von Humboldt

  • 07.08.92

    Die Christen haben das Lamm zum Sündenbock gemacht. Sie haben IHM die ganze Schuld aufgelastet; seitdem stehen sie in Gefahr, die Juden (als Gesamtschuldner) in Solidarhaftung zu nehmen.
    Das, was man so leichthin das naturwissenschaftliche Weltbild nennt, ist der Inbegriff der ausweglos unerlösten Welt. Das in Verbindung mit „Religion“ ergibt eine hochbrisante Mischung. Die Fundamentalismen geben einen Vorbegriff dessen, was hieraus einmal hervorgehen kann.
    Die Physik: das ist der Benjaminsche Schock als irreversibler Dauerzustand. Hängt es mit der Prolongierung des Schocks heute zusammen, wenn das, was Benjamin die „göttliche Gewalt“ nennt, zu fundieren (oder zu berichtigen wäre) im göttlichen Zorn, wobei im Begriff des Zorns ein sprachliches und ein naturales Element mitklingen: die Verbindung von treffendem Wort und Feuer („… und ich wollte, es brennte schon“).
    Die Beziehung von Sprache und Natur, die Kopernikus verwirrt und zerstört hat, hat sich durch Einstein wieder eröffnet.
    Die Attraktivität der Jungschen Lehre vom kollektiven Unbewußten und von den Archetypen rührt daher, daß sie daran erinnert, daß die Verdrängungsprozesse nicht nur im einzelnen Subjekt sich abspielen, sondern mit objektiven historisch-gesellschaftlichen Prozessen verbunden sind; diese Einsicht wird nur durch die Psychologisierung wieder entschärft, der objektive Katalysator dieser Prozesse aus dem Blickfeld gerückt. Es wird ein gefährliches Gemisch erzeugt: der Effekt der Verdrängung, die Exkulpierung, soll nicht preisgegeben werden und wird nicht angetastet. Die Produkte der Exkulpierung werden verharmlost; man kann dem Schrecken ins Gesicht schauen, weil man sich ihm angleicht. Nicht zufällig verfallen insbesondere religiös gestimmte Leute, wie Alt und Drewermann, dieser Attraktivität. Das, was zu entschlüsseln wäre, die Psychologisierung, rührt daher, daß die objektive Instanz, die diese Verdrängungsprozesse erzwingt und fast irreversibel macht, bis heute der Kritik sich entzieht: die naturwissenschaftliche Aufklärung und die durch Geldwirtschaft definierte Gesellschaft.
    Die Tatsache, daß der Raum drei Dimensionen hat, ist ein Hinweis darauf, daß auch der Objektivationsprozeß – und mit ihm der Verdrängungsprozeß – eine reale Grenze haben muß. Diese Grenze ist beschrieben in der Geschichte der drei Leugnungen; auf sie verweisen zusätzlich die sieben unreinen Geister.
    Die Geschichte der christlichen Theologie als Teil dieses Objektivations- und Verdrängungsprozesses war so nur möglich auf der Basis und mit Hilfe der christlichen Sexualmoral.
    Auch die Philosophie ist eine Art der Identifikation mit dem Aggressor: nämlich der Identifikation mit dem Denken der Anderen (als Ursprung des begrifflichen Denkens).
    Begriffe wie Ereignis, Gemeinheit, Tatsache bilden eine Konstellation, in deren Zentrum der Weltbegriff steht: Mithören muß man im Ereignis die Beziehung Eigentum (Wilhelm von Humboldt schreibt Eräugnis: das ins Auge Fallende; gibt es eine sprachliche Beziehung zwischen Auge und Eigen), in der Gemeinheit die Beziehung zu Mein und zur Meinung, und in der Tatsache das Moment der Tat (in jeder Berufung auf die Tatsachen ist der Hinweis auf den Sündenfall mit enthalten).
    Fichte und Goethe haben etwas wesentliches getroffen, wenn sie im Hinblick auf den Anfang des Johannes-Evangeliums den Logos glauben durch die Tat ersetzen zu müssen („Im Anfang war die Tat“, und Fichtes Begriff der Tathandlung).
    Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen: Heißt das nicht doch nur, daß sie, solange die Kirche besteht, sich nicht schließen werden?

  • 02.08.92

    Wilhelm von Humboldt unterscheidet (S. 203) zwischen einer „Zergliederung der Rede“ (in der das Du, die zweite Person, nicht vorkommt) und einer „Zergliederung der Sprache“, für die das Du (Bubers dialogisches Prinzip) die Substanz ist: dieser gehören der theologische Begriff des Logos und die Namenslehre an, der ersten (in der die zweite untergegangen ist, während die erste in der zweiten erhalten bleibt) der Begriff.
    S. 208 verweist Humboldt auf die Beziehung der Personalpronomia zum Raum (zur Form des Raumes).
    Idealismus und Materialismus sind nicht nur Gegensätze, sondern als Gegensätze sich wechselseitig begründend.
    Begründung und Erlösung: Die Opfertheologie begründet den Bestand der materiellen Welt und erzeugt den Schein der Befreiung von dem der Materie inhärierenden Verschuldungsgesetz, während die Erlösungslehre (über den Begriff der Nachfolge) das Verschuldungsgesetz freilegt, bewußtseinsfähig macht und so vom Schuldzusammenhang befreit.
    Das Verschuldungsgesetz: Die Materie ist der leere Platzhalter des Schuldverschubsystems, des bloßen Objektseins; deshalb ist sie qualitätslos, aber damit ist sie auch der Abgrund, in dem die Sprache ihre benennende Kraft verliert: Hier wird die Theologie „klein und häßlich“, so daß sie sich „nicht mehr darf blicken lassen“. (Zum Ende des Buches Jona: Es sind die Mathematiker, die „Rechts und Links nicht mehr unterscheiden können“.)

  • 01.08.92

    Kirche, Glaube und Theologie nach Auschwitz: die Probe aufs Exempel der Lehre von der Auferstehung (vgl. Paulus: den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit – 1 Kor 123).
    „Experiment Auschwitz“: Während unmittelbar nach dem Kriege in katholischen Kreisen noch Ängste geäußert wurde: „das wird sich einmal rächen!“, scheint heute Auschwitz nur noch als Widerlegung der Lehre von der Auferstehung der Toten nachzuwirken. Diese „Widerlegung“ scheint sich aus zwei Motiven zu speisen:
    – aus einem gleichsam naturwissenschaftlichen Kontext: das Experiment hatte ein negatives Ergebnis; die Erschlagenen und Vergasten sind nicht auferstanden und die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen worden; und zudem:
    – wie würden es die Täter (zu denen auch, bis in die Kirchen hinein, die gehören, die es wahrgenommen und gewußt, aber nicht eingegriffen haben, und die, die in dieser unaufgearbeiteten Tradition stehen) aushalten, wenn sie die Lehre von der Auferstehung ernst nähmen (wenn sie an die Auferstehung glaubten); welche Konsequenzen müßten sie dann ziehen?
    Mizraim, der hebräische Name Ägyptens, ist nach Wilhelm von Humboldt ein Dualis.
    Die „Unschuld“ in der Heiligengestalt der Virgo bezeichnet keine natürliche Qualität (Beginn der Islamisierung des Christentums und christlicher Ursprung des Islam), sondern den Zustand nach der Befreiung von den sieben unreinen Geistern (zur Kritik der kirchlichen Sexualmoral: Sexualmoral, Verzicht auf Kritik des Herrendenkens und Ursprung der modernen Naturwissenschaften). Vorgeschichte dieser „Unschuld“: das Martyrium (die Blutzeugenschaft, die durch Teilhabe am Kreuzestod von der Schuld befreit) und dann seine verinnerlichte, vergeistigte und vermännlichte Gestalt in der confessio, die als weibliches Korrelat die virginitas nach sich zieht. Gehören diese confessio und die virginitas – als Nährboden des Sexismus – zu den Ursprüngen der sieben unreinen Geister?
    Das Dogma als Instrument der Enttheologisierung der Theologie: Dogmatiker kann man nur werden, wenn man nicht mehr glaubt.
    Der jüdische Kampf gegen die Idololatrie war der Kampf gegen die Mechanismen, die die realen Opfer durch Reduplikation (durch Identifikation mit den Tätern) zu verdrängen und erträglich zu machen suchten: um den Preis, den Gott durch Ernennung zum Gott zu entmächtigen. Diese gesamte Konstellation ist dann (im Kontext und auf der Grundlage der sich entfaltenden und ausbreitenden Geldwirtschaft) in den Begriff der Welt eingewandert. Problem seit der antiken Schuldknechtschaft: Verschuldung der Armen als die den gesellschaftlichen Lebensprozeß tragenden Schicht (Latifundienwirtschaft, Verschuldung der Dritten Welt).
    Die Installation des Weltbegriffs bezeichnet genau die Wasserscheide, die die Zivilisation von ihrer Vorgeschichte trennt.
    Der Fundamentalismus ist die vom Feind unterwanderte Wahrheit.
    Zum Buch Judith: wer ist Holofernes („fortis dux“)?

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