von Weizsäcker

  • 15.12.90

    „Oder wird das All wieder in sich zusammenstürzen, so daß unsere Nachkommen, gleich einem Astronauten, der in ein schwarzes Loch stürzt, das Firmament buchstäblich auf den Kopf fällt, und ein Feuerball wiederentsteht, wie der, aus dem das Universum hervorgegangen ist.“ (Martin J. Rees: Expandiert das Universum immer weiter? in Lettre International, Heft 11, IV.Vj./90, S. 78) Kann es sein, daß die Theorie des „Schwarzen Lochs“ nur die Tatsache, daß der Himmel in der Nacht dunkel und die Zahl der sichbaren leuchtenden Sterne begrenzt ist (Olberssches Paradoxon), und das Faktum des Firmaments (des tagsüber „blauen Himmels“) erklärt?

    Gegen das periodische System der Elemente und die daraus gezogenen kosmologischen Schlüsse (Weizsäckers Konzept der Entstehung der Sonnenenergie; Vorstellung, daß die gesamte Materie aus der „einfachsten“ Atomstruktur, der des Wassestoffs entstanden sein muß): Stimmt eigentlich die konzeptionelle Voraussetzung der Trennung von Raum, Zeit und Materie (Inertialsystem)? Wird unter dem Begriff der Materie (durch ihre Beziehung zum Trägheitsgesetz) nicht Ungleichnamiges gleichnamig gemacht (wie unter der Herrschaft des Tauschprinzips die Waren im Warenkosmos)? Käme es nicht eher darauf an, das Ungleichnamige wiederzuentdecken? -Die spezielle Relativitätstheorie hat hinsichtlich der Tragweite Vorrang vor der allgemeinen: Sie rührt an den begrifflichen Ursprung, ans transzendentale Apriori der Physik.

    Zur Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen: Hier lassen sich vielleicht Aufschlüsse aus der Interpretation der Planckschen Strahlungsformel (der Grenze der molekularen Wärmetheorie) erwarten.

    Das Bekenntnis zu einer Sache war notwendig (und wurde erfunden), als niemand mehr an die Sache glaubte und deshalb die Glaubenden sich der Bestätigung durch andere versichern mußten (das gilt fürs Trinitätsdogma wie für den Sozialismus). Bekenntnisinhalte sind an bestimmte historische Situationen gebunden, dogmatisiert werden sie, wenn sinnwidrig ihre Geltung über den vergangenen historischen Punkt hinaus: wenn ihre überzeitliche Geltung behauptet wird.

  • 22.10.89

    (Spaziergang, Diktiergerät) Der Name bezeugt den Vorrang des Objekts, er ist zugleich das entscheidende Argument gegen das Grundprinzip der Hegelschen Logik, insbesondere gegen die Funktion der Reflexionsbegriffe. Im Zusammenhang der Reflexionsbegriffe ist der Name tatsächlich „Schall und Rauch“ (mit welcher Bezeichnung der Schuldzusammenhang zugleich verdrängt und stabilisiert wird), ist das Selbst ein leerer, gegenstandsloser Begriff. Oder anders: Die Hegelsche Logik ist die Logik des Andersseins, der Entfremdung; sie ist präzise das System der Entfremdung als Totalität. Bewußtlos vorgearbeitet – darin hat Hegel Recht, und daraus kann er schöpfen – hat ihr die christliche Theologie.

    „Das Eine ist das Andere des Anderen“: Genau hierin drückt sich die – nach Rosenzweig – „verandernde Kraft des Seins“ aus. Und genau hier ist der Geburtsfehler der europäischen Philosophie. Aber hier ist zugleich auch die Geburtsstunde von Herrschaft als Mimesis ans Anderssein, als Mimesis an subjektlose Natur, als Geburtsstunde der zweiten Natur.

    Heidegger hat aus der Philosophie eine Zelle für die Isolationshaft gemacht. Die Welt, auf die das „In-der-Welt-Sein“ bezogen ist, ist eine Zelle, ist ein Einzelghetto, sozusagen der letzte Zufluchtsort der Kontemplation oder auch der Theorie (im aristotelischen Sinne). Ich glaube, der Hinweis auf die Einzelhaft, die Isolationshaft reicht weiter als es auf den ersten Blick scheint. Man denke an die Vertreter der Ermittlungsbehörden und der Anklage im Rücken, die jedes Wort protokollieren (Modell der szientifischen Erkenntnis).

    Auch in der Vorstellung der Isolationshaft berühren sich die Extreme. Es hat den Anschein, als müßten die Herrschenden prädestinierten Opfern das antun, was ihnen selbst widerfährt: die eigene Isolation, die sie allein befähigt, Herrschaft auszuüben, allerdings um einen Preis, den sie kaum in der Lage sind zu zahlen, es sei denn zu Lasten, auf dem Rücken anderer: Herrschaft braucht Opfer.

    In „Sein und Zeit“ beschreibt Heidegger eine Erfahrung, die deshalb für den Faschismus brauchbar ist, weil sie die der Oberen und der Unteren zugleich war. Hierzu ist es vielleicht von Interesse, dem nachzugehen, was Carl-Friedrich von Weizsäcker meinte, als er bemerkte, daß „Sein und Zeit“ vielleicht etwas von den Erfahrungen wiedergeben könnte, die auch die eines Physikers angesichts der neueren Physik sind.

    Hat der „Alltag“, auf den die Grunderfahrungen der Heideggerschen Philosophie nicht selten bezogen werden (auf die er selbst auch sie bezieht), etwas mit dem zu tun, was Franz Rosenzweig „das All“ nennt? Und ist „das All“ vielleicht tatsächlich auf diese ganz schmale Basis und Dimension zusammengeschrumpft?

    Vielleicht ist es doch notwendig, den Vortrag aus 1952 „Wert und Bedeutung der Prinzipien“ Satz für Satz zu korrigieren; vielleicht komme ich dadurch sowohl auf die Hemmungen, die mir damals im Wege gestanden haben, wie auch auf die ursprüngliche Vision, die eigentlich dahinter steckte und hier, in diesem Vortrag, nur vollständig ihren Gegenstand verfehlt hat. Frage: Hatte ich damals den Aufsatz von Franz Rosenzweig „Zeit ist’s“ schon gelesen?

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