser Staat braucht – wie sonst nur ein Beschuldigter – einen Anwalt. In zivilisierteren Ländern gibt es den öffentlicher Ankläger, der schon sprachlich, durch seine Berufsbezeichnung, der Komplizenschaft mit dem Staat enthoben ist. Beim Staatsanwalt, der nicht in eigener Verantwortung die Anklage vertritt, besteht ein gleichsam existentielles Interesse am rechtsförmlichen Nachweis der Unschuld des Staates. Nur so kann der Staat das leisten, was der Staatsanwalt von ihm als Gegenleistung für seinen Dienst erwartet: Ihn von der Verantwortung für die belastende Tätigkeit des Anklägers befreien (er tut nur seine Pflicht).
Die Verdrängung der Sensibilität, die bewußtlose Form der Gemeinheit, die Gemeinheit mit gutem Gewissen, produziert den empfindlichen Staat, einen Staat, den man nicht ungestraft verunglimpfen darf. Die Empfindlichkeit des Staates ist ein Gradmesser seiner Schuldverstrickung und seiner Verdrängungsleistung (gründet nicht jeder Fundamentalismus in einer solchen Empfindlichkeit, und ist deren subjektive Wurzel nicht die Empörung?). -
23.3.1995
Prima philosophia: Auch die Ontologie gründet in der Ethik, nur ist diese eine Ethik der in der Ohnmacht gründenden Passivität, eine Ethik der Nicht-Handelnden, der Herren und der Zuschauer.
Auf das homologein, das die Theologie mit Bekennen übersetzt, bezieht sich das Gleichnis von den Talenten: Das kirchliche Glaubensbekenntnis ist das vergrabene Talent. Dieses Vergraben ist ein anderer Ausdruck für eine Theologie hinter dem Rücken Gottes.
Mizrajim ist ein Bruder Kanaans, beide sind Söhne des Ham.
Die Distanz zum Objekt ist vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt: Ein Beispiel hierfür ist der Film, die logische Konstellation Regisseur, Schauspieler, Zuschauer, die auf seinen genetischen Zusammenhang mit der Logik der Schrift zurückweist. Gehört nicht zum „Star“ die diesen Zusammenhang konstituierende kopernikanische Konstellation? Der Film gehört in jene „Sphäre“, die Hegel von der des Lichts noch unterscheidet: die seiner „Fortpflanzung im Raum“, die durch die kopernikanische Wende begründet wird.
„Es gibt einen Stamm, dessen Angehörige sich für unsichtbar halten: Die Ethnographischen Filmer: Wenn sie, mit Maschinen beladen, Kabel hinter sich herschleifend, einen Raum betreten, in dem ein Fest gefeiert wird, in dem Kranke geheilt oder Tote betrauert werden, dann bilden sie sich ein, sie würden nicht bemerkt …“ (Eliot Weinberger: Die Kamera-Menschen, Lettre Heft 28, I. Vj, 95, S. 62): Gehört nicht die ganze zivilisierte Welt zu diesem Stamm; sind nicht Film und Fernsehen ihre Initiationsrituale? Was hier offenkundig wird, die endgültige Trennung der optischen von der sprachlichen Kommunikation, hat mit der kopernikanischen Wende, dem astronomischen Ursprung des Inertialsystems, begonnen. Die Monologisierung der Kommunikation, die mit der Schrift begonnen hat, wird im Fernsehen vollendet. Die Entwicklung vom Leser, der den Dialog mit dem Autor verinnerlichte, zum Zuschauer, der dieses Dialogs nicht mehr mächtig, dem Bild ohnmächtig und hilflos preisgegeben ist, ist ein Beleg für das Hegelsche Theorem vom Umschlag von Quantität in Qualität. Fernsehen ist atheistisch; das „Wort zum Sonntag“ liefert den allwöchentlichen Beweis.
Das Fernsehen ist ein Instrument der Vergesellschaftung jener Situation, die Edgar Morin einmal so beschrieben (und dann u.a. im Bilde des entwaffneten SS-Manns erläutert) hat: „Die Passivität des Zuschauers, seine Ohnmacht, versetzen ihn in eine verhältnismäßig regressive Situation: …, wir alle werden sentimental, empfindsam, wehleidig, wenn wir unserer Aktionsmöglichkeiten beraubt werden.“ (Der Mensch und das Kino, Stuttgart 1958, S. 109). Zum Film als gesellschaftliches Reflexionsmedium vgl. auch Eliot Weinberger: „Die Kamera-Menschen“ (Lettre Nr. 28) und Christina von Braun „Nicht-Ich“.
Der Raum exiliert die Dinge aus der Gegenwart, er ist der Feuerofen, in dem das sinnlich Gegenwärtige zur Asche verbrennt.
Das Freund-Feind-Denken schafft klare Fronten, aber es verwirrt die Urteilskraft. Wer kann noch sicher sein, daß die Freunde wirklich Freunde sind? Das Freund-Feind-Denken ist der Infektionsherd der Paranoia.
War nicht der Streit um die homousia ein Streit um die Möglichkeit des Selbstbewußtseins in einer imperialen Gesellschaft? Die symbiotische Teilhabe am Caesarismus war der Ursprungspunkt der Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft. In diesem Kontext ist die Theologie zu einer Phase in der Geschichte der Aufklärung geworden.
Nicht Gott ist empfindlich, sondern die Gläubigen sind es. Der zweckrationale Kern des Glaubens ist die Idee des Absoluten, das Medium der Hybris in der Theologie.
Die Kritik der Religion und ihrer Grundlagen ist so weit in die Religion hineinzutreiben, bis sie sich in einer vom Angesicht Gottes erleuchteten Welt wiederfindet. Das wäre zugleich die Lösung des Rätsels der Apokalypse.
Findet der Blochsche Satz über die Guten und die Bösen am Ende des Geistes der Utopie nicht seine Auflösung in dem Satz vom Binden und Lösen?
Wenn das Subjekt der Welt das Tier ist, was hat es dann zu bedeuten, wenn die Schlange das klügste aller Tiere ist?
Die Welt brennt: Sie hat sich an den steinernen Herzen entzündet.
Memoria passionis: Das heißt unfähig werden, das wahrgenommene Leiden anderer zu verdrängen. Das aber ist der Ursprungspunkt der Sensibilität, nicht der Empfindlichkeit.
Das Prinzip des Wissens gründet in der Konvertibilität des vergangenen Sehens mit dem Sehen der Anderen. Bezieht sich hierauf nicht der Satz: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“?
Durch welche logische Konstruktion wurde das hebräische Perfekt in das griechische Perfekt umgeformt?
„Denn während Juden Zeichen fordern und Griechen nach Weisheit fragen, predigen wir Christus den Gekreuzigten, für Juden ein Ärgernis, für Heiden aber eine Torheit, für die Berufenen selbst aber, sowohl Juden als Griechen, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1 Kor 122ff) Hat dieses „Ärgernis“ etwas mit den Ärgernissen in Mt 187 u. Lk 171f zu tun? Stehen die Sätze nicht in einer inversen Beziehung zueinander: gilt das Wehe in den Evangelien-Texten dem Wir im Paulusbrief?
Wodurch unterscheiden sich die Präfixe von den Suffixen? Kann es sein, daß, während die Präfixe auf räumliche Beziehungen sich erstrecken (und mit der Entfaltung der Raumvorstellung sich differenzieren), im Ursprung und in der Funktion der Suffixe die fortschreitende Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit sich ausdrückt? So werden die indogermanischen Formen der Flexion durch Suffixe ausgedrückt (die in den modernen Sprachen dann weithin durch Hilfsverben ersetzt werden), während die semitischen Flexionsformen in der Vokalisierung sich manifestieren.
Sein und Haben beziehen sich auf Perfektbildungen (auf die Vollendung der Vergangenheitsform), und zwar das Sein auf die reflexive, das Haben auf die objektbezogene Pefektbildung: Ich bin geworden, und Ich bin gewesen, aber Ich habe getan (und Ich habe gehört und Ich habe gesehen). Vgl. die Sequenz: Ich habe getan, ich bin schuldig geworden und ich schäme mich.
Die Scham führt in die Isolationshaft des Gesehenwerdens: man erfährt sich als Objekt des Wissens anderer; der Schutz der Privatsphäre ist der Schutz vor diesem Zum-Objekt-des-Wissens-anderer-Werden. Die Materie ist die aufgedeckte Scham der Dinge (sie gehört zu den nackten Tatsachen).
Ohne Ansehen der Person: Schließt das nicht die Kritik der Person als des Repräsentanten der Welt im Subjekt (dem Äquivalent des Dingbegriffs) mit ein, eine Kritik, die den Vorrang des Angesichts wiederherzustellen sucht.
Die Entsühnung der Welt, das Hinwegnehmen der Sünden der Welt, steht in der Tradition des Alexander, der den Knoten nur durchschlagen, nicht gelöst hat.
Die Beziehung der Sprache zum Objekt ist nicht nur eine äußerliche; diese Äußerlichkeit ist vielmehr in sich selber sprachlich vermittelt. Während es in der Philosophie die subjektiven Formen der Anschauung sind, ist es in der Theologie die Bekenntnislogik (und in ihr insbesondere deren opfertheologischer Grund), denen die Trennung beider sich verdankt. (Legitimation des Bestehenden, Theologie hinter dem Rücken Gottes, Konstitution des Weltbegriffs durchs Konzept der „Entsühnung der Welt“, Vorrang der Anschauung, Name und Begriff) -
1.11.1994
Die Spekulation verlagert die Arbeit in die Objekte: Nicht die produktive Arbeit, sondern das Vermögen in der Gestalt des Besitzes ist die Quelle des Einkommens und des Reichtums.
Die animalisierende Wirkung der Wut (das Tier und der Weltbegriff; Wut und Anpassung).
Die Geschichte der Sexualmoral ist ein Teil der Geschichte der Verinnerlichung der Scham.
In diesem Lande kommt alles darauf an, nicht zu den Verlierern zu gehören.
Die pädagogische Funktion der Verachtung der Armen: So schreckt man die Kinder von der Armut ab und weckt die Motivation, erfolgreich zu sein und „reich zu werden“.
Das Inertialsystem, der verdrängte Blick des andern und die Gardine.
Die Entzauberung der Welt war bereits das Werk des Mythos, nicht erst das der Aufklärung (Ursprung und Funktion des Tempels).
Urteilsform und Klassenkampf.
Ursprung des Fernhandels: Waren die Wikinger die Vorläufer der Hanse (und die Nomaden die der Kanaanäer)?
Gibt es eine Beziehung der sieben Sakramente zu den sieben Planeten? Sind die Sakramente gleichsam verinnerlichte Planeten, und haben sie eine vergleichbare Funktion bei der Konstituierung des Weltbegriffs?
Der Wille der Gattung unterscheidet sich vom Willen aller einzelnen wie der Raum vom Geld. Werden nicht seit Rousseau das Allgemeine und die Gattung verwechselt (Zweideutigkeit des Naturbegriffs)? Hieraus wäre Hegels Bemerkung, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, abzuleiten. Die Identität von Gattung und Allgemeinem ist die Geschäftsgrundlage der Hegelschen Logik und des Begriffs des Absoluten (der nicht zufällig zuerst in Newtons Begriff des absoluten Raumes und im politischen Begriff des Absolutismus auftaucht). Der Begriff des Absoluten ist ohne das Stück Dezisionismus, das in Hegels „List der Vernunft“ steckt, nicht zu halten. Die Lücke zwischen der Gattung und dem Allgemeinen ist nur mit Hilfe der List (mit Gewalt und Gemeinheit) zu überbrücken: im Kontext der Vergesellschaftung von Gemeinheit und Gewalt: Die Schlange war das klügste der Tiere. Seit der Vergesellschaftung von Herrschaft gibt es keine Theologie mehr, die ungestraft die Idee der Barmherzigkeit vernachlässigen darf. Vor diesem Hintergrund ist Christina von Brauns „Nicht-Ich“ ein theologisches Buch.
Die Logik des Raumes entspringt der gleichen Verwandschafts-Logik, die wirksam wird, wenn einer die Schwägerin seines Vaters heiratet (die dann ihre eigene Tante wird, mit eingebautem progressus in infinitum). Ist nicht der Raum der Inbegriff der Unzucht (und beziehen sich die einschlägigen Gebote der Tora auf diesen Raumbegriff)? Und verweist nicht das Rousseausche Inzucht-Motiv (und seine Beziehung zum modernen Naturbegriff) auf diesen Sachverhalt?
Mit der Abstraktion vom Gegenblick (vom Angesicht) abstrahiert das Inertialsystem (dessen Kern die mathematische Raumvorstellung: die subjektive Form der äußeren Anschauung, ist) von der Scham. Ausdruck dessen ist der Begriff der Materie. – Hat nicht der hieros gamos etwas mit dem Ursprung der Raumvorstellung zu tun? Ist der Raum eine Konstruktion, zu dessen Elementen die Logiken der Schrift und des Geldes gehören? Die Logik des Geldes repräsentiert den technisch-praktischen Anteil (den dynamischen Anteil), der der Mechanik (den linearen Prozessen) zugrundeliegt, die Logik der Schrift das Vorgegebene, Schicksalshafte (den mathematischen Anteil): das Moment der Fläche, der „Ausbreitung“ im Raum. Die Geometrie verdankt sich der Logik der Schrift, die Mechanik der des Geldes.
Zur Vorgeschichte der Mechanik gehört nicht die Philosophie, sondern die der Theologie und des Mythos (die Geschichte des Tempels: die Geschichte der Architektur endet im Inertialsystem).
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Plancksche Strahlungsformel sind die letzten Folgen des Dingbegriffs.
Gehören nicht die Gott-, Welt- und Menschenbilder zu den Produkten der Logik der Reproduzierbarkeit, deren Grund das Inertialsystem ist (die Physik ist das Produkt der Spiegelung der Welt am Inertialsystem)?
Deus fortior me: Sind die Gedanken wirklich frei? Die Idee des freien Denkens verdankt sich dem Schein, daß das Denken von der Sprache sich trennen läßt. Die Probleme gleichen denen, die entstehen, wenn man die Sprache von den Dingen trennt. Die Idee des freien Denkens gründet in der List der Vernunft, in der Abstraktion vom Schuldzusammenhang; sie ist selber der Grund der Idee des Absoluten, in der der gesellschaftliche Schuldzusammenhang sich reflektiert.
Die rätselhafte Ursprungsgeschichte der Grammatik.
Verschärft sich das Historismus-Problem heute nicht in der Einführung des Generationen-Konflikts?
Ist nicht das Inertialsystem eine negative Utopie, deren Gründe und Folgen einmal unter dem Begriff des horror vacui reflektiert worden sind?
Daß Boden, Arbeit und Geld zur Ware geworden sind, heißt auch, daß sie tauschbar geworden sind, daß sie den Besitzer wechseln können: daß sie als herrenloses Gut vorgestellt werden können, und daß es Menschen geben kann, die von allen dreien entblößt sind. Schlägt nicht Hegels Dialektik von Herr und Knecht heute auf das System der Bedürfnisse durch: Die gleichen Bedürfnisse, die dieses System hervorgetrieben haben, werden heute vom System wieder ausgeschieden: sie werden zum Abfall des Systems (vgl. Hegels Bemerkung in seiner Rechtsphilosophie). Auch das berührt sich mit dem Problem der technischen Reproduzierbarkeit: Das System der Bedürfnisse reproduziert sich im System und hat sich selbst überflüssig gemacht.
Wird nicht heute – im wörtlichen Sinne – den Menschen das Fell über die Ohren gezogen?
Heute wäre es erstmals möglich, die materiellen Grundlagen zu Ulrich Sonnemanns „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“ zu analysieren (unter dem Titel: Der Positivismus als Rechtfertigungsmaschine).
Steckt in dem Satz, daß man Ochs und Esel nicht gemeinsam pflügen lassen darf, nicht der Ansatz einer Kritik der Astronomie (der Hinweis auf die Differenz von Mechanik und Gravitation: von Joch und Last)? Haben Ochs und Esel etwas mit dem Binden und Lösen zu tun?
Ist die Feste des zweiten Tages, wie auch die Schicksalsidee, die darin enthalten ist, eine Vergegenständlichung, Verkörperung des Selbsterhaltungsprinzips? Und bezieht sich darauf das Wort: Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein? (Ist der biblische Staub ein Symbol der Subjektivität?)
Die Schrift induziert das Prinzip der Selbsterhaltung ins Wort.
Die neue Unübersichtlichkeit: Diese, und nicht mehr nur die alte Unmündigkeit, ist nach einem kantischen Diktum „selbstverschuldet“.
Drewermann leidet u.a. an einem Nestbeschmutzersyndrom: Er hätte gern eine heile Welt, eine Welt, in der alle Ängste nur psychologisch (und damit therapierbar) sind. Ein solche Welt wäre nicht mehr kritisierbar; aber sie wäre auch das Produkt der Unterwerfung unter die Gewalt. Er verschiebt das Problem aus der Welt ins Subjekt. Darin gründet sein Begriff der Religion (und seine Kritik- und Konfliktunfähigkeit, sein katholische Erbteil). -
11.9.1994
„Männer beten für das Ende der Sünder; Frauen für das der Sünde – nur so geschieht die Umkehr der Sünder.“ (b Ber 10a, zit. nach L. Schottroff, S.170, Anm. 269) – Ist das Patriarchat der genaueste Ausdruck der Logik der Schrift?
Die Schrift ist das Medium des Denkens anderer; darin aber gründet die Logik des Urteils, die mit der Schrift entspringt und im Weltbegriff sich entfaltet. Kern der Logik der Schrift ist die Urteilsform. Die Unfähigkeit zu kritischer Kommunikation gründet in der autoritären Beziehung zur Schrift, in der die Schrift (und mit ihr die Welt) anstatt zum Feld der Suche nach der Wahrheit, zum Urteil über den Lesenden/Hörenden („Gehorchenden“) wird. Die erste vergegenständlichte Gestalt der autoritären Beziehung zur Schrift (die erste Objektivierung der Urteilsform) war die Schicksalsidee, während die Prophetie die Kritik der Logik der Schrift in der Schrift gegen die Schrift entfaltet („Spruch des Herrn“). Die zweite Gestalt war der Dingbegriff: Die Objektvorstellung gründet in der Logik der Schrift.
Kreuzweg: Grundlage der Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie war die Ausblendung des politisch-ökonomischen Hintergrunds und die Fixierung auf das physischen Ereignis.
Die Philosophie ist die Protokollführung der Herrschaftsgeschichte.
Wäre nicht das prophetische Votum für die Armen und die Fremden heute zu ergänzen durch das Votum für die Frauen? Nur: Während das Votum für die Armen und die Fremden gleichsam ein allgemein-menschliches Votum ist, ist das Votum für die Frauen in erster Linie die eigene Sache der Frauen. Gibt es hier einen Zusammenhang mit dem Becher der Unzucht der Hure Babylon?
Mit dem Staub, aus dem Adam geworden ist, und zu dem er wieder werden wird, nährt sich die Schlange: Sie nährt damit ihre Klugheit (sie war das klügste aller Tiere des Feldes)?
Ist nicht der Inhalt des Spekulativen bei Hegel das Selbst: Ist das Absolute nicht der an der Logik der Welt sich spiegelnde Narziss, der autistische Gott?
Haben die Hegelschen Volksgeister nicht eine Affinität zu den Arten der Tiere, die nach Hegel ein Beweis dafür sind daß die Natur „den Begriff nicht halten“ kann?
1 Kön 13: Eine hochsymbolische Geschichte (von den beiden Propheten). Beziehungen zum Buch Jonas?
Ist die Flexion (Deklination und Konjugation) der Gegenstand der Reflexion?
Durch das System der Deklinationen wird das Wort unter die Herrschaft des Inertialsystems gebeugt (wird die Welt zu „alle(m), was der Fall ist“).
Zum bestimmten Artikel: Ist der bestimmte Artikel (die demonstrative Beziehung des Begriffs auf sein Objekt) nicht überhaupt der Katalysator der Deklination? Und gehört nicht zu dem et haschamajim w’et ha’arez im ersten Satz der Genesis das tohu wa bohu im zweiten Satz?
Sprache und Schrift: Verdankt sich nicht die grammatische Durchbildung und Artikulation der Sprache der Schrift? So ist die hochdeutsche Sprache durch die Bibelübersetzung Luthers entstanden (und in unvergleichlicher Weise theologisch instrumentiert worden).
Die res der lateinischen Sprache ist die res publica. Erst mit der lateinischen Sprache hat die griechische Naturphilosophie ihr Objekt verloren, das sie dann als Theologie wiedergefunden zu haben glaubte. Unterm Zwang der Logik des Weltbegriffs und der Bekenntnislogik ist sie zur Quelle der modernen Naturwissenschaften geworden.
Erinnert Hegels Begriff des Prozesses nicht sowohl an das procedere, den Fortschritt, als auch an das juristische Verfahren der Urteilsfindung (mit Ankläger, Angeklagtem, Verteidiger, Zeugen und Richter)? Der juristische und der szientifische Beweis haben nicht zufällig den gleichen Namen.
Hegels Hinweis auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte begründet seine Prämisse, daß es Geschichte erst seit der Geschichtsschreibung gibt. Was als Geschichte vergegenständlicht wird, ist durch die Schrift „ursprünglich“ objektiviert worden: Die Schrift ist der erste Zeuge der historischen Taten und Ereignisse (dem später erst die anderen, dinglichen Zeugnisse der Architektur, der Kunst und der Archäologie zur Seite gestellt werden).
Bezeichnen die Objekte der Schöpfung: die Himmel und die Erde, die großen Seetiere und am Ende die Menschen, nicht drei Stufen einer Schöpfung, die insgesamt als Abfolge von Katastrophen und Rettungen zu begreifen wäre (und nicht als souveräne Tat eines gewaltigen, allmächtigen Schöpfers)?
Die drei Leugnungen sind Stufen der Identifikation mit dem Aggressor (die drei Katastrophen, die der Menschwerdung: der Erscheinung des Menschensohns, vorausgehen): Insofern haben sie etwas mit der Beziehung von Lachen und Weinen (er ging hinaus und weinte bitterlich) zu tun.
Hat Behemoth etwas mit der Geschichte der Hysterie (Christina von Braun: Nicht-Ich) zu tun (das vom Pharao gejagte Chaos-Tier mit im Sklavenhaus heimatloser Barmherzigkeit)?
Das Gebot der Barmherzigkeit reinigt die Liebe von ihrer Ohnmacht gegen die Verführung durchs Selbstmitleid (im Wunsch geliebt zu werden erstickt die Fähigkeit zu lieben).
Greuel am heiligen Ort: Die homousia ist die Nadel, mit der der zarte Schmetterling der Gotteserkenntnis aufgespießt, hinter Glas gesetzt und (als verdinglichte Trinitätslehre) dem blinden Anschauen preisgegeben worden ist.
Sind die subjektiven Formen der Anschauung nicht Produkte der Potenzierung der Verstockung: das eiserne anstelle des hölzernen Jochs (Jeremias und Hananja)? Vgl. das Stichwort „eisern“ in der Stuttgarter Wortkonkordanz, Bibel von A – Z.
Das Joch symbolisiert sowohl die Last der Herrschaft als auch die des Begriffs: vgl. im NT auch das Kreuz und die Sünde der Welt (Mt 1129.30, Mt 1038 und 1624, Joh 129). Der Weltbegriff „befreit“ von der Last des Joches durchs Schuldverschubsystem (der Weltbegriff ist der Inbegriff der vergesellschafteten Welt). Dagegen richtet sich das Wort von der Sünde der Welt, das zum Nachfolgegebot gehört. Für diese Last gilt das Wort: Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. Vgl. Rosenzweig: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr.
Herrschaftskritik eröffnet die Erinnerungsfähigkeit und sensibilisiert zugleich (erlöst die Moral vom Bann der Moral).
Gerichtssprache und Hoffnungssprache sind ineinander verschlungen: Die Hoffnung für die einen ist das Gericht über die andern. Hierzu gehört eine Vorstellung des Jüngsten Gerichts, in der es als Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht zu begreifen wäre. (Vgl. Schottroff, S. 230)
Die Kopenhagener Schule ist die apokalyptische Weiterbildung der Einsteinschen Prophetie.
Das Buch des Lebens: Heißt das nicht, daß wir am Ende in der Natur das entschlüsselte Buch der Geschichte lesen werden?
Der Weltbegriff, Korrelat des Selbsterhaltungsprinzips und Produkt seiner Logik, rückt die Armen, die Fremden und die Frauen ins Dunkel, er ästhetisiert die Geschichte, transponiert sie in den Kontext des Inertialsystems, dem er durchs Relativitätsprinzip verbunden ist, durch das der logische Rahmen der Gegenwart zum Existenzrahmen der so ästhetisierten Geschichte (die Geschichte selbst zu einem Gegenstand der Vorstellung) wird. Der Weltbegriff immunisiert die Geschichte gegen die Erinnerung. -
10.6.1994
Das Verhältnis von Prophetie und Philosophie läßt sich am metaphorischen Gebrauch des Namens der Gebärmutter erkennen: Während im Hebräischen der Name der Gebärmutter dem der Barmherzigkeit zugrundeliegt, wurde aus dem griechischen der der Hysterie abgeleitet.
Ursprung und Erscheinungsformen der Hysterie (Christiane von Braun: Nicht-Ich) liegen – dem Namen und der Sache nach – in der Konsequenz der Vergesellschaftung des Staubs und der Privatisierung der messianischen Wehen im christlichen Verständnis des biblischen Sündenfall-Berichts.
Mit einem Bild aus der Hunde-Dressur (dem „Bild von der langen Leine: Wenn die Leine sich zu spannen beginnt und der will drüber hinaus, dann muß es einen Ruck geben, daß er auf die Schnauze fällt“, Hervorhebung H.H.) begründet der künftige Bundespräsident (nach einer Meldung der FR von heute) seine pädagogische Maxime, daß es auch schon einmal „notwendig (sei), mal hinzulangen“. So habe er – wie er selbst immer noch ungerührt berichtet – einem seiner Söhne, damals neun Monate alt, „eine hinter die Löffel“ gegeben (die Tiermetaphorik dient wohl dem Zweck, die humane Regung, die der Anblick eines neun Monate alten Kindes im Normalfall hervorruft, nicht einmal in der Erinnerung an sich herankommen zu lassen). Wie tief ist das Schrebersyndrom in deutschen Richterköpfen verwurzelt? Meinte Roman Herzog mit der Unverkrampftheit, auf die er in seiner Rede nach der Wahl hinwies, etwa nur den Mangel an Phantasie und die Unfähigkeit zur Reflexion (der Maxime entsprechend, nach der „christliche“ Politiker „in diesem unserem Lande“ seit je das zentrale Gebot der Umkehr diskriminieren: man könne doch nicht ewig im Büßerhemd herumlaufen)? -
02.01.92
Zu Derridas Kritik des Logozentrismus: nochmal die Christina von Braun lesen.
Die Hypostasierung der Natur ist der Versuch, einen anti-christologischen Schöpfungsbegriff zu etablieren; die Idee eines stummen Schöpfers, eines Schöpfers, der ohne die Sprache erschafft (ebenso wie die Welt die Idee eines stummen Gerichts vor Augen stellt: eines ohne die Möglichkeit einer Einrede gefällten und sogleich vollstreckten Urteils. Der Säkularisationsprozeß ist ein Prozeß ohne Verteidigung, ein Prozeß, in dem der Verteidiger nur stört, Sand im Getriebe ist.
Keine Philosophie wurde schneller vergessen als die Adornos: nämlich von seinen eigenen Schülern.
Ist ein Raum vorstellbar (konstruierbar), in dem nur zwei Dimensionen umkehrbar sind. die dritte hingegen unumkehrbar.
Büchners Lenz hatte bei der Wanderung durch die Vogesen den Wunsch, auf dem Kopf zu gehen; umgekehrt wollte Marx den Hegel vom Kopf auf die Füße stellen. Und war das nicht die entscheidende Wendung in der Geschichte der Rationalisierung der Musik, daß sie gleichsam umgekehrt und auf den Kopf gestellt wurde: daß die Melodiestimme von unten nach oben und die Begleitstimme von oben nach unten gerückt wurde? Ergab sich hieraus die Konsequenz der Zwölftonmusik? Beziehung zum Fall: das Tiefe (das Untere) wird heute als das Schwere, das Hohe (das Obere) als das Leichte erfahren. Aber ist es nicht die Welt, die uns auf den Kopf stellt (und haben damit nicht der Ödipus-Komplex und die Gewalt, die seitdem das Erwachsenwerden begründet, etwas zu tun)?
Das metaphorische Element der Sprache hält die Spuren der Genesis ihrer Entfremdung fest. Ein gänzlich metaphorisch durchwirkter Text kommt der Wahrheit näher als ein Text, der durch Definitionen, durch verdinglichte und instrumentalisierte Begriffe festgezurrt wurde und daran erstickt ist. Die Metaphorik ist das Lebenselement der Sprache.
Hat die Anatomie nicht eigentlich immer schon die Wahrheit als Leiche gemeint, und ist diese nicht ihr Modell? Hängt sie (bis hin zu den Menschenexperimenten in den Konzentrationslagern) nicht zusammen mit einem rekonstruierbaren blasphemischen Stand der Theologie und des Dogmas?
Die Metaphorik beschreibt den Organismus des Sprachleibs, die Dogmatik seine Anatomie. Wenn wir begreifen, was in der alten Geschichte die Leberschau und die Beobachtung des Vogelflugs bedeuteten, welche Bedeutung die Ostraka im Zusammenhang mit dem Ursprung der Schrift haben, sind wir dem Verständnis der alten Welt und des Ursprungs des Christentums ein ganzes Stück näher gekommen.
Die Finsternis und das Wasser sind nicht erschaffen, sondern als Nebenprodukte im Schöpfungsprozeß mit entstanden. Lernen, mit der Angst umzugehen, sie nicht zu verdrängen, wenn wir uns der Vorwelt nähern.
Hatte nicht Habermas, und auf andere Weise generell die 68er Linke, noch ein gänzlich unangemessenes Zutrauen in Institutionen, in die Wirksamkeit der Mechanismen der Instrumentalisierung? Und war es nicht dieses Zutrauen, daß Habermas dazu verführte, die Naturkritik der Frankfurter zu vorschnell zu verwerfen? Das ist es, was dann in der nächsten Generation (bei Hauke Brunkhorst oder bei Micha Brumlik) gelegentlich völlig unkontrolliert ausbricht.
Erst in einer Welt, in der die Sprache gegenstandslos wird, wird das Beten funktionslos.
Was das Christentum in der Folge der Rezeption des Hellenismus nicht verstanden und am Ende dann verdrängt hat, ist, daß die Übernahme der Schuld der Welt sich auf einen sprachlichen Sachverhalt bezieht. Nur innerhalb dieses sprachlichen Zusammenhangs wird verständlich, was im NT Logos heißt.
Die Asymmetrie im dialogischen Verhältnis korrespondiert mit der Asymmetrie von Zukunft und Vergangenheit, Sprache und Mathematik. -
23.12.90
Letzter Auftrag: „… und ihr werdet meine Zeugen sein … bis an die Grenzen der Erde“ (Apg. 18, direkt anschließend „wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken“). Kopernikus und dann insbesondere Newton haben kraft der Verknüpfung von Inertialsystem und Gravitationsgesetz die „Grenzen der Erde“ bis in die Himmel ausgedehnt (durchs Gravitationsgesetz wurden Himmel und Erde in ein einheitliches Universum umgeformt, der Himmel zum Verschwinden gebracht: mit dem Himmel die sinnliche Welt ins Innere, ins Subjekt zurückgenommen; das neue Einheitsprinzip des Universums war das Inertialsystem, eigentlich das Tauschprinzip).
Christina von Braun: „… wie sehr die völkische Blutmythologie eine Form von säkularem Christentum darstellt.“ (Die schamlose Schönheit des Vergangenen, S. 106)
Licht und Schwerkraft: Repräsentationen von Zukunft und Vergangenheit (Werden und Vergehen) im Objekt. Das elektromagnetische Feld ist Produkt der Projektion des Lichts ins Gravitationsfeld (seiner Subsumtion unter die Vergangenheit)? Und die träge/ schwere Masse Ausdruck der Herrschaft der Vergangenheit? Die Masse hat keine Ausdehnung! -
22.12.90
Empörung schneidet jedes weitere Argument ab, gibt zu verstehen, daß der Empörte von diesem Punkt an sich selbst (seine Person) in die Waagschale wirft und nicht mehr mit sich reden läßt (vgl. Sartres Portrait eines Antisemiten). Empörung ist vergeistigtes „Martyrium“, zeigt die verzerrten Züge des „Bekenners“: Diese Empörung steht der Frau nicht zu (wird hier als Hysterie diffamiert); ihr bleibt nur der Ausweg der biologischen Unschuld: die Jungfrauenschaft. Empörung ist das säkularisierte Bekenntnis (und zugleich das aktive Bekenntnis zur Welt). So ist der Antisemit der letzte Nachfahre des Bekenners (und Vorbote des Antichrist: sein Bekenntnis drückt sich aus im apokalyptischen Zeichen des Tieres). Die confessio und die virginitas sind komplementäre Formen der christlichen Selbst- und Weltverleugnung, der mißlungenen Umkehr (in der das Selbst und die Welt aufgehoben, erhalten bleiben). Mißlungen deshalb, weil die Selbst- und Weltverleugnung selber bereits Folgen der Anpassung an die Welt (der Identifikation mit der Welt als selbstlosem Aggressor: Vorlaufen in den Tod) sind.
Empörung instrumentalisiert die Moral und begründet so den modernen Naturbegriff.
Bekenntnis und Messianismus: Gegenstand des Bekenntnisses ist der Name des Messias (der dann nur noch als quasi Familienname des Jesus Christus verstanden wurde). Der autoritäre Charakter erträgt es nicht, wenn dieser Name nicht sein Name (in notwendiger Verbindung mit einer der weltlichen Derivate des Messianischen: der Nation oder des Markennamens) ist. (Die Befreiung von dieser Säkularisation des Messianischen oder von der Neid-Beziehung auf das Messianische wäre die Entkonfessionalisierung.) Die tiefe Ambivalenz der Rezeption der Lehre vom mystischen Leib Christi, die ohne den Begriff der Nachfolge direkt in die Barbarei regrediert, in der Ära des Faschismus hängt hiermit zusammen.
Bekenntnis = confessio, homologia.
Adornos Bemerkungen „zum Ende“ auf die Heideggersche Philosophie anwenden.
„Auf dem Gebiet der Malerei und Skulptur lautet heute das Credo der Leute von Welt: […] „Ich glaube an die Natur und glaube einzig an die Natur (und das hat seine guten Gründe). Ich glaube, daß die Kunst nichts anderes ist und sein kann, als die genaue Wiedergabe der Natur (eine furchtsame und abtrünnige Sekte will die Dinge widerwärtiger Natur, so einen Nachttopf oder ein Skelett nicht zugelassen wissen). Und so wäre denn die Industrie, die uns ein mit der Natur identisches Resultat geben würde, die absolute Kunst.“Ein rächerischer Gott hat die Stimmen dieser Menge erhört. Daguerre ward sein Messias. Und nunmehr sagt sie sich: „Da uns also die Photographie alle wünschenswerten Garantien für Genauigkeit gibt (das glauben sie, die Unsinnigen!), ist die Photographie die Kunst.“ (Charles Baudelaire, zit. nach Christina von Braun: Nicht ich, Frankfurt 1993, S. 441)
„Was die Photographie ermöglichte, war die Verwandlung der alten, dem Untergang geweihten Natur in ein Kunstwerk. Sie diente nicht so sehr der Wahrung des Untergehenden; auf ihre Weise trieb sie diesen Untergang auch voran.“ (Christina von Braun, ebd.)
Das Fernsehen befreit den Faschismus durch Verinnerlichung und Vergesellschaftlichung vom Bilde des Führers. Auschwitz bleibt in verwandelter Form erhalten und allgegenwärtig.
Zum Begriff des Charakters: „Der kommende deutsche Mensch wird nicht ein Mensch des Buches, sondern ein Mensch des Charakters sein. Und deshalb tut ihr gut daran, zu dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Das ist eine große, starke und symbolische Handlung …“ (Goebbels anläßlich der Bücherverbrennung am 10.05.1933 auf dem Berliner Opernplatz, zit. nach Christina von Braun, a.a.O. S. 445). Heute ersetzt das Fernsehen die Bücherverbrennung (und bildet den Charakter; Charakter das caput mortuum des Geistes -seine nature mort, sein Stilleben).
Geschichte des Scheiterhaufens: Ketzer, Hexen, Bücher, die Vergangenheit – Vergeblichkeit des Opfers und Wiederholungszwang (Fernsehen: das materialisierte Totenreich oder das Absterben, die Vergängnis des Sehens) – Hegels Philosophie lt. Baader das Autodafe der bisherigen Philosophie – Vergegenständlichung des universalen Verdrängungsprozesses (Abstraktion und Verdrängung).
Bekenntnis und Symbol (Credo und symbolum): Absterben, Verwesung und Vergiftung des Symbols durchs Zwangsbekenntnis (säkularisiertes Bekenntnis) – Verwandlung des Symbols ins Bild (Bedeutung des Bilderverbots!) – Reklame und Propaganda – das Zeichen des Tieres.
Name und Begriff: Während der Begriff Ausdruck der Herrschaft über das Objekt (Befreiung von Angst durch deren Verdrängung durch Depotenzierung, Entmächtigung des Objekts), ist der Name Ausdruck der Anerkennung des Leidens (der passio, des Selbstgefühls): Befreiung von Angst durch deren empathische, parakletische Aufarbeitung. Voraussetzung ist, daß das Tabu über die Angst (die Gottesfurcht) aufgehoben, ihre Verdrängung nicht mehr notwendig ist.
Das letzte Bekenntnis wird ein Schuldbekenntnis sein. -
01.11.90
Wichtiger Hinweis (Christina von Braun: Nicht-Ich), daß zum Patriarchat die Vergeistigung der Vaterschaft und die Leugnung der biologischen Vaterschaft gehört. Nur bleibt es leider bei einer gleichsam geistesgeschichtlichen Darstellung (patriarchales Erbe), die Verflochtenheit in den historischen Prozeß wird ausgespart.
„Es handelt sich nicht um eine Verschmelzung mit der Natur, sondern um ein Bekenntnis zur Natur.“ (Definition des Matriarchats, CvB, S. 90) – Frage: Gab es vor Beginn des Patriarchats eine „Natur“? Ist nicht der Naturbegriff der Strick, der das Konzept ins Patriarchat wieder einbindet (gibt es den Naturbegriff außerhalb des Zusammenhangs der Naturbeherrschung)?
Ist nicht der Gegensatz von „spiegelbildlicher“ und „projektiver“ Vorstellungswelt ein Gegensatz im Patriarchat, unter den Bedingungen des Patriarchats, und nicht gleich dem Gegensatz zwischen P. und M.? – „Die Utopie ist der ’spiegelbildlichen‘ Vorstellungswelt konträr“ (S.91ff): sie ist zugleich deren Voraussetzung (das Vorhandene ist das Zuhandene). Der Gegensatz bleibt innerhalb des gleichen (patriarchalischen) Bezugsrahmens. Konsequenz ist ein dezisionistischer Wahrheitsbegriff („Weltanschauung“, „Weltbild“).
Die Kritik der Theologie (2. Kap.) ist im schlechten Sinne spekulativ (Folge des dezisionistischen Wahrheitsbegriffs).
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie